Schiff ahoi

Ende September 1619
Obwohl Alyss nach dem ereignisreichen Tag und der noch abenteuerlicheren Nacht am liebsten zu Jack gelaufen wäre, um ihm zu berichten, dass der Freund ihres Vaters tatsächlich kein Zauberer, sondern ein liebenswerter alter Mann war, hatte sie sich gedulden müssen. Sir Christopher wollte erst sichergehen, dass Master Milton keinen Schaden mehr anrichten konnte. Nachdem Joan im Zimmer des Assistenten gestohlene Wertsachen gefunden hatte, wurde beschlossen, ihn der Wache auszuliefern. Da Milton jedoch immer noch überzeugt war, dass der Teufel hinter ihm her war, brachte ihn die Wache zu den Irren nach Bedlam. Wenigstens brauchte Alyss sich nicht mehr vor ihm zu fürchten. Auch Onkel Humphrey und die anderen Verfolger stellten keine Gefahr mehr dar, denn für sie galt der Salamander als verloren. Keiner wusste, dass Jack ihn Alyss wiedergegeben hatte. Erst am folgenden Tag erlaubte Sir Christopher ihr dann, zusammen mit dem Indianer Molls Pfandhaus aufzusuchen. Doch Jack war bereits in der Stadt unterwegs gewesen. Nur ein Junge mit Stoppelhaaren hockte mit baumelnden Beinen auf dem Ladentisch und mischte einen Stapel Karten. Zwar versprach er, Jack auszurichten, dass Alyss für eine Weile im Haus an der Themse wohnen würde und er sie dort jederzeit besuchen könnte, doch Jack tauchte nie dort auf.
Der Indianer dagegen schaute regelmäßig jeden Morgen vor der Vorstellung vorbei. Er brachte Pfeil und Bogen mit, und wenn es nicht gerade regnete, verbrachten sie die Zeit im Garten. Meist gesellte sich Sir Christopher zu ihnen. Während Sassa Alyss zeigte, wie man den Bogen spannte, einen Pfeil anlegte und ein Ziel anpeilte, stellte ihm der alte Herr unersättlich Fragen, die der Indianer nur allzu gerne beantwortete.
Ob die Powhatans Städte hatten, wie ihre Behausungen aussahen, wie sie sich ernährten, an was sie glaubten, welche Geschichten sie ihren Kindern erzählten und wie sie Verbrecher bestraften. Sir Christopher und das Mädchen erfuhren, dass es in der Neuen Welt, vor der Ankunft der Fremden, keine Pferde gegeben hatte, auch keine Karren und Kutschen. Stattdessen reiste man zu Fuß oder in Kanus aus Baumstämmen, mit denen man auf den Flüssen und Seen schnell vorwärtskam. Sassa berichtete, wie er in den Wäldern Hirsche jagte und in den Gewässern Hechte fing. Besonders fasziniert war Alyss von den goldenen Körnern, die, wenn man sie über dem Feuer röstete, explodierten und sich in köstlich schmeckende, federleichte Bällchen verwandelten. Sir Christopher machte sich ständig Notizen und fragte Sassa immer wieder, wie bestimmte Worte in seiner Sprache lauteten. Auch Joan gesellte sich hin und wieder dazu und lauschte den Berichten. Oft brachte sie ein Tablett voll frisch gebackenem Gewürzkuchen, Wein für die Männer und einen Becher Milch für das Mädchen mit.
Wie in jener Nacht im Jahrmarktszelt, als Sassa Alyss erstmals von seiner Heimat berichtet hatte, fiel ihr auch jetzt auf, wie sich seine Augen immer wieder mit Sehnsucht füllten, wenn er von Virginia sprach. Sassa vermisste seine Familie, genauso wie sie ihren Vater. Mit der Zeit begann sie einen Plan zu schmieden. Sie würde den Salamander verkaufen, um für Sassa eine Überfahrt nach Virginia zu finanzieren. Sosehr sie den neuen Freund auch vermissen würde, wusste sie, dass er sich dort viel wohler fühlen würde als in England.
Auch Donnerstagmorgen verbrachten sie im Garten. Es war ein strahlender Herbsttag. Die Blätter der Obstbäume hatten bereits angefangen, sich zu verfärben, doch noch fühlte sich die Sonne warm genug an, um ohne Mantel im Freien zu sein. Sir Christopher saß in seinem Lehnstuhl, den Joan in den Garten getragen hatte, Sassa hockte im Schneidersitz neben ihm auf dem Boden. Inzwischen hatte Alyss gute Fortschritte mit Pfeil und Bogen gemacht. Ihr war es sogar schon mehrmals gelungen, die Mitte der Zielscheibe, die sie am Apfelbaum befestigt hatten, zu treffen. Gerade legte sie wieder einen Pfeil an, streckte den Bogenarm, wie Sassa es ihr gezeigt hatte, und begann die Sehne zu spannen.
»Würdet Ihr es in Betracht ziehen, Eure Arbeit bei den Schaustellern aufzugeben und für mich zu arbeiten?«, hörte sie Sir Christopher in genau diesem Moment Sassa fragen.
Der Pfeil schwirrte durch die Luft, doch dieses Mal verpasste er das Ziel und landete auf dem Boden neben der seitlichen Pforte. Hatte sie richtig gehört?
»Ich habe meinem guten Freund Ralph Sinclair einst versprochen, mich um seine Tochter zu kümmern«, fuhr er fort. »Allerdings bin ich ein alter Mann. Ich brauche jemanden, dem ich trauen kann, um auf das Mädchen aufzupassen. Es wäre sicher ganz im Sinne von Ralph, einen Mann aus Virginia einzustellen, und ich würde Euch gut entlohnen.«
Alyss blickte fassungslos von Sir Christopher zu Sassa. Wollte er tatsächlich den Indianer als ihren persönlichen Schutz anheuern? Und wie würde Sassa antworten. Sie hielt gespannt den Atem an.
»Ich nehme Euer Angebot gerne an«, kam Sassas Antwort.
»Und was ist mit Master Tubney?« Alyss traute ihren Ohren immer noch nicht.
»Der muss sich einen neuen Menschenfresser suchen.«
Alyss flog zuerst Sir Christopher, danach Sassa um den Hals. Der alte Mann lächelte. Doch dann wurde er ernst.
»In Zukunft wird das Mädchen allerdings nicht den ganzen Tag mit Jungenspielen verbringen können.« Mit einer leichten Kopfbewegung deutete er auf den Bogen. »Ich werde mich nach einer Gouvernante für sie umsehen, damit ihr jemand beibringen kann, wie man sich als Dame benimmt.«
Weitere Pläne wurden besprochen. Schon in zwei Tagen würden sie nach Hatton Hall aufbrechen. Sir Christophers Anwalt hatte es tatsächlich in der kurzen Zeit geschafft, Onkel Humphrey und seine Familie aus dem Haus zu verjagen und das alte Personal wieder einzustellen. Alyss konnte es kaum fassen – sie würde nach Hause zurückkehren und Beth, Thomas und ihre geliebten Bücher wiedersehen. Alles würde fast wie früher sein. Da fiel ihr Jack ein. Automatisch griff sie nach dem Salamander, der jetzt an einem Samtband um ihren Hals hing. Sir Christopher hatte am Schwanz eine kleine Öse anbringen lassen, damit sie ihn als Anhänger benutzen konnte.
»Könnten wir es morgen früh noch einmal bei Jack versuchen?«, fragte sie. Obwohl der Junge sie nicht besucht hatte, wollte sie ihm doch berichten, dass sich alles zum Guten gewendet hatte.
Doch als sie dann am nächsten Morgen mit Sassa zum Pfandhaus ging, kam ihr schon wieder der Junge mit der kurzen Stoppelfrisur entgegen. Jack war nicht zu Hause. Alyss konnte ihre Enttäuschung kaum verbergen. Hatten sich ihre Wege tatsächlich nur flüchtig gekreuzt und würden sie ab jetzt wieder entgegengesetzte Richtungen einschlagen? Schade! Sie hätte den Jungen so gerne wenigstens noch einmal kurz gesehen. Doch das Schicksal schien es anders zu wollen.
Wenige Tage später betrat Alyss die Bibliothek in Hatton Hall. Es roch immer noch nach Leder und Druckfarbe. Zufrieden sah sie sich im Raum um. Vaters Landkarten, die die Jungen damals über den Boden verstreut hatten, steckten wieder ordentlich aufgerollt in ihrer Truhe. Beth hatte Staub gewischt und den Boden blitzblank geputzt. War es tatsächlich erst drei Wochen her, dass sie im Priesterloch hinter dem Bücherregal gekauert und zuerst George und seine Brüder, danach Onkel Humphrey und seinen Häscher belauscht hatte? Drei Wochen, in denen sie von einem Abenteuer ins nächste gepurzelt war ... Inzwischen wusste sie, dass der geheimnisvolle Häscher ein Londoner Tabakhändler war. Er hatte in der Stadt Kinder eingefangen, um sie in der Neuen Welt gegen Tabak einzutauschen. Sir Christopher hatte zwar alles darangesetzt, den Mann zu verhaften, doch er leugnete die Anschuldigungen. Sie hatten keine Beweise, und Straßenkinder galten nicht als Zeugen. Deswegen lief er immer noch auf freiem Fuß herum. Alyss brauchte den Häscher jedoch nicht mehr zu fürchten. Hier in Hatton Hall fühlte sie sich endlich wieder sicher und außerdem würde Sassa auf sie achtgeben. Auch Sir Christopher und Joan würden nicht sofort nach London zurückkehren. Sie würden erst abreisen, sobald die neue Gouvernante eingetroffen war.
Alyss blickte auf die Bücherregale, die jede freie Stelle der Wände von Vaters Bibliothek bedeckten, dann ging sie zielstrebig auf das Regal neben dem Kamin zu. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und reichte zum fünften Regalbrett hoch. Allerdings tastete sie dieses Mal nicht nach dem Hebel, der die Geheimtür öffnete. Sie hatte nicht die Absicht, sich wieder im Priesterloch zu verstecken, sondern griff nur nach einem Buch, von dem sie wusste, dass es dort stand. Es war eines von Vaters Lieblingsbüchern gewesen, und auch sie hatte sich die Illustrationen früher oft angesehen.
»Ein kurzer und wahrer Bericht über das neu entdeckte Land von Virginia von Thomas Harriot«, las sie laut vor, obwohl sie allein in der Bibliothek war. Sir Christopher und Sassa unterhielten sich in Vaters Arbeitszimmer, und Joan half Beth in der Küche, das Abendessen zuzubereiten. Sie blätterte durch die Seiten, und schon hatte sie gefunden, was sie suchte. Auf dem Blatt waren zwei Männer abgebildet. Sie waren mit Pfeil und Bogen bewaffnet, trugen Lendenschurze und Federn im Haar. Es handelte sich um Powhatan-Indianer. Auch auf den anderen Abbildungen konnte man Indianer sehen. Da war eine Frau mit einem kleinen Mädchen, das eine Puppe in der Hand hielt; Männer, die Fische über einem Feuer räucherten; ein Dorf mit einem Palisadenzaun; fruchtbare Felder ... Sie musste Sassa das Buch unbedingt zeigen.
Ein Geräusch ließ sie auffahren. Das Fenster klirrte leise, doch es war nur der Herbstwind, der dagegenblies. Es hatte zu regnen angefangen, genau wie in jener Nacht vor drei Wochen, als sie überstürzt aus Hatton Hall geflohen war. Wieder erklang ein Geräusch. Dieses Mal kam es von der Eingangshalle. Jemand hatte an die Tür geklopft. Kurz darauf drangen aufgeregte Stimmen nach oben. Joan kam in die Bibliothek gestürmt.
»Alyss!«, rief sie aufgeregt. »Komm schnell nach unten. Da ist ein Bote mit einem Brief von deinem Vater.«
Ralph Sinclair war am Leben. Er war immer noch zu schwach, die Schiffsreise nach Europa auf sich zu nehmen, doch das Meer hatte ihn nicht verschluckt. In seinem Brief schrieb er, dass er an Land geschwemmt worden war, nachdem sein Boot Schiffbruch erlitten hatte. Für eine Weile hatte er sein Gedächtnis verloren, doch die Erinnerungen waren nach und nach zurückgekehrt. Jetzt wollte er, dass seine Tochter zu ihm nach Amerika segelte. Sein alter Freund Kapitän Hobart, der den Brief des Vaters nach England gebracht hatte, würde schon in wenigen Tagen wieder lossegeln und Alyss sollte mit ihm mitfahren. Sassa, hatte Sir Christopher entschieden, würde sie begleiten. Die Gouvernante, die am nächsten Tag in Hatton Hall ankommen sollte, würde wieder nach Hause geschickt werden, und Alyss und Sassa fuhren mit Sir Christopher und Joan zurück nach London. Beth und Thomas würden sich während ihrer Abwesenheit um das Herrenhaus kümmern. Alles geschah so schnell, dass Alyss meinte zu träumen.
Am Tag vor ihrer Abreise wollte sie es dann noch ein letztes Mal bei Jack versuchen. Doch heute war der Laden geschlossen, die Fenster und Türen mit Brettern vernagelt. Alles sah verlassen aus. Selbst die drei eisernen Kugeln über der Ladentür waren verschwunden.
»Alyss? Bist du das?« Rose mit den langen Zöpfen war aus dem Laden nebenan getreten. Sie hatte Alyss und Sassa vor dem Pfandhaus entdeckt. Die beiden Mädchen umarmten sich. Hinter Rose war ein kleiner Junge aufgetaucht, der unsicher auf seinen Beinen wackelte.
»Das ist Bobby«, stellte sie ihren kleinen Bruder vor. »Er hat vor zwei Tagen laufen gelernt.«
»Dann hast du es doch nicht versäumt«, lächelte Alyss. Sie konnte sich noch daran erinnern, wie das Mädchen ihr im dunklen Schiffsbauch von seinem kleinen Bruder erzählt hatte.
»Anne!«, rief Rose jetzt. »Guck mal, wer hier ist.«
Einen Augenblick später tauchte die schüchterne Anne in der Ladentür auf.
»Alyss«, rief auch sie erstaunt. »Was machst du denn hier?«
»Das Gleiche könnte ich dich fragen«, erwiderte Alyss, nachdem sie auch Anne umarmt hatte.
»Roses Eltern haben mich aufgenommen«, erklärte sie mit strahlendem Gesicht. »Ich mache das Haus für sie sauber und helfe in der Werkstatt.«
»Und wie geht’s dir?«, wollte Rose wissen. »Hast du deinen Onkel aus eurem Haus vertreiben können?«
Doch Alyss hatte für lange Schilderungen keine Zeit. »Ich muss unbedingt mit Jack sprechen«, erklärte sie.
»Jack? Der wohnt hier nicht mehr.«
»Was ist passiert?« Sie schaute die beiden Mädchen erschrocken an.
Rose warf Anne einen Blick zu. »Moll wurde verhaftet«, erklärte sie. »Sie haben das ganze Haus ausgeräumt. Die Mädchen und die Jungs haben sich fast alle ’ner Bande im Hafen angeschlossen.«
Alyss war enttäuscht. Wieso hatte Jack ihr nicht gesagt, dass er umgezogen war? Von Billingsgate war es doch nur ein kurzes Stück zum Haus an der Themse.
»Dann weißt du sicher auch noch nicht, was Jack vorhat.« Rose verfolgte Bobby liebevoll mit den Augen. »Stell dir vor, er hat ’ne heiße Spur zu seinem Bruder. Der Junge ist schon vor mehreren Wochen mit ’ner Ladung geklauter Kinder in die Neue Welt verschleppt worden.«
Alyss starrte Rose mit offenem Mund an. »Wirklich?«
Rose nickte. »Und jetzt will Jack unbedingt hinterher. Er wollte auf ’nem Schiff als Schiffsjunge anheuern. Das ist schon ’n paar Tage her, dass Maggie mir das erzählt hat. Keine Ahnung, ob er noch in London ist.« Bobby stolperte, begann zu schwanken und landete schließlich auf seinem Hinterteil.
»Ich werde morgen früh auch in die Neue Welt segeln«, verkündete Alyss, als sie ihre Worte wiedergefunden hatte.
»Was?« Jetzt staunten Rose und Anne. Bobby begann zu weinen, und die ältere Schwester hob ihn hoch und wiegte ihn auf den Armen hin und her.
»Aber was willst du denn in der Neuen Welt? Dort verwenden sie Kinder nur als Sklaven. Das weißt du doch.«
»Macht euch um mich keine Sorgen«, beruhigte sie die beiden Mädchen. »Sassa kommt mit mir. Er wird mich beschützen.« Danach erkundigte sie sich, wo man die Hafenbande finden konnte. Wenn es tatsächlich stimmte, dass Jack sich nach Amerika einschiffen wollte, musste Alyss umso dringender mit ihm sprechen. Kapitän Hobart konnte sicher noch einen Schiffsjungen gebrauchen.
»Maggie kommt manchmal hier vorbei«, bot Rose an, »da kann ich’s ihr ausrichten. Falls Jack noch in der Stadt ist, wird er’s sicher erfahren.«
Anschließend verabschiedete Alyss sich von den beiden Mädchen und ging mit Sassa ein letztes Mal zurück zum Haus an der Themse.
Im Morgengrauen stand sie dann neben dem Indianer an der Reling von Kapitän Hobarts Schiff. Da es nicht wie die Magpie im Hafenbecken, sondern direkt neben der Mole vor Anker lag, konnte sie die Menschen auf der Kaimauer deutlich erkennen. Beth und Thomas waren gekommen, um sich zu verabschieden. Sir Christopher stand daneben. Joan hatte Tränen in den Augen, die sie mit einem Zipfel ihres Schultertuchs immer wieder wegwischte. Hector und Aurelia hatten es nicht geschafft. Sie waren längst mit Master Tubney zur nächsten Kirmes weitergezogen. Alyss musste an Jack denken. Sie hatten überall in der Stadt Botschaften für den Jungen hinterlassen, dass er unbedingt mit ihr Kontakt aufnehmen sollte, und obwohl ein Helfer Sir Christophers gestern noch versucht hatte, den Jungen in Billingsgate aufzuspüren, blieb er spurlos verschwunden. Aber vielleicht wollte er sie ja einfach nicht wiedersehen. Ob Maggie wieder Rose besucht hatte, wusste sie nicht. Plötzlich drangen laute Stimmen von der Mole zum Schiff. Am anderen Ende des Piers war irgendein Tumult ausgebrochen. Man hörte laute Stimmen, ein Fischweib fluchte. Dann sah Alyss, wie ein Junge über Körbe, Seile und Kisten sprang. Er hatte es sehr eilig. Seine roten Haare leuchteten wie Feuer in der Morgensonne. Auf seiner Schulter hockte etwas, was sie aus der Ferne nicht erkennen konnte.
»Jack!«, rief sie freudig und winkte wie wild mit den Armen. Hinter Jack tauchten Maggie und die kleine Eliza auf.
»Haltet das Schiff an!«, rief sie dem Kapitän zu, der am Steuerrad stand und auf den Fluss hinausblickte. Doch er hörte das Mädchen nicht. Auch die Matrosen hatten den Jungen am Pier nicht bemerkt. Sie hatten bereits den Anker gelichtet und die Segel gesetzt. Das Schiff begann sich langsam vom Kai wegzubewegen. Der Junge blieb einen Moment stehen. Die Reling des Schiffs war fast auf der gleichen Höhe wie der Pier. Da die Themse in London den Gezeiten unterworfen war, war der Wasserstand gesunken und gleichzeitig war die Strömung mit der einsetzenden Ebbe Richtung Meer stärker als gewöhnlich. Es war zu spät! Jack hatte wohl irgendwie davon erfahren, dass sie in die Neue Welt segeln würde, doch nun hatte er seine Chance, sie zu begleiten, im letzten Augenblick versäumt. Das Schiff beschleunigte und würde bald wie ein Pfeil den Fluss entlangschießen. Sie würde Jack wohl nie wiedersehen. Doch dann nahm Jack plötzlich Anlauf und sprang vom Kai übers Wasser. Alyss hielt den Atem an. Was, wenn er ins Wasser fiel? Sie wusste, dass er nicht schwimmen konnte und wie sehr er den Fluss fürchtete. Um Haaresbreite gelang es Jack, die Reling zu ergreifen. Er baumelte gefährlich an der Bordwand. Doch wie immer reagierte Sassa blitzschnell. Er packte den Jungen am Arm und zog ihn an Deck. Neben ihm kletterte Orlando an Bord. Alyss fiel Jack vor lauter Erleichterung um den Hals und draußen auf dem Pier klatschten Jacks und Alyss’ Freunde Beifall. Auch Orlando, der sich mit seinem Schwanz an der Reling festhielt, applaudierte laut schnatternd mit den Pfoten. Danach sprang er auf Jacks Kopf. Das Schiff segelte den Fluss entlang aufs Meer zu.