ERBARMEN UND FEIGHEIT

Espe stand am Fenster, dessen eine Hälfte geöffnet und die andere geschlossen war, und der Fensterrahmen umgab ihn wie der Rahmen eines Bildes. Er sah zu, wie Visserine brannte. Sein schwarzer Umriss hatte durch die Feuer an den Stadtmauern einen leicht orangefarbenen Rand, der seitlich an seinem unrasierten Gesicht, seiner kräftigen Schulter, dem langen Arm, dem Muskelstrang an seiner Hüfte und der leichten Kuhle auf seiner nackten Hinterbacke verlief.

Wäre Benna hier gewesen, er hätte sie gewarnt, dass sie in letzter Zeit ziemlich viel aufs Spiel setzte. Na schön, zuerst hätte er gefragt, wer der große Nordmann sei, dann hätte er sie gewarnt. Dass sie sich mitten in eine Belagerung begeben hatte, bei der sie dem Tod so nahe war, dass sie fühlte, wie er sie im Nacken kitzelte. Dass sie vor einem Mann, den sie bezahlte, so sehr aus der Deckung gekommen war, und dass sie sich gegenüber den Bauern im Erdgeschoss so nachgiebig gezeigt hatte. Sie ging Risiken ein, und sie spürte den Kitzel aus Angst und Erregung, ohne den ein Spieler nicht auskommt. Benna hätte das nicht gefallen. Andererseits hatte sie auch zu seinen Lebzeiten nichts auf seine Warnungen gegeben. Wenn man das Glück gegen sich hatte, musste man eben alles aufs Spiel setzen, und Monza hatte bisher stets gewusst, wie viel sie riskieren durfte.

Jedenfalls, bis man Benna umgebracht und sie von dieser Felswand geworfen hatte.

Espes Stimme drang aus der Dunkelheit. »Wie bist du überhaupt an dieses Haus gekommen?«

»Mein Bruder hat es gekauft. Vor langer Zeit.« Sie erinnerte sich daran, wie er am Fenster gestanden und in die Sonne geblinzelt hatte, wie er sich dann umgewandt und sie angelächelt hatte. Ganz kurz zupfte ein Lächeln an ihren eigenen Mundwinkeln.

Espe wandte sich jetzt nicht um, und er lächelte auch nicht. »Ihr wart euch sehr nahe, oder? Du und dein Bruder.«

»Wir waren uns sehr nahe.«

»Ich und mein Bruder auch. Jeder, der ihn kannte, fühlte sich ihm nahe. Er wusste, wie man das macht. Dann wurde er umgebracht, von einem Mann, den man den Blutigen Neuner nannte. Er wurde umgebracht, obwohl man ihm versprochen hatte, Gnade walten zu lassen, und dann wurde sein Kopf an eine Standarte genagelt.«

Monza wollte davon nichts hören. Zum einen, weil sie die Geschichte langweilig fand, zum anderen, weil sie an Bennas schlaffes Gesicht denken musste, als er über die Brüstung gehoben wurde. »Wer hätte gedacht, dass wir so viel gemeinsam haben? Hast du dich gerächt?«

»Ich träumte davon. Jahrelang war es mein größter Wunsch. Und ich bekam auch mehr als einmal die Gelegenheit dazu, Rache am Blutigen Neuner zu üben. Dafür hätten viele Männer getötet.«

»Und?«

Sie sah, wie die Muskeln auf Espes Wangen sich bewegten. »Das erste Mal habe ich sein Leben gerettet. Das zweite Mal ließ ich ihn gehen und entschied mich dafür, ein besserer Mensch zu werden.«

»Und seitdem läufst du herum wie ein Hausierer mit seinem Karren und versuchst, jedem, den du triffst, die Sache mit dem Erbarmen zu verkaufen? Vielen Dank für das Angebot, aber das ist nichts für mich.«

»Ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich diese Idee anderen gegenüber noch vertreten würde. Die ganze Zeit über habe ich mich wie ein guter Mensch verhalten, bin den rechten Weg gegangen und habe gehofft, ich könnte mich selbst davon überzeugen, dass ich das Richtige tat, als ich mich umdrehte und wegging. Den Kreis durchbrach. Aber ich habe es nicht geschafft, das ist nun mal so. Erbarmen und Feigheit sind dasselbe, genau, wie du gesagt hast, und der Kreis dreht sich immer weiter, egal, was man versucht. Rache … beantwortet vielleicht keine Fragen. Sie trägt auch nicht dazu bei, die Welt zu verbessern oder die Sonne wärmer scheinen zu lassen. Aber es ist besser, sich zu rächen, als sich abzuwenden. Es ist sehr viel besser.«

»Ich dachte, du hättest die Absicht, der letzte gute Mensch in Styrien zu werden.«

»Ich habe versucht, das Rechte zu tun, wenn ich konnte, aber man erwirbt sich im Norden keinen Namen, ohne dunkle Taten zu verüben, und ich blicke auf einige zurück. Ich habe neben dem Schwarzen Dow gekämpft, neben Crummock-i-Phail und neben dem Blutigen Neuner selbst, was das angeht.« Er schnaubte. »Du glaubst, ihr wärt kaltherzig hier unten? Du solltest einmal einen Winter in der Gegend erleben, aus der ich komme.« Es lag etwas in seinem Gesichtsausdruck, das sie zuvor noch nicht dort entdeckt und davon abgesehen auch nicht erwartet hatte. »Gern würde ich ein guter Mensch sein, das stimmt. Aber wenn etwas anderes erforderlich ist, dann weiß ich, was zu tun ist.«

Es herrschte kurzes Schweigen, während sie einander ansahen. Er, gegen den Fensterrahmen gelehnt, sie, auf dem Bett ausgestreckt mit einer Hand hinter dem Kopf.

»Wenn du wirklich so ein eiskaltes Arschloch bist, wieso hast du dann nach mir gesucht? Bei Cardotti?«

»Du schuldetest mir noch Geld.«

Sie war sich nicht sicher, ob das ein Witz sein sollte. »Da wird mir aber warm ums Herz.«

»Und außerdem bist du so was wie der beste Freund, den ich diesem verrückten Scheißland habe.«

»Und dabei mag ich dich nicht einmal.«

»Ich habe immer noch die Hoffnung, dass du mich vielleicht irgendwann doch noch in dein Herz schließt.«

»Weißt du was? Vielleicht bin ich gerade dabei.«

Im Licht, das von draußen ins Zimmer fiel, konnte sie erkennen, dass er grinste. »Du hast mich in dein Bett gelassen. Und Furli und die anderen durften in deinem Haus bleiben. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt glauben, dass ich dir doch noch ein bisschen Erbarmen unterschieben konnte.«

Sie streckte sich aus. »Vielleicht ist unter dieser harten, aber schönen Schale immer noch das weiche Herz einer Bauerntochter verborgen, die nur zu gern Gutes tun möchte. Schon mal daran gedacht?«

»Kann ich nicht sagen, nein.«

»Aber einmal davon abgesehen, welche Wahl hätte ich gehabt? Wenn ich sie auf die Straße gesetzt hätte, hätten sie vielleicht angefangen zu quatschen. So ist es besser, jetzt schulden sie uns etwas.«

»Am besten wäre, sie würden alle zu Schlamm.«

»Wieso gehst du dann nicht runter und löst das Problem für uns alle, Herr Mörder? Für einen Helden, der immer das Gepäck vom Schwarzen Wow getragen hat, sollte das doch eine Kleinigkeit sein.«

»Dow.«

»Wie auch immer. Zieh dir aber vorher besser ein paar Hosen an, ja?«

»Ich sag ja gar nicht, dass wir sie abmurksen sollten oder so, ich meine ja bloß. Erbarmen und Feigheit sind dasselbe, habe ich mal gehört.«

»Ich tue, was getan werden muss, keine Sorge. Das habe ich immer. Aber ich bin nicht Morveer. Ich bringe keine elf Bauern um, nur damit ich mich besser fühle.«

»Das ist doch mal schön zu hören. Diese ganzen kleinen Leute, die in der Bank krepiert sind, schienen dir aber nichts zu bedeuten, solange Mauthis darunter war.«

Ihr Gesicht verdüsterte sich. »Der Plan war anders.«

»Ebenso wenig wie die Leute bei Cardotti.«

»Das bei Cardotti lief auch nicht so, wie ich es mir gedacht hatte, falls dir das nicht aufgefallen ist.«

»Doch, ist es mir. Die Schlächterin von Caprile nennt man dich doch, oder? Was ist in Caprile geschehen?«

»Das, was nötig war.« Sie erinnerte sich, wie sie in der Dämmerung zu den Toren geritten war, und an die Besorgnis, die sie überkam, als sie den Rauch über der Stadt erblickte. »Etwas zu tun und etwas gern zu tun, sind zwei verschiedene Dinge.«

»Das Ergebnis ist aber dasselbe, oder?«

»Was, zur Hölle, weißt du davon? Ich kann mich nicht erinnern, dass du dabei gewesen wärst.« Sie schüttelte die Erinnerung ab und stand auf. Die sorglose Wärme des letzten Zugs Spreu klang langsam ab, und sie fühlte sich seltsam unwohl in ihrer eigenen vernarbten Haut, wie sie unter seinen Blicken durchs Zimmer ging, splitternackt bis auf den Handschuh über ihrer rechten Hand. Die Stadt erstreckte sich mit ihren Türmen und den vielen Bränden vor dem Fenster, ein Anblick, den die blasige Glasscheibe des geschlossenen Fensterflügels leicht verzerrte. »Ich habe dich nicht hergebeten, damit du mich an meine eigenen Fehler erinnerst. Von denen habe ich verdammt noch mal genug gemacht.«

»Wer nicht? Wieso hast du mich dann herkommen lassen?«

»Weil ich eine schreckliche Schwäche für große Männer mit kleinem Hirn habe, oder was hast du gedacht?«

»Ach, ich versuche, nicht so viel zu denken, sonst tut mein kleines Hirn so weh. Aber ich bekomme allmählich das Gefühl, als wärst du gar nicht so hart, wie du immer tust.«

»Wer ist das schon?« Sie berührte die Narbe auf seiner Brust. Die Fingerspitze verfolgte die Spur rauer, wulstiger Haut durch die Härchen.

»Wir haben alle unsere Wunden, glaube ich.« Er ließ seine Hand über die lange Narbe an ihrer Hüfte gleiten, und ihr Magen zog sich zusammen. Die Mischung aus Angst und Erregung, die ein Spieler brauchte, mit einem kleinen Hauch Abscheu versehen.

»Einige mehr als andere.« Die Worte lagen bitter in ihrem Mund.

»Es sind nur Spuren.« Sein Daumen zog sich über die Narben auf ihren Rippen, folgte einer nach der anderen. »Mir machen sie nichts aus.«

Sie zog den Handschuh von der verkrüppelten Rechten und hielt sie ihm ins Gesicht. »Nein?«

»Nein.« Seine großen Hände schlossen sich sanft um ihre zerstörten Finger, warm und fest. Erst verkrampfte sie sich und wollte sie wegziehen, und ihr Atem stockte ihr in der Kehle, als hätte sie ihn dabei erwischt, wie er eine Leiche streichelte. Dann massierten seine Daumen ihre verwachsene Handfläche, den schmerzenden Daumenballen, die schiefen Finger bis hin zu den Spitzen. Überraschend zärtlich. Überraschend angenehm. Sie ließ zu, dass sich ihre Augen schlossen und ihr Mund sich öffnete, streckte die Finger so weit aus, wie es möglich war, und atmete tief.

Sie fühlte ihn näher bei sich, seine Wärme, seinen Atem auf dem Gesicht. Sie hatten wenig Gelegenheit zum Waschen gehabt, und er roch leicht – nach Schweiß und Leder und einem Hauch verdorbenem Fleisch. Streng, aber nicht ganz unangenehm. Sie wusste, dass sie selbst auch ein bisschen roch. Sein Gesicht strich über ihres, eine raue Wange, ein harter Kiefer, der gegen ihre Nase stupste und sich an ihren Hals schmiegte. Beinahe lächelte sie. Die Zugluft vom Fenster verursachte eine leichte Gänsehaut und brachte den vertrauten Geruch brennender Gebäude mit.

Eine seiner Hände hielt noch immer ihre Rechte fest, die andere strich nun über ihre Flanke, über die Erhebung des Hüftknochens, glitt unter ihren Busen, und schließlich strich sein Daumen über ihre Brustwarze, leicht angenehm, leicht ungeschickt. Ihre freie Hand fuhr über seinen Schwanz, der bereits hübsch steif war, auf und ab, die feuchte Haut etwas klebrig unter ihrer Handfläche. Sie hob einen Fuß und stieß mit der Ferse etwas lockeren Putz von der Wand, als sie sich am Fensterbrett abstützte, um die Beine weit zu spreizen. Mit sanftem Schmatz, Schmatz glitten seine Finger zwischen ihren Schenkeln hin und her.

Ihre rechte Hand lag nun unter seinem Kinn, die verkrüppelten Finger zupften an seinem Ohr und schoben seinen Kopf zur Seite, dann öffnete sie mit dem Daumen seinen Mund, damit sie ihre Zunge hineinschieben konnte. Er schmeckte nach dem billigen Wein, den sie getrunken hatten, aber das tat sie selbst vermutlich auch, und wen interessierte das überhaupt?

Sie zog ihn eng an sich, drängte sich gegen ihn, und Haut strich über Haut. Sie dachte nicht mehr an ihren toten Bruder, an ihre verkrüppelte Hand, an den Krieg vor der Tür, an das Verlangen nach einem Zug oder an die Männer, die sie töten musste. Nur an seine Finger und an ihre Finger, an seinen Schwanz und ihre Möse. Das war vielleicht nicht viel, aber immerhin etwas, und sie brauchte etwas.

»Mach schon und fick mich«, zischte sie ihm ins Ohr.

»Ist gut«, keuchte er, fasste sie unter einem Knie und trug sie zum Bett, das leise knarrte, als er sie auf die Matratze legte. Sie rutschte zur Seite, machte ihm Platz, und er kniete sich zwischen ihre geöffneten Beine, arbeitete sich voran, ein entschlossenes Grinsen auf dem Gesicht, als er auf sie hinabblickte. Dasselbe Grinsen, das auch auf ihrem Gesicht zu sehen war und das zeigte, wie wild sie darauf war, dass es jetzt weiterging. Sie fühlte, wie die Spitze seines Schwanzes zwischen ihren Beinen entlangglitt, erst auf der einen, dann auf der anderen Seite. »Wo, zur Hölle …«

»Scheiß Nordmänner, ihr findet noch nicht mal mit einem Stuhl euren Arsch.«

»Mein Arsch ist jetzt nicht das Loch, das ich suche.«

»Hier.« Sie benetzte ihre Finger mit Spucke, stützte sich auf einen Ellenbogen, packte ihn und bewegte seinen Schwanz, bis sie die richtige Stelle gefunden hatte.

»Ah.«

»Ah«, stöhnte sie zurück. »Das ist genau der Punkt.«

»Joh.« Er ließ die Hüften kreisen, die Finger in das kurze Haar gekrallt, und begann, sie mit dem Daumen zu massieren.

»Nicht so fest!« Mit einem kleinen Klaps stieß sie seine Hand weg und schob ihre eigene zwischen die Beine, ließ den Mittelfinger im Kreis herumgleiten. »Du sollst da keine Nuss knacken, du Narr.«

»Deine Nuss, dein Ding, schon klar.« Sein Schwanz rutschte heraus, als er sich nach vorn arbeitete und sich über ihr mit den Armen abstützte, aber sie schob ihn schnell wieder an seinen Platz. Allmählich fanden sie einen Rhythmus, langsam, aber stetig, Stück für Stück.

Sie ließ die Augen offen, sah in sein Gesicht und erkannte am Schimmer in der Dunkelheit, dass er ihren Blick erwiderte. Beide hatten sie die Zähne gebleckt und atmeten keuchend. Er öffnete den Mund und kam ihr ein wenig entgegen, zog dann den Kopf weg, als sie sich ihm entgegenstreckte, immer nur so weit, dass er gerade außer Reichweite blieb und sie schließlich mit einem Keuchen, das einen warmen Schauer durch ihren Körper sandte, zurück aufs Bett sank.

Sie schob ihm die rechte Hand auf den Rücken und knetete seine Hinterbacke, während sich die Muskeln unter ihren Fingern anspannten und wieder lockerten, anspannten und lockerten. Jetzt schneller, feuchte Haut klatschte und klatschte, und sie schob die verkrüppelte Hand tiefer bis zu seiner Arschritze. Wieder hob sie den Kopf vom Bett, biss in seine Lippen, seine Zähne, und er knabberte an ihr, stöhnte kehlig, und sie stöhnte zurück. Er ließ sich auf den Ellenbogen sinken, die andere Hand schob er über ihre Rippen und massierte ihre eine Brust und dann die andere so heftig, dass es beinahe wehtat.

Knirsch, knarr, knirsch, und ihre Füße hoben sich vom Bett in die Luft, seine Hand verfing sich in ihrem Haar, drückten gegen die Münzen unter ihrer Haut, zogen ihr den Kopf zurück, ihr Gesicht ganz nahe an seinem. Sie saugte seine Zunge aus seinem Mund in ihren eigenen, biss daran, leckte. Tiefe, nasse, hungrige, fauchende Küsse. Fast waren es gar keine Küsse mehr. Sie schob ihm den Finger bis zum ersten Gelenk in den Arsch.

»Was, zum Geier?« Er schob sich von ihr weg, als hätte sie ihm eine Ohrfeige verpasst, hörte auf, sich zu bewegen, und verharrte starr über ihr. Sie zog die rechte Hand zurück, während sie mit der linken noch zwischen ihren Schenkeln beschäftigt war.

»Schon gut«, zischte sie. »Deswegen bist du nicht weniger ein Mann, weißt du. Dein Arsch, dein Ding. Ich fass dich da in Zukunft nicht mehr …«

»Das doch nicht. Hast du nichts gehört?«

Monza hörte nichts außer ihrem eigenen harten Atem und dem leisen Geräusch ihrer Finger, die noch immer in der Nässe hin und her glitten. Sie drängte ihre Hüften wieder gegen ihn. »Komm schon. Da war nichts außer …«

Die Tür flog auf, und Holz splitterte rund um das herausgetretene Schloss. Espe rappelte sich vom Bett auf und verhedderte sich in der Decke. Monza wurde vom Licht einer Laterne geblendet, sah helles Metall aufblitzen, Rüstungen. Ein Schrei, dann fuhr ein Schwert in die Höhe.

Ein metallener Aufprall folgte, Espe stieß einen hellen Laut aus und krachte auf die Dielen. Monza fühlte, wie Blut auf ihr Gesicht spritzte. Sie hatte den Calvez in der Hand. In der rechten blöderweise, aus Gewohnheit, die Klinge ein paar Zoll gezogen.

»Nein, das lassen wir mal lieber.« Eine Frau trat durch die zertrümmerte Tür, den gespannten Flachbogen in der Hand, das Haar aus dem sanften, runden Gesicht zurückgekämmt. Der Mann, der über Espe stand, wandte sich nun mit dem Schwert in der Hand Monza zu. Sie konnte von ihm kaum mehr sehen als die Umrisse seiner Rüstung und seines Helms. Ein weiterer Soldat drang durch die Tür, in einer Hand eine Laterne, in der anderen eine Axt, deren geschwungene Schneide schimmerte. Monza lockerte die verkrümmten Finger, und der Calvez fiel scheppernd halb gezogen zu Boden.

»Das ist schon besser«, sagte die Frau.

Espe stöhnte, versuchte sich aufzurichten und blinzelte im hellen Licht. Aus einer Platzwunde in seinem Haar rann Blut. Offenbar hatte er einen Schlag mit der flachen Klinge abbekommen. Der Kerl mit der Axt trat vor und versetzte ihm einen Tritt in die Rippen, wamm, wamm, bis er keuchte und sich nackt vor der Wand zusammenrollte. Ein dritter Soldat kam herein, der etwas aus dunklem Tuch über dem Arm trug.

»Hauptmann Langrier.«

»Was haben Sie gefunden?«, fragte die Frau und reichte ihm den Flachbogen.

»Das hier, und noch ein paar mehr.«

»Sieht aus wie eine talinesische Uniform.« Sie hielt die Jacke hoch, so dass Monza sie sehen konnte. »Haben Sie dazu was zu sagen?«

Der Schock kalten Entsetzens ließ nach, und eine noch eisigere Angst rückte schnell an seine Stelle. Das hier waren Soldaten Saliers. Sie war so sehr darauf fixiert gewesen, Ganmark umzubringen, so auf Orsos Heer konzentriert, dass sie keinen Gedanken an die andere Seite verschwendet hatte. Jetzt natürlich hatte sie ihre volle Aufmerksamkeit. Monza überkam das brennende Verlangen nach einem Zug Spreu, so sehr, dass ihr beinahe übel wurde. »Es ist nicht so, wie Sie denken«, brachte sie krächzend heraus und war sich plötzlich peinlich bewusst, dass sie splitternackt war und intensiv nach Sex roch.

»Woher wollen Sie wissen, was ich denke?«

Ein weiterer Soldat mit dickem Schnurrbart erschien im Eingang. »Jede Menge Flaschen und so ’n Kram in einem der Zimmer. Hab mich nicht getraut, sie anzufassen. Sehen ziemlich nach Gift aus.«

»Gift, sagen Sie, Korporal Pello?« Langrier legte den Kopf leicht zur Seite und rieb sich den Hals. »Das ist nun wirklich verdammt verdächtig.«

»Ich kann das erklären.« Monzas Mund war trocken. Sie wusste, dass sie das nicht erklären konnte. Jedenfalls nicht so, dass diese Drecksäcke es ihr glauben würden.

»Dazu werden Sie noch Gelegenheit haben. Allerdings erst im Palast. Bindet sie.«

Espe verzog vor Schmerz das Gesicht, als der Axtträger ihm die Handgelenke hinter den Rücken bog und Handschellen zuschnappen ließ, bevor er ihn auf die Beine zog. Einer der anderen packte Monza und drehte ihr brutal den Arm nach hinten, bevor er sie fesselte.

»Au! Vorsicht mit meiner Hand!« Einer von den Kerlen zog sie vom Bett und schubste sie auf die Tür zu. Beinahe wäre sie gestürzt, und der Versuch, das Gleichgewicht zu halten, geriet wenig würdevoll. Es war ohnehin eine würdelose Situation. Bennas kleine Glasfigur sah von ihrer Nische aus zu. Offenbar war auf Hausgeister kein Verlass. »Können wir uns wenigstens was anziehen?«

»Ich wüsste nicht, wieso.« Die Soldaten schleppten sie zur Treppe, wo eine weitere Laterne brannte. »Warten Sie hier.« Langrier kniete sich hin, betrachtete mit gerunzelter Stirn die gezackten Narben an Monzas Hüfte und Beinen; die rosa Pünktchen der gezogenen Fäden waren inzwischen beinahe verblasst. Mit dem Daumen drückte sie daran herum, als wolle sie einen Schinken beim Metzger auf Fäulnis überprüfen. »Haben Sie schon einmal solche Narben gesehen, Pello?«

»Nein.«

Sie sah Monza an. »Wo haben Sie die her?«

»Ich habe mir die Möse rasiert und bin mit dem Messer ausgerutscht.«

Die Frau brach in Gelächter aus. »Das gefällt mir. Das ist witzig.«

Pello lachte auch. »Das ist witzig.«

»Gut, dass Sie einen Sinn für Humor haben.« Langrier erhob sich und bürstete sich den Staub von den Knien. »Den werden Sie später noch brauchen.« Mit der Handfläche verpasste sie Monza einen Schlag gegen den Kopf, so dass sie die Treppe hinunterstürzte. Sie krachte auf ihre Schulter, die Stufen schlugen gegen ihren Rücken, schürften ihr die Knie auf und rissen ihr die Beine weg. Sie kreischte und stöhnte, als das Holz ihr die Luft aus den Lungen presste und schließlich die Wand gegen ihre Nase krachte und sie niederstreckte, ein Bein gegen den Putz gepresst. Sie hob den Kopf, benommen wie ein Trinker, und die Treppe drehte sich noch immer. In ihrem Mund schmeckte es nach Blut. Sie spuckte aus. Es lief wieder nach.

»Fuh«, keuchte sie.

»Keine Witze mehr? Wir haben noch ein paar Stufen, falls Sie noch immer Lust auf Späße haben.«

Hatte sie nicht. Sie ließ zu, dass man sie aufrichtete, und stöhnte, als sie den Schmerz in ihrer geprellten Schulter spürte.

»Was ist das?« Sie fühlte, wie ihr der Ring roh vom Mittelfinger gedreht wurde, und sah, dass Langrier lächelte, als sie die Hand mit dem Rubin daran ins Licht hielt.

»Steht Ihnen«, sagte Pello. Monza hielt den Mund. Wenn diese Klemme sie nicht mehr kosten würde als nur Bennas Ring, dann konnte sie sich glücklich schätzen.

In den unteren Stockwerken waren noch mehr Soldaten unterwegs, sie wimmelten durch den ganzen Turm und zerrten alle möglichen Sachen aus Truhen und Kisten. Glas zersplitterte und knirschte, als sie eine von Morveers Kisten auf dem Boden auskippten. Day saß auf einem Bett daneben, das blonde Haar hing ihr ins Gesicht, und auch ihr waren die Hände auf den Rücken gebunden. Monza erhaschte kurz ihren Blick, und sie sahen sich an, aber sie hatten wenig Mitleid füreinander übrig. Immerhin hatte Day das Glück gehabt, ein Hemd zu tragen, als die Soldaten kamen.

Sie zerrten Monza unten in die Küche, und sie lehnte sich gegen die Wand, immer noch heftig atmend, immer noch splitternackt, aber inzwischen war ihr das egal. Furli war dort, und auch sein Bruder. Langrier ging zu ihnen und zog eine Geldbörse aus ihrer Gesäßtasche.

»Sieht so aus, als hätten Sie recht gehabt. Spitzel.« Sie zählte einige Münzen in die erwartungsvoll ausgestreckte Hand des Bauern. »Fünf Waag für jeden. Herzog Salier dankt Ihnen für Ihre Wachsamkeit, Bürger. Sie sagten, es wären noch mehr?«

»Vier weitere.«

»Wir werden den Turm bewachen lassen und sie später aufgreifen. Sie sollten währenddessen versuchen, mit Ihrer Familie woanders unterzukommen.«

Monza sah, wie Furli das Geld nahm, leckte das Blut ab, das aus ihrer Nase lief, und dachte, jawohl, das war es, wohin einen die Mildtätigkeit brachte. Man wurde für fünf Waag verkauft. Benna wäre angesichts dieses mickrigen Blutgeldes entsetzt gewesen, aber sie hatte größere Sorgen. Der Bauer warf ihr einen letzten Blick zu, als man sie aus der Tür zog. Es lag keinerlei Schuldbewusstsein in seinen Augen. Vielleicht hatte er das Gefühl, jetzt, inmitten eines Krieges, das Beste für seine Familie getan zu haben. Vielleicht war er stolz, dass er so viel Mut besessen hatte. Vielleicht hatte er damit auch recht.

Es schien jetzt immer noch so wahr wie damals, als Verturio diese Worte geschrieben hatte: Erbarmen und Feigheit sind ein und dasselbe.