3. Kapitel
Schweigend aßen sie ihre Steaks und den Salat. Cammie war sich während der ganzen Zeit nur zu deutlich bewußt, dass Reid ihrem Vorschlag weder zugestimmt noch ihn völlig abgelehnt hatte. Deshalb zögerte sie jetzt, irgend etwas zu sagen, das ihn in seiner Entscheidung beeinflussen würde.
Nur einmal blickte sie von ihrem Teller auf und bemerkte, dass er auf einen Punkt unterhalb ihres Kinns starrte. Der Gürtel des Morgenmantels war verrutscht, wie sie jetzt feststellte, der Ausschnitt klaffte auseinander und enthüllte die sanften Rundungen ihrer Brüste.
Ich hätte mich umziehen sollen, dachte sie, dann hätte ich mich sicher wohler gefühlt. Doch nachdem sie den Morgenmantel die ganze Zeit über im Fort getragen hatte, wäre ihr das dumm vorgekommen und auch ein wenig albern.
So unauffällig wie möglich griff sie unter der Serviette auf ihrem Schoß nach dem Morgenmantel und zog ihn zusammen. Als sie Reid danach wieder anschaute, widmete er seine ungeteilte Aufmerksamkeit seinem Steak, und die Ränder seiner Ohren waren rosarot angelaufen.
Seine Hände erregten ihr Interesse, als er ein Stück Fleisch abschnitt. Sie waren ihr schon vorher aufgefallen. Er hatte große, breite und dennoch wohlgeformte Hände. Seine Finger waren lang und hatten kleine weiße Narben. Es lag Präzision und kontrollierte Kraft in der Art, wie er seine Hände benutzte. Sie fragte sich, wie es wohl wäre, diese Hände auf ihrem Körper zu fühlen, zwischen ihren Schenkeln.
Sie holte tief Luft und fühlte, wie eine eigenartige Wärme bei diesem Gedanken in ihr aufstieg. Schnell griff sie nach ihrem Glas und nahm einen hastigen Schluck von dem Burgunder.
Sie war wohl kurz davor, den Verstand zu verlieren oder einen Nervenzusammenbruch zu erleiden, anders konnte sie sich ihre Handlungsweise an diesem Abend nicht erklären, angefangen damit, dass sie auf Keith geschossen hatte. Das war gar nicht ihre Art, es war absolut nicht ihre Art.
Es wäre einfach zu behaupten, dass ihr Mann sie dazu getrieben hatte, doch sie war nicht sicher, ob sie diese Entschuldigung vor sich selbst würde gelten lassen können. Es war, als hätte sie eine unsichtbare Grenze in sich selbst überschritten, und jetzt benahm sie sich aus einem primitiven Instinkt heraus. Es machte ihr angst, doch gleichzeitig verschaffte es ihr auch ein seltsames Hochgefühl. Vielleicht war es ähnlich jenen gefährlichen Instinkten, die Reid ihr zu erklären versucht hatte. Der Gedanke, von etwas anderem als reiner Vernunft geleitet zu werden, hatte etwas Verführerisches.
Es kann natürlich auch sein, dass ich die Situation völlig überschätze, sagte Cammie sich. Was hatte sie denn schon getan? Sie hatte einen Mann in ihr Haus eingeladen, hatte ihn gebeten, sie die Nacht über zu beschützen. Das war doch sicher nicht so ungewöhnlich.
Bis auf die Tatsache, dass es nicht nur irgendein Mann war. Sondern Reid Sayers.
Sie fühlte sich von ihm angezogen, na und? Immerhin war sie kein Teenager mehr, der mehr Hormone hatte, als für seine Selbstkontrolle gut war. Dass Reid in ihrem Haus war, falls er wirklich zu bleiben beschloss, würde nichts daran ändern, wie gut sie in dieser Nacht schlief.
Und selbst wenn es einen Unterschied machte, dann wären die Probleme nicht unüberwindbar. Sie würde in ihrem Bett bleiben und er in seinem. Der männliche Körper barg für sie nur wenige Geheimnisse und auch keinen großen Zauber. Wie groß konnte schon der Unterschied zwischen zwei Männern sein?
Wie groß war er wirklich ?
Sie würde nicht länger darüber nachdenken. Was auch immer geschehen würde, würde geschehen.
Sie räumten zusammen das Geschirr ab und stellten alles in die Spülmaschine. Danach ließ Cammie Reid im Wohnzimmer allein, während sie sich für ein paar Minuten entschuldigte.
Oben bezog sie schnell das Bett im blauen Zimmer, das üblicherweise als Gästezimmer benutzt wurde, und legte Handtücher und Seife in das angrenzende Bad. Sie war nicht sicher, ob Reid davon überhaupt Gebrauch machen würde, aber sie hatte herausgefunden, dass Keith manchmal ein Fait accompli akzeptierte, wenn man ihm keine andere Wahl ließ.
Sie hielt einen Augenblick inne, als sie eine neue Zahnbürste aus dem Schrank holte. Sie glaubte zu hören, wie eine Tür geschlossen wurde, die Hintertür. Das Geräusch war sehr leise gewesen, doch sie kannte jedes Knarren und jedes Quietschen in diesem alten Haus.
War Reid gegangen? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er ohne ein Wort des Abschieds verschwinden würde. Doch trotz allem war er für sie noch immer ein Fremder.
Cammie fand Reid schließlich im Sonnenzimmer, einem gemütlichen Raum mit großen Fenstern, an der Südseite des Hauses. Mit den Korbmöbeln mit rosa und grau gestreiften Kissen, dem riesigen Philodendron in einem Terrakottatopf und den Usambaraveilchen auf der Fensterbank war dieser Raum Cammies Lieblingszimmer. Sie verbrachte die meiste freie Zeit hier, las, stickte und häkelte in diesem Zimmer oder malte Blumenbilder mit Wasserfarben.
Reid stand vor dem großen Kamin mit graugeädertem Marmor, der die Wand an einer Seite des Zimmers einnahm. Er hatte die Hände in die rückwärtigen Taschen seiner Jeans geschoben und starrte auf das Porträt von Cammie, das über dem Kaminsims hing.
Cammie blieb an der Tür stehen und betrachtete den Ausdruck von versunkener Nachdenklichkeit in seinem Gesicht, ehe sie einen Schritt nach vorn machte. »Es wurde nach einer Fotografie gemalt«, sagte sie mit einer unbeteiligt klingenden Stimme. »Keith hat es zu unserem fünften Hochzeitstag in Auftrag gegeben. Ein wenig zu herrschaftlich, findest du nicht auch?«
»Vielleicht«, meinte er, und sein Gesicht entspannte sich zu einem Lächeln, als er sich zu ihr umwandte. »Aber es passt trotzdem zu dir.«
Cammie ignorierte das Gefühl der Freude, das seine Bemerkung in ihr geweckt hatte. Statt dessen sagte sie: »Dein Zimmer ist fertig.«
Er bewegte sich nicht, sein Gesicht allerdings verhärtete sich, bis es aussah wie der polierte Marmor des Kamins hinter ihm. »Ich habe mich noch nicht bereit erklärt zu bleiben.«
»Ich weiß.« Kühn fügte sie hinzu: »Wirst du bleiben?«
Bewunderung für ihre Offenheit und noch etwas mehr las sie in seinen blauen Augen. Möglicherweise war es sein Sinn für Humor, der ihn rettete.
Er nahm etwas vom Kaminsims. Als er sich wieder zu ihr umdrehte, hielt er ihre Magnum in der Hand. »Ich wollte dir das eigentlich schon früher geben, aber irgendwie habe ich es wohl vergessen.«
Sie nahm den Revolver und wog ihn in der Hand, dann sah sie zu ihm auf. Sein Hemd hatte an den Schultern feuchte Flecken vom Regen, Regentropfen glänzten in dem goldbraunen Haar auf seinen nackten Unterarmen. Sicher ist er wegen meines Revolvers aus dem Haus gegangen, dachte sie. Er hat ihn aus dem Jeep geholt.
»Du hast ihn die ganze Zeit über gehabt?«
Er nickte kurz. »Ich habe gesehen, wie er dir im Wald hingefallen ist. Ich hatte das Gefühl, du würdest ihn vielleicht noch einmal brauchen.«
»Das könnte schon sein«, meinte sie.
Er zögerte einen Augenblick, dann sprach er mit schneidender Stimme weiter. »Wegen heute nacht ... Keith abzuschrecken ist eine Sache, aber was würde das für Auswirkungen auf deine Scheidung haben? Wenn er nun die Tatsache, dass ein Mann hier übernachtet hat, vor Gericht gegen dich verwendet?«
»Das würde er nicht wagen«, widersprach sie. »Sein eigener Ehebruch ist so offensichtlich, dass das völlig lächerlich wäre. Außerdem habe ich von ihm nichts verlangt, es gibt also nichts, was er damit gewinnen könnte. Das gemeinsame Land, das wir besitzen, ist so mit Hypotheken belastet, dass wir uns höchstens die Schulden dafür teilen könnten.«
»Dieses Haus auch?« fragte Reid und runzelte die Stirn.
Cammie schüttelte den Kopf. »Evergreen habe ich geerbt, es gehört mir allein. Keith wollte es verkaufen, er ist sogar so weit gegangen, dass er hinter meinem Rücken versucht hat, einen Verkauf zu arrangieren, doch ich habe mich geweigert, die notwendigen Papiere zu unterschreiben.«
»Ich habe vom Tod deiner Eltern gehört«, meinte Reid gepreßt. »Es ist ein wenig spät, dir zu kondolieren, aber es tut mir sehr leid.«
Ihr Vater war ein Jahr nach Cammies Hochzeit bei einem Frontalzusammenstoß mit einem Lastwagen umgekommen. Ihre Mutter, die schon damals unter Brustkrebs litt, hatte ganz einfach aufgehört, gegen die Krankheit anzukämpfen, und war kurz darauf gestorben. Cammie dankte mit einer leisen Neigung des Kopfes für sein Mitgefühl, dann sprach sie weiter. »Nun, unser gemeinsamer Besitz besteht aus unseren beiden Autos und dem Silber und dem Porzellan, das wir zur Hochzeit geschenkt bekommen haben.«
»Ich weiß, dass sein Anteil an der Papierfabrik unter einer Verfügungsbeschränkung steht, er kann also nicht an die Mittel heran, aber er bekommt ein sehr gutes Gehalt. Kann er denn so schlecht mit Geld umgehen?«
Reid wartete angespannt auf ihre Antwort auf diese sehr persönliche Frage. Aber er hatte sicher ein Recht, ihr diese Frage zu stellen. Ein stellvertretender Direktor, der seine privaten Geschäfte nicht im Griff hatte, war wohl kaum der geeignete Mann, um die Finanzen einer Firma wie die der Sayers-Hut- ton Tüten- und Papierfabrik zu überwachen. Dennoch fand Cammie es falsch, ihm ausführlich über Reiths finanzielle Gewohnheiten zu berichten.
Nach einem kurzen Zögern sagte sie nur: »Man könnte sagen, dass Keith das gute Leben zu schätzen weiß.«
Ein kleines Lächeln umspielte Reids Mundwinkel. »Ich hatte schon beinahe vergessen, dass es eine solche Diskretion überhaupt noch gibt. Ich nehme an, deine Mutter hat dir beigebracht, dass es unhöflich ist, über Geldprobleme zu sprechen.«
»So könnte man es sagen.«
»Du musst wirklich die perfekte Ehefrau gewesen sein. Keith ist ein Idiot.«
Sie wandte sich ab und ging zu ihrer Staffelei hinüber, auf der ein halbfertiges Bild einer lila Schwertlilie stand. Sie legte den Revolver auf einen Tisch in der Nähe und berührte dann das seidige Papier, um zu fühlen, ob die Farbe schon getrocknet war.
Über ihre Schulter hinweg sagte sie: »Ich habe versucht, perfekt zu sein. Ich habe Unterricht im Kochen von Feinschmeckermenüs genommen, habe Kochbücher studiert und Einrichtungsbroschüren. Ich habe gelernt, Tischdekorationen zu machen und eine gute Gastgeberin zu sein. Ich bin in all die richtigen Clubs eingetreten und habe in den Gruppen mitgearbeitet, die sich darum kümmern, unser gemeinsames Leben zu verbessern. Ich habe Sport getrieben und mich richtig ernährt, um meine gute Figur zu behalten, ich habe Stunden damit verbracht, meine Haut, mein Haar und meine Fingernägel zu pflegen. Ich habe viel gelesen, um meine Allgemeinbildung zu erweitern, ich bin sogar in eine andere Stadt gefahren, um mir dort Schriften über Sexualität zu besorgen, um herauszufinden, was mit unserem Liebesleben nicht stimmte. Ich habe alle Artikel in allen Zeitschriften gelesen, in denen stand, ich müsse endlos verständnisvoll sein, nie über meine eigenen Probleme oder Schmerzen reden, doch meinen Mann dazu ermutigen, mir seine Probleme anzuvertrauen. Und weißt du, was passiert ist?«
»Ich kann es mir denken«, meinte Reid. »Keith wusste es nicht zu schätzen.«
Sie wandte sich zu ihm um und sah ihn an, ihre Augen waren ganz dunkel. »Er hat das als selbstverständlich hingenommen. Er war der Ansicht, dass es meine Pflicht war, all diese Dinge zu tun. Seiner Meinung nach hatte er nichts anderes als Perfektion verdient.«
»Und jetzt ist er also davon überzeugt, du hättest kein Recht, ihm seine perfekte Welt zu verweigern, nachdem er sich entschieden hat, dass er sie zurückhaben will.«
»Für ihn ist es viel mehr eine Frage des Stolzes. Er glaubt, wenn er mich anruft und mich bittet und anfleht, wenn er mich verfolgt und mir das Leben zur Hölle macht, dann müßte ich glauben, dass er mich wirklich liebt, und müßte nachgeben. Doch er irrt sich. Die Wartefrist von sechs Monaten, ehe die Scheidung rechtskräftig wird, ist bald vorüber. Wenn sich dann an den Umständen nichts geändert hat, wenn es keine Versöhnung gegeben hat und wir auch nicht mehr zusammengelebt haben, dann wird die Scheidung sofort für rechtskräftig erklärt werden.«
»Und du glaubst also, er gerät langsam in Panik?«
Sie war dankbar, dass Reid ihr die Worte aus dem Mund genommen hatte. »Ich würde ihn gern davon überzeugen, dass seine Bemühungen keinen Zweck mehr haben«, meinte sie. »Ich werde nie wieder zu ihm zurückgehen.«
»Und dabei soll ich dir helfen?«
»Wenn es dir nichts ausmacht.«
Als ihre Blicke sich trafen, dachte Cammie wieder an das, was sie ihm gesagt hatte, gerade eben und auch schon vorher.
Es verwunderte sie, dass sie nie zuvor daran gedacht hatte, mit Keith so zu reden. In den ganzen sechs Jahren ihrer Ehe hatte ihr Mann nie geahnt, dass sie Schriften über Sexualität gelesen hatte, er hätte sich nie träumen lassen, dass ihre vorsichtigen Vorschläge aus dieser Lektüre stammten. Genützt hatten sie sowieso nichts.
Reid Sayers war ganz anders. Sie hatte das Gefühl, ihm alles sagen zu können, er würde nie schockiert sein oder geringschätzig reagieren, nicht einmal überrascht würde er sein. Er war zu enormer Toleranz fähig, mehr vielleicht als alle anderen Männer. Sie war gewachsen aus all dem, was ihm zugestoßen war, was er gesehen und getan hatte. Er würde es sich nicht anmaßen, einen Menschen zu verurteilen, er würde jeden so akzeptieren, wie er war, mit all seinen Fehlern. Er hatte den Glauben an die Perfektion verloren.
»Hast du eigentlich einen Job?« fragte er ernst.
Sie lächelte ein wenig, als sie begriff, dass er eher ein praktischer Mensch war, so ganz anders als sie. »Du willst wohl wissen, wie ich lebe. Ich habe etwas Geld aus einer Erbschaft, außerdem gehört mir ein Teil eines Antiquitätenladens. Keines von beiden erlaubt mir wilde Extravaganzen, aber ich komme ganz gut zurecht. Außerdem habe ich ein Diplom in Französisch, und ich habe bei einer Reihe von CODOFIL-Projekten mitgearbeitet. CODOFIL ist der Rat für die Entwicklung der französischen Sprache in Louisiana. Zufällig werde ich ausgerechnet morgen zu einer Wochenendkonferenz der CODOFIL nach New Orleans fahren. Wahrscheinlich könnte ich durch meine Verbindungen dort einen Job als Französischlehrerin bekommen, wenn es sein müsste. Und wenn alles andere fehlschlägt, könnte ich noch immer Evergreen zu einem Hotel garni umbauen.«
Reid zog belustigt einen Mundwinkel hoch. »Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass du Touristen willkommen heißt und um sechs Uhr am Morgen aufstehst, um ihnen Croissants und Kaffee zu servieren.«
»Ich werde das schon schaffen. Ich bin nicht eine dieser hilflosen Frauen, die noch nie eine Rechnung bezahlt oder eine Versicherungspolice abgeschlossen haben. Um diese Angelegenheiten habe ich mich schon immer selbst gekümmert.«
»Perfekt, wie ich schon sagte. Also ist das einzige, was du im Augenblick noch brauchst, um deine Zukunft zu sichern, ein Mann - in deinem Gästezimmer.«
Seine Stimme klang gleichmütig, ganz und gar nicht ermunternd, dennoch verspürte Cammie bei seinen Worten ein eigenartiges Hochgefühl. Ihr wurde ganz warm, doch ihr Gesichtsausdruck verriet nichts von ihren Gefühlen, als sie sprach. »Ja.«
Lange sah Reid sie nur an, dann wandte er sich ab und nahm die Hände aus den Hosentaschen. Er hob einen Arm und stützte das Handgelenk auf den Kaminsims, seine Finger ballten sich langsam zur Faust. »Falls - und ich meine wirklich falls - ich dir zustimmen würde, dann gibt es einige Regeln, die einzuhalten sind. Glaubst du, dass du das kannst?«
Ihr war es ganz gleich, wie das klang. Sie legte den Kopf ein wenig schief und fragte: »Und was wären das für Regeln?«
»Sie sind ziemlich einfach, aber sehr wichtig. Tritt nie von hinten an mich heran. Bewege dich nicht zu schnell in meiner Nähe, es sei denn, ich beobachte dich. Und komme um Himmels willen nie im Dunkeln auf mich zu, ohne mich vorher zu warnen. Wenn du eine dieser Regeln vergisst, dann werden wir das beide bereuen. Aber dann könnte es schon zu spät sein.«
Sie stand da und lauschte dem Echo seiner Worte und auch der Verzweiflung in seiner Stimme, und sie hätte am liebsten geweint. Es war tragisch, wenn ein Mann sich so sehr vor dem menschlichen Kontakt fürchtete - nicht um seiner selbst willen, sondern der anderen wegen -, dass er sich mit einer solch rücksichtslosen Entschlossenheit diesem Kontakt entzog. Der Drang, ihm zu helfen, war übermächtig.
»Wie kommt es«, sagte sie leise, »dass du unter Leute gehst und dass du daran denkst, mit ihnen in der Papierfabrik zusammenzuarbeiten, wenn du dir selbst nicht trauen kannst?«
»Ich bin nicht sicher, dass ich es kann. Ich denke, ich werde es ganz langsam angehen lassen und immer dafür sorgen, dass ich mit dem Rücken zur Wand stehe.«
»Du hast mich doch da draußen im Wald auch überwältigt, ohne mir weh zu tun. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es ein so großes Problem für dich sein könnte.«
Er biß die Zähne zusammen, sie sah es daran, wie die Muskeln in seinem Kinn arbeiteten. »Das war etwas, was man als einen geplanten Angriff bezeichnen würde. Ich wusste ganz genau, was ich tat, ich hatte die Kontrolle darüber.«
Das konnte sie allerdings nicht abstreiten. Sie versuchte es noch einmal. »Und was war draußen auf der Veranda? Da bin ich doch auch im Dunkeln auf dich zugekommen, und du hast mir nichts getan.«
»Da habe ich dich gesehen, ich wusste, dass du auf mich zukamst. Es fehlte das Überraschungsmoment.«
»Ich glaube, ein wenig überrascht warst du schon«, meinte sie nüchtern. Sekundenlang zögerte sie, dann sprach sie weiter. »Also gut, zu meinem eigenen Schutz möchte ich es noch einmal klarstellen. Solange du siehst, was auf dich zukommt, sollte es keine Probleme geben. Stimmt das?«
»Im allgemeinen schon. Es gibt keine ... Reaktion, normalerweise, wenn es den Überraschungseffekt nicht gibt und keine offensichtliche Bedrohung.«
»Es gibt eine ganze Menge verschiedener Bedrohungen.« Sie sprach ganz leise, beinahe wie zu sich selbst.
»Ich meinte körperliche Bedrohungen«, erklärte er scharf.
Ihre Augen waren ganz groß, als sie in seine blauen Augen sah. »Ich auch.«
Ein sichtbarer Schauer lief durch seinen Körper und hinterließ eine Gänsehaut auf seinen Armen. Schnell wandte er den Blick ab. Mit rauher Stimme meinte er: »Also gut, wo ist das Bett?«
Eine Weile später lag Cammie wach im Bett, starrte in die Dunkelheit und sah dem Spiel des Wetterleuchtens auf den Gardinen des Schlafzimmers zu. Der Wind wurde immer stärker, er heulte um das alte Haus. Zu dem Regen schien sich jetzt ein Frühlingsgewitter zu gesellen.
Sie überlegte, ob Reid wohl schlief, zwei Türen weiter. Oder lag er hellwach in dem alten Bett mit den dicken Bettpfosten und fragte sich, warum er sich hatte überreden lassen zu bleiben ?
Im ganzen Haus hatte Cammie keinen Männerschlafanzug finden können. Die Kleidungsstücke ihres Vaters hatte sie schon vor langer Zeit einer wohltätigen Organisation gespendet, Keiths Sachen hatte sie zusammengepackt und zum Wohnmobil seiner Freundin geschickt. Aber Keiths Kleidung hätte Reid sowieso nicht gepaßt. Ihr Mann hatte mit den Jahren an Gewicht zugelegt, besonders um die Taille, und er war auch mindestens fünf Zentimeter kleiner als Reid.
Sie fragte sich, ob Reid wohl in seiner Unterhose schlief oder ob er es vorzog, nackt zu schlafen. Er schien kein Mann zu sein, der sich Beschränkungen irgendwelcher Art auferlegte.
Cammie rutschte unruhig in ihrem Bett hin und her, sie legte einen Arm über den Kopf und rollte sich auf die Seite. Ihr Nachthemd aus pfirsichfarbener Seide war ihr zu schwer und engte sie ein. Sie dachte daran, es auszuziehen, doch das erschien ihr fast, als würde sie jegliche Zurückhaltung aufgeben.
Zurückhaltung - wovor? Das war hier die Frage.
Aber nein, das war unehrlich. Sie wusste durchaus, welche Sehnsüchte sie in Versuchung führten. Das Problem, das ihr die meiste Zeit ihres Lebens zu schaffen gemacht hatte, war, dass sie sich selbst nur zu gut verstand. Ihre Vorlieben und Impulse einfach zu ignorieren, war noch nie eine annehmbare Entschuldigung für sie gewesen.
War es vielleicht ein eigenartiges Bedürfnis der Selbstaufopferung, das sie mit dem Gedanken spielen ließ, aus dem Bett aufzustehen und so schnell sie konnte den Flur hinunter zu laufen? War es eine rein weibliche Widerspenstigkeit, eine Sehnsucht nach etwas, das man ihr absichtlich verwehrt hatte? Oder war es die uralte weibliche Sehnsucht, Trost zu spenden?
War es die schlichte Lust einer Frau, die schon seit Monaten ohne Mann war? Oder war es der Drang nach gegenseitiger Heilung?
War es vielleicht ein Bedürfnis, sich für erlittene Kränkungen zu rächen?
Es konnte all das sein. Aber viel eher war es wie eine Sehnsucht, die sie nach Hause rief.
Reid Sayers bedeutete ihr nichts. Wie sollte er auch? Sie kannte ihn kaum, und das wenige, was sie in den letzten zehneinhalb Jahren über ihn erfahren hatte, war nicht gerade ermutigend.
Er war nicht der Mann, mit dem sie Umgang gepflegt hätte, wäre er in der Stadt geblieben; die Differenzen zwischen ihren beiden Familien bedeuteten, dass sie einander gesellschaftlich nicht sehr oft begegnet wären. Doch selbst wenn sie einander von Zeit zu Zeit gesehen hätten, hätte wahrscheinlich der Zwischenfall am See sie getrennt.
Und falls diese Gründe noch nicht genügt hätten, so hätten es seine Herkunft und seine offensichtlichen Absichten getan. Er mochte der Eigentümer der Papierfabrik sein, doch seine Erziehung war offensichtlich vernachlässigt worden, während er in der Armee war. Seine Kleidung schien nur aus Jeans und Tarnkleidung zu bestehen. Er lebte im Wildreservat und fuhr einen Jeep. All das zusammengenommen machte ihn zum König der Primitiven. Er war all das, was sie an einem Mann verachtete.
Warum reagierte ihr Körper dann auf ihn wie noch auf keinen anderen Mann zuvor?
Cammie trat die Decke weg und rollte sich auf den Rücken.
Das hier war nur ein vorübergehender Augenblick des Irrsinns, sie würde darüber hinwegkommen.
Weniger als alles andere konnte sie jetzt noch eine weitere Verwicklung in ihrem Leben gebrauchen. Wie auch immer, eine Frau warf sich nicht einem Mann in die Arme.
Sie verlangte nach ihm mit einer tiefen, inneren Sehnsucht, die mit körperlichem Verlangen nichts zu tun hatte. Es war, als würde ihr innerstes Wesen die Arme nach ihm ausstrecken.
Reid würde sie für verrückt halten oder womöglich verdorben. Vielleicht stimmte das ja. Warum sonst würde sie daran denken, sich dem Schmerz und der Gefahr auszusetzen, die ihr dieser Mann bringen würde?
Sie setzte sich auf und glitt aus dem Bett, ging zum Fenster hinüber, zog die Gardine beiseite und sah hinaus. Die Bäume im Garten erstrahlten in einem silbrigen Grün unter dem Licht der Blitze, die Unterseite der Blätter zeigte sich hellgrau, als die Äste im Wind heftig hin und her wehten. Donner grollte warnend in der Ferne und entlud sich dann in einem lauten Krachen.
Cammie griff nach dem Verschluss des Fensters und öffnete ihn. Das Geräusch des Regens erfüllte den Raum, der Wind trug einen Hauch frischer, feuchter Luft ins Zimmer. Wie ein Aphrodisiakum wirkte er auf sie. Der Donner wurde lauter, die Blitze greller. Als sie sich aus dem Fenster beugte, zuckte der silberne Speer eines Blitzes über den Himmel, gleich danach erfolgte ein krachender, explodierender Donner, der den Boden unter ihren Füßen beben ließ.
Und dennoch tobte in ihrem Inneren ein viel größerer Sturm, ein wüster Konflikt zwischen inneren Werten und Instinkt.
Über letzteres hatte sie an diesem Abend viel nachgedacht und auch darüber geredet. Warum also sollte sie sich Gedanken darüber machen, sich jetzt davon leiten zu lassen?
Sie wandte sich von dem Fenster ab, ließ es offen und ging durch das Schlafzimmer in den Flur. Sie zögerte sekundenlang und schloss die Augen, dann öffnete sie sie weit und drehte sich zu dem Schlafzimmer am anderen Ende des langen Flurs um.
Als sie mit entschlossenen Schritten zu diesem Zimmer strebte, schien es ihr, als stände sie selbst abseits und beobachtete sich mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Zustimmung. Es war unheimlich, als gehorchten ihre Beine nicht länger, als könnte sie den Füßen, die sich langsam über den dicken Orientteppich auf dieses Zimmer zubewegten, nicht länger Einhalt gebieten. Sie wurde unwiderstehlich angezogen von einer Macht, die sie nicht kontrollieren konnte.
Stimmte das oder war es nur eine Entschuldigung? Wie auch immer, sie konnte sich nicht zurückhalten. Sie war auch nicht sicher, ob sie es überhaupt wollte.
Doch ihr Selbsterhaltungstrieb funktionierte noch. Sie streckte die Hand aus nach der Türklinke des blauen Zimmers und drückte sie vorsichtig hinunter. Als sie die Tür dann behutsam aufstieß, rief sie leise den Namen des Mannes und versuchte, ihn nicht zu erschrecken, falls er noch schlief.
Aber er schlief nicht.
Er seufzte so tief und so nahe neben ihr, dass sie seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht fühlte. Im gleichen Augenblick schloss sich seine Hand fest im ihr Handgelenk und zog sie nach vorn. Es war nur ein kleiner Ruck, beinahe sanft, doch er hatte genügend Kraft, sie bis mitten in das Zimmer zu wirbeln. Sie hielt sich am Bettpfosten fest und setzte sich abrupt auf das Bett.
Reid stieß die Tür heftig zu, dann drehte er sich zu ihr um.
»Wolltest du meine Reflexe testen?« fragte er voll unterdrückter Wut.
Sein Fenster war auch geöffnet, genau wie ihres. Hinter den Gardinen, die sich im Wind bauschten, zuckten Blitze über den dunklen Nachthimmel. In dem schwachen blauen Licht konnte sie die kräftige männliche Schönheit seines nackten Körpers erkennen. Und auch die Qual in seinem Gesicht.
»Nein«, antwortete sie leise. »Ich wollte sie eher in Versuchung führen.«
»Du hast wohl Mitleid mit der armen Bestie. Ist es das?«
An seiner Stimme hörte sie, dass er sich von ihr zurückzog, bis in die hinterste Ecke des Zimmers. Mit dem Rücken zur Wand blieb er dort stehen.
»Es sollte wohl eher ein gemeinsamer Trost sein«, meinte sie, als sie sicher war, dass er nicht beabsichtigte, das Schlafzimmer zu verlassen.
»Und zum Teufel mit all den Regeln.«
Sie schüttelte den Kopf, ihr Haar fiel ihr über das Gesicht. »Das hier soll nicht für ewig sein. Du kannst es, wenn du willst, als eine schlichte menschliche Begegnung betrachten. Und dafür habe ich die Regeln eingehalten.«
»Indem du mitten in der Nacht hierherkommst?« fragte er ungläubig.
»Du hast nicht geschlafen, denn sonst hättest du mich nicht gehört. Ich habe versucht, mich dir von vorn zu nähern, und ich habe dich gewarnt, indem ich deinen Namen gerufen habe. Ich habe mich so langsam wie möglich bewegt, und ich glaube, wenn du fair bist, kannst du nicht behaupten, dass mein Kommen eine Bedrohung für dich ist.«
»Das ist Ansichtssache«, behauptete er knapp.
»Vielleicht habe ich dich missverstanden.« Sie stand auf und kam mit fließenden Schritten auf ihn zu. »Sag mir, wenn ich auf dich zukommen würde wie jetzt, wenn ich die Hand ausstrecken würde, um dich zu berühren, wäre das noch innerhalb der Regeln?«
Der Wind wehte ins Zimmer und drückte das Nachthemd eng an ihren Körper. Als ein Windstoß ihr langes Haar erfaßte und ihre Locken Reids Haut streiften, blieb Cammie stehen. Sie hob eine Hand und legte die Fingerspitzen eine nach der anderen gegen seine Brust. Langsam und vorsichtig ließ sie sie durch das goldbraune krause Haar auf seiner Brust gleiten.
»Tu das nicht!« Sein Befehl klang rauh.
Sie hielt inne. Bis zu diesem Augenblick hatte Mut und Sehnsucht sie aufrechterhalten und ein eigenartiges Gefühl, das ihr sagte, dass es richtig war, was sie tat. Doch jetzt verschwanden diese Gefühle.
Sie zog die Hand zurück und schlang die Arme um ihren Oberkörper. In einem Ton, der ihr Verlangen und auch ihre Verzweiflung ausdrückte, sagte sie: »Ich bemitleide dich nicht, das tust du schon selbst zur Genüge. Aber ehe du uns beide opferst, denkst du vielleicht einmal darüber nach, dass es Menschen gibt, die Probleme haben, die menschliche Nähe genau- sosehr brauchen, wie du sie ablehnst. Und auch sie fühlen Schmerz.«
Er hörte ihr zu, schien die Wahrheit in ihren Worten zu begreifen. Leise sagte er: »Das einzige, was ich verletze, ist dein Stolz. Und Stolz heilt.«
Sie ließ sich seine Antwort durch den Kopf gehen, doch es entging ihr auch nicht, dass ein Schauer durch seinen Körper lief. Er preßte die Arme hinter sich gegen die Wand, als wollte er sie beiseite schieben, um Platz zu haben für seinen Rückzug. Ihre Stimme klang vorsichtig, aber sie gab sich noch nicht geschlagen. »Sag mir, dass du mich nicht willst, und ich werde gehen.«
»Das wäre eine offensichtliche Lüge.«
Das wäre es wirklich. Das zuckende Licht der Blitze verriet ihr, wie erregt er war.
»Warum ist es denn so kompliziert?« fragte sie.
»Oh, das ist es nicht«, nahm er ihre Herausforderung an. »Nicht wenn das, was du von mir willst, reiner Sex ist. Irgendwie hatte ich geglaubt, du erwartest Mondschein und Blumen und Versprechen für die Zukunft.«
»Das hatte ich schon einmal«, wehrte sie ab, und ihre Augen waren ganz groß in der Dunkelheit. »Es hat nicht lange angehalten.«
»Das wird dies hier auch nicht. Und ich werde dir weh tun«, fügte er noch hinzu, Verzweiflung in der Stimme. »Wenn nicht jetzt, dann irgendwann, wenn du Freundlichkeit am nötigsten brauchst und wenn du es am wenigsten erwartest.«
»Ich brauche nur die heutige Nacht«, flüsterte sie schmerzlich.
Der Wind heulte um das Haus, der Regen rauschte. Die Blitze zuckten in regelmäßigen Abständen, wie eine abgenutzte Neonreklame.
Als er dann endlich sprach, hatte seine Stimme den beißenden Ton von unterdrückter Wut. »Das«, sagte er, »brauche ich auch.«
Er griff nach ihr, als wolle er ihr jeden einzelnen Knochen im Körper brechen, als wünschte er sich, sie würde ihren Wagemut bedauern. Sie wich nicht zurück, dennoch konnte sie nicht verhindern, dass ein Schauer durch ihren Körper lief, als er seine Hände auf sie legte. Er hob sie auf seine starken Arme und trug sie zum Bett.
Sie hatte erwartet, er würde sie aufs Bett werfen, doch statt dessen sank er mit ihr auf den Armen auf die Matratze. Die Finger, mit denen er sie berührte, mit denen er sie noch näher an seinen starken Körper zog, waren sanft und bemühten sich, sie nicht zu verletzen. Und sein Kuss, als ihre Lippen sich fanden, war zärtlich, trotz des Verlangens, das er ausdrückte.
Cammies Hals wurde eng, als sich ihre Anspannung beinahe schmerzlich löste und ein heißes Glücksgefühl sie durchströmte. Sie schluckte und legte dann beide Hände auf seine Schultern, schlang sie um seinen Hals. Voller Hingabe und Sanftheit schmiegte sie sich an ihn.
Das war ihre letzte bewusste Tat. Seine Lippen verwischten alle anderen Gedanken, seine streichelnden, kräftigen Hände schoben alle hindernden höflichen Umgangsformen beiseite, als er ihr das seidene Nachthemd auszog. Wenn sie einander einmal fremd gewesen waren, so war das jetzt vorüber.
Sein warmer Atem strich über ihre Brustspitze, die sich unter dieser Berührung aufrichtete. Er streichelte die süße, gekräuselte Knospe mit seiner Zungenspitze, umfuhr den zartrosafarbenen Hof und die blasse, cremig-zarte Haut, die im Takt ihres Herzschlages erzitterte. Dann nahm er die Brustspitze in seinen Mund und saugte zart daran, streichelte sie mit Lippen und Zunge.
Cammie presste die Hände gegen seine Schultern, fühlte die kräftigen Muskeln, während eine heiße, triumphierende Woge des Glücks sie überströmte. Gleichzeitig erfasste sie eine überwältigende Mattigkeit. Sie wünschte sich, dieser Augenblick, diese Nacht des Frühlingsgewitters, würde niemals enden.
Lebendig, sie konnte sich nicht erinnern, sich je so lebendig gefühlt zu haben. Tief holte sie Luft und genoss die Erregung, die in ihrem Körper erwachte. Mit jeder einzelnen Faser ihres Wesens war sie sich des Mannes bewusst, der sie in seinen Armen hielt, seiner herrlichen Kraft in diesem sehnigen Körper, seines frischen, männlichen Duftes, des seidig gelockten Haares in seinem Nacken und seiner geschmeidigen Haut.
Er bedeckte das Tal zwischen ihren Brüsten mit vielen kleinen, feuchtheißen Küssen, bis hin zu ihrem Nabel und dann noch tiefer. Seine Lippen streichelten ihren flachen Bauch, seine Zungenspitze hinterließ kleine feuchte Muster, dann fühlte sie seinen warmen Atem in dem gelockten Haar zwischen ihren Schenkeln. Sie versank in einem Taumel der Ekstase, erschauernd fühlte sie ein schmerzliches Verlangen tief in ihrem Unterleib.
Es war eine Sehnsucht, die er mit einer solch vollendeten und andauernden Kunstfertigkeit anzufachen wusste, dass sie es schon beinahe als Qual empfand. Tief sog er ihren Duft ein, als sei es der Duft einer exotischen Blume, dann tauchte er in sie ein, schmeckte sie und liebkoste ihre empfindsamste Stelle mit seiner Zunge, trank den Nektar, den sie für ihn fließen ließ.
Die Muskeln in ihrem Unterleib zogen sich zusammen, ein leises Stöhnen drang aus ihrer Kehle. Er hörte es nicht, er nahm ihre Hüften in beide Hände und hob sie noch näher zu sich.
Draußen rauschte der Regen, aber Cammie und Reid vergaßen alles um sich herum. Mit eifrigen Lippen und suchenden Händen, von verzehrendem Verlangen und unerfüllter Sehnsucht getrieben, erforschten sie einander. Im Schein der silbernen Blitze ertasteten sie die federnde Härte und die nachgiebige Sanftheit ihrer Körper, lernten sie einander kennen, und fanden heraus, wie sie einander die größtmögliche Verzückung schenken konnten.
Sie sprachen nur im Flüsterton. Voller Anteilnahme und Zärtlichkeit suchte jeder in seinem Herzen nach einem Weg, um dem anderen kurze Augenblicke vergänglichen Glücks zu schenken. Und dabei weckten sie eine Sehnsucht füreinander, die in ihrer Kraft Gefühle freisetzte, die so weit über bloße Lust hinausgingen, dass sie für diese eine Nacht als Ersatz für Liebe dienten.
Cammie strich über seine Seite, streichelte die verbLassten Spuren einiger alten Narben. Dann glitt ihre Hand tiefer und schloss sich um Reids Hüfte, kratzte zart mit den Fingernägeln darüber. Er erschauerte und keuchte leise. Sie küsste seine Schulter, biß sanft zu und leckte dann über die Stellen, an denen sich ihre Zähne in sein Fleisch eingegraben hatten, schmeckte seine salzige Haut. Er streichelte sie mit diesen langen, schlanken Fingern, nach denen sie sich gesehnt hatte, die sie auf ihrer nackten Haut hatte fühlen wollen. Mit einem unverständlichen Murmeln spannte sie sich an in seinen Armen und drängte sich gegen ihn, gefangen in einem wilden, alles auslöschenden Verlangen.
Er brauchte kein weiteres Zeichen mehr. Er schob ein Knie zwischen ihre glatten Schenkel, spreizte sie weit auseinander und drängte seinen harten Schaft in ihren sanften, feuchten Schoß.
Cammie erschauerte unter dem Ansturm des heißen Glücksgefühls, das ihre wilde Vereinigung in ihr weckte. Sie wollte ihn tief in sich fühlen, deshalb öffnete sie sich ihm ganz, voll zitternder Freude. Er erfüllte ihren Wunsch, langsam drang er noch tiefer in sie ein, zog sich zurück, neckte sie und führte sie höher und höher, zum Gipfel der Ekstase, ließ sie eine Verzückung erleben, wie sie sie nie zuvor gekannt hatte.
Sie bäumte sich ihm entgegen, bewegte sich im gleichen Rhythmus wie er. Noch tiefer drang er in sie ein, schneller und immer schneller. Sie kam seinen Stößen entgegen, fühlte sich unter seinem Ansturm wie geschmeidiger Ton, der sich zum perfekten Behältnis für seine stürmische Lust formte. Ihre Körper glühten vor Hitze, wurden feucht vor Schweiß. In der schwarz-silbernen Welt des Gewitters starrten sie einander an, voll wildem, beinahe verzweifeltem Verlangen.
Die Erlösung kam unerwartet, plötzlich, in einer berauschenden Erfüllung. Es schien, als schwebten sie auf Schwingen der Lust, von allem losgelöst, pulsierten im Takt dieser vollendeten Herrlichkeit, die der Pulsschlag des Lebens selbst ist. Sie hielten sie fest und kosteten sie aus bis zum Ende.
Lange danach lagen sie benommen beieinander, schwer atmend und erschöpft, mit zitternden Körpern. Schließlich stützte Reid sich auf und hob sich von ihr. Er strich Cammies langes Haar von seiner Schulter und aus ihrem Gesicht. Dann nahm er eine Strähne ihres Haares und zog sie über ihren Rücken, als wolle er ausprobieren, wie lang sie war, dann ließ er seine Hand auf ihrem Rücken ruhen, dort, wo die Haarsträhne endete.
Draußen trommelte der Regen noch immer herab, in einem Rhythmus, der wie ein Echo ihres Herzschlages war. Die Blitze waren nur noch ein entferntes, schwaches Wetterleuchten.
Reid spreizte die Finger und rieb mit der Handfläche sanft über ihren Rücken. »Es tut mir leid«, sagte er leise. »Ich wollte dich nicht so sehr drängen.«
»Hast du das getan?« fragte sie mit leiser, zweifelnder Stimme.
Er lachte, und sie fühlte seinen warmen Atem auf ihren Brüsten, und ihre Brustspitzen richteten sich auf unter dieser
Berührung. »Ein wenig«, gab er zu. »Es ist schon sehr lange her für mich.«
»Für mich auch«, gestand Cammie. Sie bewegte sich ein wenig und legte den Zeigefinger auf seine flache Brustwarze. Sanft rieb sie darüber und betrachtete mit schläfrigem Blick, in dem sich noch die Erinnerung an das soeben erlebte Entzücken widerspiegelte, wie sie sich zusammenzog. Sie hielt mitten in der Bewegung inne. »Es ist mehr als ein Jahr vergangen, seit ... aber das andere, das Beste, das habe ich noch nie erlebt.«
Er hob den Kopf, seine Stimme klang gepreßt. »Noch nie?«
Sie schüttelte leicht den Kopf. »Keith ...«
»... war ein selbstsüchtiger Schuft«, beendete er den Satz für sie. »Und er war ein Dummkopf.«
»Er glaubte zu wissen, was er tat, aber er wusste es nicht. Du weißt es.« Sie barg ihr errötendes Gesicht in seiner Halsbeuge, versteckte es dort. Dies war ein Geheimnis, das sie noch niemandem zuvor anvertraut hatte.
»Beim nächsten Mal wird es noch besser sein«, sagte er leise.
»Wirklich?« fragte sie ungläubig.
»Ich glaube, das ist möglich.« Humor und gleichzeitig auch Verwunderung schwangen in seiner Stimme mit. Er legte seine Hand an ihre Wange und hob ihr Gesicht zu sich hoch, bis ihre Lippen einander berührten. »Sollen wir es ausprobieren?«