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Wenn Sie alleine nicht mit dem
Aufschiebeproblem fertig werden

Was ist, wenn Sie das Aufschieben überwinden wollen, Ihnen die Empfehlungen in diesem Buch auch einleuchten, Sie sich aber nicht dazu aufraffen können, sie auszuprobieren? Wenn Sie sich weder ein Veränderungslogbuch zugelegt, noch den Fragebogen über Ihre spezielle Art des Aufschiebens ausgefüllt haben? Wenn Sie weder Ihre Kognitionen bei einem aufgeschobenen Vorhaben überprüft, noch auch nur eine einzige Übung zur Veränderung Ihrer Gefühle gemacht haben? Vielleicht ist Ihr Aufschieben tatsächlich durch BAR, also Bewusstheit, Aktionen und Rechenschaft darüber, nicht zu heilen. Ihre bisherigen Misserfolge beim Versuch, sich selbst besser zu steuern, könnten beweisen, dass Sie Ihr Verhalten nicht kontrollieren können. Wenn das der Fall ist oder Sie bei einem ernsthaften Leidensdruck wegen Ihres Aufschiebens gar keinen Versuch machen, sich selbst zu helfen, dann haben Sie die Chance zu erkennen, dass Sie offenbar alleine nicht weiterkommen. Es könnte für Sie dann sinnvoll sein, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich stelle Ihnen kurz die wichtigsten Therapieformen und deren Vorgehen bei Störungen, die hinter dem extremen Aufschieben stecken, vor.

Falls Sie die in diesem Buch empfohlenen Techniken über drei Monaten hinweg angewendet haben, aber mit Ihrem bisherigen Erfolg noch nicht zufrieden sind, dann können Sie sich einer Selbsthilfegruppe anschließen. In ihr treffen sich Menschen wie Sie, die unter dem Aufschieben leiden. Wenn es an Ihrem Wohnort eine solche Gruppe nicht gibt, dann gründen Sie doch einfach eine. Setzen Sie eine Anzeige in die Zeitung oder hängen Sie einen Zettel im örtlichen Supermarkt am Schwarzen Brett aus. Sie können sicher sein, dass sich andere Menschen, die auch unter dem Aufschieben leiden, finden werden.

Sie könnten auch nach Selbsthilfegruppen Ausschau halten, in denen sich »Messies« treffen. Unter diesem Stichwort versuchen Menschen, die unter einem schlampigen Umgang mit Zeit, Ordnung, |277|Sauberkeit und Verpflichtungen leiden, sich gegenseitig zu helfen. Aufschieben ist zwar nicht identisch mit dem, was die Messies bekümmert, aber es gibt genügend Berührungspunkte, sodass Sie eventuell auch von der Teilnahme an solchen Gruppen für die Lösung Ihrer Schwierigkeiten profitieren können.

Was aber, wenn Sie keine der hier angebotenen Empfehlungen überhaupt ausprobiert haben? Wenn Sie weder den Gebrauch Ihrer Zeit festgehalten noch geplant haben, wie Sie Ihre Ziele erreichen können? Was ist dann mit Ihnen los? Es gibt mehrere Möglichkeiten, die sich darin unterscheiden, wie frustriert Sie sich fühlen:

  • Ihr Aufschieben beruht nicht auf Konflikten, sondern auf Bequemlichkeit. Möglicherweise tarnen Sie Ihre Trägheit durch das Etikett »Aufschieben« und geben sich so etwas Problematisches. In Wirklichkeit aber sehen Sie sich nicht in echten Schwierigkeiten und haben somit auch keinen Anlass, sich zu verändern.

  • Ihr Aufschieben erzeugt zwar einen gewissen Leidensdruck, aber zur Zeit sind Sie (noch) nicht bereit, an Ihrem Problem wirklich etwas zu verändern. Vielleicht ist es nicht der richtige Zeitpunkt. Debattieren Sie zur Sicherheit einmal diesen Gedanken (»Ist es wahr, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt ist?«) und nehmen Sie in drei Wochen einen neuen Anlauf.

  • Sie möchten Ihr Aufschieben loswerden, aber Sie sind nicht bereit, dabei Ratschläge entgegenzunehmen, weder von anderen Menschen noch aus Büchern. Wahrscheinlich haben Sie ein Autoritätsproblem und empfinden Ratschläge als Schläge. Aber ein Ratgeberbuch ist kein Psychotherapeut, an dessen Tür Sie erst einmal klingeln und auch kein Chef, dem Sie sich unterordnen müssten. Es liefert nur Anregungen und Vorschläge. Die Entscheidung, ob Sie ein paar Tipps und Tricks ausprobieren, liegt ganz allein bei Ihnen.

  • Sie können sich nicht darauf konzentrieren, die einzelnen Schritte der Selbsthilfeübungen durchzuführen. Ihre Gedanken sind ständig woanders und Sie finden nicht einmal die Ruhe, über das Gelesene nachzudenken, haben das meiste schon wieder vergessen. Eine innere Unruhe überkommt Sie, wenn Sie nur anfangen, an Ihr Aufschiebeproblem zu denken. Das geht Ihnen bei fast allen Sachen so, auf die Sie sich konzentrieren müssten. Möglicherweise haben Sie das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS). Lassen Sie dies von einem kompetenten Psychotherapeuten abklären.

  • |278|Sie leiden schon lange und ernsthaft unter dem Aufschieben. Vor allem darunter, dass Sie selbst es bisher nicht überwinden konnten. Sie haben dieses Buch gelesen, auch verstanden und finden die meisten Anregungen brauchbar. Sie wollen auch einige ausprobieren, fangen aber nicht damit an. Sie schieben es auf, an Ihrem Aufschieben etwas zu verändern. Interpretieren Sie das bitte als Zeichen dafür, dass Sie allein nicht mit dem Problem fertigwerden.

Sich selbst zu beobachten und Gedanken aufzuschreiben, sich einen Stundenplan zu machen oder ein Vorhaben in kleine Schritte zu zerlegen, ist etwas, bei dem es keinen echten Versuch gibt. Entweder Sie tun es oder nicht. Wenn Sie solche Dinge nicht machen können, obwohl Ihr Leidensdruck groß ist und Sie auch überzeugt davon sind, dass diese Schritte Ihnen helfen könnten, sitzen Sie leider tiefer in der Tinte als erwartet. Sie haben sich vielleicht bisher durch Ihr Aufschieben vor der Einsicht drücken können, ein ernsthafteres Problem wie etwa eine depressive Verarmung an Schwung, Optimismus und Energie zu haben. Damit verlängerten Sie allerdings auch Ihr Leid.

Wenn Sie gerne glauben würden, dass die Empfehlungen aus diesem Buch etwas bringen, sich aber zu antriebslos fühlen, um auch nur eine auszuprobieren, dann haben Sie wahrscheinlich eine depressive Störung. Seien Sie nicht zusätzlich deprimiert darüber, dass Sie mit diesem Buch nicht arbeiten konnten, sondern suchen Sie sich möglichst bald psychotherapeutische Hilfe.

Wenn Sie alle möglichen Tipps ausprobiert haben, aber nicht lange und ausdauernd genug, und alles nichts genützt hat, dann haben Sie unterschätzt, wie sehr Ihr Aufschieben als Symptom in Ihrem Leben eine wichtige Funktion erfüllt. Es kommt recht häufig vor, dass Menschen sich in dieser Hinsicht irren und glauben, es reiche aus, sich mit etwas mehr Selbstdisziplin und Arbeitstechnik auszustatten. Wenn Ihr Aufschieben jedoch in bewussten oder gar unbewussten Konflikten verankert ist, dann stoßen Sie an Grenzen der Selbsthilfe. Es ist dann so, als ob Sie eine Boje, die am Meeresboden verankert ist, abschleppen wollen. Sie können noch so heftig rudern, es gelingt Ihnen natürlich nicht. Als Faustregel gilt: Je mehr Sie das Gefühl haben, das Aufschieben sei Ihnen eigentlich fremd und es als lästig erleben, desto bessere Chancen haben Sie, es aus eigener Kraft zu überwinden. Je mehr es jedoch in Ihrer Lebensführung verwurzelt und zur zweiten Natur geworden ist, desto eher brauchen Sie Hilfe von außen.

|279|Tipp: Lesen Sie die Abschnitte über die Gründe für das Aufschieben nochmals und identifizieren Sie im Kapitel Jede Menge Stress, welche emotionalen Probleme mit Ihrem Aufschieben verbunden sind. Sprechen Sie mit Freunden, Familienangehörigen oder Partnern darüber. Wenn Sie bereits wissen oder jedenfalls ahnten, dass Sie ernsthaftere emotionale Probleme haben, sollten Sie eine Beratungsstelle oder einen Psychotherapeuten aufsuchen.

Damit Sie von psychologischer Beratung oder Psychotherapie profitieren können, müssen Sie sich eingestehen, dass Sie diese fremde Hilfe brauchen, und Ihren Stolz überwinden. Und der steht in einem ganz besonderen Verhältnis zum unkontrollierbaren Aufschieben.

Jenseits der Selbstkontrolle

Die in diesem Buch präsentierten Selbsthilfetechniken unterstellen, dass Sie grundsätzlich ohne fremde Hilfe dazu in der Lage sind, in einem hohen Ausmaß Ihr Verhalten selbst zu kontrollieren. Irrationale Einstellungen mögen Sie bisher in dieser Fähigkeit ebenso behindert haben wie die eingeschliffene Gewohnheit, vor unangenehmen Gefühlen auszuweichen. Sicher haben Sie bislang auch keine optimale Selbststeuerung praktiziert. Deswegen habe ich Ihnen Wege vorgestellt, wie Sie

  • Ihr Ich stärken können, indem Sie sich so akzeptieren, wie Sie sind;

  • auf dieser Grundlage Ihre wichtigsten Konflikte erkennen und lösen können;

  • sich realistische Ziele setzen können, die zu Ihnen passen und Sie motivieren;

  • mithilfe von optimaler Planung, Selbstorganisation und Zeitmanagement Ihre Vorhaben erledigen können.

Sicher stimmen Sie mir in der prinzipiellen Annahme zu, dass Sie Ihr Verhalten selbst kontrollieren und lernen können, sich noch mehr und besser zu steuern. Was aber, wenn Ihnen gerade das konstant misslingt? Sie stehen dann vor einer Wahl: Entweder verstärken Sie Ihre |280|Anstrengungen, sich selbst zu kontrollieren und haben dabei Erfolg. Oder Sie verstärken die Selbstkontrolle, haben dabei aber dauerhaft Misserfolge. Dann könnte Ihr Aufschieben in seiner unbewussten Dynamik der Versuch einer Selbstheilung und nicht, wie bisher angenommen, ein Versuch des Selbstschutzes sein. Wieso Selbstheilung? Nun, Sie müssen nur Ihre bisherigen Erfahrungen ernst nehmen und die Idee aufgeben, dass Sie sich selbst kontrollieren können, damit Sie auf den Weg der Heilung geraten. Sie würden sich dann als jemand betrachten, der süchtig nach dem Aufschieben ist, denn das bedeutet unkontrollierbar. Das Aufschieben ist Ihre Droge. Sie fliehen aus der harten Wirklichkeit, die Ihnen unerträglich vorkommt, in eine etwas weniger schmerzliche, etwas angenehmere Realität. Vielleicht genießen Sie den Nervenkitzel, wenn Sie ausweichen und vertagen. Sie haben ein Loch im Ich, das Sie mit dem Aufschieben plombieren. Das, womit Sie das Loch füllen, ist aber ebenso problematisch wie Amalgam. Auf die Dauer wird Ihre Seele vergiftet. Sie stürzen vielleicht auch sozial ab. Sie wollen das Aufschieben aufgeben, schaffen es aber nicht allein. Jeder Versuch, den Schlendrian abzustellen, führt bald zum Rückfall. Sie können sich in dieser Hinsicht nicht kontrollieren. Sie brauchen Hilfe. Das einzusehen, ist leichter gesagt als getan, zumal zu Ihrem süchtigen Aufschieben gehört, dass Sie nicht glauben, krank zu sein, sondern im Gegenteil annehmen, dass Sie sich eigentlich kontrollieren können. Kein Wunder, da doch in unserer Kultur die Fähigkeit zur Selbststeuerung als so außerordentlich wichtig angesehen wird.

Süchtiges Aufschieben

Nehmen wir einmal an, dass Sie bislang Ihr Aufschieben mit einem Mangel an Selbstkontrolle gleichgesetzt haben. Nun erwarten Sie sich die Lösung davon, sich mehr als bisher zu steuern. Sie haben sich deswegen dieses Buch gekauft, die empfohlenen Strategien eine Zeitlang angewendet, aber die Erfahrung gemacht, dass Sie damit Ihr Aufschieben nicht verändern können. Offenbar sind Sie dem Aufschieben gegenüber machtlos und können diesen Aspekt Ihres Lebens nicht beeinflussen. Eigentlich müssten Sie den Kontrollverlust als Regelfall einplanen und sich eingestehen, dass Sie ziemlich am Ende sind mit Ihrem Latein.

|281|Möglicherweise kränkt Sie das bisher so sehr, dass Sie sich immer wieder vorgenommen haben, der Versuchung zu widerstehen, sich einen Plan zu machen, den einzuhalten, sich nicht abzulenken und so weiter. Sie träumen davon, dass Ihr Ich stark und dominierend über das siegt, was Sie für Schwäche und Faulheit halten. Tatsächlich aber führt dieser Weg – mit guten Vorsätzen gepflastert – zur Hölle.

Natürlich gibt es Probleme, die mit dem Sieg des Ichs über den inneren Schweinehund gelöst werden können. Diese Lösung funktioniert wie die Heizung: Es ist kalt, Sie drehen die Heizung an. Es ist noch nicht warm genug, Sie drehen den Thermostaten höher. Mehr desselben, bis das Resultat zufriedenstellend ist. Falls es nicht wärmer wird, werden Sie annehmen, dass irgendetwas an der Heizung kaputt sei. Mit Ihrem Aufschieben können Sie es genauso halten: Sie schieben auf, Sie versuchen es mit Selbstkontrolle. Sie schieben weiterhin auf, Sie steigern die Selbstkontrolle. Wenn es nicht klappt, ist vielleicht irgendetwas in Ihnen nicht in Ordnung. Sie müssten einsehen, dass Selbstkontrolle bei Ihnen nicht funktioniert. Sie sind in derselben Lage wie ein Alkoholiker, der erkennen muss, dass er den Drang zur Flasche nicht beherrschen kann. Sie können das süchtige Ausweichen, den Drang zur unmittelbaren Spannungserleichterung auch nicht abstellen. Sie können zur Psychotherapie gehen und versuchen herauszufinden, was in Ihnen kaputt ist, um es dann wieder in Gang zu bringen.

Leider aber gehört zu dieser Störung dazu, dass Sie in extremer Weise überzeugt davon sind, sich potentiell doch und jederzeit selbst steuern zu können. Obwohl Ihre Erfahrungen das Gegenteil beweisen, glauben Sie weiterhin, dass Sie der Steuermann am Ruder Ihres Schiffes sind. Wenn Sie sagen: »Ich werde gegen den Schlendrian ankämpfen«, dann bauen Sie nicht auf vergangene Erfolge, sondern setzen einzig und allein auf Ihren Stolz. Der beruht angesichts Ihrer Fehlschläge in der Vergangenheit nicht auf der rückblickenden Gewissheit: »Ich habe es schon so oft geschafft, mich zu beherrschen«, sondern auf der durch nichts begründeten illusionären Zuversicht: »Ich kann es schaffen, mich zu beherrschen«. Sie leben dann im Bann einer Fantasievorstellung, die Ihnen wichtiger ist als die Realität. Bald sind Sie der einzige, der daran glaubt, dass Sie das Aufschieben wirklich aufgeben können.

Wenn Sie statt auf die Realität auf Ihren neurotischen Stolz setzen, dann lernen Sie nicht aus Ihrer immer wieder erlebten Machtlosigkeit, |282|sondern missdeuten sie als nicht hinnehmbare Unfähigkeit, was Ihre Aufschieberkarriere verlängert. Um nicht so unfähig zu sein, klammern Sie sich an einen Arbeitsplan. Haben Sie diesen Plan eine gewisse Zeit eingehalten, so stellt sich nicht etwa mehr Stolz auf Ihre reale Leistung, es geschafft zu haben, ein. Ihre Befriedigung kommt ja eben nicht aus der Erfahrung, dass Sie sich beherrscht haben, sondern aus dem Stolz darauf, dass Sie sich jederzeit wieder beherrschen können. Um sich das zu beweisen, müssen Sie wieder aufschieben, womit sich Ihre Machtlosigkeit erneut zeigt. Ihr neurotischer Stolz lässt jedoch weder Machtlosigkeit noch Unfähigkeit gelten. Sie spalten sich immer mehr in einen Teil, der bewusst den Schlendrian bezwingen will, und den Rest, der nicht pariert. Sie stimmen Freunden und Verwandten zu, die Sie dazu drängen, stark zu sein und den inneren Schweinehund zu überwinden. Wie ein Alkoholiker, der im nüchternen Zustand Stein und Bein schwört, der nächsten Versuchung zu widerstehen, geloben Sie, nie wieder aufzuschieben. Sie setzen die beiden Teile Ihres Selbst, das große starke Pferd, das immer wieder durchgeht, und Ihr kleines Reiterchen oben drauf, das lenken möchte, einfach nicht zu einer Ganzheit zusammen. Trotz aller gegenteiliger Erfahrung verlangt Ihr Ich weiterhin heroisch, dass Sie gegen die abgespaltene, nicht ins Selbst integrierte Schwäche ankämpfen.

Die Hoffnung auf mehr Selbstkontrolle kann zur fixen Idee werden und sich zur Allmachtsphantasie auswachsen. Ihr reales Misslingen führt bei Ihnen nicht in erster Linie zu Schuldgefühlen und Versagensangst. Stattdessen fühlen Sie sich reduziert auf Ohnmacht und Hilflosigkeit. Wahrscheinlich haben Sie diese Gefühle in Ihrer Lebensgeschichte als so unerträglich erlebt, dass Sie sie aus Ihrer Existenz ausgeschlossen haben. Die Fantasievorstellung, dass Sie Herr im eigenen Haus sind, sein sollten und sein könnten, richtet sich gegen Ihre traumatischen Erfahrungen mit Unkontrollierbarkeit.

Ihr Stolz steht auch in Beziehung mit anderen Menschen beziehungsweise den inneren Abbildern von anderen Menschen, die für Sie wichtig waren und sind. Die Art der Beziehung ist dabei meistens eskalierend, nach dem Modell des Rüstungswettlaufs, wo keiner sich unterkriegen lässt. Das heißt auch: Sie stehen grundsätzlich in innerer Opposition. Wenn Ihr Chef argwöhnt, dass Ihr Aufschieben eine Charakterschwäche von Ihnen sei, dann können Sie symmetrisch reagieren, indem Sie es ihm übelnehmen, und eskalierend, indem Sie |283|es ihm zeigen wollen. Also schieben Sie eine Zeitlang nicht auf. Aber, wie Sie oben schon gesehen haben: Wenn Sie das durchhalten, wird sich nach einer gewissen Zeit Ihre eigene unbewusste Opposition wieder melden und bald sind Sie wieder voll drauf.

Es ist klar, dass solche Verhältnisse einen extrem unangenehmen inneren Zustand schaffen, wenn Sie an einem Vorhaben arbeiten. Für den Alkoholiker, der gegen die Flasche kämpft, kann es eine Alternative darstellen, sich zu betrinken. Für Sie, der sich um Erledigung bemüht, kann es eine ersehnte Entlastung sein, sich schließlich dem Aufschieben hinzugeben. Was dem Alkoholiker der Rausch, bedeutet Ihnen die Flucht vom Schreibtisch, das Hängenbleiben vor dem Fernseher, das Verstreichenlassen der Deadlines. Sie steigen aus der kämpferischen symmetrischen Beziehung zu realen oder verinnerlichten anderen Personen aus, indem Sie sich Ihrer Verachtung und Ihrem Misstrauen unterwerfen. »Du schaffst es sowieso nicht«, sagten Sie oder sagen Ihre verinnerlichten Stimmen, »du bist einfach zu schwach, du bringst es nicht!« Nach all dem anstrengenden Kampf um Selbstbeherrschung, nach all der inneren Opposition ist es für Sie eine Erleichterung, endlich klein beizugeben: »Ihr habt ja Recht mit Eurer Verachtung, aber darf ich mich jetzt endlich vom Stress, vom Kampf und von der Unlust befreien?« Das aktuelle Aufschieben beendet den Kampf, bringt Sie in Übereinstimmung mit dem Urteil der anderen und vertagt die inneren wie die zwischenmenschlichen Konflikte. Sie ruinieren durch Ihr Verhalten das Konzept der Selbstkontrolle, dem Sie in Worten immer beipflichten. Erst das Eingeständnis, ein Mensch zu sein, der aufschieben muss, der mit seiner Sucht eine Einheit bildet und sich ihr eben nicht kämpfend entgegenstellen kann, öffnet den Weg aus Ihrer Krankheit.

Als jemand mit einem extremen Aufschiebeproblem machen Sie immer wieder neue Anstrengungen, so etwas wie Selbstkontrolle zu probieren. Aber Ihre Erfahrungen sprechen dafür, dass Sie sich nicht selbst kontrollieren können. Ihre abschließende Vermeidung des Vorhabens und die Zuflucht zu etwas Einfacherem, Lustvollerem und Bequemerem ist wie eine im Verhalten gestaltete Aussage, dass Selbstkontrolle für Sie ein unmögliches Konzept sei. Je mehr Sie es damit versuchen, desto unweigerlicher landen Sie beim Aufschieben.

|284|Schluss mit den Lebenslügen

Wenn Sie sich ganz genau und ehrlich beobachten, dann werden Sie als extremer Aufschieber merken, wie Sie bereits beim Aufstellen eines Arbeitsplanes die Hintertüren öffnen und aktiv dafür sorgen, dass »es nicht klappt«. Sie sind entschlossen, eine Theorie der Selbstkontrolle zum Scheitern zu bringen, mit der Sie sich zutiefst identifiziert haben. Sie ahnen oder wissen, dass Ihre immer wieder vorgebrachten Ankündigungen, dass Sie das nächste Mal wirklich pünktlich sein und dass Sie nicht mehr aufschieben werden, Lügen sind.

Nach dem jeweiligen Aufschieben kommt der moralische Katzenjammer. Möglicherweise haben Sie sich an ihn gewöhnt. Dann haben Sie vielleicht noch Gewissensbisse, erwarten aber im Grunde nichts mehr von sich und haben de facto resigniert. Eine traurige Lösung, denn Sie wählten damit ein Stück Selbstaufgabe.

Wenn Sie die Tatsache verleugnen, dass Sie Ihr Aufschieben nicht im Griff haben, werden Sie weiterhin Anläufe machen, sich mit Selbstkontrolle beizukommen, mit einem Vorgehen also, das sich schon hundertmal als unwirksam erwiesen hat. Wenn Sie sich und anderen versprechen, dass Sie das nächste Mal bestimmt durchhalten, sind Sie in Gefahr, nicht nur völlig unglaubwürdig zu werden, sondern zusätzlich als Phantast dazustehen, der sich weigert, die Realität anzuerkennen. Ihr Leben wird dann zur Lüge, mit eventuell düsteren Folgen, auf die schon Proust hinwies:

 

»Wenn es sich ums Schreiben handelt, ist man gewissenhaft, man sieht sehr genau hin, man verwirft, was nicht Wahrheit ist. Solange es aber nur um das Leben geht, ruiniert man sich, macht sich krank oder begeht Selbstmord, und das um lauter Lügen.« (Proust, VII, S. 316f.)

 

Sie können sich dann auf eines verlassen: Sie werden weiter aufschieben und als ein ewig uneingelöstes Versprechen aus dieser Welt gehen. Oder aber Ihre Unzufriedenheit und Ihre Selbstverachtung werden bis zu einer Schwelle gesteigert, ab der eine Veränderung möglich wird. Dann werden Sie zwei Dinge einsehen: dass es wirklich Ihr Aufschieben ist, das Ihnen so viel Leid verursacht; und dass Sie darüber tatsächlich keine Kontrolle haben.

Sie sind dann bereit, die für Sie falsche Frontstellung »Ich gegen finstere innere Aufschiebemächte« aufzugeben. Sie erwerben damit |285|eine neue Beziehung zu sich und den anderen, die mit Anerkennung und Ergebung zu tun hat. Sie fügen sich der Einsicht, dass der abgespaltene innere Schweinehund Ihr Lebensgefährte ist, den Sie nicht besiegen, sondern mit dem Sie sich nur arrangieren können. Vielleicht kann Ihnen die Vorstellung helfen, dass es Probleme gibt, die mit der Strategie des »Mehr desselben« nicht gelöst werden können. Wenn Ihre Zimmerpflanze nicht gedeiht, geben Sie ihr mehr Dünger. Sieht sie immer noch nicht prächtig genug aus, kippen Sie Dünger nach. Lässt sie die Blätter hängen, geben Sie ihr Wasser. Wenn Sie nach einem Tag weiterhin welk aussieht, steigern Sie die Dosis und giessen noch einmal kräftig nach. Am Ende ist Ihre Pflanze eingegangen, überdüngt und ertränkt. Ihre Lösung war dem Problem nicht angemessen. Die Wachstumsprozesse einer Pflanze sind auch durch Einsatz des Willens nicht zu beeinflussen. Sie können sie anschreien, die Fäuste schütteln oder Prämien aussetzen: Sie wächst doch nicht schneller. Auch Sie brauchen Zeit, um eine früher nicht mögliche Entwicklung nachzuholen.

Ihr süchtiges Aufschieben, das in Lebenslügen gipfelt und in dem Gefühl, dass Sie ein Schwindler seien, können Sie nur heilen, indem Sie akzeptieren, dass Sie nicht Herr sind im eigenen Haus. Wie die Anonymen Alkoholiker der Auffassung sind, dass der Alkohol als Ausweg diene aus der persönlichen Versklavung durch die falschen Ideale einer materialistischen Gesellschaft, so können Sie als Anonymer Aufschieber für sich in Anspruch nehmen, sich in einer Revolte zu befinden, die sich gegen die kaputten Voraussetzungen zur ungestörten Erledigung von Vorhaben und Aufgaben in Ihnen selbst richtet. Wenn Sie wirklich bereit sind zu akzeptieren, dass Sie Ihr Aufschieben nicht kontrollieren können, dann sind Sie vielleicht auch dazu bereit, innere Fähigkeiten, die Sie bisher nicht entwickeln konnten, mit fremder Hilfe aufzubauen. Dies kann durch eine Psychotherapie gelingen. In ihr wird es auch darum gehen, die kindlichen, übertriebenen und unangemessenen Aspekte Ihres Selbstkonzepts realistischer zu machen. Vor allem aber wird das Ziel sein, Ihr Selbstkonzept so zu verändern, dass Sie nicht länger innere Gegensätze aufbauen müssen: Sie gegen den Rest der Welt, Ihr Ich gegen die Trägheit, Stärke gegen Schwäche.

|286|Reif für die Couch?

Es gibt verschiedene Psychotherapieformen, die von den Krankenkassen bezahlt werden, wenn eine krankhafte Störung vorliegt. Aufschieben allein ist zwar keine Krankheit, kann aber – wie Sie gesehen haben – sehr wohl ein Symptom einer Störung sein oder mit behandlungsbedürftigen Erkrankungen einhergehen. Der Psychotherapeut wird herausfinden, ob Ihr Aufschieben beispielsweise durch das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom oder durch Substanzmissbrauch verursacht wird. Aufschieben als Strategie zur Vermeidung von Ängsten oder als Ergebnis defizitärer kognitiver Einstellungen lässt sich meistens in einem Jahr überwinden. Wenn Ihr Aufschieben jedoch ein Symptom von neurotischen, also depressiven, phobischen, zwanghaften oder hysterischen Störungen ist, werden Sie sich auf eine intensivere Psychotherapie einrichten müssen, die zwischen einem und drei Jahren dauern kann. Aufschieben in Verbindung mit schweren Persönlichkeitsstörungen erfordert in jedem Fall eine länger dauernde Psychotherapie. Zur Abklärung etwaiger körperlicher Ursachen wird der Psychotherapeut Sie zu einem Arzt schicken. Das wird ein Neurologe sein, falls der Verdacht besteht, dass Ihr Aufschieben mit nervlichen Störungen in Verbindung steht.

Falls sich – wie in den meisten Fällen – herausstellt, dass Ihr Aufschieben nicht durch körperliche Störungen bedingt ist, wird Ihr Psychotherapeut Ihnen ein Behandlungsverfahren vorschlagen. Sowohl Verhaltenstherapie als auch Psychotherapie kommen in Frage.

Verhaltenstherapie

Der Grundgedanke der Verhaltenstherapie ist es, dass Menschen gelernt haben, auf bestimmte innere und äußere Situationen mit gestörtem (nicht funktionalen, nicht angepassten, selbstschädigenden) Verhalten zu reagieren. Er legt den Schluss nahe, dass das gestörte innere oder äußere Verhalten durch Um- oder Neulernen zu reduzieren oder zu beseitigen ist. Daran anschließen kann sich der Aufbau geeigneterer Verhaltensweisen. In einer Verhaltenstherapie geht es darum, Störungen in ihrem gegenwärtigen Auftreten so genau wie möglich auf der Ebene der Gedanken, Gefühle und des konkreten |287|Verhaltens zu beschreiben, um Ansatzpunkte für Veränderungen zu finden. Symptombeseitigung steht dabei als Ziel an vorderster Stelle. Besonders wirksam sind die Kognitiven Verhaltenstherapien, zu denen auch die Rational-Emotive Therapie gehört, die Sie in diesem Buch kennengelernt haben.

Verhaltenstherapie ist erwiesenermaßen sehr hilfreich bei Problemen, die durch eine abgegrenzte quälende Symptomatik gekennzeichnet sind, wie gewohnheitsmäßiges Aufschieben es durchaus sein kann. Insbesondere dann, wenn sich das Aufschieben als Folge einer anderen Störung ergibt.

 

Bei einem meiner Patienten zeigte sich, dass eine ausgedehnte Zwangsstörung sein Aufschieben bewirkte. Er hatte eine Diplomarbeit anzufertigen, um sein Studium abschließen zu können. Bevor er mit seiner täglichen Arbeit begann, musste er jedoch umfangreiche Rituale erledigen, wie jeden Tag seine vier Paar Schuhe zu putzen, abzuwaschen, Staub zu saugen, Bad und Klo zu reinigen und sein Bett zu machen. Nur durch diese Handlungen konnte er eine Angst bannen, die er als überwältigend kennengelernt hatte. Nach ungefähr zwei Stunden saß er dann endlich am Schreibtisch. Dort überfielen ihn quälende Zweifel, ob er wirklich überall Schmutz und Bakterien beseitigt hatte. Er hielt diesen Zweifeln nicht lange stand, dann musste er auf Kontrolle gehen. Und natürlich fand er Spuren von Schmutz, also ging alles von vorne los. Auf diese Weise waren seine Fortschritte an der Diplomarbeit minimal. Weil er sich wegen der Zwangsstörung so sehr schämte, hatte er sein Problem zunächst einmal als »Aufschieben« bezeichnet.

 

Ähnlich können die Verhältnisse liegen, wenn Sie unter Panikattacken oder phobischen Ängsten leiden, sodass Sie bestimmte Orte wie zum Beispiel Bibliotheken nicht aufsuchen können, in die Sie aber gehen müssten, um Ihr Vorhaben zu erledigen. Die Verhaltenstherapie strebt eine möglichst direkte Veränderung des Problemverhaltens an. Sie lernen mit Hilfe des Therapeuten, das zu tun, wovor Sie Angst haben beziehungsweise Ihre Vermeidungsrituale zu unterlassen. Erleichtert wird das, indem Sie parallel zur Konfrontation mit Ihren Ängsten oder Zwängen neue, geeignetere Verhaltensweisen aufbauen. Das Vorgehen ist also ähnlich wie in diesem Buch, nur dass Sie jetzt einen Menschen als Gegenüber haben und nicht nur ein Buch. Durch die |288|Beziehung zu Ihrem Therapeuten kommen natürlich auch die jeweiligen Aspekte Ihres Aufschiebens zur Sprache, die sich auf andere Menschen beziehen.

Von einer Verhaltenstherapie profitieren Sie dann am meisten, wenn Sie sich auf die Bekämpfung Ihrer Symptome konzentrieren und zu einem aktiven Vorgehen bereit sind. Wenn bei Ihrem Aufschieben direkt erfahrbare Angst und Mangel an Sorgfalt im Vordergrund stehen, werden Sie von Entspannungsverfahren, Verhaltenstherapie und eventuell von Psychopharmaka eine relativ schnelle Veränderung zum Besseren erwarten können. Wenn intensive Konzentrations- und Sorgfaltsstörungen Ihr Leitsymptom sein sollten, dann wird Verhaltenstherapie Ihnen dabei helfen, sich besser als bisher durch Hinweisreize aus der Umwelt zu steuern. Außerdem werden Sie lernen, Ihre Gedanken, die auf impulsive Spannungsabfuhr drängen, zu beseitigen und konsequent Belohnungsstrategien anzuwenden. Das Ziel der Behandlung besteht darin, dass Sie mehr Verantwortung für Ihr Verhalten übernehmen. Je diffuser und damit auch schwerer beschreibbar die Störungen in Ihrem Erleben und Verhalten sind, desto weniger wird eine Verhaltenstherapie Ihnen helfen können.

Psychoanalytisch orientierte Psychotherapie

Die psychoanalytisch begründeten Therapieformen sind der Auffassung, dass hinter Symptomen bewusste und/oder unbewusste Konflikte stehen. Im Laufe der Entwicklung von der Geburt bis zur Adoleszenz werden bewusste und unbewusste Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster verinnerlicht, die der Anpassung an die familiäre Umwelt dienen, in die Sie hineingeboren wurden und auf die Sie existentiell angewiesen waren. Wir alle haben dabei in den Bereichen von Trieb-, Ich- und Selbstentwicklung sowie der Beziehungen zu wichtigen anderen Menschen in vielfältiger Weise Freiheiten und Hemmungen, Einstellungen und Abwehrvorgänge gegen Unerwünschtes erworben. Das Ergebnis dieser Lernprozesse ist zum einen unsere »Hardware«, unsere Persönlichkeitsstruktur, als relativ unveränderbares Gerüst unseres seelischen Lebens. Zum anderen unsere »Software«, die Programme, mit denen wir unser Leben gestalten. Diese wirken komplex zusammen. Es kann vorkommen, dass sie in anderen Umwelten als der unserer Herkunftsfamilie |289|oder für unseren gereiften Organismus nicht (mehr) funktional sind.

In der psychoanalytischen Therapie geht es darum, aus der lebensgeschichtlichen Entwicklung eines Menschen heraus die wichtigsten Konfliktbereiche und in ihnen die Mischung von Wünschen, Impulsen und der Abwehr gegen sie kennen- und verstehen zu lernen, aus denen sich die Störungen, unter denen jemand leidet, speisen. Diese Störungen können angesehen werden als Probleme in den Beziehungen, die jemand global zu sich selbst oder zu bestimmten Teilen seiner Person (Gedanken, Gefühlen, Impulsen, Verhaltensweisen) unterhält oder auch als Probleme der Beziehung zu anderen Menschen. Diese Probleme werden durch die Therapie wiederbelebt und für den Patienten erfahrbar. Sie erhalten die Möglichkeit, dank der gereiften Fähigkeiten einer erwachsenen Person und unter dem Schutz des Therapeuten bessere (manchmal auch erstmals überhaupt) Lösungen zu finden für bewusste oder bisher unbewusste Konflikte.

Wenn das Aufschieben bei Ihnen Hintergründe in persönlichen Problemen oder Störungen in der Partnerschaft hat, wird eher tiefenpsychologisch fundierte oder psychoanalytische Therapie in Frage kommen. Hierbei wird es um die Lösung unbewusster Konflikte gehen, die bis in die Kindheit zurückreichen können, und um die Veränderung eingefahrener Einstellungsmuster. Das Aufschieben wird im Hinblick auf seine symbolische Bedeutung betrachtet werden, als Ausdruck von Feindseligkeit, gelernter Hilflosigkeit, einem Schrei nach Aufmerksamkeit oder in seiner Funktion als neurotischer Selbstschutz. Sie haben in diesem Buch schon viel über diese Sichtweisen erfahren.

Humanistische Therapieverfahren

Die humanistischen Therapieverfahren haben sich aus der Psychoanalyse heraus entwickelt. Beide teilen daher auch viele Auffassungen, beispielsweise die Konzepte von Konflikt, Abwehr und Wiederbelebung der Konflikte in der Therapie, aber sie unterscheiden sich hinsichtlich der Bewertung vergangener Erfahrungen und des Vorgehens bei der Behandlung. In der Gesprächspsychotherapie (auch Klienten- oder Personenzentrierte Gesprächspsychotherapie nach Rogers genannt) stehen Ihre Sichtweisen im »Hier und Jetzt« im Vordergrund. |290|Die Äußerungen des Therapeuten vermitteln einfühlsame Nähe zu Ihrem Erleben und sollen Ihnen helfen, nicht wahrgenommene Aspekte Ihrer selbst und/oder von Situationen zu integrieren. Damit wird gefördert, dass Sie sich möglichst uneingeschränkt akzeptieren. In der Gestalttherapie werden bestimmte gefühlsaktivierende Übungen durchgeführt, über die anschließend gesprochen wird. Es geht vor allem darum, die aktuell erlebten Bedürfnisse und Wünsche ohne Zögern und Unbehagen zu befriedigen, um so persönliches Wachstum und Selbstverwirklichung zu fördern. Auch im Psychodrama wird gehandelt: Hier werden konflikthafte Situationen wie im Theater in einer Gruppe mit verteilten Rollen erst durchgespielt und anschließend durchgesprochen. Ziel ist es, Spontaneität, Aktivität und Beziehungsfähigkeit zu fördern. Paar- und Familientherapie schließlich behandeln das Beziehungssystem eines Menschen, indem die wichtigsten Partner einbezogen werden. Auch hier werden häufig Übungen durchgeführt und Hausaufgaben vorgeschlagen. Zurzeit werden die Kosten für humanistische Therapieformen allerdings von den Krankenkassen (noch) nicht übernommen.

Die Richtlinien der Krankenkassen sehen vor, dass Behandlungen in den beiden Therapierichtungen Verhaltenstherapie und analytische Psychotherapie sowohl als Einzel- wie auch als Gruppenbehandlung möglich sind. Von einer Gruppe können Sie vor allem dann sehr profitieren, wenn Ihre Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen bereits die Qualität von Beziehungsstörungen angenommen haben und das Krankheitsgeschehen stark bestimmen. Andererseits gilt auch, dass eine Gruppentherapie Ihnen wenig nützen wird, wenn Sie Schwierigkeiten haben, Ihre Aufmerksamkeit auf andere zu richten.

Ganz wesentlich für den Erfolg jeder Psychotherapie ist Ihre Mitarbeit. Ob es in einer Verhaltenstherapie darum geht, dass Sie Ihre Ängste aktiv überwinden und sich in einer »Expositionsbehandlung« den vermiedenen Situationen stellen, oder ob Sie in einer analytischen Psychotherapie mehrmals die Woche darum ringen, wirklich das auszusprechen, was in Ihnen vorgeht – ohne Ihr Bemühen kommt auch eine psychotherapeutische Behandlung nicht voran. Dazu gehört es auch, Durststrecken und Phasen zu ertragen, in denen kein Fortschritt erkennbar ist. Was Sie neben der Befreiung von Ihren Symptomen von einer Psychotherapie erwarten können, ist eine vertiefte Erkenntnis Ihrer selbst und Ihrer Beziehungen zu anderen Menschen, |291|die Ihnen in vielen Bereichen Ihres privaten wie beruflichen Lebens nützlich sein wird.

Zusammenfassung

Sie haben mit diesem Buch nun einen langen Weg zurückgelegt. Sie haben Ihre Bewusstheit für sich selbst, für Ihre Gedanken, Gefühle, Verhaltensweisen, Motivationen und Konflikte geschärft, um für Sie wichtige Angelegenheiten schneller und stressfreier zu erledigen. Sie haben neue Aktionen gestartet und alte Gefühle, die Ihr Selbstvertrauen beeinträchtigten, verändert. Sie haben Techniken erlernt, wie Sie sich selbst besser organisieren und steuern können. Sie haben schließlich Ihre Selbstkontrolle verbessert und sich jederzeit über das, was Sie tun, Rechenschaft abgelegt und sich für Ihre Fortschritte belohnt. Sie haben damit BAR praktiziert, das Paket der erfolgreichsten Strategien, um Vorhaben endlich erledigen zu können. Damit haben Sie einen schönen Erfolg erreicht: Sie haben sich verändert und neue Einstellungen und Verhaltensmuster erworben.

Vielleicht haben Sie das aber auch noch vor sich, und brauchen dafür psychotherapeutische Hilfe. Selbsthilfestrategien werden Ihnen schon seit Langem nicht gerecht, wenn Sie wissen, dass Sie aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage sind, sie anzuwenden und von ihnen zu profitieren. Sie müssen erst die Voraussetzungen dafür schaffen, damit Sie selbst Ihre bisherige Entwicklung akzeptieren und weiter voranbringen können, und Sie müssen Ihr Selbstkonzept überprüfen.