Kapitel 13

»Wie geht's Monty? «, fragte Joe, als Eve später am Abend die Treppe herunterkam.

»Sarah macht sich Sorgen, er will nichts fressen. Jane bemüht sich sehr um ihn.« Sie schüttelte den Kopf.

»Ich dachte, er würde ihr gut tun, aber jetzt ist sie tod-traurig. «

»Es tut ihr wahrscheinlich auch gut. Zuneigung hat noch niemandem geschadet. Davon gibt es viel zu wenig auf der Welt. «

Joe hatte seine Zuneigung gezeigt. Sie hatte noch das Bild vor Augen, wie er den Retriever voller Zärtlichkeit aufgehoben und zum Wagen getragen hatte.

Merkwürdig, wie anrührend die Sanftheit eines abge-brühten Mannes wirken konnte. »Hast du Spiro er-

reicht? «

»Ja, er ist unterwegs. Er wollte ohnehin kommen.

Charlie ist bei den anderen beiden Fällen auf etwas sehr Interessantes gestoßen. «

»Worauf? «

»Er wollte nicht darüber sprechen.«

»So viel zum Thema Informationsfluss.«

»Wir werden es schon noch erfahren. Im Moment

denkt er noch, er tut uns einen Gefallen, wir müssen ihn einfach davon überzeugen, dass wir auf einer Höhe stehen. «

Das Telefon klingelte. Sie versteifte sich.

Joe betrachtete sie. »Soll ich?«

Das war nicht Dom. Dom rief auf ihrem Handy an.

»Nein, ich geh ran.« Sie hob den Hörer ab.

»Freut mich, Ihre Stimme zu hören, Eve«, sagte Mark Grunard. »Obwohl ich mir gewünscht hätte, sie früher zu vernehmen. Sie hatten mir versprochen, sich bei mir zu melden.«

»Es gab keinen Grund. Ich wusste einfach nichts

Neues! Wie haben Sie herausgefunden, wo ich mich

aufhalte? «

»Joe und ich haben eine Vereinbarung getroffen und er hält sein Wort. Ist er da? «

»Ja.« Sie reichte Joe den Hörer. »Mark Grunard.«

Sie setzte sich und beobachtete sein Gesicht, während er mit Mark telefonierte. Völlig ausdruckslos. Argwohn und Selbstbeherrschung hatten wieder ihren Platz

eingenommen.

»Er kommt her.« Joe legte auf. »Er will dabei sein, falls was Interessantes passiert.«

»Er sagte, ihr hättet eine Vereinbarung getroffen.«

»Nur so habe ich ihn dazu bewegen können, mir zu

sagen, wo du steckst. Ich habe ihm Bescheid gegeben, nachdem ich das Haus hier gefunden hatte. «

»Ohne mich zu fragen.«

»Hast du mich etwa gefragt, bevor du ausgeflogen

bist?« Und sanft setzte er hinzu: »Ich hätte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, um dich zu finden, Eve.

Möchtest du hören, was ich tun würde, um dich nicht zu verlieren? «

Seine Worte erwischten sie kalt, sie war überrascht, verwirrt. »Ich möchte nicht ...«

»Ich hatte auch nicht erwartet, dass du es wissen willst. « Er drehte sich um und ging zur Haustür. » Lassen wir es fürs Erste dabei. «

»Wo gehst du hin?«

»Zur Grabstätte. Mir gefällt die Vorstellung nicht, sie unbewacht zu lassen.«

Sie sah ihn entsetzt an. »Glaubst du, er würde dorthin zurückkehren?«

»Wenn er dich beobachtet, weiß er, dass wir das Grab gefunden haben.«

»Er wird nicht versuchen, die Leiche wegzuschaffen.

Er hat mir einmal gesagt, dass das dumm wäre.«

»Dann werde ich es eben vergeblich bewachen.

Schaden kann es auf jeden Fall nicht.«

»Wie lange wirst du dort bleiben?«

»Bis morgen früh, wenn Spiro kommt. Erwarte mich

nicht vor ... «

»Ich komme mit dir.«

»Nichts da, du gehst schlafen.« Er öffnete die Tür.

»Das ist meine Arbeit, Eve. Du und Sarah, ihr habt euren Teil geleistet.«

»Es ist idiotisch, da heute Nacht hinzugehen, wenn du glaubst, dass er ... «

Sie sprach mit den Wänden. Er war schon weg.

Wie kam er dazu, sie erst zu verwirren und dann in Angst und Schrecken zu versetzen, indem er zu Debby Jordans Grab ging? Und was glaubte er, wie sie schlafen sollte? Sie würde die ganze Nacht wach liegen und sich vorstellen, wie er allein da draußen war.

Sie würde schlafen. Sie würde einfach nicht an ihn denken. Sollte er doch das Risiko eingehen, Dom in die Arme zu laufen. Verdient hatte er's. Wahrscheinlich würde es ihm sogar Spaß machen, dem Scheißkerl gegenüberzutreten. Er würde ihm ein paar Karate-Hiebe verpassen, wie er es mit Lopez gemacht hatte, und seines Weges ziehen.

Ihr Herz schlug heftig. Ganz ruhig. Nicht an ihn

denken.

Geh ins Bett und schlaf.

Joe saß einige Meter vom Grab entfernt und sie konnte seinen Blick spüren, als sie auf ihn zuging, doch sein Gesicht konnte sie nicht erkennen. Wahrscheinlich war es völlig ausdruckslos. Man musste auf jedes leise Zucken seiner Lider und jede winzige Bewegung

seines Mundes achten, um zu wissen, was er fühlte.

Doch in letzter Zeit hatte er seine Gefühle mehr als deutlich gemacht.

»Ich habe dich erwartet.« Joe klopfte neben sich auf den Boden. »Setz dich.«

»Ich habe nicht damit gerechnet, jetzt hier zu sein.«

Sie setzte sich und schlang die Arme um ihre Knie.

»Ich habe dir ja gesagt, dass er nicht kommen würde.«

»Aber du wolltest nicht, dass ich mich allein in Gefahr bringe. «

»Du bist mein Freund ... manchmal.«

»Immer. Du hättest nicht allein herkommen sollen.«

»Ich bin nie allein. Einer der Sicherheitsleute ist mir gefolgt. «

»Was der einzige Grund ist, dass ich ein klein wenig Dankbarkeit gegenüber Logan empfinde.«

»Er ist ein guter Mensch.«

»Kein Kommentar. «

Schweigend betrachtete sie die rote Fahne, die die Lage des Grabes markierte. Bist du da begraben, Debby Jordan? Ich hoffe es. Ich hoffe so sehr, dass wir dich nach Hause bringen können.

» Sie hatte zwei Kinder? «

»Zwei kleine Jungs. Den Zeitungen zufolge hat es ihr an nichts gefehlt. Eine glückliche Ehe, eine Familie, Freunde. Sie war ein guter Mensch, der sich bemühte, ein anständiges Leben zu führen. Eines Tages ist sie von zu Hause weggefahren und nie wiedergekommen.

Ohne Vorwarnung. Ohne Grund. Dom hat sie gesehen

und wollte ihren Tod.« Sie schüttelte den Kopf. »Das macht mir am meisten Angst. Man kann noch so ein

gutes Leben führen, so anständig wie möglich, es

spielt keine Rolle. Ein Verrückter wählt dich nach dem Zufallsprinzip aus und nimmt dir alles. Das ist nicht fair.«

»Deshalb ist es so wichtig, dass wir jeden Tag so leben, als wäre es unser letzter, dass wir uns nicht verschließen.«

Offensichtlich ging es nicht mehr um Debby Jordan.

»Ich verschließe mich nicht. Aber ich entscheide

selbst,

was ich von meinem Leben erwarte«, gab Eve zurück.

»Dann solltest du deine Ansprüche endlich hoch

schrauben. Du führst ein reichlich armseliges Leben.«

»Ich bin zufrieden, wie die Dinge sind.«

»Schwachsinn.«

»Himmel Herrgott, warum willst du alles verändern? «

»Ich bin egoistisch. Ich will mehr.«

»Ich kann nicht ... ich will nicht ...«

»Sex? «

Eve erstarrte. Das war genau das Thema, über das

sie nicht mit ihm sprechen wollte. Sie hatte es unzählige Male von sich weggeschoben, als sie vergangene Nacht im Bett gelegen hatte.

»Ich glaube, du willst es.« Er sah sie nicht an. »Du hattest nur wenige sexuelle Beziehungen, seit Bonnie gestorben ist. Nichts Ernstes. Du hast nicht

zugelassen, dass es ernst wird. Es hätte deiner Arbeit geschadet. «

Joe hatte nie zuvor mit ihr über diese flüchtigen Beziehungen gesprochen. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass er sie überhaupt registriert hatte. »Es würde auch jetzt meiner Arbeit schaden. «

»Dann wirst du einen Weg finden müssen, es zu ver-einbaren.« Er sprach mit ruhiger Stimme. »Weil ich nämlich hier bin und es mir verdammt ernst ist. Ich ha-be dich beobachtet und abgewartet. Ich habe gelernt, meine Eifersucht zu beherrschen, meine Wut und

meine Verzweiflung. Ich habe dich nie davon

abgehalten, zu anderen Männern zu gehen, weil ich wusste, dass das zu deinem Heilungsprozess gehörte.

Von mir brauchtest du etwas anderes. Und du hast es bekommen. «

»Joe ...«

»Mein ganzes Leben dreht sich um dich, seit ich dich kenne. Du bist mein Mittelpunkt geworden. Ich weiß nicht, warum. Ich habe es mir nicht ausgesucht.«

Schließlich sah er sie an. »Aber wenn du einmal über Bonnie und alle anderen verlorenen Kindern hinaus-denkst, dann wirst du feststellen, dass ich für dich genauso zum Lebensmittelpunkt geworden bin. «

»Du bist mein Freund, Joe.«

»Für alle Zeiten. Aber ich kann mehr sein. Ich kann deinem Körper gut tun. « Er schwieg einen Augenblick.

»Und ich kann dir ein Kind schenken.«

» Nein. «

»Habe ich dir einen Schrecken eingejagt? Schon der Gedanke macht dir Angst, dabei wäre es genau das, was dich wieder gesund machen würde. Und es wäre

doch weiß Gott kein Verrat an Bonnie.«

»Nein. «

Er zuckte die Achseln. »Ich werde dich nicht bedrängen. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns, bis wir so weit sind. «

Gequält und verwirrt starrte sie ihn an. »Joe, es würde nicht funktionieren.«

»Es wird funktionieren. Ich werde dafür sorgen, dass es funktioniert.« Er lächelte. »Zuallererst werde ich dich dazu bringen, mich als Sexobjekt zu betrachten statt als Bruder. Möchtest du hören, wie gut ich im Bett bin? «

Ein Scherz. Oder etwa nicht? Sie war derart verwirrt, dass sie nicht mehr wusste, was sie von ihm halten sollte.

»Nein, lieber würde ich es dir zeigen.« Sein Lächeln schwand. »Mir ist klar, dass es weder die richtige Zeit noch der passende Ort ist. Obwohl es mir vorkommt, als hätten wir den Großteil unserer gemeinsamen Jahre damit verbracht, am Rande irgendwelcher Gräber zu balancieren. « Er streckte die Hand aus und berührte ihre Wange. »Du solltest wissen, dass ich dich die meiste Zeit nicht so sehr als gute Freundin betrachte.

Wenn ich dich ansehe, stelle ich mir uns beide im Bett vor, wie du auf mir liegst oder deine Hände auf ... « Er warf seinen Kopf in den Nacken und lachte. »Wie weit du die Augen aufreißen kannst.«

»Herrgott noch mal, Joe.« Sie hatte das Gefühl,

knallrot geworden zu sein. »Ich will nicht daran denken. « Aber sie würde es tun. Sie würde gar nicht verhindern können, sich an seine Worte zu erinnern.

Und er wusste das.

»Schon gut.« Lächelnd legte er den Arm um sie.

»Entspann dich. Ich habe nichts dagegen, dir hin und wieder als Schulter zum Anlehnen zu dienen. Ich eröff-ne unserer Beziehung lediglich interessantere

Perspektiven. «

Sie sollte keinen Trost bei ihm suchen. Es war nicht fair. Außerdem lenkte es nur vom Wesentlichen ab.

Aber was genau war das Wesentliche? Sex? Liebe?

Freundschaft? Was immer es war, sie blieb besser auf Distanz, bis sie wieder klar denken konnte.

Und dennoch hatten sie schon unzählige Male genau wie jetzt beisammen gesessen, einander berührt, ihre Gedanken ausgetauscht und auch miteinander geschwiegen. Warum sollte sie ihn jetzt zurückweisen?

Es wäre zu schmerzhaft, gerade so, als müsste sie einen Teil von sich selbst herausreißen.

»Hör auf zu grübeln«, flüsterte Joe. »Diesen Teil wird es immer geben. Ich habe nicht vor, dir etwas zu

nehmen. Ich will uns beiden etwas geben.«

»Du musst mich für ein egoistisches Miststück halten«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Du hast mir bereits so viel gegeben. Du hast mir das Leben gerettet und mich davor bewahrt, den Verstand zu verlieren. Ich würde alles für dich tun, wenn ich nicht solche Angst hätte, dir am Ende wehzutun. Sex bedeutet gar nichts.

Du würdest mehr wollen, ich habe aber keine Ahnung von der Beziehung zwischen Mann und Frau. Der Kerl, von dem ich mit Bonnie schwanger geworden bin, hat sich auf der Stelle aus dem Staub gemacht, als ich ihm sagte, dass ich nicht abtreiben würde. Das war nicht gerade ein gutes Training. Ich weiß nicht, ob ich einer so großen Verantwortung gewachsen wäre. «

»Das bist du. Du wirst mit allem fertig.«

»Von wegen. Seit damals habe ich keine einzige sexuelle Beziehung mehr auf die Reihe gekriegt. «

» Weil es nicht mit mir war. «

Plötzlich fing sie an zu lachen. »Du arroganter

Scheißkerl.«

Er lächelte. »Da ist was dran.« Er drückte ihren Kopf gegen seine Schulter. »Schlaf jetzt. Vielleicht hast du Glück und träumst von mir. «

»Zu dieser Genugtuung möchte ich dir nicht verhelfen.

Dein Ego ist auch so schon aufgeblasen genug.« Nach und nach wurde sie ruhiger. Merkwürdig, dachte sie schläfrig, sie fühlte sich bei ihm genauso wohl wie in all den Jahren zuvor. Joe schien in der Lage zu sein, mühelos zwischen den verschiedenen Ebenen zu

wechseln und sie einfach mitzunehmen. »Schlafen ist keine so gute Idee. Schließlich wollte ich hier sein, falls Dom ... «

»Ich weiß. In dem Moment, als du aufgetaucht bist, wusste ich, dass mir nichts passieren kann. « »

Quatschkopf. «

» Wie du meinst. «

»Schon gut, schon gut. Du wirst es nicht noch einmal erleben, dass ich angerannt komme, um deinen Hals zu retten.«

»Du würdest es wieder tun.«

Er hatte Recht, das würde sie. Ohne zu fragen und ohne nachzudenken. Weil die Vorstellung, Joe könnte etwas zustoßen, zu beängstigend war, als dass sie einen Gedanken daran verschwenden wollte.

Ohne Joe zu leben ...

Spiro traf am folgenden Morgen um viertel nach zehn auf dem Gelände ein.

»Hallo, Eve. Sie sind ja ganz schön emsig gewesen seit unserer letzten Begegnung.« Sein Blick wanderte zu der roten Fahne. »Ist es das?«

Joe nickte. »Das ist es.«

»Wir können nur hoffen, dass dieser Leichenhund eine gute Nase hat. Ich stehe da wie ein Trottel, wenn da bloß eine tote Ratte liegt.«

» Er hat eine außergewöhnliche Spürnase«, erwiderte Eve. » Sarah behauptet, er kennt den Unterschied. «

»Sarah?«

»Sarah Patrick, seine Ausbilderin.«

»Ach ja, stimmt, Joe hat mir von ihr erzählt.« Spiro wandte sich an Joe. »Und wenn es nicht Debby Jordan ist? «

»Dann suchen wir weiter.«

»Und ich soll die Tatsache ignorieren, dass Eve und das Mädchen hier sind? Sie verlangen ziemlich viel von mir. Ich könnte meinen Job verlieren. Darüber hinaus riskiere ich eine Anklage, wenn ich eine

Schwerverbrecherin nicht festsetze.«

»Ziehen Sie nicht so eine Schau ab, Spiro. Wenn Sie sich nicht auf den Handel einlassen wollten, wären Sie nicht hier. Dann hätten Sie uns ein paar freundliche Polizisten vorbeigeschickt, um uns abholen zu lassen.«

»Und warum sollte ich das nicht tun?«

»Wir führen Sie auf eine wichtige Spur. Vielleicht können wir Ihnen noch weitere liefern.«

Er schwieg eine Weile. »Das Mädchen. Übergeben Sie sie der Fürsorge, dann können wir ... «

»Nein«, sagte Eve rundheraus. »Das steht nicht zur Diskussion.«

Spiro wandte sich zu ihr. »Alles steht zur Diskussion. «

»Jane bleibt bei mir.« Sie dachte einen Augenblick nach. »Aber ich werde es Ihnen einfach machen. Ich werde Ihnen geben, was Sie haben wollen.«

»Nein«, schnauzte Joe.

»Sei friedlich, Joe: Es war doch klar, dass es darauf hinauslaufen würde.« Sie sah Spiro in die Augen. »Ich gebe Ihnen mein Wort, dass Sie mich als Köder benutzen können. Aber nur, wenn es keine andere Lösung gibt.«

»Und wer entscheidet, ob es keine andere Lösung

gibt?«

» Ich. «

»Dann haben Sie es in der Hand. Das gefällt mir nicht.

«

»Aber Sie werden sich darauf einlassen.« Sie setzte ein schiefes Lächeln auf. »Weil Sie besessen sind, Spiro. Sie wollen Dom genauso sehr wie ich. «

»Noch dringender. Weil ich weiß, wie er ist und wozu er fähig ist. Sie sehen ihn nur von Ihrem persönlichen Standpunkt aus.«

»Sie haben Recht, mein Interesse an ihm könnte per-sönlicher nicht sein. Also einverstanden? «

Spiro zögerte. »Einverstanden.«

»Darf ich jetzt auch mal was sagen?«, fragte Joe

bärbeißig. »Man hat mich ja wohl mal wieder aus-

gebootet. «

» Wir brauchen ihn, Joe. Nur so kriegen wir Dom. «

»Du hättest ja nicht gleich in die Vollen gehen müssen.

« Er wandte sich an Spiro. »Und Sie geben sich ge-fälligst alle Mühe, diesen Hurensohn zu schnappen, sonst erkläre ich Ihre kleine Abmachung für null und nichtig. Und zwar unter so viel Gewaltanwendung wie möglich. «

Spiro überhörte ihn geflissentlich. Er hatte seinen Blick wieder auf das Grab gerichtet. »Ich werde die Polizei von Phoenix verständigen, damit sie die Leiche

exhumieren. Das bedeutet, dass ich keinen von Ihnen hier sehen will. Ich werde denen sagen, ich hätte den Hinweis von einem Informanten.« Er sah Eve an. »Ich schicke Ihnen jemanden mit der nötigen Ausrüstung ins Haus, um Doms Anrufe abzuhören und aufzuzeichnen. Ich mache mir da zwar keine großen Hoffnungen, aber wir müssen es versuchen.« Er ging zum Wagen. »Ich rufe jetzt die hiesige Polizei. Machen Sie, dass Sie wegkommen. «

»Wann erfahren wir, was Sie gefunden haben?«,

wollte Eve wissen.

»Ich rufe Sie heute Abend an und gebe Ihnen einen vorläufigen Bericht.« Er lächelte spöttisch. »Nur damit Sie wissen, dass ich mir auch wirklich den Arsch

aufreiße. Zufrieden? «

»Okay.« Sie warf Joe einen Blick zu. »Wir sehen uns im Haus, Joe. «

»Es wird ein bisschen dauern«, antwortete er. »Ich werde dem Polizeirevier einen Besuch abstatten, sehe mir die Akten an und spreche mit Charlie Cather. Ich muss etwas tun, sonst drehe ich durch.«

Spiro rief am Abend um viertel vor neun an. »Es ist Debby Jordan. «

»Eindeutig?«

»Es ist noch zu früh für die DNA-Analyse, aber der Zahnabdruck stimmt.«

»Er hat die Zähne nicht herausgebrochen?«

»Das hat mich auch überrascht. Andererseits auch

wieder nicht. Soweit wir das bisher beurteilen können, hat er sie mehr oder weniger zerstückelt. Er muss regelrecht im Blutrausch gewesen sein. «

»So sehr, dass er etwas so Wichtiges vergisst wie die Zähne?«

»Ich erzähle Ihnen lediglich, was wir gefunden haben.«

»Sonst noch was?«

»Ja, in der rechten Hand hielt sie eine Kerze. Wachs.

Blassrosa.«

Sie zeigte mir das Licht und dann zeigte ich ihr das Licht.

»Lässt sich ermitteln, woher die Kerze stammt? «

»Wir werden es versuchen. Das Problem ist nur, dass Kerzen so verbreitet sind, dass es tausende von Her-stellern gibt. «

Das stimmte. Sogar ihre Mutter liebte es, sich Kerzen anzuzünden, wenn sie sich in die Wanne legte. »Wann werden Sie den Autopsiebericht haben? «

»Frühestens morgen.«

»Dann also bis morgen. Rufen Sie mich an, wenn Sie etwas Neues erfahren.«

»Aha, ich habe meine Schuldigkeit getan und Sie

würgen mich ab. Wie charmant. Ich rufe Sie morgen an. « Er legte auf.

Kerzen.

Licht.

Ich habe ihr das Licht gezeigt.

Welche Bedeutung hatte das für ihn?

Rausch. Es war schwierig, sich Dom im Rausch vor-

zustellen. Er war zu abgebrüht und zielgerichtet. Aber er hatte ja gesagt, dass Debby für ihn einen Wende-punkt dargestellt hatte.

»Eve. «

Sie sah Jane im Türrahmen stehen. »Hallo. Wie geht's Monty?«

» Ich weiß nicht. « Sie zuckte die Achseln. » Gut, glaube ich. Ich hab Hunger. Soll ich Ihnen auch ein Sandwich machen? «

Irgendetwas stimmte nicht. Sie war zu gleichgültig.

Warum hatte sie Monty allein gelassen? »Ja, gern.«

»Sie brauchen nicht mitzukommen. Ich bringe es Ihnen hier ins Büro. « Sie verschwand im Korridor.

Machte sie sich Sorgen um Monty? Hatte sie Angst?

Es war immer schwierig einzuschätzen, was in Jane vorging. Aber sie suchte Kontakt und es war wichtig, dass Eve für sie da war.

Sie ließ sich auf die Couch fallen und rieb sich die Augen. Es gab zu vieles, über das sie nachdenken

musste. Zu viele Bedürfnisse, denen sie gerecht

werden musste. Hör auf, dich zu bemitleiden.

Zumindest war Bewegung in die Sache gekommen.

»Schlafen Sie schon?«

Sie öffnete die Augen. Jane stand mit einem Tablett in der Hand vor ihr. »Nein, ich ruhe nur meine Augen aus. Ich habe letzte Nacht nicht viel geschlafen.«

Jane stellte das Tablett auf den Couchtisch. »Ich habe mein Sandwich auch mitgebracht, aber vielleicht

wollen Sie lieber allein sein.«

Eigentlich war es Jane, die ihr Bedürfnis nach Gesellschaft niemals eingestand. »Gerade fing ich an, mich ein wenig einsam zu fühlen. Setz dich. «

Jane kauerte sich in die andere Ecke der Couch.

»Isst du nichts?«, fragte Eve.

»Doch, doch.« Sie nahm ihr Sandwich und mümmelte

daran herum. »Sie sind oft einsam, stimmt's? «

»Hin und wieder.«

»Aber Sie haben Ihre Mutter und Joe und Mr Logan. «

»Das stimmt.« Sie biss von ihrem Sandwich ab. »Bist du manchmal einsam, Jane? «

Sie reckte das Kinn vor. »Nein, natürlich nicht.«

»Ist mir nur so in den Sinn gekommen. Du hast dich in letzter Zeit gar nicht mehr nach Mike erkundigt. «

»Sie haben doch gesagt, dass Ihre Mutter dafür sorgen will, dass er von seinem Vater wegkommt. Wenn das klappt, wird's ihm auch gut gehen.« Plötzlich wirkte sie besorgt. »Warum? Stimmt was nicht? Hat dieser

Anwalt ihn rausgeschmissen und ... «

»Nein, Mom erzählt sogar, dass sie sich anfreunden.

Alles in Ordnung. « Zumindest mit Mike, aber sie hatte zunehmend den Eindruck, dass irgendetwas mit

Jane nicht stimmte. »Es ist hart, von seinen Freunden getrennt zu sein, und ich weiß, dass du Mike gern hast.

Ich habe schon oft gedacht, dass du dich auch manchmal einsam fühlen musst.«

»Ich doch nicht.«

Sie musste einen anderen Weg versuchen. »Ich wun-

dere mich, dass du nicht bei Monty bist. Er braucht dich. «

Schweigen. »Er braucht mich nicht. Sarah meint zwar, es tut ihm gut, wenn ich da bin, aber er braucht nur sie.

Er merkt kaum, dass ich da bin. «

Aha, da lag der Hase im Pfeffer. »Das glaube ich aber schon. «

Jane schüttelte den Kopf. »Es ist ihr Hund. Er gehört zu ihr.« Sie wich Eves Blick aus. »Ich wollte, dass er zu mir gehört. Ich habe gedacht, wenn ich ihn nur genug lieb habe, wird er mich mehr mögen als Sarah.«

Und mit trotziger Miene fügte sie hinzu: »Am liebsten würde ich ihn ihr wegnehmen. «

»Ich verstehe. «

»Wollen Sie mir jetzt nicht sagen, wie böse das ist?«

»Nein.«

»Es ist böse. Ich ... mag Sarah. Aber ich liebe Monty.

Ich wünschte, er würde zu mir gehören. « Sie ballte ihre Hände zu Fäusten. »Ich wünschte, irgendetwas würde zu mir gehören.«

»Aber er gehört doch zu dir. Er gehört einfach noch mehr zu Sarah. Das ist nur natürlich. Sie war zuerst in seinem Leben.«

»So wie Bonnie zuerst in Ihrem war?«

Diese Frage erwischte Eve eiskalt. »Ich dachte, wir reden über Monty. Was hat das jetzt mit Bonnie zu tun?«

»Sie hat zu Ihnen gehört. Deshalb helfen Sie mir

doch, oder? Das ist alles wegen Bonnie, nicht wegen mir. «

»Bonnie ist tot, Jane.«

»Aber sie gehört immer noch zu Ihnen. Sie nimmt

immer noch die erste Stelle ein. « Sie biss ein Stück von Ihrem Sandwich ab. »Nicht, dass es mir was aus-macht. Warum auch? Es geht mich nichts an. Ich finde es nur merkwürdig.«

O Gott, jetzt fing sie auch noch an zu weinen. »Jane. «

»Es macht mir nichts aus. Es macht mir überhaupt

nichts aus. «

»Mir schon.« Sie rutschte auf der Couch zu Jane hin-

über und nahm sie in die Arme. »Ich helfe dir, weil du ein ganz besonderer Mensch bist, nur aus diesem

Grund. «

Jane war steif wie ein Brett in Eves Armen. »Und Sie mögen mich?«

»Ja.« Gott, sie hatte schon fast vergessen, wie klein und zierlich sich der Körper eines Kindes anfühlte. »Ich mag dich sehr.«

»Ich ... mag Sie auch.« Langsam entspannte sich Jane wieder. »Ist schon in Ordnung. Ich weiß, dass ich bei Ihnen nicht an erster Stelle stehen kann, aber vielleicht können wir ja Freunde sein. Sie gehören zu niemand so, wie Monty zu jemand gehört. Ich würde gerne ... «

Sie beendete den Satz nicht.

»Klar geht das«, erwiderte Eve. Jane brach ihr das Herz. Sie war so abweisend, so widerspenstig und

doch so hilflos. »Ich wüsste nicht, warum es nicht gehen sollte, du etwa?«

»Nein.« Jane lag eine Weile still an sie geschmiegt, dann schob sie Eve weg. »Okay. Abgemacht.« Sie

stand auf und lief eilig zur Tür. »Ich bringe Monty jetzt was zu fressen und dann gehe ich schlafen.« Der Moment der Schwäche war vorüber. Jetzt hatte Jane es eilig, einer Situation zu entfliehen, die ihr

Unbehagen bereiten musste.

War Eve nicht ähnlich unbehaglich zumute? In den

vergangenen Minuten war sie ebenso verlegen gewe-

sen wie Jane. Sie waren schon ein eigenartiges Pärchen, dachte Eve. »Hast du nicht eben erst behauptet, Monty bräuchte dich gar nicht? «

»Er muss ja was fressen. Sarah müsste ihn allein lassen, um Futter zu holen, und dann wäre er traurig.«

Bevor sie das Zimmer verließ, fügte sie noch hinzu:

»Er ist selbst schuld, wenn er mich nicht so liebt.«

Sich anpassen, Kompromisse eingehen, die Dinge

akzeptieren, wie sie waren. Janes Leben war nie

anders verlaufen und sie hatte Angst, um mehr zu

bitten, dachte Eve, als sie aufstand. Aber heute Abend hatte ein Durchbruch stattgefunden. Jane fing langsam an, sich einzugestehen, dass sie jemanden brauchte, und Eve war ausgewählt worden, dieses Vakuum zu

füllen.

Eve lächelte belustigt, als sie die Treppe hinaufstieg.

Jane war nicht die Einzige, die Kompromisse eingehen musste. Eve spielte auch nur die zweite Geige, und zwar hinter einem Golden Retriever.

Erst im Bett, nachdem sie das Licht ausgeschaltet hatte, wurde ihr die volle Bedeutung dessen, was geschehen war, bewusst.

Dom hatte bekommen, was er wollte.

Jane war es gelungen, Eves Abwehrmechanismen zu

unterlaufen, und sie wurde ihr zunehmend wichtig.

Ganz ruhig. Alles in Ordnung. Jane hatte nicht Bonnies Rolle eingenommen. Ihre Gefühle für Jane waren völlig anderer Natur; Jane war eher eine Freundin als eine Tochter.

Aber das könnte Dom schon reichen, um seinen Plan auszuführen. Dieser Gedanke ließ sie in Panik erstar-ren. Aber es war noch nicht zu spät. Sie musste Jane wieder von sich wegschieben. Sie würde so tun, als habe es diese Momente im Arbeitszimmer nie

gegeben.

Von wegen. Das könnte sie Jane niemals antun.

Dom konnte nicht wissen, dass eine Veränderung

stattgefunden hatte. Sie brauchte es ihm nicht auf die Nase zu binden. Außerhalb des Hauses würde sie darauf achten, Distanz zu Jane zu halten.

Dom musste die Wahrheit ja nicht erfahren.

»Hallo.« Joe betrat die Küche und ließ sich auf den Stuhl fallen. »Ich könnte einen Kaffee gebrauchen.«

»Schon fertig. Steht auf der Anrichte.« Eve hob ihre Tasse an den Mund. »Du warst vergangene Nacht

nicht zu Hause. «

»Woher weißt du das?« Er stand auf und goss sich

eine Tasse Kaffee ein. »Hast du nachgesehen? Gut

so.«

»Ich habe an deine Tür geklopft und einen Blick hin-eingeworfen, als du nicht geantwortet hast. Du hättest mich anrufen können.«

»Ich hatte die Hoffnung, du würdest schlafen.« Er grinste. »Wir reden schon wie ein altes Ehepaar.«

»Und warum bist du nicht nach Hause gekommen?«

» Ich war bei Charlie im Hotel und habe ein bisschen was getrunken.« Er verzog das Gesicht. »Na ja, war wohl ein bisschen mehr.«

»Hast du versucht, ihn betrunken zu machen?«

»Nur angetrunken. Er war erst nicht sehr gesprächig.

Spiro hält ihn an der kurzen Leine, seit Charlie sich neulich über ihn hinweggesetzt hat.«

»Ich möchte nicht, dass er Probleme bekommt. Du

hättest es zuerst bei der Polizei versuchen sollen.«

»Hab ich getan, aber die haben mich auflaufen lassen.

Die sind stinksauer auf Spiro, weil er den Namen des Informanten nicht rausgerückt hat, der ihm den

Hinweis auf Debby Jordans Grab gegeben hat. «

»Und was hat das mit dir zu tun?«

» Die finden, ich bin zu nett zu Spiro und Charlie. Also hänge ich in der Luft, solange ich nicht einen von beiden zum Reden kriege. «

»Und warst du erfolgreich?«

»Es hat eine Weile gedauert, bis ich ihn so weit hatte, mir zuzuflüstern, was die Polizei in Phoenix über die Morde weiß. «

»Was ist mit dem Wachs?«

»Die Wachsspuren stammen von Kerzen, aber das ist gar nicht das Wichtigste. Die Leichen waren schon viel länger vergraben als die in Talladega. «

» Seit wann? «

»Zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahren. «

»Mein Gott.« Die Zeitspanne machte sie ganz

schwindlig. Wie viele Tote, wie viele Gräber, Dom?

»Und er ist nie gefasst worden. Das ist ja unglaublich.«

»Wie Spiro gesagt hat: Anfangs hat er Glück gehabt und mit der Zeit wurde er clever. « Er dachte einen Augenblick nach. »Aber vielleicht haben auch wir Glück gehabt. Diese beiden Morde gehören vermutlich zu

den ersten, die er begangen hat.«

»Und wenn schon. Nach so langer Zeit sind alle Spuren verwischt. «

»Die Leichen sind identifiziert.«

»Wie das? Die Zähne waren doch entfernt. «

»DNA. Wie du dich vielleicht erinnerst, wurden die Leichen vor fast drei Monaten gefunden. Die Labor-berichte sind vor zwei Wochen eingetroffen. « Er trank einen Schluck Kaffee.

»Die Polizei hat alte Unterlagen durchforstet und ist auf vier Fälle von Vermissten gestoßen. Sie haben

überlebende Verwandte ausfindig gemacht und die Ermittlungen schließlich auf Jason und Eliza Harding konzentriert. Fünfzehn und sechzehn Jahre alt, Bruder und Schwester. Sie verschwanden am vierten Septem-ber 1970. Nette Kinder. Vielleicht ein bisschen wild.

Jason spielte Gitarre und sprach immer davon, eines Tages nach San Francisco zu gehen. Als sie

verschwunden waren, legte der Vater der Polizei nahe, in HaightAshbury oder Los Angeles zu suchen. Da war ein Junge gewesen, der mit Jason und Eliza

befreundet war, ein liebenswerter Bursche, aber Mr Harding hatte ihn im Verdacht, einen schlechten

Einfluss auszuüben. Ihn und seine zwei Brüder hatte es einige Wochen zuvor in die Stadt verschlagen.

Seine Brüder waren stille Burschen, fast schon

griesgrämig, aber Kevin war redselig, ein

Energiebündel. Er redete unaufhörlich von irgend-

welchen Bands und Musikern, die sich in den Cafes an der Westküste eine goldene Nase verdienten, und alle hingen ihm an den Lippen. «

»Dom?«

»Sein Name war Kevin Baldridge. Er und seine Brüder verschwanden zur selben Zeit wie Jason und Eliza. «

»Hat man herausgefunden, was aus ihm geworden

ist?«

Joe schüttelte den Kopf. »Aber möglicherweise gibt es ein Foto von ihm. «

» 0 mein Gott. «

»Freu dich nicht zu früh. Mrs Harding hatte es der Polizei angeboten, aber es ist nicht in den Akten.« Er lächelte. »Charlie hat die Hardings in Azora ausfindig gemacht, einer kleinen Stadt nördlich von hier. Ich denke nicht, dass eine Mutter so ein Foto einfach weg-wirft, oder? «

»Nein.« Joe hatte Recht. Sie durfte sich nicht zu früh freuen, aber es war ein unglaublicher Durchbruch.

»Wissen die Eltern schon, dass die Leichen ihrer Kinder gefunden wurden? «

»Noch nicht. Charlie hat sie gerade erst ausfindig gemacht. Er will sie morgen aufsuchen. « »Ich möchte ihn begleiten.«

»Das habe ich mir schon gedacht. Tut mir Leid, aber es wäre nicht besonders klug, wenn er sich mit einer Entführerin sehen ließe. Aber ich habe ihm die Zusage abgeluchst, dir das Foto zu zeigen, sobald es als Beweismittel sichergestellt ist.«

» Ein Foto. «

»Es muss nicht Dom sein.«

»Er könnte es aber sein.«

Vielleicht würde sie schon bald sein Gesicht sehen.

Joe setzte seine Kaffeetasse ab. »Ich gehe jetzt du schen und lege mich aufs Ohr.« Er stand auf. »Und dann führe ich dich zum Essen aus. « »Wie bitte?«

»Du drehst mir noch durch, wenn du die ganze Zeit tatenlos herumsitzt, bis wir mehr von Spiro oder Charlie erfahren.« Er ging zur Tür. »Um zwölf geht's los.«

Joe und seine Chefallüren. »Vielleicht habe ich keine Lust, essen zu gehen. Und vielleicht solltest du dich nicht mit einer Entführerin sehen lassen.«

»Wenn du mich versetzt, nehme ich Monty mit. Er wird meine Gesellschaft wahrscheinlich besser zu schätzen wissen. Obwohl Sarah nicht erfreut sein dürfte, wenn ich ihm scharf gewürztes mexikanisches Essen gebe.

« Er verließ das Zimmer.

Sehr witzig. Schon zum zweiten Mal in zwölf Stun

den belegte sie Platz zwei hinter diesem Hund. Das reichte, um eine Frau mit Komplexen zu beladen.

Aber immerhin hatte Joe sich fröhlich gegeben, also musste sie sich nicht mit komplizierten persönlichen Angelegenheiten auseinander setzen. Nicht, dass ihr eine Wahl geblieben wäre, hätte Joe beschlossen zu ...

Sie würde sich darüber jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Joe hatte Recht. Sie würde durchdrehen, wenn sie sich nicht ablenkte.

»Könnte ich einen Kaffee bekommen?« Sarah stand

im Türrahmen, Monty neben sich. Die Frau wirkte

genauso müde und zittrig wie der Hund.

»Klar.« Eve sprang auf. »Setzen Sie sich. Möchten Sie etwas essen? Seit Monty Debby Jordan aufgespürt

hat, haben Sie keinen Bissen mehr zu sich

genommen.«

»War sie es wirklich?« Sarah setzte sich an den Tisch, während Monty sich zu ihren Füßen legte. »Man hat sie identifiziert?«

Eve nickte.

»Gott sei Dank.« Sie tätschelte Monty den Kopf. »Es ist vorbei, Junge. Wir müssen nicht mehr los. «

» Eier?«

»Nur Cornflakes. Bitte.«

Eve brachte ihr Cornflakes, Milch und eine Schale.

»Hat Monty schon gefressen?«

»Gestern Abend ein bisschen. Er wird allmählich

wieder.« Sarah goss Milch auf die, Cornflakes. »Und nützt es was? Werden Sie ihn finden? «

»Es gibt eine vielversprechende Spur.« Sie berichtete von der Fotografie. »Wir sind ein ganzes Stück weiter-gekommen.«

»Ja.« Sarah schwieg. »Ich denke, morgen fahre ich wieder nach Hause. Die Suche ist vorbei. Dom hat keinen Grund mehr, Monty ins Visier zu nehmen. «

Er muss im Blutrausch gewesen sein.

»Dom braucht keinen Grund. Sie haben die Leiche

schneller gefunden, als er wollte. Sie sollten hier bleiben. «

»Wir können auf uns aufpassen. Beim ersten Mal hat er uns noch ohne Vorwarnung erwischt.« Sarah rieb Montys Ohren. »Und uns gefällt es zu Hause.«

»Bitte. Bleiben Sie. Nur noch ein paar Tage. Vielleicht werden wir bald den entscheidenden Durchbruch

erzielen.« Sie schwieg einen Augenblick. »Und Jane wird sich Sorgen machen um Monty. Das wissen Sie

genau. «

»Ich weiß.« Sarah zuckte mit den Schultern. »Also gut, ein paar Tage noch. Aber zu Hause würde Monty sich schneller erholen. «

Und Montys Wohlbefinden war offensichtlich das

Wichtigste in Sarahs Leben. »Danke.«

Sarah aß die restlichen Cornflakes, dann stand sie auf.

»Ich gehe mit Monty eine Runde durch die Gemeinde drehen. Er braucht Bewegung.« Sie verzog das

Gesicht. »Und ich auch. Wir halten es beide nicht aus, eingesperrt zu sein.«

Da hatten sie was gemeinsam. Immer in Bewegung

bleiben. Nur nicht an Dom denken. Zeit totschlagen.

»Ich gehe heute Mittag mit Joe essen. Können Sie und Monty Jane im Auge behalten? «

»Klar. Aber sie wird wahrscheinlich eher uns im Auge behalten.« Sarah grinste. »Sie ist ein nettes Mädchen.

Sie wird mir fehlen.« Dann wurde sie wieder ernst. »Es kommt einem einfach undenkbar vor, dass dieses

Ungeheuer sie töten will. «

»Aber es ist so.«

»Ja, ich weiß.« Sie ging zur Tür, Monty auf ihren Fersen. »Ich habe viel über Ungeheuer gelernt, als ich in Oklahoma City war. «

»Ich kann mir nicht vorstellen, wie man mit so etwas fertig wird. «

»Man wird damit fertig. Jeden Tag ein bisschen. Jede Minute ein bisschen. Und dazwischen versucht man, den Wahnsinn im Zaum zu halten. «

»Man nimmt seinen Hund und läuft eine Runde.«

Sarah deutete ein Lächeln an. »Oder man geht mit Joe essen. Was sich gerade anbietet.«

Eve nickte. » Richtig. Was sich gerade anbietet. «