7

›You’re my baby, baby, baby - oh yeah. You’re my sunshine, sunshine, sunshine - oh yeah. You’re my …‹ krzzzzzzfghtntrzzzzzz ›… hat der Bundeskanzler zum Gedenken an die jüdischen Opfer des Nationalsozialismus einen Hut aufgesetzt. Bundespräsident Richard von Weizsäcker, ebenfalls bei der Veranstaltung zugegen, sagte anschließend, Die Frage ist doch, ob wir nicht alle Menschen sind? Und da sage ich ganz ausdrücklich: Ja! Ja, wir sind alle Menschen. Das Wetter …‹ krzzzzzzzerbgrngnzzzzzz ›… in in der Ferne leuchten zwei Sterne, ich hab dich so gerne, als wär’n wir zwei Sterne, dort in der Ferne …‹ krzzzzzzzzzfghnlrtz-zzzzzzz … ›jetzt mal zur rein technischen Frage, Herr Fips. Ich meine, wie können Sie sich auf Ihren zu lesenden Text konzentrieren, während Sie gleichzeitig versuchen, mit Ihrer Stirn ein Loch in die Tischplatte zu schlagen? Schon allein vom Rhythmus …‹ ›In meinem Herzen wohnt ein Maschinengewehr, und meine Texte sind Salvenfeuer im Dunkel der Zukunft.‹ ›… ja, mhmhm, sehr hübsch. Aber Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Vielleicht könnten Sie in dem Zusammenhang auch ein Wort zu den Sichtverhältnissen sagen. Was machen Sie, wenn Ihnen das Blut über die Augen läuft? Haben Sie so Schweißmanschetten zum Abwischen wie Tennisspieler, oder spritzt das zu den Seiten weg?‹ ›In meinem Herzen wohnt ein Maschinengewehr, und meine Worte sind Salvenfeuer im Dunkel der Zukunft - wenn Sie wollen, kann ich dazu eine Versfolge, die auch Ihre Frage beantworten wird, vortragen.‹ ›Äh … na ja, warum nicht. Allerdings, bitte keine Flecken auf den Teppich …‹ krzzzzzzzfgnerzzzz … ›gestrige Rede des Bundespräsidenten, Freude durch Frieden, zum Auftakt des Natomanövers Friendly Touch fand national wie international großen Anklang …‹

Ich drehte ab. Beim Radio müßte man arbeiten. Es gibt wohl kaum etwas, was zum Bessermachen stärker animiert, und ich kenne wenige, die nicht mindestens hundertmal am Steuer oder hinterm Ladentisch überlegt haben, wie sich ein vernünftiges Programm anhören müßte. Wahrscheinlich überlegen das sogar die Leute, die tatsächlich beim Radio arbeiten; sitzen vorm Plattenteller, schmeißen ›Tommy und die Oberländer Gaudibläser‹ drauf und denken, beim Radio müßte man arbeiten.

Zwanzig Kilometer später passierte ich das Dietzenbacher Ortsschild. Ich fuhr den Opel an den Rinnstein, stieg aus und schaute mich um. Ein Vogel, irgendwo ein Moped und irgendwo anders ein Rasenmäher. Als würden sämtliche Bewohner ihre Stadt beerdigen. Der Leichnam lag hergerichtet vor mir: gewienerte Gardinenfenster, glänzende Briefkästen, Vorgärten wie nach Schnittmustern angelegt, keimfreie Bürgersteige. Die abgestellten Autos vermittelten den Eindruck, als kämen sie gerade aus der Styroporverpackung. Ich mag deutsche Kleinstädte. Sie geben mir das Gefühl, ein paar Sachen richtig gemacht zu haben. Berufsverkehr, Winterschlußverkauf, lärmende Nachbarn, und auch die Bauarbeiten zur Erweiterung der Frankfurter U-Bahn direkt unter meinem Fenster schon seit über einem Jahr erschienen hier in ganz neuem Licht.

Ich lief etwa fünfzig Meter die Straße hinunter bis zu einem Jägerzaun und einem Mann, der das Nummernschild seines BMW mit einer Zahnbürste säuberte.

»Guten Tag.«

Der Mann blickte hoch und bekam diesen Zug ins Gesicht, den sie alle bekommen, wenn sie neben ihrem Auto in ihrem Vorgarten hinter dem Jägerzaun stehen und glauben, einer könnte weniger oder gar nichts von dem haben, was sie haben. Mit der Zahnbürste wedelnd, kam er auf mich zu: »Nix brauchen, nix kaufen!«

»Hat er Karies oder stinkt er einfach nur’n bißchen aus dem Maul?«

»Wer stinkt hier?«

Mit geblähter Brust und vorgestrecktem Kinn blieb er vor mir stehen.

»Ihr Freund da, mit den Gummifüßen und dem Rohr im Arsch.«

Er wandte sich um und wieder zurück und betrachtete mich irritiert. Die Rechte lockernd, wie ein Gewichtheber, wiederholte er dann »Nix brauchen, nix kaufen«. Und nachdem ich keine Anstalten machte zu gehen, noch ein drittes Mal, brüllend für ganz Dietzenbach: »Nix brauchen, nix kaufen!«

»Ganz prima, aber das können wir jetzt. Zweite Lektion: Wie komme ich zum AFTER HOURS? Und wenn’s geht bißchen flüssiger.«

Er hielt inne in einer Bewegung, die alles mögliche hätte werden können. Langsam, einen Fuß hinter den anderen setzend, entfernte er sich Richtung BMW.

»Hau ab! Mach, daß du hier wegkommst!« Seine Stimme überschlug sich. »Du hast mich doch hoffentlich nicht angehustet, du…?!«

Mit der einen Hand simulierte ich, wie der Scheibenwischer funktioniert, mit der anderen fingerte ich einen Zettel aus der Hosentasche. »Hirschgraben siebzehn. Erklären Sie mir den Weg, oder ich spuck in Ihre Tulpen.«

Die Zahnbürste wie ein Kreuz vor die Brust haltend, lehnte er bleich am Kühler. »… geradeaus, zweite Ampel rechts, nach hundert Metern die rosa Leuchtreklame…«

»Vielen Dank.« Ich winkte. »Und immer schön Deutsch lernen. Man fühlt sich ja gar nicht mehr wie zu Hause.«

Eine schwere dunkelbraune Holztür mit verspiegeltem Guckloch, links die Getränkekarte, rechts ein messingfarbenes Viereck mit Klingelknopf, der Knopf aus Marmor. Ich klingelte, und eine Stimme von Band schnarrte ›Please wait; attendez s’il vous plaît; bitte warten!‹. Minuten später ging die Tür auf, und eine bleiche Viertelportion mit Damenbart und großen Augen klammerte sich an den Rahmen. Weiße Tennisschuhe, Jeans, ein opalschimmerndes Hemd, bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, Goldkettchen und ein Liter Schmiere im Haar.

»Bitte, was wünschen Sie?«

»Ich hätte gern den Chef gesprochen.«

Seine langen, mageren Finger trippelten nervös auf dem Holz.

»Gerhard ist leider nicht zu sprechen.«

»Ist er denn da?«

»Ich habe gesagt, er ist nicht zu sprechen.«

Ehe er die Tür zumachen konnte, hatte ich ihn beiseite geschoben und war in dem nach Alkohol und vollen Aschenbechern stinkenden Barraum. Die Stühle auf den Tischen, dazwischen ein Haufen leerer Gläser mit Fruchtstückchen und Strohhalmen, dahinter eine Art Kleinkunstbühne. Auf der Bühne lag der Rest einer riesigen rosa Torte und daneben schnarchte ein unrasierter Dicker in Reizwäsche. Zwei Neonröhren tauchten die Szene in fahles Licht. Außer der Eingangstür gab es noch drei weitere Türen. Auf der ersten stand ›Pool‹, auf der zweiten ›Safety first‹, auf der dritten ›Privat‹.

Jemand zog mich am Jackett. »Was fällt Ihnen ein! Machen Sie, daß Sie wegkommen!«

Ich drehte mich um und nahm die Viertelportion beim Hemdkragen. Er versuchte zu schlagen, aber ich hielt ihn mir mit der Rechten vom Körper weg. Mit der Linken deutete ich auf den Dicken.

»Ist das Gerhard?«

Keine Reaktion. Plötzlich rührte sich kein Muskel mehr an ihm. Die Augen starr geradeaus, hatte er beschlossen, den Mund zu halten.

»Hör mal, Kleiner, sag mir, wo dein Chef ist, oder du klebst an der Decke.«

Den Körper durchlief ein Zittern - aber das war auch alles. Er senkte den Kopf, als würde er sich dann eben für Gerhard an die Decke kleben lassen. Ich ließ ihn los, ging zu der Tür mit der Aufschrift ›Privat‹ und gelangte über eine eiserne Wendeltreppe in den Flur vom ersten Stock. Wieder drei Türen. Ich peilte die an, hinter der leise ein Radio spielte, und stieß sie auf. Zuerst überraschte mich die Sonne. Nach der Düsternis in Barraum und Flur hatte ich den Tag draußen fast vergessen. Dann die Büroeinrichtung: Computer, Telefax, jede Menge Telefone, Lampen, Bildschirme. Die dritte Überraschung war Gerhard selber, vielmehr die Sicherung seiner Pistole.

»Pfote hoch, mein Liebling.«

Ich hob die Arme und drehte mich langsam um. Er war groß, breit gebaut und gutgenährt. Vielleicht von allem eine Spur zuviel. Aus seiner solariumbraunen Fassade stachen zwei stahlblaue Augen, und von der Stirn über die Ohren bis zum Nacken kräuselte sich wasserstoffblonder Minipli. Eine Art Kalli Feldkamp in Leder. Die Füße steckten in amerikanisch beflaggten Turnschuhen.

»Ooh…«, er rollte mit den Augen, »… aan eschter Scheisch.«

Ich grinste müde. »Kann ich die Arme wieder runternehmen?«

»Wieso dann…? Machst disch doch gut so.«

Die Pistole im Anschlag, tänzelte er um mich herum. Als er wieder vor mir stand, schmatzte er laut. Ich sah zur Decke.

»Süß, werklisch süüß… wenn merr des Bäuscheische da noch wegtrainiere, un ’ne neue Frisur, bissi modernä, un was Nettes zum Aaziehe… aan Don Schonson werst freilisch nie, awwer so klaa Beleibtere hawwe ja aach ihrn Scharm, gell?«

»Meine Arme schlafen ein.«

»Die läßt du ma hübsch obbe, Süßä. Solang es nur die Arm sin…« Er zwinkerte mir vergnügt zu, setzte sich hinter den Schreibtisch und legte die Beine hoch. »… du mußt dein Typ mehr betone.«

»Und das wäre? ’ne Mischung aus Gerd Müller und Gaddhaffi?«

Er stieß einen Jubelseufzer aus, »Gadawwi! Mein Schwarm!« Und, die Augenlider auf Halbmast, »Auf den könnd isch tausend un aane Nacht - mindestens.« Er legte den Kopf schief, »… awwer an deiner Stell, isch würd mehr ins Rustikale gehn. Marineblau, Ämmel hochgegrämbelt, schwere Schuh - bist der Matrosetyp. «

»Ich werd dran denken. Im Augenblick suche ich aber eine Frau namens Sri Dao Rakdee. Sie soll sich hier aufhalten.«

Er stutzte, »E Fraa…?!«, und zog eine Grimasse, als sei ihm der Teufel persönlich über den Weg gelaufen. Dann hellte sich sein Gesicht plötzlich wieder auf und er bleckte eine Reihe weißer Jackettkronen.

»Du meinst die Dolores, unsern Transi! Die is awwer heut net da.«

»Nein, ich meine nicht Dolores. Ich meine… ach, leck mich doch am Arsch.«

Ich ließ die Arme sinken und zog meine Zigaretten aus der Tasche. Entgeistert verfolgte er, wie ich das Streichholz auswedelte und es in seinen Stiftehalter schnippte.

»Und nun? Wollen Sie jemanden abknallen, nur weil er ohne anzuklopfen in Ihr Büro gelatscht ist? Ich bin hier, weil ich eine Frau suche - ich meine, die ist schon so geboren, klar? Jetzt sagen Sie mir einfach, ob sich so ein Wesen hier aufhält oder nicht?«

Ganz langsam verschwanden die Beine vom Tisch. Er setzte sich auf und umfaßte die Pistole mit beiden Händen. Sie zielte auf meine Stirn. Die eben noch glänzenden Augen waren trocken und kalt, die Stimme schneidend.

»Merr sin net etwa ’n Bulle?«

»Seh ich so aus?«

Er zog die Oberlippe verächtlich hoch.

»Wie e klaa versoffene Ratt siehst aus.«

Der Himmel hatte sich verdunkelt, und ein Gewitter war im Anrollen. Mein Bedarf an halbseidenen Schwätzern war für heute gedeckt.

Ich deutete auf seine Nase: »Da hängt Ihnen was raus.« Im ersten Moment schien er nicht zu verstehen. Dann faßte er sich reflexartig ins Gesicht und schielte nach unten. Der erste Schlag riß ihm die Pistole aus der Hand, der zweite beschädigte sein braungebranntes Kinn, und ein dritter ließ ihn nach Luft schnappen.

Ich nahm die Pistole und setzte mich auf die Schreibtischkante. »… so, und jetzt probieren wir das noch mal von vorn. Ist die Frau hier?«

In den Sessel gekrümmt, die eine Hand am Unterkiefer, die andere auf dem Bauch, starrte er mich ungläubig an. Schließlich bewegte er vorsichtig den Kopf hin und her und stöhnte: »Du hast ’ne Meise.«

»Ja oder nein reicht schon. Wird hier mit gefälschten Ausweisen gehandelt?«

»Gefälschte Aasweis?!« Er löste die Hand vom Kiefer und fuhr über die High-Tech-Landschaft. »Isch verdien ’ne halbe Million im Jahr, nur annä Börs. Was sollt isch dann so’n Scheiß mache?«

»Es ging Ihnen aber ziemlich nahe, die Idee, ich könnte ein Bulle sein.«

»Na und? Isch mag eusch Jungs nu ma net. Is köbberlisch. Un weil du iwwerhaapt kaa Rescht hast, hier rein zu komme. Die Geschischt is drei Jahr her. Der Laden is absolut saubä, net mal ’n verbodenes Viddeo.«

»Welche Geschichte?«

»Ei, tu doch net so schlau! Die mit dem Bürschche da. Kaa seschzehn, oddä was er war - des hinnerlistische…«

Mitten im Satz ging unterm Minipli die Sonne auf. Und während ich noch überlegte, was ihn plötzlich so glücklich machte, schlug bei mir der Blitz ein, durchs Rückgrat geradewegs in die Fußspitzen. Einen grellen Schein im Kopf und das Gefühl, ins Nichts zu fallen, hörte ich von weither seine Stimme: »Komm her, mein Schatz, dadefier hast du aan Kuß verdient.«

Ein endloser steiler Abhang, und ich fuhr wie der Teufel. Niemand und nichts konnte mich aufhalten. Nicht mal ich selber. Alles war weiß. Kein Himmel, keine Sonne, kein Baum. Nur weiß. Die Bretter trugen mich so schnell über den Schnee, daß mir keine Zeit blieb zu atmen. Stöcke hatte ich nicht. Es ging abwärts, immer weiter abwärts, das Herz rutschte mir in den Kopf. Doch auf einmal war gar nichts mehr weiß, sondern alles war schwarz, und am Ende ein riesiger Abgrund. Ich konnte nicht stoppen, mein Körper war wie gefühllos, und ein betäubendes Geräusch legte sich über alles. Ein Sausen wie von tausend Feuerstürmen.

Ich schlug die Augen auf. Keine zwanzig Zentimeter vor mir fuhr ein Staubsauger hin und her. Dahinter, in der einen Hand den Staubsaugergriff, in der anderen eine Pistole, die Viertelportion. Seine großen Augen betrachteten mich traurig. Ich versuchte, meinen Kopf zu bewegen. Es war, als hätte mir einer ein Messer in den Nacken gesteckt. Vorsichtig hievte ich mich auf den Hosenboden. Sie hatten mich in eine Ecke vom Barraum gekehrt. Die schmutzigen Gläser waren verschwunden, die Stühle auf dem Boden, und es roch nach Veilchen. Der Staubsauger umkurvte meine Füße. Ich kniff die Augen zusammen.

»Is nich langsam sauber genug? Oder kommt Mutti zu Besuch?«

Das Ungeheuer weiter hin und her schiebend, zischte er: »Verpiß dich. Ich mach meine Arbeit.«

Die Pistole schwenkte Richtung Eingangstür. Ich nickte gequält.

»Schon gut, schon gut.«

Ich war sicher nicht der erste und auch nicht der letzte, der schlechte Witze über ihn riß. Ich malte mir aus, wie Ledermaxen vom Schlage Gerhards tagtäglich auf ihm rumtrampelten. Wahrscheinlich brachte er irgendwann einen von ihnen um, und ganz bestimmt würde er sich dabei erwischen lassen. Im Knast würden dann wieder alle auf ihm rumtrampeln und so weiter. Bis in die Kiste. Hier endet der Trampelpfad, müßte auf seinem Grabstein stehen, falls er einen bekäme.

Fünf Minuten später kam ich auf die Beine und betastete die blutige Kruste an meinem Hinterkopf.

»Hast ja ’n ganz schönen Wumm in den Armen, Kleiner.«

»Ich hab gesagt, verpiß dich.«

Ich seufzte, tippte mir an die Stirn und wankte zur Bar. Kopf, Bauch, überhaupt alles in mir, was stimmberechtigt war, verlangte nach Schnaps. Ohne zu fragen, setzte ich eine Flasche Scotch an den Hals und als ich sie irgendwann absetzte, war aus dem Messer im Nacken ein Gummipfeil geworden. Am Thekenende saß der Dicke in Reizwäsche und starrte dumpf in meine Richtung. Schließlich hob er die Hand und winkte verstohlen. »Hätten Sie vielleicht Lust, ein Glas mit mir zu trinken?«

Ich zwinkerte zurück, »Tut mir leid, hab meine Tage«

und stolperte hinaus in den Regen.

»Gina?«

»Ja.«

»Hier Kayankaya…«

Sie lachte, und wir wechselten ein paar Takte über eine gemeinsame Bekannte, mit der sie den gestrigen Abend verbracht hatte und die recht ausführlich über mein angebliches Balzverhalten getratscht haben mußte. Gina und Slibulsky gehörten seit über sieben Jahren zusammen, und bis auf gelegentlichen Streit, klappte das hervorragend. Dabei fragte man sich, wie sie überhaupt den selben Gehweg benutzen konnten. Gina, knapp dreißig, studierte Archäologie, rettete Robben, las dicke Bücher und war nebenher Lehrerin an einer Tanz-  und Benimmschule für höhere Töchter. Zum Geldverdienen, behauptete sie. Ich war mir da nicht immer sicher. Unvergessen der Abend, an dem sie mir erklären wollte, wie Servietten gefaltet werden und warum. Auf der anderen Seite scherte sie Slibulskys Lebenswandel ebensowenig, wie es ihr egal war, ob sich außer ihr noch jemand für alte halbe Vasen interessierte.

»… hör mal, Gina, Slibulsky hat mir erzählt, er hätte sich den Arm auf ’ner Treppe gebrochen. Weißt du zufällig, auf welcher Treppe?«

»Na, im Puff.«

»Genauer hat er das nicht beschrieben?«

»Nein.«

»Mhm. Und diese Erbschaft von der Tante in Berlin, weißt du da was drüber?«

»Was soll’s da zu wissen geben? Hat er seine Schulden mit bezahlt. Warum?«

»Ach… nur so.«

»Is irgendwas?«

Der Regen trommelte wie Golfbälle gegen die Scheiben, und um die Telefonzelle herum hatte sich ein kleiner See gebildet.

»… nein, nein, ich… ich will ihm nur ’n Steuerberater vermitteln, und der braucht paar Vorinformationen… Was für Schulden waren das denn?«

Sie pustete schnippisch. »Schulden eben.«

»Und wie hoch war die Erbschaft?«

»Fünfzigtausend.«

Jetzt pustete ich. »Wann hat er die bekommen?«

»Im Januar. Aber die Steuern waren schon abgezogen.«

»… ach so - ja, dann wird das den Steuerberater wohl kaum interessieren… Danke, Gina, und behalt das Gespräch für dich. Ich will Slibulsky die Beratung sozusagen… na, zum Geburtstag schenken.«

»Mußt es ja dicke haben.«

»Ja, ja, im Moment… Also, bis bald.«

Der Himmel schien immer schwärzer zu werden. Eine Weile starrte ich vor mich hin, bis ich die Tür aufzog und über die Pfützen zum Wagen sprang. Vielleicht war Frau Olga eine Schreckschraube, aber unter Hirngespinsten litt sie nicht.