Der perfekte Roboter
von
ISAAC ASIMOV

 

Die US-Au­to­ma­ten-und-Ro­bo­ter-GmbH hat­te als An­ge­klag­te in die­sem Ver­fah­ren ge­nü­gend Ein­fluß, um ei­ne Ver­hand­lung oh­ne Ju­ry und hin­ter ver­schlos­se­nen Tü­ren zu er­zwin­gen.

Und die Nor­theas­tern-Uni­ver­si­tät streng­te sich nicht son­der­lich an, um das zu ver­hin­dern. Das Ku­ra­to­ri­um wuß­te recht gut, wie die Öf­fent­lich­keit auf ein Ver­fah­ren ge­gen einen Ro­bo­ter rea­gie­ren wür­de, ganz gleich, aus wel­chem Grund man ihn an­klag­te. Man war sich auch im kla­ren dar­über, daß Haß­pa­ro­len ge­gen Ro­bo­ter schnell in Haß­pa­ro­len ge­gen die Wis­sen­schaf­ten über­haupt en­den konn­ten.

Die Re­gie­rung, in die­sem Fall von Rich­ter Har­low Sha­ne ver­tre­ten, war eben­falls für ei­ne still­schwei­gen­de Bei­le­gung der Streit­sa­che. Man hat­te we­der die Ro­bo­ter-GmbH noch die Uni­ver­si­täts­leu­te gern ge­gen sich.

Rich­ter Sha­ne er­griff das Wort.

»Mei­ne Her­ren! Da we­der Pres­se, Öf­fent­lich­keit oder Ju­ry an­we­send sind, kön­nen wir weit­ge­hend auf die äu­ße­re Form ver­zich­ten und gleich zur Sa­che kom­men.«

Er lä­chel­te steif und zerr­te an sei­ner Ro­be, um ihr einen läs­si­ge­ren Fal­ten­wurf zu ver­lei­hen. Er hat­te we­nig Hoff­nung, daß man sich an sei­ne Auf­for­de­rung hal­ten wür­de.

Bar­na­bas H. Good­fel­low, Pro­fes­sor für Phy­sik an der Nor­theas­tern-Uni­ver­si­tät, trat zu­erst in den Zeu­gen­stand. Er leg­te sei­nen Eid mit ei­ner Mie­ne ab, die im kras­sen Wi­der­spruch zu sei­nem Na­men stand.

Nach den üb­li­chen ein­lei­ten­den Fra­gen schob der An­kla­ge­ver­tre­ter die Hän­de tief in die Ta­schen und be­gann:

»Herr Pro­fes­sor, wann und un­ter wel­chen Um­stän­den wur­de die Mög­lich­keit ei­ner Ein­stel­lung von Ro­bo­ter EZ-27 zum ers­ten­mal in Er­wä­gung ge­zo­gen?«

Pro­fes­sor Good­fel­lows schma­les, ecki­ges Ge­sicht nahm einen un­si­che­ren Aus­druck an.

»Ich stand mit Dr. Al­fred Lan­ning, dem For­schungs­di­rek­tor der Ro­bo­ter-GmbH, pri­vat und be­ruf­lich in Ver­bin­dung. Ich hör­te da­her mit ei­ni­ger To­le­ranz zu, als er mir einen et­was ei­gen­ar­ti­gen Vor­schlag mach­te. Das war am drit­ten März letz­ten Jah­res …«

»2033?«

»Rich­tig.«

»Ent­schul­di­gen Sie die Un­ter­bre­chung. Bit­te, fah­ren Sie fort.«

Der Pro­fes­sor nick­te kühl und for­mu­lier­te mit ge­run­zel­ter Stirn die da­ma­li­gen Er­leb­nis­se.

 

Pro­fes­sor Good­fel­low be­trach­te­te den Ro­bo­ter mit ei­nem ge­wis­sen Un­be­ha­gen. Man hat­te ihn, ge­mäß den ter­ra­ni­schen Trans­port­be­din­gun­gen für Ro­bo­ter, in ei­ner ver­schlos­se­nen Kis­te in den Kel­ler­raum ge­bracht.

Al­fred Lan­ning mus­ter­te sei­nen Ro­bo­ter scharf, als wol­le er sich ver­ge­wis­sern, daß ihm wäh­rend des Trans­ports nichts zu­ge­sto­ßen sei. Dann wand­te er den Kopf mit den bu­schi­gen Au­gen­brau­en und der wei­ßen Haar­mäh­ne dem Pro­fes­sor zu.

»Das hier ist Ro­bo­ter EZ-27, das ers­te Mo­dell, das der Öf­fent­lich­keit zu­gäng­lich ge­macht wer­den soll.«

Er wand­te sich an den Ro­bo­ter. »Ea­sy, das ist Pro­fes­sor Good­fel­low.«

Die Ant­wort kam so schlag­ar­tig, daß der Pro­fes­sor zu­sam­men­zuck­te.

»Gu­ten Tag, Pro­fes­sor.«

Sei­ne Stim­me war lei­den­schafts­los.

Ea­sy war et­was über zwei Me­ter groß und hat­te die Pro­por­tio­nen ei­nes Men­schen – ein Ver­kaufs­grund­satz der Ro­bo­ter-GmbH. Das und die wich­tigs­ten Pa­tent­rech­te für das Po­sitro­nen­hirn hat­ten der Fir­ma das Mo­no­pol für Ro­bo­ter und na­he­zu auch ein Mo­no­pol für Kom­pu­ter ge­si­chert.

Die bei­den Män­ner, die den Ro­bo­ter aus­ge­la­den hat­ten, wa­ren hin­aus­ge­gan­gen, und der Pro­fes­sor blick­te von Lan­ning zu dem Ro­bo­ter und wie­der zu Lan­ning zu­rück.

»Er ist si­cher harm­los.«

Aber so si­cher war er nicht, und man hör­te es sei­ner Stim­me an.

»Harm­lo­ser als ich«, sag­te Lan­ning. »Ich könn­te mich da­zu hin­rei­ßen las­sen, Sie an­zu­grei­fen. Das ist bei Ea­sy un­mög­lich. Sie ken­nen ver­mut­lich die drei Grund­ge­bo­te für Ro­bo­ter.«

»Ja, na­tür­lich«, sag­te Good­fel­low.

»Sie sind in das Po­sitro­nen­sys­tem des Ge­hirns ein­ge­baut und müs­sen be­ach­tet wer­den. Das ers­te Ge­bot, die Haupt­re­gel im Ro­bo­ter­da­sein, schützt das Le­ben und Wohl­er­ge­hen al­ler Men­schen.«

Er un­ter­brach sich, rieb sich die Wan­ge und fuhr dann fort:

»Das ist et­was, wo­von wir die gan­ze Er­de über­zeu­gen möch­ten.«

»Wenn er nur nicht so schreck­lich groß wä­re.«

»Zu­ge­ge­ben. Aber Sie wer­den se­hen, daß er wirk­lich nütz­lich ist.«

»Ich kann mir nicht vor­stel­len, auf wel­chem Ge­biet. Das konn­ten wir auch bei un­se­ren bis­he­ri­gen Un­ter­re­dun­gen nicht klä­ren. Im­mer­hin, ich ha­be ein­ge­wil­ligt, mir das Ding an­zu­se­hen, und ich wer­de es tun.«

»An­se­hen al­lein ist zu we­nig, Pro­fes­sor. Ha­ben Sie ein Buch mit­ge­bracht?«

»Ja.«

»Darf ich es se­hen?«

Pro­fes­sor Good­fel­low griff in sei­ne Ak­ten­ta­sche, oh­ne den Blick von dem me­tal­li­schen Ding in Men­schen­ge­stalt ab­zu­wen­den, und hol­te ein Buch her­aus.

Lan­ning streck­te die Hand da­nach aus und be­sah sich den Ti­tel.

»Phy­si­ka­li­sche Che­mie der Elek­tro­ly­te in Lö­sun­gen. Ei­ne faire Auf­ga­be. Sie ha­ben das Buch selbst aus­ge­wählt, nicht wahr? Ich hat­te kei­ner­lei Ein­fluß auf den Text. Stimmt das?«

»Ja.«

Lan­ning gab das Buch an Ro­bo­ter EZ-27 wei­ter.

Der Pro­fes­sor zuck­te leicht zu­sam­men.

»Nein! Das Buch ist sehr wert­voll.«

Lan­ning hob die Au­gen­brau­en.

»Ea­sy will uns kei­ne Kraft­pro­be lie­fern«, sag­te er. »Ich ver­si­che­re Ih­nen, daß er das Buch nicht zer­rei­ßen wird. Er kann mit ei­nem Buch eben­so sorg­fäl­tig um­ge­hen wie Sie oder ich. Fang an, Ea­sy.«

»Dan­ke, Sir«, sag­te Ea­sy. Dann ver­beug­te er sein Me­tall­ge­stell ein we­nig und füg­te hin­zu: »Mit Ih­rer Er­laub­nis, Pro­fes­sor Good­fel­low.«

Der Pro­fes­sor starr­te ihn an. Dann sag­te er: »Aber na­tür­lich –«

Mit lang­sa­men, gleich­mä­ßi­gen Be­we­gun­gen sei­ner Me­tall­fin­ger dreh­te Ea­sy ei­ne Sei­te nach der an­de­ren um. Er warf einen Blick auf die lin­ke und dann auf die rech­te Sei­te. So blät­ter­te er Mi­nu­te um Mi­nu­te um.

Die Macht, die von ihm aus­strahl­te, ließ so­gar den großen Raum mit den Be­ton­wän­den zu­sam­men­schrump­fen. Und die bei­den mensch­li­chen Be­ob­ach­ter hat­ten das Ge­fühl, un­ter­le­bens­groß zu sein.

»Das Licht ist nicht sehr gut«, mur­mel­te Good­fel­low.

»Es ge­nügt.«

Dann, et­was schär­fer: »Aber was macht er ei­gent­lich?«

»Ge­duld, Sir.«

Schließ­lich war die letz­te Sei­te um­ge­blät­tert.

»Nun, Ea­sy?« frag­te Lan­ning.

»Es ist ein sehr ge­nau­es Buch, und ich konn­te we­ni­ge Feh­ler fin­den. Auf Sei­te 27, Zei­le 22, ist das Wort ›po­si­tiv‹ p-o-s-i-t-i-v-e buch­sta­biert. Das Kom­ma auf Sei­te 32, Zei­le 6, ist über­flüs­sig, wäh­rend es auf Sei­te 54, Zei­le 13, bes­ser ge­we­sen wä­re, ei­nes zu set­zen. Das Plus­zei­chen der Glei­chung XIV,2 auf Sei­te 337 müß­te ein Mi­nus­zei­chen sein, wenn es sich lo­gisch aus den vor­her­ge­hen­den Glei­chun­gen ab­lei­tet …«

»Halt! Einen Au­gen­blick!« rief der Pro­fes­sor. »Was macht er da?«

»Was er macht?« wie­der­hol­te Lan­ning un­ge­dul­dig. »Mann, er ist be­reits fer­tig. Er hat das Buch ge­le­sen und auf Feh­ler über­prüft.«

»Er hat Kor­rek­tur ge­le­sen?«

»Ja. In der kur­z­en Zeit hat er je­den Schreib-, Gram­ma­tik- und In­ter­punk­ti­ons­feh­ler ent­deckt. Er hat falsche Wort­stel­lun­gen be­merkt und In­kon­se­quen­zen fest­ge­stellt. Und er be­hält die Da­ten für im­mer in sei­nem Ge­hirn.«

Der Mund des Pro­fes­sors stand of­fen. Er ging auf­ge­regt hin und her. Dann blieb er vor Ea­sy und Lan­ning ste­hen und kreuz­te die Ar­me vor der Brust.

Schließ­lich sag­te er: »Der Ro­bo­ter ist al­so zum Kor­rek­tur­le­sen ab­ge­rich­tet?«

Lan­ning nick­te.

»Un­ter an­de­rem.«

»Und wes­halb füh­ren Sie ihn mir vor?«

»Da­mit Sie mich un­ter­stüt­zen. Ich möch­te ihn der Uni­ver­si­tät an­bie­ten.«

»Zum Kor­rek­tur­le­sen?«

»Un­ter an­de­rem.« Lan­ning wie­der­hol­te sei­ne Wor­te ge­dul­dig.

Der Pro­fes­sor ver­zog sein Ge­sicht zu ei­ner un­gläu­bi­gen Gri­mas­se.

»Aber das ist doch lä­cher­lich!«

»Wes­halb?«

»Die Uni­ver­si­tät könn­te es sich nie­mals leis­ten, die­se hal­be Ton­ne Me­tall zu kau­fen – so­viel wiegt Ihr Kor­rek­tor doch si­cher?«

»Er kann mehr als nur Kor­rek­tur­le­sen. Er kann Be­rich­te von Skiz­zen vor­be­rei­ten, For­mu­la­re aus­fül­len, als voll­kom­me­ne Ge­dächt­nis­stüt­ze die­nen, Ak­ten sor­tie­ren …«

»Al­les Klein­kram …«

»Nein«, sag­te Lan­ning. »Ich wer­de Ih­nen gleich das Ge­gen­teil be­wei­sen. Aber das kön­nen wir doch in Ih­rem Bü­ro be­spre­chen, wenn Sie nichts da­ge­gen ha­ben.«

»Nein, na­tür­lich nicht«, sag­te der Pro­fes­sor rein me­cha­nisch und woll­te sich um­dre­hen. Dann blieb er ab­rupt ste­hen.

»Aber der Ro­bo­ter – wir kön­nen den Ro­bo­ter nicht mit­neh­men. Dok­tor, Sie müs­sen ihn wie­der in die Kis­te pa­cken las­sen.«

»Das hat noch Zeit. Wir kön­nen Ea­sy hier­las­sen.«

»Oh­ne Be­wa­chung?«

»Wes­halb nicht? Er weiß, daß er den Raum nicht ver­las­sen darf. Pro­fes­sor Good­fel­low, Sie müs­sen mir glau­ben, daß ein Ro­bo­ter weit ver­läß­li­cher als ein Mensch ist.«

»Ich wä­re ver­ant­wort­lich, wenn er et­was be­schä­digt …«

»Er wird nichts be­schä­di­gen. Das ga­ran­tie­re ich Ih­nen. Se­hen Sie, die Dienst­stun­den sind doch vor­bei. Wahr­schein­lich kommt vor mor­gen vor­mit­tag nie­mand hier her­ein. Der Last­wa­gen und mei­ne zwei Leu­te sind drau­ßen. Die Ro­bo­ter-GmbH über­nimmt die Haf­tung, falls et­was ge­schieht. Aber Sie ma­chen sich um­sonst Sor­gen. Neh­men wir es als De­mons­tra­ti­on für die Zu­ver­läs­sig­keit des Ro­bo­ters.«

Der Pro­fes­sor ließ sich aus dem Kel­ler­raum füh­ren. Aber er fühl­te sich in sei­nem Bü­ro, fünf Stock­wer­ke wei­ter oben, nicht so recht wohl.

Er tupf­te mit ei­nem wei­ßen Ta­schen­tuch die Schweiß­trop­fen von der Stirn.

»Wie Sie wis­sen, Dr. Lan­ning, ist es ge­setz­lich ver­bo­ten, Ro­bo­ter im Frei­en zu be­schäf­ti­gen.«

»Pro­fes­sor Good­fel­low, die Ge­set­ze sind nicht ganz ein­fach. Ro­bo­ter dür­fen nicht an öf­fent­li­chen Plät­zen oder in öf­fent­li­chen Ge­bäu­den ver­wen­det wer­den. Auf Pri­vat­grund­stücken oder in Pri­vat­häu­sern sind sie ge­stat­tet, al­ler­dings mit so star­ken Ein­schrän­kun­gen, daß sie kaum noch ih­ren ei­gent­li­chen Zweck er­fül­len kön­nen. Die Uni­ver­si­tät je­doch ist ei­ne große, pri­va­te Ein­rich­tung, die im all­ge­mei­nen Son­der­rech­te ge­nießt. Wenn der Ro­bo­ter sich in ei­nem ei­ge­nen Raum auf­hält, wenn er nur für aka­de­mi­sche Zwe­cke be­nutzt wird, wenn man ge­wis­se an­de­re Ein­schrän­kun­gen be­ach­tet, und wenn die Män­ner und Frau­en, die Zu­tritt zu sei­nem Raum ha­ben, mit uns zu­sam­men­ar­bei­ten – dann müß­te es ei­gent­lich ge­lin­gen, im Rah­men der Ge­set­ze zu blei­ben.«

»Und das al­les, um ei­ne Ma­schi­ne zum Kor­rek­tur­le­sen zu ha­ben?«

»Ea­sys Ver­wen­dungs­zweck ist un­be­grenzt, Pro­fes­sor. Bis jetzt hat man Ro­bo­ter nur zur Er­leich­te­rung der rein ma­nu­el­len Ar­bei­ten ein­ge­setzt. Gibt es nicht auch ge­nug Denk­vor­gän­ge, die nichts als ein läs­ti­ges Übel sind? Wenn ein Pro­fes­sor, der zu wun­der­ba­ren schöp­fe­ri­schen Ge­dan­ken fä­hig ist, wo­chen­lang Zeit da­mit ver­liert, sei­ne Ma­nu­skrip­te Zei­le für Zei­le nach Druck­feh­lern ab­zu­su­chen, soll­te man ihm doch die­se Ar­beit so weit wie mög­lich er­leich­tern. Und Sie nen­nen das Klein­kram?«

»Aber der Preis …«

»Um den Preis brau­chen Sie sich nicht zu sor­gen. Wir ver­kau­fen EZ-27 nicht. Die Ro­bo­ter-GmbH ver­kauft ih­re Pro­duk­te über­haupt nicht. Aber die Uni­ver­si­tät kann Ea­sy für tau­send Dol­lar im Jahr mie­ten – das ist be­trächt­lich we­ni­ger, als ein ein­zi­ges Mi­kro­wel­len-Spek­tro­graph­ge­rät kos­tet.«

Good­fel­low sah ihn sprach­los an. Lan­ning spür­te sei­nen Vor­teil und füg­te hin­zu:

»Ich möch­te ja nur, daß Sie dem Ko­mi­tee, das bei Ih­nen die Ent­schei­dun­gen trifft, mei­nen Vor­schlag un­ter­brei­ten. Ich stel­le mich gern zu ei­ner Dis­kus­si­on zur Ver­fü­gung.«

»Hm«, sag­te Good­fel­low zwei­felnd. »Ich kann die Sa­che nächs­te Wo­che bei der Se­nats­ver­samm­lung an­schnei­den. Aber ich kann na­tür­lich nicht ver­spre­chen, daß es et­was nüt­zen wird.«

»Na­tür­lich«, sag­te Lan­ning.

 

Der Ver­tei­di­ger war klein und dick­lich und gab sich ziem­lich dro­hend. Er starr­te Pro­fes­sor Good­fel­low an, als man ihm er­laub­te, sei­ne Fra­gen zu stel­len.

»Sie wa­ren recht schnell ein­ver­stan­den, nicht wahr?«

Der Pro­fes­sor blieb ru­hig.

»Ich war wohl ziem­lich froh, Dr. Lan­ning wie­der los­zu­wer­den. Ich hät­te ihm al­les ver­spro­chen.«

»Mit der Ab­sicht, es nach sei­nem Ver­schwin­den wie­der zu ver­ges­sen?«

»Nun …«

»Trotz­dem ha­ben Sie dem Exe­ku­ti­vaus­schuß des Se­nats die Sa­che vor­ge­tra­gen.«

»Ja.«

»So ha­ben Sie Dr. Lan­nings Vor­schlä­ge wei­ter­ge­ge­ben. Sie ha­ben sie nicht ein­fach als Un­sinn ab­ge­tan. Im Ge­gen­teil, Sie ha­ben sie ziem­lich be­geis­tert auf­ge­grif­fen. Stimmt das?«

»Ich ha­be den nor­ma­len Amts­weg ein­ge­hal­ten.«

»Tat­sa­che ist, daß Sie sich um den Ro­bo­ter kaum die Sor­gen mach­ten, von de­nen Sie uns eben er­zähl­ten. Sie ken­nen die drei Ge­bo­te für Ro­bo­ter, und Sie kann­ten sie auch schon bei Ih­rem Zu­sam­men­tref­fen mit Dr. Lan­ning.«

»Das schon.«

»Und Sie wa­ren durch­aus be­reit, einen Ro­bo­ter oh­ne Auf­sicht al­lein zu las­sen …«

»Dr. Lan­ning ver­si­cher­te mir …«

»Sie hät­ten sei­ne Ver­si­che­rung be­stimmt nicht ak­zep­tiert, wenn Sie den lei­ses­ten Zwei­fel ge­habt hät­ten, daß der Ro­bo­ter ge­fähr­lich sein könn­te.«

Der Pro­fes­sor sah ihn kühl an.

»Ich sah kei­nen Grund, Dr. Lan­ning nicht zu trau­en …«

»Dan­ke, das ge­nügt«, un­ter­brach ihn der Ver­tei­di­ger ab­rupt.

Wäh­rend sich Pro­fes­sor Good­fel­low mehr als ver­wirrt setz­te, beug­te sich Rich­ter Sha­ne vor und er­klär­te:

»Da ich selbst noch nie mit Ro­bo­tern zu tun hat­te, wür­de ich gern ge­nau wis­sen, wie die drei Ge­bo­te für Ro­bo­ter lau­ten. Könn­te Dr. Lan­ning sie dem Ge­richt vor­tra­gen?«

Dr. Lan­ning fuhr auf. Er hat­te bis da­hin mit der grau­haa­ri­gen Frau an sei­ner Sei­te ge­tu­schelt. Jetzt er­hob er sich. Die Frau sah ihn aus­drucks­los an.

»Wie Sie wün­schen, Eu­er Eh­ren«, sag­te Dr. Lan­ning. Er mach­te ei­ne Pau­se, als sei er im Be­griff, ei­ne be­deut­sa­me Re­de zu hal­ten. Dann be­gann er laut und deut­lich zu re­zi­tie­ren:

»Ers­tes Ge­bot: Ein Ro­bo­ter darf kei­nen Men­schen ver­let­zen oder ta­ten­los zu­se­hen, wie ein Mensch Scha­den er­lei­det.

Zwei­tes Ge­bot: Ein Ro­bo­ter muß die Be­feh­le aus­füh­ren, die ihm ein Mensch gibt, au­ßer die­se Be­feh­le ver­sto­ßen ge­gen das ers­te Ge­bot.

Drit­tes Ge­bot: Ein Ro­bo­ter muß sei­ne ei­ge­ne Exis­tenz schüt­zen, so­lan­ge die­se Maß­nah­me nicht ge­gen Ge­bot eins oder zwei ver­stößt.«

»Schön«, sag­te der Rich­ter und mach­te sich ein paar schnel­le No­ti­zen. »Und die­se Ge­set­ze sind in je­den Ro­bo­ter ein­ge­plant?«

»In je­den. Das ist die Pflicht von Ro­bo­ter-Her­stel­lern.«

»Ro­bo­ter EZ-27 han­del­te al­so auch ent­spre­chend die­ser Ge­bo­te?«

»Ja, Eu­er Eh­ren.«

»Sie wer­den die­se Aus­sa­gen wahr­schein­lich un­ter Eid wie­der­ho­len müs­sen.«

»Je­der­zeit, Eu­er Eh­ren.«

Er setz­te sich wie­der.

 

Dr. Su­san Cal­vin, Lei­te­rin der ro­bo­terpsy­cho­lo­gi­schen Ab­tei­lung bei der US-Ro­bo­ter-GmbH, war die grau­haa­ri­ge Frau, die ne­ben Lan­ning saß. Sie sah ih­ren no­mi­nel­len Vor­ge­setz­ten kühl an, aber das war nicht wei­ter ver­wun­der­lich. Für Men­schen konn­te sie kei­ne Wär­me emp­fin­den. Jetzt frag­te sie:

»Al­fred, war Good­fel­lows Aus­sa­ge rich­tig?«

»Im we­sent­li­chen«, flüs­ter­te Lan­ning. »Um den Ro­bo­ter mach­te er sich über­haupt kei­ne Sor­gen, und er woll­te von sich aus mit mir ins Ge­schäft kom­men, als er den Preis hör­te. Aber dras­ti­sche Ver­zer­run­gen konn­te ich nicht feststellen.«

Dr. Cal­vin sag­te nach­denk­lich: »Es wä­re viel­leicht klug ge­we­sen, den Preis hö­her an­zu­set­zen.«

»Wir muß­ten Ea­sy un­be­dingt los­wer­den.«

»Ich weiß. Und das war viel­leicht ein Feh­ler. Man wird ver­su­chen, uns an­de­re Mo­ti­ve un­ter­zu­schie­ben.«

Lan­ning war ge­knickt.

»Ich ha­be un­ser Mo­tiv vor dem Se­nat der Uni­ver­si­tät ge­nannt.«

»Sie wer­den es so hin­dre­hen, als sei es nicht das ei­gent­li­che ge­we­sen.«

Scott Ro­berts­on, der Sohn des Fir­men­grün­ders und im­mer noch Be­sit­zer der meis­ten Ak­ti­en, saß auf der an­de­ren Sei­te von Dr. Cal­vin. Jetzt beug­te er sich zu ihr her­un­ter und flüs­ter­te wü­tend:

»Wes­halb kön­nen Sie nicht Ea­sy zu ei­ner Aus­sa­ge brin­gen? Er könn­te sa­gen, was ei­gent­lich vor­fiel.«

»Sie wis­sen, daß er nicht dar­über spre­chen wird, Mis­ter Ro­berts­on.«

»Brin­gen Sie ihn da­zu. Sie sind un­se­re Psy­cho­lo­gin, Dr. Cal­vin. Sie müs­sen ihn da­zu brin­gen.«

»Wenn ich die Psy­cho­lo­gin bin, Mr. Ro­berts­on«, sag­te Su­san Cal­vin kühl, »dann las­sen Sie mich die Ent­schei­dung tref­fen. Mein Ro­bo­ter wird nicht da­zu ge­bracht, et­was zu tun, was ihm scha­det.«

Fran­cis J. Hart, Lei­ter der Eng­li­schen Ab­tei­lung und De­kan für die Ab­schluß­se­mes­ter, war in den Zeu­gen­stand ge­tre­ten. Er war ein schwer­fäl­li­ger Mann, der in ei­nem kon­ser­va­tiv ge­schnit­te­nen dunklen An­zug steck­te. Ein paar Haar­sträh­nen wa­ren sorg­fäl­tig über die ro­sa Glat­ze ge­kämmt. Er lehn­te sich zu­rück und fal­te­te die Hän­de kor­rekt auf dem Schoß. Hin und wie­der lä­chel­te er.

Er be­rich­te­te:

»Zum ers­ten­mal hör­te ich von der An­ge­le­gen­heit des Ro­bo­ters EZ-27 an­läß­lich der Sit­zung des Uni­ver­si­täts­se­nats. Pro­fes­sor Good­fel­low brach­te die Re­de auf das The­ma. Spä­ter, am zehn­ten April ver­gan­ge­nen Jah­res, hiel­ten wir ei­ne Son­der­sit­zung über die­sen Fall ab, bei der ich den Vor­sitz führ­te.«

»Sind von der Sit­zung Auf­zeich­nun­gen vor­han­den? Von der Son­der­sit­zung, mei­ne ich.«

»Hm – nein. Es war ei­ne un­ge­wöhn­li­che Sit­zung.« Der De­kan lä­chel­te knapp. »Wir hiel­ten es für bes­ser, nichts da­von an die Öf­fent­lich­keit drin­gen zu las­sen.«

»Was ge­sch­ah bei die­ser Sit­zung?«

 

De­kan Hart fühl­te sich als Vor­sit­zen­der die­ser Kon­fe­renz nicht be­son­ders wohl. Auch die an­de­ren Mit­glie­der der Ver­samm­lung wa­ren ein we­nig un­ru­hig. Nur Dr. Lan­ning schi­en völ­lig zu­frie­den.

Auf dem Tisch la­gen Pro­ben von der Ar­beit des Ro­bo­ters. Pro­fes­sor Mi­nott vom In­sti­tut für Phy­si­ka­li­sche Che­mie hielt die Re­pro­duk­ti­on ei­nes Schau­bilds in der Hand. Die Lip­pen des Che­mi­kers wa­ren an­er­ken­nend ge­spitzt.

Hart räus­per­te sich und er­griff das Wort.

»Es scheint kein Zwei­fel dar­an zu be­ste­hen, daß der Ro­bo­ter ge­wis­se Rou­ti­ne­auf­ga­ben zu un­se­rer vol­len Zu­frie­den­heit lö­sen kann. Ich ha­be mir bei­spiels­wei­se das da vor Be­ginn der Sit­zung an­ge­se­hen, und ich fand we­nig dar­an aus­zu­set­zen.«

Er nahm ein lan­ges, be­druck­tes Blatt in die Hand, et­wa drei­mal so lang wie ei­ne ge­wöhn­li­che Buch­sei­te. Es war ei­ne Fah­ne, wie man sie Au­to­ren zur Kor­rek­tur zu­schickt, be­vor man den Text in Sei­ten auf­teilt.

An den brei­ten Rän­dern der Fah­ne wa­ren Kor­rek­tur­zei­chen, sau­ber und wun­der­bar le­ser­lich. Hin und wie­der war ein Wort des Tex­tes aus­ge­stri­chen und am Rand ver­bes­sert. Die Buch­sta­ben wa­ren so gleich­mä­ßig, daß man sie von dem ge­druck­ten Text nicht un­ter­schei­den konn­te. Ei­ni­ge der Kor­rek­tu­ren wa­ren blau, um an­zu­deu­ten, daß der Au­tor einen Feh­ler ge­macht hat­te, an­de­re rot, wenn sich der Dru­cker ge­täuscht hat­te.

»Ich wür­de so­gar sa­gen, daß ab­so­lut nichts dar­an aus­zu­set­zen ist, Dr. Hart«, er­klär­te Dr. Lan­ning. »Die Kor­rek­tu­ren sind im Ver­gleich zu dem Ma­nu­skript in Ord­nung. Al­ler­dings re­gis­triert Ea­sy nur Sprach­feh­ler, kei­ne Sach­feh­ler.«

»Wir ak­zep­tie­ren das. Aber der Ro­bo­ter ver­bes­ser­te auch hin und wie­der die Wort­stel­lung, und ich glau­be nicht, daß die Sprach­re­geln so starr ge­faßt sind, daß sei­ne Wahl im­mer die rich­ti­ge war.«

Lan­ning lä­chel­te und ent­blö­ßte da­bei sei­ne lan­gen Zäh­ne.

»In Ea­sys Po­sitro­nen­ge­hirn wur­de der In­halt sämt­li­cher ein­schlä­gi­ger Wer­ke ein­ge­speist«, sag­te er. »Ich bin si­cher, daß Sie in kei­nem Fall nach­wei­sen kön­nen, er ha­be sich falsch aus­ge­drückt.«

Pro­fes­sor Mi­nott sah von der Zeich­nung auf, die er im­mer noch in der Hand hielt.

»Mir drängt sich ei­ne Fra­ge auf, Dr. Lan­ning. Wes­halb brau­chen wir über­haupt einen Ro­bo­ter, wenn da­mit sol­che Schwie­rig­kei­ten auf dem Pu­blic-Re­la­ti­ons-Sek­tor ver­bun­den sind? Die Au­to­ma­ti­on ist doch si­cher so weit fort­ge­schrit­ten, daß Ih­re Ge­sell­schaft ei­ne Ma­schi­ne kon­stru­ie­ren könn­te, einen ge­wöhn­li­chen Kom­pu­ter, ge­gen den die Öf­fent­lich­keit nichts ein­zu­wen­den hat. Er könn­te die Ar­beit des Ro­bo­ters über­neh­men.«

»Ge­wiß wä­re uns das mög­lich«, er­wi­der­te Lan­ning steif. »Aber bei ei­ner sol­chen Ma­schi­ne müß­ten die Drucker­fah­nen erst in be­son­de­re Sym­bo­le auf­ge­glie­dert oder zu­min­dest auf Bän­der ge­speist wer­den. Und Sie brauch­ten An­ge­stell­te, die die Wor­te in Sym­bo­le und um­ge­kehrt die Sym­bo­le in Wor­te über­set­zen. Dar­über hin­aus kann ein Kom­pu­ter nur ei­ne ganz be­stimm­te Auf­ga­be durch­füh­ren. Die Zeich­nung, die Sie in der Hand hal­ten, gin­ge über sein Leis­tungs­ver­mö­gen.«

 

Mi­nott brumm­te vor sich hin.

 

Lan­ning fuhr fort:

»Die be­son­de­re Leis­tung des Po­sitro­nen­ro­bo­ters be­steht in sei­nen viel­fäl­ti­gen Ver­wen­dungs­mög­lich­kei­ten. Er kann ei­ne gan­ze Rei­he von Ar­bei­ten aus­füh­ren. Da er wie ein Mensch kon­stru­iert ist, kann er mit al­len mensch­li­chen Werk­zeu­gen um­ge­hen. Er kann mit Ih­nen spre­chen, und er kann Sie hö­ren. Bis zu ei­nem ge­wis­sen Grad kann man mit ihm so­gar dis­ku­tie­ren. Wenn man einen Kom­pu­ter mit ei­nem ganz ein­fa­chen Ro­bo­ter ver­gleicht, ist er nicht mehr als ei­ne schwe­re Re­chen­ma­schi­ne.«

Good­fel­low sah auf und frag­te:

»Wenn wir al­le mit dem Ro­bo­ter spre­chen und dis­ku­tie­ren kön­nen, be­steht dann nicht die Ge­fahr, daß wir ihn in Ver­wir­rung brin­gen? Ver­mut­lich hat er nicht die Fä­hig­keit, un­be­grenzt Da­ten zu spei­chern.«

»Nein, das nicht. Aber bei nor­ma­lem Ge­brauch müß­te er min­des­tens fünf Jah­re lang oh­ne Schwie­rig­kei­ten lau­fen. Er weiß, wann sein Spei­cher über­las­tet ist, und dann über­nimmt un­se­re Ge­sell­schaft kos­ten­los die Ar­beit des Lö­schens.«

»Die Ge­sell­schaft!«

»Ja. Die Ge­sell­schaft be­hält sich das Recht vor, den Ro­bo­ter zu über­ho­len. Das ist ei­ner der Grün­de, wes­halb wir un­se­re Po­sitro­nen­ro­bo­ter nicht ver­kau­fen, son­dern ver­mie­ten. Je­der Mensch kann ei­nem Ro­bo­ter ei­ne be­stimm­te Ar­beit in­ner­halb sei­ner Schran­ken be­feh­len. Aber dar­über hin­aus braucht er ei­ne Ex­per­ten­be­hand­lung – und die kön­nen nur wir ihm ge­ben.

So könn­te zum Bei­spiel je­der von Ih­nen ei­nem Ro­bo­ter den Be­fehl er­tei­len, die­ses oder je­nes wie­der zu ver­ges­sen. Aber höchst­wahr­schein­lich for­mu­lie­ren Sie den Be­fehl so, daß der Ro­bo­ter zu­viel oder zu­we­nig ver­gißt. Wir wür­den ei­ne sol­che Pfu­sche­rei so­fort ent­de­cken, da wir Si­cher­heits­s­per­ren ein­ge­baut ha­ben. Doch da kaum je­mand einen so un­sin­ni­gen und un­nö­ti­gen Be­fehl aus­spre­chen wür­de, ist das Gan­ze kein Pro­blem.«

 

De­kan Hart fuhr sich über die Glat­ze und sag­te:

»Sie le­gen of­fen­sicht­lich großen Wert dar­auf, den Ro­bo­ter los­zu­wer­den, ob­wohl es für die Ro­bo­ter-GmbH ga­ran­tiert ein Ver­lust­ge­schäft wird. Tau­send Dol­lar pro Jahr sind ein lä­cher­lich nied­ri­ger Preis. Glau­ben Sie, daß Sie durch un­ser Bei­spiel ähn­li­che Ma­schi­nen an an­de­re Uni­ver­si­tä­ten ver­mie­ten kön­nen?«

»Es ist ei­ne nicht von der Hand zu wei­sen­de An­nah­me«, er­wi­der­te Lan­ning.

»Aber selbst dann blie­be die Zahl der ver­mie­te­ten Ro­bo­ter be­schränkt. Ich be­zweifle, daß Ih­re Fir­ma ein ren­ta­bles Ge­schäft dar­aus ma­chen könn­te.«

Lan­ning stütz­te die Ell­bo­gen auf den Tisch und beug­te sich mit erns­tem Ge­sicht vor.

»Ich will die Kar­ten auf den Tisch le­gen, mei­ne Her­ren. Au­ßer in Son­der­fäl­len kön­nen Ro­bo­ter hier auf der Er­de nicht ver­wen­det wer­den. Ein großer Teil der Öf­fent­lich­keit kann sei­ne Vor­ur­tei­le ge­gen sie nicht über­win­den. Die Ro­bo­ter-GmbH ist auf dem ex­tra­ter­rest­ri­schen Markt sehr er­folg­reich. Aber es geht uns hier nicht nur um Ge­winn. Wir sind der fes­ten Über­zeu­gung, daß der Ein­satz von Ro­bo­tern auf der Er­de uns schließ­lich zu ei­nem leich­teren Le­ben ver­hel­fen wür­de – wenn sich auch an­fangs wirt­schaft­li­che Ver­schie­bun­gen er­gä­ben.

Die Ge­werk­schaf­ten sind selbst­ver­ständ­lich ge­gen uns, aber wir set­zen un­se­re Hoff­nung auf ei­ne Zu­sam­men­ar­beit mit den großen Uni­ver­si­tä­ten. Der Ro­bo­ter Ea­sy wird Ih­nen die läs­ti­ge Rou­ti­ne­ar­beit ab­neh­men, die Skla­ven­ar­beit, wenn Sie den Ver­gleich ge­stat­ten. An­de­re Uni­ver­si­tä­ten und For­schungs­stät­ten wer­den Ih­rem Bei­spiel fol­gen. Wenn sich die Sa­che gut ent­wi­ckelt, wer­den viel­leicht auch für an­de­re Zwe­cke Ro­bo­ter ein­ge­setzt. Man könn­te den Wi­der­stand der öf­fent­li­chen Mei­nung Schritt für Schritt ab­bau­en.«

»Heu­te die Nor­theas­tern-Uni­ver­si­tät, mor­gen die gan­ze Welt«, mur­mel­te Mi­nott.

 

Är­ger­lich flüs­ter­te Lan­ning Su­san Cal­vin zu:

»Ich war nur halb so wort­ge­wandt, und sie wa­ren nur halb so zö­gernd. Für tau­send Dol­lar im Jahr streck­ten sie so­fort die Hän­de nach Ea­sy aus. Pro­fes­sor Mi­nott er­klär­te mir, er ha­be noch nie ei­ne ge­naue­re Ar­beit als die­ses Dia­gramm ge­se­hen. Und Hart gab von sich aus zu, daß auf der Drucker­fah­ne kein ein­zi­ger Feh­ler war.«

Die stren­gen senk­rech­ten Fal­ten auf Dr. Cal­vins Stirn blie­ben.

»Du hät­test mehr ver­lan­gen sol­len, als sie zah­len konn­ten, Al­fred. Sie hät­ten den Preis her­un­ter­ge­han­delt.«

»Viel­leicht«, knurr­te er.

Der An­kla­ge­ver­tre­ter war mit Hart noch nicht fer­tig.

»Ha­ben Sie, nach­dem Dr. Lan­ning die Sit­zung ver­ließ, dar­über ab­ge­stimmt, ob man Ro­bo­ter EZ-27 mie­ten soll­te?«

»Ja.«

»Mit wel­chem Er­geb­nis?«

»Für ihn. Es war ei­ne Mehr­heits­ent­schei­dung.«

»Was hat Ih­rer Mei­nung nach die Wahl be­ein­flußt?«

Die Ver­tei­di­gung er­hob so­fort Ein­spruch.

Der An­kla­ge­ver­tre­ter for­mu­lier­te die Fra­ge von neu­em.

»Was hat Sie per­sön­lich bei Ab­ga­be Ih­rer Stim­me be­ein­flußt? Ich neh­me an, Sie stimm­ten für den Ro­bo­ter?«

»Ja, ich stimm­te für ihn. Ich tat es haupt­säch­lich, weil ich von Dr. Lan­nings Ge­dan­ken­gän­gen be­ein­druckt war. Ich emp­fand es als un­se­re Pflicht, als die Pflicht der in­tel­lek­tu­el­len Füh­rungs­schicht, der Mensch­heit durch Ein­füh­rung der Ro­bo­ter bei der Lö­sung ih­rer Pro­ble­me zu hel­fen.«

»Mit an­de­ren Wor­ten – Dr. Lan­ning hat Sie da­zu über­re­det …«

»Das ist sei­ne Auf­ga­be. Er hat sie gut ge­löst.«

»Hat die Ver­tei­di­gung Fra­gen an den Zeu­gen?«

Der Ver­tei­di­ger ging zum Zeu­gen­stand hin­über und sah Pro­fes­sor Hart lan­ge an.

Dann er­griff er das Wort.

»In Wahr­heit wa­ren Sie doch al­le da­für, Ro­bo­ter EZ-27 so schnell wie mög­lich zu mie­ten, nicht wahr?«

»Wir dach­ten, daß wir ihn gut ver­wen­den könn­ten, wenn er all die be­schrie­be­nen Fä­hig­kei­ten be­saß.«

»Wenn er die Fä­hig­kei­ten be­saß? So­viel ich ver­stand, un­ter­such­ten Sie an je­ner Kon­fe­renz die Ar­beits­pro­ben von Ro­bo­ter EZ-27 mit pein­li­cher Ge­nau­ig­keit.«

»Ja. Da die Ma­schi­ne haupt­säch­lich die eng­li­sche Spra­che kor­ri­giert und da die eng­li­sche Spra­che in mei­nen Kom­pe­tenz­be­reich fällt, er­schi­en es lo­gisch, daß ich sei­ne Ar­beit un­ter­such­te.«

»Sehr schön. War bei die­sen Ar­beits­pro­ben auch nur ei­ne ein­zi­ge da­bei, die we­ni­ger als zu­frie­den­stel­lend aus­fiel? Ich ha­be das Ma­te­ri­al hier. Kön­nen Sie einen Punkt nen­nen, der man­gel­haft war?«

»Nun …«

»Es ist ei­ne ein­fa­che Fra­ge. Gab es Grund zur Un­zu­frie­den­heit? Ja oder nein?«

Der Eng­lisch­pro­fes­sor run­zel­te die Stirn.

»Nein.«

»Ich ha­be auch ein paar Pro­ben von Ro­bo­ter EZ-27 wäh­rend sei­ner vier­zehn­mo­na­ti­gen Be­schäf­ti­gung bei der Nor­theas­tern-Uni­ver­si­tät. Wür­den Sie die­se un­ter­su­chen und mir sa­gen, ob ein ein­zi­ger Feh­ler dar­un­ter ist?«

Hart fuhr auf.

»Als er einen Feh­ler mach­te, war es gleich ei­ne Ka­ta­stro­phe.«

»Be­ant­wor­ten Sie mei­ne Fra­ge«, don­ner­te der Ver­tei­di­ger. »Und nichts als mei­ne Fra­ge! Ist et­was mit dem Ma­te­ri­al nicht in Ord­nung?«

De­kan Hart sah sorg­fäl­tig je­des Blatt an.

»Ich kann nichts fin­den.«

»Wenn wir die Sa­che au­ßer acht las­sen, die uns hier zu­sam­men­ge­führt hat – kön­nen Sie sich ent­sin­nen, daß EZ-27 Je einen Feh­ler ge­macht hat?«

»Nein – wenn man von der einen Sa­che ab­sieht.«

 

Der Ver­tei­di­ger räus­per­te sich, als wol­le er da­mit einen Ab­satz mar­kie­ren. Er fuhr fort:

»Und nun zu der Wahl, in der be­schlos­sen wur­de, ob Ro­bo­ter EZ-27 ein­ge­stellt wer­den soll­te oder nicht. Sie sag­ten, daß die Mehr­heit da­für war. Wie sah das Zah­len­ver­hält­nis aus?«

»Drei­zehn ge­gen ei­ne Stim­me, wenn ich mich recht er­in­ne­re.«

»Drei­zehn ge­gen ei­ne. Das ist noch mehr als die Mehr­heit, fin­den Sie nicht?«

»Nein, Sir.« Der gan­ze Pe­dant in De­kan Hart war wach­ge­wor­den. »In der eng­li­schen Spra­che be­deu­tet das Wort Mehr­heit ›mehr als die Hälf­te‹. Drei­zehn von vier­zehn ist ei­ne Mehr­heit, sonst nichts.«

»Aber ein fast ein­stim­mi­ges Er­geb­nis.«

»Den­noch nur ei­ne Mehr­heit.«

Der Ver­tei­di­ger gab nach. »Und wer war der ein­sa­me Geg­ner?«

De­kan Hart fühl­te sich nicht recht wohl in sei­ner Haut.

»Pro­fes­sor Si­mon Nin­hei­mer.«

Der Ver­tei­di­ger tat er­staunt.

»Pro­fes­sor Nin­hei­mer? Der Lei­ter der So­zio­lo­gi­schen Ab­tei­lung?«

»Ja, Sir.«

»Der Klä­ger?«

»Ja, Sir.«

Der Ver­tei­di­ger spitz­te die Lip­pen.

»In an­de­ren Wor­ten: Es stellt sich her­aus, daß der Mann, der an mei­nen Kli­en­ten, die US-Au­to­ma­ten-und-Ro­bo­ter-GmbH, ei­ne Scha­den­er­satz­kla­ge von 750 000 Dol­lar rich­tet, der glei­che Mann ist, der von An­fang an ge­gen die Ver­wen­dung des Ro­bo­ters war. Der ge­sam­te Exe­ku­ti­vaus­schuß – au­ßer ihm – war da­von über­zeugt, daß man mit der Ein­stel­lung gut fah­ren wür­de.«

»Es war sein Recht, da­ge­gen zu stim­men.«

»Sie er­wähn­ten in Ih­rer Be­schrei­bung von der Kon­fe­renz nicht, daß Pro­fes­sor Nin­hei­mer et­was sag­te. Schwieg er wäh­rend der gan­zen De­bat­te?«

»Ich glau­be, er sprach.«

»Sie glau­ben?«

»Al­so gut, er sprach.«

»Ge­gen den Ro­bo­ter?«

»Ja.«

»Setz­te er sich hef­tig ein?«

De­kan Hart mach­te ei­ne Pau­se.

»Lei­den­schaft­lich.«

Der Ver­tei­di­ger wur­de ver­trau­lich.

»Wie lan­ge ken­nen Sie Pro­fes­sor Nin­hei­mer schon, De­kan Hart?«

»Et­wa zwölf Jah­re.«

»Ei­ni­ger­ma­ßen gut.«

»Ja, das kann man schon sa­gen.«

»Da Sie ihn al­so ken­nen, wür­den Sie glau­ben, daß er ein Mensch ist, der es dem Ro­bo­ter nach­tra­gen könn­te, bei der Wahl über­gan­gen …«

Der An­kla­ge­ver­tre­ter er­stick­te den Rest des Sat­zes durch einen em­pör­ten Ein­spruch. Der Ver­tei­di­ger stell­te dem Zeu­gen kei­ne Fra­gen mehr, und Rich­ter Sha­ne ließ Mit­tags­pau­se ma­chen.

 

Ro­berts­on würg­te sein Sand­wich her­un­ter. Die Ge­sell­schaft wür­de we­gen ei­ner drei­vier­tel Mil­li­on Dol­lar kei­nen Wir­bel ma­chen, aber der Ver­lust des Gel­des brach­te noch an­de­re Ver­lus­te mit sich. Zum Bei­spiel einen kost­spie­li­gen Rück­schlag in der Wer­bung.

Er mein­te säu­er­lich:

»Was soll all das Ge­re­de dar­über, wie Ea­sy in die Uni­ver­si­tät kam? Was ver­spricht man sich da­von?«

Der Ver­tei­di­ger blieb ru­hig.

»Ei­ne Ge­richts­ver­hand­lung ist wie ein Schach­spiel, Mis­ter Ro­berts­on. Es ge­winnt der, der die meis­ten Zü­ge vor­her­sieht. Und mein Freund am An­klä­ger­tisch ist kein An­fän­ger. Er kann den Scha­den vor­wei­sen. Das ist kein Pro­blem. Sei­ne Haupt­auf­ga­be ist es, un­se­re Ver­tei­di­gungs­li­nie zu er­ken­nen. Er wird da­mit rech­nen, daß wir uns auf die drei Ge­bo­te für Ro­bo­ter stüt­zen.«

»Aber das ist doch auch die bes­te Ver­tei­di­gung«, er­wi­der­te Ro­berts­on. »Nur da­mit kön­nen wir et­was er­rei­chen.«

»Bei ei­nem Ro­bo­ter-In­ge­nieur viel­leicht. Nicht un­be­dingt bei ei­nem Rich­ter. Der Geg­ner will be­wei­sen, daß EZ-27 kein ge­wöhn­li­cher Ro­bo­ter war. Er kam als der ers­te sei­nes Typs an die Öf­fent­lich­keit. Er war ein Ver­suchs­mo­dell, das erst ge­tes­tet wer­den muß­te. Und die Uni­ver­si­tät war der ein­zig ge­eig­ne­te Ort für die­se Tests. Da­mit kann man so­wohl Dr. Lan­nings Ei­fer er­klä­ren, wie auch die Be­reit­schaft der Ro­bo­ter-GmbH, Ea­sy für einen sol­chen Spott­preis zu ver­mie­ten. Der An­klä­ger wür­de zu dem Schluß kom­men, daß Ea­sy sich bei den Tests als Nie­te her­aus­stell­te. Ver­ste­hen Sie nun, wes­halb die Ver­hand­lung die­sen Ver­lauf nimmt?«

»Aber EZ-27 war doch ein per­fek­tes Mo­dell«, er­klär­te Ro­berts­on. »Er war der sie­ben­und­zwan­zigs­te in der Rei­he un­se­rer Ent­wick­lun­gen.«

»Ein schwa­cher Punkt«, sag­te der Ver­tei­di­ger düs­ter. »Was stimm­te mit den ers­ten sechs­und­zwan­zig nicht? Ir­gend et­was muß es ja sein. Und wes­halb soll­te der Feh­ler nicht auch bei Mo­dell 27 auf­tre­ten?«

»Mit den ers­ten sechs­und­zwan­zig war al­les in Ord­nung«, er­wi­der­te Ro­berts­on. »Aber sie wa­ren noch nicht für ei­ne so kom­ple­xe Auf­ga­be ein­ge­rich­tet. Schließ­lich ar­bei­ten wir zum ers­ten­mal mit Po­sitro­nen­ge­hir­n­en, und da muß man sich je­den Fak­tor durch Ver­su­che er­mit­teln. Aber sie hat­ten al­le die drei Ge­bo­te ein­ge­baut. Kein Ro­bo­ter ist so un­voll­kom­men, daß die drei Ge­bo­te nicht gel­ten.«

»Das hat mir Dr. Lan­ning auch er­klärt, Mis­ter Ro­berts­on, und ich will Ih­nen gern glau­ben. Doch wir wis­sen nicht, ob es der Rich­ter tut. Wir er­war­ten ei­ne Ent­schei­dung von ei­nem eh­ren­haf­ten, in­tel­li­gen­ten Mann, der von Ro­bo­tern kei­ne Ah­nung hat und leicht ir­re­ge­führt wer­den kann. Wenn bei­spiels­wei­se Sie, Dok­tor Lan­ning oder Dok­tor Cal­vin im Zeu­gen­stand aus­sa­gen wür­den, daß Sie zum ers­ten­mal mit Po­sitro­nen­ge­hir­n­en ar­bei­ten, wür­de der An­klä­ger Sie im Kreuz­ver­hör aus­ein­an­der­neh­men. Un­ser Fall wä­re ver­lo­ren. Sol­che Din­ge müs­sen wir al­so ver­mei­den.«

Ro­berts­on knurr­te.

»Wenn nur Ea­sy spre­chen wür­de.«

Der Ver­tei­di­ger zuck­te mit den Schul­tern.

»Ein Ro­bo­ter ist ein un­zu­rei­chen­der Zeu­ge. Es wür­de uns kaum et­was nüt­zen.«

»Zu­min­dest wür­den wir ein paar Tat­sa­chen er­fah­ren. Wir wüß­ten, wie das al­les zu­stan­de kam.«

 

In die­sem Au­gen­blick platz­te Su­san Cal­vin her­aus. Ih­re Wan­gen hat­ten sich dun­kel­rot ge­färbt, und ih­re Stim­me wur­de um ei­ne Spur mensch­li­cher.

»Wir wis­sen, wie al­les zu­stan­de kam. Es wur­de Ea­sy be­foh­len! Ich ha­be das dem An­kla­ge­ver­tre­ter er­klärt, und ich wer­de es auch Ih­nen er­klä­ren.«

»Wer konn­te es ihm be­feh­len?« frag­te Ro­berts­on ehr­lich er­staunt. (Mir braucht man ja so et­was nicht zu sa­gen! dach­te er vor­wurfs­voll. Die­se Wis­sen­schaft­ler tun tat­säch­lich, als ge­hör­te ih­nen die Ro­bo­ter-GmbH.)

»Der Klä­ger«, sag­te Dr. Cal­vin.

»Um Him­mels wil­len, wes­halb denn?«

»Das weiß ich noch nicht. Viel­leicht nur, um uns einen Pro­zeß zu ma­chen. Viel­leicht aus Geld­gier.«

Ih­re Au­gen schos­sen Blit­ze, als sie das sag­te.

»Und warum sagt das Ea­sy nicht?«

»Ist das nicht of­fen­sicht­lich? Weil er den Be­fehl be­kam, über die An­ge­le­gen­heit zu schwei­gen.«

»Für mich ist das nicht of­fen­sicht­lich«, stell­te Ro­berts­on et­was ge­kränkt fest.

»Für mich schon. Ro­bo­terpsy­cho­lo­gie ist schließ­lich mein Be­ruf. Ea­sy be­ant­wor­tet die Fra­gen über den Vor­fall nicht di­rekt, aber er gibt doch über die Be­gleit­um­stän­de Aus­kunft. Je nä­her man der Kern­fra­ge kommt, de­sto stär­ker wird sein Zö­gern. Wenn man die­ses Schwei­gen und die Stär­ke der Ge­gen­po­ten­tia­le mißt, kann man mit wis­sen­schaft­li­cher Prä­zi­si­on sa­gen, daß sei­ne Ver­wir­rung von ei­ner Schwei­ge­ver­pflich­tung her­rührt, die ihm wahr­schein­lich im Hin­blick auf das ers­te Ge­bot ge­ge­ben wur­de. In an­de­ren Wor­ten: Man hat Ea­sy ge­sagt, daß ein Mensch zu Scha­den kommt, wenn er spricht. Wahr­schein­lich ist be­sag­ter Mensch die­ser schreck­li­che Pro­fes­sor Nin­hei­mer – der An­klä­ger.«

»Hm.« Ro­berts­on über­leg­te. »Kön­nen Sie Ea­sy nicht er­klä­ren, daß die US-Ro­bo­ter-GmbH zu Scha­den kommt, wenn er schweigt?«

»Die Ro­bo­ter-GmbH ist kein mensch­li­ches We­sen, und das ers­te Ge­bot für Ro­bo­ter er­kennt Ge­sell­schaf­ten nicht als Per­so­nen an, wie es un­se­re Ge­set­ze tun. Au­ßer­dem wä­re es ge­fähr­lich, das Ver­bot auf­zu­he­ben. Der­je­ni­ge, der es aus­sprach, könn­te es noch am leich­tes­ten, denn die Mo­ti­ve des Ro­bo­ters sind nur auf sei­ne Per­son ab­ge­stimmt. Einen an­de­ren Weg …« Sie schüt­tel­te hef­tig den Kopf. »Ich las­se es nicht zu, daß der Ro­bo­ter zer­stört wird.«

 

Lan­ning un­ter­brach mit ei­ner Mie­ne, als wol­le er Ver­nunft in die Dis­kus­si­on brin­gen.

»Ich bin der An­sicht, daß wir le­dig­lich be­wei­sen müs­sen, ob Ea­sy zu der Tat im­stan­de war oder nicht. Und das kön­nen wir doch.«

»Sie kön­nen es«, sag­te der Ver­tei­di­ger är­ger­lich. »Al­le Zeu­gen, die über Ea­sys Ver­hal­ten und Geis­tes­zu­stand aus­sa­gen kön­nen, sind An­ge­stell­te der Ro­bo­ter-GmbH. Der Rich­ter kann ih­re Aus­sa­ge ein­fach nicht als vor­ur­teils­frei ak­zep­tie­ren.«

»Aber er kann doch kein Ex­per­ten­gut­ach­ten zu­rück­wei­sen.«

»Nicht di­rekt. Doch er braucht sich nicht da­von über­zeu­gen zu las­sen. Das er­laubt ihm sei­ne Richter­stel­lung. Ge­gen die an­de­re An­nah­me, daß ein Mann wie Pro­fes­sor Nin­hei­mer ab­sicht­lich sei­nen ei­ge­nen Ruf zer­stört, selbst für ei­ne an­sehn­li­che Geld­sum­me, wird er kaum die tech­ni­schen Er­klä­run­gen Ih­rer In­ge­nieu­re ak­zep­tie­ren. Schließ­lich ist der Rich­ter auch nur ein Mensch. Wenn er die Wahl hat zwi­schen ei­nem Men­schen, der et­was Un­mög­li­ches tut, und ei­nem Ro­bo­ter, der et­was Un­mög­li­ches tut, wird er höchst­wahr­schein­lich zu­guns­ten des Men­schen ent­schei­den.«

»Ein Mensch ist zu un­mög­li­chen Din­gen fä­hig«, wi­der­sprach Lan­ning. »Wir ken­nen noch nicht die ge­naue Zu­sam­men­set­zung des mensch­li­chen Ge­hirns, und wir wis­sen nicht, was für einen ganz be­stimm­ten Ver­stand mög­lich oder un­mög­lich ist. Aber wir sind uns völ­lig dar­über im kla­ren, was bei ei­nem Ro­bo­ter un­mög­lich ist.«

»Schön. Wir müs­sen ver­su­chen, den Rich­ter da­von zu über­zeu­gen«, sag­te der Ver­tei­di­ger mü­de.

»Nach Ih­ren Wor­ten scheint das un­mög­lich«, sag­te Ro­berts­on är­ger­lich.

»Wir wer­den se­hen. Es ist im­mer gut, wenn man die Schwie­rig­kei­ten kennt, die einen er­war­ten. Aber des­halb brau­chen wir nicht gleich die Flin­te ins Korn zu wer­fen. Ich ha­be mir auch ein paar Zü­ge in die­sem Spiel über­legt.« Er nick­te in Rich­tung der Ro­bo­terpsy­cho­lo­gin. »Viel­leicht schaf­fe ich es mit Hil­fe die­ser Da­me.«

Lan­ning sah zwi­schen den bei­den hin und her.

»Was soll nun das schon wie­der?« frag­te er wü­tend.

Aber in die­sem Au­gen­blick streck­te der Ge­richts­die­ner sei­nen Kopf her­ein und kün­dig­te et­was atem­los an, daß die Ver­hand­lung wie­der auf­ge­nom­men wür­de.

Sie nah­men ih­re Plät­ze ein und sa­hen den Mann an, der all die­sen Wir­bel ver­ur­sacht hat­te.

Si­mon Nin­hei­mer hat­te wi­der­spens­ti­ge ro­te Haa­re, ein Ge­sicht mit ei­ner schar­fen Ha­ken­na­se und ei­nem spit­zen Kinn – und die An­ge­wohn­heit, vor Schlüs­sel­wor­ten einen Au­gen­blick zu zö­gern, wie um den deut­lichs­ten Aus­druck zu su­chen.

Wenn er sag­te: »Die Son­ne geht im – äh – Os­ten auf«, war man si­cher, daß er ge­wis­sen­haft die Mög­lich­keit ei­nes Son­nen­auf­gangs im Wes­ten in Be­tracht ge­zo­gen hat­te.

Der An­kla­ge­ver­tre­ter be­gann:

»Wand­ten Sie sich ge­gen die Ein­stel­lung von Ro­bo­ter EZ-27 durch die Uni­ver­si­tät?«

»Ja, Sir.«

»Wes­halb?«

»Ich war der Mei­nung, daß wir die Mo­ti­ve der US-Ro­bo­ter-GmbH – äh – nicht gut ge­nug durch­schau­ten. Ich miß­trau­te ih­rem Ei­fer, den Ro­bo­ter an uns zu ver­mie­ten.«

»Glaub­ten Sie, daß er die Auf­ga­ben, für die er an­geb­lich kon­stru­iert war, auch durch­füh­ren konn­te?«

»Ich ha­be schmerz­lich ge­nug er­fah­ren, daß er es nicht konn­te.«

»Wür­den Sie uns bit­te einen Be­richt ge­ben?«

 

Si­mon Nin­hei­mers Buch So­zia­le Span­nun­gen durch die Ent­wick­lung der Raum­fahrt so­wie ih­re Lo­sung war nun schon acht Jah­re in Vor­be­rei­tung. Nin­hei­mers Lie­be zur Prä­zi­si­on drück­te sich nicht nur in sei­nen Sprech­ge­wohn­hei­ten aus. Ein The­ma wie die So­zio­lo­gie, bei der von Ge­nau­ig­keit kei­ne Re­de sein konn­te, war ein­fach nicht aus­zu­schöp­fen.

Auch wenn er den Text end­lich auf Druck­fah­nen vor sich sah, war er al­les an­de­re als be­frie­digt. Im Ge­gen­teil, wenn er die lan­gen Strei­fen an­starr­te, juck­te es ihn in den Fin­gern, al­les zu zer­rei­ßen und noch ein­mal von vor­ne an­zu­fan­gen.

Jim Ba­ker, Do­zent und künf­ti­ger As­sis­tent für den Lehr­stuhl der So­zio­lo­gie, such­te Nin­hei­mer drei Ta­ge nach Ein­tref­fen der ers­ten Druck­fah­nen auf. Der Pro­fes­sor starr­te geis­tes­ab­we­send auf die Pa­pie­re.

Die Fah­nen ka­men in drei Ex­em­pla­ren an – ei­ne Ko­pie für Nin­hei­mer, ei­ne für Ba­ker und ei­ne drit­te mit der Auf­schrift ›Ori­gi­nal‹. Nin­hei­mer und Ba­ker kor­ri­gier­ten un­ab­hän­gig von­ein­an­der und tru­gen die Ver­bes­se­run­gen nach ei­nem ein­ge­hen­den Ver­gleich in die drit­te Fah­ne ein. Sie mach­ten es schon seit drei Jah­ren so, und es hat­te bis­her im­mer ge­klappt.

Ba­ker, jung und mit ei­ner un­ter­wür­fig säu­seln­den Stim­me, hat­te sei­ne Fah­nen­ko­pi­en in der Hand. Er sag­te eif­rig:

»Ich ha­be das ers­te Ka­pi­tel fer­tig. Es ent­hält ein paar hüb­sche Druck­feh­ler.«

»Das ist beim ers­ten Ka­pi­tel im­mer so«, sag­te Nin­hei­mer geis­tes­ab­we­send.

»Wol­len Sie sie jetzt ver­glei­chen?«

Nin­hei­mer dreh­te sich um und sah Ba­ker ernst an.

»Ich ha­be mit den Fah­nen noch gar nicht an­ge­fan­gen, Jim. Ich glau­be, ich wer­de mir die Mü­he nicht ma­chen.«

»Die Mü­he nicht ma­chen?« Ba­ker sah ihn ver­wirrt an.

Nin­hei­mer preß­te die Lip­pen zu­sam­men.

»Ich ha­be mich er­kun­digt, wann die – äh – Ma­schi­ne ar­bei­tet. Man hat einen Stun­den­plan aus­ge­ar­bei­tet. Schließ­lich wur­de sie ur­sprüng­lich zum – äh – Kor­rek­tur­le­sen an­ge­stellt.«

»Die Ma­schi­ne? Sie mei­nen Ea­sy?«

»Ich glau­be, das ist der däm­li­che Na­me, den man dem Ding ge­ge­ben hat.«

»Aber Dok­tor Nin­hei­mer! Ich dach­te, Sie woll­ten nichts da­mit zu tun ha­ben?«

»Ich schei­ne der ein­zi­ge zu sein. Viel­leicht soll­te ich sei­ne – äh – Vor­tei­le auch aus­nut­zen.«

»Ach so. Hm, dann ha­be ich mei­ne Zeit mit dem ers­ten Ka­pi­tel ver­schwen­det.« Der jun­ge Mann sah ent­täuscht auf sei­ne Blät­ter.

»Aber nein. Wir kön­nen die Ar­beit der Ma­schi­ne mit Ih­rer Ar­beit ver­glei­chen. Ei­ne ge­wis­se Si­cher­heit will ich schon ha­ben.«

»Gut, wenn Sie wol­len, aber …«

»Ja?«

»Ich kann mir kaum vor­stel­len, daß Ea­sy einen Feh­ler macht. Bis jetzt hat noch nie­mand et­was aus­zu­set­zen ge­habt.«

»Tat­säch­lich?« frag­te Nin­hei­mer tro­cken.

 

Nin­hei­mer fühl­te sich un­be­hag­lich, als er zum ers­ten­mal dem Ro­bo­ter ge­gen­über­stand. Fast au­to­ma­tisch, so als stün­de er ei­nem Men­schen ge­gen­über, frag­te er:

»Ge­fällt dir dei­ne Ar­beit?«

»Sehr, Herr Pro­fes­sor Nin­hei­mer«, sag­te Ea­sy fei­er­lich. Die Fo­to­zel­len sei­ner Au­gen leuch­te­ten tief rot wie im­mer.

»Du kennst mich?«

»Aus der Tat­sa­che, daß Sie in den Ori­gi­nal­text et­was ein­fü­gen wol­len, folgt, daß Sie der Au­tor sind. Und der Na­me des Au­tors steht na­tür­lich auf je­der Druck­fah­ne.«

»Ach so. Dann kannst du al­so – äh – Schluß­fol­ge­run­gen zie­hen.« Er konn­te der Fra­ge nicht wi­der­ste­hen. »Sag mal, was hältst du bis jetzt von dem Buch?«

»Ich fin­de es an­ge­nehm, es be­ar­bei­ten zu dür­fen«, sag­te Ea­sy.

»An­ge­nehm? Das ist ein ko­mi­sches Wort für einen – äh – Me­cha­nis­mus oh­ne Ge­füh­le. We­nigs­tens sag­te man mir, daß du kei­ne Ge­füh­le hät­test.«

»Die Wor­te in Ih­rem Buch sind für mei­ne Strom­krei­se leicht zu be­ar­bei­ten«, er­klär­te Ea­sy. »Sie lö­sen we­ni­ge Ge­gen­po­ten­tia­le aus. Mein Ge­hirn kann die­se Tat­sa­che mit ei­nem Wort wie ›an­ge­nehm‹ über­set­zen. Die ge­fühls­mä­ßi­ge Be­deu­tung die­ses Wor­tes ist rei­ner Zu­fall.«

»Ich ver­ste­he. Wes­halb emp­fin­dest du das Buch als an­ge­nehm?«

»Es han­delt von Men­schen, Herr Pro­fes­sor, und nicht von an­or­ga­ni­schen Stof­fen oder ma­the­ma­ti­schen Sym­bo­len. Ihr Buch ver­sucht die Men­schen zu ver­ste­hen und das mensch­li­che Glück zu stei­gern.«

»Und da das auch dei­ne Auf­ga­be ist, emp­fin­dest du es als an­ge­nehm. Ha­be ich das rich­tig ver­stan­den?«

»Ja, Herr Pro­fes­sor.«

Die Vier­tel­stun­de war vor­bei. Nin­hei­mer ver­ließ den Raum und ging in die Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek, die ge­ra­de schlie­ßen woll­te. Man war­te­te noch, bis er einen Band über ele­men­ta­re Ro­boter­wis­sen­schaf­ten aus­ge­wählt hat­te. Er nahm das Buch mit nach Hau­se.

 

Bis auf we­ni­ge Ein­fü­gun­gen, die Nin­hei­mer auf­grund neu­en Ma­te­ri­als mach­te, gin­gen die Fah­nen zwi­schen Ea­sy und den Ver­le­gern oh­ne Re­kla­ma­tio­nen hin und her. An­fangs prüf­te der Pro­fes­sor noch al­les nach, doch spä­ter küm­mer­te er sich nicht mehr dar­um.

Ba­ker fühl­te sich nicht ganz wohl in sei­ner Haut.

»Ich kom­me mir ziem­lich nutz­los vor«, be­merk­te er ein­mal.

»Wes­halb? Sie kön­nen sich jetzt um neue Pro­jek­te küm­mern«, sag­te Nin­hei­mer, oh­ne von den Auf­zeich­nun­gen auf­zu­se­hen, die er in die lau­fen­de Num­mer der Zeit­schrift Ab­strak­te So­zi­al­wis­sen­schaf­ten mach­te.

»Ich bin es noch nicht ge­wohnt. Ich ma­che mir um die Fah­nen Sor­gen, ob­wohl ich na­tür­lich weiß, daß das Un­sinn ist.«

»Und ob es Un­sinn ist!«

»Kürz­lich hol­te ich mir so­gar ein paar Fah­nen, be­vor sie Ea­sy an den …«

»Was!« Nin­hei­mer sah stirn­run­zelnd auf. Die Zeit­schrift rutsch­te vom Tisch. »Ha­ben Sie die Ma­schi­ne bei der Ar­beit ge­stört?«

»Nur für ei­ne Mi­nu­te. Al­les war in Ord­nung. Oh, er hat ein Wort aus­ge­tauscht. Sie be­nutz­ten das Ad­jek­tiv ›kri­mi­nell‹. Er schrieb statt des­sen ›leicht­sin­nig‹. Ich fand, daß das zwei­te Ad­jek­tiv bes­ser in den Zu­sam­men­hang paß­te.«

Nin­hei­mer wur­de nach­denk­lich.

»Fan­den Sie wirk­lich?«

»Ich ließ es ste­hen. Ich war ehr­lich da­von über­zeugt, daß es bes­ser war.«

Nin­hei­mer dreh­te sich um und blick­te sei­nen jun­gen Mit­ar­bei­ter an.

»Hö­ren Sie, es wä­re mir lie­ber, wenn Sie das nicht wie­der tun. Wenn ich die Ma­schi­ne be­nut­ze, dann will ich – äh – al­le ih­re Vor­tei­le ge­nie­ßen. Wenn ich Ih­re – äh – Ar­beits­kraft da­durch ver­lie­re, daß Sie die Ma­schi­ne über­wa­chen, ob­wohl es nicht – äh – nö­tig ist, dann ge­win­ne ich nichts. Ver­ste­hen Sie mich?«

»Ja, Dr. Nin­hei­mer«, sag­te Ba­ker klein­laut.

Die Aus­hän­ge­bo­gen des Bu­ches ka­men am ach­ten Mai in Dr. Nin­hei­mers Bü­ro. Nin­hei­mer sah sie kurz durch und las hin und wie­der einen Ab­satz. Dann leg­te er die Blät­ter weg.

Wie er spä­ter er­klär­te, ver­gaß er sie. Acht Jah­re lang hat­te er dar­an ge­ar­bei­tet, aber jetzt wur­de er von an­de­ren Din­gen ge­fes­selt, wäh­rend ihm Ea­sy die Last der Kor­rek­tur ab­nahm. Er dach­te nicht ein­mal dar­an, der Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek die üb­li­che Ko­pie zur Ver­fü­gung zu stel­len.

Selbst Ba­ker, der sich seit je­nem Ta­del mit ei­ge­nen Din­gen be­schäf­tig­te, er­hielt kei­ne Ko­pie.

Am sech­zehn­ten Ju­ni ge­sch­ah es dann.

Nin­hei­mer er­hielt einen An­ruf. Er sah über­rascht das Ge­sicht auf dem Bild­schirm.

»Spei­dell! Sind Sie in der Stadt?«

»Nein, Sir. Ich bin in Cle­ve­land.« Spei­dells Stim­me zit­ter­te vor Er­re­gung.

»Was soll dann der An­ruf?«

»Ich ha­be mir Ihr neu­es Buch an­ge­se­hen. Nin­hei­mer, sind Sie wahn­sin­nig ge­wor­den? Das ist doch Ver­rückt­heit im höchs­ten Gra­de!«

Nin­hei­mer ver­steif­te sich.

»Ist et­was nicht in – äh – Ord­nung?« frag­te er er­schro­cken.

»Nicht in Ord­nung? Ich er­in­ne­re Sie an Sei­te 562. Wie in al­ler Welt kom­men Sie da­zu, mein Werk so aus­zu­le­gen? Wo in dem zi­tier­ten Ar­ti­kel be­haup­te ich, daß der Kri­mi­nel­le nicht exis­tiert und daß die Ge­rich­te die ei­gent­li­chen Ver­bre­cher sind? Einen Mo­ment, ich zi­tie­re …«

»Halt, war­ten Sie«, rief Nin­hei­mer und such­te nach der Sei­te. »Das muß ich se­hen. Das muß ich se­hen … Du lie­be Gü­te!«

»Nun?«

»Spei­dell, ich kann mir nicht er­klä­ren, wie das ge­sche­hen ist. Ich ha­be das nie ge­schrie­ben.«

»Aber es steht ge­druckt da. Und es ist nicht die schlimms­te Ver­zer­rung. Se­hen Sie sich Sei­te 690 an. Dann kön­nen Sie sich vor­stel­len, was Ih­nen Ipa­tiew er­zäh­len wird. Hö­ren Sie, Nin­hei­mer, das Buch ist voll von sol­chem Zeug! Ich weiß nicht, was Sie sich da­bei ge­dacht ha­ben – aber Sie kön­nen nichts an­de­res tun, als das Buch wie­der vom Markt zu neh­men. Und be­rei­ten Sie für das nächs­te Tref­fen un­se­rer Ver­ei­ni­gung ein paar gu­te Ent­schul­di­gun­gen vor!«

»Spei­dell, hö­ren Sie doch …«

Aber Spei­dell hat­te mit sol­cher Ve­he­menz auf­ge­legt, daß man sein Bild noch fünf­zehn Se­kun­den da­nach sah.

Erst jetzt nahm Nin­hei­mer das Buch zur Hand und be­gann gan­ze Pas­sa­gen mit ei­nem ro­ten Stift zu be­ar­bei­ten.

Er hat­te sich be­mer­kens­wert gut in der Ge­walt, als er Ea­sy wie­der ge­gen­über­trat. Nur sei­ne Lip­pen wa­ren blaß.

Er reich­te Ea­sy das Buch und sag­te:

»Könn­test du die an­ge­stri­che­nen Pas­sa­gen auf Sei­te 562, 631, 664 und 690 le­sen?«

Ea­sy sah sich die mar­kier­ten Stel­len kurz an.

»Ja, Herr Pro­fes­sor Nin­hei­mer.«

»Das stand nicht in den Ori­gi­nal­fah­nen.«

»Nein, Sir. Sie ha­ben recht.«

»Hast du den Text so ver­än­dert, wie er ge­druckt wur­de?«

»Ja, Sir.«

»Wes­halb?«

»Sir, die Pas­sa­gen Ih­rer Ver­si­on ta­ten ge­wis­sen Men­schen­grup­pen Un­recht. Ich hat­te das Ge­fühl, man müß­te sie ab­än­dern, um die­sem Per­so­nen­kreis zu sei­nem Recht zu ver­hel­fen.«

»Wie konn­test du es wa­gen, so et­was zu tun?«

»Herr Pro­fes­sor, das ers­te Ge­bot be­sagt, daß ich nicht un­tä­tig blei­ben darf, wenn ei­nem mensch­li­chen We­sen Un­recht ge­schieht. Und wenn man Ih­ren Ruf un­ter den So­zio­lo­gen und die wei­te Ver­brei­tung Ih­res Wer­kes be­trach­tet, muß man zu dem Schluß kom­men, daß das Buch be­sag­ter Per­so­nen­grup­pe großen Scha­den zu­fü­gen wür­de.«

»Hof­fent­lich merkst du, daß du jetzt mir einen Scha­den zu­fügst.«

»Ich muß­te die Lö­sung wäh­len, bei der we­ni­ger Men­schen Scha­den er­lei­den.«

Pro­fes­sor Nin­hei­mer ging wut­schnau­bend da­von. Für ihn stand es fest, wer ihm den Scha­den be­zah­len muß­te: Die US-Ro­bo­ter-GmbH.

 

Auf der Ver­tei­di­ger­bank herrsch­te ei­ni­ge Auf­re­gung, die sich noch ver­stärk­te, als der An­kla­ge­ver­tre­ter fort­fuhr:

»Der Ro­bo­ter EZ-27 in­for­mier­te Sie, daß der Grund für sein Tun im ers­ten Ge­bot für Ro­bo­ter lag?«

»Das ist rich­tig, Sir.«

»Daß er kei­ne an­de­re Wahl hat­te?«

»Ja, Sir.«

»Dar­aus folgt, daß die Ro­bo­ter-GmbH einen Ro­bo­ter kon­zi­pier­te, der ein Buch not­wen­di­ger­wei­se so um­ar­bei­tet, daß es sei­nen ei­ge­nen An­schau­un­gen von Recht und Un­recht ent­spricht. Könn­te man es so aus­drücken?«

Der Ver­tei­di­ger er­hob so­fort Ein­spruch und gab zu be­den­ken, daß man von dem Zeu­gen ei­ne Ent­schei­dung ver­lang­te, die er aus Kom­pe­tenz­grün­den gar nicht tref­fen kön­ne. Der Rich­ter er­mahn­te den An­kla­ge­ver­tre­ter mit den üb­li­chen Wor­ten, aber es be­stand gar kein Zwei­fel dar­an, daß der Dia­log Ein­druck ge­macht hat­te. Auch auf den Ver­tei­di­ger.

Der Ver­tei­di­ger bat um ei­ne kur­ze Pau­se vor dem Kreuz­ver­hör und be­kam fünf Mi­nu­ten zu­ge­spro­chen.

Er beug­te sich zu Su­san Cal­vin hin­über.

»Dr. Cal­vin, ist es mög­lich, daß Pro­fes­sor Nin­hei­mer die Wahr­heit sagt und Ea­sy vom ers­ten Ge­bot be­ein­flußt wur­de?«

Dr. Cal­vin preß­te die Lip­pen zu­sam­men. Dann sag­te sie:

»Nein. Es ist ein­fach un­mög­lich. Der letz­te Teil von Nin­hei­mers Aus­sa­ge ist glat­ter Mein­eid. Ea­sy ist nicht da­zu kon­stru­iert, so ab­strak­te Din­ge wie den In­halt ei­nes Lehr­bu­ches über So­zio­lo­gie zu be­ur­tei­len. Er wüß­te gar nicht, daß ge­wis­se Per­so­nen­grup­pen durch so einen Satz ge­schä­digt wer­den könn­ten. Da­zu ist er nicht in der La­ge.«

»Aber ei­nem Lai­en wer­den wir das ver­mut­lich nicht klar­ma­chen kön­nen«, mein­te der Ver­tei­di­ger pes­si­mis­tisch.

»Nein«, gab Dr. Cal­vin zu. »Der Be­weis wä­re zu kom­pli­ziert. Un­se­re Ver­tei­di­gungs­li­nie ist im­mer noch die glei­che. Wir müs­sen be­wei­sen, daß Nin­hei­mer lügt.«

»Gut, Dr. Cal­vin«, sag­te der Ver­tei­di­ger. »Ich ver­las­se mich auf Ihr Wort. Wir än­dern un­se­ren Plan nicht.«

Im Ge­richts­saal nahm der Rich­ter den Ham­mer in die Hand. Pro­fes­sor Nin­hei­mer trat noch ein­mal in den Zeu­gen­stand.

Der Ver­tei­di­ger war vor­sich­tig. Er be­gann mit ru­hi­ger Stim­me:

»Dr. Nin­hei­mer, Sie wol­len sa­gen, daß Sie von den Än­de­run­gen des Ma­nu­skripts erst et­was merk­ten, als Dr. Spei­dell Sie am sech­zehn­ten Ju­ni an­rief?«

»Das stimmt, Sir.«

»Ha­ben Sie die Drucker­fah­nen nie in die Hand ge­nom­men, nach­dem sie von Ea­sy kor­ri­giert wur­den?«

»An­fangs schon, aber es er­schi­en mir sinn­los. Ich ver­ließ mich auf die Aus­sa­gen der Ro­bo­ter-GmbH. Die ab­sur­den – äh – Än­de­run­gen wur­den erst im letz­ten Teil des Bu­ches ge­macht, ver­mut­lich nach­dem der Ro­bo­ter ge­nug über die So­zio­lo­gie wuß­te …«

»Ver­mu­tun­gen ha­ben hier kei­nen Platz«, un­ter­brach der Ver­tei­di­ger. »So­viel ich hör­te, sah Ihr Kol­le­ge, Dr. Ba­ker, die spä­te­ren Drucker­fah­nen zu­min­dest ein­mal. Er­in­nern Sie sich an Ih­re Aus­sa­ge?«

»Ja, Sir. Wie ich schon sag­te, hat­te er ei­ne Sei­te durch­ge­se­hen. Und selbst hier war ein Wort ge­än­dert.«

 

Wie­der un­ter­brach der Ver­tei­di­ger.

»Fin­den Sie es nicht ei­gen­ar­tig, Sir, daß Sie mehr als ein Jahr nichts von dem Ro­bo­ter wis­sen woll­ten, daß Sie sich wei­ger­ten, ihn zu be­nut­zen, daß Sie an­fangs so­gar ge­gen ihn stimm­ten – und daß Sie sich plötz­lich da­zu ent­schlos­sen, ihm Ihr Buch, Ihr Le­bens­werk, in die Hän­de zu ge­ben?«

»Was soll dar­an selt­sam sein? Ich ent­schied le­dig­lich, daß ich eben­so­gut wie die an­de­ren die Ma­schi­ne be­nut­zen könn­te.«

»Und ganz plötz­lich hat­ten Sie sol­ches Ver­trau­en zu Ro­bo­ter EZ-27, daß Sie sich nicht ein­mal die Mü­he mach­ten, die Fah­nen nach­zu­se­hen?«

»Ich sag­te Ih­nen doch, daß mich die – äh – Pro­pa­gan­da der US-Ro­bo­ter-GmbH über­zeug­te.«

»So sehr, daß Sie Ih­ren Kol­le­gen Dr. Ba­ker zu­recht­wie­sen, als er den Ro­bo­ter über­prü­fen woll­te?«

»Ich wies ihn nicht zu­recht. Ich woll­te nur nicht, daß er sei­ne – äh – Zeit ver­schwen­de­te. Zu­min­dest dach­te ich da­mals, daß es Zeit­ver­schwen­dung sei. Ich merk­te nicht, daß das Aus­wech­seln ei­nes Wor­tes ein be­deu­tungs­vol­ler Hin­weis war.«

Der Ver­tei­di­ger wur­de sar­kas­tisch.

»Ich zweifle nicht, daß man Ih­nen sag­te, die Sa­che mit dem ab­ge­än­der­ten Wort zu er­wäh­nen. Das macht sich im Pro­to­koll im­mer gut.« Doch dann än­der­te er sei­nen Ton­fall. Er woll­te kei­ne Er­mah­nung ris­kie­ren.

»Tat­sa­che ist doch, daß Sie sehr wü­tend auf Dok­tor Ba­ker wa­ren.«

»Nein, Sir. Nicht wü­tend.«

»Sie ga­ben ihm kei­ne Ko­pie Ih­res Bu­ches, als Sie es er­hiel­ten?«

»Rei­ne Ver­geß­lich­keit. Ich ha­be auch der Bi­blio­thek kei­nes ge­ge­ben.« Nin­hei­mer lä­chel­te ab­ge­zir­kelt. »Es heißt ja, daß Pro­fes­so­ren sehr zer­streut sind.«

Der Ver­tei­di­ger ließ sich nicht ir­re ma­chen.

»Fin­den Sie es nicht selt­sam, daß der Ro­bo­ter nach ei­nem Jahr feh­ler­lo­sen Ar­bei­tens plötz­lich Ihr Buch falsch be­han­del­te? Das Buch des Man­nes, der vor al­len an­de­ren ge­gen die Ein­stel­lung von EZ-27 war!«

»Mein Buch war das ein­zi­ge Werk, das sich aus­führ­lich mit dem Men­schen be­faß­te. Und hier be­gan­nen die drei Ge­bo­te für Ro­bo­ter zu wir­ken.«

»Dr. Nin­hei­mer«, sag­te der Ver­tei­di­ger, »Sie ver­such­ten schon ei­ni­ge Ma­le den Ein­druck zu er­we­cken, als ver­stün­den Sie et­was von Ro­bo­tern. Of­fen­sicht­lich er­wach­te plötz­lich Ihr In­ter­es­se für die­ses Ge­biet, und Sie hol­ten sich aus der Bi­blio­thek die ent­spre­chen­den Sach­bü­cher. Das sag­ten Sie doch selbst aus, nicht wahr?«

»Ich hol­te nur ein ein­zi­ges Buch, Sir. Es war das Er­geb­nis ei­ner – äh – na­tür­li­chen Neu­gier­de, möch­te ich sa­gen.«

»Und die­ses Buch ver­mit­tel­te Ih­nen die nö­ti­gen Fach­kennt­nis­se, so daß Sie jetzt das Ver­hal­ten des Ro­bo­ters er­klä­ren kön­nen?«

»Ja, Sir.«

»Wie güns­tig. Aber sind Sie si­cher, daß Ihr In­ter­es­se für Ro­bo­ter nicht dem Wunsch ent­sprang, den Ro­bo­ter EZ-27 für Ih­re ei­ge­nen Zwe­cke zu be­ein­flus­sen?«

Nin­hei­mer wur­de rot.

»Ganz be­stimmt nicht, Sir.«

Der Ver­tei­di­ger hob die Stim­me.

»Noch ei­nes! Sind Sie si­cher, daß die an­geb­lich ge­än­der­ten Pas­sa­gen nicht von An­fang an so lau­te­ten, wie sie in dem Buch er­schie­nen?«

Der So­zio­lo­ge er­hob sich.

»Das ist – äh – lä­cher­lich! Ich ha­be die Fah­nen …«

Das Spre­chen be­rei­te­te ihm Schwie­rig­kei­ten, und der An­kla­ge­ver­tre­ter er­hob sich, um ge­schmei­dig ein­zu­wer­fen:

»Wenn Sie ge­stat­ten, Eu­er Eh­ren, so möch­te ich als Be­weis­ma­te­ri­al die Drucker­fah­nen vor­zei­gen, die Dr. Nin­hei­mer Ro­bo­ter EZ-27 übergab. Zum Ver­gleich kön­nen Sie die Fah­nen se­hen, die EZ-27 an die Ver­le­ger zu­rück­schick­te. Wenn mein wer­ter Kol­le­ge es wünscht, kann er das Ma­te­ri­al ein­se­hen und ver­glei­chen.«

Der Ver­tei­di­ger wink­te un­ge­dul­dig ab.

»Das ist nicht nö­tig. Mein wer­ter Kol­le­ge kann die Fah­nen zu je­der Zeit vor­zei­gen. Ich bin da­von über­zeugt, daß die Dif­fe­ren­zen tat­säch­lich be­ste­hen. Was ich hin­ge­gen gern vom Zeu­gen er­fah­ren möch­te, ist der Ver­bleib von Dr. Ba­kers Drucker­fah­nen.«

»Dr. Ba­kers Fah­nen?«

Nin­hei­mer run­zel­te die Stirn. Er hat­te sich nicht ganz in der Ge­walt.

»Ja, Pro­fes­sor! Ich mei­ne Dr. Ba­kers Fah­nen. Ih­rer Aus­sa­ge ge­mäß er­hielt Dr. Ba­ker ei­ne ge­son­der­te Ko­pie der Fah­nen. Falls Sie plötz­lich an Ge­dächt­nis­stö­run­gen lei­den soll­ten, liest Ih­nen der Pro­to­koll­füh­rer die be­tref­fen­de Stel­le gern noch ein­mal vor. Oder kommt es nur da­her, weil Pro­fes­so­ren im all­ge­mei­nen so zer­streut sind?«

»Ich er­in­ne­re mich an Dr. Ba­kers Fah­nen«, sag­te Nin­hei­mer.

»Sie wur­den über­flüs­sig, als die Ar­beit der Ma­schi­ne über­ge­ben wur­de …«

»Sie ha­ben sie al­so ver­brannt?«

»Nein. Ich warf sie in den Pa­pier­korb.«

»Ver­brannt oder weg­ge­wor­fen – das ist kein Un­ter­schied. Auf al­le Fäl­le ha­ben Sie sie ver­nich­tet.«

»Ich durf­te doch …«, be­gann Nin­hei­mer schwach.

»Sie durf­ten!« don­ner­te der Ver­tei­di­ger. »Sie durf­ten na­tür­lich. Nur kön­nen wir jetzt auf kei­nen Fall mehr nach­prü­fen, ob Sie Ih­re ei­ge­ne Ko­pie durch ein be­son­ders prä­pa­rier­tes Blatt er­setz­ten und dem Ro­bo­ter zur Be­ar­bei­tung vor­leg­ten …«

Der An­kla­ge­ver­tre­ter war auf­ge­sprun­gen und er­hob hef­ti­gen Ein­spruch. Rich­ter Sha­ne beug­te sich vor und be­müh­te sich, sei­nem run­den Ge­sicht den ge­büh­ren­den in­di­gnier­ten Aus­druck zu ge­ben.

»Herr Rechts­an­walt, ha­ben Sie einen Be­weis für Ih­re so­eben ge­trof­fe­ne au­ßer­ge­wöhn­li­che Be­haup­tung?« frag­te er.

»Kei­nen di­rek­ten Be­weis, Eu­er Eh­ren«, sag­te der Ver­tei­di­ger ru­hig. »Aber ich möch­te doch her­aus­stel­len, daß die plötz­li­che Um­wand­lung des Klä­gers von ei­nem Ro­bo­ter­feind in einen Ro­bo­ter­be­für­wor­ter, sein un­ge­wöhn­li­ches In­ter­es­se an der Ro­bo­ter­tech­nik, sei­ne nach­läs­si­ge Be­hand­lung der Drucker­fah­nen, sein Be­mü­hen, das Buch bis zum Er­schei­nen ge­heim­zu­hal­ten, deut­lich dar­auf hin­wei­sen …«

»Herr Rechts­an­walt«, un­ter­brach der Rich­ter un­ge­dul­dig, »hier ist kaum der Ort für sol­che Schluß­fol­ge­run­gen. Nicht der An­klä­ger wird ver­ur­teilt. Ich muß Sie bit­ten, die­se An­grif­fe zu un­ter­las­sen. Die­se Äu­ße­run­gen, wenn sie auch aus ei­ner Not­la­ge her­aus ent­stan­den, kön­nen Ih­re La­ge nur ver­schlech­tern. Wenn Sie ge­recht­fer­tig­te Fra­gen zu stel­len ha­ben, Herr Rechts­an­walt, so fah­ren Sie mit Ih­rem Kreuz­ver­hör fort. Aber ich war­ne Sie vor wei­te­ren Aus­fäl­len der eben ge­hör­ten Art.«

»Ich ha­be kei­ne Fra­gen mehr, Eu­er Eh­ren.«

Ro­berts­on flüs­ter­te er­regt auf ihn ein, als er zu sei­nem Platz zu­rück­kehr­te.

»Um Him­mels wil­len, was ha­ben Sie nur an­ge­rich­tet? Der Rich­ter ist jetzt ganz und gar ge­gen Sie.«

Der Ver­tei­di­ger blieb ru­hig.

»Aber Nin­hei­mer ist aus der Fas­sung ge­bracht. Wenn wir un­se­ren mor­gi­gen Schach­zug tun, ist er reif.«

Su­san Cal­vin nick­te ernst.

Der Rest ver­lief ver­gleichs­wei­se harm­los. Dr. Ba­ker wur­de auf­ge­ru­fen. Er be­stä­tig­te Dr. Nin­hei­mers Aus­sa­ge. Dr. Spei­dell und Dr. Ipa­tiew wur­den ge­hört, und sie lie­ßen sich in be­weg­ten Wor­ten über den Schock aus, den sie bei ge­wis­sen zi­tier­ten Pas­sa­gen in Nin­hei­mers Buch emp­fun­den hat­ten. Bei­de be­zeug­ten, daß Dr. Nin­hei­mers Ruf als So­zio­lo­ge ernst­haft ge­lit­ten hat­te.

Man reich­te die Drucker­fah­nen und ein paar fer­ti­ge Ex­em­pla­re des Bu­ches her­um.

Der Ver­tei­di­ger ver­hör­te an die­sem Tag kei­ne Zeu­gen mehr. Die Ver­hand­lung wur­de auf den nächs­ten Vor­mit­tag ver­tagt.

Zu Be­ginn des zwei­ten Ta­ges mach­te der Ver­tei­di­ger sei­nen ers­ten Schach­zug. Er ver­lang­te, daß man Ro­bo­ter EZ-27 als Zu­schau­er zur Ver­hand­lung zu­las­sen sol­le.

Der An­kla­ge­ver­tre­ter er­hob so­fort Ein­spruch, und Rich­ter Sha­ne rief bei­de in den Stand.

»Das ist of­fen­sicht­lich il­le­gal«, er­klär­te der An­kla­ge­ver­tre­ter hit­zig. »Ein Ro­bo­ter hat in ei­nem Ge­bäu­de, das der Öf­fent­lich­keit zu­gäng­lich ist, nichts zu su­chen.«

Der Ver­tei­di­ger war an­de­rer An­sicht.

»Der Ge­richts­saal ist nur für Per­so­nen ge­öff­net, die un­mit­tel­bar mit die­sem Fall zu tun ha­ben.«

»Ei­ne große Ma­schi­ne, die nach­weis­bar feh­ler­haft ar­bei­tet, wür­de mei­nen Kli­en­ten und die Zeu­gen durch ih­re blo­ße An­we­sen­heit stö­ren. Sie wür­de den ge­ord­ne­ten Gang der Ver­hand­lung zu­nich­te ma­chen.«

Der Rich­ter schi­en sich auf sei­ne Sei­te zu stel­len. Er wand­te sich an den Ver­tei­di­ger und sag­te ziem­lich kühl:

»Wel­che Grün­de ha­ben Sie für Ih­ren An­trag?«

»Wir wol­len be­wei­sen, daß sich Ro­bo­ter EZ-27 auf­grund sei­ner Kon­struk­ti­on un­mög­lich so ver­hal­ten konn­te, wie es bis­her be­schrie­ben wur­de. Es wird sich als nö­tig er­wei­sen, dies an­hand ei­ni­ger De­mons­tra­tio­nen zu be­kräf­ti­gen.«

Der An­kla­ge­ver­tre­ter schal­te­te sich wie­der ein.

»Das se­he ich nicht ein, Eu­er Eh­ren. De­mons­tra­tio­nen durch An­ge­stell­te der Ro­bo­ter-GmbH dürf­ten we­nig wert sein, wenn die Fir­ma die be­klag­te Par­tei ist.«

»Eu­er Eh­ren«, wand­te der Ver­tei­di­ger ein, »die Ent­schei­dung dar­über, was die De­mons­tra­tio­nen wert sind, lie­gen mei­ner Mei­nung nach beim Ge­richt und nicht beim An­kla­ge­ver­tre­ter.«

Rich­ter Sha­ne, der sei­ne Vor­rech­te an­ge­tas­tet sah, nick­te.

»Sie ha­ben recht. Al­ler­dings bringt die Ge­gen­wart ei­nes Ro­bo­ters schwer­wie­gen­de recht­li­che Ent­schei­dun­gen mit sich.«

»Ge­wiß nichts, Eu­er Eh­ren, das die Vor­aus­set­zun­gen für ein ge­rech­tes Ver­fah­ren in Fra­ge stellt. Wenn der Ro­bo­ter nicht an­we­send ist, wird un­se­re ein­zi­ge Ver­tei­di­gung hin­fäl­lig.«

Der Rich­ter über­leg­te.

»Es bleibt die Fra­ge, wie der Ro­bo­ter hier­her­trans­por­tiert wer­den soll.«

»Mit die­sem Pro­blem ist die US-Ro­bo­ter-GmbH ver­traut. Vor dem Ge­richts­ge­bäu­de parkt ein Last­wa­gen, der den Vor­schrif­ten zur Be­för­de­rung von Ro­bo­tern ent­spricht. Ro­bo­ter EZ-27 be­fin­det sich in die­sem Las­ter. Er ist in ei­ner Kis­te ver­packt und wird von zwei Män­nern be­wacht. Die Tü­ren des Las­ters sind ab­ge­si­chert. Auch sonst hat man al­le nö­ti­gen Vor­sichts­maß­nah­men ge­trof­fen.«

Rich­ter Sha­nes Lau­ne ver­schlech­ter­te sich wie­der.

»Sie schei­nen si­cher zu sein, daß das Ge­richt in die­sem Fall zu Ih­ren Guns­ten ent­schei­den wird.«

»Aber nein, Eu­er Eh­ren. Wenn der An­trag ab­ge­lehnt wird, fährt der Las­ter zu­rück. Ich woll­te Ih­rer Ent­schei­dung kei­nes­falls vor­grei­fen.«

Der Rich­ter nick­te.

»Dem Ver­lan­gen der Ver­tei­di­gung wird statt­ge­ge­ben.«

Man brach­te die Kis­te auf ei­nem großen Kar­ren her­ein, und die bei­den Män­ner, die den Trans­port be­glei­tet hat­ten, öff­ne­ten sie. Im Ge­richts­saal war es sehr still.

 

Su­san Cal­vin war­te­te, bis die di­cken Kunst­stoff­schich­ten ge­fal­len wa­ren. Dann streck­te sie ei­ne Hand aus.

»Komm, Ea­sy!«

Der Ro­bo­ter sah in ih­re Rich­tung und streck­te sei­nen lan­gen Me­tall­arm aus. Er war einen hal­b­en Me­ter grö­ßer als sie, aber er folg­te ihr brav.

Ea­sy setz­te sich vor­sich­tig in einen großen Stuhl, den der Ge­richts­die­ner ge­bracht hat­te. Das Holz knarr­te ver­däch­tig, aber es hielt.

Der Ver­tei­di­ger be­gann:

»Ich möch­te mei­nen ers­ten Zeu­gen ver­neh­men. Pro­fes­sor Si­mon Nin­hei­mer, bit­te.«

Der Pro­to­koll­füh­rer zö­ger­te und sah den Rich­ter an. Rich­ter Sha­ne frag­te mit sicht­li­cher Über­ra­schung:

»Sie ru­fen den Klä­ger als Ih­ren Zeu­gen auf 7«

»Ja, Eu­er Eh­ren.«

»Ich hof­fe, Sie sind sich im kla­ren dar­über, daß Sie ihn als Ih­ren Zeu­gen kei­nes­wegs ins Kreuz­ver­hör neh­men kön­nen, wie Sie es mit ei­nem geg­ne­ri­schen Zeu­gen tun könn­ten.«

Der Ver­tei­di­ger lä­chel­te höf­lich.

»Mein ein­zi­ges Ziel ist, die vol­le Wahr­heit zu er­fah­ren. Ich wer­de nicht mehr als ein paar höf­li­che Fra­gen stel­len.«

»Gut«, sag­te der Rich­ter zwei­felnd. »Es ist schließ­lich Ihr Fall. Ru­fen Sie den Zeu­gen auf.«

Nin­hei­mer trat in den Zeu­gen­stand und wur­de dar­über be­lehrt, daß er im­mer noch un­ter Eid stand. Er wirk­te ner­vö­ser als am Vor­tag – fast ängst­lich.

Aber der Ver­tei­di­ger sah ihn wohl­wol­lend an.

»Herr Pro­fes­sor Nin­hei­mer, Sie for­dern von mei­nem Kli­en­ten ei­ne Sum­me von 750 000 Dol­lar.«

»Das ist – äh – die Sum­me. Ja.«

»Viel Geld, nicht wahr?«

»Ich er­litt auch einen großen Scha­den.«

»So groß wie die Sum­me war er si­cher nicht. Es geht le­dig­lich um ein paar Pas­sa­gen in ei­nem Buch. Viel­leicht wa­ren sie et­was un­glück­lich ge­wählt, aber schließ­lich kommt es im­mer wie­der vor, daß in Bü­chern ei­gen­ar­ti­ge Din­ge ste­hen.«

Nin­hei­mers Na­sen­flü­gel beb­ten.

»Sir, die­ses Buch soll­te der Gip­fel­punkt mei­ner Kar­rie­re sein! Statt des­sen de­gra­diert es mich zu ei­nem un­fä­hi­gen Stüm­per, zu ei­nem Mann, der die An­sich­ten sei­ner Freun­de und ge­schätz­ten Kol­le­gen ver­dreht und der lä­cher­li­che und – äh – alt­mo­di­sche Stand­punk­te ver­tritt. Mein Ruf als So­zio­lo­ge ist un­wie­der­bring­lich zer­stört. Ich kann mei­ne be­ruf­li­che Lauf­bahn nicht fort­set­zen, ob­wohl sie mein gan­zer Le­bens­in­halt war. Der Zweck mei­ner Exis­tenz wur­de – äh – ver­nich­tet.«

Der Ver­tei­di­ger mach­te kei­nen Ver­such, die Re­de zu un­ter­bre­chen. Er sah geis­tes­ab­we­send sei­ne Fin­ger­nä­gel an. Dann mein­te er be­sänf­ti­gend:

»Aber, Herr Pro­fes­sor Nin­hei­mer, Sie konn­ten doch ge­wiß nicht hof­fen, daß Sie für den Rest Ih­res Le­bens – sei­en wir groß­zü­gig – mehr als 150 000 Dol­lar ver­dient hät­ten. Und den­noch ver­lan­gen Sie vom Ge­richt, daß man Ih­nen die fünf­fa­che Sum­me aus­zahlt.«

Pro­fes­sor Nin­hei­mers Er­re­gung stei­ger­te sich noch. Er sag­te lei­den­schaft­lich:

»Mein Ruf ist nicht nur zu mei­nen Leb­zei­ten rui­niert. Ich weiß nicht, wie vie­le Ge­ne­ra­tio­nen von So­zio­lo­gen mit dem Fin­ger auf mich deu­ten und mich als Ver­rück­ten hin­stel­len wer­den. Mei­ne wirk­li­chen Er­kennt­nis­se wird man gar nicht le­sen. Ich bin nicht nur vor mei­nem To­de rui­niert, son­dern auch in al­le Zu­kunft, denn es wird im­mer Men­schen ge­ben, die nicht glau­ben, daß der Ro­bo­ter die­se Stel­len ein­ge­fügt hat …«

In die­sem Au­gen­blick er­hob sich Ro­bo­ter EZ-27. Su­san Cal­vin ver­such­te nicht, ihn dar­an zu hin­dern. Sie saß reg­los da und starr­te ge­ra­de­aus. Der Ver­tei­di­ger stieß einen leich­ten Seuf­zer aus.

Ea­sys me­lo­di­sche Stim­me war klar und deut­lich. Er sag­te:

»Ich wür­de gern al­len An­we­sen­den mit­tei­len, daß ich tat­säch­lich ei­ni­ge Pas­sa­gen in die Drucker­fah­nen ein­füg­te, die ge­nau im Ge­gen­satz zu dem zu ste­hen schie­nen, was zu­erst …«

Selbst der An­kla­ge­ver­tre­ter war zu ver­blüfft von dem mehr als zwei Me­ter großen Ro­bo­ter, der sich an das Ho­he Ge­richt wand­te, als daß er Ein­spruch er­ho­ben hät­te.

Als er wie­der zu sich kam, war es zu spät. Denn Nin­hei­mer sprang mit er­reg­tem Ge­sichts­aus­druck auf.

»Ver­dammt, du hat­test den Be­fehl, zu schwei­gen, zu schwei­gen, ver­stehst du …«

Er ver­schluck­te die rest­li­chen Wor­te und stöhn­te. Ea­sy schwieg eben­falls.

Der An­kla­ge­ver­tre­ter war vor­ge­tre­ten und ver­lang­te den Ab­bruch der Ver­hand­lung.

Rich­ter Sha­ne klopf­te ver­zwei­felt mit dem Ham­mer auf den Tisch.

»Ru­he! Ru­he! Selbst­ver­ständ­lich be­steht Grund zum Ab­bruch der Ver­hand­lung, aber aus Ge­rech­tig­keits­grün­den möch­te ich doch, daß Pro­fes­sor Nin­hei­mer sei­ne Wor­te zu En­de spricht. Ich ha­be ganz deut­lich ge­hört, daß er sag­te, dem Ro­bo­ter sei be­foh­len wor­den, über ir­gend et­was zu schwei­gen. Von ir­gend­wel­chen Be­feh­len die­ser Art war in Ih­rer Aus­sa­ge nichts ent­hal­ten!«

Nin­hei­mer starr­te wort­los den Rich­ter an.

Rich­ter Sha­ne fuhr fort:

»Ha­ben Sie Ro­bo­ter EZ-27 be­foh­len, über et­was zu schwei­gen? Und wenn, was war es?«

»Eu­er Eh­ren …«, be­gann Nin­hei­mer hei­ser.

Die Stim­me des Rich­ters wur­de scharf.

»Ha­ben Sie tat­säch­lich den Be­fehl er­teilt, die frag­li­chen Pas­sa­gen zu än­dern, und dann dem Ro­bo­ter be­foh­len, über die Än­de­run­gen Still­schwei­gen zu be­wah­ren?«

»Ach, was soll es denn? Ja! Ja!«

Und er dreh­te sich um und ver­ließ flucht­ar­tig den Zeu­gen­stand. An der Tür hielt ihn der Ge­richts­die­ner auf und brach­te ihn zu­rück zur An­klä­ger­bank.

Rich­ter Sha­ne er­griff das Wort.

»Es ist mir klar, daß der Ro­bo­ter EZ-27 aus ei­nem be­stimm­ten Grund hier­her­ge­bracht wur­de. Wenn uns der Trick nicht da­zu ver­hol­fen hät­te, ein schwer­wie­gen­des Fehl­ur­teil zu ver­hin­dern, müß­te ich den Ver­tei­di­ger mo­ra­lisch ver­ur­tei­len. Es steht nun über je­den Zwei­fel fest, daß der Klä­ger einen mir völ­lig un­ver­ständ­li­chen Be­trug be­gan­gen hat, ins­be­son­de­re, da er durch den Pro­zeß sein gan­zes be­ruf­li­ches An­se­hen ver­lo­ren hat …«

Das Ur­teil fiel selbst­ver­ständ­lich zu­guns­ten der Be­klag­ten aus.

 

Dr. Su­san Cal­vin hat­te sich bei Dr. Nin­hei­mer, der in ei­ner Jung­ge­sel­len­woh­nung des Uni­ver­si­täts­hau­ses leb­te, an­ge­mel­det. Der jun­ge In­ge­nieur, der sie her­ge­fah­ren hat­te, bot ihr an, mit ihr nach oben zu ge­hen, aber sie sah ihn ver­ächt­lich an.

»Sie glau­ben doch nicht, daß er mich an­grei­fen wird? War­ten Sie hier un­ten.«

Nin­hei­mer war nicht in der Stim­mung, ir­gend je­man­den an­zu­grei­fen. Er pack­te. Of­fen­bar woll­te er mög­lichst schnell von hier fort, noch be­vor das Ur­teil an die Öf­fent­lich­keit drang.

Er sah Dr. Cal­vin mit ei­nem selt­sam trot­zi­gen Aus­druck an und sag­te:

»Sind Sie ge­kom­men, um mir zu sa­gen, daß Sie ei­ne Ge­gen­kla­ge ein­rei­chen wer­den? Es wird Ih­nen nichts ein­brin­gen. Ich ha­be kein Geld, kei­ne Ar­beit, kei­ne Zu­kunft. Ich kann nicht ein­mal die Ver­hand­lungs­kos­ten be­zah­len.«

»Wenn Sie Mit­leid su­chen, sind Sie bei mir an der falschen Stel­le«, sag­te Dr. Cal­vin kühl. »Sie ha­ben sich die Sa­che selbst zu­zu­schrei­ben. Aber wir wer­den kei­ne Ge­gen­kla­ge stel­len, we­der ge­gen Sie noch ge­gen die Uni­ver­si­tät. Wir wer­den so­gar un­ser Mög­lichs­tes tun, da­mit Sie nicht we­gen Mein­eids ins Ge­fäng­nis kom­men. Rach­süch­tig sind wir nicht.«

»Ah, ich hat­te mich schon ge­fragt, wes­halb man mich nicht ver­haf­te­te.« Er lä­chel­te bit­ter. »Aber wes­halb soll­ten Sie auch rach­süch­tig sein? Sie ha­ben be­kom­men, was Sie woll­ten.«

»Ei­ni­ges, ja«, sag­te Dr. Cal­vin. »Die Uni­ver­si­tät will Ea­sy wei­ter­hin zu ei­ner hö­he­ren Mie­te be­schäf­ti­gen. Da­zu kommt ei­ne ge­wis­se Flüs­ter­pro­pa­gan­da des Fal­les, die uns da­zu verhel­fen wird, noch ein paar EZ-Mo­del­le los­zu­wer­den.«

»Und wes­halb sind Sie zu mir ge­kom­men?«

»Weil ich noch nicht al­les ha­be, was ich möch­te. Ich will wis­sen, wes­halb Sie Ro­bo­ter der­art has­sen. Selbst wenn Sie die Ver­hand­lung ge­won­nen hät­ten, wä­re Ihr Ruf für im­mer da­hin ge­we­sen. Das Geld, das Sie be­kom­men hät­ten, wä­re da­für be­stimmt kein Aus­gleich ge­we­sen. Viel­leicht die Be­frie­di­gung, daß Sie die Ro­bo­ter rui­niert hat­ten?«

»Seit wann in­ter­es­sie­ren Sie sich für mensch­li­che Psy­cho­lo­gie, Dr. Cal­vin?« frag­te Nin­hei­mer mit bit­te­rem Spott.

»Sie in­ter­es­siert mich nur in­so­fern, wie sie das Wohl­er­ge­hen mei­ner Ro­bo­ter be­trifft. Aus die­sem Grund ha­be ich mich ein we­nig mit ihr be­schäf­tigt.«

»Ge­nug, um mich her­ein­zu­le­gen!«

»Das war nicht schwer«, sag­te Dr. Cal­vin nüch­tern. »Schwie­rig war es nur, die Sa­che so an­zu­pa­cken, daß Ea­sy da­bei nicht be­schä­digt wur­de.«

»Es sieht Ih­nen ähn­lich, daß Sie sich um ei­ne Ma­schi­ne mehr sor­gen als um einen Men­schen.« Er sah sie ver­ächt­lich an.

»Das scheint nur so, Pro­fes­sor Nin­hei­mer. Nur wenn man sich ernst­haft um Ro­bo­ter sorgt, sorgt man sich auch um den Men­schen des ein­und­zwan­zigs­ten Jahr­hun­derts. Das wür­den Sie ver­ste­hen, wenn Sie sich ein­ge­hen­der mit Ro­boter­wis­sen­schaft be­faßt hät­ten.«

»Mir reicht es. Ich will kein Ro­boter­wis­sen­schaft­ler sein!«

»Ver­zei­hen Sie, Sie ha­ben ein ein­zi­ges Buch über Ro­boter­wis­sen­schaf­ten ge­le­sen. Sie ha­ben nicht das ge­rings­te dar­aus ge­lernt. Ge­wiß, Sie er­fuh­ren, daß man ei­nem Ro­bo­ter vie­le Be­feh­le ge­ben kann – un­ter an­de­rem den Be­fehl, ein Buch zu ver­fäl­schen. Sie er­fuh­ren ge­nug, um zu wis­sen, daß Sie. ihm nicht den Be­fehl zum Ver­ges­sen ge­ben konn­ten, oh­ne daß wir es ge­merkt hät­ten. Aber Sie dach­ten, Sie könn­ten ihn mit Si­cher­heit zum Schwei­gen ver­pflich­ten. Das war falsch.«

»Ha­ben Sie durch sein 5chwei­gen die Wahr­heit er­ra­ten?«

»Ich ha­be nichts er­ra­ten. Sie wa­ren ein Ama­teur und konn­ten Ih­re Spu­ren nicht völ­lig ver­wi­schen. Mein ein­zi­ges Pro­blem war es, auch dem Rich­ter den Be­weis zu lie­fern. Und Sie wa­ren freund­lich ge­nug, uns da­bei zu hel­fen. Durch Ih­re Un­kennt­nis.«

»Ist die­se Un­ter­hal­tung wirk­lich sinn­voll?« frag­te Nin­hei­mer mü­de.

»Für mi­di schon«, sag­te Su­san Cal­vin. »Denn ich möch­te Ih­nen klar­ma­chen, wie sehr Sie die Ro­bo­ter miß­ver­stan­den ha­ben. Sie ha­ben Ea­sy zum Schwei­gen ge­bracht, in­dem Sie ihm er­zähl­ten, daß Sie Ih­re Ar­beit ver­lie­ren wür­den, wenn er et­was von der Ab­än­de­rung des Bu­ches ver­ra­ten wür­de. Das schuf ein ge­wis­ses Po­ten­ti­al in Ea­sy, und es war stark ge­nug, um un­se­ren Be­mü­hun­gen zu wi­der­ste­hen. Wenn wir dar­auf be­stan­den hät­ten, wä­re sein Ge­hirn be­schä­digt wor­den.

Im Zeu­gen­stand je­doch ha­ben Sie ein noch hö­he­res Ge­gen­po­ten­ti­al auf­ge­rich­tet. Sie sag­ten, daß Sie weit mehr als Ih­re Ar­beit ver­lie­ren wür­den, weil die Leu­te glaub­ten, daß Sie und nicht der Ro­bo­ter die Stel­len ein­ge­fügt hät­ten. Sie sag­ten, daß Ihr Ruf, Ihr An­se­hen, Ihr Le­bens­zweck rui­niert sei­en. Sie sag­ten, daß man Sie noch nach Ih­rem Tod ver­ach­ten wür­de. Sie stell­ten da­mit ein hö­he­res Po­ten­ti­al auf – und Ea­sy re­de­te.«

»Mein Gott!« Nin­hei­mer wand­te den Kopf ab.

Dr. Cal­vin war un­er­bitt­lich.

»Ver­ste­hen Sie, wes­halb er re­de­te? Nicht um Sie an­zu­kla­gen, son­dern um Sie zu ver­tei­di­gen] Es kann ma­the­ma­tisch nach­ge­wie­sen wer­den, daß er im Be­griff war, die gan­ze Schuld auf sich zu neh­men. Das ers­te Ge­bot ver­lang­te es. Er woll­te lü­gen – und da­mit sich selbst be­schä­di­gen. Er woll­te der Ge­sell­schaft fi­nan­zi­el­len Scha­den zu­fü­gen. Das be­deu­te­te ihm al­les we­ni­ger als Ih­re Ret­tung. Wenn Sie wirk­lich et­was von Ro­bo­tern ver­stan­den hät­ten, hät­ten Sie ihn wei­ter­spre­chen las­sen. Aber ich war si­cher, daß Sie nichts da­von ver­stan­den, und ich ga­ran­tier­te es dem Ver­tei­di­ger. In Ih­rem Haß auf Ro­bo­ter gin­gen Sie von der An­nah­me aus, daß Ea­sy wie ein Mensch han­deln und sich auf Ih­re Kos­ten ver­tei­di­gen wür­de. So brüll­ten Sie ihn in Ih­rer Angst an – und ver­nich­te­ten sich selbst.«

Nin­hei­mer sah sie an und sag­te mit Nach­druck:

»Ich hof­fe, daß sich ei­nes Ta­ges Ih­re Ro­bo­ter ge­gen Sie wen­den und Sie um­brin­gen.«

»Sei­en Sie nicht al­bern«, sag­te Dr. Cal­vin. »Und jetzt wür­de ich noch gern hö­ren, wes­halb Sie das al­les ge­tan ha­ben.«

Nin­hei­mer ver­zog das Ge­sicht zu ei­nem hu­mor­lo­sen Grin­sen. »Ich soll mich wohl vor Ih­nen se­zie­ren, da­mit Ih­re wis­sen­schaft­li­che Neu­gier be­frie­digt wird? Da­für si­chern Sie mir Straf­frei­heit zu.«

»Den­ken Sie, was Sie wol­len«, sag­te Dr. Cal­vin aus­drucks­los. »Aber re­den Sie.«

»Da­mit Sie in Zu­kunft An­grif­fe ge­gen Ro­bo­ter noch bes­ser un­ter­bin­den kön­nen? An­grif­fe, die we­ni­ger di­let­tan­tisch als der mei­ne durch­ge­führt sind?«

»Neh­men wir es ein­mal an.«

»Gut, ich wer­de es Ih­nen sa­gen«, er­klär­te Nin­hei­mer. »Aber ich freue mich schon jetzt, weil es Ih­nen nichts nüt­zen wird. Denn von mensch­li­chen Be­weg­grün­den ver­ste­hen Sie nichts. Sie ver­ste­hen nur Ih­re ver­damm­ten Ma­schi­nen, weil Sie selbst ei­ne Ma­schi­ne aus Haut und Kno­chen sind.«

Er at­me­te schwer. Dann spru­del­te er sei­ne Wor­te her­vor, oh­ne die For­mu­lie­rung wie bis­her ge­nau ab­zu­wä­gen. Die Prä­zi­si­on schi­en ihm gleich­gül­tig ge­wor­den zu sein.

»Seit zwei­hun­dert­fünf­zig Jah­ren ver­drängt die Ma­schi­ne den Men­schen. Sie rui­niert den Hand­wer­ker. Große Pres­sen spu­cken Töp­fer­wa­ren aus. Statt Kunst­wer­ken wird uns bil­li­ges Zeug in tau­send­fa­chen Re­pro­duk­tio­nen ge­lie­fert. Nen­nen Sie es Fort­schritt, wenn Sie wol­len! Der Künst­ler muß sich an Ab­strak­tio­nen hal­ten, er wird in die Ge­dan­ken­welt ver­bannt. Er ent­wirft et­was – und al­les an­de­re führt die Ma­schi­ne aus.

Glau­ben Sie, daß dem Töp­fer der Ent­wurf ge­nügt? Glau­ben Sie, der Ge­dan­ke al­lein be­frie­digt? Daß der Ton in der Hand nichts be­deu­tet, das lang­sa­me Wach­sen des Wer­kes, wenn Hand und Ver­stand zu­sam­men­ar­bei­ten? Glau­ben Sie nicht, daß die Hand­ar­beit den Ge­dan­ken neue Im­pul­se gibt?«

»Sie sind kein Töp­fer«, sag­te Dr. Cal­vin.

»Ich bin ein schaf­fen­der Künst­ler! Ich ent­wer­fe und for­me Ar­ti­kel und Bü­cher. Das ist mehr als das rei­ne Aus­den­ken von Wor­ten und Sät­zen. Wenn es nicht mehr bie­ten wür­de, fän­de ich kein Ver­gnü­gen dar­an.

Ein Buch soll in den Hän­den des Schrei­bers Form an­neh­men. Man muß se­hen, wie die Ka­pi­tel wach­sen und sich ent­wi­ckeln. Man muß ar­bei­ten und über­ar­bei­ten und zu­se­hen kön­nen, wie selbst die ur­sprüng­li­che Idee ver­än­dert wird. Man nimmt die Drucker­fah­nen in die Hand und ur­teilt, wie die Sät­ze im Druck aus­se­hen, um sie dann noch ein­mal um­zu­for­men. Es gibt hun­dert­fa­che Be­zie­hun­gen zwi­schen dem Men­schen und sei­nem Werk – in je­dem Sta­di­um des Wach­sens. Und die­se Be­zie­hung ist die Be­loh­nung für die Ar­beit. Et­was Schö­ne­res gibt es nicht. Und Ihr Ro­bo­ter nimmt uns das al­les.«

»Die Schreib­ma­schi­ne auch. Oder die Drucker­pres­se. Möch­ten Sie et­wa zu hand­ko­lo­rier­ten Ma­nu­skrip­ten zu­rück­keh­ren?«

»Schreib­ma­schi­nen und Drucker­pres­sen neh­men einen Teil weg, aber Ihr Ro­bo­ter wür­de uns al­les rau­ben. Er über­nimmt die Kor­rek­tur. In Kür­ze gibt es an­de­re Ro­bo­ter, die das Schrei­ben über­neh­men, die die Quel­len her­aus­su­chen und über­prü­fen, die viel­leicht selb­stän­dig Schlüs­se dar­aus zie­hen. Wo käme dann der Ge­lehr­te hin? Was blie­be ihm noch? Nur die tro­ckene Ent­schei­dung, was für Be­feh­le der Ro­bo­ter be­kom­men soll. Ich will die zu­künf­ti­gen Ge­ne­ra­tio­nen von Ge­lehr­ten vor ei­ner sol­chen Höl­le be­wah­ren. Das war mir mehr wert als mein ei­ge­ner Ruf, und des­halb ent­schloß ich mich, mit al­len Mit­teln die Ro­bo­ter-GmbH zu ver­nich­ten.«

»Es muß­te Ih­nen miß­lin­gen«, sag­te Su­san Cal­vin.

»Aber ich muß­te es ver­su­chen.«

Dr. Cal­vin ging hin­aus. Sie gab sich al­le Mü­he, für den ge­bro­che­nen Mann kein Mit­leid zu emp­fin­den.

Aber es ge­lang ihr nicht ganz.