Mal Tael

4. Eine folgenschwere Entscheidung

ine Minute. Es war doch noch nicht einmal eine Minute gewesen, dass er schon wieder höchst gesagt hatte. Er sei höchst unzufrieden über die nicht vorhandenen Erfolgserlebnisse seiner besten Truppen, die doch in höchstem Maße ausgebildet hätten sein müssen für ein solches Unterfangen. Merkte er denn nicht wie lächerlich diese Anhäufung dieses Wortes war? Wie lächerlich er war? Und sahen die anderen das nicht? Wie konnte sein Hauptmann ihn ernst nehmen? Und wie konnten diese tapferen Kämpfer, Berater und Untergebene ihn ernst nehmen? Und wie konnte er, Gareth, First of Sathorn seinen über alle Maßen peinlichen Vater noch länger ertragen. Ja, dass Egbert, ein Edelmann, der mit der Verfolgung eines Haufens aufständischer Bauern beauftragt gewesen war, wieder versagt hatte, das war eine Tatsache, doch dieser Punkt war ja nun schon vor zwei Stunden abgehakt gewesen. Warum ließ er ihn nicht einfach köpfen und holte sich einen fähigen Mann, anstatt ständig von einer höchst ärgerlichen Situation zu sprechen.

„Vater, ich möchte gehen“, entschloss er sich schließlich zu sagen, wissend dass er dabei den Zorn seines Vaters auf sich ziehen würde. Und tatsächlich schaute ihn sein Vater, König von Sathorn, fast mit Verachtung an. „Mein Sohn, ich habe dir schon oft gesagt, dass Staatsgeschäfte zuweilen eine verdrießliche Angelegenheit sein können, derer man sich als Erbe nichtsdestotrotz nicht entziehen darf. Du bleibst.“

Ja, das hätte er sich denken können, dass er von seinem Vater öffentlich gescholten werden würde, dass er noch lächerlicher gemacht werden würde als die Versager, die die Überfälle der Nordmänner nicht in den Griff bekamen.

Aber heute würde er sich der Demütigung nicht beugen. Gareth nahm all seinen Mut zusammen. Mit einer würdevollen Geste stand er vom Tisch, der inmitten des Versammlungszimmers der Königshalle thronte, auf und proklamierte: „Wenn ich bleibe, dann nehme ich mir auch das Recht heraus etwas zu sagen.“ Sein Vater zog die Stirn zusammen. Aber er ließ sich nicht beirren: „Diese Männer, tapfere und edle Kämpfer aus Sathorn, wollen nicht wissen inwieweit sie oder andere Teile unserer Männer versagt haben. Sie wollen wissen was nun zu tun ist und wie sie die Ehre und die Sicherheit unseres Volkes wieder herstellen können. Sie würden ihr Leben geben, sie HABEN ihr Leben gegeben, um dem Königreich zu dienen aber sie sind nicht vor Fehlern gefeit. Es sind Menschen, gute…“

Gareth wollte weitersprechen, er hatte noch nicht einmal angefangen die Defizite seines Vaters aufzuzählen, als Edmund, der Berater des Hochkönigs ihn am Ellenbogen zog, so sehr, dass er es nicht ignorieren konnte. Gareth wollte den festen Arm des treuen Vasallen von sich stoßen, als die laute Stimme seines Vaters über den Tisch zu ihm dröhnte: „Nein, Edmund, lass ihn hier. Lass den brillanten Strategen und Menschenkenner in unserer Mitte, damit er, der noch keinen Krieg geführt, noch keinen Friedenspakt geschnürt, keine Befehle gegeben, geschweige denn ausgeführt hat, uns an seiner Weisheit teilhaben kann. Er, der 17jährige Bengel, der kaum über die Haare eines Mannes verfügt, “ vereinzelt fingen die Männer am Tisch an zu kichern, „der noch nicht die weiche Haut einer Frau neben sich gespürt hat,…“ Das stimmte. Gareth hatte es häufiger versucht sich auf das andere Geschlecht einzulassen, was allerdings mit desaströser Peinlichkeit geendet hatte. Nicht, dass die Mädchen nicht willig gewesen wären sich auf den Sohn des Hochkönigs einzulassen. Aber er spürte immer sehr schnell, dass die Mägde, Zofen oder Bauerntöchter ihm nicht wirklich zugeneigt waren, „…, der noch nicht über die Stadtgrenzen herausgekommen ist, er möchte mich, Sigurd, Hochkönig von Sathorn, belehren.“ Gareth wollte etwas erwidern, doch der Griff des Beraters erinnerte ihn an die Nutzlosigkeit dieses Unterfangens.

Sein Vater, müde und traurig, verbittert und voller Altersfalten, mit schütterem Haar und vom Wein rotgefärbten Augen, schaute Gareth an und sagte: „Du wirst den Rat nun verlassen und diesen Sommer bei Vater Eudes verbringen, der dir hoffentlich mehr Demut und Würde beibringen kann, als ich es in der Lage war zu tun.“

Gareth wollte protestieren, wollte schreien. Stattdessen erwiderte er den kalten Blick seines Vaters mit starrem Blick, tief entschlossen noch härter zu werden als alle Worte und alle Strafen, die sein Vater ihm aufbürden konnte. Er wusste inmitten dieser tiefen Demütigung, dass er eines Tages oben stehen würde, dass er stärker sein würde als sein Vater. Dennoch taten die teils mitleidigen, teils verachtenden Blicke der Männer des Rats ihm auf dem Weg nach draußen weh.

Erst außerhalb des Steinwalles meinte Gareth wieder atmen zu können. Sigurd hatte ihm immer Stolz gepredigt, dass die Sath ein stolzes Volk waren, die von jenseits des Meeres gekommen waren und nach langen und harten Kämpfen erst den Ca’el das Land haben streitig machen können. „Disziplin, Stolz und Wille“, waren die Schlagwörter gewesen, mit denen sein Vater in ähnlicher Monotonie wie die Erwähnung des Wortes „höchst“ ihn gequält hatte. Sein eigener Stolz war soeben in den königlichen Hallen wie ein Drachenboot versenkt worden, dachte Gareth verbittert.

Das raue Land, das sich die Sath genommen hatten, blühte gerade zu einmaliger Schönheit auf, so dass Gareth hoffte den Streit im Wald von Elaia‘bon vergessen zu können. Was er nicht würde vergessen können war die Tatsache, dass er im diesjährigen Feldzug gegen die Ankil nicht würde teilnehmen können, wie es ihm versprochen war. Das einzige, was er tun konnte, war auf einen Überfall der Nordmänner zu hoffen, den er heroisch würde abwehren können, dachte er während er die Blätter der Sträucher im Vorbeigehen abriss. Er würde nie wieder glücklich sein.

„Der Prinz ist unglücklich.“ Der Satz schien aus dem Nichts zu kommen und für einen kurzen Moment erschrak Gareth, bis er die Stimme, von der er nicht genau zuordnen konnte, ob sie spöttisch oder feststellend war, erkannte, die Stimme von Derek, Sohn eines Adligen an seines Vaters Hof. Hoffend, dass Derek den kurzen Augenblick der Unsicherheit nicht bemerkt hatte, drehte Gareth sich in Richtung der Stimme, wo er jetzt den besagten lächelnd im Schatten an einen Baum gelehnt sah. Aus Erfahrung heraus wusste Gareth, dass es schwierig war, dem verschlagen wirkenden 17-jährigen mit den langen schwarzen Haaren etwas verheimlichen zu können, und so rückte er gleich mit der Wahrheit heraus:

„Mein Vater hat mich für diesen Sommer zum Sonnendienst bei Vater Eudes verdonnert.“

Einen Moment lang wirkte Derek tatsächlich mitfühlend.

„Oh, Du wolltest mit zum Sommerfeldzug, oder?“

„Ja, es wäre das erste Mal gewesen. Aber ich habe meinen Vater beim Kriegsrat mit meinem vorlauten Maul verärgert, ich bin selber schuld.“

„Vorlaut,…, nun, wie ich deinen Vater kenne, vermute ich, dass du lediglich versucht hast, deine Meinung zu äußern.“

Da hatte Derek Recht. Er hatte nur seine Aufgabe als zukünftiger König wahrnehmen wollen, das war alles gewesen. Irgendwie hatte sein Vater es geschafft, dass auch das wieder zu einem Affront wurde.

„Sonnendienst bei Pater Eudes. Man kann sich interessantere Aufgaben vorstellen, “ fuhr Derek fort.

„Nun ja, eigentlich mag ich Eudes…“

„Aber du willst deinem Vater nicht den Triumph gönnen.“

Derek lachte auf und schlug dem Freund vor gemeinsam durch den Wald zu gehen. Gareth fühlte sich seltsamerweise geschmeichelt. Zwar war er von seiner Position aus dem Jungadligem überlegen, doch strahlte dieser so viel Würde aus, dass er sich angesichts der Verschmähung seines Vaters angenehm akzeptiert fühlte.

„Mein Vater hat mich jahrelang wie ein Kind behandelt, ich weiß wie sich das anfühlt. Es gibt nicht viel, was wir tun können, um unseren Eltern zu zeigen, dass wir nicht ihr Besitz sind.“

„Aber du hast es getan?“, fragte Gareth, der froh war, dass sich das Gespräch von ihm weg verlagerte.

„Ja. Ich habe es getan.“

„Was?“

Gareth versuchte sich zu erinnern. Da war doch etwas gewesen. Derek war eine Zeitlang verschwunden gewesen. Ja, es war Thema in der Stadt gewesen. Er erinnerte sich sogar daran, wie sein Vater noch verächtlich von Grol, dem Vater Dereks geredet hatte, dass er sein eigen Fleisch und Blut nicht kontrollieren könne. Jetzt erinnerte er sich: Derek war ein Adept des Mondes geworden.

„Du erinnerst dich“, stellte Derek fest. Sie waren stehen geblieben und Gareth schaute den Mann mit der schwarzen Kleidung an. „Ja, ich erinnere mich.“ „Nie mehr hat mein Vater es gewagt ungebührlich mit mir zu sprechen. Nach 18 Monaten war ich ein anderer Mensch.“ Derek lächelte ihn an. Jetzt verstand Gareth. Die Tatsache, dass Dereks Pupillen erweitert waren, seine schwarzen Kleider und der schwarze Umhang. Es passte zusammen. Derek hatte als Adept der Kirche des Mondes ein Jahr das Sonnenlicht scheuen müssen und war in die Geheimnisse seiner Kirche eingeweiht worden. Nicht viele Edelmänner gingen diesen Schritt. Beim gemeinen Volk und bei den Edelleuten sowieso war die Kirche der Sonne der beliebtere Anlaufspunkt. Seit dieser neue Glaube mit den zwei Polen aus dem Osten seinen Siegeszug bis zu den Sath angetreten hatte und den alten Götterpantheon verdrängt hatte, hatten sich die Menschen zu der Kirche der Sonne hingezogen gefühlt, mit ihrer lebensbejahenden Botschaft und ihren fröhlichen Feiern. Doch selbst Pater Eudes betonte immer, dass auch die Kirche des Mondes, stellvertretend für den Schmerz und den Schwermut, ihren Platz in dieser Welt hätte. So wie jedes Ding auf dieser Welt seine zwei Seiten hätte. Daher waren die beiden Kirchen, die Kirche der Sonne und die Kirche des Mondes untrennbar miteinander verbunden, was sich in ihrem Symbol, den zwei übereinanderliegenden Kreisen, verdeutlichte.

„Du könntest Dir bei Deinem Vater auch Respekt verschaffen, Königssohn.“

Gareth wusste worauf Derek anspielte. „Ich, ein Adept des Mondes? Das ist abwegig.“

Derek lächelte in sich hinein.

Zwei Tage später ließ Sigurd, König von Sath, seinen Sohn suchen, der nicht zum Frühstück erschienen war. Keiner seiner Boten und Vasallen konnte ihn finden. Am Abend bekam der Hochkönig eine Nachricht des Akolyten der Kirche des Mondes mit der Mitteilung, dass sein Sohn nun Adept der Kirche des Mondes sei. Sigurd wusste, dass er nun seinen Sohn eineinhalb Jahre nicht sehen würde und er nichts dagegen machen konnte. Die Kirche stand in dieser Sache über dem König. Sein einziger Trost war, dass sein Sohn in all der Zeit keine Sonne sehen würde.

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