42. Die Wahrheit kommt ans Licht
achdem Haldor und
Gjuki mit zwei weiteren Norr zurück
zu Hrolfs Hof geschickt wurden, um die zurückgebliebenen Frauen und
Kinder aus den Händen von Hrolf zu befreien, machte sich die Gruppe
der Gefährten um Cathyll zurück zu ihrer Heimat auf. Der Weg, der
nun von Pater Balain geführt, mitten durch den Wald führte, endete
für die Gruppe früher als erwartet, als man am Nachmittag des
folgenden Tages von Westen aus die Mauern der Festung von Mal
Kallin und das dahinterliegende Meer sah.
Cathyll musste schlucken und sich zusammenreißen, um nicht vornüber zu fallen, als sich die gelblichen Mauern vor ihr auftaten. Mit einem Mal kam alles wieder hoch, was sie zu vergessen geglaubt hatte: der letzte Tag, an dem sie noch in ihrer alten Welt gelebt hatte, in der alles so zu sein schien wie es sein sollte. Der Tag als sie mit einem Fuchs als Beute heimgekehrt war und an dem sie von Bran ob ihrer Schussgenauigkeit gelobt worden war. Sie drehte sich auf dem Pferd um und lächelte Bran an, der freundlich zurücklächelte. Sie hielt Eiswind an und stieg bedächtig vom Hengst und blickte hinter sich auf die Männer, die sie grimmig, aber nicht unfreundlich anschauten, als wollten sie sagen, dass sie bereit für einen erneuten Kampf seien. Cathyll blickte sich um und fand die Augen An’luins, den sie mit einem kurzen Nicken zu sich bat.
„Nun, mein Berater, was sollen wir tun?“
An’luin deutete auf Sigvald und Thorkel, die ihre eisenbeschlagenen Lederwämse abgelegt hatten, um wie fahrende Händler zu wirken. Sie würden in die Stadt gehen, um in den Hafenkaschemmen die Stimmung in der Stadt auszumachen. Sie lachten und versuchten die Sprache der Ankil zu imitieren - natürlich würden sie aber nicht versuchen sich als Ankil auszugeben, sondern sich als Norr zu erkennen geben. Es war nicht ungewöhnlich, dass auch Norr im Nordteil des Landes verkehrten.
Captain Wath hatte zunächst angeboten, die Stadt mit dem Rest seiner Männer zu betreten und zunächst so zu tun, als ob er seinen Auftrag ausgeführt hätte und die „unechte“ Prinzessin in Gewahrsam genommen hätte. Doch An’luin, Cathyll, Sörun und Balain waren sich einig, dass dies zu riskant sei, da Rabec wahrscheinlich von anderer Hand bereits vom Ausgang des Kampfes erfahren haben würde. So war es sicherer, die zusätzlichen Männer zusammen und bei der Thronfolgerin zu halten.
Gerade wollten die beiden Verkleideten den Weg hinab in die Stadt gehen, als man seltsame Geräusche aus der Festung hörte. Zunächst war nur ein Scheppern und Klirren zu hören, doch bald auch Rufe. Die Männer traten nach vorne, um über die Festungsmauern und in die Wohnräume der Burg zu spähen. Man sah Bewaffnete durch den Burghof laufen. Dann hörte Cath die ersten Schreie. „Sie kämpfen.“, zischte Balain.
„Gut.“, kommentierte Sörun.
Doch Cathyll zog die Stirn in Falten. „Nein, das ist nicht gut. Ich will nicht, dass Männer um meinetwillen sterben. Vor allem, wenn sie glauben, dass sie dabei das Richtige tun.“ Nun war es an Balain, die Stirn zu runzeln. Doch Cath fuhr unbeirrt fort. „Captain, begleitet mich hinab in die Festung. Ich will mich meinen Leuten zeigen, damit das Kämpfen ein Ende hat.“
Cathyll bemerkte an sich selbst eine Festigkeit und Willenskraft, dass sie in einem Moment der Einsicht erkannte, wie sehr sie gewachsen war, gewachsen an den Enttäuschungen und Entbehrungen, die sie erlitten hatte. Niemand wagte, ihr zu widersprechen, obwohl sie doch nur ein 17-jähriges Mädchen war. Aber war sie wirklich nur noch ein Mädchen? Eben hatte eine respekteinflößende Herrscherin gesprochen. Captain Wath reagierte als erster und ordnete seine Männer in eine Formation. Sörun brüllte Befehle auf Norr, doch bevor sich die anderen versahen, war Cathyll schon den Hügel hinabgeschritten, beobachtet von einem kopfschüttelnden Balain und eilig verfolgt von ihrem Berater.
Es war ein absurder Anblick. In weißen, ehemals prachtvollen, jedoch von der Reise mitgenommenen, Gewändern stand Cathyll, Thronerbin von Marc, im Hofgarten der Festung von Mal Kallin und hob die Arme und rief: „Hört auf zu kämpfen Männer. Ich, Cathyll von Marc, befehle es euch.“ Soldaten der Stadtwache kämpften gegen die persönliche Leibgarde des Fürsten, die sich durch schwarze Rüstungen von den anderen unterschieden. Zunächst hörte keiner auf sie, den jeder war zu sehr damit beschäftigt, den anderen zu bekämpfen. Doch als die Männer von Wath hechelnd unter dem Kommando ihres Captains in den Hof gelaufen kamen, fingen die ersten an innezuhalten und die Schwerter, Hellebarden, Speere, Dolche und Piken zu senken. Es entstand ein Moment der absoluten Stille, in der nichts außer dem Wind, der durch die Eschen im Garten zog, zu hören war. Dann rief einer der Kämpfer: „Das ist die Prinzessin. Es lebe die Prinzessin.“ Immer mehr Männer stimmten in den Jubel ein und selbst die Männer der Leibgarde legten ihre Waffen hin und blickten verwirrt und verschämt auf diejenige, die sie eigentlich schützen sollten. Als Cathyll den verwirrten Ausdruck in den Gesichtern der Männer sah, wusste sie, dass sie keinen einzigen, der das Schwert gegen die Wachen erhoben hatte, bestrafen würde. Die Männer waren offensichtlich von Rabec beauftragt worden, die Festung zu verteidigen. Erneut hob sie die Stimme.
„Hört auf zu kämpfen Männer. Ich bin es, Cathyll von Marc. Ich bin gekommen, um meinen Thron zurückzufordern.“ Sie drehte sich im Kreis, um jeden der Männer überzeugen zu können. Als sie wieder mit ihrem Körper zur Festung stand, sah sie ein vertrautes Gesicht im breiten Torrahmen. Für einen kurzen Moment trafen sich die Blicke von Cath und dem Mann, der sie fast anzulächeln schien, als wollte er sagen, dass das Spiel noch nicht zu Ende gespielt worden sei. Doch nach nur einem kurzen Moment verzerrte sich das Lächeln Rabecs in eine wutverzerrte Fratze und er schrie: „Männer, verhaftet diese impertinente Betrügerin.“
Doch selbst die schwarzgekleidete Leibgarde zögerte. Einer von ihnen sagte: „Sie ist die echte Prinzessin, mein Fürst.“ Rabec lachte laut auf. Er trat nach vorne und schritt auf Cathyll zu, dabei rief er: „Sie ist eine Betrügerin, die echte wurde von den Norr...“ Auf einmal hielt er inne und starrte Cathyll an, wieder sah sie das verschlagene Grinsen in seinen Augen. Dann schlug er die Hände über dem Kopf zusammen und brüllte heraus: „Oh, bei der Sonne. Prinzessin. Ihr seid es tatsächlich. Ihr seid es.“
Cathyll hätte fast gelacht über die Absurdität, mit der sich Rabec retten wollte. Doch die Männer, die um sie herumstanden und sie beschützen wollten, Balain, An’luin, Wath, Nod, Bran und Ketill lächelten keineswegs. Cathyll bemerkte, wie sich ihre Körper verkrampften, so als ob sie dem sich nahenden Rabec immer noch zutrauten auf eine tückische Art Cathyll zu verletzen. Als ihr ehemaliger Berater sich näherte, traten Bran und An’luin vor die Prinzessin. Sie selber sagte kühl: „Lasst dieses Possenspiel. Ihr wolltet mich, diesen Priester hier, “ damit deutete sie auf Balain, “ und all diese Männer, die mich beschützen, töten lassen.“
Rabec hielt abrupt inne und zog die Augenbrauen hoch, so als verstünde er die gegen ihn vorgebrachten Anschuldigungen nicht. Aber Cathyll war noch nicht fertig.
„Aber was noch schlimmer ist - Berater“, die letzten Worte spuckte sie fast aus, „Ihr habt meine Eltern töten lassen. Und ich verschone Euch vielleicht vor einem Leben im Topf, wenn Ihr mir den Grund nennt, einen Grund, der wichtig genug war, meine Eltern zu töten.“
Rabec stand immer direkt vor Bran, der ihn mit steinerner Miene anstarrte. Cath sah, wie seine Unschuldsmiene zu bröckeln begann, doch offensichtlich hatte die Erwähnung des finsteren Lochs, in das er selber unzählige Menschen gesteckt hatte, seine Wirkung entfaltet, so dass er mit sich zu ringen schien, ob er die Wahrheit preisgeben sollte. Rabec schaute sich um und sah, dass er hier in der Burg, deren Herrscher er noch vor wenigen Stunden gewesen war, keinen Fürsprecher mehr hatte. Selbst die Männer der schwarzen Garde blickten ihn misstrauisch an, auch wenn sie ihm persönliche Treue geschworen hatten. Vom Meer her kam eine frische Brise, die an den weißen Burgmauern zerbrachen und die Farben und das Wappen derer von Marc, den gewundenen Ebenholzbogen, in der Fahne, die vom Turm, der sich hinter ihnen auftat, zur vollen Entfaltung brachte. Rabec fing an zu kichern.
„Ihr seid süß, Cathyll. Wollt einen Grund für den Tod Eurer Eltern. Als brauchte man einen Grund, um die Unfähigkeit des Herrscherpaares zu einem Ende zu bringen. Ist es Grund genug, dass Eure Eltern nicht in der Lage waren, die sich bietenden Chancen, das Fürstentum zu erweitern, zu ergreifen? Oder ist es Grund genug, dass ein einfacher Berater wie ich, ein schnöder Raethgir, eine einmalige Chance bekommt zu einem Herrscher aufzusteigen? Ist es Grund genug, dass das Volk von Marc sich eine starke Hand mehr wünscht, als das seichte Gebrabbel von einem verliebten Pärchen?“
Cathyll zog sich der Magen zusammen. Doch Rabec war noch nicht fertig.
„Ihr wisst nicht wie frustrierend das ist - zuzusehen, wie ein Land regiert wird von Menschen, die noch daran glauben etwas Gutes tun zu müssen, wo doch viel mehr möglich ist. Ich habe ihnen Fölsir geboten, habe herausgefunden wo sich das sagenumwobene Schwert der Drakinger befindet...“
„Wolfinger...“ ertönte eine Stimme aus dem Hintergrund.
“..., doch Eure Eltern, Cathyll waren nicht interessiert, da das Schwert außerhalb von Marc lag und so nur mit Gewalt erobert werden könnte. Es hätte nur ein paar Mann gebraucht, so erklärte ich ihnen, doch sie waren von ihrer Idee von Frieden so besessen...“
Cathyll redete tonlos weiter: “..., dass sie Euren Plan abgelehnt haben. Daraufhin habt Ihr meine Eltern getötet und es wie einen Überfall der Scicth aussehen lassen.“ Rabec brauchte die lauten Überlegungen Cathylls nicht zu bestätigen, er lächelte nur vielsagend. Ketill machte Anstalten auf Rabec zuzustürmen, doch Balain hielt ihn ab. Spöttisch blickte Rabec den Norr an und sagte: „Aber ich habe Eure Eltern getröstet im Moment ihres Todes, Cathyll. Ich sagte ihnen, dass ich mich um Euch kümmern würde.“
„Das reicht.“ Brans sonore Stimme übertönte den ganzen Hof, doch Rabec schien unbeeindruckt. „Nein, das reicht nicht, denn was ich versprochen habe, muss ich noch einlösen.“ Noch während Rabec diese Worte aussprach hatte er ein Messer aus seinem Ärmel gezogen und sprang im selben Moment auf Cathyll zu, die scharfe Klinge am lang ausgestreckten Arm auf ihren Hals gerichtet. Keiner der Anwesenden hatte mit dieser sinnlosen, bösartigen Tat gerechnet und es schien als sei die Prinzessin schon so gut wie tot. Aber ein Schatten sprang neben Cathyll hervor und stellte sich in den Weg der Schneide. Das Messer fiel klirrend zu Boden und die Männer der Stadtwache stürzten sich noch im selben Moment auf den Raethgir. Vor Cathyll stürzte ein Mann zu Boden und hielt sich die Brust. Nod hatte bewiesen, dass er das Vertrauen der Prinzessin verdient hatte - er hatte sich vor diese geworfen und so den tödlichen Stich abgewehrt.