15
Der Dienststellenleiter des CIA für den Staat Hawaii begrüßte Dr. Clark zunächst sehr zurückhaltend und kühl. Er hatte ihn eigentlich überhaupt nicht empfangen wollen – aber dann hatte Clark einem CIA-Mitarbeiter gegenüber behauptet, sein Anliegen sei wichtiger als jede andere Aufgabe.
»Ich nehme an«, sagte nun der General, »Sie haben Kenntnis davon, daß das Weiße Haus am nächsten Montag gegen 13 Uhr 56 in die Luft gesprengt werden soll. Ist das allerdings nicht der Fall, dann machen Sie am besten sofort wieder kehrt und hauen ab.«
Clark nickte freundlich, zog sich einen Stuhl heran und setzte sich dem CIA-Chef von Hawaii gegenüber. Nur der Schreibtisch trennte sie.
»Sehen wir davon ab, Sir«, sagte er ruhig, »daß der CIA hier auf Honolulu offenbar seine Hauptaufgabe darin sieht zu verhindern, daß sich die GIs in der Sonne den Hintern verbrennen und in Waikiki einen Tripper holen …«
»Sofort raus!« zischte der General. »Noch ein Wort …«
»Noch viele Worte, Sir.« Dr. Clark beugte sich etwas vor. »Das sowjetische KGB ist hier ziemlich aktiv.«
»Ich brauche nicht gerade Sie, um das zu wissen!« Der General hob die buschigen Augenbrauen. KGB war ein Wort, das man nicht einfach wegwischen konnte.
»Und was tun Sie dagegen?«
»Was geht Sie das an?«
»Mein Vorschlag wäre, sofort Admiral Atkins zu rufen. Sie kennen Atkins, den neuen Befehlshaber der Sondergruppe?«
»Natürlich kenne ich ihn. Zunächst aber: Was wollen Sie? Wer sind Sie?«
Dr. Clark griff in die Brusttasche, holte ein Papier heraus, entfaltete es und reichte es dem General. Nachdem dieser ein paar Zeilen gelesen hatte, änderte sich schlagartig sein Benehmen.
»Warum sagen Sie das nicht gleich?« knurrte er. »So was kann man ja nicht riechen! Ich wußte ja nicht …«
»Das ist das Gute an der Sache, Sir. Können wir Admiral Atkins hierher bitten?«
»Wenn ich ihn erreiche … natürlich …«
Ein halbe Stunde später traf Atkins im Bürotrakt des CIA ein. Man sah, daß er mit größter Eile gekommen war, in einem offenen Jeep. Staub lag auf seiner Uniform.
»Clark!« rief er und drückte ihm beide Hände. »Was sagt mir da General Layfield am Telefon? Sie sitzen hier, um Amerika zu retten?«
»Der General übertreibt.« Clark lächelte zu Layfield hin. »Es genügt, wenn ich Wake und unser Projekt retten kann.«
»Was ist passiert, Doktor?«
»Das KGB ist massiv tätig! In Miami war es Helen Morero, auf dem Transport nach San Diego war ich es selbst, nun hat man Dr. Finley im Schraubstock. In einem wundervollen Schraubstock: lange schwarze Haare, schwarze Glutaugen, ein Venus-Körper.«
»Immer die gleiche Scheiße«, sagte Atkins grob. »Und Finley ist in diesen Armen versunken und hat gesprochen?«
»Das eben wissen wir noch nicht.« General Layfield blickte auf die Uhr an der Wand. »Es ist ein Kommando unterwegs zur Hanauma Bay, um Finley und das Weibsstück abzuholen. Ein kleines Hotel ist ihr Liebesnest. Kann sein, daß sie noch voll miteinander beschäftigt sind. Wenn nicht, erwarten wir sie im Hawaiian Regent. Da sie völlig ahnungslos sind, können wir sie einsammeln wie junge blinde Hunde.«
»Finley! Das ist ja fast unglaublich!« Atkins setzte sich schwer. »Sind Sie sich auch sicher, Doktor?«
»Die Informationen sind gut, Sir. Das schließt natürlich nicht aus, daß Finleys Darling wirklich unschuldig ist – im Sinne unseres Verdachtes, meine ich …« Clark grinste breit. »Wir werden sehen.«
»Und wenn Finley schon gequatscht hat?«
»Dann können wir nur hoffen, daß wir schnell genug waren und zugegriffen haben, bevor das Zaubermädchen mit seinem Auftraggeber gesprochen hat.«
»Aber falls wir zu spät kommen?« fragte General Layfield heiser.
»Dann haben wir eine Runde an die Sowjets verloren. Doch jeder Boxkampf geht über mehrere Runden. Entscheidend ist, wie's nach dem letzten Gong aussieht.«
Finley und Nuki-na-mu lagen in der kleinen Badebucht unterhalb des Hotels und ruhten sich im Schatten großer Oleanderbüsche vom Erlebnis der vergangenen Nacht aus. So bemerkten sie nicht, daß ein Jeep und ein geschlossener Wagen in den Vorhof des Hotels einfuhren. Vier baumlange Militärpolizisten und ein Offizier sprangen heraus und rannten in das Haus.
Finley war in einem Glücksrausch, der alles um ihn herum aufsaugte. Er sah nichts mehr als nur noch Nuki-na-mu, und das Meer vor ihm, die Palmen um ihn herum, die Felsen hinter ihm, der Sand, in dem er lag – all das war nur eine Beifügung, eine Ergänzung, ein Schmuck der Natur für die Geliebte, war ein unnachahmlich schönes Kleid, das Nuki-na-mu umgab. Er hätte nie geglaubt, daß Liebe etwas so Erdenfernes sein könnte, etwas so Unerklärliches, das Leben völlig Verwandelndes. Auch seine Entscheidung war jetzt gefallen: Er würde zu Helen gehen und ihr sagen, daß er die Frau gefunden hatte, von der er niemals hätte zu träumen gewagt. Wenn irgend jemand auf der Welt ihn verstand, dann war es Helen, das wußte er.
»Was machen wir heute, mein Schatz?« fragte Nuki-na-mu und dehnte sich. Sie trug nur einen Tanga, so ein winziges Dreieckhöschen, und sonst nichts.
»Träumen …« Finley tastete nach ihr und legte seine Hand auf ihren flachen Leib. »Nur träumen … dich sehen … dich fühlen …« Er schloß die Augen und seufzte. »Wo sind wir? Noch auf dieser Welt? Leben wir überhaupt noch? Es ist alles so unwirklich …«
Die Wirklichkeit kam jetzt die Treppen herunter zum Strand, mit knarrenden Stiefeln, weißen MP-Helmen und umgehängten Maschinenpistolen. Nuki-na-mu sah es zuerst. Sie blieb liegen, beugte sich über Finley und küßte seine geschlossenen Lider.
»Ich liebe dich«, sagte sie leise. »Vergiß es nie … Was auch wird … glaube mir wenigstens das eine: Ich liebe dich …«
»Willst du mich heiraten, Nuki?«
»Nein.«
»Nicht?« Finley zuckte hoch und starrte sie entsetzt an. »Ich denke … du hast gerade gesagt …«
»Wir können es nicht mehr, Liebling.« Sie umfaßte seinen Kopf mit beiden Händen, ihre schräggestellten, schwarzen Augen waren voller Traurigkeit. Dann küßte sie ihn und begann gleichzeitig zu schluchzen. »Es ist zu spät. Wir sind uns viel zu spät begegnet.«
Jetzt hörte auch Finley die harten Schritte im Ufersand und warf sich im Sitzen herum. Nuki-na-mu fiel bei dieser heftigen Bewegung zur Seite und blieb auf dem Badetuch liegen. Die vier Militärpolizisten umringten Finley und Nuki und starrten sie mit kantigen Gesichtern an. Der Offizier trat an Finley heran.
»Sind Sie Dr. James Finley?« fragte er.
»Ja!« Finley sprang auf. »Darf ich fragen, was das soll?«
»Oberleutnant Halsey.« Der Offizier grüßte. »Sir, ich muß Sie und die Dame an Ihrer Seite verhaften. Bitte, leisten Sie keinen Widerstand.«
»Wie käme ich dazu?« Finley reckte sich. »Ich gehöre nicht zum Militär. Ich bin ein freier Bürger in einem freien Land. Ich habe, hier auf der Stelle, ein Recht zu wissen, warum ich so ungeheuerlich behandelt werde.«
»CIA … Sir«, sagte Oberleutnant Halsey und zeigte seinen Sonderausweis. »Ich bedaure. Im Hauptquartier wird man es Ihnen erklären. Darf ich Sie und Madam bitten?«
CIA! Finley zog das Kinn an. Er dachte an Wake, an Helen, an die ganze Forschungsarbeit, und plötzlich wurde ihm kalt, als wehe ein Eiswind vom Meer zu ihm hin.
»Was ist passiert?« fragte er stockend.
»Das wissen wir nicht. Wir haben nur den Befehl, Sie und Madam zum Hauptquartier zu bringen.«
»Die Dame hat damit gar nichts zu tun.«
»Das entscheidet das Hauptquartier.«
»Laß uns nicht fragen, sondern fahren«, sagte Nuki-na-mu mit einer Ruhe, die Finley bewunderte. »Wenn ich mitkommen soll, warum nicht?« Sie bückte sich, zog das Tanga-Oberteil über und wandte sich dann zu Halsey um. »Darf ich noch ein Kleid anziehen, Oberleutnant?«
»Nur in Begleitung.«
»Unerhört!« schrie Finley. »Genügt es, wenn ich dabei Wache halte?«
»Selbstverständlich, Sir.«
Nuki-na-mu brauchte keine lange Zeit. Sie nahm das erstbeste Kleid aus dem Schrank, streifte es über und fiel dann Finley um den Hals.
»Vergiß es nie – ich liebe dich wirklich!« rief sie mit einer plötzlichen wilden Verzweiflung. »Man wird viel sagen, sehr viel, aber für dich soll nur eines wichtig sein: Ich liebe dich! Über alles hinaus, was kommt …«
Noch ehe Finley antworten konnte, riß sie sich los, rannte hinunter in die Halle und verließ mit zwei Militärpolizisten das Hotel.
Sie fuhren getrennt: Finley im Jeep neben Oberleutnant Halsey, Nuki-na-mu im geschlossenen Wagen hinterher. Finley redete unentwegt auf Halsey ein, aber der blieb einsilbig.
»Sie werden alles noch erfahren«, sagte er nur. »Ich weiß gar nichts. Ich soll Sie nur sicher hinbringen. Und wenn Sie mich überall anbohren, Sir – es kommt nichts dabei heraus.«
Finley versank in peinigende Gedanken. Was war auf Wake geschehen? Warum griff das CIA ein? Hatten die sowjetischen U-Boote das Delphinschiff angegriffen? War Wake zum neuen Krisenherd der Weltgeschichte geworden?
Er war froh, als sie im Reservat von Pearl Harbor vor dem Hauptquartier des CIA hielten. Ein Major nahm Finley in Empfang und sagte: »Bitte, Sie allein, Sir … Die Dame wird auf Sie warten.«
Ohne Nuki-na-mu noch einmal zu sehen oder zu sprechen, wurde Finley in das Haus geführt.
Es dauerte sechs Stunden, bis General Layfield sichtlich erschöpft in sein Zimmer zurückkam. Admiral Atkins und Dr. Clark saßen in der Sesselecke und tranken stark verwässerten Whiskey mit Eis. Eine Ordonnanz hatte ihnen etwas zu essen gebracht: einen großen Teller voll Schinken-Sandwiches.
»Sie haben es gut«, sagte Layfield mit Bitterkeit. Er griff nach einem Sandwich, biß hinein und kaute wie ein Barbar. »Ist das ein harter Brocken!«
»Die Brötchen sind bestimmt von gestern«, meinte Clark.
»Das Weibsstück!« schrie Layfield. »Sitzt da und lächelt. Und keinen Ton! Wir kommen nicht weiter.«
»Darf ich anregen, daß ich die Gespräche weiterführe?« fragte Clark ruhig.
»Abraham …« Admiral Atkins wiegte den Kopf. »Ich bin gegen bestimmte Methoden. Wir Amerikaner sagen immer, daß wir die Menschenrechte verteidigen …«
»Mehr will ich auch nicht, Sir.« Clark erhob sich aus seinem Sessel. Atkins und Layfield sahen sich kurz an.
»Wenn Sie jetzt hinausgehen, tun Sie es gegen meinen Willen und nur aufgrund Ihrer Sondervollmacht«, sagte General Layfield. »Das möchte ich laut genug betonen. Mit den Methoden Ihrer Gruppe will ich nichts zu tun haben!«
»Natürlich nicht, Sir.« Clark ging zur Tür. »In welchem Zimmer ist sie?«
»Raum 19.«
»Ist er schalldicht?«
»Ja«, sagte Layfield widerwillig. »Clark, vergessen Sie nicht: Es ist eine Frau! Eine zauberhafte Frau … Bleiben Sie ein Gentleman …«
Clark nickte kurz und verließ das Zimmer. Admiral Atkins griff nach der Whiskeyflasche.
»Bei diesen Burschen wird mir immer kalt«, sagte er gepreßt. »Aber sie haben Erfolg, und das allein zählt. Scheußlich.«
Im Raum 19 saß Nuki-na-mu auf einem Korbstuhl, von zwei starken Scheinwerfern angestrahlt. Seit sechs Stunden saß sie dort, in glühender Hitze, ohne zu trinken, schweißüberströmt – aber stumm. Die beiden verhörenden CIA-Offiziere waren nervlich überreizt, genau wie General Layfield. Sie litten unter ihren eigenen, immer wiederkehrenden Fragen.
Bevor Clark den Raum betrat, ließ er durch die davor stehende Wache die beiden Offiziere herausrufen. Sie kamen aus dem dunklen Zimmer wie aus dem Wasser gezogen. »Sie würde sich zerhacken lassen, ohne etwas zu sagen«, erklärte der eine erschöpft. »Ein ungeheures Weib!«
»Ich gebe ein Zeichen, wenn ich jemanden brauche.« Clark zog den Schlipsknoten herunter und öffnete den oberen Kragenknopf. »Vorläufig komme ich ohne Hilfe aus.«
Er riß die Tür auf, trat in den dunklen Raum und warf sie hinter sich wieder zu.
Im Scheinwerferlicht, etwas zurückgelehnt, aber wie versteinert, saß Nuki-na-mu.
Dr. Clark war es, als hiebe ihm jemand mit einem Buschmesser quer durch Leib und Brust. Vielleicht zum erstenmal in seinem Leben ging ihm die Luft aus, ohne unter Wasser zu sein. Er lehnte sich haltsuchend gegen die Wand neben der Tür, in diesem tiefen Schatten für die vom Licht geblendete Nuki unsichtbar, und spürte, wie der Brand in ihm wütete, ihn versengte und dann nur Leere hinterließ. Sein Mund trocknete aus. Er hatte das Gefühl, daß seine Lippen aufplatzten.
Nuki-na-mu hatte das Zuklappen der Tür gehört und wußte, daß jemand in das Zimmer gekommen war. Warum er nicht an dem Tisch auftauchte, sich zum Tonband setzte und wieder mit den Fragen begann, machte sie unsicher. Sie spürte eine unbestimmte Gefahr. Ihr Instinkt signalisierte, daß jetzt eine andere Phase des Verhörs beginnen würde. Worte von Tulajew fielen ihr ein: »Das KGB ist nie zimperlich gewesen. Es hat Methoden entwickelt, bei denen sogar ein von Geburt Stummer plötzlich die Sprache entdeckt. Aber auch die Kerle vom CIA sind keine Weihwasserschwenker. Sie haben da ein Sonderbüro, eine Spezialtruppe für Sondereinsätze, die normale Gesetze als Märchenbücher für Kinder betrachtet. Gib alles auf, wenn du so einem in die Finger gerätst.«
War ›so einer‹ gekommen?
Sie hob den Kopf, streckte ihn etwas vor und versuchte, durch den Lichtvorhang etwas zu sehen. Clark kam ihr entgegen. Stumm drehte er die Scheinwerfer aus und ließ nur die abgeschirmte Schreibtischlampe brennen. Einen Augenblick war Nuki-na-mu blind, die plötzliche Dunkelheit war undurchdringlich. Aber dann gewöhnte sich ihr Auge an das neue, trübe Licht.
Vor dem Schreibtisch, drei Schritte von ihr entfernt, stand Clark.
Genau wie zuvor bei ihm erschütterte der Schock sie völlig. Ihre Augen wurden so weit, wie er es sich bei diesen Schlitzen nie hätte vorstellen können. Ihr Mund riß auf wie eine platzende Wunde, und dann kam ein Laut aus ihrer Kehle, der wie ein leises Heulen klang.
»Abraham …«
»Nona Kaloa … oder Li Yaou … oder Nuki-na-mu … Die ganze Menschheit möchte ich jetzt zusammenschlagen.«
»Wer bist du, Abi?«
»Zoologe, Tierpsychologe und Delphinforscher – aber das weißt du ja.«
»Und weiter?«
»Mitarbeiter des Sonderbüros K im CIA.«
»Einer der Männer mit dem stählernen Herzen?«
»Ja.« Clark lehnte sich gegen die Schreibtischkante. Der Brand in seinem Inneren war erloschen. Was geblieben war, nannte er Traurigkeit und Wehmut, erschütternde Erinnerung und Ausweglosigkeit. »Wie heißt du wirklich?«
»Nuki-na-mu.«
»Wenigstens bei dem armen James warst du ehrlich. Was hat er dir erzählt?«
»Nichts.«
»Mit mir solltest du nicht so sprechen«, sagte Clark fast milde. »Auch wenn deine Liebe vom KGB bezahlt wurde – ich werde sie nie vergessen. Sie war phantastisch. Du bist eine Frau gewesen, die erreicht hat, was keiner anderen je wieder gelingen wird.«
Sie begriff sofort, daß er in Zusammenhang mit ihr nur in der Vergangenheit sprach, als sei sie bereits tot. Kälte überflutete sie und plötzlich auch Angst vor diesem unausweichlichen Ende.
»Abi.« Ihre Stimme vibrierte. »Gibt … gibt es eine Möglichkeit zurück?«
»Nein.«
»Ich liebe James wirklich. Wenn ich alles erzähle … alles, was ich weiß … gibt es dann einen Weg?«
»Vielleicht einen durch Höhlen und unterirdische Gänge – durch die Sonne nicht mehr. Das KGB wird dich überall suchen, und es wird dich finden. Aber James könntest du helfen, wenn du erzählst. Sehr helfen! Er sitzt tief im Dreck.«
»Er hat nur gesagt, daß sie auf Wake an neuen elektronischen Dingen arbeiten, an unterseeischen Frühwarnsystemen.«
»Das war schon zuviel.« Clark hob die Schultern. »Noch weiß ich nicht, wie James da herauskommt.«
»Es wissen nur zwei, Abi – du und ich.«
»Und dein Auftraggeber?« Clark lächelte wieder wie verträumt. »Er ist sonst immer sehr ungeduldig, der liebe Genosse Leonid Fedorowitsch Tulajew.«
»Du kennst ihn? Du weißt schon alles?« Sie sprang auf. »Abi, hilf mir … hilf mir und James …«
»Ich habe Tulajew im Hotel gesehen. Und wenn er noch so bunte Hemden und Sonnenbrillen trägt, ihn erkenne ich immer. Nur habe ich da auch versagt. Ich habe nie das Zauberweib Nona Kaloa mit ihm in Zusammenhang gebracht.«
»Du bist eben auch nur ein Mensch.«
»Und ich war glücklich, es bei dir sechs Tage sein zu können.« Er drückte den Knopf des Tonbandes herunter. Das leise Summen zeigte grausam nüchtern an: Die privaten Worte waren zu Ende. »Rede!« befahl Clark sachlich und kühl.
Nuki-na-mu nickte. Und dann sprach sie, ohne Stocken, ohne Zögern. Sie berichtete von Tulajew, ihrer Aufgabe, ihren früheren Einsätzen, ihren Erfolgen. Nur die Woche mit Clark verschwieg sie. Er wartete darauf, aber sie winkte ihm zu und sagte: »Das war es, Sir!«
»Danke.« Clark stellte das Tonband ab. »Du bist fair, ich bin es auch. In Miami mußte ich einen Agenten, der sich Fisher nannte, töten; im Klosett, am Pinkelbecken – ich hatte keine andere Wahl. Er erkannte mich, er gehörte zur Mannschaft von Oberst Ischlinski und blieb damals unauffindbar, als die ganze Gruppe hochging, weil ich mich in den Ring von Ischlinski hatte einschleusen lassen – aber es gibt ja immer irgendwo einen schwachen Punkt … Nuki oder Nona oder Li, warum hast du da mitgemacht? Eine Frau wie du! Welch ein Leben hättest du führen können! Warum hast du dein Kapital, deine Schönheit, so billig verkauft?!«
»O Abi, das ist eine lange Geschichte.« Sie setzte sich wieder auf den Korbstuhl. »Du weißt nicht, wie ich hassen kann. Und ich haßte euch Männer alle. Vor allem euch Amerikaner. Ich habe es in Vietnam gelernt. Damals war ich 15 Jahre alt. Mit fünf Mann sind sie über mich hergefallen … So fing es an!«
»Und so ist nun das Ende«, sagte Clark dumpf.
»Das Ende, Abi?«
»Du hast James geliebt, und ich weiß, daß du ihn total verzaubert hast. Ich habe dich geliebt, obwohl ich jetzt weiß, daß jede Umarmung von dir eine kalkulierte Zärtlichkeit war. Was soll's? James war glücklich, du warst glücklich, ich war glücklich – aber was wir hinterlassen, ist ein Scherbenhaufen. Du warst so stolz auf dich … sei es auch jetzt!«
Er kam zu ihr, beugte sich über sie. Sie hob den Kopf. Clark küßte sie lange und streichelte dabei ihr Haar. Mit einem Ruck richtete er sich dann auf, griff in die Tasche, holte eine kleine Pistole heraus und ließ sie in Nuki-na-mus Schoß fallen. Sie rührte sich nicht, wie versteinert saß sie wieder da.
Clark ging zu dem Tonbandgerät, nahm das Band heraus und verließ wortlos den Raum. Er spürte ihren Blick in seinem Rücken und dachte für einen Augenblick: Jetzt könnte sie mich von hinten erschießen. Es gibt kein Ausweichen. Und er atmete auf, als er draußen im Gang stand und den Wachtposten sah.
»Alles okay, Sir?« fragte der stramm.
»Noch nicht …« Clark senkte den Kopf. Aus dem Innern des Zimmers klang dumpf ein einzelner Schuß. Clark schluckte mehrmals. »Jetzt ist alles okay. Rufen Sie die Herren Offiziere!«
Als er das Zimmer von General Layfield betrat und das Tonband auf den Tisch legte, sah er aus wie ein alter, müder Mann.
»Mein Gott, was haben Sie gemacht?« stammelte Atkins entsetzt.
»Nichts, Sir.« Clark setzte sich in einen Sessel und vergrub das Gesicht in den Händen. »Ich bin dabei, mich selbst zu hassen.«
Finley begriff zunächst gar nichts.
Er saß mit starren Augen vor Clark, der vergeblich versuchte, ihm zu erklären, was geschehen war. In Finley blieb nur ein Wort haften, und das zerriß ihn.
»Sie ist tot?« fragte er.
»Ja, James.«
»Ihr verfluchten Schweine habt sie auf dem Gewissen!«
»Nein. Sie hat sich selbst gerichtet.«
»Gerichtet! Was hat sie denn getan? Ihr elenden Hunde habt ihr was untergeschoben, ihr habt sie fertiggemacht …«
»James – sie hat gestanden. Und sie hat nichts über dich gesagt. Nur, daß du nichts gesagt hast. Und das war eine Lüge. Du hast gequatscht. Ja, dich hat sie wirklich geliebt, aber das ändert nichts daran, daß sie das beste Stück des KGB auf Hawaii war. Eine Glanznummer.«
»Ihr Saukerle! Wir wollten heiraten.«
»Das wäre nie möglich gewesen. Sie stak zu tief drin. Sie konnte nicht mehr zurück ins sogenannte bürgerliche Leben. James, es ist furchtbar, ich weiß es … ich, ich kann es dir sogar nachempfinden …«
»Das kannst du nicht!« schrie Finley. »Du hast sie nie in den Armen gehalten!«
»Nein, das habe ich nicht.« Clark trat ans Fenster und blickte hinaus auf die weiten Buchten von Pearl Harbour. Soll ich ihm die Wahrheit sagen? dachte er. Könnte ihn das heilen? Wohl kaum … er würde völlig durchdrehen. Er muß auch so zur Besinnung kommen. »Ich habe mit Atkins und Bouwie gesprochen. Du kannst so lange Urlaub machen, wie du willst.«
»Wo soll ich denn hin?« Finleys Augenlider zitterten. »Ich hatte doch nichts als die Delphine – bis Nuki kam.«
»Du könntest mit Helen in die Rockies fliegen.«
»Jetzt von Helen zu sprechen, das ist eine Biesterei!« Finley sah Clark mit verzerrtem Gesicht an. »Warum gibt man mir keine Pistole?«
»Weil das Ding losgeht, wenn du am Drücker spielst. Und weil das sinnlos wäre. Wir alle brauchen dich, James: die Delphine, die Forschung, Rawlings und – verdammt nochmal! – auch Helen. Die Welt der Liebe besteht nicht nur aus einer einzigen Frau.«
»Doch! Meine Welt war auf Nuki zusammengeschrumpft.«
»Dann leg deine kleine Welt ins Wasser und laß sie wieder aufquellen … James, du bist erst 36 Jahre alt!«
»Ich zähle 360 Jahre, Abraham. Ich bin gar nicht mehr da.« Er ließ den Kopf sinken. »Und ich will auch gar nicht mehr …«
Es blieb keine andere Wahl: Um Finley mußten sich zwei Militärärzte kümmern, einer von ihnen ein Psychiater. Finley lächelte böse, als er das erfuhr. »Jedem Amerikaner seinen eigenen Psychiater!« sagte er. »Darüber habe ich mal gelacht. Jetzt gehöre ich wohl selbst zu den Ausgeklinkten?«
Zwei Tage später flog man ihn zurück nach Wake. Clark begleitete ihn, aber Finley sprach kein Wort mehr mit ihm.
Auch Tulajew packte seine Sachen, bezahlte seine Hotelrechnung mit einer Kreditkarte und reiste ab, nachdem er einen Nachfolger angefordert und eingewiesen hatte. Zum Schluß hatte er gesagt: »Wer mir irgendwann und irgendwo nochmal etwas von Delphinen erzählt, den bringe ich auf der Stelle um!«
Er verließ Hawaii mit der Angst eines gescheiterten Spions und erwartete, daß in New York sehr schnell der Befehl eintreffen würde, nach Moskau zurückzukommen.
Die Informationen über die fehlgeschlagene Aktion von Honolulu drangen auch sehr schnell zu Admiral Prassolow auf Kamtschatka und zu Admiral Makarenkow auf den Kurilen. Über das Nachrichtenschiff Primorje erfuhr davon auch Korvettenkapitän Jakowlew in seinem riesigen Stahlfisch Delta II.
»Delphin ist geplatzt!« sagte Prassolow zu ihm über den Funk der Primorje. »Ich weiß nicht, ob es noch Sinn hat, daß Sie da auf der Lauer liegen, Iwan Victorowitsch.«
»Es ist noch kein Gegenbefehl aus Wladiwostok gekommen, Genosse Admiral«, antwortete Jakowlew. »Ich operiere noch immer mit Sonderorder. Wir sind aber jetzt so gut wie sicher, daß die Amerikaner kugelförmige Warnstationen unter Wasser ausprobieren.«
»Was sagen Sie da?« schrie Prassolow. »Davon weiß ich nichts!«
»Es ist auch dem Genossen Leutnant Darenskij erst gestern gelungen, Fotos einer solchen Kugel zu machen. Unklare Fotos, Genosse General. Er kam mit dem ›Hecht‹ nicht nahe genug heran, aber es sieht wirklich aus wie eine Kugel. Wir werden in den nächsten Tagen bessere Fotos haben.«
»Jakowlew, seien Sie vorsichtig!« sagte Prassolow. »Überlegen Sie, wieviel Millionen Rubel die Delta II kostet!«
»Die Überlegenheit der Amerikaner kann uns unser Vaterland kosten, Genosse Admiral. Wir werden auf jeden Fall versuchen, solch eine Kugel in die internationale Zone abzuschleppen. Was Leutnant Darenskij gesehen hat, schwimmt nahe an der Grenze des Sperrgebietes.«
»Die Amerikaner sind keine Idioten, Iwan Victorowitsch!« rief Prassolow warnend.
»Wir werden sie ablenken, Genosse Admiral. Ich denke mir, daß ich ein Boot mit fünf ›Hechten‹ von den Amerikanern orten lasse und die Flotte auf sie ziehe. Das macht das Gebiet frei, aus dem wir die Kugel holen.« Jakowlew stockte einen Augenblick lang, aber dann sagte er völlig kalt: »Kann sein, daß wir dabei einige Opfer bringen müssen. Wir sind bereit dazu.«
Die Auswertung aller amerikanischen elektronischen Messungen und Daten, die Crown auf dem Tisch liegen hatte, war deutlich genug. Hinzu kamen die Bänder, die alles, was die Delphine sendeten, aufnahmen. Ferner die Computerbilder, die ebenfalls von den Delphinen durch Impulsfrequenzen aufgezeichnet wurden.
Admiral Crown hatte sämtliche auf Wake stationierten Offiziere um sich versammelt. Mit Atkins in Pearl Harbour hatte er bereits telefoniert; der war sofort mit Washington verbunden worden, mit dem Pentagon, mit Bouwie und dem Sicherheitsbeauftragten des Präsidenten. Der Kommandeur der 11. Pazifikflotte in San Diego, Admiral Linkerton, war ebenfalls benachrichtigt. Die Wake-Insel wurde ein Krisenherd. Von Pearl Harbour und der Midway-Insel liefen schnelle Marineeinheiten in Richtung Wake aus, vor allem U-Boote und schnelle Zerstörer.
»Meine Herren!« sagte Crown. Hinter ihm auf einer Bildwand erschien das erste Foto. »Ich muß Ihnen leider gestehen, daß es den Sowjets offenbar gelungen ist, eine unserer Elektronikkugeln zu entdecken. Während in der Kugel selbst die Instrumente nichts aufzeichneten – warum, das wird noch untersucht werden –, haben die Versorgungs-Delphine Paddy, Jimmy und Conny einwandfrei eines der Mini-U-Boote der Russen entdeckt, und zwar in bedrohlicher Nähe der Kugel. Ehe wir Gegenmaßnahmen ergreifen konnten, war das wieselschnelle Boot schon wieder weg. Die Abschwimmgeräusche wurden in der Kugel allerdings verzeichnet.« Hinter Crown wechselten schnell die Bilder. »Es steht zu befürchten, daß die Sowjets von jetzt an mit massiven Aktionen tätig werden. Vor einer Stunde habe ich vom Oberkommando Handlungsfreiheit im Rahmen der Notwendigkeiten erhalten. Um es ganz klar zu sagen: Ab sofort befinden wir uns im Ernstfall! Nur: Die Welt wird es nie erfahren, und niemand wird darüber reden. Ich möchte mit Ihnen unsere taktischen Überlegungen durchsprechen …«
Während im Kommandobunker die Lage diskutiert wurde, saß Finley unter den Palmen am Flipper Point und stierte in die Lagune. Zwei Kompanien Delphine – die von Ronny und Henry – tobten im grünblau schimmernden Wasser.
Der Schock über Nuku-na-mus Tod war überwunden. Zurückgeblieben war ein Gefühl der Fassungslosigkeit, mit dem Finley nun allein fertig werden mußte. Clark hatte ihm das Tonband mit Nukis Aussagen vorgespielt, kommentarlos, bis Finley von selbst sagte: »Es ist unfaßlich! Aber mich hat sie geliebt.«
»Das stimmt. Und es stimmt auch, daß sie dich zu spät kennengelernt hat. Ein Jahr früher – und vielleicht wäre dann alles anders gekommen. Aber ihr hättet euch ohne den KGB nie kennengelernt, und das ist eben der Irrsinn!«
Wie viele Männer, denen eine unerfüllte Liebe zum Schicksal geworden war, hatte auch Finley eine Zeitlang daran gedacht, es Nuki nachzumachen und sein Leben zu beenden. Clark erriet seine Gedanken und holte die 9 mm Smith & Wesson aus Finleys Nachttischschublade.
Aber statt die Waffe wegzunehmen, legte er sie vor den Freund hin und sagte: »Hier! Sieh nach, ob sie funktioniert. Es ist unheimlich frustrierend, wenn man abdrückt und es macht nur leise plopp …«
»Es würde dir also nichts ausmachen, wenn ich es tue?« fragte Finley dumpf.
»Nein. Ein Idiot weniger – so was merkt die Welt nicht. Sich einer Frau wegen das Leben zu nehmen ist das Schwachsinnigste, was ich mir denken kann!«
»Das kann nur einer sagen, der noch nie richtig geliebt hat.«
»O James, wenn du wüßtest!« Clark hatte an Finley vorbei über das Meer geblickt und an Nona Kaloa gedacht; so eine Frau würde es nie wieder geben. Laut sagte er: »Überleg es dir, ob überhaupt jemals irgendein Grund stark genug sein kann, um das Leben einfach wegzuwerfen. Und wenn dir kein Mensch eine Antwort geben kann, dann frag deine Delphine …«
Die Delphine waren es schließlich auch, die Finley trösteten. Sie tobten mit ihm in der Lagune, stupsten ihn mit ihren Nasen vor sich her, trugen ihn auf den Rücken über das Wasser und umtanzten ihn wie ein Ballett.
Finley hob den Kopf, als jetzt Helen aus dem Palmenwald kam. Sie trug wieder ihren goldenen Badeanzug und sah aus, als sei sie ein Tropfen der Sonne. Das große Badetuch wie eine wehende Fahne hinter sich haltend, lief sie auf Finley zu und rutschte neben ihm in den weißen Korallensand.
»Seit drei Stunden suche ich dich, James!« sagte sie atemlos. »Keiner wußte, wo du bist. Bis Clark mir den Tip gab: Sieh mal am Flipper Point nach. Die Kompanien von Ronny und Henry sind auch weg. – Und wirklich, da bist du!«
»Ja …« Finley starrte über die Lagune. Dann fügte er hinzu: »Hier ist die Welt noch ein bißchen in Ordnung.«
»Irrtum! Bei Crown ist sogenannte ›Große Lage‹. Man erwartet massive sowjetische Aktionen. Genau das, was man seit Monaten befürchtet hat.«
»Sollst du mich holen?« fragte Finley.
»Nein.« Helen legte sich neben ihm auf das Badetuch und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Sein Blick glitt über sie, und er fand sie, wie immer, sehr schön. Nicht so tierisch wild wie Nuki-na-mu, sondern mehr von einer stillen Zärtlichkeit, die ein wunderbares Gefühl der Geborgenheit vermittelte. »Ich wollte mich nur zu dir legen und übers Meer blicken.«
»Ein einsames Vergnügen, Helen.«
»Wir zwei sollten uns verstehen, James. Unser beider Leben ist durch die Delphine verändert worden. Du hast Nuki verloren, mir hat John meinen Rick getötet. Damals hast du fünf Tage lang an meinem Bett gesessen und mir erzählt, wie unvergleichlich kostbar das Dasein trotzdem noch sein kann. Ich wollte es nicht glauben, weißt du das noch? Aber dann ging das Leben weiter, und es ist tatsächlich noch wunderschön. Genauso wie du es geschildert hast. Ich müßte jetzt dir die gleichen Worte sagen.«
»Ich bin schon drüber weg, Helen. Aber es ist lieb von dir. Danke! Du bist ein prima Kumpel.«
»Das ist mein Schicksal.« Sie drehte den Kopf weg und sah den spielenden Delphinen in der Lagune zu. »Sich damit abzufinden, ist auch verdammt schwer …«
Später schwammen sie zwischen den Delphinen herum, bespritzten sich mit Wasser, neckten und jagten sich, tauchten, spielten toter Mensch und ließen sich von den Delphinen retten, und einmal stießen sie dabei im Wasser zusammen und umklammerten sich. Ihre Körper klebten geradezu aneinander.
»Küß mich«, sagte Helen leise. »Verdammt, küß mich! Aber nicht wie ein Bruder …«
Es war ein Kuß, nach dem Finley sich seit zwei Jahren gesehnt hatte. Und doch fragte er sich, ob Helen es vielleicht nur aus Mitleid tat.
Im Befehlsbunker hatte Crown seinen Vortrag beendet. Jeder begriff den Ernst der Lage, diese verrückte Situation, sich kriegsmäßig zu wehren unter Ausschluß der Öffentlichkeit.
Dr. Rawlings betrat nun das Podium, auf dem Crown gestanden hatte. Hinter ihm auf der Leinwand erschienen Fotos von Ronny, Henry, Robby und Bobby. Man erkannte darauf, wie die Delphine unter Wasser schwammen und am Hals einen Metallkasten mitschleppten.
Rawlings räusperte sich. Dann sagte er: »Die Entwicklung der Dinge erfordert es, daß wir von sofort an neben den Versorgungs-Delphinen und den Beobachtungs-Delphinen auch unsere Kampf-Delphine einsetzen. Die Mehrzahl der hier anwesenden Herren weiß noch nicht, was dies bedeutet. Ich möchte Sie nicht mit wissenschaftlichen Details langweilen, wie so etwas möglich ist, wie Intelligenz und Sprache der Delphine ausgewertet wurden und was von Delphinen geleistet werden kann. Viele werden nachher sagen: Das ist eine Pervertierung der Wissenschaft und der Freundschaft zwischen Tier und Mensch. – Sie haben recht, meine Herren. Aber ist es nicht auch eine Pervertierung der Wissenschaft, Atomsprengköpfe zu erfinden, die mit ihrer Sprengkraft auf einen Schlag ganze Länder und Millionen von Menschen auslöschen können? Wir leben in einer unglückseligen Welt, die vom Frieden nur redet und im gleichen Moment geradezu ekstatisch für die Vernichtung rüstet. Perverser geht es nicht mehr. Da wirkt ein Delphin, der darauf trainiert ist, Magnetminen zu transportieren und an Schiffsleiber zu heften, fast nur noch wie eine Walt-Disney-Figur.« Rawlings machte eine kurze Atempause, ehe er fortfuhr: »Damit habe ich schon angedeutet, um was es geht: Uns ist es nach monatelangem Training gelungen, Kampf-Delphine auszubilden, die – von uns über Impulse von Land oder vom Schiff aus gelenkt – an gegnerischen Unterwasserschiffen Magnetminen anbringen. Diese Minen werden nach einer Zündverzögerung, welche den Delphinen die Flucht ermöglicht, zur Detonation gebracht und vernichten den Feind mit absoluter Sicherheit. Sie wissen ja bereits aufgrund der bisherigen Einsätze unserer ›Sea-Lords‹: Ein Delphin ist schneller als das schnellste U-Boot und kann es abfangen, bevor es uns gefährlich wird. Unsere Delphine melden uns den Feind, lange bevor er in unseren Sicherheitsbereich kommt. Was wir hier auf Wake praktizieren, ist mehr als ein Versuch. Wir erbringen den Beweis, daß der Einsatz von Delphinen in bestimmten Bereichen und Situationen dem menschlichen Handeln weit überlegen ist.« Rawlings blickte hinüber zu Admiral Crown, der unter seinen Offizieren in der ersten Reihe saß. »Beten wir zu Gott«, sagte er fast feierlich, »daß wir nicht gezwungen sein werden, unsere Kampf-Delphine einzusetzen. Dennoch – wir sind bereit!«
Rawlings' Worten folgte ein kurzer Film über den Einsatz von Ronny und Henry, aufgenommen vor der Küste San Diegos, in der Nähe der San-Clemente-Insel. Als die Zielschiffe in einer riesigen Explosionsfontäne zerplatzten, klatschten alle Offiziere. Nur Crown sagte in die dann folgende Stille hinein:
»Im Ernstfall wären das 467 Tote. Meine Herren, da applaudiert man nicht …«
Am nächsten Morgen schon kreuzte die Flottille von Wake unter Kriegsbedingungen an der Grenze des Sperrgebietes. Das ›Delphin-Mutterschiff‹ unter Captain Yenkins, äußerlich von einem normalen Kriegsschiff nicht zu unterscheiden, schwamm träge in der Dünung vor dem internationalen Seegebiet, in dem man die sowjetischen U-Boote vermutete.
Sämtliche Delphin-Kompanien waren unterwegs. Im Bassin an Deck blieben nur Ronny, Henry, Robby und Bobby zurück. Bei ihnen saß Finley am Beckenrand; er hatte mit ihnen immer wieder das Ankleben von Minen und das Scharfdrücken des Zünders geübt. Dies ging so vor sich, daß eine Stahlplatte im Wasser hing. Die vier Kampf-Delphine schossen aus der Tiefe heraus, hefteten die Magnetmine an den Stahl, tippten mit der spitzen Schnauze an den Zündknopf und tauchten sofort wieder blitzschnell weg. Es hatte bei sämtlichen ›Manövern‹ nicht einen einzigen Versager gegeben.
Fünf Meilen außerhalb des Sperringes hing Ted Farrow mit seiner Elektronikkugel 300 Meter tief im Pazifik. Seine feinen Instrumente zeigten nichts Außergewöhnliches an: Fischschwärme; die drei Delphine, die ihn versorgen sollten und ihn im weiten Umkreis auch absicherten; zweimal ein großer Hai, der aber sehr schnell verschwand, als die Delphine geschlossen gegen ihn anrückten. Ted hatte Zeit, an seine schöne Yumahana zu denken und an das tolle Ding mit Nuki-na-mu, das er ja ins Rollen gebracht hatte. Vom Oberkommando war deshalb eine Belobigung gekommen und ein Hinweis zur Master-Sergeant-Beförderung. Farrow kam das gerade recht – ein paar Dollar mehr gaben seiner geplanten Ehe mit Yumahana eine sicherere Grundlage.
Vielleicht in einem halben Jahr, dachte Ted. In einem halben Jahr sollten alle Experimente auf Wake abgeschlossen sein. Dann waren die ›Kugeln‹ verankert, vier Unterwasserbunker montiert. Drei Kompanien Delphine würden auf der Wake-Station bleiben. Die neuen Einsatzgebiete waren noch top secret. Man wollte erst einmal Erfahrungen sammeln darüber, wie sich die neuen Warnkugeln bewährten. Nur eines wußte man schon: In San Diego, in Biscayne Bay und an noch vier anderen Stellen würden neue Delphin-Kompanien trainiert werden. Nach den gelungenen Experimenten der Forschungsgruppe Rawlings würde das jetzt einfacher sein und schneller gehen.
Noch ein halbes Jahr. Auch das kriegen wir rum, Yumahana! Und dann heiraten wir – du im weißen langen Kleid und ich in der Galauniform des Master Sergeant. Und am Delphinbassin bauen wir die Tischreihen auf und feiern, und sie sollen alle mitmachen, meine Kameraden von den ›Sea-Lords‹.
Es war schön, solchen Gedanken nachzuhängen, tief unten, 300 Meter tief im Pazifik.
Bis plötzlich die Instrumente ausschlugen, der Empfänger für die Delphinimpulse die Signale aufnahm und oben, auf dem Mutterschiff, Admiral Crown mit ernster Stimme sagte:
»Sie kommen!«
Alle Uhren zeigten genau 2 Uhr 15 nachts.
Was war auf sowjetischer Seite passiert? Jakowlew hatte die letzte Einsatzbesprechung mit den Worten beendet: »Die Amerikaner haben uns lächerlich gemacht – jetzt machen wir sie zu Clowns!«
Delta II und Charlie erhielten Befehl, mit deutlichen Motorengeräuschen die Strecke hinaufzufahren, die damals der arme Loginow genommen hatte bei seinem Versuch, auf die Insel zu gelangen. Daß dabei alle amerikanischen Sonargeräte die sowjetischen U-Boote erfaßten, war Absicht – denn dann würden die US-Wachschiffe mit voller Kraft dorthin auslaufen. Unterdessen hatte das schnellste sowjetische U-Boot, die kleine ›Victor‹, mit drei ›Hechten‹ im Leib Gelegenheit, unbemerkt an die geheimnisvolle amerikanische ›Kugel‹ heranzuschleichen und sie in Schlepp zu nehmen. Ehe die Amerikaner davon Wind bekamen und umkehrten, war es längst zu spät; sie konnten die ›Victor‹ nicht mehr einholen. Hundert Seemeilen vom Sperrgürtel entfernt würde ›Victor‹ dann auftauchen – gefechtsklar mit seinen gefährlichen neuen Torpedos – und über Funk die herbeieilenden Amerikaner warnen: Wer uns im internationalen Gewässer angreift, wird vernichtet!
Die Ohnmacht der Amerikaner würde vollkommen sein. Niemals konnten sie die Herausgabe der Kugel verlangen, denn diese Kugel gab es ja nicht! Auch angreifen konnten sie nicht, denn Delta II und Charlie wären mit ihrer ungeheuren Raketenfeuerkraft in der Lage, die gesamte Wake-Flotte in die Tiefe zu schießen. Das wußte auch Admiral Crown.
Wie lächerlich schwammen die Amerikaner dann herum! So hofften es die Russen.
Jakowlew durchströmte schon im Gedanken an den ›Sieg‹ ein Glücksgefühl.
Die ›Victor‹ wartete entsprechend dem taktischen Plan lautlos im Meer, als Charlie und Delta II in voller Fahrt und nur auf Sehrohrtiefe nach Nordwesten rauschten, voll erfaßt von den amerikanischen Warnsystemen.
Admiral Crown reagierte auf die eingehenden Meldungen mit größter Verwunderung. Die einsatzbereite Flotte, die U-Boote vor der Einfahrt von Wake, die Kampfhubschrauber und Jäger auf dem Flugplatz warteten. Vize-Admiral Creek, der die Flotte unmittelbar befahl, und Kapitän zur See Dustin, der Kommandant der Unterseeboot-Einheiten, zeichneten auf der Seekarte den Kurs der Sowjets ein.
»Völlig verrückt!« sagte Crown. »Dort befindet sich gar keine Kugel. Was wollen sie denn da?«
»Die Ortungen sind klar, Sir!« meldete sich der Fachmann für Sonar aus dem Kontrollraum. »Es sind zwei U-Boote, eins vom Typ Charlie, eins von Delta II.«
»Prost Betty!« sagte Crown fett. »Die Russen lassen sich das was kosten! Ich möchte nur wissen, was sie in diesem Seegebiet suchen wollen.«
»Sollen wir sie fragen, Sir?« Vize Creek griff zum Funkgerät.
»Schicken Sie eine Fregatte und zwei Schnellboote hin, das reicht für den Blödsinn. Die anderen bleiben auf jetziger Position. – Dustin?«
»Sir?«
»Lassen Sie zwei Boote zu B III schwimmen.«
B III war die Kugel, in der Farrow saß und mit großem Staunen wahrnahm, daß sich das Geschehen von ihm entfernte. Auf dem Delphinschiff dagegen zuckte es auf allen Monitoren. Zwei Kompanien der Sea-Lords begleiteten die beiden sowjetischen U-Boote.
Ronny, Henry, Robby und Bobby schwammen ruhig in dem Vorbecken herum, von dem aus eine Wasserrutsche hinaus ins freie Meer führte. Um den Hals trug jeder von ihnen den Tragriemen, an den später die Magnetmine gehakt wurde. Die Minen lagen am Beckenrand – vier Stahlkästen, so harmlos aussehend wie Werkzeugkästen. Aber in ihnen war ein Unterwassersprengstoff, der ein Schiff rettungslos aufreißen konnte.
Um 3 Uhr 10, als Admiral Crown verkündete, die Sowjets müßten einen Wurm im Hirn haben, um solchen Unsinn vorzuführen, erfaßte der Delphin Jimmy vom Begleitkommando B III das nunmehr sich anschleichende sowjetische U-Boot ›Victor‹. Auf seine Signale hin schlossen sich sofort noch drei Delphine an und umkreisten nun, von niemandem daran zu hindern, das Schiff. Da ihre Impulse außerhalb aller Instrumente lagen, die Schwingungszahl nicht meßbar war, fuhr der sowjetische Kommandant der ›Victor‹, Kapitänleutnant Kossalapanan, ahnungslos weiter. Für ihn war die Unterwasserwelt in Ordnung.
»Na ja, wer sagt's denn!« rief Crown, als die erste Meldung von Jimmy eintraf. »So blöd sind wir nicht, mein lieber Iwan! Es fehlte ja Nummer drei, und du weißt nicht, daß wir das wissen.« Er sah zu Creek und Dustin und nickte. »Alarm! Aber völlige Ruhe! Ich will erst wissen, was der Bursche da unten vorhat.«
Auf dem Delphin-Mutterschiff wurden Ronny, Henry, Robby und Bobby die Magnetminen umgeschnallt. Finley, Helen und Dr. Clark standen dabei, als die Marinesoldaten im Becken die tödlichen Lasten einhakten. Dann wurde die Rutsche freigegeben, und die vier Kampf-Delphine glitten in die See – aber sie blieben in Schiffsnähe und schwammen ruhig im Kreise.
»Kommando zu Wasser!« meldete Dr. Rawlings an Admiral Crown.
Die ›Victor‹ verringerte ihre Fahrt und blieb dann bewegungslos liegen. Aus drei Klappen rutschen die ›Hechte‹ heraus und schossen fast lautlos davon. Fast lautlos – die Delphine ›klebten‹ sich sofort an sie. Nur Jimmy blieb bei ›Victor‹ zurück.
»Da gebären sie wieder Fischlein«, sagte Crown gemütlich. »Wer sitzt heute in B III?«
»Sergeant Ted Farrow, Sir.«
»Geben Sie ihm durch, er soll sich Watte in die Ohren stopfen und seine Hose festhalten. Gleich schaukelt es stark.«
»Sir, Sie wollen …« Vize Creek zog die Brauen hoch. »Das ist freies Wasser …«
»Am Rande des Sperrgebietes.«
»Aber frei.«
»Wenn die Sowjets an unsere Kugel gehen, rappelt es!« sagte Crown hart.
»Wenn …«
»Abwarten, Creek!«
In der nächsten halben Stunde überschlugen sich die Ereignisse.
Im Nordwesten von Wake verfolgten die Fregatte und zwei Schnellboote die Schiffe von Jakowlew und Denisenkow. Dustins U-Boote schwärmten im Sperrgebiet fächerförmig aus. Der Hauptteil der Flottille lag sturmbereit. Auf dem Flugplatz rotierten die Propeller der Hubschrauber. Die Piloten saßen in den Jägern, die Glaskanzeln noch offen. Die vier Kampf-Delphine schwammen nach wie vor um das Mutterschiff herum.
In seiner Kugel, hinter dem dicken Fenster, hatte Ted Farrow ein einmaliges Erlebnis. Als seine Instrumente voll ausschlugen, ließ er alle Scheinwerfer aufleuchten. Erschrocken sah er, wie ein Miniboot an ihm vorbeischoß, verfolgt von einem Delphin. Gleichzeitig knirschte es, die Kugel bebte, und dann hatte Farrow das Gefühl, abgetrieben zu werden. Die Instrumente spielten verrückt. Im Kontrollraum mußten jetzt die Computer platzen.
»Ist das eine Frechheit!« sagte Crown und hieb mit der Faust auf den Tisch. »Die wollen uns eine Kugel klauen! Sie schleppen Farrow ab! Das also war es! O ihr lieben ehemaligen Verbündeten: Hier steht William Crown, das habt ihr übersehen.«
Auf dem Delphin-Mutterschiff traf der Einsatzalarm ein und wirkte wie eine Vorausexplosion. Captain Yenkins nickte mit hochrotem Kopf Dr. Rawlings zu. Ihm stockte dabei der Atem.
Finley gab das Signal. Jeder Delphin hatte eine andere Frequenz. Zuerst jagte Ronny los, ihm folgte Bobby, dann Henry und zum Schluß Robby. Pfeilschnell schossen sie in die Tiefe und dann den Schwingungen entgegen, die Jimmy aussendete. Er lag seitlich vom Turm des sowjetischen Victor-U-Bootes über dem Deck und wartete.
»Kommando unterwegs«, meldete Rawlings.
Zwei ›Hechte‹ schleppten unterdessen die Kugel B III ab, immer weiter hinein in das internationale Gewässer. Kossalapanan war stolz; er gab das, was seine ›Hechte‹ meldeten, sofort an Jakowlew weiter. Das Einfangen der Kugel war gelungen; noch vier Seemeilen trennten sie von der ›Victor‹.
Jakowlew sah den Augenblick für gekommen, umzukehren und das Ablenkungsmanöver abzubrechen. Delta II und Charlie drehten und schwammen mit voller Kraft zurück.
»Mit mir nicht!« sagte Crown im Kontrollraum und blinzelte dem etwas bleichen Creek zu. »Creek, ich bin verpflichtet, einen amerikanischen Staatsbürger zu retten. Sehen Sie das auch so?«
»Genau so, Sir.« Creek starrte auf die Computerbilder. »Werden wir ihn jetzt nicht gefährden?«
»Die Explosion wird ihn durchschütteln, das ist alles. Beulen und blaue Flecken, das ist das Vaterland wert! – Rawlings?«
»Sir?«
»Wann kann es soweit sein?«
»In etwa zehn Minuten erreichen die Delphine das U-Boot.«
»Wie weit ist die Kugel dann schon dran?«
»Nach unseren Berechnungen wird die Kugel etwa eine halbe Seemeile entfernt sein, wenn die Delphine Kontakt haben.«
»Das reicht!« Crown blickte an die Decke, als wolle er von oben Hilfe holen. »Es kann Farrow nicht gefährlich werden. Wer wird eingesetzt?«
»Ronny.«
»Ihr Musterknabe …«
»Er ist am sichersten.«
Die Minuten schlichen dahin. Bis zu dieser Nacht hatte Crown nicht gewußt, wie lang zehn Minuten sein können. Er erinnerte sich an ein altes Boxerwort: Der einsamste Mann der Welt ist der Boxer im Ring. Drei Minuten je Runde, das sind drei Ewigkeiten … Hier waren es zehn Minuten. Ewigkeiten bis zu den Sternen.
»Sie sind da!« sagte Rawlings plötzlich mit bebender Stimme. »Sir, das ist jetzt ganz allein Ihre Minute …«
Crown schloß die Augen. Der kleine Mann lehnte an der Wand und hatte die Hände gefaltet. Tatsächlich, er betet, dachte Rawlings betroffen. Verdammt, er betet – wer hätte das gedacht?
»Die Lage?« sagte Crown fast tonlos.
»U-Charlie und U-Delta II mit voller Fahrt zu U-Victor. Entfernung noch sieben Seemeilen. B III weiter im Schlepp auf U-Victor zu. Flottengruppe II verfolgt die U-Boote, Flottengruppe I verharrt auf Position, eigene U-Boote liegen bereit. Air-Basis meldet Einsatzbereitschaft … Entfernung von U-Victor vier Seemeilen vom Sperrgürtel …«
»Sir …«, sagte Vize Creek heiser. »Das sind vier Meilen zuviel …«
»Es geht um Farrow, Creek, und um die Rettung eines Geheimnisses, das unser Land vor plötzlichen Angriffen schützen soll. Es geht um die Sicherheit der Vereinigten Staaten, um die Sicherheit der freien westlichen Welt. Was würden die Sowjets tun, wenn wir ihre Geheimnisse unter ihren Augen stehlen?«
»Das weiß jeder, Sir.«
»Wir leben in einer verfluchten Zeit! – Rawlings, tun Sie's!«
Vom Mutterschiff aus gab Rawlings den Befehl an Ronny. Finley, Clark, Helen und die gesamte Mannschaft standen an Deck des Delphinschiffes und starrten in die Nacht. Es war eine herrliche, sternenklare, milde Pazifiknacht, fast windstill und mit einem fast schlafenden Meer. Finley hatte den Arm um Helens Schulter gelegt, und sie lehnte den Kopf an ihn, und er spürte, wie sie zitterte.
Rawlings verfolgte am Monitor das Geschehen. Hinter ihm stand Crown und atmete schwer.
»Ronny ist am Schiff«, sagte Rawlings leise. »Jetzt hat er die Mine angeklebt. Gleich löst sie sich aus der Verankerung … gleich …« Rawlings brach ab, seine Schultern fielen nach vorn.
»Was ist los, Steve?« stotterte Crown. »Mein Gott, was ist denn los?«
»Ronny kommt von der Mine nicht weg … irgendwie klemmt der Mechanismus … die Mine klebt am Boot, aber Ronny kommt nicht frei … Ronny hängt an der Mine …«
»Abbrechen!« schrie Crown. »Steve, rufen Sie Ronny zurück!«
»Das geht nicht.«
»Warum denn nicht?«
»Der Magnet ist so stark, daß Ronny ihn nicht abziehen kann. Er kann sich nur durch den Haken befreien, und da klemmt etwas.«
»Was nun?« stotterte Crown. »Was nun?«
»Ja, was nun …?« Rawlings sank halb über den Tisch. »Der Zeitzünder läuft.«
»Wo sind die anderen Delphine?« brüllte Crown.
»Es bleibt keine Zeit mehr, Ronny wegzuholen. Jeder Versuch wäre sinnlos. Noch vierzehn Sekunden, Sir …«
»Ronny! – Verdammt, warum benehmen wir uns wie die Verrückten? Es ist doch nur ein Fisch …!« Dann brach seine Stimme ab. Crown drehte sich zur Wand und schrumpfte zusammen.
Die Detonation draußen auf See zerriß die Nachtstille und zerfloß in alle Winde. Das U-Boot Victor wurde zerfetzt und mit ihm Kossalapanan und seine junge Mannschaft. Die Druckwelle erfaßte auch die drei ›Hechte‹, warf sie weg wie Blätter im Wind, die Strahltrosse um B III rutschte ab, und Ted Farrow krachte mit dem Kopf gegen seine stählerne Wand.
»O Yumahana …«, sagte er noch, dann war er besinnungslos.
Jakowlew, noch fünf Seemeilen von ›Victor‹ entfernt, wußte sofort, was diese Erschütterung bedeutete. Sein Kopf sank nach vorn, er schloß einen Augenblick die Augen und verharrte völlig bewegungslos. Seine Offiziere starrten ihn mit verzerrten Mienen an.
»Abblasen …«, sagte Jakowlew dumpf. »Sofort …«
»Sie wollen auftauchen, Genosse?« Der 1. Offizier sprang auf.
»Ja!«
»Vor den Amerikanern?«
»Das sind wir dem Helden Manuil Dmitrjewitsch Kossalapanan schuldig!« Jakowlew sprang auf und riß seine Mütze vom Haken. »Auftauchen und volles Licht! Befehl auch an Denisenkow.«
Er rannte aus dem Kommandoraum, lief hinüber zum Turm und machte sich zum Ausstieg auf die Brücke bereit. Zischend fuhr die Preßluft in die Tanks und preßte das Wasser heraus. Die Delta II, das größte und stärkste U-Boot der Sowjetmarine, tauchte aus dem Meer und erhellte seine Umgebung sofort mit flutendem Licht. Wenig später schoß Denisenkow mit seinem Charlie an die Oberfläche, auch er hell erleuchtet.
Die amerikanischen Kriegsschiffe antworteten. Die amerikanischen U-Boote tauchten ebenfalls auf, die Überwasserschiffe strahlten mit allen Lichtern und Scheinwerfern. Von Wake kamen jetzt auch die Hubschrauberstaffeln heran, kreisten über den beiden sowjetischen U-Booten und tauchten sie von oben in volles Licht.
Jakowlew stand auf der Brücke und fuhr langsam auf die Stelle zu, wo jetzt die Trümmer der ›Victor‹ in einer großen Öllache schwammen. Denisenkow folgte ihm, und dann glitt die Charlie auf Jakowlews Befehl neben die Delta II, alle Matrosen und Offiziere nahmen an den Decks Paradeaufstellung, der Hornist der Delta II blies den Abschied, und alle Hände flogen hoch, zur Faust geballt, und grüßten die Toten der ›Victor‹.
Crown, an Deck des Delphinschiffes, hob die Hand zum militärischen Gruß. »Man kann sagen, was man will«, knurrte er. »Von Helden verstehen die Russen etwas – auch wenn die, die jetzt da unten liegen, keine Helden sein wollten. – Welch ein Mist, die verdammte Politik!«
Als die Scheinwerfer erloschen und alle wieder unter Deck waren, blieb Jakowlew allein auf der Brücke zurück. Er starrte auf den großen Ölfleck und biß sich verzweifelt in die Fäuste. Sein Haß war grenzenlos, und seine Wut wurde nur gemildert von der Hoffnung, daß einmal die Zeit kommen würde, wo mit einem Schlag die ganze westliche Welt zugrunde ging.
Aber Jakowlew und die Männer von ›Victor‹ waren nicht die einzigen Opfer dieser Nacht. Als an Bord des Delphin-Mutterschiffes bekannt wurde, daß Ronny bei der Explosion der Mine umgekommen war, ließ Finley mit einem Seufzer Helen los und fiel in sich zusammen. Clark fing ihn auf und schleppte ihn weg, der Bordarzt gab ihm eine Injektion, aber sie nutzte wenig: Finley begann zu toben, schlug die Möbel der Kabine zusammen und rannte mit dem Kopf gegen die Wand. Clark mußte ihn mit vier Hieben k.o. schlagen, ehe man wieder an ihn heran konnte.
»Das gibt sich wieder«, sagte Clark zu Helen und hielt sie fest, weil sie zu Finley wollte. »Wir haben immer gewußt, daß der große Junge so zarte Nerven hat.«
Aber es gab sich nicht wieder. Eine Woche später mußte man Finley, in eine Zwangsjacke geschnürt, nach San Francisco fliegen. Er erkannte Helen nicht wieder, und als sie ihn zum Abschied küßte, grunzte er wie ein Tier.
Ein halbes Jahr später fand in der Marine-Basis von San Diego eine große Parade statt. Bouwie war gekommen, Atkins war da, Hammersmith und natürlich Linkerton, und Crown flog von Wake ein mit seinem gesamten Stab.
Ein Bataillon Marines und Ledernacken stand stramm. Eine große Kapelle spielte die Nationalhymne. Rund um einen mit Granit gepflasterten Platz in der Nähe des Delphinbeckens flatterten Fahnen. Vor der Küste kreuzten U-Boote und Zerstörer. Und so nahe wie möglich an Land dümpelte das alte ›Mutterschiff‹ in der See. In der Mitte des Platzes stand ein Denkmal, noch durch ein Tuch verhüllt. Die Reißleinen zur Enthüllung führten hinüber zum Delphinbecken.
Die Forschungsgruppe Rawlings hatte ihre Aufgabe erfüllt. Ihre Erkenntnisse wurden zur Grundlage einer künftigen umfassenden Delphinausbildung für den Militäreinsatz. An sieben Plätzen sollten die Ausbildungen beginnen mit zunächst fünfhundert ausgesuchten Delphinen.
Das Team von Wake war nach San Diego zurückgekehrt. Auch Ted Farrow war dabei; er hatte zwar in Honolulu seine Yumahana geheiratet, ganz in Weiß, wie erträumt – aber als es hieß, die Delphine und die Kameraden kämen zurück nach San Diego, meldete er sich freiwillig für diesen Posten. Im Winter würde Yumahana nach San Diego nachkommen, sie war dann bereits im siebten Monat. »Wenn's ein Junge wird«, hatte Farrow zum Abschied gesagt, »heißt er Ronny! Denn ein Ronny hat mir das Leben gerettet.«
Unter den Klängen der Nationalhymne fiel das Tuch. Vier Delphine unter dem Kommando von Robby zogen an den Leinen und enthüllten das Denkmal. Farrow, der mit ihnen im Wasser war, legte den Arm um Robby und begann zu weinen.
Auf einem weißen Marmorsockel, der wie eine große Welle aussah, stand das Abbild des Delphins Ronny. Aus schwarzsilbernem Granit, das Schnabelmaul leicht geöffnet – so, wie er immer seine Pfiffe ausstieß, wenn er besonders zärtlich sein wollte.
In den Sockel waren mit Goldbuchstaben die Worte eingehauen: Sergeant Ronny von den 1. Sea-Lords auf Wake. Gefallen für sein Vaterland.
Unter dumpfem Trommelwirbel legten Admiral Linkerton, Bouwie, Hammersmith und Atkins ihre Kränze nieder. Und es war das erste Mal in der Geschichte der USA, daß ein Delphin einen Kranz des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika erhielt.
Als letzter trat Admiral Crown an das Denkmal. Er legte keinen Kranz nieder, sondern brachte in einem Topf eine kleine Palme von Wake mit. Eine Palme aus der Bucht von Flipper Point, die Ronny so geliebt hatte. Dann stand er stramm und grüßte.
»Nur ein Fisch …«, sagte Rawlings leise, und seine Mundwinkel zuckten verräterisch.
»Crown war immer eine harte Nuß.« Dr. Clark nagte an der Unterlippe. Auch ihn überfiel Erschütterung. »Aber innen ist er weich wie Pudding.«
Captain Yenkins' Stimme hallte über das Becken. Die Delphine formierten sich zu ihren Kompanien. Sie nahmen Aufstellung, an der Spitze der jetzige Kommandeur, der dicke Robby. Unter den Klängen des Marinemarsches schwammen sie ihre Parade – zu Ehren von Ronny, dem ersten Delphin, der ein Denkmal bekommen hatte.
Etwas abseits vom Becken stand Helen und blickte mit starrem Gesicht auf diese einmalige Parade. Man hatte sie von aller Arbeit befreien wollen, aber sie hatte darum gebeten, dabeibleiben zu dürfen.
»Ich weiß, woran Sie jetzt denken, Helen«, sagte Admiral Crown. Er war zu ihr gekommen und stand nun hinter ihr. »Ein väterlicher Rat: Sie sollten so schnell wie möglich heiraten.«
»Wen denn? Einen Delphin, Sir?« fragte sie bitter.
»Einen Mann, der stark genug ist, Sie die Delphine vergessen zu lassen. Ich weiß, das halten Sie für unmöglich. Man sollte es dennoch versuchen. Gegen Ihren Willen hat Rawlings erreicht, daß man Sie aus der Delphinforschung herausnimmt. Sie kommen in die Abteilung Meeresschildkröten. Was Sie da sollen, weiß ich nicht; ich bin ja ein dämlicher Laie. Ich nehme nicht an, daß Meeresschildkröten die neuen Panzer auf See sein sollen.« Crown legte die Hand auf Helens schmale Schulter. »Du lieber Himmel – Sie müssen Delphine jetzt doch wie nichts anderes auf der Welt hassen …«
»John hat mich ehrlich geliebt und seinen Widersacher getötet. Töten nicht auch Tausende von Menschen aus Eifersucht?«
»Helen! Wie können Sie ein Tier vergleichen mit …«
»Sir! John ist tot, und Finley wird nie mehr die Nervenanstalt verlassen.« Sie blickte über das Delphinbecken hinaus in den sonnenglitzernden Pazifik und auf die Ehrenformation der 11. Flotte von San Diego. Eine Ehrung für einen Delphin. »Ich sehe da eine andere Aufgabe, Admiral Crown. Was John, Harry, Robby, Finley und wir alle erlebt haben in diesen zwei verrückten Jahren, das sollte man nicht einfach unterschlagen, nur weil Delphine die Helden waren. Oder, wie unwissende Menschen sagen würden: nur Fische! Ich werde ein Buch darüber schreiben …«
Hier ist es.