Das achte Kapitel,
in dem alle nach Lord Ashborne suchen

Als Tante Mary die Nachricht von dem bedrohlichen, rätselhaften Verschwinden ihres Neffen zur Kenntnis nehmen mußte, als die Zeitungen voll waren davon, hatte sie einen Schwächeanfall und mußte ins Bett gelegt werden.

»Mein armer Will«, jammerte sie. »Mein guter, lieber Junge.« Dann las sie wieder die Zeitungen und griff sich ans Herz bei der Lektüre der Überschriften, die dick und schreiend Mord und Totschlag in den Bereich des Möglichen rückten.

Die Schwächeperiode Tante Marys dauerte aber nicht lange. Schon am nächsten Morgen war sie wieder frisch und voller Tatendrang. Sie klatschte mit ihrer gepflegten Hand auf den Tisch, als sie die Morgenblätter las, und schrie durch das weite Haus: »Ich werde den Mörder finden, ich, Mary Abbot! Und ich zerreiße ihn in der Luft!«

Man glaubte ihr das sehr gern und ging ihr deshalb aus dem Weg. Man wollte es auf ein Training von ihr in dieser Hinsicht nicht ankommen lassen.

Nach dem ausgiebigen Frühstück fuhr Tante Mary in die Stadt.

Was jetzt kommt, ist kalter Kaffee, mögen Sie sagen, verehrte Leserinnen und Leser. So gut kennen Sie das schon. Jetzt sucht nämlich Ihrer Erwartung nach Tante Mary ein Detektivbüro auf, setzt fünfhundert Pfund aus für das Auffinden der Leiche ihres Neffen und zweitausend für die Ergreifung des Mörders. Und dann wimmeln die Detektive herum, gönnen sich keine ruhige Minute mehr und durchschnüffeln die dunklen Viertel.

Ihre Intelligenz ist verblüffend, meine Damen und Herren. Wirklich, das muß ich ausdrücklich sagen. Sie haben dieses Mal nämlich durchaus recht. In der Tat.

Tante Mary Abbot ging wirklich zu einer Detektei. Diese gehörte einem Mr. Fish, der sehr unter seinem Namen zu leiden hatte. Oft, wenn er diesen am Telefon nannte, fand sich ein Witzbold, welcher z.B. sagte: »Bitte, ein Kilo Kabeljau, ein Schwanzstück.«

Dann konnte es passieren, daß Mr. Fish tobte, das Telefon beschädigte und einige Akten durch die Büroräume warf.

Auch Tante Mary war nahe daran hinauszufliegen, als sie sagte: »Ich vertraue mich ganz Ihnen an, Mr. Fish. Ihr Name verspricht mir einiges. Ich hoffe, Sie schnappen so flink zu wie eine Forelle.«

Nur der Umstand, daß ein saftiges Honorar winkte, verhinderte, daß Mr. Fish der alten Dame gegenüber aus der Rolle fiel.

Immerhin trug dieser Satz dazu bei, daß in Mr. Fish der Entschluß reifte, die Suche nach Lord Ashborne für Tante Mary so kostspielig wie möglich zu gestalten. Er verlangte sofort hundert Pfund Vorschuß. Das ist immer so bei solchen Geschäften. Von den Vorschüssen wird gelebt, denn wenn man von vornherein erklären würde, daß alle Bemühungen sinnlos seien, könnte man einpacken und Straßenfeger werden. Das ist zwar auch ein ehrenwerter Beruf, aber er lag nicht in der Lebensrichtung von Mr. Fish.

Tante Abbot zahlte die hundert Pfund mit einigem Widerstreben. Immerhin war auch sie schottischer Abstammung. Aber sie fügte sich in ihr Schicksal.

»Seien Sie wild wie ein Hai, Mr. Fish«, sagte sie noch zu allem Überfluß. »Und stark wie ein Wal.«

Mr. Fish machte ein Gesicht, als hätte er Salzsäure geschluckt. Er nickte schwach und sank nach Tante Marys Abschied in seinem Sessel zusammen. »Ich halte das nicht mehr lange aus«, erklärte er zähneknirschend. »Mein verfluchter Name bringt mich noch ins Grab. Könnte ich denn nicht, wie andere, Cromwell oder Churchill heißen?«

Dann brüllte er noch ein wenig herum, während sich seine Angestellten in das hinterste Zimmer verkrochen, in Erwartung eines neuerlichen Aktenbombardements. Aber diesmal erfolgte kein solches. Ein Scheck über hundert Pfund lag auf dem Tisch. Das ließ verhältnismäßig rasch wieder Frieden ins Herz des Mr. Fish einziehen. Er streichelte das sympathische Papierchen, küßte es und sperrte es in seinen Schreibtisch.

Und dann kniete er sich in die Materie hinein.

Was er erfuhr, war nicht mehr als das, was auch Scotland Yard schon wußte. Er sagte sich aber: Warum soll ich nicht einmal klüger und erfolgreicher sein als die Brüder vom Yard? Um deren Ruhm wird doch viel zuviel Gedöns gemacht, hauptsächlich von ihnen selbst.

Er recherchierte mit Feuereifer und förderte folgendes zutage:

Lord Ashborne war von Invergarry nach Aussage des Kammerdieners im Anschluß an das Absingen einer Mozartarie praktisch aus dem Klosett heraus verschwunden. Auf dem Teppich vor dem großen Spiegel hatte man braune, fremde Haare gefunden. Außerdem hatte sich der Lord in den letzten Tagen einen Bart stehen lassen. Er habe Existentialist werden wollen, lautete eine Vermutung.

»Heureka!« schrie Mr. Fish. »Existentialist! Das deutet nach Paris. In die Rue de St. Germaine. In das Viertel des alten Jean Paul Sartre. Warum sollte Lord Ashborne nicht heimlich nach Paris gefahren sein? Große Herren haben oft genug exzentrische Einfälle, weil sie sich jede Eskapade leisten können. Sagen wir also der alten Abbot als erstes, daß die Spur nach Paris weist.«

Tante Mary verfiel nicht zum erstenmal in Wachträume, als sie den Namen Paris vernahm. »Das ist erbliche Belastung«, sagte sie leise zu Dr. Wringer, der ihr einen Besuch abstattete, weil er als ihr Arzt für ihren Gesundheitszustand verantwortlich war. »Auch ich bin in jungen Jahren einmal nach Paris entwichen. Ich hatte damals dort einen Verkehrsunfall.«

»Einen Verkehrsunfall, Mylady?«

»Ich bin aus dem Bett gefallen, Doktor.«

Zu diesem Eingeständnis ließ sich Lady Abbot nur hinreißen, weil ihr das eherne Gebot der ärztlichen Schweigepflicht, dem Dr. Wringer unterstand, bekannt war.

»Es gibt Unfälle, Mylady«, antwortete Dr. Wringer, »unter denen leidet man ein ganzes Leben lang. Von anderen zehrt man ein ganzes Leben. Der Ihre in Paris gehört, so vermute ich, zur Kategorie der letzteren.«

Diese Bemerkung fand Lady Abbot ganz entzückend, und sie beschloß, Dr. Wringer für seinen Charme und seinen Geistesreichtum mit einem Legat im Testament zu bedenken.

Paris! Diese Stadt war und ist ein teures Pflaster. Das konnte und wollte Lady Abbot nicht bestreiten, da ihr ja Erfahrungen am eigenen Leib vorlagen. Der smarte Mr. Fish hatte also verhältnismäßig leichtes Spiel, aus seiner Klientin bald einen weiteren Spesenvorschuß in Höhe von zweihundert Pfund herauszuholen, um den Spuren des Lord Ashborne in Paris nachzugehen. Es mußten wirklich sehr teure Spuren sein, denn Mr. Fish stellte in Aussicht, daß es durchaus sein könne, daß auch dieses Geld noch nicht reichen würde.

Und in der Tat, es zeigte sich, daß es nicht reichte. Vorher erhielt aber Tante Mary noch einen anonymen Brief, der sie seelisch sehr mitnahm.

Der Brief lautete:

»Mylady! Sie sind in Ängsten um Ihren Neffen William. Bitte, sorgen Sie sich nicht. Lord Ashborne ist weder entführt worden, noch wurde er ermordet. Er hält sich sogar in Schottland auf, allerdings unter einem falschen Namen, den ich Ihnen aus bestimmten Gründen noch nicht verraten kann. Es geht ihm gut, er hat sogar zwei Kilo zugenommen. Warum er unter falschem Namen lebt, ist vorläufig noch ein Geheimnis, das zu gegebener Stunde gelüftet werden wird.

Also, Mylady, ich wiederhole, haben Sie keine Sorge um William. Er läßt Sie durch mich herzlichst grüßen. Einer, der genau Bescheid weiß.«

Mit diesem Brief begab sich Tante Mary eiligst zu Mr. Fish.

Mr. Fish nahm den Brief, verschwand hinter einer Polstertür zu einem Nebenraum und trank auf den Schreck erst einmal drei steife Gins. Dann fluchte er wie ein Dockarbeiter, versetzte dem Papierkorb einen Fußtritt, wünschte dem Briefschreiber die Pest an den Hals und zerbrach sich den Kopf nach einem Ausweg. Ein solcher war gar nicht leicht zu finden, denn für den ganzen bisherigen Vorschuß hatte Mr. Fish nichts anderes getan, als die Presseberichte gesammelt. Außerdem hatte er seiner Geliebten einen neuen Mantel gekauft. Daß davon kein Lord Ashborne herbeigeschafft wurde, ist klar. Aber immerhin war nicht zu bestreiten, daß man auch etwas für Geliebte tun muß, da diese sonst die böse Eigenschaft haben, sich nach betuchteren Freunden umzusehen und deren Brieftaschen anzubohren.

Mr. Fish war auf seine Art ein Genie. Er nahm einen Rotstift und kreuzte einige Worte des Briefes an, unterstrich dick andere und kam mit diesem ›bearbeiteten‹ Brief wieder zu Lady Abbot zurück.

Sein Gesicht drückte tiefen Abscheu aus.

»Mylady«, sagte er mit dreister Stirn, »Sie waren beinahe einem elenden Betrüger auf den Leim gegangen. Wir konnten aber durch vergleichende Analysen feststellen, daß dieser Brief von der Hand eines altbekannten Gauners stammt. Man nennt ihn in Fachkreisen den ›höflichen Joe‹.«

»Lieber Gott!« entsetzte sich Lady Abbot, wechselte die Farbe, und Mr. Fish rief nach seinem Element – einem Glas Wasser.

Als Lady Abbot wieder aufnahme- und verhandlungsfähig war, spann Mr. Fish, von der Wirkung seiner Worte selbst beeindruckt, seinen Faden weiter.

»Beachten Sie bitte den Ton dieses plumpen Schreibens«, sagte er empört. »›Es geht ihm gut, er hat sogar zwei Kilo zugenommen.‹ Damit will man Sie einseifen. Dann aber würde sich herausstellen, daß es der Beginn einer Reihe von Briefen wäre, die dann gipfeln würden, aus Ihnen Tausende von Pfund herauszuholen. Vertrauen Sie deshalb auf mich und mein Büro. Wir werden die Spur in Frankreich verfolgen; wenn es sein muß, bis ans Ende der Welt. Für noch einmal dreihundert Pfund Vorschuß könnte man vieles tun …«

Und Lady Abbot zahlte. Sie seufzte dabei. Das tun aber alle, die zahlen müssen. Es sind menschliche Urlaute, von denen vor allem die Schalterräume der Finanzämter widerhallen.

Hätte Lady Abbot gewußt, daß der Brief von Percy kam, würde sie Mr. Fish dreihundert Ohrfeigen gegeben haben.

Vielleicht hatte Mr. Fish dafür ein Gespür, denn nun tat er etwas, das ganz außergewöhnlich von ihm war. Und zwar ließ er in Paris wirklich nachforschen. Obwohl er wußte, daß die ganze Reise eines Lord Ashborne nach Paris reine Erfindung von ihm war, machte er ein Detektivbüro in der Rue de Chamois mobil und ließ es Recherchen anstellen.

Erfolg: natürlich null!

Er besorgte Abschriften der Passagierlisten aller Schifffahrtslinien nach dem Kontinent an den fraglichen Tagen. Ein Lord Ashborne hätte geführt werden müssen.

Erfolg: null!

Mr. Fish tat also plötzlich etwas für seinen Vorschuß, wurde aktiv, wenn auch das, was er tat, nur Mumpitz war, Lady Abbot freilich lobte in heiliger Verblendung seine Bemühungen und baute vorläufig ihre ganze Hoffnung auf Mr. Fish.

Nach einigen Tagen kam ihr ein merkwürdiger Umstand zu Hilfe. Loretta Gower erschien bei ihr und war in bester Laune.

»Liebes Tantchen«, sagte sie fröhlich, »ich werde bald verreisen.«

»Du herzloses Geschöpf!« Mary Abbot geriet sofort in Erregung. »Jetzt, da der gute William verschwunden ist, da er sich in Verbrecherhänden befindet oder gar schon tot ist, willst du deinem Vergnügen nachgehen? Schäm dich!«

»Ich fahre nach Brighton, Tante.«

»Auch noch an die See! Ich verstehe dich nicht!«

»Ich gehe dort der Spur Lord Ashbornes nach.«

»Doch nicht in Brighton? Dann mußt du nach Paris!«

»So? Wer sagt dir das?«

»Mr. Fish.«

»Ach ja, dein Detektiv. Der muß es ja wissen.« Loretta lachte. »Nun, ich hingegen nehme an, daß sich William noch auf unserer alten Insel befindet, und zwar nicht als Toter, sondern als Quicklebendiger.« Sie dachte an Flip, der unten im Wagen wartete und sicher nur vor dem Augenblick Angst hatte, in dem Tante Mary an der Autotür erscheinen würde. Im übrigen hatte er sich wohl schon mit seinem Schicksal abgefunden und sah dem großen Knall mit Fassung entgegen.

»Hoffentlich hast du recht, daß er noch lebt.« Tante Mary betupfte sich die Augen. »Aber in England weilt er ganz bestimmt nicht mehr. Ein Lord Ashborne kann sich hier nicht so ohne weiteres versteckt halten.«

»Das will ich eben sehen. Deshalb fahre ich nach Brighton.«

»Du führst etwas im Schild«, meinte Tante Mary plötzlich mißtrauisch.

Loretta antwortete: »Der alte James bekam doch ein Telegramm, daß sich Lord Ashborne in Brighton aufhält. Im Hotel Sunshine. Aber dieses Hotel gibt es gar nicht. Auch gemeldet ist er in ganz Brighton nicht. Nur unter falschem Namen kann er sich also dort herumtreiben. Vielleicht suchte er wieder mal ein Abenteuer.«

»Dann hätte er sich inzwischen auf Grund der Zeitungsartikel gemeldet.« Mary Abbot schüttelte den Kopf. »Ihm ist etwas passiert!«

»Vielleicht will er sich nicht melden, aus irgendeinem Grund, den wir nicht kennen. Vielleicht – ist er verliebt und spielt eine Komödie.«

»Für so idiotisch halte ich ihn nicht.«

»Männer sind immer ein wenig verrückt, wenn sie hinter einer Frau her sind.« Loretta stand auf und gab Tante Mary die Hand. »Ich wollte dich bitten, Tantchen, in den nächsten Tagen – sagen wir in einer Woche – auch nach Brighton nachzukommen.«

»Bit du verrückt? Ausgeschlossen!«

»Es würde dir guttun.«

»Nein, nein, ich denke nicht daran!«

»Die Seeluft würde dich beruhigen, Tantchen.«

»Ruhig werde ich erst wieder, wenn ich über das Schicksal Williams Gewißheit habe.«

»Vielleicht finden wir ihn.« Loretta sah Mary Abbot listig an. »Ich habe so ein komisches Gefühl, daß uns in Brighton allerlei erwartet, du wirst sehen.«

Tante Mary rang mit der Versuchung und unterlag ihr. »Gut«, sagte sie seufzend, »ich werde kommen. Aber nur auf einen oder zwei Tage.«

»Vielleicht reicht das schon, Tantchen.«

Loretta verabschiedete sich von Tante Mary und ließ sich von dem aufatmenden Flip zurückfahren. William drückte kräftig aufs Tempo, um möglichst schnell aus dem Bereich seiner Tante zu entkommen. Mit weit über hundert Kilometer Geschwindigkeit raste er auf der glatten Straße dahin.

»Kennen Sie Lady Abbot auch?« fragte ihn Loretta während der Fahrt.

William zuckte zusammen. »Lady Abbot? Ja, Mylady. Sie kam ab und zu bei Lord Ashborne auf Invergarry vorbei.«

»Wie stand sich denn der Lord mit seiner Tante?«

»Soviel ich aus meiner begrenzten Perspektive sagen kann, gut.«

»Das haben Sie nett formuliert, Flip: ›aus Ihrer begrenzten Perspektive …‹«

William biß sich auf die Lippen und drückte das Gaspedal ganz durch. Der schwere Wagen schoß heulend über die Landstraße.

»Fahren Sie langsamer!« befahl Loretta. »Sie sehen doch, es regnet, die Chaussee ist naß. Oder wollen Sie uns beide umbringen?«

William gab darauf keine Antwort, befolgte aber natürlich Lorettas Anweisung. Eine Weile schwiegen die beiden. Andere Autos überholten sie, und jedesmal ärgerte sich William darüber.

»Lady Abbot sorgt sich sehr um Lord Ashborne«, nahm dann Loretta das Gespräch wieder auf.

»So?«

»Ja. Ich an Ihrer Stelle würde diesem ungeratenen Neffen nicht so sehr nachtrauern.«

»Auch nicht, wenn er sich in den Händen von Verbrechern befände?« fragte William, sich räuspernd.

»Auch dann nicht.« Loretta schraubte ein Fläschchen Kölnisch Wasser auf und bespritzte sich damit die Schläfen. Der ganze Wagen duftete danach. »Im übrigen glaube ich nicht, daß ihm etwas zugestoßen ist. Für ihn gilt der alte Satz: Unkraut verdirbt nicht.«

»Ihre Ansichten über einen Menschen, den Sie gar nicht kennen, sind zynisch, Mylady.« William hupte wie ein Verrückter, weil vor ihm eine Schafherde aufgetaucht war, welche die Straße blockierte.

»Flip, Sie attackieren mich? Steht Ihnen das zu?« Loretta lächelte aufreizend, während sie dies in strengem Ton sagte.

William preßte die Lippen aufeinander. »Nein, Mylady. Ich werde mir in Zukunft so etwas nicht mehr erlauben.«

»Wenn Sie im Recht sind, habe ich nichts dagegen.«

»Dies zu entscheiden, Mylady, dürfte von Fall zu Fall sehr schwierig sein.«

»Vieles ist schwierig im Leben, Flip.«

»Allerdings, Mylady«, seufzte William.

Sie sprachen auf dieser Fahrt nicht länger miteinander. In Aberdeen lenkte William den Wagen in die Garage und legte sich auf seinem Zimmer ins Bett. Percy, der schnell hereinsah, war platt.

»Was ist, Will?« fragte er besorgt. »Warum so müde? Es ist doch noch nicht spät. Was hat dich so hergenommen? Wo wart ihr?«

»Bei Lady Abbot.«

»Du lieber Himmel! Mehr mußt du mir nicht sagen!« Percy dachte an seinen Brief und verdrückte sich sofort zu Bebsy, der er sein Leid klagte.

»Zuckermäulchen«, sagte er, »ich glaube, wir können uns nicht mehr lange Küßchen geben. Flip muß wohl bald weg, und ich bin, wie du schon weißt, an ihn gekettet.«

»Hat er mit der Lady Krach bekommen?« fragte Bebsy, im Nu dem Heulen nahe.

»Das nicht gerade. Aber – ach was, ich kann dir das noch nicht erklären. Es hängt mit der polizeilichen Untersuchung zusammen und mit dem Verschwinden von Lord Ashborne. Du würdest dir an den Kopf greifen, wenn du alles wüßtest.«

Er küßte sie. Und wenn eine Frau geküßt wird, so richtig, wissen Sie, so ganz richtig geküßt wird, dann interessiert sie sich für nichts anderes mehr.

Tante Abbot saß einen Tag später schon wieder bei Mr. Fish und brachte den guten Mann in Verlegenheit.

»Meine Nichte behauptet, Lord Ashborne müsse sich in Brighton befinden«, sagte sie ohne lange Umschweife.

Mr. Fish entschuldigte sich. Er verschwand wieder in seinem Zimmerchen mit den Getränken und schenkte sich Cognac ein. Ging denn alles schief? Was hatte sich diese dämliche Sängerin mit Kriminalistik zu befassen? Warum mißgönnte sie ihm seine fette Kundin, die sich so ausgiebig und mühelos melken ließ? Er versuchte ja auch nicht, ihr auf der Opernbühne Konkurrenz zu machen.

Mr. Fish setzte sich in seinen Sessel und zermarterte sich den Kopf. Ein Gedanke fehlte ihm. Ein guter Gedanke. Als er ihn endlich hatte und wieder hinaus zu der wartenden Lady Abbot trat, war er ganz der Alte, der Siegessichere.

»Das ist ja kaum zu glauben, Mylady«, sagte er munter. »Soeben erhielt ich einen Hinweis, der sich mit dem deckt, was Sie mir sagten.«

»Darf ich Sie bitten, deutlicher zu werden?«

»Lord Ashborne scheint sich tatsächlich in Brighton aufzuhalten.«

»Ja?« Wenn Lady Abbot einige Jahrzehnte weniger auf dem Buckel gehabt hätte, wäre sie vor Aufregung elastisch aufgesprungen.

»Oder zumindest in der Umgebung von Brighton, Mylady.«

»Dann hatte meine Nichte also doch recht! Und ich wollte ihr nicht glauben.«

»Sie kennen das alte Sprichwort, Mylady«, sagte Mr. Fish mit dreister Stirn. »Manchmal findet auch ein blindes Huhn ein Korn.« Er lachte meckernd. »Ich will damit sagen, daß ich nicht weiß, wie Ihre Nichte zu dieser zutreffenden Information gekommen ist. Wir jedenfalls haben sie als eine Frucht unserer pausenlosen, nie erlahmenden Aktivität zu betrachten. Über Paris führte die Spur in der Tat nach Brighton. Erstaunlich, ganz erstaunlich ist das.«

»Finde ich auch, Mr. Fish.«

»Uns sind natürlich wieder erhebliche Kosten entstanden, Mylady.«

»Wenn ich Sie recht verstehe, Mr. Fish, erwarten Sie wieder Geld von mir?«

»Ja, das darf ich doch, oder nicht?«

»Nein!« Mary Abbot hatte langsam genug von diesem Detektiv. »Sie haben mir nun schon ein Vermögen aus der Tasche gezogen. Konkreten Erfolg sah ich noch keinen. Damit ist jetzt Schluß. Finden Sie mir erst meinen Neffen. Wenn er vor mir steht, werden Sie weitere fünfhundert Pfund von mir bekommen.«

»Sechshundert«, sagte Mr. Fish rasch.

»Meinetwegen auch sechshundert. Das ist aber mein letztes Wort. Nun suchen und finden Sie ihn, Mr. Fish. Auf Wiedersehen.«

»Auf Wiedersehen, Mylady.«

Sauer blickte der Gauner Mary Abbot nach, als sie das Büro verließ. Noch 600 Pfund. Ihr letztes Wort. Die lasse ich mir nicht entgehen. Beim donnernden Zeus, jetzt heißt es aber wirklich einmal arbeiten.

Er rief seinen Bürochef herein – jawohl, so etwas hatte Mr. Fish auch, denn seine Geschäfte gingen gut – und sagte ihm, daß er verreisen werde. Dann packte er einen kleinen Lederkoffer und setzte sich in seinen Wagen. Gemütlich, denn er hatte ja Zeit, rollte er nach Aberdeen und bezog in der Nähe von Lorettas Villa ein möbliertes Zimmer. In diesem legte er sich auf die Lauer, um zu beobachten, was im Hause Gower vor sich ging. Fuhr Loretta mit Flip aus, setzte er sich mit seinem Wagen hinter die beiden und folgte unauffällig ihrer Route. Dieses Weib weiß etwas, sagte er sich ganz richtig. Sie muß etwas in der Nase haben vorn Aufenthalt des Lords. Wie käme sie sonst auf Brighton? Und ich werde das, wenn ich sie nicht aus den Augen lasse, erfahren. Einmal verrät sie sich, einmal werde ich ihr in die Karten gucken können, und dann lache ich mir ins Fäustchen.