Der perfekte
Roboter
von
ISAAC ASIMOV
Die US-Automaten-und-Roboter-GmbH hatte als Angeklagte in diesem Verfahren genügend Einfluß, um eine Verhandlung ohne Jury und hinter verschlossenen Türen zu erzwingen.
Und die Northeastern-Universität strengte sich nicht sonderlich an, um das zu verhindern. Das Kuratorium wußte recht gut, wie die Öffentlichkeit auf ein Verfahren gegen einen Roboter reagieren würde, ganz gleich, aus welchem Grund man ihn anklagte. Man war sich auch im klaren darüber, daß Haßparolen gegen Roboter schnell in Haßparolen gegen die Wissenschaften überhaupt enden konnten.
Die Regierung, in diesem Fall von Richter Harlow Shane vertreten, war ebenfalls für eine stillschweigende Beilegung der Streitsache. Man hatte weder die Roboter-GmbH noch die Universitätsleute gern gegen sich.
Richter Shane ergriff das Wort.
»Meine Herren! Da weder Presse, Öffentlichkeit oder Jury anwesend sind, können wir weitgehend auf die äußere Form verzichten und gleich zur Sache kommen.«
Er lächelte steif und zerrte an seiner Robe, um ihr einen lässigeren Faltenwurf zu verleihen. Er hatte wenig Hoffnung, daß man sich an seine Aufforderung halten würde.
Barnabas H. Goodfellow, Professor für Physik an der Northeastern-Universität, trat zuerst in den Zeugenstand. Er legte seinen Eid mit einer Miene ab, die im krassen Widerspruch zu seinem Namen stand.
Nach den üblichen einleitenden Fragen schob der Anklagevertreter die Hände tief in die Taschen und begann:
»Herr Professor, wann und unter welchen Umständen wurde die Möglichkeit einer Einstellung von Roboter EZ-27 zum erstenmal in Erwägung gezogen?«
Professor Goodfellows schmales, eckiges Gesicht nahm einen unsicheren Ausdruck an.
»Ich stand mit Dr. Alfred Lanning, dem Forschungsdirektor der Roboter-GmbH, privat und beruflich in Verbindung. Ich hörte daher mit einiger Toleranz zu, als er mir einen etwas eigenartigen Vorschlag machte. Das war am dritten März letzten Jahres …«
»2033?«
»Richtig.«
»Entschuldigen Sie die Unterbrechung. Bitte, fahren Sie fort.«
Der Professor nickte kühl und formulierte mit gerunzelter Stirn die damaligen Erlebnisse.
Professor Goodfellow betrachtete den Roboter mit einem gewissen Unbehagen. Man hatte ihn, gemäß den terranischen Transportbedingungen für Roboter, in einer verschlossenen Kiste in den Kellerraum gebracht.
Alfred Lanning musterte seinen Roboter scharf, als wolle er sich vergewissern, daß ihm während des Transports nichts zugestoßen sei. Dann wandte er den Kopf mit den buschigen Augenbrauen und der weißen Haarmähne dem Professor zu.
»Das hier ist Roboter EZ-27, das erste Modell, das der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll.«
Er wandte sich an den Roboter. »Easy, das ist Professor Goodfellow.«
Die Antwort kam so schlagartig, daß der Professor zusammenzuckte.
»Guten Tag, Professor.«
Seine Stimme war leidenschaftslos.
Easy war etwas über zwei Meter groß und hatte die Proportionen eines Menschen – ein Verkaufsgrundsatz der Roboter-GmbH. Das und die wichtigsten Patentrechte für das Positronenhirn hatten der Firma das Monopol für Roboter und nahezu auch ein Monopol für Komputer gesichert.
Die beiden Männer, die den Roboter ausgeladen hatten, waren hinausgegangen, und der Professor blickte von Lanning zu dem Roboter und wieder zu Lanning zurück.
»Er ist sicher harmlos.«
Aber so sicher war er nicht, und man hörte es seiner Stimme an.
»Harmloser als ich«, sagte Lanning. »Ich könnte mich dazu hinreißen lassen, Sie anzugreifen. Das ist bei Easy unmöglich. Sie kennen vermutlich die drei Grundgebote für Roboter.«
»Ja, natürlich«, sagte Goodfellow.
»Sie sind in das Positronensystem des Gehirns eingebaut und müssen beachtet werden. Das erste Gebot, die Hauptregel im Roboterdasein, schützt das Leben und Wohlergehen aller Menschen.«
Er unterbrach sich, rieb sich die Wange und fuhr dann fort:
»Das ist etwas, wovon wir die ganze Erde überzeugen möchten.«
»Wenn er nur nicht so schrecklich groß wäre.«
»Zugegeben. Aber Sie werden sehen, daß er wirklich nützlich ist.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, auf welchem Gebiet. Das konnten wir auch bei unseren bisherigen Unterredungen nicht klären. Immerhin, ich habe eingewilligt, mir das Ding anzusehen, und ich werde es tun.«
»Ansehen allein ist zu wenig, Professor. Haben Sie ein Buch mitgebracht?«
»Ja.«
»Darf ich es sehen?«
Professor Goodfellow griff in seine Aktentasche, ohne den Blick von dem metallischen Ding in Menschengestalt abzuwenden, und holte ein Buch heraus.
Lanning streckte die Hand danach aus und besah sich den Titel.
»Physikalische Chemie der Elektrolyte in Lösungen. Eine faire Aufgabe. Sie haben das Buch selbst ausgewählt, nicht wahr? Ich hatte keinerlei Einfluß auf den Text. Stimmt das?«
»Ja.«
Lanning gab das Buch an Roboter EZ-27 weiter.
Der Professor zuckte leicht zusammen.
»Nein! Das Buch ist sehr wertvoll.«
Lanning hob die Augenbrauen.
»Easy will uns keine Kraftprobe liefern«, sagte er. »Ich versichere Ihnen, daß er das Buch nicht zerreißen wird. Er kann mit einem Buch ebenso sorgfältig umgehen wie Sie oder ich. Fang an, Easy.«
»Danke, Sir«, sagte Easy. Dann verbeugte er sein Metallgestell ein wenig und fügte hinzu: »Mit Ihrer Erlaubnis, Professor Goodfellow.«
Der Professor starrte ihn an. Dann sagte er: »Aber natürlich –«
Mit langsamen, gleichmäßigen Bewegungen seiner Metallfinger drehte Easy eine Seite nach der anderen um. Er warf einen Blick auf die linke und dann auf die rechte Seite. So blätterte er Minute um Minute um.
Die Macht, die von ihm ausstrahlte, ließ sogar den großen Raum mit den Betonwänden zusammenschrumpfen. Und die beiden menschlichen Beobachter hatten das Gefühl, unterlebensgroß zu sein.
»Das Licht ist nicht sehr gut«, murmelte Goodfellow.
»Es genügt.«
Dann, etwas schärfer: »Aber was macht er eigentlich?«
»Geduld, Sir.«
Schließlich war die letzte Seite umgeblättert.
»Nun, Easy?« fragte Lanning.
»Es ist ein sehr genaues Buch, und ich konnte wenige Fehler finden. Auf Seite 27, Zeile 22, ist das Wort ›positiv‹ p-o-s-i-t-i-v-e buchstabiert. Das Komma auf Seite 32, Zeile 6, ist überflüssig, während es auf Seite 54, Zeile 13, besser gewesen wäre, eines zu setzen. Das Pluszeichen der Gleichung XIV,2 auf Seite 337 müßte ein Minuszeichen sein, wenn es sich logisch aus den vorhergehenden Gleichungen ableitet …«
»Halt! Einen Augenblick!« rief der Professor. »Was macht er da?«
»Was er macht?« wiederholte Lanning ungeduldig. »Mann, er ist bereits fertig. Er hat das Buch gelesen und auf Fehler überprüft.«
»Er hat Korrektur gelesen?«
»Ja. In der kurzen Zeit hat er jeden Schreib-, Grammatik- und Interpunktionsfehler entdeckt. Er hat falsche Wortstellungen bemerkt und Inkonsequenzen festgestellt. Und er behält die Daten für immer in seinem Gehirn.«
Der Mund des Professors stand offen. Er ging aufgeregt hin und her. Dann blieb er vor Easy und Lanning stehen und kreuzte die Arme vor der Brust.
Schließlich sagte er: »Der Roboter ist also zum Korrekturlesen abgerichtet?«
Lanning nickte.
»Unter anderem.«
»Und weshalb führen Sie ihn mir vor?«
»Damit Sie mich unterstützen. Ich möchte ihn der Universität anbieten.«
»Zum Korrekturlesen?«
»Unter anderem.« Lanning wiederholte seine Worte geduldig.
Der Professor verzog sein Gesicht zu einer ungläubigen Grimasse.
»Aber das ist doch lächerlich!«
»Weshalb?«
»Die Universität könnte es sich niemals leisten, diese halbe Tonne Metall zu kaufen – soviel wiegt Ihr Korrektor doch sicher?«
»Er kann mehr als nur Korrekturlesen. Er kann Berichte von Skizzen vorbereiten, Formulare ausfüllen, als vollkommene Gedächtnisstütze dienen, Akten sortieren …«
»Alles Kleinkram …«
»Nein«, sagte Lanning. »Ich werde Ihnen gleich das Gegenteil beweisen. Aber das können wir doch in Ihrem Büro besprechen, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Nein, natürlich nicht«, sagte der Professor rein mechanisch und wollte sich umdrehen. Dann blieb er abrupt stehen.
»Aber der Roboter – wir können den Roboter nicht mitnehmen. Doktor, Sie müssen ihn wieder in die Kiste packen lassen.«
»Das hat noch Zeit. Wir können Easy hierlassen.«
»Ohne Bewachung?«
»Weshalb nicht? Er weiß, daß er den Raum nicht verlassen darf. Professor Goodfellow, Sie müssen mir glauben, daß ein Roboter weit verläßlicher als ein Mensch ist.«
»Ich wäre verantwortlich, wenn er etwas beschädigt …«
»Er wird nichts beschädigen. Das garantiere ich Ihnen. Sehen Sie, die Dienststunden sind doch vorbei. Wahrscheinlich kommt vor morgen vormittag niemand hier herein. Der Lastwagen und meine zwei Leute sind draußen. Die Roboter-GmbH übernimmt die Haftung, falls etwas geschieht. Aber Sie machen sich umsonst Sorgen. Nehmen wir es als Demonstration für die Zuverlässigkeit des Roboters.«
Der Professor ließ sich aus dem Kellerraum führen. Aber er fühlte sich in seinem Büro, fünf Stockwerke weiter oben, nicht so recht wohl.
Er tupfte mit einem weißen Taschentuch die Schweißtropfen von der Stirn.
»Wie Sie wissen, Dr. Lanning, ist es gesetzlich verboten, Roboter im Freien zu beschäftigen.«
»Professor Goodfellow, die Gesetze sind nicht ganz einfach. Roboter dürfen nicht an öffentlichen Plätzen oder in öffentlichen Gebäuden verwendet werden. Auf Privatgrundstücken oder in Privathäusern sind sie gestattet, allerdings mit so starken Einschränkungen, daß sie kaum noch ihren eigentlichen Zweck erfüllen können. Die Universität jedoch ist eine große, private Einrichtung, die im allgemeinen Sonderrechte genießt. Wenn der Roboter sich in einem eigenen Raum aufhält, wenn er nur für akademische Zwecke benutzt wird, wenn man gewisse andere Einschränkungen beachtet, und wenn die Männer und Frauen, die Zutritt zu seinem Raum haben, mit uns zusammenarbeiten – dann müßte es eigentlich gelingen, im Rahmen der Gesetze zu bleiben.«
»Und das alles, um eine Maschine zum Korrekturlesen zu haben?«
»Easys Verwendungszweck ist unbegrenzt, Professor. Bis jetzt hat man Roboter nur zur Erleichterung der rein manuellen Arbeiten eingesetzt. Gibt es nicht auch genug Denkvorgänge, die nichts als ein lästiges Übel sind? Wenn ein Professor, der zu wunderbaren schöpferischen Gedanken fähig ist, wochenlang Zeit damit verliert, seine Manuskripte Zeile für Zeile nach Druckfehlern abzusuchen, sollte man ihm doch diese Arbeit so weit wie möglich erleichtern. Und Sie nennen das Kleinkram?«
»Aber der Preis …«
»Um den Preis brauchen Sie sich nicht zu sorgen. Wir verkaufen EZ-27 nicht. Die Roboter-GmbH verkauft ihre Produkte überhaupt nicht. Aber die Universität kann Easy für tausend Dollar im Jahr mieten – das ist beträchtlich weniger, als ein einziges Mikrowellen-Spektrographgerät kostet.«
Goodfellow sah ihn sprachlos an. Lanning spürte seinen Vorteil und fügte hinzu:
»Ich möchte ja nur, daß Sie dem Komitee, das bei Ihnen die Entscheidungen trifft, meinen Vorschlag unterbreiten. Ich stelle mich gern zu einer Diskussion zur Verfügung.«
»Hm«, sagte Goodfellow zweifelnd. »Ich kann die Sache nächste Woche bei der Senatsversammlung anschneiden. Aber ich kann natürlich nicht versprechen, daß es etwas nützen wird.«
»Natürlich«, sagte Lanning.
Der Verteidiger war klein und dicklich und gab sich ziemlich drohend. Er starrte Professor Goodfellow an, als man ihm erlaubte, seine Fragen zu stellen.
»Sie waren recht schnell einverstanden, nicht wahr?«
Der Professor blieb ruhig.
»Ich war wohl ziemlich froh, Dr. Lanning wieder loszuwerden. Ich hätte ihm alles versprochen.«
»Mit der Absicht, es nach seinem Verschwinden wieder zu vergessen?«
»Nun …«
»Trotzdem haben Sie dem Exekutivausschuß des Senats die Sache vorgetragen.«
»Ja.«
»So haben Sie Dr. Lannings Vorschläge weitergegeben. Sie haben sie nicht einfach als Unsinn abgetan. Im Gegenteil, Sie haben sie ziemlich begeistert aufgegriffen. Stimmt das?«
»Ich habe den normalen Amtsweg eingehalten.«
»Tatsache ist, daß Sie sich um den Roboter kaum die Sorgen machten, von denen Sie uns eben erzählten. Sie kennen die drei Gebote für Roboter, und Sie kannten sie auch schon bei Ihrem Zusammentreffen mit Dr. Lanning.«
»Das schon.«
»Und Sie waren durchaus bereit, einen Roboter ohne Aufsicht allein zu lassen …«
»Dr. Lanning versicherte mir …«
»Sie hätten seine Versicherung bestimmt nicht akzeptiert, wenn Sie den leisesten Zweifel gehabt hätten, daß der Roboter gefährlich sein könnte.«
Der Professor sah ihn kühl an.
»Ich sah keinen Grund, Dr. Lanning nicht zu trauen …«
»Danke, das genügt«, unterbrach ihn der Verteidiger abrupt.
Während sich Professor Goodfellow mehr als verwirrt setzte, beugte sich Richter Shane vor und erklärte:
»Da ich selbst noch nie mit Robotern zu tun hatte, würde ich gern genau wissen, wie die drei Gebote für Roboter lauten. Könnte Dr. Lanning sie dem Gericht vortragen?«
Dr. Lanning fuhr auf. Er hatte bis dahin mit der grauhaarigen Frau an seiner Seite getuschelt. Jetzt erhob er sich. Die Frau sah ihn ausdruckslos an.
»Wie Sie wünschen, Euer Ehren«, sagte Dr. Lanning. Er machte eine Pause, als sei er im Begriff, eine bedeutsame Rede zu halten. Dann begann er laut und deutlich zu rezitieren:
»Erstes Gebot: Ein Roboter darf keinen Menschen verletzen oder tatenlos zusehen, wie ein Mensch Schaden erleidet.
Zweites Gebot: Ein Roboter muß die Befehle ausführen, die ihm ein Mensch gibt, außer diese Befehle verstoßen gegen das erste Gebot.
Drittes Gebot: Ein Roboter muß seine eigene Existenz schützen, solange diese Maßnahme nicht gegen Gebot eins oder zwei verstößt.«
»Schön«, sagte der Richter und machte sich ein paar schnelle Notizen. »Und diese Gesetze sind in jeden Roboter eingeplant?«
»In jeden. Das ist die Pflicht von Roboter-Herstellern.«
»Roboter EZ-27 handelte also auch entsprechend dieser Gebote?«
»Ja, Euer Ehren.«
»Sie werden diese Aussagen wahrscheinlich unter Eid wiederholen müssen.«
»Jederzeit, Euer Ehren.«
Er setzte sich wieder.
Dr. Susan Calvin, Leiterin der roboterpsychologischen Abteilung bei der US-Roboter-GmbH, war die grauhaarige Frau, die neben Lanning saß. Sie sah ihren nominellen Vorgesetzten kühl an, aber das war nicht weiter verwunderlich. Für Menschen konnte sie keine Wärme empfinden. Jetzt fragte sie:
»Alfred, war Goodfellows Aussage richtig?«
»Im wesentlichen«, flüsterte Lanning. »Um den Roboter machte er sich überhaupt keine Sorgen, und er wollte von sich aus mit mir ins Geschäft kommen, als er den Preis hörte. Aber drastische Verzerrungen konnte ich nicht feststellen.«
Dr. Calvin sagte nachdenklich: »Es wäre vielleicht klug gewesen, den Preis höher anzusetzen.«
»Wir mußten Easy unbedingt loswerden.«
»Ich weiß. Und das war vielleicht ein Fehler. Man wird versuchen, uns andere Motive unterzuschieben.«
Lanning war geknickt.
»Ich habe unser Motiv vor dem Senat der Universität genannt.«
»Sie werden es so hindrehen, als sei es nicht das eigentliche gewesen.«
Scott Robertson, der Sohn des Firmengründers und immer noch Besitzer der meisten Aktien, saß auf der anderen Seite von Dr. Calvin. Jetzt beugte er sich zu ihr herunter und flüsterte wütend:
»Weshalb können Sie nicht Easy zu einer Aussage bringen? Er könnte sagen, was eigentlich vorfiel.«
»Sie wissen, daß er nicht darüber sprechen wird, Mister Robertson.«
»Bringen Sie ihn dazu. Sie sind unsere Psychologin, Dr. Calvin. Sie müssen ihn dazu bringen.«
»Wenn ich die Psychologin bin, Mr. Robertson«, sagte Susan Calvin kühl, »dann lassen Sie mich die Entscheidung treffen. Mein Roboter wird nicht dazu gebracht, etwas zu tun, was ihm schadet.«
Francis J. Hart, Leiter der Englischen Abteilung und Dekan für die Abschlußsemester, war in den Zeugenstand getreten. Er war ein schwerfälliger Mann, der in einem konservativ geschnittenen dunklen Anzug steckte. Ein paar Haarsträhnen waren sorgfältig über die rosa Glatze gekämmt. Er lehnte sich zurück und faltete die Hände korrekt auf dem Schoß. Hin und wieder lächelte er.
Er berichtete:
»Zum erstenmal hörte ich von der Angelegenheit des Roboters EZ-27 anläßlich der Sitzung des Universitätssenats. Professor Goodfellow brachte die Rede auf das Thema. Später, am zehnten April vergangenen Jahres, hielten wir eine Sondersitzung über diesen Fall ab, bei der ich den Vorsitz führte.«
»Sind von der Sitzung Aufzeichnungen vorhanden? Von der Sondersitzung, meine ich.«
»Hm – nein. Es war eine ungewöhnliche Sitzung.« Der Dekan lächelte knapp. »Wir hielten es für besser, nichts davon an die Öffentlichkeit dringen zu lassen.«
»Was geschah bei dieser Sitzung?«
Dekan Hart fühlte sich als Vorsitzender dieser Konferenz nicht besonders wohl. Auch die anderen Mitglieder der Versammlung waren ein wenig unruhig. Nur Dr. Lanning schien völlig zufrieden.
Auf dem Tisch lagen Proben von der Arbeit des Roboters. Professor Minott vom Institut für Physikalische Chemie hielt die Reproduktion eines Schaubilds in der Hand. Die Lippen des Chemikers waren anerkennend gespitzt.
Hart räusperte sich und ergriff das Wort.
»Es scheint kein Zweifel daran zu bestehen, daß der Roboter gewisse Routineaufgaben zu unserer vollen Zufriedenheit lösen kann. Ich habe mir beispielsweise das da vor Beginn der Sitzung angesehen, und ich fand wenig daran auszusetzen.«
Er nahm ein langes, bedrucktes Blatt in die Hand, etwa dreimal so lang wie eine gewöhnliche Buchseite. Es war eine Fahne, wie man sie Autoren zur Korrektur zuschickt, bevor man den Text in Seiten aufteilt.
An den breiten Rändern der Fahne waren Korrekturzeichen, sauber und wunderbar leserlich. Hin und wieder war ein Wort des Textes ausgestrichen und am Rand verbessert. Die Buchstaben waren so gleichmäßig, daß man sie von dem gedruckten Text nicht unterscheiden konnte. Einige der Korrekturen waren blau, um anzudeuten, daß der Autor einen Fehler gemacht hatte, andere rot, wenn sich der Drucker getäuscht hatte.
»Ich würde sogar sagen, daß absolut nichts daran auszusetzen ist, Dr. Hart«, erklärte Dr. Lanning. »Die Korrekturen sind im Vergleich zu dem Manuskript in Ordnung. Allerdings registriert Easy nur Sprachfehler, keine Sachfehler.«
»Wir akzeptieren das. Aber der Roboter verbesserte auch hin und wieder die Wortstellung, und ich glaube nicht, daß die Sprachregeln so starr gefaßt sind, daß seine Wahl immer die richtige war.«
Lanning lächelte und entblößte dabei seine langen Zähne.
»In Easys Positronengehirn wurde der Inhalt sämtlicher einschlägiger Werke eingespeist«, sagte er. »Ich bin sicher, daß Sie in keinem Fall nachweisen können, er habe sich falsch ausgedrückt.«
Professor Minott sah von der Zeichnung auf, die er immer noch in der Hand hielt.
»Mir drängt sich eine Frage auf, Dr. Lanning. Weshalb brauchen wir überhaupt einen Roboter, wenn damit solche Schwierigkeiten auf dem Public-Relations-Sektor verbunden sind? Die Automation ist doch sicher so weit fortgeschritten, daß Ihre Gesellschaft eine Maschine konstruieren könnte, einen gewöhnlichen Komputer, gegen den die Öffentlichkeit nichts einzuwenden hat. Er könnte die Arbeit des Roboters übernehmen.«
»Gewiß wäre uns das möglich«, erwiderte Lanning steif. »Aber bei einer solchen Maschine müßten die Druckerfahnen erst in besondere Symbole aufgegliedert oder zumindest auf Bänder gespeist werden. Und Sie brauchten Angestellte, die die Worte in Symbole und umgekehrt die Symbole in Worte übersetzen. Darüber hinaus kann ein Komputer nur eine ganz bestimmte Aufgabe durchführen. Die Zeichnung, die Sie in der Hand halten, ginge über sein Leistungsvermögen.«
Minott brummte vor sich hin.
Lanning fuhr fort:
»Die besondere Leistung des Positronenroboters besteht in seinen vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten. Er kann eine ganze Reihe von Arbeiten ausführen. Da er wie ein Mensch konstruiert ist, kann er mit allen menschlichen Werkzeugen umgehen. Er kann mit Ihnen sprechen, und er kann Sie hören. Bis zu einem gewissen Grad kann man mit ihm sogar diskutieren. Wenn man einen Komputer mit einem ganz einfachen Roboter vergleicht, ist er nicht mehr als eine schwere Rechenmaschine.«
Goodfellow sah auf und fragte:
»Wenn wir alle mit dem Roboter sprechen und diskutieren können, besteht dann nicht die Gefahr, daß wir ihn in Verwirrung bringen? Vermutlich hat er nicht die Fähigkeit, unbegrenzt Daten zu speichern.«
»Nein, das nicht. Aber bei normalem Gebrauch müßte er mindestens fünf Jahre lang ohne Schwierigkeiten laufen. Er weiß, wann sein Speicher überlastet ist, und dann übernimmt unsere Gesellschaft kostenlos die Arbeit des Löschens.«
»Die Gesellschaft!«
»Ja. Die Gesellschaft behält sich das Recht vor, den Roboter zu überholen. Das ist einer der Gründe, weshalb wir unsere Positronenroboter nicht verkaufen, sondern vermieten. Jeder Mensch kann einem Roboter eine bestimmte Arbeit innerhalb seiner Schranken befehlen. Aber darüber hinaus braucht er eine Expertenbehandlung – und die können nur wir ihm geben.
So könnte zum Beispiel jeder von Ihnen einem Roboter den Befehl erteilen, dieses oder jenes wieder zu vergessen. Aber höchstwahrscheinlich formulieren Sie den Befehl so, daß der Roboter zuviel oder zuwenig vergißt. Wir würden eine solche Pfuscherei sofort entdecken, da wir Sicherheitssperren eingebaut haben. Doch da kaum jemand einen so unsinnigen und unnötigen Befehl aussprechen würde, ist das Ganze kein Problem.«
Dekan Hart fuhr sich über die Glatze und sagte:
»Sie legen offensichtlich großen Wert darauf, den Roboter loszuwerden, obwohl es für die Roboter-GmbH garantiert ein Verlustgeschäft wird. Tausend Dollar pro Jahr sind ein lächerlich niedriger Preis. Glauben Sie, daß Sie durch unser Beispiel ähnliche Maschinen an andere Universitäten vermieten können?«
»Es ist eine nicht von der Hand zu weisende Annahme«, erwiderte Lanning.
»Aber selbst dann bliebe die Zahl der vermieteten Roboter beschränkt. Ich bezweifle, daß Ihre Firma ein rentables Geschäft daraus machen könnte.«
Lanning stützte die Ellbogen auf den Tisch und beugte sich mit ernstem Gesicht vor.
»Ich will die Karten auf den Tisch legen, meine Herren. Außer in Sonderfällen können Roboter hier auf der Erde nicht verwendet werden. Ein großer Teil der Öffentlichkeit kann seine Vorurteile gegen sie nicht überwinden. Die Roboter-GmbH ist auf dem extraterrestrischen Markt sehr erfolgreich. Aber es geht uns hier nicht nur um Gewinn. Wir sind der festen Überzeugung, daß der Einsatz von Robotern auf der Erde uns schließlich zu einem leichteren Leben verhelfen würde – wenn sich auch anfangs wirtschaftliche Verschiebungen ergäben.
Die Gewerkschaften sind selbstverständlich gegen uns, aber wir setzen unsere Hoffnung auf eine Zusammenarbeit mit den großen Universitäten. Der Roboter Easy wird Ihnen die lästige Routinearbeit abnehmen, die Sklavenarbeit, wenn Sie den Vergleich gestatten. Andere Universitäten und Forschungsstätten werden Ihrem Beispiel folgen. Wenn sich die Sache gut entwickelt, werden vielleicht auch für andere Zwecke Roboter eingesetzt. Man könnte den Widerstand der öffentlichen Meinung Schritt für Schritt abbauen.«
»Heute die Northeastern-Universität, morgen die ganze Welt«, murmelte Minott.
Ärgerlich flüsterte Lanning Susan Calvin zu:
»Ich war nur halb so wortgewandt, und sie waren nur halb so zögernd. Für tausend Dollar im Jahr streckten sie sofort die Hände nach Easy aus. Professor Minott erklärte mir, er habe noch nie eine genauere Arbeit als dieses Diagramm gesehen. Und Hart gab von sich aus zu, daß auf der Druckerfahne kein einziger Fehler war.«
Die strengen senkrechten Falten auf Dr. Calvins Stirn blieben.
»Du hättest mehr verlangen sollen, als sie zahlen konnten, Alfred. Sie hätten den Preis heruntergehandelt.«
»Vielleicht«, knurrte er.
Der Anklagevertreter war mit Hart noch nicht fertig.
»Haben Sie, nachdem Dr. Lanning die Sitzung verließ, darüber abgestimmt, ob man Roboter EZ-27 mieten sollte?«
»Ja.«
»Mit welchem Ergebnis?«
»Für ihn. Es war eine Mehrheitsentscheidung.«
»Was hat Ihrer Meinung nach die Wahl beeinflußt?«
Die Verteidigung erhob sofort Einspruch.
Der Anklagevertreter formulierte die Frage von neuem.
»Was hat Sie persönlich bei Abgabe Ihrer Stimme beeinflußt? Ich nehme an, Sie stimmten für den Roboter?«
»Ja, ich stimmte für ihn. Ich tat es hauptsächlich, weil ich von Dr. Lannings Gedankengängen beeindruckt war. Ich empfand es als unsere Pflicht, als die Pflicht der intellektuellen Führungsschicht, der Menschheit durch Einführung der Roboter bei der Lösung ihrer Probleme zu helfen.«
»Mit anderen Worten – Dr. Lanning hat Sie dazu überredet …«
»Das ist seine Aufgabe. Er hat sie gut gelöst.«
»Hat die Verteidigung Fragen an den Zeugen?«
Der Verteidiger ging zum Zeugenstand hinüber und sah Professor Hart lange an.
Dann ergriff er das Wort.
»In Wahrheit waren Sie doch alle dafür, Roboter EZ-27 so schnell wie möglich zu mieten, nicht wahr?«
»Wir dachten, daß wir ihn gut verwenden könnten, wenn er all die beschriebenen Fähigkeiten besaß.«
»Wenn er die Fähigkeiten besaß? Soviel ich verstand, untersuchten Sie an jener Konferenz die Arbeitsproben von Roboter EZ-27 mit peinlicher Genauigkeit.«
»Ja. Da die Maschine hauptsächlich die englische Sprache korrigiert und da die englische Sprache in meinen Kompetenzbereich fällt, erschien es logisch, daß ich seine Arbeit untersuchte.«
»Sehr schön. War bei diesen Arbeitsproben auch nur eine einzige dabei, die weniger als zufriedenstellend ausfiel? Ich habe das Material hier. Können Sie einen Punkt nennen, der mangelhaft war?«
»Nun …«
»Es ist eine einfache Frage. Gab es Grund zur Unzufriedenheit? Ja oder nein?«
Der Englischprofessor runzelte die Stirn.
»Nein.«
»Ich habe auch ein paar Proben von Roboter EZ-27 während seiner vierzehnmonatigen Beschäftigung bei der Northeastern-Universität. Würden Sie diese untersuchen und mir sagen, ob ein einziger Fehler darunter ist?«
Hart fuhr auf.
»Als er einen Fehler machte, war es gleich eine Katastrophe.«
»Beantworten Sie meine Frage«, donnerte der Verteidiger. »Und nichts als meine Frage! Ist etwas mit dem Material nicht in Ordnung?«
Dekan Hart sah sorgfältig jedes Blatt an.
»Ich kann nichts finden.«
»Wenn wir die Sache außer acht lassen, die uns hier zusammengeführt hat – können Sie sich entsinnen, daß EZ-27 Je einen Fehler gemacht hat?«
»Nein – wenn man von der einen Sache absieht.«
Der Verteidiger räusperte sich, als wolle er damit einen Absatz markieren. Er fuhr fort:
»Und nun zu der Wahl, in der beschlossen wurde, ob Roboter EZ-27 eingestellt werden sollte oder nicht. Sie sagten, daß die Mehrheit dafür war. Wie sah das Zahlenverhältnis aus?«
»Dreizehn gegen eine Stimme, wenn ich mich recht erinnere.«
»Dreizehn gegen eine. Das ist noch mehr als die Mehrheit, finden Sie nicht?«
»Nein, Sir.« Der ganze Pedant in Dekan Hart war wachgeworden. »In der englischen Sprache bedeutet das Wort Mehrheit ›mehr als die Hälfte‹. Dreizehn von vierzehn ist eine Mehrheit, sonst nichts.«
»Aber ein fast einstimmiges Ergebnis.«
»Dennoch nur eine Mehrheit.«
Der Verteidiger gab nach. »Und wer war der einsame Gegner?«
Dekan Hart fühlte sich nicht recht wohl in seiner Haut.
»Professor Simon Ninheimer.«
Der Verteidiger tat erstaunt.
»Professor Ninheimer? Der Leiter der Soziologischen Abteilung?«
»Ja, Sir.«
»Der Kläger?«
»Ja, Sir.«
Der Verteidiger spitzte die Lippen.
»In anderen Worten: Es stellt sich heraus, daß der Mann, der an meinen Klienten, die US-Automaten-und-Roboter-GmbH, eine Schadenersatzklage von 750 000 Dollar richtet, der gleiche Mann ist, der von Anfang an gegen die Verwendung des Roboters war. Der gesamte Exekutivausschuß – außer ihm – war davon überzeugt, daß man mit der Einstellung gut fahren würde.«
»Es war sein Recht, dagegen zu stimmen.«
»Sie erwähnten in Ihrer Beschreibung von der Konferenz nicht, daß Professor Ninheimer etwas sagte. Schwieg er während der ganzen Debatte?«
»Ich glaube, er sprach.«
»Sie glauben?«
»Also gut, er sprach.«
»Gegen den Roboter?«
»Ja.«
»Setzte er sich heftig ein?«
Dekan Hart machte eine Pause.
»Leidenschaftlich.«
Der Verteidiger wurde vertraulich.
»Wie lange kennen Sie Professor Ninheimer schon, Dekan Hart?«
»Etwa zwölf Jahre.«
»Einigermaßen gut.«
»Ja, das kann man schon sagen.«
»Da Sie ihn also kennen, würden Sie glauben, daß er ein Mensch ist, der es dem Roboter nachtragen könnte, bei der Wahl übergangen …«
Der Anklagevertreter erstickte den Rest des Satzes durch einen empörten Einspruch. Der Verteidiger stellte dem Zeugen keine Fragen mehr, und Richter Shane ließ Mittagspause machen.
Robertson würgte sein Sandwich herunter. Die Gesellschaft würde wegen einer dreiviertel Million Dollar keinen Wirbel machen, aber der Verlust des Geldes brachte noch andere Verluste mit sich. Zum Beispiel einen kostspieligen Rückschlag in der Werbung.
Er meinte säuerlich:
»Was soll all das Gerede darüber, wie Easy in die Universität kam? Was verspricht man sich davon?«
Der Verteidiger blieb ruhig.
»Eine Gerichtsverhandlung ist wie ein Schachspiel, Mister Robertson. Es gewinnt der, der die meisten Züge vorhersieht. Und mein Freund am Anklägertisch ist kein Anfänger. Er kann den Schaden vorweisen. Das ist kein Problem. Seine Hauptaufgabe ist es, unsere Verteidigungslinie zu erkennen. Er wird damit rechnen, daß wir uns auf die drei Gebote für Roboter stützen.«
»Aber das ist doch auch die beste Verteidigung«, erwiderte Robertson. »Nur damit können wir etwas erreichen.«
»Bei einem Roboter-Ingenieur vielleicht. Nicht unbedingt bei einem Richter. Der Gegner will beweisen, daß EZ-27 kein gewöhnlicher Roboter war. Er kam als der erste seines Typs an die Öffentlichkeit. Er war ein Versuchsmodell, das erst getestet werden mußte. Und die Universität war der einzig geeignete Ort für diese Tests. Damit kann man sowohl Dr. Lannings Eifer erklären, wie auch die Bereitschaft der Roboter-GmbH, Easy für einen solchen Spottpreis zu vermieten. Der Ankläger würde zu dem Schluß kommen, daß Easy sich bei den Tests als Niete herausstellte. Verstehen Sie nun, weshalb die Verhandlung diesen Verlauf nimmt?«
»Aber EZ-27 war doch ein perfektes Modell«, erklärte Robertson. »Er war der siebenundzwanzigste in der Reihe unserer Entwicklungen.«
»Ein schwacher Punkt«, sagte der Verteidiger düster. »Was stimmte mit den ersten sechsundzwanzig nicht? Irgend etwas muß es ja sein. Und weshalb sollte der Fehler nicht auch bei Modell 27 auftreten?«
»Mit den ersten sechsundzwanzig war alles in Ordnung«, erwiderte Robertson. »Aber sie waren noch nicht für eine so komplexe Aufgabe eingerichtet. Schließlich arbeiten wir zum erstenmal mit Positronengehirnen, und da muß man sich jeden Faktor durch Versuche ermitteln. Aber sie hatten alle die drei Gebote eingebaut. Kein Roboter ist so unvollkommen, daß die drei Gebote nicht gelten.«
»Das hat mir Dr. Lanning auch erklärt, Mister Robertson, und ich will Ihnen gern glauben. Doch wir wissen nicht, ob es der Richter tut. Wir erwarten eine Entscheidung von einem ehrenhaften, intelligenten Mann, der von Robotern keine Ahnung hat und leicht irregeführt werden kann. Wenn beispielsweise Sie, Doktor Lanning oder Doktor Calvin im Zeugenstand aussagen würden, daß Sie zum erstenmal mit Positronengehirnen arbeiten, würde der Ankläger Sie im Kreuzverhör auseinandernehmen. Unser Fall wäre verloren. Solche Dinge müssen wir also vermeiden.«
Robertson knurrte.
»Wenn nur Easy sprechen würde.«
Der Verteidiger zuckte mit den Schultern.
»Ein Roboter ist ein unzureichender Zeuge. Es würde uns kaum etwas nützen.«
»Zumindest würden wir ein paar Tatsachen erfahren. Wir wüßten, wie das alles zustande kam.«
In diesem Augenblick platzte Susan Calvin heraus. Ihre Wangen hatten sich dunkelrot gefärbt, und ihre Stimme wurde um eine Spur menschlicher.
»Wir wissen, wie alles zustande kam. Es wurde Easy befohlen! Ich habe das dem Anklagevertreter erklärt, und ich werde es auch Ihnen erklären.«
»Wer konnte es ihm befehlen?« fragte Robertson ehrlich erstaunt. (Mir braucht man ja so etwas nicht zu sagen! dachte er vorwurfsvoll. Diese Wissenschaftler tun tatsächlich, als gehörte ihnen die Roboter-GmbH.)
»Der Kläger«, sagte Dr. Calvin.
»Um Himmels willen, weshalb denn?«
»Das weiß ich noch nicht. Vielleicht nur, um uns einen Prozeß zu machen. Vielleicht aus Geldgier.«
Ihre Augen schossen Blitze, als sie das sagte.
»Und warum sagt das Easy nicht?«
»Ist das nicht offensichtlich? Weil er den Befehl bekam, über die Angelegenheit zu schweigen.«
»Für mich ist das nicht offensichtlich«, stellte Robertson etwas gekränkt fest.
»Für mich schon. Roboterpsychologie ist schließlich mein Beruf. Easy beantwortet die Fragen über den Vorfall nicht direkt, aber er gibt doch über die Begleitumstände Auskunft. Je näher man der Kernfrage kommt, desto stärker wird sein Zögern. Wenn man dieses Schweigen und die Stärke der Gegenpotentiale mißt, kann man mit wissenschaftlicher Präzision sagen, daß seine Verwirrung von einer Schweigeverpflichtung herrührt, die ihm wahrscheinlich im Hinblick auf das erste Gebot gegeben wurde. In anderen Worten: Man hat Easy gesagt, daß ein Mensch zu Schaden kommt, wenn er spricht. Wahrscheinlich ist besagter Mensch dieser schreckliche Professor Ninheimer – der Ankläger.«
»Hm.« Robertson überlegte. »Können Sie Easy nicht erklären, daß die US-Roboter-GmbH zu Schaden kommt, wenn er schweigt?«
»Die Roboter-GmbH ist kein menschliches Wesen, und das erste Gebot für Roboter erkennt Gesellschaften nicht als Personen an, wie es unsere Gesetze tun. Außerdem wäre es gefährlich, das Verbot aufzuheben. Derjenige, der es aussprach, könnte es noch am leichtesten, denn die Motive des Roboters sind nur auf seine Person abgestimmt. Einen anderen Weg …« Sie schüttelte heftig den Kopf. »Ich lasse es nicht zu, daß der Roboter zerstört wird.«
Lanning unterbrach mit einer Miene, als wolle er Vernunft in die Diskussion bringen.
»Ich bin der Ansicht, daß wir lediglich beweisen müssen, ob Easy zu der Tat imstande war oder nicht. Und das können wir doch.«
»Sie können es«, sagte der Verteidiger ärgerlich. »Alle Zeugen, die über Easys Verhalten und Geisteszustand aussagen können, sind Angestellte der Roboter-GmbH. Der Richter kann ihre Aussage einfach nicht als vorurteilsfrei akzeptieren.«
»Aber er kann doch kein Expertengutachten zurückweisen.«
»Nicht direkt. Doch er braucht sich nicht davon überzeugen zu lassen. Das erlaubt ihm seine Richterstellung. Gegen die andere Annahme, daß ein Mann wie Professor Ninheimer absichtlich seinen eigenen Ruf zerstört, selbst für eine ansehnliche Geldsumme, wird er kaum die technischen Erklärungen Ihrer Ingenieure akzeptieren. Schließlich ist der Richter auch nur ein Mensch. Wenn er die Wahl hat zwischen einem Menschen, der etwas Unmögliches tut, und einem Roboter, der etwas Unmögliches tut, wird er höchstwahrscheinlich zugunsten des Menschen entscheiden.«
»Ein Mensch ist zu unmöglichen Dingen fähig«, widersprach Lanning. »Wir kennen noch nicht die genaue Zusammensetzung des menschlichen Gehirns, und wir wissen nicht, was für einen ganz bestimmten Verstand möglich oder unmöglich ist. Aber wir sind uns völlig darüber im klaren, was bei einem Roboter unmöglich ist.«
»Schön. Wir müssen versuchen, den Richter davon zu überzeugen«, sagte der Verteidiger müde.
»Nach Ihren Worten scheint das unmöglich«, sagte Robertson ärgerlich.
»Wir werden sehen. Es ist immer gut, wenn man die Schwierigkeiten kennt, die einen erwarten. Aber deshalb brauchen wir nicht gleich die Flinte ins Korn zu werfen. Ich habe mir auch ein paar Züge in diesem Spiel überlegt.« Er nickte in Richtung der Roboterpsychologin. »Vielleicht schaffe ich es mit Hilfe dieser Dame.«
Lanning sah zwischen den beiden hin und her.
»Was soll nun das schon wieder?« fragte er wütend.
Aber in diesem Augenblick streckte der Gerichtsdiener seinen Kopf herein und kündigte etwas atemlos an, daß die Verhandlung wieder aufgenommen würde.
Sie nahmen ihre Plätze ein und sahen den Mann an, der all diesen Wirbel verursacht hatte.
Simon Ninheimer hatte widerspenstige rote Haare, ein Gesicht mit einer scharfen Hakennase und einem spitzen Kinn – und die Angewohnheit, vor Schlüsselworten einen Augenblick zu zögern, wie um den deutlichsten Ausdruck zu suchen.
Wenn er sagte: »Die Sonne geht im – äh – Osten auf«, war man sicher, daß er gewissenhaft die Möglichkeit eines Sonnenaufgangs im Westen in Betracht gezogen hatte.
Der Anklagevertreter begann:
»Wandten Sie sich gegen die Einstellung von Roboter EZ-27 durch die Universität?«
»Ja, Sir.«
»Weshalb?«
»Ich war der Meinung, daß wir die Motive der US-Roboter-GmbH – äh – nicht gut genug durchschauten. Ich mißtraute ihrem Eifer, den Roboter an uns zu vermieten.«
»Glaubten Sie, daß er die Aufgaben, für die er angeblich konstruiert war, auch durchführen konnte?«
»Ich habe schmerzlich genug erfahren, daß er es nicht konnte.«
»Würden Sie uns bitte einen Bericht geben?«
Simon Ninheimers Buch Soziale Spannungen durch die Entwicklung der Raumfahrt sowie ihre Losung war nun schon acht Jahre in Vorbereitung. Ninheimers Liebe zur Präzision drückte sich nicht nur in seinen Sprechgewohnheiten aus. Ein Thema wie die Soziologie, bei der von Genauigkeit keine Rede sein konnte, war einfach nicht auszuschöpfen.
Auch wenn er den Text endlich auf Druckfahnen vor sich sah, war er alles andere als befriedigt. Im Gegenteil, wenn er die langen Streifen anstarrte, juckte es ihn in den Fingern, alles zu zerreißen und noch einmal von vorne anzufangen.
Jim Baker, Dozent und künftiger Assistent für den Lehrstuhl der Soziologie, suchte Ninheimer drei Tage nach Eintreffen der ersten Druckfahnen auf. Der Professor starrte geistesabwesend auf die Papiere.
Die Fahnen kamen in drei Exemplaren an – eine Kopie für Ninheimer, eine für Baker und eine dritte mit der Aufschrift ›Original‹. Ninheimer und Baker korrigierten unabhängig voneinander und trugen die Verbesserungen nach einem eingehenden Vergleich in die dritte Fahne ein. Sie machten es schon seit drei Jahren so, und es hatte bisher immer geklappt.
Baker, jung und mit einer unterwürfig säuselnden Stimme, hatte seine Fahnenkopien in der Hand. Er sagte eifrig:
»Ich habe das erste Kapitel fertig. Es enthält ein paar hübsche Druckfehler.«
»Das ist beim ersten Kapitel immer so«, sagte Ninheimer geistesabwesend.
»Wollen Sie sie jetzt vergleichen?«
Ninheimer drehte sich um und sah Baker ernst an.
»Ich habe mit den Fahnen noch gar nicht angefangen, Jim. Ich glaube, ich werde mir die Mühe nicht machen.«
»Die Mühe nicht machen?« Baker sah ihn verwirrt an.
Ninheimer preßte die Lippen zusammen.
»Ich habe mich erkundigt, wann die – äh – Maschine arbeitet. Man hat einen Stundenplan ausgearbeitet. Schließlich wurde sie ursprünglich zum – äh – Korrekturlesen angestellt.«
»Die Maschine? Sie meinen Easy?«
»Ich glaube, das ist der dämliche Name, den man dem Ding gegeben hat.«
»Aber Doktor Ninheimer! Ich dachte, Sie wollten nichts damit zu tun haben?«
»Ich scheine der einzige zu sein. Vielleicht sollte ich seine – äh – Vorteile auch ausnutzen.«
»Ach so. Hm, dann habe ich meine Zeit mit dem ersten Kapitel verschwendet.« Der junge Mann sah enttäuscht auf seine Blätter.
»Aber nein. Wir können die Arbeit der Maschine mit Ihrer Arbeit vergleichen. Eine gewisse Sicherheit will ich schon haben.«
»Gut, wenn Sie wollen, aber …«
»Ja?«
»Ich kann mir kaum vorstellen, daß Easy einen Fehler macht. Bis jetzt hat noch niemand etwas auszusetzen gehabt.«
»Tatsächlich?« fragte Ninheimer trocken.
Ninheimer fühlte sich unbehaglich, als er zum erstenmal dem Roboter gegenüberstand. Fast automatisch, so als stünde er einem Menschen gegenüber, fragte er:
»Gefällt dir deine Arbeit?«
»Sehr, Herr Professor Ninheimer«, sagte Easy feierlich. Die Fotozellen seiner Augen leuchteten tief rot wie immer.
»Du kennst mich?«
»Aus der Tatsache, daß Sie in den Originaltext etwas einfügen wollen, folgt, daß Sie der Autor sind. Und der Name des Autors steht natürlich auf jeder Druckfahne.«
»Ach so. Dann kannst du also – äh – Schlußfolgerungen ziehen.« Er konnte der Frage nicht widerstehen. »Sag mal, was hältst du bis jetzt von dem Buch?«
»Ich finde es angenehm, es bearbeiten zu dürfen«, sagte Easy.
»Angenehm? Das ist ein komisches Wort für einen – äh – Mechanismus ohne Gefühle. Wenigstens sagte man mir, daß du keine Gefühle hättest.«
»Die Worte in Ihrem Buch sind für meine Stromkreise leicht zu bearbeiten«, erklärte Easy. »Sie lösen wenige Gegenpotentiale aus. Mein Gehirn kann diese Tatsache mit einem Wort wie ›angenehm‹ übersetzen. Die gefühlsmäßige Bedeutung dieses Wortes ist reiner Zufall.«
»Ich verstehe. Weshalb empfindest du das Buch als angenehm?«
»Es handelt von Menschen, Herr Professor, und nicht von anorganischen Stoffen oder mathematischen Symbolen. Ihr Buch versucht die Menschen zu verstehen und das menschliche Glück zu steigern.«
»Und da das auch deine Aufgabe ist, empfindest du es als angenehm. Habe ich das richtig verstanden?«
»Ja, Herr Professor.«
Die Viertelstunde war vorbei. Ninheimer verließ den Raum und ging in die Universitätsbibliothek, die gerade schließen wollte. Man wartete noch, bis er einen Band über elementare Roboterwissenschaften ausgewählt hatte. Er nahm das Buch mit nach Hause.
Bis auf wenige Einfügungen, die Ninheimer aufgrund neuen Materials machte, gingen die Fahnen zwischen Easy und den Verlegern ohne Reklamationen hin und her. Anfangs prüfte der Professor noch alles nach, doch später kümmerte er sich nicht mehr darum.
Baker fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut.
»Ich komme mir ziemlich nutzlos vor«, bemerkte er einmal.
»Weshalb? Sie können sich jetzt um neue Projekte kümmern«, sagte Ninheimer, ohne von den Aufzeichnungen aufzusehen, die er in die laufende Nummer der Zeitschrift Abstrakte Sozialwissenschaften machte.
»Ich bin es noch nicht gewohnt. Ich mache mir um die Fahnen Sorgen, obwohl ich natürlich weiß, daß das Unsinn ist.«
»Und ob es Unsinn ist!«
»Kürzlich holte ich mir sogar ein paar Fahnen, bevor sie Easy an den …«
»Was!« Ninheimer sah stirnrunzelnd auf. Die Zeitschrift rutschte vom Tisch. »Haben Sie die Maschine bei der Arbeit gestört?«
»Nur für eine Minute. Alles war in Ordnung. Oh, er hat ein Wort ausgetauscht. Sie benutzten das Adjektiv ›kriminell‹. Er schrieb statt dessen ›leichtsinnig‹. Ich fand, daß das zweite Adjektiv besser in den Zusammenhang paßte.«
Ninheimer wurde nachdenklich.
»Fanden Sie wirklich?«
»Ich ließ es stehen. Ich war ehrlich davon überzeugt, daß es besser war.«
Ninheimer drehte sich um und blickte seinen jungen Mitarbeiter an.
»Hören Sie, es wäre mir lieber, wenn Sie das nicht wieder tun. Wenn ich die Maschine benutze, dann will ich – äh – alle ihre Vorteile genießen. Wenn ich Ihre – äh – Arbeitskraft dadurch verliere, daß Sie die Maschine überwachen, obwohl es nicht – äh – nötig ist, dann gewinne ich nichts. Verstehen Sie mich?«
»Ja, Dr. Ninheimer«, sagte Baker kleinlaut.
Die Aushängebogen des Buches kamen am achten Mai in Dr. Ninheimers Büro. Ninheimer sah sie kurz durch und las hin und wieder einen Absatz. Dann legte er die Blätter weg.
Wie er später erklärte, vergaß er sie. Acht Jahre lang hatte er daran gearbeitet, aber jetzt wurde er von anderen Dingen gefesselt, während ihm Easy die Last der Korrektur abnahm. Er dachte nicht einmal daran, der Universitätsbibliothek die übliche Kopie zur Verfügung zu stellen.
Selbst Baker, der sich seit jenem Tadel mit eigenen Dingen beschäftigte, erhielt keine Kopie.
Am sechzehnten Juni geschah es dann.
Ninheimer erhielt einen Anruf. Er sah überrascht das Gesicht auf dem Bildschirm.
»Speidell! Sind Sie in der Stadt?«
»Nein, Sir. Ich bin in Cleveland.« Speidells Stimme zitterte vor Erregung.
»Was soll dann der Anruf?«
»Ich habe mir Ihr neues Buch angesehen. Ninheimer, sind Sie wahnsinnig geworden? Das ist doch Verrücktheit im höchsten Grade!«
Ninheimer versteifte sich.
»Ist etwas nicht in – äh – Ordnung?« fragte er erschrocken.
»Nicht in Ordnung? Ich erinnere Sie an Seite 562. Wie in aller Welt kommen Sie dazu, mein Werk so auszulegen? Wo in dem zitierten Artikel behaupte ich, daß der Kriminelle nicht existiert und daß die Gerichte die eigentlichen Verbrecher sind? Einen Moment, ich zitiere …«
»Halt, warten Sie«, rief Ninheimer und suchte nach der Seite. »Das muß ich sehen. Das muß ich sehen … Du liebe Güte!«
»Nun?«
»Speidell, ich kann mir nicht erklären, wie das geschehen ist. Ich habe das nie geschrieben.«
»Aber es steht gedruckt da. Und es ist nicht die schlimmste Verzerrung. Sehen Sie sich Seite 690 an. Dann können Sie sich vorstellen, was Ihnen Ipatiew erzählen wird. Hören Sie, Ninheimer, das Buch ist voll von solchem Zeug! Ich weiß nicht, was Sie sich dabei gedacht haben – aber Sie können nichts anderes tun, als das Buch wieder vom Markt zu nehmen. Und bereiten Sie für das nächste Treffen unserer Vereinigung ein paar gute Entschuldigungen vor!«
»Speidell, hören Sie doch …«
Aber Speidell hatte mit solcher Vehemenz aufgelegt, daß man sein Bild noch fünfzehn Sekunden danach sah.
Erst jetzt nahm Ninheimer das Buch zur Hand und begann ganze Passagen mit einem roten Stift zu bearbeiten.
Er hatte sich bemerkenswert gut in der Gewalt, als er Easy wieder gegenübertrat. Nur seine Lippen waren blaß.
Er reichte Easy das Buch und sagte:
»Könntest du die angestrichenen Passagen auf Seite 562, 631, 664 und 690 lesen?«
Easy sah sich die markierten Stellen kurz an.
»Ja, Herr Professor Ninheimer.«
»Das stand nicht in den Originalfahnen.«
»Nein, Sir. Sie haben recht.«
»Hast du den Text so verändert, wie er gedruckt wurde?«
»Ja, Sir.«
»Weshalb?«
»Sir, die Passagen Ihrer Version taten gewissen Menschengruppen Unrecht. Ich hatte das Gefühl, man müßte sie abändern, um diesem Personenkreis zu seinem Recht zu verhelfen.«
»Wie konntest du es wagen, so etwas zu tun?«
»Herr Professor, das erste Gebot besagt, daß ich nicht untätig bleiben darf, wenn einem menschlichen Wesen Unrecht geschieht. Und wenn man Ihren Ruf unter den Soziologen und die weite Verbreitung Ihres Werkes betrachtet, muß man zu dem Schluß kommen, daß das Buch besagter Personengruppe großen Schaden zufügen würde.«
»Hoffentlich merkst du, daß du jetzt mir einen Schaden zufügst.«
»Ich mußte die Lösung wählen, bei der weniger Menschen Schaden erleiden.«
Professor Ninheimer ging wutschnaubend davon. Für ihn stand es fest, wer ihm den Schaden bezahlen mußte: Die US-Roboter-GmbH.
Auf der Verteidigerbank herrschte einige Aufregung, die sich noch verstärkte, als der Anklagevertreter fortfuhr:
»Der Roboter EZ-27 informierte Sie, daß der Grund für sein Tun im ersten Gebot für Roboter lag?«
»Das ist richtig, Sir.«
»Daß er keine andere Wahl hatte?«
»Ja, Sir.«
»Daraus folgt, daß die Roboter-GmbH einen Roboter konzipierte, der ein Buch notwendigerweise so umarbeitet, daß es seinen eigenen Anschauungen von Recht und Unrecht entspricht. Könnte man es so ausdrücken?«
Der Verteidiger erhob sofort Einspruch und gab zu bedenken, daß man von dem Zeugen eine Entscheidung verlangte, die er aus Kompetenzgründen gar nicht treffen könne. Der Richter ermahnte den Anklagevertreter mit den üblichen Worten, aber es bestand gar kein Zweifel daran, daß der Dialog Eindruck gemacht hatte. Auch auf den Verteidiger.
Der Verteidiger bat um eine kurze Pause vor dem Kreuzverhör und bekam fünf Minuten zugesprochen.
Er beugte sich zu Susan Calvin hinüber.
»Dr. Calvin, ist es möglich, daß Professor Ninheimer die Wahrheit sagt und Easy vom ersten Gebot beeinflußt wurde?«
Dr. Calvin preßte die Lippen zusammen. Dann sagte sie:
»Nein. Es ist einfach unmöglich. Der letzte Teil von Ninheimers Aussage ist glatter Meineid. Easy ist nicht dazu konstruiert, so abstrakte Dinge wie den Inhalt eines Lehrbuches über Soziologie zu beurteilen. Er wüßte gar nicht, daß gewisse Personengruppen durch so einen Satz geschädigt werden könnten. Dazu ist er nicht in der Lage.«
»Aber einem Laien werden wir das vermutlich nicht klarmachen können«, meinte der Verteidiger pessimistisch.
»Nein«, gab Dr. Calvin zu. »Der Beweis wäre zu kompliziert. Unsere Verteidigungslinie ist immer noch die gleiche. Wir müssen beweisen, daß Ninheimer lügt.«
»Gut, Dr. Calvin«, sagte der Verteidiger. »Ich verlasse mich auf Ihr Wort. Wir ändern unseren Plan nicht.«
Im Gerichtssaal nahm der Richter den Hammer in die Hand. Professor Ninheimer trat noch einmal in den Zeugenstand.
Der Verteidiger war vorsichtig. Er begann mit ruhiger Stimme:
»Dr. Ninheimer, Sie wollen sagen, daß Sie von den Änderungen des Manuskripts erst etwas merkten, als Dr. Speidell Sie am sechzehnten Juni anrief?«
»Das stimmt, Sir.«
»Haben Sie die Druckerfahnen nie in die Hand genommen, nachdem sie von Easy korrigiert wurden?«
»Anfangs schon, aber es erschien mir sinnlos. Ich verließ mich auf die Aussagen der Roboter-GmbH. Die absurden – äh – Änderungen wurden erst im letzten Teil des Buches gemacht, vermutlich nachdem der Roboter genug über die Soziologie wußte …«
»Vermutungen haben hier keinen Platz«, unterbrach der Verteidiger. »Soviel ich hörte, sah Ihr Kollege, Dr. Baker, die späteren Druckerfahnen zumindest einmal. Erinnern Sie sich an Ihre Aussage?«
»Ja, Sir. Wie ich schon sagte, hatte er eine Seite durchgesehen. Und selbst hier war ein Wort geändert.«
Wieder unterbrach der Verteidiger.
»Finden Sie es nicht eigenartig, Sir, daß Sie mehr als ein Jahr nichts von dem Roboter wissen wollten, daß Sie sich weigerten, ihn zu benutzen, daß Sie anfangs sogar gegen ihn stimmten – und daß Sie sich plötzlich dazu entschlossen, ihm Ihr Buch, Ihr Lebenswerk, in die Hände zu geben?«
»Was soll daran seltsam sein? Ich entschied lediglich, daß ich ebensogut wie die anderen die Maschine benutzen könnte.«
»Und ganz plötzlich hatten Sie solches Vertrauen zu Roboter EZ-27, daß Sie sich nicht einmal die Mühe machten, die Fahnen nachzusehen?«
»Ich sagte Ihnen doch, daß mich die – äh – Propaganda der US-Roboter-GmbH überzeugte.«
»So sehr, daß Sie Ihren Kollegen Dr. Baker zurechtwiesen, als er den Roboter überprüfen wollte?«
»Ich wies ihn nicht zurecht. Ich wollte nur nicht, daß er seine – äh – Zeit verschwendete. Zumindest dachte ich damals, daß es Zeitverschwendung sei. Ich merkte nicht, daß das Auswechseln eines Wortes ein bedeutungsvoller Hinweis war.«
Der Verteidiger wurde sarkastisch.
»Ich zweifle nicht, daß man Ihnen sagte, die Sache mit dem abgeänderten Wort zu erwähnen. Das macht sich im Protokoll immer gut.« Doch dann änderte er seinen Tonfall. Er wollte keine Ermahnung riskieren.
»Tatsache ist doch, daß Sie sehr wütend auf Doktor Baker waren.«
»Nein, Sir. Nicht wütend.«
»Sie gaben ihm keine Kopie Ihres Buches, als Sie es erhielten?«
»Reine Vergeßlichkeit. Ich habe auch der Bibliothek keines gegeben.« Ninheimer lächelte abgezirkelt. »Es heißt ja, daß Professoren sehr zerstreut sind.«
Der Verteidiger ließ sich nicht irre machen.
»Finden Sie es nicht seltsam, daß der Roboter nach einem Jahr fehlerlosen Arbeitens plötzlich Ihr Buch falsch behandelte? Das Buch des Mannes, der vor allen anderen gegen die Einstellung von EZ-27 war!«
»Mein Buch war das einzige Werk, das sich ausführlich mit dem Menschen befaßte. Und hier begannen die drei Gebote für Roboter zu wirken.«
»Dr. Ninheimer«, sagte der Verteidiger, »Sie versuchten schon einige Male den Eindruck zu erwecken, als verstünden Sie etwas von Robotern. Offensichtlich erwachte plötzlich Ihr Interesse für dieses Gebiet, und Sie holten sich aus der Bibliothek die entsprechenden Sachbücher. Das sagten Sie doch selbst aus, nicht wahr?«
»Ich holte nur ein einziges Buch, Sir. Es war das Ergebnis einer – äh – natürlichen Neugierde, möchte ich sagen.«
»Und dieses Buch vermittelte Ihnen die nötigen Fachkenntnisse, so daß Sie jetzt das Verhalten des Roboters erklären können?«
»Ja, Sir.«
»Wie günstig. Aber sind Sie sicher, daß Ihr Interesse für Roboter nicht dem Wunsch entsprang, den Roboter EZ-27 für Ihre eigenen Zwecke zu beeinflussen?«
Ninheimer wurde rot.
»Ganz bestimmt nicht, Sir.«
Der Verteidiger hob die Stimme.
»Noch eines! Sind Sie sicher, daß die angeblich geänderten Passagen nicht von Anfang an so lauteten, wie sie in dem Buch erschienen?«
Der Soziologe erhob sich.
»Das ist – äh – lächerlich! Ich habe die Fahnen …«
Das Sprechen bereitete ihm Schwierigkeiten, und der Anklagevertreter erhob sich, um geschmeidig einzuwerfen:
»Wenn Sie gestatten, Euer Ehren, so möchte ich als Beweismaterial die Druckerfahnen vorzeigen, die Dr. Ninheimer Roboter EZ-27 übergab. Zum Vergleich können Sie die Fahnen sehen, die EZ-27 an die Verleger zurückschickte. Wenn mein werter Kollege es wünscht, kann er das Material einsehen und vergleichen.«
Der Verteidiger winkte ungeduldig ab.
»Das ist nicht nötig. Mein werter Kollege kann die Fahnen zu jeder Zeit vorzeigen. Ich bin davon überzeugt, daß die Differenzen tatsächlich bestehen. Was ich hingegen gern vom Zeugen erfahren möchte, ist der Verbleib von Dr. Bakers Druckerfahnen.«
»Dr. Bakers Fahnen?«
Ninheimer runzelte die Stirn. Er hatte sich nicht ganz in der Gewalt.
»Ja, Professor! Ich meine Dr. Bakers Fahnen. Ihrer Aussage gemäß erhielt Dr. Baker eine gesonderte Kopie der Fahnen. Falls Sie plötzlich an Gedächtnisstörungen leiden sollten, liest Ihnen der Protokollführer die betreffende Stelle gern noch einmal vor. Oder kommt es nur daher, weil Professoren im allgemeinen so zerstreut sind?«
»Ich erinnere mich an Dr. Bakers Fahnen«, sagte Ninheimer.
»Sie wurden überflüssig, als die Arbeit der Maschine übergeben wurde …«
»Sie haben sie also verbrannt?«
»Nein. Ich warf sie in den Papierkorb.«
»Verbrannt oder weggeworfen – das ist kein Unterschied. Auf alle Fälle haben Sie sie vernichtet.«
»Ich durfte doch …«, begann Ninheimer schwach.
»Sie durften!« donnerte der Verteidiger. »Sie durften natürlich. Nur können wir jetzt auf keinen Fall mehr nachprüfen, ob Sie Ihre eigene Kopie durch ein besonders präpariertes Blatt ersetzten und dem Roboter zur Bearbeitung vorlegten …«
Der Anklagevertreter war aufgesprungen und erhob heftigen Einspruch. Richter Shane beugte sich vor und bemühte sich, seinem runden Gesicht den gebührenden indignierten Ausdruck zu geben.
»Herr Rechtsanwalt, haben Sie einen Beweis für Ihre soeben getroffene außergewöhnliche Behauptung?« fragte er.
»Keinen direkten Beweis, Euer Ehren«, sagte der Verteidiger ruhig. »Aber ich möchte doch herausstellen, daß die plötzliche Umwandlung des Klägers von einem Roboterfeind in einen Roboterbefürworter, sein ungewöhnliches Interesse an der Robotertechnik, seine nachlässige Behandlung der Druckerfahnen, sein Bemühen, das Buch bis zum Erscheinen geheimzuhalten, deutlich darauf hinweisen …«
»Herr Rechtsanwalt«, unterbrach der Richter ungeduldig, »hier ist kaum der Ort für solche Schlußfolgerungen. Nicht der Ankläger wird verurteilt. Ich muß Sie bitten, diese Angriffe zu unterlassen. Diese Äußerungen, wenn sie auch aus einer Notlage heraus entstanden, können Ihre Lage nur verschlechtern. Wenn Sie gerechtfertigte Fragen zu stellen haben, Herr Rechtsanwalt, so fahren Sie mit Ihrem Kreuzverhör fort. Aber ich warne Sie vor weiteren Ausfällen der eben gehörten Art.«
»Ich habe keine Fragen mehr, Euer Ehren.«
Robertson flüsterte erregt auf ihn ein, als er zu seinem Platz zurückkehrte.
»Um Himmels willen, was haben Sie nur angerichtet? Der Richter ist jetzt ganz und gar gegen Sie.«
Der Verteidiger blieb ruhig.
»Aber Ninheimer ist aus der Fassung gebracht. Wenn wir unseren morgigen Schachzug tun, ist er reif.«
Susan Calvin nickte ernst.
Der Rest verlief vergleichsweise harmlos. Dr. Baker wurde aufgerufen. Er bestätigte Dr. Ninheimers Aussage. Dr. Speidell und Dr. Ipatiew wurden gehört, und sie ließen sich in bewegten Worten über den Schock aus, den sie bei gewissen zitierten Passagen in Ninheimers Buch empfunden hatten. Beide bezeugten, daß Dr. Ninheimers Ruf als Soziologe ernsthaft gelitten hatte.
Man reichte die Druckerfahnen und ein paar fertige Exemplare des Buches herum.
Der Verteidiger verhörte an diesem Tag keine Zeugen mehr. Die Verhandlung wurde auf den nächsten Vormittag vertagt.
Zu Beginn des zweiten Tages machte der Verteidiger seinen ersten Schachzug. Er verlangte, daß man Roboter EZ-27 als Zuschauer zur Verhandlung zulassen solle.
Der Anklagevertreter erhob sofort Einspruch, und Richter Shane rief beide in den Stand.
»Das ist offensichtlich illegal«, erklärte der Anklagevertreter hitzig. »Ein Roboter hat in einem Gebäude, das der Öffentlichkeit zugänglich ist, nichts zu suchen.«
Der Verteidiger war anderer Ansicht.
»Der Gerichtssaal ist nur für Personen geöffnet, die unmittelbar mit diesem Fall zu tun haben.«
»Eine große Maschine, die nachweisbar fehlerhaft arbeitet, würde meinen Klienten und die Zeugen durch ihre bloße Anwesenheit stören. Sie würde den geordneten Gang der Verhandlung zunichte machen.«
Der Richter schien sich auf seine Seite zu stellen. Er wandte sich an den Verteidiger und sagte ziemlich kühl:
»Welche Gründe haben Sie für Ihren Antrag?«
»Wir wollen beweisen, daß sich Roboter EZ-27 aufgrund seiner Konstruktion unmöglich so verhalten konnte, wie es bisher beschrieben wurde. Es wird sich als nötig erweisen, dies anhand einiger Demonstrationen zu bekräftigen.«
Der Anklagevertreter schaltete sich wieder ein.
»Das sehe ich nicht ein, Euer Ehren. Demonstrationen durch Angestellte der Roboter-GmbH dürften wenig wert sein, wenn die Firma die beklagte Partei ist.«
»Euer Ehren«, wandte der Verteidiger ein, »die Entscheidung darüber, was die Demonstrationen wert sind, liegen meiner Meinung nach beim Gericht und nicht beim Anklagevertreter.«
Richter Shane, der seine Vorrechte angetastet sah, nickte.
»Sie haben recht. Allerdings bringt die Gegenwart eines Roboters schwerwiegende rechtliche Entscheidungen mit sich.«
»Gewiß nichts, Euer Ehren, das die Voraussetzungen für ein gerechtes Verfahren in Frage stellt. Wenn der Roboter nicht anwesend ist, wird unsere einzige Verteidigung hinfällig.«
Der Richter überlegte.
»Es bleibt die Frage, wie der Roboter hierhertransportiert werden soll.«
»Mit diesem Problem ist die US-Roboter-GmbH vertraut. Vor dem Gerichtsgebäude parkt ein Lastwagen, der den Vorschriften zur Beförderung von Robotern entspricht. Roboter EZ-27 befindet sich in diesem Laster. Er ist in einer Kiste verpackt und wird von zwei Männern bewacht. Die Türen des Lasters sind abgesichert. Auch sonst hat man alle nötigen Vorsichtsmaßnahmen getroffen.«
Richter Shanes Laune verschlechterte sich wieder.
»Sie scheinen sicher zu sein, daß das Gericht in diesem Fall zu Ihren Gunsten entscheiden wird.«
»Aber nein, Euer Ehren. Wenn der Antrag abgelehnt wird, fährt der Laster zurück. Ich wollte Ihrer Entscheidung keinesfalls vorgreifen.«
Der Richter nickte.
»Dem Verlangen der Verteidigung wird stattgegeben.«
Man brachte die Kiste auf einem großen Karren herein, und die beiden Männer, die den Transport begleitet hatten, öffneten sie. Im Gerichtssaal war es sehr still.
Susan Calvin wartete, bis die dicken Kunststoffschichten gefallen waren. Dann streckte sie eine Hand aus.
»Komm, Easy!«
Der Roboter sah in ihre Richtung und streckte seinen langen Metallarm aus. Er war einen halben Meter größer als sie, aber er folgte ihr brav.
Easy setzte sich vorsichtig in einen großen Stuhl, den der Gerichtsdiener gebracht hatte. Das Holz knarrte verdächtig, aber es hielt.
Der Verteidiger begann:
»Ich möchte meinen ersten Zeugen vernehmen. Professor Simon Ninheimer, bitte.«
Der Protokollführer zögerte und sah den Richter an. Richter Shane fragte mit sichtlicher Überraschung:
»Sie rufen den Kläger als Ihren Zeugen auf 7«
»Ja, Euer Ehren.«
»Ich hoffe, Sie sind sich im klaren darüber, daß Sie ihn als Ihren Zeugen keineswegs ins Kreuzverhör nehmen können, wie Sie es mit einem gegnerischen Zeugen tun könnten.«
Der Verteidiger lächelte höflich.
»Mein einziges Ziel ist, die volle Wahrheit zu erfahren. Ich werde nicht mehr als ein paar höfliche Fragen stellen.«
»Gut«, sagte der Richter zweifelnd. »Es ist schließlich Ihr Fall. Rufen Sie den Zeugen auf.«
Ninheimer trat in den Zeugenstand und wurde darüber belehrt, daß er immer noch unter Eid stand. Er wirkte nervöser als am Vortag – fast ängstlich.
Aber der Verteidiger sah ihn wohlwollend an.
»Herr Professor Ninheimer, Sie fordern von meinem Klienten eine Summe von 750 000 Dollar.«
»Das ist – äh – die Summe. Ja.«
»Viel Geld, nicht wahr?«
»Ich erlitt auch einen großen Schaden.«
»So groß wie die Summe war er sicher nicht. Es geht lediglich um ein paar Passagen in einem Buch. Vielleicht waren sie etwas unglücklich gewählt, aber schließlich kommt es immer wieder vor, daß in Büchern eigenartige Dinge stehen.«
Ninheimers Nasenflügel bebten.
»Sir, dieses Buch sollte der Gipfelpunkt meiner Karriere sein! Statt dessen degradiert es mich zu einem unfähigen Stümper, zu einem Mann, der die Ansichten seiner Freunde und geschätzten Kollegen verdreht und der lächerliche und – äh – altmodische Standpunkte vertritt. Mein Ruf als Soziologe ist unwiederbringlich zerstört. Ich kann meine berufliche Laufbahn nicht fortsetzen, obwohl sie mein ganzer Lebensinhalt war. Der Zweck meiner Existenz wurde – äh – vernichtet.«
Der Verteidiger machte keinen Versuch, die Rede zu unterbrechen. Er sah geistesabwesend seine Fingernägel an. Dann meinte er besänftigend:
»Aber, Herr Professor Ninheimer, Sie konnten doch gewiß nicht hoffen, daß Sie für den Rest Ihres Lebens – seien wir großzügig – mehr als 150 000 Dollar verdient hätten. Und dennoch verlangen Sie vom Gericht, daß man Ihnen die fünffache Summe auszahlt.«
Professor Ninheimers Erregung steigerte sich noch. Er sagte leidenschaftlich:
»Mein Ruf ist nicht nur zu meinen Lebzeiten ruiniert. Ich weiß nicht, wie viele Generationen von Soziologen mit dem Finger auf mich deuten und mich als Verrückten hinstellen werden. Meine wirklichen Erkenntnisse wird man gar nicht lesen. Ich bin nicht nur vor meinem Tode ruiniert, sondern auch in alle Zukunft, denn es wird immer Menschen geben, die nicht glauben, daß der Roboter diese Stellen eingefügt hat …«
In diesem Augenblick erhob sich Roboter EZ-27. Susan Calvin versuchte nicht, ihn daran zu hindern. Sie saß reglos da und starrte geradeaus. Der Verteidiger stieß einen leichten Seufzer aus.
Easys melodische Stimme war klar und deutlich. Er sagte:
»Ich würde gern allen Anwesenden mitteilen, daß ich tatsächlich einige Passagen in die Druckerfahnen einfügte, die genau im Gegensatz zu dem zu stehen schienen, was zuerst …«
Selbst der Anklagevertreter war zu verblüfft von dem mehr als zwei Meter großen Roboter, der sich an das Hohe Gericht wandte, als daß er Einspruch erhoben hätte.
Als er wieder zu sich kam, war es zu spät. Denn Ninheimer sprang mit erregtem Gesichtsausdruck auf.
»Verdammt, du hattest den Befehl, zu schweigen, zu schweigen, verstehst du …«
Er verschluckte die restlichen Worte und stöhnte. Easy schwieg ebenfalls.
Der Anklagevertreter war vorgetreten und verlangte den Abbruch der Verhandlung.
Richter Shane klopfte verzweifelt mit dem Hammer auf den Tisch.
»Ruhe! Ruhe! Selbstverständlich besteht Grund zum Abbruch der Verhandlung, aber aus Gerechtigkeitsgründen möchte ich doch, daß Professor Ninheimer seine Worte zu Ende spricht. Ich habe ganz deutlich gehört, daß er sagte, dem Roboter sei befohlen worden, über irgend etwas zu schweigen. Von irgendwelchen Befehlen dieser Art war in Ihrer Aussage nichts enthalten!«
Ninheimer starrte wortlos den Richter an.
Richter Shane fuhr fort:
»Haben Sie Roboter EZ-27 befohlen, über etwas zu schweigen? Und wenn, was war es?«
»Euer Ehren …«, begann Ninheimer heiser.
Die Stimme des Richters wurde scharf.
»Haben Sie tatsächlich den Befehl erteilt, die fraglichen Passagen zu ändern, und dann dem Roboter befohlen, über die Änderungen Stillschweigen zu bewahren?«
»Ach, was soll es denn? Ja! Ja!«
Und er drehte sich um und verließ fluchtartig den Zeugenstand. An der Tür hielt ihn der Gerichtsdiener auf und brachte ihn zurück zur Anklägerbank.
Richter Shane ergriff das Wort.
»Es ist mir klar, daß der Roboter EZ-27 aus einem bestimmten Grund hierhergebracht wurde. Wenn uns der Trick nicht dazu verholfen hätte, ein schwerwiegendes Fehlurteil zu verhindern, müßte ich den Verteidiger moralisch verurteilen. Es steht nun über jeden Zweifel fest, daß der Kläger einen mir völlig unverständlichen Betrug begangen hat, insbesondere, da er durch den Prozeß sein ganzes berufliches Ansehen verloren hat …«
Das Urteil fiel selbstverständlich zugunsten der Beklagten aus.
Dr. Susan Calvin hatte sich bei Dr. Ninheimer, der in einer Junggesellenwohnung des Universitätshauses lebte, angemeldet. Der junge Ingenieur, der sie hergefahren hatte, bot ihr an, mit ihr nach oben zu gehen, aber sie sah ihn verächtlich an.
»Sie glauben doch nicht, daß er mich angreifen wird? Warten Sie hier unten.«
Ninheimer war nicht in der Stimmung, irgend jemanden anzugreifen. Er packte. Offenbar wollte er möglichst schnell von hier fort, noch bevor das Urteil an die Öffentlichkeit drang.
Er sah Dr. Calvin mit einem seltsam trotzigen Ausdruck an und sagte:
»Sind Sie gekommen, um mir zu sagen, daß Sie eine Gegenklage einreichen werden? Es wird Ihnen nichts einbringen. Ich habe kein Geld, keine Arbeit, keine Zukunft. Ich kann nicht einmal die Verhandlungskosten bezahlen.«
»Wenn Sie Mitleid suchen, sind Sie bei mir an der falschen Stelle«, sagte Dr. Calvin kühl. »Sie haben sich die Sache selbst zuzuschreiben. Aber wir werden keine Gegenklage stellen, weder gegen Sie noch gegen die Universität. Wir werden sogar unser Möglichstes tun, damit Sie nicht wegen Meineids ins Gefängnis kommen. Rachsüchtig sind wir nicht.«
»Ah, ich hatte mich schon gefragt, weshalb man mich nicht verhaftete.« Er lächelte bitter. »Aber weshalb sollten Sie auch rachsüchtig sein? Sie haben bekommen, was Sie wollten.«
»Einiges, ja«, sagte Dr. Calvin. »Die Universität will Easy weiterhin zu einer höheren Miete beschäftigen. Dazu kommt eine gewisse Flüsterpropaganda des Falles, die uns dazu verhelfen wird, noch ein paar EZ-Modelle loszuwerden.«
»Und weshalb sind Sie zu mir gekommen?«
»Weil ich noch nicht alles habe, was ich möchte. Ich will wissen, weshalb Sie Roboter derart hassen. Selbst wenn Sie die Verhandlung gewonnen hätten, wäre Ihr Ruf für immer dahin gewesen. Das Geld, das Sie bekommen hätten, wäre dafür bestimmt kein Ausgleich gewesen. Vielleicht die Befriedigung, daß Sie die Roboter ruiniert hatten?«
»Seit wann interessieren Sie sich für menschliche Psychologie, Dr. Calvin?« fragte Ninheimer mit bitterem Spott.
»Sie interessiert mich nur insofern, wie sie das Wohlergehen meiner Roboter betrifft. Aus diesem Grund habe ich mich ein wenig mit ihr beschäftigt.«
»Genug, um mich hereinzulegen!«
»Das war nicht schwer«, sagte Dr. Calvin nüchtern. »Schwierig war es nur, die Sache so anzupacken, daß Easy dabei nicht beschädigt wurde.«
»Es sieht Ihnen ähnlich, daß Sie sich um eine Maschine mehr sorgen als um einen Menschen.« Er sah sie verächtlich an.
»Das scheint nur so, Professor Ninheimer. Nur wenn man sich ernsthaft um Roboter sorgt, sorgt man sich auch um den Menschen des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Das würden Sie verstehen, wenn Sie sich eingehender mit Roboterwissenschaft befaßt hätten.«
»Mir reicht es. Ich will kein Roboterwissenschaftler sein!«
»Verzeihen Sie, Sie haben ein einziges Buch über Roboterwissenschaften gelesen. Sie haben nicht das geringste daraus gelernt. Gewiß, Sie erfuhren, daß man einem Roboter viele Befehle geben kann – unter anderem den Befehl, ein Buch zu verfälschen. Sie erfuhren genug, um zu wissen, daß Sie. ihm nicht den Befehl zum Vergessen geben konnten, ohne daß wir es gemerkt hätten. Aber Sie dachten, Sie könnten ihn mit Sicherheit zum Schweigen verpflichten. Das war falsch.«
»Haben Sie durch sein 5chweigen die Wahrheit erraten?«
»Ich habe nichts erraten. Sie waren ein Amateur und konnten Ihre Spuren nicht völlig verwischen. Mein einziges Problem war es, auch dem Richter den Beweis zu liefern. Und Sie waren freundlich genug, uns dabei zu helfen. Durch Ihre Unkenntnis.«
»Ist diese Unterhaltung wirklich sinnvoll?« fragte Ninheimer müde.
»Für midi schon«, sagte Susan Calvin. »Denn ich möchte Ihnen klarmachen, wie sehr Sie die Roboter mißverstanden haben. Sie haben Easy zum Schweigen gebracht, indem Sie ihm erzählten, daß Sie Ihre Arbeit verlieren würden, wenn er etwas von der Abänderung des Buches verraten würde. Das schuf ein gewisses Potential in Easy, und es war stark genug, um unseren Bemühungen zu widerstehen. Wenn wir darauf bestanden hätten, wäre sein Gehirn beschädigt worden.
Im Zeugenstand jedoch haben Sie ein noch höheres Gegenpotential aufgerichtet. Sie sagten, daß Sie weit mehr als Ihre Arbeit verlieren würden, weil die Leute glaubten, daß Sie und nicht der Roboter die Stellen eingefügt hätten. Sie sagten, daß Ihr Ruf, Ihr Ansehen, Ihr Lebenszweck ruiniert seien. Sie sagten, daß man Sie noch nach Ihrem Tod verachten würde. Sie stellten damit ein höheres Potential auf – und Easy redete.«
»Mein Gott!« Ninheimer wandte den Kopf ab.
Dr. Calvin war unerbittlich.
»Verstehen Sie, weshalb er redete? Nicht um Sie anzuklagen, sondern um Sie zu verteidigen] Es kann mathematisch nachgewiesen werden, daß er im Begriff war, die ganze Schuld auf sich zu nehmen. Das erste Gebot verlangte es. Er wollte lügen – und damit sich selbst beschädigen. Er wollte der Gesellschaft finanziellen Schaden zufügen. Das bedeutete ihm alles weniger als Ihre Rettung. Wenn Sie wirklich etwas von Robotern verstanden hätten, hätten Sie ihn weitersprechen lassen. Aber ich war sicher, daß Sie nichts davon verstanden, und ich garantierte es dem Verteidiger. In Ihrem Haß auf Roboter gingen Sie von der Annahme aus, daß Easy wie ein Mensch handeln und sich auf Ihre Kosten verteidigen würde. So brüllten Sie ihn in Ihrer Angst an – und vernichteten sich selbst.«
Ninheimer sah sie an und sagte mit Nachdruck:
»Ich hoffe, daß sich eines Tages Ihre Roboter gegen Sie wenden und Sie umbringen.«
»Seien Sie nicht albern«, sagte Dr. Calvin. »Und jetzt würde ich noch gern hören, weshalb Sie das alles getan haben.«
Ninheimer verzog das Gesicht zu einem humorlosen Grinsen. »Ich soll mich wohl vor Ihnen sezieren, damit Ihre wissenschaftliche Neugier befriedigt wird? Dafür sichern Sie mir Straffreiheit zu.«
»Denken Sie, was Sie wollen«, sagte Dr. Calvin ausdruckslos. »Aber reden Sie.«
»Damit Sie in Zukunft Angriffe gegen Roboter noch besser unterbinden können? Angriffe, die weniger dilettantisch als der meine durchgeführt sind?«
»Nehmen wir es einmal an.«
»Gut, ich werde es Ihnen sagen«, erklärte Ninheimer. »Aber ich freue mich schon jetzt, weil es Ihnen nichts nützen wird. Denn von menschlichen Beweggründen verstehen Sie nichts. Sie verstehen nur Ihre verdammten Maschinen, weil Sie selbst eine Maschine aus Haut und Knochen sind.«
Er atmete schwer. Dann sprudelte er seine Worte hervor, ohne die Formulierung wie bisher genau abzuwägen. Die Präzision schien ihm gleichgültig geworden zu sein.
»Seit zweihundertfünfzig Jahren verdrängt die Maschine den Menschen. Sie ruiniert den Handwerker. Große Pressen spucken Töpferwaren aus. Statt Kunstwerken wird uns billiges Zeug in tausendfachen Reproduktionen geliefert. Nennen Sie es Fortschritt, wenn Sie wollen! Der Künstler muß sich an Abstraktionen halten, er wird in die Gedankenwelt verbannt. Er entwirft etwas – und alles andere führt die Maschine aus.
Glauben Sie, daß dem Töpfer der Entwurf genügt? Glauben Sie, der Gedanke allein befriedigt? Daß der Ton in der Hand nichts bedeutet, das langsame Wachsen des Werkes, wenn Hand und Verstand zusammenarbeiten? Glauben Sie nicht, daß die Handarbeit den Gedanken neue Impulse gibt?«
»Sie sind kein Töpfer«, sagte Dr. Calvin.
»Ich bin ein schaffender Künstler! Ich entwerfe und forme Artikel und Bücher. Das ist mehr als das reine Ausdenken von Worten und Sätzen. Wenn es nicht mehr bieten würde, fände ich kein Vergnügen daran.
Ein Buch soll in den Händen des Schreibers Form annehmen. Man muß sehen, wie die Kapitel wachsen und sich entwickeln. Man muß arbeiten und überarbeiten und zusehen können, wie selbst die ursprüngliche Idee verändert wird. Man nimmt die Druckerfahnen in die Hand und urteilt, wie die Sätze im Druck aussehen, um sie dann noch einmal umzuformen. Es gibt hundertfache Beziehungen zwischen dem Menschen und seinem Werk – in jedem Stadium des Wachsens. Und diese Beziehung ist die Belohnung für die Arbeit. Etwas Schöneres gibt es nicht. Und Ihr Roboter nimmt uns das alles.«
»Die Schreibmaschine auch. Oder die Druckerpresse. Möchten Sie etwa zu handkolorierten Manuskripten zurückkehren?«
»Schreibmaschinen und Druckerpressen nehmen einen Teil weg, aber Ihr Roboter würde uns alles rauben. Er übernimmt die Korrektur. In Kürze gibt es andere Roboter, die das Schreiben übernehmen, die die Quellen heraussuchen und überprüfen, die vielleicht selbständig Schlüsse daraus ziehen. Wo käme dann der Gelehrte hin? Was bliebe ihm noch? Nur die trockene Entscheidung, was für Befehle der Roboter bekommen soll. Ich will die zukünftigen Generationen von Gelehrten vor einer solchen Hölle bewahren. Das war mir mehr wert als mein eigener Ruf, und deshalb entschloß ich mich, mit allen Mitteln die Roboter-GmbH zu vernichten.«
»Es mußte Ihnen mißlingen«, sagte Susan Calvin.
»Aber ich mußte es versuchen.«
Dr. Calvin ging hinaus. Sie gab sich alle Mühe, für den gebrochenen Mann kein Mitleid zu empfinden.
Aber es gelang ihr nicht ganz.