8
Am Morgen des dritten Tages geschah dann das, was alle befürchtet hatten, auch wenn keiner daran denken wollte: Die Kolonne kam ins Stocken. Bei Fort Stockton in Texas bog ein alter Milchlastwagen, der von Monahans herunterkam, in den Highway Nummer 10 ein und rammte seitlich den Truck, in dem der Delphin Harry und drei seiner Kameraden schwammen. Dr. Clark, der neben dem Bassin in seiner Kabine auf dem Feldbett lag, wurde von dem Aufprall heruntergeschleudert und krachte mit dem Kopf gegen die Wagenwand.
Weiter geschah nichts, aber es war genug, um den ganzen Konvoi zum Stillstand zu bringen. Bei dem Zusammenstoß war an Clarks Transporter ein Reifen aufgeschlitzt worden, das Blech über den Rädern hatte sich verbogen und blockierte sie.
Der Fahrer des Milchwagens hatte sich kurz vor dem Zusammenprall aus seinem Führerhaus fallen lassen und stand nun mit zwei Platzwunden an den Armen und mit Staub überzogen neben den Trümmern seines Autos und schrie hysterisch herum.
»Die Bremsen!« brüllte er heiser. »Ich sehe den Truck, trete drauf – nichts! Gar nichts! Der Kasten fährt lustig weiter. Was sollte ich tun, he? Raus, habe ich mir gesagt, nur raus hier. Hab 'ne junge Frau und zwei Kinder zu Hause. Und ich hab' immer zum Boß gesagt: Wirf den Mistkarren weg. Das ist'n Schrotthaufen. Da fahr' ich nicht mehr mit. Aber was soll man tun? Ich brauch' den Job, ich brauch' die Dollars. Ich schwöre euch: Die Bremsen waren einfach tot. Das wird die Untersuchung klar feststellen. Ich hatte keine Chance mehr …«
Das Lamentieren war zwar berechtigt, aber es half nicht weiter. Dr. Rawlings kam von der Spitze der Kolonne nach hinten gefahren und besichtigte den Schaden. Dr. Clark hatte ein nasses Handtuch um seinen Kopf gerollt.
»Alles klar, David?« fragte Rawlings besorgt.
»Nur eine Beule, Steve.« Dr. Clark winkte ab. »Aber Harry und die anderen Delphine sind aus dem Häuschen. Ihre zarten Gemüter!« Er zeigte auf den Milchwagen, der sich in die Seite des Trucks gebohrt hatte und dort nun wie eine große Klette hing. »Unmöglich, weiterzufahren.«
»Wir müssen!« sagte Rawlings. »Wir sind in der Zeit sowieso schon zurück.«
»Was nicht geht, geht nicht, Sir.« Der Fahrer des Spezialwagens, der diese Strecke steuerte, schüttelte den Kopf. Seine beiden anderen Kollegen brüllten auf den Milchfahrer ein, der mit schriller Stimme zurückschrie. »Wir müssen in die Werkstatt. Oder können Sie unsere Delphine umladen?«
»Nein. Das wird zu eng.« Rawlings ging zu dem Transporter und besichtigte den Schaden. Sofort war der Milchfahrer bei ihm und warf die Arme hoch.
»Die Bremsen, Sir, die Bremsen! Was sollte ich tun? Ich hab's noch mit der Handbremse versucht, aber auch die ist abgeschliffen. Machen Sie meinen Boß dafür verantwortlich, aber nicht mich. Der haut mir jetzt den Job sowieso um die Ohren.«
»Schon gut«, sagte Rawlings und schob den klagenden Mann zur Seite. »Keiner wird Ihnen eine Rechnung schicken. Gehen Sie dort zum Wagen 12 und lassen Sie sich Ihre Platzwunden behandeln. Im Wagen 12 ist ein Arzt.«
Er wartete, bis der Fahrer weggelaufen war, und wandte sich dann zu Clark zurück: »David, mir bleibt keine andere Wahl, als unser Prinzip zu durchbrechen. Ihr bleibt in Fort Stockton zurück. Wie lange kann die Reparatur dauern?« Rawlings blickte den Fahrer an.
»Das kommt auf die Werkstatt an. Wenn sie spurtet, ist alles in vier oder fünf Stunden vergessen. Höchstens ein Tag – aber dann müssen sie schon wie die Schnecken arbeiten.«
»Höchstens ein Tag, das kann ich verantworten. Du kommst dann nach und könntest uns einholen, bevor wir in San Diego ankommen. Ihr müßtet dann aber schneller fahren. Was hältst du davon, David Abraham?«
»Wir schaffen das, Steve. Keine Sorge! Und selbst wenn ich ein paar Stunden später allein in San Diego eintreffe, ist das auch kein Weltuntergang. Die Hauptstrecke haben wir hinter uns, die letzten tausend Kilometer reißen wir auch noch ab. Fahrt nur in aller Ruhe und ohne Kummer voraus; wir kommen sofort nach, sobald der Karren fahrtüchtig ist.«
So schnell man sich im Konvoi einigte, so schwierig wurde es mit der Polizei bei der Protokollierung des Unfalls. Der Sheriff von Fort Stockton kam höchstpersönlich zur Unfallstelle, stellte sich höflich bei Dr. Rawlings vor und sagte dann unhöflich: »Tut mir leid, Sir, aber bis zur Klärung der Lage muß dieser Truck bei uns bleiben.«
»Was heißt das, Sheriff?« Dr. Clark schob sich nach vorn. Der Sheriff betrachtete ihn mit zusammengekniffenen Augen. Ein Schwarzer! Boy, halt den Mund, sonst wird's ungemütlich. Du bist hier in den Südstaaten. Und ich bin ein weißer Sheriff. Wenn hier jemand eine Meinung hat, die akzeptiert wird, ist das meine Meinung. Halt dich zurück …
»Das heißt: Hier wird ein Protokoll gemacht, ein Sachverständiger prüft die Schuldfrage.«
»Die ist ja wohl klar!« rief Dr. Clark.
Boy, halt den Mund, dachte der Sheriff. Solange du redest, ist gar nichts klar. Was klar ist, bestimme ich! »Hier sind zwei Wagen ineinander gefahren«, sagte der Sheriff betont langsam. »Der Sachschaden ist groß. Da kann man nicht so übern Daumen spucken …«
»Wir transportieren Delphine«, sagte Dr. Rawlings, mühsam beherrscht.
»Na und?« Der Sheriff blickte sich um. »Ob Milch, Butter und Käse oder Fisch – ist alles verderbliche Ware! Welch ein dummer Zufall …«
»Ich glaube, Sheriff, Sie hatten in letzter Zeit zu wenig zu tun!« sagte Rawlings. »Da ist für Sie ein Unfall wie ein Mord.«
»Der Wagen ist beschlagnahmt!« brüllte der Sheriff mit hochrotem Gesicht. »Und auch Sie bleiben hier, Sir! Wenn Sie wollen – ich kann auch anders!«
»Ich auch.« Dr. Rawlings holte aus seiner Brusttasche einen Bogen Papier und entfaltete ihn. Er hielt ihn dem Sheriff unter die Augen. »Lesen Sie das mal.«
Der Polizist überflog die Zeilen und hob die breiten Schultern. »Was soll's?« sagte er dann stur. »Von der Marine! Was habe ich mit der Navy zu tun? Hier ist Fort Stockton, und hier bin ich das Gesetz. Mir hat die Navy nichts zu befehlen.«
»Das ist eine gute demokratische Einstellung, Sheriff. Behalten Sie sie bei, auch wenn ich jetzt in Washington anrufe und man Sie dann an den Apparat holt. Das Pentagon wird Ihnen sagen …«
»Was geht mich das Pentagon an. Hier ist Texas!«
»Das erklären Sie mal dem CIA.«
Der Sheriff wurde unsicher, starrte Dr. Rawlings und dann die lange Kolonne der Spezialwagen an. Langsam, wenn auch widerwillig dämmerte ihm, daß er hier in eine verdammt heikle Sache geraten war. Jetzt kam es darauf an, sich mit Würde zurückzuziehen.
»Auch das CIA kann einem freien Sheriff nichts befehlen. Ebensowenig das FBI. Wieso kümmert sich das CIA um Delphine?«
»Da fragen Sie am besten selbst in Washington nach, Sheriff. Sicherlich wird man es Ihnen erklären.«
Der Sheriff hatte keine Lust, jetzt mit Spott überschüttet zu werden. Er ließ Dr. Rawlings und Dr. Clark stehen und rannte hinüber zu dem Milchfahrer, den der Arzt im Wagen 12 gerade verbunden hatte. Hier hatte der Sheriff einen Mann, den er niederbrüllen konnte. Was an Wut in ihm war, bekam der arme Kerl nun mit.
»Du Hurenbalg!« schrie er sofort, bevor der Milchfahrer mit seinen Bremsen kommen konnte. »Am frühen Morgen schon besoffen! Das sag' ich dir: Für die Blutprobe lass' ich dir einen Eimer voll abzapfen.«
Es dauerte eine halbe Stunde, bis ein Kranwagen kam, den Trümmerhaufen von Milchwagen zur Seite und weg vom Highway hob und den Delphintransporter soweit fahrtüchtig machte, daß er mit eigener Kraft zur Werkstatt rollen konnte. Man bog die Seitenbleche ab und wechselte den aufgeschlitzten Reifen. Im Inneren tobten Delphin Harry und seine drei Gefährten in ihrem Plastikbassin. Ihre Nervosität war so groß, daß sie übereinander sprangen und Clark größte Sorge hatte, sie könnten sich gegenseitig verletzen.
Er redete begütigend auf sie ein, verteilte eine Zusatzportion Fische und überlegte, ob er nicht ein Beruhigungsmittel in die Nahrung geben sollte. Finley kam zu einem kurzen Besuch und hockte sich zu Clark an das Becken.
»Eine Scheiße, was? Die ganze Truppe ist nervös. Als ob sie es alle wüßten und sich lautlos verständigen könnten. Wie lange wird's bei dir dauern, Abraham?«
»Keinen Tag, James.«
»Das ist ein Trost. Mach's gut, Alter.«
»Du auch!«
Kurz danach fuhr der Konvoi weiter. Clarks Wagen rollte in die Stadt. Der Highway war wieder frei. Nur der Sheriff hatte Pech: Der Milchfahrer verschwand auf dem Weg zum Polizeioffice, und als die Polizei den Trümmerhaufen noch einmal untersuchte, stellte sie jetzt erst fest, daß er gar nicht beladen war. Der Milchwagen war leer. Noch größer war der Schock für den Sheriff, als ein Anruf beim Sheriff in Monahans ergab, daß es eine Molkerei ›Sandhills Corp.‹ ebensowenig gab wie einen Percy Button – so hatte sich der Fahrer genannt.
»Da stinkt doch etwas!« schrie der Sheriff und fühlte sich plötzlich sehr unwohl. »Aber aus welcher Ecke stinkt es?«
Man kann es einem Sheriff in von Texas nicht übelnehmen, daß er in die große Politik nicht eingeweiht war.
Eine Stunde nach dem Unfall auf dem Highway 10 läutete in der sowjetischen Botschaft in Washington bei Oberst Ischlinski das Telefon.
Jurij Valentinowitsch war inzwischen nicht untätig gewesen. Zum zweitenmal hatte er verschlüsselt nach Moskau durchgegeben, daß die Amerikaner anscheinend sehr brisantes Material militärischer Art unter dem Deckmantel von Delphinen quer durchs Land transportierten, in dreißig riesigen Spezialwagen mit Polizeischutz. Sicher sei jetzt auch, daß die angeblichen Betreuer der Delphine – Dr. Helen Morero, Dr. Rawlings und Dr. Finley – mit den Personen identisch seien, die man als heimliche Besucher des Weißen Hauses beobachtet und fotografiert habe. Rawlings und Finley seien auch Transportbegleiter, während die Frau in Biscayne Bay zurückgeblieben sei. Alle drei seien Wissenschaftler. Zoologen, Tierpsychologen, Delphinfachleute. – Ischlinski schloß seinen Bericht mit der Bemerkung, dies sei eine sehr geschickte Tarnung eines militärischen Geheimnisses.
Aus Moskau kam, sehr zur Enttäuschung Jurij Valentinowitschs, keine Antwort. Das heißt: Der Kreml meldete sich anstatt bei Ischlinski bei seinem Vorgesetzten, dem Botschafter. Am Abend des zweiten Tages sagte nämlich der Botschafter zu Ischlinski: »Mein lieber Jurij Valentinowitsch, ein unermüdlicher Arbeiter sind Sie. Denken Sie nicht an ein paar Wochen Ruhe? In Jalta oder in Sotschi? Oder in der würzigen Bergluft Grusiniens? Oder segeln Sie lieber? Der Baikalsee ist ein ideales Wassersportgebiet.«
»Ich fühle mich sehr rüstig, Genosse«, antwortete Ischlinski mit einem Extrazucken seines Herzens. »Aber wenn es ein Befehl sein sollte …«
»Nur ein Vorschlag, mein Bester. Nur in der Sorge um Ihre Gesundheit.« Und dann sagte der Botschafter etwas, das Ischlinski alarmierte: »Machen Sie Urlaub in Jalta. Da gibt es ein herrliches Delphinarium, hat man mir berichtet.«
Mit sorgenvollem Herzen ging Ischlinski in sein Büro zurück und setzte sich in den Sessel. Sie nehmen mich nicht ernst in Moskau, dachte er betroffen. Sie werden über mich lachen. Wann wird General Pawlewski mir telegraphieren: Zurückkommen! Und im GRU werden sie sagen: Der Ischlinski ist erledigt; meldet Delphine als militärische Objekte! Jaja, die kapitalistische Luft in den USA! Die paralysiert die Hirne. War schon zu lange in Washington, der anfällige Jurij Valentinowitsch. Wir werden ihn nach Angola versetzen oder nach Kuba – oder nach Japan, wo jedes Jahr, wenn die Fischschwärme zur Küste kommen, die Delphine zu Tausenden vernichtet werden.
Ischlinski hob den Hörer ab, als das Telefon läutete, und meldete sich kurz: »Ja?«
Ein Mann, der einen schrecklichen texanischen Slang sprach, fragte: »Ist dort Alaska?«
Jurij Valentinowitsch beugte sich vor. Wer dieses Kennwort kannte, hatte Wichtiges zu melden. »Hier Alaska«, rief er.
»Wir haben ein Schiff«, sagte die Stimme, die jedes Wort breit zerkaute. »Es hat einen Hafen gefunden.«
Ischlinski spürte, wie sein Blut in den Schläfen klopfte. Mit Schiff meinte er einen Spezialwagen, und Hafen bedeutete, daß einer der Delphintransporter irgendwo in einer Garage stand.
»Hervorragend!« sagte Ischlinski zufrieden. »War's ein schwerer Sturm?«
»Ein anderes Schiff rammte es. Aber es kann am Abend wieder in See gehen …«
»Nur, wenn es genau durchgesehen worden ist. Wer ist auf der Werft?«
»Phil und Bob.«
»Ich bin immer zu erreichen«, sagte Ischlinski und bemühte sich, nicht erregt zu atmen. »Immer! Seien Sie vorsichtig. Es ist verderbliche Ware an Bord …«
Die Verbindung brach ab. Jurij Valentinowitsch legte den Hörer vorsichtig zurück und überdachte, was er tun würde, wenn seine Aktion ein Erfolg für Rußland wurde. »Jetzt fahre ich wirklich auf die Krim«, würde er zu seinem Botschafter sagen und ihm den ganzen Spott zurückgeben. »Ich habe eine unbändige Lust, sowjetische Delphine zu füttern!« Und in Moskau würde er im Hauptquartier der GRU sagen: »Genossen, neue Interkontinentalraketen werden vorgeführt, um Stärke zu demonstrieren – die wirklichen gefährlichen Waffen bleiben unter der Decke.«
Ischlinski sagte zwei Treffen an diesem Tag ab, ließ sich das Essen in der Botschaft zubereiten und wartete ungeduldig darauf, was man aus Texas melden würde.
Lange, sirupartige Stunden wurden es, aber aus Texas kam kein Anruf mehr. Und je mehr der Tag verrann, um so nervöser wurde Jurij Valentinowitsch. Schließlich war ihm das Schweigen so unheimlich, daß er entgegen seinem Vorsatz, im Dienst nie zu trinken, zu einer Flasche in seinem Schreibtisch griff, die eigentlich für Besucher gedacht war, und drei Gläser Wodka pur trank. Texas schweig noch immer.
Helen erreichte Fort Stockton etwa vier Stunden nach dem Unfall.
Sie hatte gut aufgeholt. Und obwohl sie die vorgeschriebene Geschwindigkeitsgrenze ab und zu überschritt, war sie allen Polizeikontrollen geschickt ausgewichen. Sie sah die Funkwagen rechtzeitig im Rückspiegel. Vor versteckten Radarfallen warnten entgegenkommende Fahrzeuge durch Blinkzeichen.
In Fort Stockton tankte sie wieder, erfuhr, daß der Konvoi durchgekommen war, und natürlich erzählte man ihr von dem Zusammenstoß mit einem der Delphinwagen. Es war eine Sensation im sonst so ruhigen Städtchen. Nur, daß der Wagen noch in einer Werkstatt war, das wußte der Tankwart nicht.
Helen fuhr in die Stadtmitte, parkte ihren Rabbit auf dem Platz und ging in ein Café, um ein Stück Torte zu essen und vor allem ein Kännchen starken Kaffee zu trinken. Sie saß noch keine Viertelstunde, als sich von hinten eine gepflegte schwarze Hand auf ihre Schulter legte. Sie zuckte heftig zusammen, aber noch bevor sie den Kopf drehte, erkannte sie an dem goldenen Ring, wem diese Hand gehörte.
»Das ist ja ein tolles Ding!« hörte sie die ihr so gut bekannte Stimme sagen. »Ich gehe über den Platz und sehe da den blauen Rabbit stehen. Nummer von Miami. Das kann doch nur sie sein, denke ich. Dieses kleine Luder, ja, das bekommt sie fertig. Wo muß ich sie suchen? Ich sehe das Café – und da sitzt sie nun. – Helen, du bist verrückt!«
»Setz dich, David Abraham.« Sie sah auf und blickte in das lächelnde Gesicht Dr. Clarks. »Nun habt ihr mich also erwischt. Ich wollte erst in San Diego auftauchen.«
»Ich habe dich erwischt. Alle anderen sind voraus. Mein Wagen …«
»Ich habe es erfahren. Die ganze Stadt spricht davon.« Sie lehnte sich zurück und legte die Hände in den Schoß. »Kannst du nicht vergessen, daß du mich gesehen hast?«
»Wen soll ich gesehen haben?« Clark grinste breit. »Helen Morero? Die ist doch in Florida! Ich bin ja kein Geisterseher.«
»Danke, Abraham!«
»Trotz allem wäre es interessant, deinen Gedankengang zu erfahren, Helen. Was bezweckst du damit?«
»Ich werde plötzlich in San Diego stehen und John trainieren. Mal sehen, was dann passiert …«
»Rawlings bekommt einen Infarkt, und Finley fängt vor Wonne an zu heulen. Und dann werfen sie dich hinaus.«
»Nie! Mich – nie!« Sie rührte in ihrer Tasse, obwohl der Kaffee längst erkaltet war. »Ich habe euch gesagt: So einfach werdet ihr mich nicht los. Abraham, was soll ich denn ohne euch, was seid ihr ohne mich? Ich weiß, ihr braucht mich.«
»Und wie soll es nun weitergehen?«
»Ich fahre wie bisher in einem Dreistundenabstand hinter euch her. Das hat bisher gut geklappt. Die Stunden, die ich geschlafen habe, konnte ich am Tag wieder aufholen. Ihr fahrt ja nur fünfzig.«
»Höchstens.« Clark bestellte bei der Serviererin einen Kaffee mit Kognak und zog seinen Schlipsknoten etwas herunter. Es war ein heißer Tag. »Jetzt hast du es einfacher, Helen. Mein Wagen wird in vier Stunden fertig sein, und dann fährst du einfach hinter mir her. Ich bin dann auch nicht so allein …«
»Abraham, du hast mich nie gesehen!«
»Kann ich verhindern, daß ein fremder Rabbit hinter mir her fährt?«
»Und wenn Steve dich irgendwo auf der Strecke erwartet?«
»Ausgeschlossen. Er wartet in San Diego. Du kennst doch Steve. Er läßt den Konvoi doch nicht allein. Von da droht keine Gefahr. Und in San Diego – Baby, auch Rawlings ißt keine kochende Suppe! Und jede Minute, die er zum Abkühlen braucht, hast du gewonnen. Außerdem ist ja Finley auch noch da.«
»Wie kann James mir helfen?«
»Auf die einfachste Weise. Indem er dich heiratet.«
»Das ist ein blöder Witz, Abraham!«
»Steve kann nicht verbieten, daß James seine junge Frau mitnimmt zum neuen Arbeitsplatz.«
»Du meinst wirklich, ich würde James nur deshalb heiraten, um bei euch bleiben zu können? Das traust du mir zu?«
»Für deine Delphine tust du alles, das weiß jeder von uns.«
»Pfui, Abraham!«
»Ist das alles?«
»Was soll da noch kommen?!«
»Ich dachte, jetzt sagt sie dir: Abraham, halt den Mund, ich liebe James wirklich! – Aber nichts kommt aus dieser Ecke …«
»Und wenn ich es dir sage, was nützt dir das?«
»Oh! Viel!« Clark schlug die Hände zusammen. »Ich werde mir dann James vornehmen, ihn in eine Ecke stellen und zu ihm sagen: Hör mal zu, du elender Feigling! Entweder gehst du sofort zu Helen, gibst ihr einen Kuß und sagst: In fünf Tagen heiraten wir – oder ich nagle dich hier an die Wand als Symbol männlicher Dämlichkeit.«
»Gut, daß ich das jetzt weiß«, sagte sie kampfeslustig. »Davor werde ich James bewahren!«
»Und wie? Das zu erfahren wäre jetzt für mich interessant.«
»Indem ich ihn frage: Wann heiraten wir, du Idiot?«
»Na also!« Clark grinste breit. »Dann liegt doch dem Plan, daß du offiziell und nicht mehr als Geist hinter meinem Wagen herfährst, nichts mehr im Weg!«
Sie aßen jeder noch ein Stück Kuchen, besprachen wie Verschwörer, wie man in San Diego Dr. Rawlings überrumpeln wollte, und dann fuhr Helen in ihrem Rabbit Dr. Clark zur Werkstatt.
Dort hatte es Schwierigkeiten gegeben. Der Werkstattleiter wedelte schon mit einem großen Arbeitsbogen, als Clark in das Büro kam, und machte eine sorgenvolle Miene.
»Vor morgen früh ist nichts drin«, sagte er, »absolut nichts.«
»Unmöglich!« Dr. Clark schüttelte den Kopf. »Ich muß den Wagen heute noch haben.«
»Die Schäden sind schwerer, als wir zuerst gedacht haben, Sir.«
»Wieso denn? Das bißchen verbogenes Blech …«
»Nur auf den ersten Blick. Aber wenn man genauer hinsieht: Das Milchwrack ist dem Spezialwagen wie eine Granate in die Seite gesaust. Wir müssen die Achse elektronisch vermessen, und wenn die was abbekommen hat, muß sie ausgewechselt werden. Das sage sage ich Ihnen für den ernstesten Fall voraus. Da es eine Spezialachse ist, müßte das Ersatzteil aus Fort Lauderdale eingeflogen werden. Das kann dann bis zu drei Tagen dauern!«
»Völliger Irrsinn!« rief Clark. »Wir fahren heute!«
»Mit angeschlagener Achse?« Der Werkstattleiter wiegte den Kopf. »Was glauben Sie, wie Ihre Reifen aussehen nach ein paar Stunden? Bei diesem Gewicht!«
»Was glauben Sie, wie ich aussehe, wenn die Delphine eingehen?!«
»Warum sollten sie eingehen? Die haben ihr Wasser, ihr Fressen …«
Dr. Clark verzichtete darauf, dem Kraftfahrzeugmeister einen Vortrag über die Sensibilität der Delphine zu halten. Noch weniger war es möglich, ihm den Wert der Tiere zu erklären.
»Wir fahren heute noch«, sagte Clark mit einem Ton in der Stimme, der keine Widerrede mehr erlaubte.
»Auf Ihre Verantwortung, Sir.« Der Meister hob beide Hände. »Ich lehne jede Haftung ab. Und ich werde es Ihnen schriftlich geben, daß der Truck nach meiner Ansicht nicht auf die Straße gehört. Wenn unterwegs was passiert … Sie tragen die Schuld allein!«
»Abgemacht. – Wann ist der Wagen fertig?«
»Morgen früh.«
»Heute noch!« schrie Dr. Clark.
»Spätestens in der Nacht, wenn wir durcharbeiten. Aber das kostet ein paar Lappen. Wenn die Jungs keinen Feierabend haben, dann …«
»Es wird alles bezahlt. Für jede Stunde, die Sie herausholen, bekommen Sie sogar eine Prämie.«
»Das soll ein Wort sein.« Der Werkstattleiter warf den Arbeitsbogen gekonnt über zwei Meter auf seinen Tisch zurück. »Halten Sie sich ab Mitternacht bereit, Sir. Vorher ist wirklich nichts drin. Wir waren in keiner Zauberlehre …«
»Was machen wir nun?« fragte Clark, als er mit Helen wieder draußen auf dem Werkstatthof stand. »Wir können in ein Kino gehen, uns den Bauch mit Eis vollschlagen oder auf einer Bank im Schatten dösen.«
»Ich habe einen anderen Vorschlag, Abraham: Sie versuchen, Steve unterwegs telefonisch zu erreichen. Sie kennen ja die Strecke genau und können sich ausrechnen, wo die Kolonne ist. Und ich setze mich zu Harry und seiner Truppe und beschäftige die Delphine. Am Abend essen wir dann in einem guten Restaurant und phantasieren ein bißchen herum, wie das alles mit Finley wird.«
»Hervorragend, Helen! Du bist ein Supermädchen. So machen wir es. Steve müßte jetzt kurz vor El Paso sein. Ich telefoniere mal alle Tankstellen auf der Strecke ab. Irgendwo erwische ich ihn.«
»Aber kein Wort von mir, Abraham!«
»Wieso denn?« Clark blinzelte ihr zu. »Du bist doch in Biscayne Bay zurückgeblieben.«
Sie trennten sich. Clark ging zum Verwaltungsgebäude der Werkstatt, um ein Telefon zu belagern, Helen stieg in den riesigen Wagen und setzte sich an das Plastikbassin.
Natürlich erkannte Harry sie sofort, stieg aus dem Wasser hoch, tanzte auf seiner Schwanzflosse und stieß helle, kreischende Freudenlaute aus. Auch die anderen Delphine schnellten ihre schlanken, blitzenden Körper hoch und begrüßten Helen mit lautem Zirpen.
»Ja, da bin ich wieder«, sagte Helen mit Tränen in der Stimme. »Ja, Harry, ich bin wieder bei euch. Und ich bleibe bei euch. Jungs, tobt nicht so herum! Das Becken ist dazu viel zu klein. Seid mit dem Wasser vorsichtig. Bis San Diego gibt es kein neues Wasser. Und wir müssen noch durch die Wüsten von New Mexico, Arizona und Kalifornien.«
Sie beugte sich vor, hielt beide Arme ins Wasser, und die Delphine stießen mit ihren Schnabelnasen gegen sie, küßten ihre Hände, legten sich auf die Seite und ließen sich genußvoll von ihr streicheln.
Die drei Fahrer des Trucks hatten sich in Fort Stockton umgesehen. Man hatte ihnen gesagt, daß der Wagen heute nicht mehr fertig werde, und wenn das ein Kraftfahrzeugmeister sagte, dann konnte man Häuser darauf bauen. Eher dauerte es noch länger, als man annahm – kürzer auf gar keinen Fall.
Was machte man als kräftiger Mann, fern seiner Frau, in einer fremden Stadt? Man hielt den nächsten Taxifahrer an, gab sich als Kollege vom Schwertransport zu erkennen und fragte: »Sag mal, Kumpel, ganz ehrlich: Wo kann man hier über Tag was erleben? So 'ne richtige Bluse voll? Nun komm schon, spuck die Adressen aus. Du kennst sie doch …«
Sie bekamen einige kollegiale Tips, entschieden sich für einen Massageclub, in dem mandeläugige, zärtliche Philippinerinnen mit flinken Händen und auch sonst geschickt arbeiteten, und waren für diesen Tag nicht mehr vorhanden. Dr. Clark, der sie in der Werkstatt gesucht hatte, ahnte so etwas, aber alles Toben half nichts. Die drei Fahrer waren und blieben verschwunden.
»Wenn der Truck in der Nacht fahrbereit ist, sind sie auch wieder da«, hatte der Werkstattleiter sachkundig gesagt. »Die schmeißt man raus, wenn sie ihre Tour abgerissen haben. Oder sie zahlen sich dumm und dusselig. Da sind die Mädchen knallhart. Na ja, sie müssen ja auch vom Umsatz leben. Wenn da jeder stundenlang auf der Matte bleiben wollte … Keine Panik, Sir. Die sind am Abend wieder hier!«
Clark erreichte Steve Rawlings an einer Tankstelle von Socorro, 10 Kilometer vor El Paso. Der Tankwart winkte mit einer roten Fahne, als sich die lange Kolonne der Monsterfahrzeuge näherte, und stellte sich mitten auf den Highway. Rawlings, der wie immer an der Spitze fuhr, scherte aus und bremste vor den Zapfsäulen.
»Telefon, Sir!« schrie der Tankwart. »Aus Fort Stockton. Die Nummer habe ich. Sie sollen sofort zurückrufen …«
Rawlings ahnte Ungutes. Er lief in die Glaskabine, wählte die Nummer und hatte Dr. Clark sofort am Apparat. »Hier Steve!« rief er. »Abraham, was ist bei euch los? Könnt ihr nicht weg?!«
»Nicht vor Mitternacht, frühestens, Steve«, sagte Clark. »Die Achse hat doch was abgekriegt. Aber ich fahre damit, und wenn's noch so sehr eiert.«
»Nur kein Risiko, Abraham.« Rawlings überdachte die nächsten Stunden. »Wie's aussieht, bist du jetzt einen Tag zurück …«
»Wenn's gut geht, Steve. Ich muß den Rest ja noch langsamer fahren.«
»Ich komme zurück.« Rawlings blickte nach draußen, wo die Riesenfahrzeuge langsam über den Highway zogen. »Wenn ich sie in San Diego abgeliefert habe, kehre ich sofort um und kümmere mich um dich.«
»Nicht nötig, Steve.« Clark dachte an Helen und gab seiner Stimme einen beruhigenden Klang. »Bleib in San Diego. Was kann uns schon passieren? Ob du nun vor uns herfährst oder nicht – was kann das ändern?«
Das war logisch. Rawlings nickte, auch wenn Clark das nicht sehen konnte. »Richtig! Aber nochmal, Abraham: Sei vorsichtig. Keine Experimente. Wenn's gar nicht mehr geht, ruf sofort an. Ich komme dann mit einem anderen Wagen, und wir laden um.«
Sie sprachen noch ein paar private Worte und legten dann auf.
Es würde besser gewesen sein, Rawlings wäre sofort umgekehrt – aber wer konnte ahnen, was die kommenden Stunden noch bringen würden?
Die nächste Nachricht erreichte Ischlinski am späten Abend. Er hockte in einem Nebel von Zigarettenqualm, hatte eine halbe Flasche Wodka getrunken und eine Kanne starken Kaffee, um den Wodka zu neutralisieren. Das Schweigen aus Fort Stockton zerfledderte seine Nerven. Dann klingelte es endlich.
Ischlinski stürzte zum Telefon, riß den Hörer hoch.
»Ja?« rief er.
»Es sind Delphine«, sagte die tiefe Stimme knapp.
Ischlinski schluckte mehrmals. Sein Hals war plötzlich staubtrocken.
»Und weiter?«
»Nichts weiter. Delphine … nur Delphine …«
»Unmöglich!«
»Wir haben in der Werkstatt alles untersucht. Da ist kein Teil des Wagens, den wir nicht in den Händen hatten. Es sind fahrbare Delphinbassins ohne doppelte Wände. Nichts zwischen den Verkleidungen außer Isoliermaterial. Keine doppelten Böden, keine Kästen zwischen den Achsen, außer den Werkzeugkisten, absolut nichts.«
»Und so etwas wird von einer Polizeieskorte und sogar von Militär begleitet?« schrie Ischlinski. »Das ist doch lächerlich!«
»Es sind dressierte Delphine, Sir. Wertvolle Tiere anscheinend. Wenn Sie mal im Fernsehen die Kunststückchen gesehen haben, die diese Burschen können – da hat jeder Kerl einen Wert von einigen tausend Dollar.«
»Aber Militär!« sagte Ischlinski, der Verzweiflung nahe. Mit bebenden Fingern steckte er sich eine Zigarette an, die vierundvierzigste an diesem Tag. »Was hat das Militär dabei zu suchen, wenn es nur Delphine sind? Ihr seid blind, alle blind! Dreißig Spezialwagen quer durch die Süd- und Weststaaten, von Florida bis … Wo sind sie jetzt?«
»Auf dem Weg nach El Paso.«
»Aha! Und dann Militär dabei! Für dämliche Delphine! Wer glaubt das denn? Wenn die Kolonne in New Mexico abschwenkt nach Los Alamos, ist doch alles klar. In den Wagen muß etwas versteckt sein. Habt ihr die Bassins untersucht?«
»Das geht doch nicht.« Die tiefe Stimme wurde hörbar unsicher. »Wie denn? Da sind einige tausend Liter Wasser drin und die Tiere!«
»Da liegt das ganze Geheimnis. Die Bassins sind doppelwandig, und in diesen Zwischenräumen lagert das, was ich suche.«
»Und was erwarten Sie, Sir?«
»Chemikalien, Flüssiggas, Kampfstoffe neuer Art.«
»Das sollen wir anbohren?«
»Wenn der Mensch nur halb so blöd wäre, wie er ist, hätten wir auf Erden das Paradies«, sagte Jurij Valentinowitsch heiser. »Ihr habt jetzt den Wagen und steht ächzend davor wie vor einem besetzten Scheißhaus. Man sollte es nicht für möglich halten. Kümmert euch um das Bassin!«
»Wie denn, Sir?«
»Kann ich das von hier aus entscheiden? Eure Aufgabe ist das! Muß ich euch denn auch noch die Hose zum Pinkeln aufknöpfen?«
Der Mann in Fort Stockton legte ohne Entgegnung auf. Wenn Ischlinski anfing, in russischer Art zu sprechen, war es sinnlos, etwas zu sagen – aber ebenso sinnlos, ihm noch länger zuzuhören.
Auch Jurij Valentinowitsch feuerte den Hörer auf die Gabel, stieß einen unreinen Fluch aus, bei dem selbst ein sowjetischer Traktorist erbleicht wäre, und ging zu seinem Sessel zurück.
Was tun, dachte er. Weiter warten? Was kommt dabei heraus? Rufen sie aus Fort Stockton noch einmal an? Oder fahre ich jetzt lieber zu Maureen und lege mich in ihr Prunkbett?
Ischlinski entschloß sich, in der Botschaft zu bleiben. Nicht allein aus Pflichtgefühl, sondern vor allem in der Erkenntnis, daß der genossene Wodka es verhindern würde, Maureens anspruchsvolle Wünsche in dem Maße zu erfüllen, wie sie es von einem bärenstarken Mann vom Schlage Ischlinskis erwartete. Blamagen im Bett waren das letzte, was Jurij Valentinowitsch ertragen konnte.
Er stellte also den Fernsehapparat an und sah unlustig einer Revue-Show zu, in der sich idiotisch als Kosaken verkleidete Artisten als Messerwerfer produzierten. Kein Kosake wirft mit Messern! Kosaken haben Lanzen und Säbel, aber vor allem sind es beste Scharfschützen. Ischlinski war wütend über den Blödsinn.
In Fort Stockton dagegen hatte man andere Probleme.
Die drei Fahrer waren erwartungsgemäß zurückgekommen. Mit leeren Taschen und auch sonst erleichtert. Im Inneren des Trucks saß eine plötzlich aufgetauchte blonde Lady und spielte mit den Delphinen, und der lange Schwarze, der Dr. Clark heißen sollte, stand bei den Monteuren herum und überwachte die Arbeit.
»Für jede Stunde, die ihr herausholt, hundert Dollar extra; für jeden von euch!« hatte er gesagt. Jetzt arbeiteten die Jungs wie Roboter.
Es war unmöglich, jetzt noch an das Bassin heranzukommen und festzustellen, ob es doppelwandig war, wie Ischlinski vermutete.
»Wir müssen es unterwegs machen«, sagte der Mann mit der tiefen Stimme, der auch mit Washington gesprochen hatte. »Es geht einfach nicht anders. Einen Riesenstunk wird es zwar geben, aber wir wissen dann wenigstens, ob die wirklich etwas so Geheimnisvolles transportieren.«
Die hundert Dollar pro Mann wirkten. Der Wagen war bereits um elf Uhr abends fertig. Das heißt: Der Meister erklärte ihn für fahrtüchtig auf eigene Gefahr des Auftraggebers.
»Noch einmal«, sagte er, als er Clark die quittierte Rechnung übergab. »Ich lehne jede Verantwortung ab! Auch der beste Highway ist nur eine Straße, und dieses Riesending ist angeknackt. Gute Fahrt, Sir. Schreiben Sie mir 'ne Karte, ob Sie gut angekommen sind.«
»Das werde ich.« Clark lachte. »Mit Nasenabdrücken der Delphine.«
»Na, dann wollen wir mal«, sagte der Fahrer, der die ersten acht Stunden vor sich hatte. Seine beiden Kollegen lagen bereits im hinteren Teil der großen Fahrerkabine auf ihren Betten und schnarchten. »Haben Sie was dagegen, Sir, wenn wir uns alle vier Stunden ablösen?«
»War's hart in der Stadt?«
»Philippinenmädchen, Sir …« Der Fahrer grinste breit. »Wie Porzellan …«
»Und jetzt ist das Rückenmark weg, was?«
»Der Sitz ist gut gepolstert.« Er ließ den schweren Motor an. In der Halle klang es wie das Gebrüll einer Turbine. Im Inneren des Trucks saß Helen bei den Delphinen und sprach mit ihnen. Sie waren wieder nervös … die Fahrt ging weiter, und das Motorengeräusch und das Rollen der Räder gefiel ihnen gar nicht. »Wo steigen Sie ein, Sir? Hinten?«
»Nein, bei dir.« Clark kletterte in die Fahrerkabine. »Wenn du einschläfst, kann ich dir in den Nacken schlagen! Ihr mit euren verdammten Weibergeschichten …«
Wie ein brüllendes Ungeheuer verließen sie die Werkstatt, fuhren durch die bereits schlafende kleine Stadt und bogen auf den großen Highway Nummer 10 ein. An der Stadtgrenze hörte die Beleuchtung auf. Vor ihnen lag, wie ins Unendliche führend, die Straße, die Dunkelheit.
Um Mitternacht ist auch ein Highway wie die Nummer 10 ein trostloses Band ins Nichts. Vor allem dann, wenn der Weg in die Einsamkeit der Apachen- und Wylie-Berge führt. Vor Kent, wo auch noch der Highway 20, von Abilene kommend, auf die Nummer 10 mündete, begann das Bergland, weit und breit unbewohnt. Rauhe Felsen wie Gomez Peak oder der Borachino Peak säumten die Straße. Im Umkreis von 60 Kilometern war kaum Leben. Ein paar Siedlungen nur, erbärmliche Dörfer, schroffe Berge, zerklüftete Täler, wilde Prärie und Steinwüsten. Ein Land, das nur der nachts durchfuhr, der unbedingt seine Strecke abreißen mußte. Dazu war es noch bewölkt, der Mond lag hinter dicken Wolkenbergen. Die starken Scheinwerfer des Trucks waren das einzige Licht, das die Nacht zerteilte.
Hinten, in dem Abteil neben dem Delphinbassin, schlief Helen. Die Tiere waren ruhig, trieben still im Wasser und hatten sich wieder an das Wiegen der Wanne gewöhnt. Clark saß zurückgelehnt neben dem Fahrer, der das Radio angestellt hatte und sich durch die Musik wach hielt. Hinter ihnen, in der Kabine, schnarchten die beiden anderen Fahrer, Opfer philippinischer Schönheit.
Zwischen Kent und der kleinen Stadt Plateau, einer einsamen Siedlung mitten in den Apachenbergen, mußten sie das Tempo noch mehr herunternehmen und hatten nicht mehr als eine Geschwindigkeit von knapp 40 Kilometern, als vor ihnen plötzlich zwei Wagen auftauchten und sich quer auf die Straße stellten. Gleichzeitig sprangen die hinteren Türen auf, und vier Männer hetzten auf den Truck zu.
Der Fahrer trat voll auf die Bremse. »O Scheiße!« schrie er. »Was ist'n das?« Er sah, daß die vier Männer Waffen trugen, tauchte sofort unter dem Armaturenbrett weg und rührte sich nicht mehr. Ein Fahrer wird nicht dafür bezahlt, ein Held zu sein.
Clark reagierte ebenso schnell, aber völlig anders. Wie hingezaubert lag seine Smith & Wesson in seiner Hand, und als der Mann, der zuerst den Truck erreichte, die Tür aufriß und »Die Hände über den Kopf!« brüllen wollte, schoß er sofort.
Der Mann machte einen Satz nach hinten, drehte sich in der Luft und schlug auf die Straße. Auch Clark ließ sich fallen, und es war erstaunlich anzusehen, wie der sonst so schlaksige große Mann aus dem Wagen plumpste, sich wie ein Fallschirmjäger abrollte und gleichzeitig schoß.
Auch den zweiten Angreifer traf er. Der Getroffene stieß einen Schrei aus, sank auf die Knie und hielt seine linke Schulter umklammert. Dann kroch er von der Straße weg und versteckte sich in der Dunkelheit.
Die beiden anderen Männer schossen zurück, aber da lag Clark schon längst hinter den Vorderrädern in Deckung und wartete auf eine günstige Zielposition. Während der eine Angreifer unentwegt feuerte, zog der andere den vor dem Wagen liegenden Getroffenen weg in die Dunkelheit. Dann war es plötzlich still, zwei Motoren heulten auf, und mit kreischenden Reifen jagten die Wagen in Richtung Plateau davon.
Clark kroch unter dem Truck hervor, reckte sich, steckte den Revolver hinter den Hosengürtel und trat an die offene Fahrertür.
»Kommt heraus, ihr feigen Hunde!« sagte er. »Holt tief Luft. Sie ist wieder rein.«