|195|11. Sich besser fühlen: Gefühle entdecken und ändern

Wie können Sie Ihre Stimmungen und Gefühle ändern, um so Ihr Aufschieben zu überwinden und Ihre Vorhaben zu erledigen? Steigern Sie Ihre Kreativität und lernen Sie, Ihre Spontaneität zielorientiert einzusetzen statt – wie früher – zur Vermeidung. Je besser Sie die Gefühle steuern können, die Ihnen bisher in die Quere kamen, desto mehr Selbstvertrauen werden Sie bekommen. Für Angst, Ärger, Perfektionismus und andere Gefühle, die Sie zum Aufschieben anstiften wollen, finden Sie hier die richtigen Gegenmittel.

Im vorigen Kapitel haben Sie bereits gelernt, Ihr inneres Selbstgespräch zu verändern. Ihr Denken und Ihre Überzeugungen bestimmen, was Sie mit welcher Intensität fühlen. Wenn Sie Ihr Denken verändern, wirken Sie direkt auf Ihre Gefühle ein. Stellen Sie sich vor, dass Sie in einem Bus stehen. Plötzlich knallt Ihnen jemand von hinten schmerzhaft den Ellenbogen in die Nieren und will sich an Ihnen vorbeidrängen. Sie denken in Bruchteilen einer Sekunde etwas in der Art wie: »Welch ein ungehobelter Flegel, was hat der hier zu drängeln!« und ärgern sich. Je nachdem, wie erregbar Sie sind und an welche Überzeugungen über die Notwendigkeit rücksichtsvollen Verhaltens Sie glauben, können Sie mehr oder weniger böse werden. Nehmen wir an, Sie sind ziemlich sauer, drehen sich zu dem anderen Fahrgast um und wollen ihn zur Rede stellen. In dem Moment sehen Sie, dass er die gelbe Binde mit den drei charakteristischen schwarzen Punkten trägt: ein Blinder. Mit diesem Anblick wird Ihr Zorn verrauchen, denn Ihre Wahrnehmung wird in Ihrem Gehirn sofort verarbeitet, etwa in der Form: »Ach je, der ist ja blind, der kann nichts dafür, armer Kerl.« Eventuell werden Sie sich sogar ein wenig beschämt fühlen, weil Sie einem Behinderten gegenüber eine derartige Wut empfunden haben. Die äußere Situation: Ihnen wird von einer anderen Person Schmerz zugefügt, ist unverändert, aber je nachdem, wie Sie die Angelegenheit wahrnehmen und gedanklich verarbeiten, erleben Sie unterschiedliche Gefühle.

|196|Tipp: Wenn Sie mit Gefühlen, die das Aufschieben in Gang halten, wie beispielsweise Scham, Ärger, Angst und Hilflosigkeit Probleme haben, dann sollten Sie in Ihrem Veränderungslogbuch jeden Tag eine Diskussion der Gedanken einplanen, die diese Gefühle auslösen. Schreiben Sie auf, was Sie tun können, um negative Gefühle zu überwinden und positive Gefühle aufzubauen.

Sie können aber auch andere Wege ausprobieren, um Gefühle zu verändern. Am wirksamsten sind Handlungen, bei denen Sie genau das tun, wovor Sie sich fürchten oder schämen und damit Ihrem Perfektionismus entgegen handeln. Am zweitwirksamsten sind Vorstellungsübungen und mentales Training, mit dessen Hilfe Sie Ihre eingefahrenen emotionalen Reaktionen umpolen.

Kreativität und Spontaneität

Möglicherweise denken Sie, dass Spontaneität und Aufschieben eng zusammengehören, und dass Ihre Impulsivität, mit der Sie etwas anderes machen als das, was Sie sich vorgenommen hatten, ein Zeichen für einen kreativen Lebensstil sei. Doch dieser Gedanke ist trügerisch! Schöpferische und produktive Menschen unterscheiden sich von denjenigen, die aufschieben, in ihrer inneren Einstellung:

|197|Kreative versetzen sich mit diesen grundsätzlich positiven Gedanken in eine erwartungsvolle Stimmung, wenn sie an Vorhaben herangehen. Sie konzentrieren sich auf den Prozess statt auf das Ergebnis. Damit schaffen sie es nicht nur, Ideen zu produzieren, sondern sind auch findig darin, sich zur Erledigung ihrer Vorhaben zu motivieren, und gehen neue Wege, wenn sie in Schwierigkeiten geraten. Untersuchungen an besonders produktiven und originellen Studierenden der verschiedensten Fachrichtungen haben verblüffende Übereinstimmungen ergeben, egal ob es sich um angehende Architekten, Künstler, Lehrer, Physiker oder Psychologen handelte. Im Unterschied zu jenen, die sich nicht besonders hervortun, haben sie die besseren Strategien um

  • ihr Verhalten angemessen zu bewerten;

  • ihre Vorhaben zu organisieren und Material zu strukturieren, zum Beispiel durch Gliederungen und Veranschaulichungen;

  • Informationen zu suchen, ihr Vorgehen zu planen und sich Ziele zu setzen.

In ihrem Vorgehen bei der Aufgabenerledigung fällt auf: Schöpferische Menschen

  • arbeiten meistens an mehreren Aufgaben gleichzeitig,

  • verteilen die zur Verfügung stehende Zeit besser als andere,

  • ändern ihre Umgebung, um sich das Arbeiten zu erleichtern,

  • machen Aufzeichnungen über ihren Arbeitsfortschritt,

  • gehen diese Aufzeichnungen immer wieder durch und überwachen dadurch ihre Arbeitsfortschritte,

  • arbeiten mit vielen Wiederholungen und Zusammenfassungen,

  • können Aufgaben so lange neu definieren, bis sie lös- oder handhabbar geworden sind,

  • verfügen über gut geübte Problemlösungsstrategien, die automatisch ablaufen,

  • suchen sich soziale Unterstützung.

Kreativität bedeutet also mehr, als nur brillante Einfälle zu haben. Sie zeigt sich auch in der Anwendung optimaler Arbeitstechniken. Kreative Menschen zeichnen sich weiterhin durch ein hohes Maß an Flexibilität aus. Sie ändern mit Leichtigkeit ihre ursprünglichen Herangehensweisen, wenn es Schwierigkeiten gibt, und sie arbeiten mit Ausdauer und Energie.

|198|Selbst die berühmten Schreibblockaden können kreative Schriftsteller nicht massiv in ihrer Originalität und Produktivität behindern. Denken Sie zum Beispiel an Proust. Seiner Berufung zum Schriftsteller stand lange Zeit eine Trägheit entgegen, die er als Willensschwäche erlebte, von der er aber auch sagte, sie habe ihn vor »allzu leichtem Schreiben geschützt«. Und dennoch hinterließ er ein monumentales Werk. Natürlich sind kreative Menschen gegen Konflikte ebenso wenig gefeit wie andere. Der writer’s block kann sie als eine unbewusste Form des Aufschiebens ereilen. Üblicherweise aber wenden Autoren eine Fülle von Strategien an, um produktiv zu sein:

  • sie arbeiten planmäßig, mit gut definierten Ausgangsbedingungen und Zielen, die das Schreiben strukturieren;

  • sie setzen sich hierarchisch geordnete Unterziele, mit denen sie allerdings flexibel umgehen;

  • sie legen mind maps an, das heißt, sie kreieren ein Netzwerk von Ideen, die miteinander in Verbindung stehen und neue reizvolle Ziele hervorbringen können;

  • sie überarbeiten nicht kleinteilig einzelne Abschnitte, sondern ihr Gesamtmanuskript. Ihr Prinzip ist: think and work big.

Sie können Ihre eigene Kreativität steigern, indem Sie diese Rezepte einmal ausprobieren. Anders als im landläufigen Vorurteil sind schöpferische Menschen in der Regel keine Chaoten, die ihre Einfälle dem exzessiven Gebrauch von Drogen verdanken, sondern Menschen mit konstruktiven Einstellungen, die deshalb erfinderisch und fantasievoll vorgehen. Sie unterdrücken ihre Spontaneität nicht, sondern schaffen im Gegenteil Voraussetzungen, um sie besser als durch bloßes impulshaftes Wechseln von einer Tätigkeit zu einer anderen einzusetzen. Vor allem dann, wenn Probleme im Vorgehen auftauchen, können spontane zielgerichtete Handlungen und Impulse verhindern, dass Sie sich festbeißen. Sie bleiben so weiter auf die Erledigung Ihres Vorhabens ausgerichtet, lassen sich aber etwas einfallen, womit Sie besser als vorher bei der Sache bleiben oder einen Schritt weiter kommen können.

|199|Tipp: Bislang haben Sie Ihren spontanen Impulsen dann nachgegeben, wenn Sie sich damit von negativen Gefühlen bei der Erledigung einer Sache ablenken konnten. Aber Spontaneität und Aufgabenerledigung schließen sich nicht gegenseitig aus. Werden Sie sensibel für Ihre spontanen Einfälle, die auftauchen, während Sie bei der Sache sind. Sie werden parallel zu Ihrer Tätigkeit eine Fülle von Bildern, Ideen und Assoziationen registrieren, unter denen viele sind, die Ihnen helfen können, auch dann durchzuhalten, wenn es einmal zäh wird.

Beate hat neulich eine gute Erfahrung gemacht: Sie arbeitete an einem Exposé, in dem es um die Internetpräsentation des Verlags ging, und hatte sich festgefressen. Sie kam einfach nicht über die Klippe hinweg, ob sie erst die technischen Voraussetzungen oder lieber zunächst die inhaltlichen Argumente bringen sollte. Statt sich immer blockierter zu fühlen, achtete sie auf ihre Gedanken. Ein Bild drängte sich ihr auf: wie sie einmal mit einem großen Schraubenschlüssel eine fest sitzende Mutter gelöst hatte. Sie nahm diesen Einfall als kreativen Hinweis darauf wahr, die technische Seite an den Anfang zu stellen und fand in ihrer Textverarbeitung ein entsprechendes Piktogramm.

Selbstvertrauen aufbauen

Das auslösende Moment für Ihr Aufschieben sind gewisse Ängste und Befürchtungen, die häufig aufgrund mangelnden Selbstvertrauens entstehen. Sie sollten also daran arbeiten, dieses Selbstvertrauen Schritt für Schritt aufzubauen, um das Aufschiebeproblem an der Wurzel zu packen.

Angst überwinden

Jeder von uns ist seit den Kindertagen ein Experte in der Überwindung von Ängsten. Ob Sie nun die Furcht ablegten, in den dunklen |200|Keller zu gehen, die Angst vor dem Wasser beim Schwimmenlernen, die Furcht, sich beim Skifahren zu verletzen oder die Angst vor dem anderen Geschlecht, Sie schafften es stets auf die gleiche Weise: indem Sie das taten, wovor Sie sich fürchteten. Klug, wie Sie damals schon waren, machten Sie es nicht nur einmal, sondern oft. Zuerst erlebten Sie dabei ein Gemisch von Angst und Lust, dann verschwand die Angst ganz. Dieses alte Rezept können Sie auch gegen Angst als Motiv des Aufschiebens anwenden. Erst wenn Sie beginnen, gegen die Angst anzukämpfen, haben Sie eine Chance, dass sie allmählich geringer wird. Je länger Sie sich der Angst fügen, desto ängstlicher werden Sie.

Ich möchte Sie noch einmal daran erinnern, dass es generell nützlich ist, wenn Sie ein Entspannungsverfahren erlernen, wie autogenes Training oder die progressive Muskelrelaxation. Gehen Sie im entspannten Zustand die Situationen durch, die Sie ängstigen. Meistens bringt es mehr, sich gleich voll in das Entsetzen zu stürzen und sich nicht in langsamen Steigerungen heranzutasten. Je häufiger Sie im entspannten Zustand Ihre schlimmsten Befürchtungen wahr werden sehen, desto weniger wird die Vorstellung Sie ängstigen. Sie werden sich daran gewöhnen. Beim ersten Gruselfilm, den Sie gesehen haben, waren Sie vor Angst noch ganz starr. Beim zehnten tut sich bei Ihnen nicht mehr viel. Sie können Ihre Fantasie auch dazu benutzen, die ängstigenden Situationen ins Groteske zu übersteigern, sodass Ihre Furchtgedanken unglaubwürdig werden.

 

Beates Angst vor dem Erfolg hat sich gelegt, nachdem sie sich wiederholt in die folgende Fantasie vertiefte: Sie würde dem Vorstand ihr Konzept überreichen. Die Herren würden das Werk in Leder mit Goldprägung binden lassen und wie eine alte Bibel in einer Vitrine in der Eingangshalle des Verlagshauses ausstellen, zusammen mit einem Foto von Beate. Alle Angestellten müssten Konzept und Verfasserin jeden Morgen beim Betreten des Hauses durch eine Verbeugung grüßen. Die neidischen Kollegen würden sich aus dem Internet Geheimrezepte herunterladen und zu Giftmischern werden. Beate bekäme eine Vorkosterin zugeteilt. Wo sie vorbeiging, färbten sich ihre Neider knallgrün ein. Das Lachen, das Beate mit diesen Vorstellungen verband, wirkte als Angstbremse.

|201|Tipp: Angst ist ein unangenehmes Gefühl, das Sie möglichst bald loswerden wollen. Der sicherste Weg besteht darin, gerade das zu tun, wovor Sie Angst haben. Dabei gilt: Je mehr Sie sich starker Angst aussetzen, desto schneller werden Sie Fortschritte machen. Sie können sich natürlich auch an die maximale Angst auslösenden Situationen heranschleichen, indem Sie zunächst etwas machen, was ein wenig Angst auslöst, so lange, bis Sie keine Angst mehr spüren. Oder stellen Sie sich sehr ängstigende Situationen so lange in entspanntem Zustand vor, bis sich Ihre Anspannung deutlich gelegt hat. Am wirksamsten aber ist die sogenannte Exposition: rein in den vollen Horror!

Wut und Ärger abbauen

Als jemand, der bislang aus Trotz aufgeschoben hat, müssen Sie zunächst Ihre Selbstwahrnehmung verbessern, um feststellen zu können, wie häufig Sie Ihr Verhalten als Gegenbewegung gegen die vermeintlichen Wünsche, Forderungen und Aufträge anderer erleben. Tragen Sie in Ihr Veränderungslogbuch ein, wann Sie wegen einer solchen »Ungerechtigkeit« aufgeregt und verärgert waren und was Ihnen dabei durch den Kopf ging. Später setzen Sie sich in der oben beschriebenen Weise mit Ihren Gedanken auseinander. Fragen Sie sich, ob das wahr ist, was Sie gedacht haben. Und: Was wäre geschehen, wenn Sie Ihre kritischen, zornigen Gedanken gleich geäußert hätten? Falls Sie negative Reaktionen befürchten: Wie könnten Sie Ihre Einwände formulieren, ohne dass die »Gegenseite« (Ihre Verhandlungspartner!) sich gleich zurückgewiesen fühlt?

Sie können es lernen, die Äußerungen Ihrer Vorgesetzten, Ihrer privaten Partner und auch die Bemerkungen Unbekannter als Bitten, Vorschläge und Wünsche wahrzunehmen statt als Forderungen, denen Sie zu genügen haben. Bitten, Vorschläge und Wünsche können Sie auch ablehnen oder über sie sprechen und verhandeln. Damit erweitern Sie Ihr eingefahrenes Verhaltensspektrum wesentlich. Sie können lernen, Ihre üblichen Reaktionen (sofortige Zustimmung, wütende Ablehnung, Aufschieben) um eine Fülle von Handlungsmöglichkeiten zu erweitern, indem Sie beispielsweise unterscheiden, |202|welche Widerstände in der Art der Aufgabe begründet sind und welche in der reinen Tatsache, dass Sie mit dieser Aufgabe beauftragt werden. Zu beidem könnten Sie Vorschläge machen (»Diese Aufgabe erscheint mir noch sehr unüberschaubar ... Könnte noch jemand mit mir zusammen an diesem Vorhaben arbeiten?«). Auch können Sie Verabredungen darüber herbeiführen, wer wie lange wofür zuständig sein soll. So kann Helmut sich mit seiner Frau einigen, wer zukünftig Reiseprospekte holen soll und wer nicht. Bei der Arbeit kann vielleicht die Übernahme von Aufgaben für eine bestimmte Zeit vereinbart werden. Weiterhin besteht die Möglichkeit, dass Sie mit Ihren Vorgesetzten Zusatzbedingungen aushandeln, wie zum Beispiel die Entlastung von Routineaufgaben, wenn Ihnen eine neue Aufgabe gestellt wird. Trauen Sie sich, Einwände und Gegenvorstellungen zu formulieren, die anderen zeigen, dass Sie nicht grundsätzlich gegen Arbeit oder Verpflichtungen sind, sondern im Gegenteil kritisch darüber nachdenken, wie die Dinge leichter und besser zu erledigen sein könnten.

 

Helmut hatte sich vorgenommen, seiner Frau zu sagen, dass er sich herumgeschubst und fremdbestimmt fühlte, wenn sie ihn aufforderte, die Reiseprospekte mitzubringen. Für ihn ging es um Selbstachtung, für sie um die praktische Erledigung einer Besorgung. Natürlich hatte er Angst, dass sie ihm Überempfindlichkeit vorwerfen würde. Früher wäre allein der Gedanke daran schon ausreichend gewesen, um innerlich gleich wieder in die Luft zu gehen. Nun wappnete sich Helmut gegen diese Vorstellung, indem er sich sagte, das könne sie ruhig so sehen, wenn sie darauf nur Rücksicht nehmen würde. Bei näherem Nachdenken fand er nämlich die Idee, ihr zu sagen, sie solle selbst in die Stadt fahren und ins Reisebüro gehen, zu schroff. Er fürchtete, dass eine solche Äußerung unnötig Spannungen aufbauen würde in einer Situation, in der er eigentlich auf das Verständnis seiner Frau hoffte. Also würde er einen Kompromiss vorschlagen: Sie könnten ja beide am nächsten Samstag gemeinsam zum Reisebüro fahren, nachdem sie vorher über ihre unterschiedlichen Urlaubspläne gesprochen und gemeinsam ein Reiseziel festgelegt haben würden.

|203|Hier noch ein paar Tipps:

  • Gewöhnen Sie sich an, rechtzeitig den Stöpsel aus dem aufgeblähten Ballon Ihrer gerade übertrieben erlebten Wichtigkeit zu ziehen, bevor er platzt.

  • Verändern Sie Ihre Sprache: Sagen Sie, was Sie meinen, und vermeiden Sie die Sprache der Kriegführung, der Schuldzuweisungen und der Verallgemeinerungen. Gelassene Formulierungen, im Umgang mit anderen sind besser als ein zurechtweisender, vorwurfsvoller Kommandoton, der meist nur den Beginn eines Machtkampfes bedeutet.

  • Lernen Sie einige Notfallreaktionen neu, falls die alte Wut doch einmal in Ihnen hochkocht. Prägen Sie sich Äußerungen ein wie: »Darüber würde ich gerne einen Moment nachdenken«, »Ich würde gerne in den nächsten Tagen noch einige Vorschläge zu dieser Aufgabe machen« oder »Lass uns mal eine Pause machen«.

  • Achten Sie auf Ihre Körpersprache. Vermeiden Sie es, die Fäuste zu ballen oder mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf andere loszustechen.

  • Machen Sie ein Selbstsicherheitstraining mit, das möglicherweise an einer Volkshochschule in Ihrer Nähe angeboten wird.

Natürlich kann es einige Zeit dauern, bevor Sie Wut und Ärger in den Griff bekommen. Je stärker Sie Ihre eigenen Interessen und Wünsche verwirklichen, desto mehr Anlässe für Wut und Ärger entfallen. Machen Sie sich bewusst, was Sie selbst dafür tun können, Ihr Verhalten zu ändern.

Perfektionismus ablegen

Finden Sie heraus, in welcher Weise der Perfektionismus Sie bislang zum Aufschieben animiert: Sind Sie jemand, der eher gar nicht erst mit Aufgaben anfängt, oder verlieren Sie sich wie besessen in den kleinsten Details? Finden Sie heraus, warum Sie meinen, perfekt sein zu müssen. Wo steht das außer in Ihrem Kopf? Was passiert, wenn Sie es nicht sind, außer dass Sie sich fertig machen? Müssen Sie also wirklich vollkommen sein? Wovor ängstigen Sie sich? Wenn |204|Sie einem perfektionistischen Ideal folgen, sagen Sie sich, Sie sollten anders sein als Sie sind: klüger, kompetenter, knackiger. Wieso? Warum dürfen Sie nicht so sein, wie Sie sind? Wer verbietet es Ihnen außer Sie selbst?

Stellen Sie fest, wie Sie vermeiden. Welche Gefühle stellen sich dabei ein? Was kommt bei Ihrem Streben nach Vervollkommnung heraus? Entdecken Sie Schuld- oder Schamgefühle, die sich hinter Ihrem Perfektionismus verbergen, und debattieren Sie diese. Beherzigen Sie die folgenden Punkte:

  • Streben Sie hervorragende Ergebnisse statt perfekter an.

  • Orientieren Sie sich an realistischen Maßstäben statt an Idealen.

  • Üben Sie, sich selbst zu akzeptieren, statt sich zu verdammen.

  • Machen Sie absichtlich Fehler.

  • Ändern Sie Ihre Alles-oder-Nichts-Haltung.

Vermeiden Sie Ihre gewohnte Terminologie, die womöglich gespickt ist mit den kraftvoll klingenden Leerlaufverben sollte und müsste. Besser ist es, wenn Sie stattdessen mehr von dem sprechen, was Sie wollen, möchten, wählen und wofür Sie sich entscheiden.

Um Ihren Perfektionismus zu durchbrechen, kann es auch hilfreich sein, die Routine Ihres Alltag zu durchbrechen. Hierbei können Ihnen die folgenden kleinen Übungen helfen.

  • Lassen Sie sich regelmäßig einen Drei-Tage-Bart stehen. Wenn Sie schon bärtig sind, dann lassen Sie ihn färben, immer wieder in einem neuen Farbton.

  • Kleiden Sie sich einen Tag lang in der gewohnten peniblen Weise, am nächsten schlampig.

  • Richten Sie sich irgendwo in Ihrer Wohnung eine Chaosecke ein, in der Sie die Zeitungen, die Sie aufheben, um sie irgendwann einmal zu lesen (Sie kommen nur nie dazu!), wild durcheinander hinschmeißen, dazu alle Unterlagen, Akten, alte Broschüren, Kataloge und Bücher, die Sie schon lange einmal wegwerfen wollten. Erzählen Sie anderen von dieser Dreckecke und davon, dass Sie sich darin üben, als »Messie« zu leben.

|205|Abhängigkeiten und Überbeschäftigung reduzieren

Um diese Quellen des Aufschiebens trockenzulegen, brauchen Sie einen Überblick über Ihre Vorhaben und die Zeit, die Sie ihnen einräumen können und wollen. Tragen Sie in Ihr Veränderungslogbuch eine entsprechende Tabelle ein oder benutzen Sie Ihren Kalender, um eine Zeit lang aufzuschreiben, wie Sie Ihren Tag verbringen. Zur Auswertung stellen Sie sich am Ende jeden Tages folgende Fragen:

  • Was war mir wichtig?

  • Was war wichtig für andere, aber nicht wirklich für mich?

  • Auf welche Aktivitäten hätte ich verzichten können?

  • Bei welchen habe ich zu viel Zeit verbraucht?

  • Welche Aktivitäten habe ich versäumt, die mir wichtig gewesen wären?

  • Welche Aktivitäten haben den meisten Stress ausgelöst?

Eine große Hilfe sind To-do-Listen, auf denen Sie verzeichnen, was Sie jeden Tag zu erledigen haben. Sie bilden die Grundlage für die Planung Ihrer Vorhaben. Falls Sie auf das Reizwort Planung allergisch reagieren, kann es Ihnen helfen, sich über das Ziel klar zu werden, nämlich ein Maximum an Zeit für Ihre Hobbys und Prioritäten zu gewinnen. Bitte machen Sie sich den folgenden entscheidenden Unterschied zu eigen zwischen Prioritäten und Anforderungen: Prioritäten sind die Dinge, die für Sie persönlich eine Bedeutung haben und die Sie tun wollen, während Anforderungen das sind, was für andere bedeutungsvoll ist, und bei denen Sie das Gefühl haben, Sie sollten es tun.

Um sich weniger abhängig zu fühlen, müssen Sie das tun, was Ihre Autonomie fördert. Wenn Sie sich bisher von Anforderungen überwältigen ließen, dann in der Annahme, keine Wahl zu haben. Möglicherweise waren Sie zusätzlich als overdoer verliebt in ein Image, das mehr mit Superman oder Superwoman zu tun hatte als mit Ihnen.

Um sich von Ihrer Tendenz zu Abhängigkeit und Überbeschäftigung zu lösen, können Ihnen folgende Tipps weiterhelfen:

|206|Tipp:

  • Verabschieden Sie sich von dem Mythos, alles schaffen und mit dreiunddreißig Terminen gleichzeitig hantieren zu können. Gewöhnen Sie sich an den Gedanken, dass Sie in diesem Kampf nicht gewinnen können, ihn aber auch nicht zu führen brauchen.

  • Sehen Sie das Leben als ein Abenteuer, nicht als einen Kampf. Machen Sie sich klar, dass es im Leben viel mehr als nur Arbeit gibt.

  • Verändern Sie Ihre Haltung zur Zeit: Sehen Sie in ihr nicht Ihren Gegner oder eine Ressource, die sich Ihnen stets entzieht, sondern einen Partner, mit dem Sie kooperieren können: Sie werden am heutigen Tag einige der Dinge tun, die Ihnen wichtig sind, und einige, die von Ihnen verlangt werden.

  • Versuchen Sie, Ihre Abhängigkeit von der Zustimmung und Anerkennung anderer zu reduzieren. Üben Sie sich im Neinsagen.

  • Beschäftigen Sie sich damit, wie Sie Kontrolle über die Dinge bekommen können, statt das Gefühl zu kultivieren, die Dinge kontrollierten Sie. Schalten Sie Ihr Mobiltelefon öfter einmal ab und verweigern Sie sich souverän der jederzeitigen Erreichbarkeit, die Sie hinterher nur als belastend einstufen werden.

  • Sprechen Sie mehr über Ihre Möglichkeiten, als über Ihre Verpflichtungen. Ersetzen Sie »Ich kann (nicht), ich sollte, ich muss unbedingt« durch »Ich will (nicht), ich möchte, ich entscheide mich für ...«.

  • Sprechen Sie positiver über die Zeit, in der Sie nicht arbeiten.

  • Stellen Sie sich nicht länger als überwältigt und machtlos dar.

  • Besorgen Sie sich Hilfe, indem Sie um Rat fragen, um Unterstützung bitten, Teilaufgaben delegieren und zur Not jemanden stundenweise anheuern, um Ihnen zur Hand zu gehen.

Scham loswerden

Wenn Schamgefühle für Ihr Aufschieben eine besondere Bedeutung haben, dann werden Sie mithilfe von Übungen gegen dieses Gefühl hervorragend angehen können. Je mehr Dinge Sie machen, bei denen Sie fürchten, sich öffentlich zu blamieren, desto besser. Wenn Sie sich dazu überwinden, eine Banane an einem Band wie Ihren Hund spazierenzuführen |207|und mit ihr zu sprechen, werden Sie eine ganze Menge Aufregung und Beklemmung spüren. Aber Sie werden nach einer gewissen Zeit merken, dass Passanten, die Sie sehen, Sie weder anstarren noch auslachen oder mit spöttischen Bemerkungen traktieren, wohl aber selbst mit einem Gefühl von Peinlichkeit zu kämpfen haben.

Die Wahrnehmung des Letzteren ist eine Erfahrung, die Ihnen ein richtiges Hochgefühl bescheren kann. Jahrelang haben Sie sich mit der Angst vor tausend unbarmherzigen Augen in ein Gefängnis gesperrt – nur um jetzt zu merken, dass die Beschämung bei den anderen liegt! Sie werden es genießen, wenn die Kinder zu Ihnen kommen und fragen, wie Ihre Banane denn heißt! Die Erwachsenen trauen sich das in der Regel nicht.

Hier noch ein paar bewährte Tipps, wie Sie Ihre Schamängste ablegen können:

Tipp:

  • Schlagen Sie den Blick nicht nieder. Schauen Sie Ihr Gegenüber an. Gehen Sie in Kaufhäuser, Bahnhöfe und auf Plätze und sehen Sie den anderen freundlich ins Gesicht, ohne sie anzustarren. Versuchen Sie, Fremde auf der Straße freundlich zu grüßen.

  • Lassen Sie sich die Haare so schneiden und färben, dass es Ihrer Meinung nach die anderen schockieren wird. Wenn Sie dazu befragt werden, sagen Sie, dass Sie gegen Ihre Angst vor Beachtung ankämpfen.

  • Feilschen Sie in der Boutique um den Preis.

  • Verhalten Sie sich auch sonst in einer für Sie ungewohnten Weise: Wenn Sie üblicherweise schweigsam sind, dann erzählen Sie anderen jetzt etwas von sich. Sie können immer davon reden, dass Sie sich gerade das Aufschieben abgewöhnen. Wenn Sie sonst ernst sind, machen Sie jetzt Witze. Sind Sie gewöhnlich jovial und launig, dann seien Sie jetzt ein paar Tage schroff und wortkarg.

  • Rufen Sie laut im Bus oder in der U-Bahn den Namen der nächsten Haltestelle aus.

  • Bitten Sie Menschen, die Sie interessant finden, um ein Treffen.

  • Üben Sie sich im Neinsagen. Lehnen Sie ein paar Tage lang Vorschläge ab, weisen Sie Bitten zurück und machen Sie nicht das, was andere von Ihnen wollen.

|208|Sie sehen, dass hier das gleiche Prinzip zum Tragen kommt wie bei der Bekämpfung von Angst: Tun Sie das, was für Sie mit dem Risiko von Beschämung verbunden ist, und finden Sie heraus, dass Sie weniger Scham erleben werden, als Sie erwartet haben, und dass Sie weniger unangenehme Beachtung und Bewertung durch andere spüren werden. Wie oft haben Sie sich heimlich darüber geärgert, dass sich scheinbar überall die Dreisten und Lauten durchsetzen. Wenn Sie sich selbst etwas mehr herausnehmen als früher, werden Sie Ihr negatives Bild von diesen vielleicht nur selbstbewussten Menschen revidieren.

Bitte machen Sie die hier vorgeschlagenen Übungen nicht nur einmal, sondern so häufig, bis Sie keine oder nur noch milde Reste von Schamangst erleben. Das ist deswegen so wichtig, weil es eben nicht darum geht, dass Sie sich einmalig zu einer heroischen Aktion aufraffen, sondern um eine Veränderung eines Fühl- und Verhaltensmusters, die Sie nur durch wiederholtes Üben erreichen.

Das Ergebnis wird Sie überraschen. Sie werden feststellen, dass Sie vielleicht zum ersten Mal ein Gefühl dafür entwickeln können, welche Freiheit in Ihrem Leben steckt. Angst vor Scham ist so ein wirkungsvolles Mittel gewesen, Sie einzuschüchtern und klein und gefügig zu halten. Dabei sind Sie ein freier Mensch, der tun und lassen kann, was er will. Lesen Sie sich die Vorschläge noch einmal durch: Keiner verstößt gegen etwas anderes als Ihre Angst vor Beschämung, keiner fordert Sie auf, ein Gesetz zu übertreten. Und wenn Sie doch einmal beschämt werden? Dann trösten Sie sich mit Proust:

 

»Daher gibt es denn auch keine Demütigung – und wäre sie noch so groß –, mit der man sich nicht leicht in dem Bewusstsein abfinden sollte, dass nach einigen Jahren unsere in der Versenkung verschwundenen Fehler nur noch ein unsichtbarer Staub sein werden, über den der heiter-blühende Friede der Natur sich breitet.« (Proust, VII, S. 369)

Aus der (Tag-)Traum

Um in der Wirklichkeit mehr Verantwortung zu übernehmen, hilft ausnahmsweise die Visualisierung optimistischer Vorstellungen einmal nicht so viel. Als verträumter Mensch mit Neigung zum Herauszögern machen Sie sich ohnehin gerne Illusionen und betrachten sich durch eine rosarote Brille. Stellen Sie sich zur Abwechslung lieber |209|einmal vor, Sie seien Murphy selbst, der Begründer von Murphy’s Gesetz, nach dem alles schief gehen wird, was schief gehen kann, auf jede denkbare Art, auf die es schief gehen kann. Natürlich geht es dabei nicht um ein Horrorszenario, mit dem Sie sich jeden Mut nehmen. Wohl aber um eine realistische Überprüfung Ihres Vorhabens, Ihrer Voraussetzungen und der Umstände auf Faktoren, die zum Misslingen beitragen könnten und gegen die Sie rechtzeitig etwas unternehmen könnten. Ihr euphorisches Hochgefühl, mit dem Sie Ihre Einfälle erleben, wird so ergänzt um eine realitätsbezogene Nüchternheit. Nutzen Sie dazu die folgenden fünf W-Fragen:

  • Warum habe ich diese Wunschvorstellung?

  • Was kann ich realistisch tun, um sie zu verwirklichen?

  • Wohin muss ich mich wenden?

  • Wie werden die Leute dort reagieren?

  • Welche Reaktion kann ich erwarten?

Anja, die davon träumt, als Model über den Laufsteg zu schweben, hat ihren Traum mit diesen W-Fragen an der Wirklichkeit gemessen. Dabei ist Folgendes herausgekommen:

  • Ich habe diese Vorstellung, weil ich gerne von anderen begehrt und attraktiv gefunden werden möchte.

  • Ich könnte einen Kurs mitmachen, um zu lernen, wie man sich als Model bewegt und schminkt.

  • Ich müsste mich an eine oder noch besser mehrere Modelagenturen wenden.

  • Verglichen mit all dem jungen Gemüse, das sich um eine Karriere als Model bewirbt, habe ich zwar keine schlechte Figur, das werden die Leute dort auch sehen. Aber es lässt sich nicht verleugnen, dass ich zwei Kinder geboren habe und zurzeit ein wenig Übergewicht mit mir herumschleppe.

  • Wahrscheinlich werden Sie mich höflich, aber bestimmt ablehnen.

Die Antworten, die Anja gefunden hat, haben zwar zunächst etwas Desillusionierendes. Genau darin steckt jedoch auch die Möglichkeit, einen Wunschtraum entweder zu einem Ziel werden zu lassen, das sie dann ernsthafter verfolgen könnte, oder aber diese Vision aufzugeben.

Durch einen solchen Realitätstest einer angenehmen Vorstellung |210|können Sie sich mit den Augen der anderen sehen. Wenn Sie zu verklärenden Tagträumen neigen, haben Sie zumeist ein gutes Gefühl, solange Sie ihnen nachhängen. Beachten Sie aber, dass es einen Unterschied macht, ob Sie ein gutes Gefühl haben oder ob Sie ein gutes Gefühl sich selbst gegenüber haben! Verlieben Sie sich nicht in ein privates Image, das von niemandem außer Ihnen geteilt wird. Denken Sie daran: Träume sind etwas anderes als Ziele.

Von Robert Musil stammt der Aphorismus, dass der Wunsch ein Wille sei, der sich selbst nicht ganz ernst nimmt. Ersetzen Sie daher in Ihren Äußerungen vage Formulierungen wie »Ich hätte es gerne, würde mir wünschen, werde versuchen« durch ein »Ich will!« Streichen Sie ungenaue Zeitangaben wie »bald einmal, irgendwann« aus Ihrem Wortschatz, äußern Sie sich präzise, spezifisch und verbindlich, wenn es um Zeiten und Fristen geht.

Sorgloser werden

Wenn Sie ein Mensch sind, der sich Sorgen macht und vor Veränderungen Angst hat, profitieren ebenfalls von Vorstellungsübungen, in denen Sie konkreten Fantasien über das nachgehen, was Sie bei einer Veränderung erwarten könnte. Falls Sie dabei auf »Katastrophenideen« stoßen, können Sie diese schriftlich diskutieren und so Distanz gewinnen zu Ihrem übertrieben negativen Denken.

Auch folgende Tipps können hilfreich sein:

Tipp:

  • Wenn Sie entschlusslos sind und sich das vorwerfen, dann machen Sie sich bitte klar, dass Sie in Wirklichkeit auch einen Beschluss fassen, wenn Sie keine Entscheidung treffen. Auf diese Weise sparen Sie sich wenigstens den Selbstvorwurf.

  • Bekämpfen Sie Ihre Ängste, indem Sie bei einem Schritt in Neuland hartnäckig und aufmerksam nach dem suchen, was positiv sein und Ihnen Freude machen könnte. Wenn Sie wirklich nichts dergleichen finden, quälen Sie sich wahrscheinlich mit einem Projekt ab, das Ihnen im Grunde nichts bietet.

  • |211|Ändern Sie im Denken und Sprechen die kindliche Haltung, mit der Sie sich klein machen. Ersetzen Sie Ihr »Ich weiß nicht« durch »Eines weiß ich genau ...«, das »Ich kann doch X nicht« durch ein »Vielleicht kann ich X nicht, aber ich kann Y«.

  • Stöbern Sie die vielen rhetorischen Fragen in Ihrem Denken auf. Geben Sie sich Antworten auf Überlegungen wie: »Was wäre, wenn ...?«

  • Ersetzen Sie Ihre vagen unentschlossenen Formulierungen wie »vielleicht«, »ein bisschen«, »eventuell«, »könnte sein« und so weiter durch klare Aussagen.

Helmut bemerkte, dass er seine Pläne, sich beruflich zu verändern, bisher nicht über einen bestimmten Punkt hinaus durchdacht hatte. Seine bevorzugte Äußerung war: »Man müsste das alles hier hinschmeißen und was ganz anderes machen.« Dann dachte er flüchtig daran, dass er damit in völlig neue unbekannte Situationen geraten würde, und fühlte sich sofort ängstlich. Inzwischen wusste er, dass er die aufkommende Angst vor einer ungewissen Zukunft sofort durch Ärger auf seine gegenwärtige Situation beseitigte. So landete er stets bei demselben Gefühl, aus dem nichts folgte, außer dass sich sein innerer Widerstand vermehrte.

Helmut ging daran, seine vage Vorstellung zu verändern. Er prägte sich den Satz ein: »Ich habe die Möglichkeit, andere Dinge zu machen, die mich mehr interessieren«. Statt frei in der Angst herumzuschwimmen, hatte er sich einen Anker geschaffen: die Frage nämlich, was ihn interessierte. Auch hier arbeitete er sich durch einen Wust von vorgelagerten, verschwommenen Visionen hindurch: »Mich würde vielleicht interessieren, konkret mit anderen Menschen zu tun zu haben« erwies sich als ein Ausgangspunkt. In den Wörtern »würde«, »vielleicht«, »konkret«, »mit anderen Menschen« und »zu tun zu haben« verbargen sich jedoch weitere ungenaue Fantasien, die Helmut für sich nach und nach klärte. Dabei tauchten sowohl ängstigende Gedanken als auch positive auf. »Mich würde vielleicht interessieren« lieferte beispielsweise den Zugang zu einer passiven Haltung, in der Helmut bestimmte Umstände erwartete, die er nicht beeinflussen könnte. Er stellte sich im Grunde genommen keine aktive Suche und Mitgestaltung eines neuen Aufgabengebiets vor, |212|sondern eine Situation ähnlich der, wenn er den Fernseher einschaltete und es nur ein Programm gab, das ihn entweder interessierte oder nicht. Mit Glück würde das neue Arbeitsprogramm ihn motivieren, möglicherweise aber auch nicht. Es gelang Helmut, diese Art ohnmächtiger Konsumentenhaltung zu ersetzen durch eine aktive Vorstellung: »Ich interessiere mich dafür, unter welchen Arbeitsbedingungen ich welche Tätigkeiten gerne ausüben werde« war eine Idee, die ihm seine Handlungsfähigkeit viel stärker vor Augen führte und ihn weniger ängstigte.

Krisen managen

Sich von dem thrill eines Lebens am Rande des Kliffs zu verabschieden ist gar nicht so einfach, weil er Ihnen das Gefühl gibt, außergewöhnlich zu sein.

 

Auch Anja braucht diesen besonderen Kick, der die außergewöhnliche Note ihres Lebens darstellt. Anja gehört zu den Menschen, die einen dauernden Ausnahmezustand herbeiführen, mit Chaos um sie herum, Tränen und Streit. Unter diesen stressigen Bedingungen schüttet ihr Körper jede Menge Adrenalin aus, sodass Anja sich mächtig angekurbelt und lebendig fühlt. Sie dreht dann auf, bis der Absturz kommt. Sie reagiert einerseits zu heftig, dann wieder zu wenig, wenn sie mit einer Aufgabe konfrontiert ist, wie bei der Vorbereitung auf Horsts Reise. Sie langweilt sich schnell und hat eine heimliche Verachtung für Leute, die ihre Sachen methodisch angehen und kühl durchziehen. Ein wenig von dieser Verachtung bekommt auch Horst zu spüren, wenn er ihr zu lange etwas aus der Welt der Paragrafen erzählt: »Ach, du mit deiner langweiligen Juristerei«, sagt sie dann und schmollt, »sei doch mal geistreich!« Anja inszeniert starke Gefühle, um überhaupt etwas fühlen zu können. Hinter der Fassade der vor Energie sprühenden temperamentvollen Frau verbergen sich Ängste davor, innerlich hohl und unlebendig zu sein.

 

Falls Sie an sich ein ähnliches Verhalten beobachten und es verändern wollen, müssen Sie sich auf der einen Seite das Leben der »stinknormalen« Menschen schmackhafter machen, auf der anderen Seite das high pressure living ein wenig seiner Attraktivität entkleiden. Das |213|ist nicht leicht und es erfordert von Ihnen Augenmaß, damit Sie nicht neue Ängste erzeugen.

Ihre lebhafte Fantasie kann Ihnen hier gute Dienste erweisen: Nehmen Sie eine Gestalt, die ein abenteuerliches Leben führt, wie James Bond oder Philip Marlowe, den hartgesottenen Detektiv aus den Romanen von Raymond Chandler, Humphrey Bogart als Rick in »Casablanca«, Modesty Blaise oder die Detektivin V. I. Warshawski, eine Gestalt, die die amerikanische Schriftstellerin Sara Paretsky sich ausgedacht hat (falls Sie die noch nicht kennen: Die Lektüre lohnt sich). Personen also, die exzentrisch sind, aber trotzdem methodisch und cool vorgehen. Stellen Sie sich vor, dass Sie in Hinblick auf ein aufgeschobenes Projekt ebenso professionell und überlegt handeln. Gehen Sie diese Fantasie immer wieder durch. Stellen Sie sich vor, wie Sie ruhig und gelassen unter Stress handeln, bewundert von allen, die von Ihnen eher den 19. Nervenzusammenbruch erwartet hatten.

Tipp: Grenzen Sie Ihre Temperamentsausbrüche und Szenen auf bestimmte Bereiche Ihres Lebens ein und leben Sie sie dort aus, aber seien Sie in den Bereichen, in denen Sie aufschieben, kontrolliert und gelassen. Beginnen Sie damit, so zu tun, als ob Sie schon so abgebrüht seien wie Ihre Vorbilder. Agieren Sie in dem Bereich, in dem Sie sonst aufschieben, für einen Monat so, als seien Sie kühl wie eine Hundeschnauze. Versuchen Sie für Ihre heftigeren Darstellungsbedürfnisse ein anderes Ventil zu finden, beispielsweise in einer Laienspielgruppe oder einer ausgefallenen Sportart.

Gewöhnt an die Treibhausatmosphäre Ihrer Emotionsstürme, erscheint Ihnen ein ruhigeres Vorgehen möglicherweise als langweilig. Machen Sie sich klar, dass es auch andere Motivationen gibt, um mit einer bis zur letzten Minute aufgeschobenen Sache anzufangen, als Termindruck, einstürzende Aktenstapel und erregtes Anschreien. Machen Sie sich eine Liste von alternativen Gründen dafür, warum es attraktiv sein kann, rechtzeitig tätig zu werden. Zu ihnen gehören eventuell die folgenden:

  • mehr Spaß haben;

  • für andere Menschen durch unerwartetes Verhalten unberechenbarer werden;

  • |214|an Macht, Bewunderung und Zuwendung gewinnen;

  • überhaupt mal etwas anders machen als sonst immer;

  • finanzielle oder materielle Vorteile anstreben;

  • die Beziehungen zu wichtigen Menschen entspannen;

  • die eigene berufliche oder private Lage verbessern.

Machen Sie auf keinen Fall ein emotionales Interesse an der Sache zur Voraussetzung, um überhaupt anfangen zu können. Appetit kommt beim Essen und Spaß an der Sache oft auch. Akzeptieren Sie eine Zeit lang überhaupt keine Gefühle als Begründung für Verhalten. Wenn Sie an Ihr Vorhaben denken, konzentrieren Sie sich auf die Tatsachen und nicht auf Ihre Gefühle. Analysieren Sie die Situation mit dem Kopf, nicht mit dem Bauch und stellen Sie die Frage nach Ihren Gefühlen ans Ende.

Tipp: Vergessen Sie die tägliche Krise. Wichtiger sind Ihre Antworten auf die folgenden Fragen:

  • Welche Aufgaben stehen an, egal ob es Ihnen passt oder nicht?

  • Was kommt dabei heraus, wenn Sie jetzt nicht mit diesen Aufgaben anfangen?

  • Wie sieht in einem solchen Fall Ihre Situation übermorgen, in einer Woche, in einem Monat aus?

  • Wie werden Sie sich dann fühlen?

Ändern Sie Ihre Sprache: Vermeiden Sie exaltierte und dramatisierende Äußerungen wie die, eine Aufgabe sei »todlangweilig« oder »wahnsinnig ermüdend und nervend«. Verabschieden Sie sich von globalen und extremen Bewertungen wie der, das Anliegen Ihres Chefs sei »total ätzend« oder die ruhigeren Kollegen seien »scheintote Papierexistenzen«. Gewöhnen Sie sich Ihren Alltagsradikalismus ab und eine abwägende Sprache an, zu der Formulierungen gehören wie: »Wenn ich es recht bedenke, finde ich ...«, »Vernunft und gesunder Menschenverstand sagen mir, dass ...«, »Ich werde noch einmal darüber nachdenken«. Fassen Sie über Aufgaben, Mitmenschen und sich selbst sachliche, rationale Gedanken. Das fällt Ihnen leichter, wenn Sie nicht wie gewohnt schnell aus der Hüfte eine Bemerkung abschießen, sondern sich Zeit lassen, noch einmal zu überlegen.

|215|Zusammenfassung

Ihre Gefühle können einen ebenso wichtigen Beitrag zur Überwindung des Aufschiebens leisten wie zu seiner Entstehung. Wenn Sie manches vermeiden, um nicht mit Gefühlen konfrontiert zu werden, die unangenehm sind, so können Sie sich nun beständig fragen: Wie fühlen Sie sich, wenn Sie aufschieben? Und wie möchten Sie sich fühlen, welche emotionalen Ziele haben Sie? Welche Handlungen müssen Sie ausführen, um sich diesen Zielen zu nähern? Wenn Sie die in diesem Kapitel vorgeschlagenen Übungen ausführen, werden Sie sich ein paarmal sicher recht unbehaglich fühlen. Aber genau dadurch gewöhnen Sie sich an das Ertragen milder negativer Gefühle, sodass Sie vor denen nicht mehr zu flüchten brauchen. Noch eines: Wenn Sie diese Vorschläge nicht ausprobieren wollen, suchen Sie nicht nach Ausreden und Begründungen, wie beispielsweise, das alles könne doch nicht klappen und habe keinen Sinn, es sei sowieso zu schwierig. Lehnen Sie sich zurück und sagen Sie entschlossen: »Ich entscheide mich gegen diese Übungen. Ich wähle das Aufschieben.« Dann haben Sie wenigstens das Gefühl mit sich in Übereinstimmung zu sein und ersparen sich das schlechte Gewissen.