10

Eve hatte die Absicht, schnurstracks heimzufahren, auf den Geräten in ihrem Arbeitszimmer nachzusehen, welche neuen Informationen ihr von ihren Leuten zugesendet worden waren, und dann der von den FBI-lern erzählten Geschichte nachzugehen.

Allerdings änderten sich ihre Pläne, sobald sie durch die Haustür trat. Es war nicht weiter überraschend, Summerset in der Eingangshalle stehen zu sehen. In der Tat waren ihre Tage nur, wenn sie abends ein paar giftige Sätze mit ihm tauschen konnte, wirklich komplett.

Ehe sie das Wortgefecht jedoch eröffnen konnte, erklärte er ihr knapp: »Roarke ist oben.«

»Na und? Schließlich lebt er hier, soweit ich weiß.«

»Er ist eindeutig beunruhigt.«

Ihr Magen verknotete sich schmerzhaft und, ohne dass es ihnen beiden auffiel, half Summerset ihr aus der Jacke und legte sie sich ordentlich über den linken Arm.

»Und was ist mit Mick?«

»Er ist heute Abend unterwegs.«

»Okay. Dann können wir also nicht hoffen, dass er ihn etwas ablenkt. Seit wann ist Roarke schon da?«

»Seit beinahe einer halben Stunde. Er hat ein paar Anrufe getätigt, war aber noch nicht in seinem Büro, sondern ist direkt ins Schlafzimmer gegangen.«

Nickend erklomm sie die Treppe zum oberen Stock. »Ich werde mich um ihn kümmern.«

»Das glaube ich«, murmelte der Butler und wandte sich ebenfalls zum Gehen.

Statt mit dem Link stand Roarke mit seinem Headset vor dem großen Fenster, durch das man in den bunten Frühlingsgarten sah.

»Falls ich Ihnen auf irgendeine Weise bei den Vorbereitungen zur Hand gehen kann oder falls es sonst irgendetwas gibt, was ich …«

Während er der Antwort lauschte, riss er das Fenster auf und beugte sich, als brauche er dringend frische Luft, weit hinaus.

»Er wird uns allen furchtbar fehlen, Mrs Talbot. Ich hoffe, es ist Ihnen ein kleiner Trost zu wissen, wie beliebt und respektiert Jonah gewesen ist. Nein«, sagte er wenig später. »Es gibt keine Antwort auf die Frage nach dem Warum. Das ist richtig, ja. Werden Sie mir gestatten, das für Sie und für Ihre Familie zu tun?«

Dann schwieg er wieder eine Zeit lang, und Eve hatte bereits genügend Gespräche mit den Hinterbliebenen der Opfer von Gewaltverbrechen führen müssen, um zu wissen, dass sich die Trauer und Verwirrung von Jonah Talbots Mutter während des Telefonats auf Roarke übertrug.

»Ja, natürlich«, erwiderte er schließlich. »Bitte melden Sie sich, falls es sonst noch irgendetwas gibt, was ich für Sie tun kann. Nein. Nein, das ist es nicht. Das werde ich. Auf Wiederhören, Mrs Talbot.«

Er setzte das Headset ab, blieb jedoch, dem Raum den Rücken zugewandt, still am Fenster stehen. Wortlos ging Eve zu ihm hinüber, schlang ihm die Arme um die Taille, schmiegte ihr Gesicht an seinen Rücken und konnte deutlich spüren, wie angespannt er war.

»Jonahs Mutter.«

»Ja.« Sie hielt ihn weiter fest. »Das habe ich gehört.«

»Sie ist mir dankbar, weil ich ihr meine Hilfe angeboten habe. Weil ich mir die Zeit genommen habe, ihr persönlich mein Beileid auszusprechen.« Seine Stimme hatte einen viel zu ruhigen, erschreckend sarkastischen Klang. »Dass er noch leben würde, wenn er nicht für mich gearbeitet hätte, habe ich natürlich nicht erwähnt.«

»Vielleicht nicht, aber …«

»Zum Teufel mit deinem Vielleicht.« Er brach das Headset in der Mitte durch und schleuderte es aus dem Fenster. Die Bewegung war derart abrupt, dass Eve einen Schritt nach hinten machen musste, um nicht die Balance zu verlieren. Doch als er zu ihr herumfuhr, hatte sie bereits wieder beide Füße fest in den Boden gestemmt.

»Er hatte nichts verbrochen. Außer, dass er einer meiner Leute gewesen ist. Genau wie das junge Zimmermädchen aus meinem Hotel. Allein aus diesem Grund sind sie zusammengeschlagen, vergewaltigt und ermordet worden. Ich bin verantwortlich für die Menschen, die für mich arbeiten. Wie viele wird es noch erwischen? Wie viele werden sterben müssen, nur, weil sie meine Leute sind?«

»Genau das ist es, was er will. Dass du dir diese Fragen stellst, dass du dir die Schuld an diesen Taten gibst.«

Jetzt war der Zorn, den Feeney längst vorhergesehen hatte, da. Brach glühend heiß aus ihm heraus. »Oh, das kann er haben. Am besten schalte ich eine ganzseitige Anzeige in allen Zeitungen und gebe darin meine Schuld an den Morden bekannt.«

»Wenn du ihm gibst, was er sich wünscht«, erklärte sie ruhig, »wenn du ihn wissen lässt, wie sehr die Morde dich betroffen machen, bekommt er sicher Lust auf mehr.«

»Was soll ich denn bloß tun?« Er hob die geballten Fäuste in die Luft. »Ich kann mit jedem fertig werden, der mich persönlich angreift. Damit komme ich zurecht. Aber wie in aller Welt kämpfe ich gegen das an, was zurzeit passiert? Weißt du, wie viele Menschen für mich arbeiten?«

»Nein.«

»Ich wusste es auch nicht. Aber ich bin heute die Zahlen durchgegangen. Mit Zahlen kenne ich mich aus. Es sind Millionen. Ich biete ihm Millionen potentieller Opfer, zwischen denen er frei wählen kann.«

»Nein.« Wieder trat sie auf ihn zu, packte seine Arme und sah ihm ins Gesicht. »Du weißt genauso gut wie ich, dass das nicht stimmt. Du hast ihm nichts geboten. Er hat sich von selbst etwas genommen. Und es wäre ein riesengroßer Fehler, bötest du ihm jetzt einen Teil von dir selber an. Würdest du ihn wissen lassen, dass er dich derart getroffen hat.«

»Wenn ich ihn das wissen lasse, macht er sich ja eventuell endlich an mich persönlich heran.«

»Möglich. Daran habe ich ebenfalls bereits gedacht, und der Gedanke macht mir Angst. Aber …« Ohne dass es ihr bewusst war, strichen ihre Hände besänftigend an seinen Armen hinauf und hinab. »Diese Angst trage ich fast ausschließlich in meinem Herzen. Wenn ich mein Hirn benutze, sehe ich, dass die Entscheidung anders verlaufen wird. Er will dich nicht ermorden. Er will dich leiden sehen. Verstehst du, was ich meine? Er will, dass du unglücklich bist, in innerem Aufruhr, vielleicht sogar gebrochen … kurzum, so, wie ich dich momentan erlebe.«

»Aber zu welchem Zweck?«

»Das herauszufinden liegt an uns. Und wir werden es herausfinden, das kann ich dir versprechen. Setz dich erst mal hin.«

»Ich will aber nicht sitzen.«

»Setz dich«, wiederholte sie in dem kühlen, unbeugsamen Ton, in dem normalerweise er ihr etwas befahl, wandte sich ruhig ab, als seine Augen rebellisch blitzten, und trat betont gelassen vor die Bar.

Sie überlegte kurz, ob sie ihm heimlich ein Beruhigungsmittel in den Brandy mischen sollte, doch das würde er merken, und der Versuch, ihm die Mixtur gewaltsam einzuflößen, brächte ihnen beiden lediglich Streit.

»Hast du schon was gegessen?«

Zu abgelenkt um über diesen Rollentausch zu lächeln, knurrte er ungeduldig. »Nein. Warum gehst du nicht einfach in dein Büro und kümmerst dich um deine Arbeit?«

»Und warum hörst du nicht einfach auf, so starrsinnig zu sein?« Sie stellte den Brandy auf den Couchtisch, stemmte beide Hände in die Hüften und funkelte ihn böse an. »Entweder du setzt dich jetzt aus freien Stücken hin oder ich zwinge dich dazu. Vielleicht fühlst du dich nach einem kurzen Ringkampf ja ein bisschen besser. Ich bin gerne dazu bereit.«

»Ich bin nicht in der Stimmung, mich mit dir zu schlagen.« Und weil das tatsächlich stimmte, es ihm jedoch durchaus recht war, weiter die beleidigte Leberwurst zu spielen, warf er sich auf die Couch und meinte: »Bildschirm an.«

»Bildschirm aus«, widersprach sie ihm entschieden. »Jetzt wird nicht ferngesehen.«

Nun fingen seine Augen gefährlich an zu blitzen. »Bildschirm an. Wenn du nicht gucken willst, dann geh doch raus.«

»Bildschirm aus.«

»Lieutenant, du bewegst dich auf gefährlich dünnem Eis.«

Jetzt war es ihr gelungen, seinen heißen Zorn von ihm selbst auf sich zu lenken, dachte sie zufrieden. Den Zorn abkühlen zu lassen, wäre dann der nächste Schritt.

»Keine Angst, ich breche schon nicht ein. Und falls doch, werde ich schwimmen oder ziehe mich alleine wieder raus.«

»Zieh doch gefälligst erst mal Leine. Ich will weder deinen Brandy noch deine Gesellschaft noch deinen Rat als Polizistin, vielen Dank.«

»Meinetwegen. Dann trinke ich den Brandy eben selbst.« Und das, obwohl sie Brandy hasste. »Und den Rat als Polizisten werde ich mir sparen. Aber«, fuhr sie fort und setzte sich ihm rittlings auf den Schoß, »ich lasse dich ganz sicher nicht allein.«

Er packte sie unsanft bei den Schultern, um sie von sich fortzuschieben, und erklärte rüde: »Wenn du nicht gehst, dann gehe eben ich.«

Statt sich abwimmeln zu lassen, schlang sie ihm die Arme um den Hals. »Nein, das wirst du nicht. Mache ich dir, wenn ich schlecht gelaunt bin, etwa genauso viele Scherereien?«

Seufzend gab er sich geschlagen und presste seine Brauen gegen ihre Stirn. »Du machst mir ständig irgendwelche Scherereien. Ich weiß wirklich nicht, warum ich dich behalte.«

»Ich auch nicht. Außer vielleicht …« Ihre Lippen strichen zärtlich über seinen Mund. »Deshalb. Das ist ziemlich gut.« Sie fuhr ihm mit den Händen durch die Haare, zog dann seinen Kopf nach hinten und gab ihm einen langen, langsamen und intensiven Kuss.

»Eve«, murmelte er heiser, Mund an Mund.

»Lass mich.« Ihre Lippen glitten zärtlich über seine Wangen. »Lass mich einfach machen. Ich liebe dich.«

Sie ertrug es nicht, ihn derart verletzt und müde zu erleben wie in diesem Moment. Sie würden gemeinsam arbeiten und gemeinsam kämpfen. Jetzt aber würde sie ausschließlich dafür sorgen, dass er seinen Frieden wiederfand.

Er war unglaublich stark, und diese Stärke wirkte gleichermaßen reizvoll wie herausfordernd auf sie. Derzeit jedoch verriet die Straffheit seiner Muskeln eine Anspannung, wie sie ihm nur äußerst selten anzumerken war. Sie strich sanft mit ihren Händen über eisenharte Knoten und verführte ihn zugleich mit ihrem Mund.

Er war so ungemein beherrscht, ging es ihr durch den Kopf, als sie ihre Zähne über seinen Kiefer wandern ließ. Seine Selbstbeherrschung war ein Wesenszeug, der sie nicht nur oft frustrierte, sondern ihr genauso häufig ein Gefühl der Sicherheit verlieh. Jetzt aber begann er langsam die Beherrschung zu verlieren, und sie würde diese Schwäche nutzen, um den heißen Zorn, den er bisher verspürte, in Verlangen umzuwandeln.

Ihre Hände glitten an seinem Hemd hinunter und knöpften es sorgfältig auf. Sie presste ihre Lippen in Höhe seines kraftvoll, jedoch noch viel zu gleichmäßig schlagenden Herzens auf die bloße Haut.

»Ich liebe deinen Geschmack.« Ihre Hände glitten über seine Brust und seine Schultern, und sie leckte genüsslich an seinem warmen Fleisch. »Und zwar überall.«

Sie presste sich an seinen Leib, und während sie in seine Augen sah, in das rauchige Verlangen über dem aufgebacht leuchtenden Blau, setzte kurz ihr eigener Herzschlag aus.

Sie hatte sich geirrt. Der Zorn, den er verspürte, war mit leisen Seufzern und sanften Streicheleien nicht zu mildern. Große Feuer löschte man nicht ausschließlich mit Wasser, sondern auch durch Gegenfeuer.

Während sie ihm reglos ins Gesicht sah, löste sie ihr Waffenhalfter, warf es auf den Boden und zog dann langsam ihre Bluse aus. Als sie merkte, dass sein Blick auf ihr dünnes, sehr tief ausgeschnittenes Baumwollhemdchen fiel, wurden ihre Nippel hart, als hätte er sie schon mit seinem Mund berührt.

Doch er hielt sich weiterhin zurück. Denn er wusste mit Bestimmtheit, sobald er sie berühren würde, brächen alle Dämme, und er fiele wie ein wildes Tier über sie her. Um sie zu verschlingen, dachte er, wütend auf sich selbst, während sie ihm Trost und Wärme bot. Dann riss er sich zusammen, legte eine Hand an ihre Wange und bat sie mit rauer Stimme: »Lass mich mit dir schlafen.«

Als sie ihn lächelnd ansah, bot ihm dieses Lächeln etwas völlig anderes als Trost. »Ja, lass uns miteinander schlafen.« Sie richtete sich auf, zog sich das Hemd über den Kopf und warf es achtlos fort. »Und zwar jetzt und hier.«

Sie ballte beide Fäuste in seinem dichten Haar und reckte sich ihm so weit entgegen, dass ihr nacktes Fleisch gegen seinen bloßen Oberkörper stieß. »Fass mich an«, verlangte sie und presste ihre Lippen wenig sanft auf seinen Mund.

Jetzt verlor er die Beherrschung. Mit einer schnellen, gewaltsamen Bewegung rollte er sich über sie, sog begierig ihren keuchenden Atem in sich auf und tastete begehrlich mit beiden Händen gleichzeitig über ihren straffen Leib.

Auch als sie wenig später mit gutturalen Schreien kam, fuhr er mit der Erforschung ihres Körpers fort.

Schloss seine Lippen fest um eine ihrer Brüste und rief mit seinen Zähnen einen derart süßen Schmerz in ihr wach, dass sie ihm vor Erregung ihre Fingernägel in den Rücken grub, sich ihm erneut entgegenreckte und ihre Hände und den Mund fiebrig suchend über seinen Torso gleiten ließ.

Verzweifeltes Verlangen erfüllte sie vom Kopf bis zu den Zehen. Ihre eng verschlungenen Glieder kämpften mit den Kleidern, und endlich traf schweißnasse auf schweißglänzende Haut.

Angepeitscht von wilder Wut war alles, was er denken konnte, Eve. Daran, sich mit ihr zu paaren. Mit ihrem schlanken, geschmeidigen Leib. Sich an die Rundungen und die Vertiefungen zu schmiegen, denen sein eigener Körper auf wundersame Weise haargenau entsprach. Die wunderbare, bleiche Haut zu spüren, die wie ein samtiger weicher Mantel über ihren straffen Muskeln spannte. Den Geschmack dieser Haut zu kosten, wenn die Glut der Leidenschaft sie überzog.

Ich will mehr. Ich will alles, schoss es ihm, als das Blut kochend heiß durch seine Adern toste, durch den Kopf.

Sie war so herrlich heiß und nass, als er seine Finger in sie schob, glatt und eng. Er wollte, nein, er musste sehen, wenn sie kam, musste spüren, wenn sie explodierte und dadurch ihr ganzes Wesen auf ihn übertrug.

Erneut reckte sie sich ihm entgegen, bildete eine feste, schmale Brücke und ergoss sich mit einem lang gezogenen Keuchen in seine offene Hand.

Doch für ihn war es noch nicht genug, und bevor sie die Gelegenheit bekam, sich zu entspannen, trieb er sie ohne jede Gnade mit Zunge und Zähnen weiter an.

Dann küsste er sie auf den Mund, und als er spürte, wie sie abermals erbebte, schob er sich mit einem festen Stoß in sie hinein.

Und dachte immer noch: Ich brauche mehr.

Während sie erschauerte, schob er ihre Knie hoch, drang noch tiefer in sie ein und nahm ihr Gesicht wie durch einen roten Schleier der Begierde wahr. Trotzdem sah er ihre Augen, sah ihren tiefen, dunklen, lustvoll verhangenen Blick, der ein genauer Spiegel seines eigenen Blickes war.

»Ich bin in dir«, keuchte er, während er sie beide vollends in den Wahnsinn trieb. »Und zwar mit allem, was ich bin. Mit meinem Körper, meinem Herzen und meinem Gehirn.«

Sie kämpfte sich mühsam durch den Nebel der Verzückung, packte seine beiden Handgelenke, um seinen Puls zu spüren, und sagte ihm das Eine, was er hören musste: »Lass dich fallen. Ich halte dich fest.«

Er drückte sein Gesicht in ihre Haare, ließ Herz und Gedanken schweben und überließ sich ganz der sinnlichen Herrschaft seines Leibes.

 
 

Eve hatte keine Ahnung, wie viel Zeit vergangen war, als sie wieder halbwegs zu Besinnung kam. Als ihr jedoch endlich wieder einfiel, wie sie hieß, lag sie noch immer unter Roarke in die Sofakissen gedrückt. Sein Herz an ihrer Brust schien zu galoppieren, ansonsten aber lag er völlig still.

Sie strich ihm über den Rücken und gab ihm einen liebevollen Klaps auf seinen nackten Po. »Ich glaube, irgendwann während der nächsten zehn Minuten muss ich mal wieder Luft holen.«

Er hob den Kopf und stützte sich dann rücksichtsvoll auf seinen Ellenbogen ab. Ihre Wangen waren gerötet, und sie blinzelte ihn mit einem leichten Lächeln aus halb geschlossenen Augen an. »Du siehst ziemlich selbstzufrieden aus.«

»Warum auch nicht? Obwohl ich auch mit dir durchaus zufrieden bin.«

Er beugte sich gerade weit genug zu ihr hinunter, um mit seinen Lippen das Grübchen in der Mitte ihres Kinns berühren zu können, und meinte vergnügt: »Vielen Dank.«

»Du brauchst mir nicht zu danken, wenn ich mit dir schlafe. Schließlich bin ich als deine Frau dazu verpflichtet.«

»Ich habe dir nicht für den Sex gedankt, obwohl der nicht übel war, sondern dafür, dass du solches Verständnis für mich hast, und wenn nötig, meine Wunden pflegst.«

»Das hast du andersherum schließlich bereits des Öfteren getan.« Sie strich ihm eine Strähne seiner Haare aus der Stirn. »Und, fühlst du dich jetzt besser?«

»Ja.« Er setzte sich auf und zog sie in seinen Schoß. »Lass mich dich nur noch eine Minute halten.«

»Wenn du so weitermachst, landen wir früher oder später doch wieder in der Horizontale und fangen wieder an zu schwitzen.«

»Mmm. Der Gedanke hat was Verführerisches.« Inzwischen hatte tatsächlich eisige Entschlossenheit seinen heißen Zorn ersetzt. »Aber wir haben leider noch zu tun. Muss ich erst mit dir streiten, Lieutenant, damit du mich in diesem Fall mit dir zusammenarbeiten lässt?«

Ein paar Sekunden blieb sie still. »Ich will zwar nicht, dass du dich in meine Arbeit mischst. Nein, sag nichts. Lass mich zu Ende reden.« Sie vergrub ihr Gesicht an seinem Hals. »Dieser Wunsch ist rein persönlicher Natur. Er entspringt meiner Angst um dich. Als Polizistin jedoch weiß ich, dass wir den Fall umso schneller zum Abschluss bringen, je mehr du mit den Ermittlungen zu tun hast, je mehr du uns bei der Aufklärung dieser Morde helfen kannst. Und meine ganz privaten Ängste kommen gegen die Polizistin und dich gemeinsam nicht an.«

»Würde es dir helfen, wenn ich dir versichere, dass ich mit der ganzen Sache besser klarkomme, wenn ich dir bei deiner Arbeit helfe? Dann fühle ich mich nicht mehr ganz so ratlos, und die Geschichte frisst mich nicht mehr langsam von innen auf.«

»Ja.« Sie blieb noch eine Minute reglos sitzen, dann aber richtete sie sich entschlossen auf. »Ja, ich nehme an, das weiß ich. Lass uns duschen, etwas essen, und dann kläre ich dich über die Grundregeln unserer Zusammenarbeit auf.«

»Grundregeln«, wiederholte er, als sie sich von der Couch erhob. »Das Wort habe ich noch nie gemocht.«

Sie lachte leise. »Das ist mir bekannt.«

 
 

Als sie angezogen vor ihren Tellern mit Spagetti und frischen Meeresfrüchten saßen, setzte sie zu ihrer kurzen Rede an.

»Mit Whitneys Zustimmung wirst du offiziell als ziviler Berater oder, wenn du so willst, als Experte von uns engagiert. Mit diesem Engagement gehen bestimmte Privilegien und Beschränkungen sowie eine bescheidene Vergütung für deine Bemühungen einher.«

»Wie bescheiden?«

Sie piekste eine Muschel mit ihrer Gabel auf. »Weniger«, erklärte sie, während sie kaute, »als du wahrscheinlich für eins der sechshundert Paar Schuhe bezahlt hast, die in deinem Teil des Schrankes stehen. Du wirst einen Ausweis von uns bekommen«

»Einen offiziellen Dienstausweis der Polizei?«

Sie bedachte ihn mit einem Augenrollen. »Red keinen Unsinn. Einen Ausweis, der dein Foto und deine biometrischen Merkmale enthält. Eine Waffe kriegst du nicht.«

»Kein Problem. Ich habe schließlich selber jede Menge Waffen.«

»Halt die Klappe. Es wird im Ermessen der Ermittlungsleitung liegen, welche Informationen im Zusammenhang mit den Ermittlungen du einsehen darfst. Rein zufällig liegt die Leitung der Ermittlungen bei mir.«

»Das nenne ich praktisch.«

»Es wird erwartet werden, dass du meine Anweisungen befolgst. Andernfalls kann und wird die Kooperation beendet. Diese Entscheidung liegt ebenfalls ausschließlich bei mir. Wir werden uns streng an die Vorschriften halten. Ich hoffe, das ist klar.«

»Ich war immer schon neugierig darauf, wie viele Vorschriften ihr habt.«

»Auch vorlaute Kommentare gegenüber der Ermittlungsleiterin können zur Ergreifung von Disziplinarmaßnahmen führen.«

»Liebling, du weißt doch, wie sehr mich diese Vorstellung erregt.«

Obwohl sie am liebsten laut gejubelt hätte, weil er wieder ganz der Alte war, schnaubte sie verächtlich und fuhr fort. »Während der Ermittlungen wirst du der Ermittlungsleiterin und den Mitgliedern ihres Teams Einblick in einige Unterlagen gewähren müssen.«

»Das ist doch selbstverständlich.«

»Okay.« Sie schob sich die letzte Gabel voller Nudeln in den Mund. »Dann machen wir uns an die Arbeit.«

»Das war alles? Mehr Regeln gibt es nicht?«

»Weitere Verhaltensregeln werden im Verlauf der Arbeit aufgestellt. Gehen wir in mein Büro. Am besten bringe ich dich erst mal auf den neuesten Stand.«

 
 

Einer der Vorteile der Zusammenarbeit war, dass Roarke die Polizei verstand. Dabei war es bedeutungslos, dass dieses Verständnis weniger in seiner Beziehung zu einer Polizistin als vielmehr darin begründet war, dass er sich jahrelang nicht hatte erwischen lassen wollen, wenn er zwielichtigen Geschäften nachgegangen war.

Sie brauchte ihm nichts weiter zu erklären und sparte dadurch jede Menge Zeit.

»Du hast dem FBI nicht alles gegeben, was du rausgefunden hast, aber das ist denen sicher klar.«

»Allerdings. Und sie werden damit leben müssen, ob sie wollen oder nicht.«

»Außerdem wird ihnen aufgefallen sein, dass du innerhalb von weniger als einer Woche mehr Informationen über Yost gesammelt hast als sie selber im Verlauf von Jahren. Das stößt ihnen garantiert sauer auf.«

»Der Gedanke bricht mir regelrecht das Herz.«

»Du scheinst ein ausgeprägtes Konkurrenzdenken zu haben, Lieutenant.«

»Kann sein. Allerdings können die FBI-ler meinetwegen den gesamten Ruhm einheimsen, wenn Yost endlich festgenommen werden wird. Er wird wissen, dass ich ihn zur Strecke gebracht habe. Das reicht mir völlig. Sie haben dem Draht nicht genügend Beachtung geschenkt. Das von ihnen erstellte Persönlichkeitsprofil weist eindeutig daraufhin, dass er nach einem ganz bestimmten Muster vorgeht, dass er geradezu besessen ist von allen möglichen Details. Trotzdem haben sie genau diesen Details nie weiter nachgespürt.«

»Glaubst du nicht, dass sie dazu neigen, sich auf das große Ganze zu konzentrieren und sich zu sehr auf reine Fakten verlassen als auf ihren Instinkt?« Als sie die Stirn in Falten legte, musterte er sie lächelnd. »Natürlich will ich keine Zeit damit verlieren, mich mit dir über meine persönlichen Erfahrungen zu unterhalten, aufgrund derer ich zu diesem Schluss gekommen bin.«

»Ach nein? Tja, irgendwann sollten wir uns vielleicht die Zeit für eine Unterhaltung über dieses Thema nehmen.«

»Mmm. Eigentlich hatte ich damit nur sagen wollen, dass du zwar ebenfalls niemals das große Ganze und die Fakten außer Acht lässt, zugleich jedoch deiner Intuition vertraust und niemals irgendwelche Möglichkeiten übersiehst.«

»Danke. Aber sicher hat das FBI selten mit jemandem zu tun, der sich eine Flasche Shampoo für fünf Riesen leisten kann, und geht dieser Spur deshalb nicht weiter nach. Die Tatsache, dass dieser Kerl jede Menge Zaster hat und sich von diesem Geld eindeutig gerne etwas gönnt, spielt in ihren Augen keine Rolle.«

»Ich habe mir noch nie so teures Haarshampoo gekauft, aber trotzdem gehst du diesem Hinweis nach. Du übersiehst nämlich nie die kleinste Kleinigkeit. Trotzdem kenne ich mich besser als du mit teuren Sachen aus, und deshalb hast du mich als Experten engagiert.«

»Als zivilen Berater«, korrigierte sie. »Und vor allem wirst du das erst sein, wenn Whitney seine Zustimmung dazu gegeben hat.«

»Darauf freue ich mich schon. Davor kann ich mir ja schon einmal die Diskette von Jonahs Ermordung ansehen.«

»Nein.«

»Ich muss sehen, welche Kleidung Yost getragen hat. Die Diskette aus dem Palace habe ich bereits gesehen. Darauf hatte er einen britischen Designer-Anzug an.«

»Wie zum Teufel kannst du so etwas bereits nach einem kurzen Blick auf eine Jacke mit Bestimmtheit sagen?«

»Meine geliebte Eve. Manche Menschen sind halt einfach an Mode interessiert.« Er verzog den Mund zu einem schmalen Lächeln und strich mit einem Finger über die Schulter des alten, verblichenen Polizei-T-Shirts, das sie gerade trug.

»Falls das ein Seitenhieb gewesen ist, kann ich dir versichern, dass der mich nicht berührt. Aber ich hätte mir denken sollen, dass ein Snob blitzartig den anderen erkennt.« Sie zog die Diskette zwischen ihren Unterlagen hervor. »Du kannst ihn sehen, wenn er an die Tür kommt. Das müsste für diese Zwecke reichen.«

Mehr, dachte sie, als sie die Diskette in den Schlitz ihres Computers schob, bekäme er bestimmt nicht zu sehen. »Computer, Durchlauf der Diskette, Sequenzen null bis fünfzehn auf dem Wandbildschirm.«

 
 

EINEN AUGENBLICK …

 
 

Sie starrten beide auf den Bildschirm, sahen beide, wie Yost lässig die Stufen zur Tür des Hauses von Jonah Talbot erklomm. »Eindeutig britisch«, bestätigte Roarke. »Genau wie seine Schuhe. Die Aktentasche muss ich mir noch etwas genauer anschauen.«

»Okay. Computer, zehnfache Vergrößerung der Abschnitte zwölf bis zweiundzwanzig.«

EINEN AUGENBLICK …

 
 

Wenige Sekunden später trat die Hand mit der Aktentasche deutlich sichtbar aus der Gesamtaufnahme hervor. »Auch die stammt eindeutig aus Großbritannien. Die Tasche ist von Whitfort und wird ausschließlich in London hergestellt. Das kann ich deshalb mit Bestimmtheit sagen, weil mir die Fabrik gehört.«

»Das ist gut. Dann konzentrieren wir uns also auf britische Designerware, die in London verkauft worden ist.«

»Ausschließlich konservatives Zeug«, fügte Roarke hinzu.

Sie runzelte die Stirn. »Ich fand, dass er aussah wie ein Künstlertyp.«

»Das liegt nur an der Perücke und dem Halstuch. Der Anzug wirkt, als wäre er von Marley, aber Smythe and Wexville haben den gleichen, etwas kantigen Schnitt. Und ich kann fast mit Bestimmtheit sagen, dass die Schuhe Canterbury’s sind.«

Erneut legte Eve die Stirn in Falten. In ihren Augen waren diese Dinger stinknormale schwarze Slipper. »Okay, wir werden überprüfen, woher seine Klamotten sind. Diskette stopp.«

»Computer, Diskette wieder an. Ich werde mir auch noch den Rest des Films ansehen.«

»Nein. Dafür gibt es keinen Grund.«

»Ich werde mir auch noch den Rest ansehen«, wiederholte er. »Aber wenn du willst, zu einer anderen Zeit an einem anderen Ort.«

»Wenn ich dir doch sage, dass es keinen Grund gibt, dir das anzutun …«

»Ich habe mit seiner Mutter gesprochen. Ich habe gehört, wie sie geweint hat. Computer, Diskette an.«

Fluchend stapfte Eve davon. Sie gab sich die größte Mühe, ihren Zorn unter Kontrolle zu bringen, und schenkte ihnen beiden, da er zuvor den Brandy nicht getrunken hatte, zwei Gläser Rotwein ein.

Auch ohne sich den Film noch einmal anzusehen, wusste sie genau, was in welcher Minute geschah. Selbst mit geschlossenen Augen nahm sie jede Bewegung, jeden grausigen Moment mit aller Schärfe wahr. Und sie hatte die Befürchtung, dass sie, wenn sie schliefe, all das noch einmal sehen würde. Oder, schlimmer noch, sich selbst als kleines Kind, blutend und mit blauen Flecken übersät in einem schmutzstarrenden Zimmer, durch dessen Fenster das rot blinkende Neonlicht eines billigen Nachtclubs fiel.

Dann riss sie sich zusammen, marschierte zu den Klängen der Mozart-Symphonie zurück an ihren Schreibtisch und sah sich den grauenhaften Film noch einmal an der Seite ihres Mannes an.

»Standbild«, befahl Roarke mit erschreckend kalter Stimme und starrte auf den Bildschirm, wo man Jonah Talbot ohnmächtig am Boden liegen und den Mann, der ihn töten würde, mit halb offenem Hemd über ihm stehen sah.

»Vergrößerung der Abschnitte dreißig bis zweiundvierzig.« Als der Computer gehorchte, nickte Roarke langsam. »Das kleine Schild in Höhe der Manschetten. Das Hemd ist handgemacht. Finwyck’s, Bond Street, London. Computer, Film ab.«

Schweigend und ohne sich das Geringste anmerken zu lassen, schaute er sich den Film zu Ende an. Eve hätte als Dichterin vielleicht gesagt, dass die Glut seines Zorns mit Händen greifbar war, ehe er sich ins Gegenteil verkehrte und das gesamte Zimmer mit Eiseskälte zu erfüllen schien.

Erst als der Film zu Ende war, trat Roarke vor den Computer, zog die Diskette aus dem Schlitz, legte sie auf ihren Schreibtisch und atmete tief durch.

»Entschuldige, dass ich darauf bestanden habe, ihn mir sofort anzusehen. Auf diese Weise hast du dich verpflichtet gefühlt, dir das Ganze ebenfalls noch einmal anzutun. Ich werde nie verstehen, wie du das aushältst, wie du das Tag für Tag und Tod für Tod erträgst.«

»Indem ich mir sage, dass ich den Kerl erwischen und dafür sorgen werde, dass er irgendwo verschwindet, wo er niemals wieder einem anderen Menschen wehtun kann.«

»Das ist nicht genug. Das ist niemals genug.« Jetzt nippte er an seinem Wein, begrub die Trauer tief in seinem Inneren und sorgte auf die Art dafür, dass die eisige Entschlossenheit endgültig die Oberhand über seinen heißen Zorn gewann. »Wie nicht anders zu erwarten, trägt er eine Schweizer Uhr. Ein Multifunktionsgerät von Rolex. Ich habe selber so ein Ding, genau wie Tausende von Menschen, denen bei einer Uhr an Genauigkeit und Zuverlässigkeit gelegen ist. Ich kann dir bei der Suche nach dem Laden helfen, in dem er sie gekauft hat, denn …«

»… sie wird in einer deiner Fabriken hergestellt.«

»Außerdem besitze ich eine ganze Reihe von Geschäften, in denen das Modell angeboten wird. Auch bei der Aktentasche und den Schuhen kann ich dir behilflich sein. Bei der übrigen Garderobe wird es wohl ein wenig dauern, denn ohne entsprechenden richterlichen Beschluss rückt keine Firma freiwillig die Daten ihrer Kunden raus. Und vor allem sind in London um diese Uhrzeit sämtliche Geschäfte zu.«

»Dann werde ich mich eben morgen darum kümmern. Besorg mir bis dahin alles über die Tasche, die Schuhe und die Uhr. Ich werde währenddessen gucken, ob ich irgendetwas über diesen Richter vom Obersten Gerichtshof in Erfahrung bringen kann.«

Er nickte, blieb jedoch vor ihrem Schreibtisch stehen und nippte noch einmal an seinem Wein. »Falls McNab bei der Suche nach Einzel-Abos für die Oper und so auf irgendwelche Schwierigkeiten stößt, kann ich mit einem kurzen Anruf dafür sorgen, dass man ihm die entsprechenden Informationen gibt.«

»Falls ja, sage ich dir Bescheid.«

»Und was das Pornozeug vom Schwarzmarkt angeht, habe ich ebenfalls entsprechende Kontakte. Das heißt, ich kenne ein paar Leute, die ein paar Leute kennen und so weiter und so fort.«

»Nein. Wenn sich nämlich herumspricht, dass du dort Erkundigungen einholst, wird derjenige, der Yost das Zeug besorgt, dadurch eventuell gewarnt.«

»Ich kann meine Spuren bestens verwischen, aber wenn du willst, warten wir erst mal ab, ob Ian ohne Hilfe fündig wird. Allerdings verfüge ich, wie du weißt, über Geräte, mit denen ich so gut wie alles herausfinden kann, ohne dass irgendjemand irgendetwas davon merkt«, erinnerte er sie.

»Dieses Mal nicht, Roarke. Selbst wenn ich die Computer nur dafür benutzen würde, um unwichtige Informationen zu erhalten, hätte ich deshalb nicht nur ein schlechtes Gewissen, sondern könnte meinen Leuten unmöglich erklären, woher ich diese Dinge weiß. Wir gehen deshalb wie besprochen streng nach Vorschrift vor.«

»Du bist der Boss.« Damit trug er seinen Wein durch die Verbindungstür hinüber in sein eigenes Büro.

Mehrere Blocks weiter südlich hockte McNab in seiner engen, unordentlichen Wohnung vor seinem eigenen Computer, während Peabody, mit nichts als ihrem Hemd und ihrer Uniformhose bekleidet, dicht neben ihm vor ihrem Notebook saß.

Der Mann, dachte sie häufig, sammelte Computer so wie andere Männer die Bilder von Football-Stars.

Sie kämpfte sich durch unzählige Pornoseiten und suchte dort nach Namen, von denen sie allmählich Kopfschmerzen bekam. Trotzdem starrte sie unermüdlich weiter auf die eindeutigen Titel und die ebenso eindeutigen Decknamen von potenziellen Kunden, denen bereits bei der Vorschau auf die bunten Streifen einer abzugehen schien.

McNab hatte die Theorie, dass Yost das Labyrinth der Sex-Seiten des Webs durchforstete und anhand der dort gebotenen Kostproben seine persönliche Auswahl traf. Vielleicht bestellte er per E-Mail, und das wäre ein Durchbruch, weil bei derartigen Geschäften die Nennung der Ausweis- und der Kreditkartennummer unerlässlich war. Aber selbst wenn er sich lediglich die Filmausschnitte ansah, hatte er sich unter irgendeinem Namen in die Seiten eingeloggt.

Die meisten Namen waren einfach nur zum Lachen. Riesenschwanz, Mösenfreund und Geiler Bock. So niveau- und fantasielos wäre Yost sicher nicht.

Peabody lehnte sich zurück, rieb sich die müden Augen und begann in ihrer Handtasche nach einem Schmerzmittel zu kramen.

Geistesabwesend streckte ihr Kollege einen Arm aus, massierte ihr den Nacken und fragte mitfühlend: »Willst du eine kurze Pause machen?«

»Ich muss nur das Kopfweh loswerden. Außerdem vertrete ich mir mal kurz die Beine.«

Damit stand sie auf, ließ die Schultern kreisen, ging hinüber in die Küche und holte sich ein Glas Wasser, mit dem sie die Tablette herunterspülte.

 
 

Er wusste, sie hatte, um mit ihm zu arbeiten, extra ein Rendezvous mit Charles Monroe abgesagt, und empfand es als Genugtuung, dass der aalglatte Callboy, und sei es nur wegen der Arbeit, sich einen Korb eingehandelt hatte. Am liebsten würde er Charles Monroe eigenhändig seine wohlgeformte Nase brechen, und früher oder später …

Das Treiben auf dem Bildschirm lenkte ihn von dieser Überlegung ab. Ihm quollen fast die Augen aus dem Kopf, als er zwei Männer und zwei Frauen mit nackten, schweißglänzenden Körpern und unglaublich flexiblen Gliedmaßen über den Boden rollen sah.

»Heilige Mutter Gottes.«

»Was? Was ist? Hast du irgendwas entdeckt?« Peabody kam zurückgestürzt, beugte sich über den Bildschirm und schlug dem Kollegen fluchend auf den Kopf. »Verdammt, was soll der Blödsinn? Ich dachte, du hättest was gefunden …« Dann aber entfuhr ihr ein fast ehrfürchtiges »Wahnsinn«, und sie verfolgten beide mit schräg gelegten Köpfen das weitere Geschehen.

»Die kann überhaupt keine Gelenke haben wie ein normaler Mensch.«

»Ja, stattdessen Gummi«, beschloss McNab. »Und es ist offensichtlich, dass keiner von den vieren so etwas wie ein Rückgrat hat, denn dann kämen sie unmöglich in eine solche Position.«

Sie wandten sich einander zu und sahen sich mit gleichermaßen lustvoll wie herausfordernd blitzenden Augen an.

»Wir können uns doch wohl unmöglich von irgendwelchen kleinen Pornodarstellern übertrumpfen lassen.« McNab nestelte bereits am Knopf ihrer Hose.

»Da hast du hundertprozentig Recht. Auch wenn es wahrscheinlich ziemlich wehtut.«

»Polizisten spüren keinen Schmerz.«

»Ach nein? Das wollen wir doch mal sehen.« Damit zog sie ihn lachend mit sich auf den Boden und rollte dort sowohl vergnügt als auch absolut begabt mit ihm herum.

In einem anderen Teil New Yorks zog sich Sylvester Yost nach Beendigung des Abendessens mit einem Brandy und einer Zigarre in sein Wohnzimmer zurück. Er hatte seinen Hauswirtschaftsdroiden für ganze zwölf Minuten aktiviert, damit dieser in Esszimmer und Küche die gewohnte Ordnung schuf.

Natürlich würde er die Arbeit des Droiden anschließend kontrollieren. Selbst bei der allerbesten Programmierung schafften die Geräte es für gewöhnlich nicht, alles so perfekt zu arrangieren, wie es ihm gefiel.

Er hatte sich ein köstliches Lamm-Picata zubereitet und hatte, während das Fleisch in der Pfanne schmurgelte, gemütlich den Duft der feinen Speisen eingeatmet und ein Glas teuren Weins getrunken, während die Sauce einkochte.

Nur war es leider so, dass mit einem Hobby wie dem Kochen das Beschmutzen von Pfannen, Töpfen sowie anderen Küchenutensilien verbunden war. Da war der Droide wirklich praktisch, denn statt im Anschluss an die Mahlzeit aufzuräumen, entspannte er sich lieber.

Weshalb er mit halb geschlossenen Augen, seinen breiten, muskulösen Körper in einen langen, schwarzen Seidenhausmantel gehüllt, in seinem Lieblingssessel saß und die erhabenen Klänge einer Symphonie von Beethoven genoss.

Solche Augenblicke, war seine feste Überzeugung, hatte sich ein Mann nach einem erfolgreichen Arbeitstag verdient.

Und schon bald, sehr bald, würden aus den Augenblicken Tage, und aus den Tagen Wochen. Dann, wenn er nach langen Jahren endlich seinen wohlverdienten Ruhestand genoss.

Natürlich würde ihm die Arbeit fehlen. Zumindest ab und zu. Doch wenn die Sehnsucht allzu heftig würde, nähme er halt einfach wieder irgendeinen Auftrag an.

Einen möglichst interessanten Auftrag, denn schließlich ginge es ihm einzig darum, kurzfristig der Langeweile zu entfliehen.

Im Großen und Ganzen allerdings wäre er bestimmt damit zufrieden, seine Musik, seine Kunstsammlung, seine Freizeit und vor allem das Alleinsein zu genießen. Ja, davon war er überzeugt.

Dieser letzte Auftrag war ihm wie ein Zeichen erschienen. Er wäre der perfekte Abschluss seiner Karriere. Nie zuvor hatte er die Gelegenheit gehabt, so dicht an jemanden heranzukommen, der Roarkes Statur besaß. Deshalb hatte er für die drei geplanten Opfer das Dreifache seines normalen Honorars verlangen können, und man hatte es bezahlt.

Ob er die vierte Zielperson attackieren würde, lag in seinem persönlichen Ermessen. Falls innerhalb von zwei Monaten nach Erfüllung des ursprünglichen Vertrages die Möglichkeit bestünde, auch Roarke noch zu ermorden, bekäme er zusätzlich einen hübschen Bonus in Höhe von fünfundzwanzig Millionen Dollar ausbezahlt.

Damit hätte ich bis an mein Lebensende ausgesorgt, dachte Yost zufrieden.

Er hatte keinen Zweifel daran, dass es ihm gelänge, Roarke aus dem Verkehr zu ziehen.

Er freute sich bereits darauf, denn mit dieser einmaligen Tat setzte er ohne jeden Zweifel seiner jahrelangen, hervorragenden Arbeit ein letztes Glanzlicht auf.