DER FÜRST DER VORSICHT

Großherzog Rogont hatte sein Hauptquartier im kaiserlichen Badehaus aufgeschlagen. Das Gebäude zählte noch immer zu den größten in Puranti und überschattete die Hälfte des Platzes, der östlich der alten Brücke lag. Aber wie der Rest der Stadt hatte auch dieses Haus bessere Zeiten gesehen. Ein Teil des Giebels und zwei der sechs mächtigen Säulen, die ihn einmal getragen hatten, waren schon vor Generationen zusammengebrochen, und die Steine hatte man für die schlecht zusammengefügten Mauern neuerer, weniger großzügiger Gebäude weggetragen. Das fleckige Mauerwerk war mit Gras, abgestorbenem Efeu und sogar einigen hartnäckigen kleinen Bäumen bewachsen. Wahrscheinlich hatte man den Bädern zur Zeit ihrer Entstehung größere Bedeutung beigemessen, bevor man in Styrien dazu übergegangen war, sich hauptsächlich gegenseitig umbringen zu wollen. Glückliche Zeiten, da es die größte Sorge der Menschen war, das Wasser warm genug zu halten. Das verfallende Gebäude sprach flüsternd von den ruhmreichen Jahren längst vergangener Zeiten, aber es dokumentierte gleichzeitig Styriens langen Niedergang.

Oder hätte es dokumentiert, wenn Monza einen Scheiß auf so etwas gegeben hätte.

Es waren andere Dinge, die sie beschäftigten. Sie wartete darauf, dass sich beim Rückzug von Rogonts Heer eine Lücke zwischen einer vorübermarschierenden Kompanie und der nächsten ergab, nahm die Schultern zurück und stolzierte über den Platz. Dann schritt sie die gesprungenen Stufen des Badehauses hinauf und versuchte dabei, so lässig und selbstbewusst wie früher zu gehen, obwohl ihr verkrüppelter Hüftknochen in seinem Gelenk knackte und Stiche durch ihren Hintern schickte. Sie schob die Kapuze zurück und richtete die Augen fest auf den vordersten Wachmann, einen grauhaarigen Altgedienten, breit gebaut wie ein Scheunentor, mit einer Narbe auf einer farblosen Wange.

»Ich muss mit Herzog Rogont sprechen«, sagte sie.

»Natürlich.«

»Ich bin Mon… was?« Sie hatte erwartet, jede Menge erklären zu müssen. Wahrscheinlich ausgelacht oder an einem der Pfeiler aufgeknüpft zu werden. Aber nicht hereingebeten.

»Sie sind Generalin Murcatto.« Der Mann verzog seinen Mund auf eine Weise, die ein wenig an ein Lächeln gemahnte. »Und Sie werden erwartet. Den Degen muss ich Ihnen aber einstweilen abnehmen.« Sie machte ein finsteres Gesicht, als sie ihm die Klinge reichte, und ihr gefiel das Ganze weniger, als wenn man sie mit Tritten die Straße hinuntergejagt hätte.

In der marmornen Halle befand sich ein großes, von hohen Säulen umstandenes Becken, dessen Wasser deutlich faulig roch. Ihr alter Feind Großherzog Rogont, in schlichter grüner Uniform, grübelte mit nachdenklich gespitzten Lippen über einer Karte, die auf einem Klapptisch lag. Um ihn scharte sich ein Dutzend Offiziere, die genug Goldfäden am Leib hatten, um ein Frachtschiff damit aufzutakeln. Einige von ihnen sahen auf, als sie an dem stinkenden Wasser vorbei auf sie zuging.

»Das ist sie«, hörte sie einen sagen, der die Lippen verächtlich schürzte.

»Mur … cat … to«, raunte ein anderer, als sei ihr Name Gift. Für diese Männer war das sicherlich auch so. Denn sie waren es, die sie die letzten Jahre zum Narren gehalten hatte, und je mehr sich ein Mann zum Narren macht, desto weniger möchte er wie ein Narr aussehen. Dennoch: Der General mit der kleinsten Truppe ist stets gut beraten, in der Offensive zu bleiben, hieß es bei Stolicus. Also schritt sie ohne erkennbare Eile weiter, den Daumen ihrer verbundenen linken Hand locker in den Gürtel gehängt, als sei dies hier ihr Bad und sie diejenige, die über alle Klingen gebot.

»Wenn das hier nicht der Fürst der Vorsicht ist, Herzog Rogont. Wohl getroffen, Euer Bedachtsamkeit. Eine stolz dreinblickende Gruppe von Kameraden haben Sie hier um sich geschart, wenn man bedenkt, dass diese Männer sieben Jahre lang den Rückzug geprobt haben. Aber immerhin sind Sie ja heute nicht auf dem Rückmarsch.« Das ließ sie einen Augenblick einwirken. »Ach, warten Sie. Sind Sie ja doch.«

Einige Offiziere reckten prompt hochmütig das Kinn vor, und ein oder zwei blähten die Nasenflügel. Aber die dunklen Augen Rogonts hoben sich unaufgeregt von der Karte, vielleicht ein wenig müde, aber immer noch aufreizend gut aussehend und gelassen. »Generalin Murcatto, welch ein Vergnügen! Ich wünschte, wir hätten uns nach einer großen Schlacht treffen können, und am liebsten hätte ich Sie dann als unterwürfige Gefangene vor mir gesehen, aber meine Siege waren leider nicht sehr zahlreich.«

»So selten wie Sommerschnee.«

»Während Sie in Ruhm gewandet wurden. Ich fühle mich unter Ihrem Siegerblick geradezu nackt.« Er warf einen Blick zum Ende des Saales. »Aber wo sind jetzt nur Ihre alles erobernden Tausend Klingen?«

Monza fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. »Der Getreue Carpi hat sie sich von mir ausgeliehen.«

»Ohne zu fragen? Wie … unhöflich. Ich fürchte, Sie sind viel zu sehr Soldat und zu wenig Politiker. Ich fürchte, ich bin das Gegenteil. Worte mögen mächtiger sein als Klingen, wie Juvens einmal sagte, aber ich habe inzwischen teuer für die Erkenntnis zahlen müssen, dass es Zeiten gibt, in denen spitzes Metall durch nichts zu ersetzen ist.«

»Wir leben in den Blutigen Jahren.«

»In der Tat. Wir alle sind die Gefangenen unserer Lebensumstände, und diese Umstände haben mir ein weiteres Mal keine andere Möglichkeit als den bitteren Rückzug gelassen. Der edle Lirozio, Herzog von Puranti und Besitzer dieses wunderbaren Badehauses, war ein so standhafter und kriegerischer Verbündeter, wie man ihn sich nur wünschen konnte, solange Herzog Orsos Macht sich nur bis zu den Stadtmauern von Musselia erstreckte, viele Wegstunden entfernt. Sie hätten hören sollen, wie er mit den Zähnen knirschte und wie sein Degen danach dürstete, aus der Scheide zu fahren und heißes Blut zu vergießen.«

»Männer reden gern über das Kämpfen.« Monza ließ den Blick über die trotzigen Gesichter von Rogonts Beratern gleiten. »Manche kleiden sich auch gern entsprechend. Aber es ist dann doch etwas anderes, Blut auf die Uniform zu bekommen.«

Zornige Kopfbewegungen bei einigen der Pfauen, aber Rogont lächelte nur. »Das habe ich inzwischen ebenfalls bedauernd festgestellt. Inzwischen wurden dank Ihnen die Stadtmauern von Musselia gestürmt, dank Ihnen fiel Borletta, und auch Visserine wurde niedergebrannt. Das Heer von Talins, das eindrucksvoll von Ihren früheren Kameraden, den Tausend Klingen, unterstützt wird, plündert inzwischen das Land direkt vor Lirozios Schwelle, und die Begeisterung unseres braven Herzogs für Trommeln und Trompeten ist längst stark geschwunden. Mächtige Männer sind so unbeständig wie das dahinströmende Wasser. Ich hätte mir schwächere Verbündete suchen sollen.«

»Ist jetzt ein bisschen spät dafür.«

Der Herzog blies die Backen auf. »Zu spät, zu spät, das wird einmal auf meinem Grabstein stehen. Bei Föhrengrund kam ich zwei Tage zu spät, und der hitzige Salier hatte bereits ohne mich gekämpft und verloren. Und daher war Caprile hilflos Ihrem wohl dokumentierten Zorn ausgesetzt.« Das war eine närrische Darstellung dieser Geschichte, aber Monza sagte dazu einstweilen nichts. »In Musselia traf ich mit all meinen Mannen ein und war bereit, die großen Mauern zu verteidigen und die Pforte von Etris gegen Sie zu halten, aber ich musste feststellen, dass Sie die Stadt bereits einen Tag zuvor eingenommen und völlig ausgeplündert hatten, um sich selbst hinter der großen Stadtmauer zu verschanzen.« Das war eine noch größere Verdrehung der wahren Ereignisse, aber Monza hielt ihre Zunge im Zaum. »Am Hohen Ufer dann wurde ich unvermeidlich vom verspätet eintreffenden General Ganmark aufgehalten, während Herzog Salier, ebenfalls verspätet, fest entschlossen war, sich nicht noch einmal von Ihnen übertölpeln zu lassen, und dann doch erneut zum Narren gehalten wurde. Sein Heer wurde in alle Himmelsrichtungen zerstreut wie Spreu von einem starken Wind. Und Borletta …« Er schob sich die Zunge zwischen die Lippen, deutete mit dem Daumen auf den Boden und machte ein lautes Furzgeräusch. »Und der tapfere Herzog Cantain …« Er zog mit dem Finger eine Linie über seine Kehle und blies noch einmal durch Zunge und Lippen. »Zu spät, zu spät. Sagen Sie mir, Generalin Murcatto, wie kommt es, dass Sie stets als Erste auf dem Schlachtfeld sind?«

»Ich stehe früh auf, gehe vor dem Morgengrauen kacken, achte darauf, in die richtige Richtung zu schauen, und lasse mich von nichts aufhalten. Und ich versuche natürlich auch wirklich, das Schlachtfeld zu erreichen.«

»Was wollen Sie damit sagen?«, verlangte ein junger Mann neben Rogont zu wissen, der noch zornesröter aussah als die anderen.

»Was ich damit sagen will?«, äffte sie ihn nach und zog ein Idiotengesicht, bevor sie sich wieder an den Herzog wandte. »Dass Sie Föhrengrund hätten erreichen können, aber beschlossen, lieber zu trödeln. Denn Sie waren sich völlig darüber im Klaren, dass der stolze, dicke Salier lospissen würde, bevor er sich die Hosen vernünftig heruntergezogen hatte, und höchstwahrscheinlich seine ganze Kraft verschwenden würde, ob er nun gewann oder nicht. Er verlor und sah aus wie ein Narr, während Sie als der weisere Partner dastanden, genau, wie Sie gehofft hatten.« Nun war es Rogont, der vorsichtig schwieg. »Zwei Feldzüge später hätten Sie die Pforte von Etris pünktlich erreichen und gegen die ganze Welt verteidigen können, aber es passte Ihnen besser in den Kram, zu zaudern, auf dass ich den stolzen Musselianern jene Lektion einprügelte, die sie Ihrer Meinung nach lernen mussten. Nämlich, Eurer Vorsichtigkeit gegenüber bescheiden aufzutreten.«

Stille lag nun über dem ganzen Saal, während ihre Stimme schneidend weitersprach. »Wann haben Sie gemerkt, dass Ihnen die Zeit davonlief? Dass Sie so lange gezögert hatten, bis Ihre Verbündeten zu sehr geschwächt und Orso zu stark geworden war? Zweifelsohne wären Sie beim Hohen Ufer tatsächlich gern einmal rechtzeitig erschienen, aber da kam Ihnen Ganmark in die Quere. Und um den treuen Verbündeten zu spielen, war es da …« Sie beugte sich vor und flüsterte die nächsten Worte: »Zu spät . Ihre ganze Politik war darauf ausgerichtet, dass Sie die stärkste Partei sein würden, wenn der Achterbund siegte, und damit selbstredend der führende Kopf. Eine großartige Idee, auch sehr sorgfältig umgesetzt. Schade nur, dass schließlich Orso gewann, und der Achterbund …« Sie schob die Zunge zwischen die Lippen und schickte den versammelten Perlen der Mannhaftigkeit einen lauten Furz hinüber. »So viel für zu spät, Ihr Arschlöcher.«

Der von der ganzen Brut am auffälligsten gekleidete Offizier kam mit geballten Fäusten auf sie zu. »Ich werde mir kein weiteres Wort davon mehr anhören … Sie Teufelin! Mein Vater ist bei Föhrengrund gefallen!«

Offenbar hatte jeder ein Unrecht zu rächen, das ihm angetan worden war, aber Monza hatte zu viele eigene Wunden, um von denen anderer berührt zu sein. »Vielen Dank«, sagte sie.

»Was?«

»Da Ihr Vater vermutlich zu meinen Feinden zählte und der Sinn einer Schlacht darin besteht, seine Feinde zu töten, verstehe ich seinen Tod als ein Kompliment. Das sollte ich einem Soldaten doch wohl nicht erklären müssen.«

Das Gesicht des Offiziers zeigte weiße und rosafarbene Flecken. »Wenn Sie ein Mann wären, würde ich Sie auf der Stelle töten.«

»Wenn Sie ein Mann wären, meinen Sie wohl. Aber nun, da ich Ihnen den Vater nahm, ist es wohl nur gerecht, wenn ich Ihnen etwas zurückgebe.« Sie rollte ihre Zunge ein und spuckte ihm ins Gesicht.

Er stürmte ungeschickt auf sie zu und wollte sie mit den Händen angreifen, ganz, wie sie vorhergesehen hatte. Ein Mann, der derart mühsam zu provozieren ist, wird mit aller Wahrscheinlichkeit nicht allzu ängstlich sein, wenn er dann schließlich losschlägt. Sie war bereit, wich ihm aus, packte ihn am oberen und unteren Rand seines vergoldeten Brustpanzers, nutzte sein eigenes Gewicht, um ihn herumzuwirbeln, und stellte ihm gut kalkuliert ein Bein. Als er hilflos an ihr vorbeistolperte, weit vornübergebeugt, halb laufend und halb stürzend, packte sie den Griff seines Degens und riss ihm die Waffe von seinem Gürtel. Er kreischte auf, als er ins Wasserbecken stürzte und eine Fontäne schimmernder Gischt emporsteigen ließ, und sie fuhr mit gezückter Klinge herum.

Rogont rollte mit den Augen. »Oh, um Himmels …« Seine Männer rannten an ihm vorbei, zogen allesamt ihre Degen und warfen in ihrem Eifer, Monza zu erledigen, beinahe das Kartentischchen um. »Weniger Eisen, meine Herren, ich muss doch sehr bitten. Weniger Eisen!« Der Offizier war inzwischen wieder aufgetaucht oder bemühte sich zumindest darum, er planschte und schlug um sich, wobei ihn das Gewicht seiner schmuckvollen Rüstung nach unten zog. Zwei von Rogonts Adjutanten beeilten sich, ihn aus dem Becken zu ziehen, während sich die anderen nun Monza näherten und sich dabei gegenseitig behinderten, weil jeder ihr den ersten Stich versetzen wollte.

»Sollten Sie jetzt nicht den Rückzug antreten?«, zischte Monza, die zurückwich und Deckung zwischen den Säulen suchte.

Der Mann, der ihr am nächsten stand, vollführte einen Hieb. »Stirb, du verdammte …«

»Genug!«, donnerte Rogont. »Genug! Genug!« Seine Männer zogen Gesichter wie unartige Kinder, die man ermahnt hat. »Keine Fechtübungen im Bad, um Himmels willen! Wie viel Schande muss ich denn noch erleben?« Er stieß einen langen Seufzer aus und wedelte mit einer Hand. »Lassen Sie mich allein, Sie alle!«

Der Schnurrbart des vordersten Adjutanten sträubte sich vor Entsetzen. »Aber Euer Exzellenz, mit dieser … widerlichen Kreatur?«

»Keine Sorge, ich werde schon überleben.« Er hob eine Augenbraue. »Schließlich kann ich schwimmen. Und jetzt hinaus, bevor jemand sich verletzt. Husch! Raus!«

Zögernd schoben sie die Degen wieder in die Scheiden und verließen brummend den Saal. Der durchnässte Offizier hinterließ dabei eine schmatzende Spur nasser Wut. Grinsend warf Monza seinen vergoldeten Degen in das Becken, wo er mit einem Platschen versank. Vielleicht nur ein kleiner Sieg, aber sie musste sich in diesen Tagen an dem erfreuen, was sie erreichen konnte.

Rogont wartete schweigend, bis sie allein waren, dann seufzte er schwer. »Du hattest mir gesagt, dass sie kommen würde, Ischri.«

»Es ist gut, dass ich nicht müde werde, immer wieder recht zu haben.« Monza zuckte zusammen. Eine dunkelhäutige Frau lag rücklings in einer hohen Fensternische, einen guten Schritt oder zwei über Rogonts Kopf. Die Beine hatte sie überkreuz gegen die Wand gestützt, ein Arm und ihr Kopf hingen von dem schmalen Sims, so dass sie beinahe kopfüber zu ihnen hinabsah. »Denn es geschieht oft.« Sie ließ sich rückwärts hinabgleiten, wirbelte erst im letzten Augenblick herum und landete geräuschlos auf allen vieren, elegant wie eine Echse.

Monza war sich nicht sicher, wieso sie die Frau nicht schon von Anfang an gesehen hatte, aber dieser Umstand gefiel ihr nicht. »Was sind Sie? Eine Akrobatin?«

»Oh, nichts so Romantisches. Ich bin der Ostwind. Sie können sich meine Wenigkeit als einen der vielen Finger an Gottes rechter Hand vorstellen.«

»Sie reden genug Unsinn, um Priester zu sein.«

»Oh, nichts so Trockenes und Verstaubtes.« Ihre Augen glitten zur Decke. »Ich bin auf meine Art leidenschaftlich gläubig, aber nur Männer nehmen das Gewand, Gott sei es gedankt.«

Monza runzelte die Stirn. »Eine Agentin des gurkhisischen Imperators.«

»Agent klingt so … hinterlistig. Imperator, Prophet, Kirche, Staat. Ich würde mich eine bescheidene Vertreterin der südlichen Mächte sehen.«

»Was bedeutet Styrien diesen Mächten?«

»Für sie ist es ein Schlachtfeld.« Dabei lächelte sie breit. »Gurkhul und die Union mögen Frieden miteinander geschlossen haben, aber …«

»Der Kampf geht weiter.«

»Immer. Orsos Verbündete sind unsere Feinde, und daher sind seine Feinde unsere Verbündeten. Wir haben gewissermaßen ein gemeinsames Ziel.«

»Den Sturz des Großherzogs Orso von Talins«, raunte Rogont. »Darum bitte ich Gott.«

Monza verzog den Mund, als sie ihn ansah. »Ha. Jetzt beten Sie zu Gott, Rogont?«

»Zu jedem, der mich anhört, und das mit aller Inbrunst.«

Die Gurkhisin stand auf und streckte sich von den Zehenspitzen bis zu ihren langen Fingern. »Und Sie, Murcatto? Sind Sie die Antwort auf die verzweifelten Gebete dieses armen Mannes?«

»Vielleicht.«

»Und er die Antwort auf die Ihren?«

»Ich wurde von den Mächtigen oft enttäuscht, aber ich habe noch Hoffnung.«

»Sie wären kaum der erste Freund, den ich enttäuschte.« Rogont nickte zu den Karten hinüber. »Man nennt mich den Hadernden Herzog. Den großen Zauderer. Den Fürst der Vorsicht. Und dennoch würden Sie sich mit mir verbünden?«

»Sehen Sie mich an, Rogont. Ich bin beinahe ebenso verzweifelt wie Sie. ›Große Stürme‹, heißt es bei Farans, ›spülen seltsame Gefährten an den Strand.‹«

»Ein weiser Mann. Wie kann ich also meiner seltsamen Gefährtin helfen? Und vor allem, wie kann sie mir zur Seite stehen?«

»Ich muss den Getreuen Carpi töten.«

»Wieso sollte uns der Tod des verräterischen Carpi wichtig sein?« Ischri schlenderte nach vorn und ließ den Kopf gelassen zu einer Seite sinken. Dann neigte sie ihn noch weiter, so weit, dass es schon beim Zuschauen wehtat. »Gibt es keine anderen Hauptmänner bei den Tausend Klingen? Sesaria, Victus, Andiche?« Ihre Augen waren rabenschwarz, so leer und tot wie die Attrappen des Augenmachers. »Wird nicht einer jener berüchtigten Geier Ihren alten Platz übernehmen, weil er gern den Leichnam Styriens sauber picken möchte?«

Rogont zog eine Schnute. »Und so geht mein müder Tanz weiter, nur mit einem neuen Partner. Das bringt mir lediglich eine kurze Galgenfrist ein.«

»Diese drei fühlen sich Orso gegenüber nur insofern verbunden, dass er ihnen gegenwärtig die Taschen füllt. Sie waren nur allzu leicht dazu zu bewegen, Cosca für mich im Stich zu lassen und mich für den Getreuen, nachdem der Preis stimmte. Wenn das Angebot hoch genug ist und der Getreue aus dem Weg geräumt wurde, dann kann ich sie wieder unter meine Herrschaft bringen und aus Orsos Diensten zu Ihnen führen.«

Langsames Schweigen. Ischri hob ihre schönen schwarzen Brauen. Rogont legte den Kopf nachdenklich in den Nacken. Die beiden wechselten einen langen Blick. »Das würde das Kräfteverhältnis entscheidend zu meinen Gunsten verbessern.«

»Sie sind sicher, dass sie sich kaufen lassen?«, fragte die Gurkhisin.

»Ja«, log Monza glatt. »Ich gehe keine Risiken ein.« Das war eine noch größere Lüge, deswegen brachte sie diese Worte mit noch mehr Überzeugung vor. Bei den Tausend Klingen konnte man niemals mit Sicherheit von irgendetwas ausgehen, und bei den treulosen Drecksäcken, die sie befehligten, schon gar nicht. Aber es bestand eine kleine Möglichkeit, wenn es ihr gelingen würde, den Getreuen umzubringen. Wenn Rogont ihr dabei half, würden sie weitersehen.

»Wie hoch wäre ihr Preis?«

»Um sich gegen die Seite des Siegers zu wenden? Höher, als ich selbst es mir leisten kann, das steht mal fest.« Noch nicht einmal, wenn sie den Rest von Hermons Gold in Reichweite gehabt hätte, und der größte Teil davon war noch immer dreißig Schritt vom verfallenen Hof ihres Vaters entfernt vergraben. »Aber Sie als der Herzog von Ospria …«

Rogont gluckste bedauernd. »Oh, der bodenlose Geldsack von Ospria. Ich stecke bis zum Hals und darüber hinaus in Schulden. Ich würde meinen Arsch verkaufen, wenn ich mehr als ein paar Kupferstücke dafür bekäme. Nein, aus mir werden Sie kein Gold mehr herauslocken, fürchte ich.«

»Was ist mit Ihren südlichen Mächten?«, fragte Monza. »Wie ich höre, sind die Berge von Gurkhul aus reinem Gold.«

Ischri lehnte sich mit dem Rücken gegen eine Säule. »Sie sind aus Erde, wie sonst überall auch. Aber es mag viel Gold in ihnen verborgen sein, wenn man weiß, wo man zu graben hat. Wie wollen Sie dem Getreuen Carpi ein Ende bereiten?«

»Lirozio wird sich Orsos Heer ergeben, sobald es hier eintrifft.«

»Zweifelsohne«, nickte Rogont. »Er ist genauso geübt darin, sich zu ergeben, wie ich im Rückzug.«

»Die Tausend Klingen werden weiter nach Süden Richtung Ospria vordringen und das Land plündern, während die Talineser ihnen folgen.«

»Ich brauche kein Genie in Militärführung, um mir das zu sagen.«

»Ich werde irgendwo dazwischen einen Ort finden und Carpi zu mir locken. Mit vierzig Männern kann ich ihn töten. Da besteht kein großes Risiko für Sie beide.«

Rogont räusperte sich. »Wenn Sie diesen treuen alten Hund aus seinem Zwinger bekommen können, dann habe ich sicherlich ein paar Männer übrig, um ihn auszulöschen.«

Ischri betrachtete Monza auf eine Weise, wie Monza selbst eine Ameise betrachtet hätte. »Und wenn er seinen Frieden gefunden hat und wenn Sie die Tausend Klingen bestechen können, dann werde ich das Geld dazu aufbringen.«

Wenn, wenn, wenn. Aber es war weit mehr, als Monza sich hier hatte erhoffen können. Ebenso gut hätte dieses Treffen damit enden können, dass man sie mit den Füßen voran aus dem Badehaus trug. »Dann ist es schon so gut wie erledigt. Auf die seltsamen Gefährten, was?«

»Unbedingt. Gott hat Sie wahrlich gesegnet.« Ischri gähnte ausgiebig. »Sie haben einen Freund gesucht und zwei gefunden.«

»Was habe ich doch für ein Glück«, sagte Monza, die sich nicht einmal sicher war, ob sie auch nur auf einen dieser Freunde zählen konnte. Sie wandte sich zum Tor, ihre Stiefelabsätze schrammten über den abgenutzten Marmorboden, und sie hoffte, dass sie nicht zu zittern beginnen würde, bevor sie die Treppe erreicht hatte.

»Noch etwas, Murcatto!« Sie wandte sich wieder zu Rogont um, der nun allein am Kartentisch stand. Ischri war so plötzlich verschwunden, wie sie zuvor aufgetaucht war. »Sie sind in einer schwachen Position und müssen daher besonders stark auftreten. Sie sind, wie Sie sind, kühn bis über die Waghalsigkeit hinaus. Anders wollte ich es auch nicht haben. Aber ich bin auch, wie ich bin. Etwas mehr Respekt wird unsere aus beidseitiger Verzweiflung geborene Ehe in Zukunft wesentlich angenehmer gestalten.«

Monza vollführte einen übertriebenen Knicks. »Euer Herrlichkeit, ich bin nicht nur schwach, sondern voll demütigsten Bedauerns.«

Rogont schüttelte langsam den Kopf. »Dieser Offizier hätte vorhin blankziehen und Sie durchbohren sollen.«

»Wäre es das, was Sie getan hätten?«

»Große Güte, nein.« Er sah wieder auf seine Karten. »Ich hätte mehr Spucke verlangt.«