9
Gegen Morgen schrak Ischlinski aus dem Schlaf hoch. Es war fünf Uhr morgens. Das Telefon rappelte.
Aus Texas meldete sich eine Stimme, die er noch nicht kannte. Man kann nicht alle kleinen Helfer kennen, dazu ist die Organisation zu groß.
»Ja?« sagte er knapp.
»Paco ist schwer verwundet. Lungendurchschuß. Perry hat einen Schulterschuß. Die Aktion mußte abgebrochen werden.«
Ischlinski schloß die Augen. Wie jeder Russe auf einem verantwortlichen Posten dachte er sofort an Moskau und an die eventuellen Konsequenzen. Auch wenn man ein alter Soldat ist, bleibt im Herzen ein Stückchen Angst übrig.
»Wie ist das möglich?« fragte er mit belegter Stimme.
»Der verdammte Neger hat sofort geschossen.«
»Man kann zurückschießen!« schrie Ischlinski unbeherrscht.
»Das haben wir. Nachdem zwei von uns ausfielen, kam es uns nur darauf an, sie zu retten. Außerdem war der Truck nicht allein. Hinter ihm fuhr ein Rabbit, und wir wußten nicht, wer da drin sitzt.«
Ischlinski blickte starr gegen die Wand, wo ein Bild des Astronauten Gagarin hing. In diesem Augenblick wünschte er sich, auf dem Mond zu sein. Ein zweiter Wagen. Das war neu. Das hatte man ihm aus Fort Stockton nicht gemeldet.
»Wo sind Sie jetzt?« fragte er.
»Weg von dem Highway 10 in einem Nest mit Namen Lobo, auf der Straße 90 in den Van Horn Mountains … Paco spuckt Blut, er sieht schlimm aus. Wir müssen runter nach Alpine und einen Arzt suchen. Auch Perrys Schulter sieht böse aus. Von uns aus können wir hier nichts mehr tun.«
»Das fehlte auch noch!« sagte Ischlinski giftig. »Bei eurer Blödheit! Der Auftrag ist damit beendet. Meldet euch bei P 5 ab … Ende!«
Jurij Valentinowitsch legte auf und kam sich vor wie nackt auf einem Eisfeld ausgesetzt. Wer weiß von dem Mißerfolg, überlegte er. Niemand! Nur ich, Agentenführer P 5 und die Untergruppe. Und jeder von ihnen hat das größte Interesse, diese Nacht zu vergessen. Warten wir ab, ob von dem Überfall auf den Delphintransport etwas in den Zeitungen steht. Wenn nicht, dann hat diese Aktion nie stattgefunden!
Er legte sich wieder auf sein Feldbett, aber er schlief nicht mehr ein, sondern grübelte darüber nach, was die Amerikaner, durch Delphine getarnt, quer durch das Land transportierten. Es mußte sich um ein ungeheures militärisches Geheimnis handeln, und Ischlinski tat es bis in die tiefste Seele weh, mit offenen Augen das ansehen zu müssen und untätig herumzuliegen.
Am frühen Morgen alarmierte er – sehr ungern, denn er empfand eine tiefe Abneigung gegen diesen wortkargen, ja unhöflichen Genossen – den Leiter der Sektion V für Amerika, den Genossen Leonid Fedorowitsch Tulajew. Er hatte seinen Sitz in New York und hieß offiziell Thomas Burley, handelte mit Briefmarken und war ein stiller, in Philatelistenkreisen angesehener Mann mit großen Fachkenntnissen.
»Ich übernehme«, sagte Tulajew in seiner trockenen Art, die Jurij Valentinowitsch so haßte, weil man nie wußte, was der Kerl wirklich dachte und wie gut seine Verbindungen zu Moskau waren. »Was ist bisher getan worden?«
»Nur Beobachtungen«, sagte Ischlinski. »Negative Ergebnisse.«
»Ist die Zentrale unterrichtet?«
»Natürlich!« Ischlinski war beleidigt. Wieder so eine arrogante Frage, dachte er. Er weiß doch genau, daß nichts geschieht, ohne daß Moskau informiert ist.
»Auch die Abteilung V?«
»Welche Frage!« Ischlinski wölbte die Unterlippe vor. Diese Abteilung V der I. Hauptabteilung des KGB in Moskau hieß amtlich ›Abteilung Exekutive Aktion‹ und war zuständig für die in der KGB-Sprache so genannten ›mokrie dela‹, die ›nassen Angelegenheiten‹, womit man blumig ausdrückte, daß diese Aktionen mit Blut verbunden waren. Wenn die Abteilung V eingriff, gab es keine Moral und kein Erbarmen mehr, sondern nur noch die ›Lösung des Problems‹. Ganz gleich, auf welche Weise. »Aber ich habe von V noch keine Nachricht erhalten, Leonid Fedorowitsch.«
»Ich werde mich darum kümmern«, sagte Tulajew in seiner knappen Art. »Sie sind ab sofort entlastet, Jurij Valentinowitsch.«
Ischlinski wurde rot bis hinter die Ohren, aber er beherrschte sich. Ein widerlicher Mensch, dachte er. Zwischen die Augen könnte man ihm spucken. Aber gleichzeitig fühlte er sich befreit. Die Verantwortung war er nun los. Tulajew, der Spezialist ohne Gewissen, verfügte über andere Möglichkeiten.
»Viel Glück wünsche ich Ihnen«, sagte Ischlinski mit höflicher Ironie. Tulajew grunzte nur und beendete damit das Gespräch.
Er war längst informiert. Der Tod von Fisher hatte die Abteilung V in Moskau nervös gemacht. Wer hatte ihn erschossen, wenn selbst das CIA ratlos war? Wer kreuzte da unerkannt den Weg des KGB? Es war eine Frage, die allein Tulajew klären konnte mit der Rücksichtslosigkeit der Abteilung V, die nur Endgültiges hinterließ.
Aber das wußte Ischlinski nicht. In Moskau hatte man seine eigenen Ansichten, wer über was informiert werden sollte.
Die Schüsse hatten am Wagen keine nennenswerten Schäden hinterlassen. Viermal war die Tür der Fahrerkabine getroffen worden, sehr zur Erleichterung der Fahrer, die mit Recht darauf hinweisen konnten, daß ihnen gar nichts anderes übrig geblieben war, als in volle Deckung zu gehen.
Dr. Clark verzichtete darauf, sie weiterhin feige Hunde zu nennen, und klopfte gegen die große Ladetür. Von innen hörte er Helens erstaunlich ruhige Stimme:
»Wer ist da?«
»Ich. David.«
Von innen wurde der schwere Riegel weggeschoben. Die Tür klappte auf. Alles Licht hatte Helen ausgeschaltet, man erkannte die Wand des Bassins und darüber den helleren Fleck des Plexiglasdaches, aber von ihr war nichts zu sehen. Sie stand in Deckung seitlich der Tür.
»Es ist vorbei, Helen«, sagte Clark. »Ich bin es wirklich.«
Sie tauchte aus der Dunkelheit auf, in der Hand eine Pistole, und trat gleichzeitig auf den Knopf, der die automatisch herausfahrende Einstiegleiter in Bewegung setzte. Clark sah Helen bewundernd an.
»Du hast eine Waffe?« fragte er.
»Schon immer.«
»Das habe ich nicht gewußt.«
Sie wartete, bis Clark heraufgestiegen war, und drehte dann die Notbeleuchtung an. »Da soll einer mal sagen, in Amerika gäbe es keine Straßenräuber mehr«, lachte sie etwas gequält. »Wenn ich mir vorstelle: Sie überfallen einen Truck, und was erbeuten sie? Delphine! Hätten die geflucht …«
»Es waren keine Straßenräuber.« Clark trat an das Becken und beugte sich hinüber zum Wasser. Delphin Harry und seine Kameraden schwammen unruhig hin und her und pfiffen leise durch das Spritzloch über ihren Nasen. »Es waren vier Männer in zwei Wagen …«
»Vier?« Ihr Gesicht fiel plötzlich zusammen. »Und sie sind geflohen?«
»Ich habe zwei von ihnen verwundet.« Clark setzte sich auf das Bett in der abgeteilten Kabine. Der Delphinwärter, der Helens Rabbit fuhr, stand draußen bei den Truckfahrern und rauchte bleich eine Zigarette nach der anderen. Er war ein paar hundert Meter hinter dem Delphinwagen gewesen, als der Überfall geschah. Er hatte sofort gebremst, war dann langsam weitergefahren und hatte gerade noch gesehen, wie zwei Mann einen dritten von der Straße wegschleiften, in ein Auto warfen und dann abbrausten. Er machte sich keine Vorwürfe; unbewaffnet soll man überall unsichtbar werden, wo geschossen wird. »Das alles ist sehr merkwürdig«, fügte Clark hinzu. »Professionelle Straßenräuber, die Trucks dieser Größenordnung auflauern, haben Maschinenpistolen. Und dann geht alles sehr schnell. Die vier hatten aber nur Pistolen oder Revolver. Zum Club der Highway-Piraten gehörten sie auf keinen Fall.«
»Was wollten sie dann?«
»Denk an Fisher! Irgendwo sitzt jemand, dem nicht in den Kopf will, daß wir uns nur um Delphine kümmern. Ich glaube jetzt auch nicht mehr an die versagenden Bremsen des Milchwagens. Alles war vorgeplant …«
»Das heißt: Man weiß, wozu wir die Delphine ausgebildet haben?« fragte Helen stockend.
»Eben nicht. Man weiß nicht, warum man Delphine wie Staatsgeheimnisse behandelt. Um diese Frage zu beantworten, sind wir jetzt zur Zielscheibe geworden. Ich kann nur hoffen, daß wir in San Diego vollkommen abgesichert werden.« Clark trat an die Tür und blickte hinüber zu der Gruppe der Fahrer. »Können wir weiter, ihr Helden?«
»Soll Bill mit dem Rabbit nicht nach Plateau fahren und den Sheriff holen?« fragte einer.
»Wozu?«
»Hier war'n Überfall, Sir. Ich habe keine Lust, für die paar Dollar Lohn …«
»Vergeßt alles!« unterbrach Clark den Satz. Er stieg aus dem Wagen und ging nach vorn zur Fahrerkabine. »Einsteigen und ab! Hat jemand eine Schramme abbekommen?«
»Vier Löcher sind im Aufbau.«
»Kann Blech sprechen? Es ist nichts passiert. Gar nichts! Bis San Diego habt ihr keine Erinnerung.«
»Falls wir San Diego jemals erreichen, Sir.«
»Von jetzt an wird es glatt gehen, Jungs. Das kann ich euch fast versprechen. Uns hält keiner mehr auf. Los, auf die Plätze, und Gas gegeben!«
Helen warf die Hintertür zu, Bill, der Delphinwärter, lief zu dem Rabbit. Die drei Fahrer kletterten in die Kabine. Als letzter stieg Clark ein und zog die Tür zu. Der Fahrer neben ihm hielt das große Lenkrad umklammert.
»Auf der Straßendecke ist ein großer Blutfleck, Sir.«
»Da hat sicher jemand ein Kaninchen überfahren.«
»Das muß aber groß wie'n Hirsch gewesen sein.«
»In Texas ist alles anders, mein Freund«, sagte Clark und lehnte sich gemütlich in den gepolsterten Sitz zurück. »Spuck in die Hände und tritt aufs Pedal.«
Morgens um sieben erreichten sie El Paso. Clark ließ den Wagen bis zur Kommandantur des Fort Bliss Military Center fahren und bestand darauf, daß man den Chef der Militärbasis aus dem Bett holte. Es war ein General Fred Sheridan, der erst freundlicher wurde, als Clark ihm einen Brief des Pentagon vorlegte. General Sheridan erfuhr dadurch jetzt erst, daß ein höchst wertvoller und geheimer Transport durch seine Stadt gezogen war. Man kann verstehen, daß er beleidigt war.
»Selbstverständlich können Sie Admiral Linkerton anrufen«, sagte er verschnupft. »Das alles wäre nicht passiert, wenn man mich eingeweiht hätte. Sie wären nie ohne Eskorte gewesen. Man kann Geheimnisse auch übertreiben!«
»Wir hatten gedacht, ohne Militärschutz sei der Transport unauffälliger. Vor allem wußten wir nicht, daß wir für gewisse Kreise so interessant sind.«
»Und was transportieren Sie wirklich?« fragte General Sheridan. Man konnte ihm diese Frage nicht übelnehmen, sie war menschlich verständlich. Clark hob wie bedauernd die Schultern und lächelte etwas schief:
»Delphine, Sir.«
»Halten Sie mich für hirnlos?« schnaubte Sheridan.
»Das würde ich mir nie erlauben, Sir. Sie dürfen den Wagen gern inspizieren.«
Nach diesem Gespräch verzichtete General Sheridan darauf, aber er ließ sich, nachdem Clark endlich Linkerton erreicht hatte, mit dem Admiral verbinden. Vom Namen her kannten sie sich; immerhin ist der Kommandeur der großen Fort Bliss Military Basis kein Unbekannter, ebensowenig wie der Chef der 11. US-Flotte von San Diego am Pazifik.
»Ich hätte nur eine Frage, Admiral«, sagte Sheridan ziemlich unpersönlich. »Soll ich diesem Delphintruck militärischen Schutz mitgeben?«
»Bis heute hätte ich gesagt: Nicht nötig! Aber was mir Dr. Clark da erzählte … Wenn es Ihnen möglich ist, General …«
»Natürlich ist es möglich. Nur muß ich vom Oberkommando dazu die Erlaubnis haben. Weiß man dort Bescheid?«
»Nein.«
»Nicht? Aber wieso schalten Sie sich da ein?«
»Es ist eine Sache der Navy, General. Sie könnten uns kollegial helfen; mehr ist nicht zu verlangen. Nur Kollegenhilfe.«
»Sind Sie auch der Ansicht, daß der Überfall auf den Wagen eine geheimdienstliche Sache war?«
»Ja.«
»Also ein heißer Transport?«
»Wie man's nimmt, General.«
»Gut! Ich gebe drei Jeeps mit. Auf eigene Verantwortung bis Tucson in Arizona. Dort verständige ich General Tuckerman von der Arizona-Basis, der den Truck bis zur kalifornischen Grenze begleiten wird.« Sheridan versuchte es noch einmal: »Was soll ich Tuckerman sagen, was in dem Truck ist? Er wird natürlich fragen …«
»Vier Delphine«, sagte Admiral Linkerton ohne Zögern.
Tief beleidigt hängte Sheridan ein. Die verdammte Navy, dachte er. Ich wette, die kriegt es fertig, Delphine wie Goldbarren quer durchs Land zu schaffen, nur um ihre Becken aufzufüllen und zu ihrem Spaß. Und alles mit Steuergeldern. Ein Skandal ist das schon.
An diesem Tag erreichte Admiral Linkerton per Telefon den Konvoi in Casa Grande, wo er gerade auf den Highway Nummer 8 eingeschwenkt war. Mit bleichem, übernächtigtem Gesicht hörte sich Rawlings an, was Dr. Clark erlebt hatte.
»Von jetzt ab fahren Sie keinen Meter mehr ohne Schutz«, sagte Linkerton. »Von Tucson werden Jeeps zu Ihnen kommen, und außerdem wird die ganze Strecke von Hubschraubern abgeflogen werden. Unser Anfangsgedanke, so unauffällig wie möglich zu sein, ist gestrichen. Der Gegner hat uns im Visier. Wir fahren jetzt voll unter militärischen Bedingungen.«
»Sollen wir hier auf Clark warten, Sir?« fragte Rawlings bedrückt.
»Nein. Clark ist mindestens 10 Stunden zurück. Mir liegt daran, daß Sie so schnell wie möglich in San Diego eintreffen. Bestimmte Entwicklungen zwingen uns zur Eile.«
»Gibt es noch andere Komplikationen, Sir?«
»Nicht bei uns.« Linkerton zögerte. Dann sagte er: »Das kann ich Ihnen am Telefon nicht sagen, Rawlings. Nur das: Unser Zeitplan wird enger … viel kürzer, als wir bisher geplant haben …«
»Wir werden so schnell fahren, wie es geht, Sir. Ich rechne damit, daß wir in etwa acht Stunden in San Diego sein können.«
Finley erwartete Rawlings draußen vor der Telefonkabine der Tankstelle. Die neunundzwanzig Riesenwagen und die Privatautos standen in einer langen Kette seitlich des Highway. Sie hatten wieder vollgetankt, und die Boys von der Tankstelle waren aus dem Häuschen über das gute Geschäft.
»Ärger mit Clark?« fragte Finley.
»Mehr als das.« Rawlings wischte sich den Schweiß aus dem zerknitterten Gesicht. »Man hat versucht, ihn zu kidnappen …«
»Das gibt es doch nicht!« rief Finley.
»Clark hat reagiert wie ein alter Mariner; er hat den Wagen verteidigt und hat gesiegt. Aber nun wissen wir endgültig, daß man hinter uns her ist. Welch ein Glück, daß wir Helen in Biscayne Bay gelassen haben.«
»Das meine ich auch jetzt.« Finley nickte und blickte in die Ferne. Helen, dachte er. Du bist in Sicherheit. »Nicht auszudenken, wenn sie da hineingeraten wäre …«
Admiral Makarenkow betrachtete es keineswegs als freudiges Ereignis, daß der liebe Genosse Prassolow seinen Besuch in Kurilsk ankündigte. Bisher hatte sich der Kommandeur des See-Sonderkommandos auf Kamtschatka sehr selten um die Kurilen gekümmert. Militärisch war ja auch nicht Petropawlowsk-Kamtschatskij für ihn zuständig, sondern das Marine-Oberkommando in Wladiwostok, aber seit einigen Wochen war das alles anders. Aus Wladiwostok kam die lakonische Antwort auf alle Fragen Makarenkows: Bestimmte Aktionen leitet der Genosse Admiral Prassolow. Um welche Aktionen es sich handelte, wurde nicht mitgeteilt. Makarenkow schluckte diese Desinformation wie zu stark gesalzenen Kaviar, aber er fragte nicht weiter. Hartnäckiges Fragen gehört in Rußland nicht zu den Tugenden; man kann besser ohne Neugier leben. Makarenkow brauchte nur an den verschlossenen, unsympathischen Korvettenkapitän Jakowlew denken, der mit einem eigenen kleinen Flottenverband vor der Küste bei Kasatka kreuzte, kriegsmäßige Übungen abhielt, tat, was er wollte, und anscheinend keinem darüber Rechenschaft zu geben hatte. Die Marinebasis Iturup hatte ihn lediglich zu versorgen. Nicht einmal ein Gespräch mit Jakowlew war möglich; er verließ nie sein Flaggschiff, das Riesen-U-Boot der Delta-Klasse, dieses 16.000-Tonnen-Ungetüm von über 130 Metern Länge, das 16 Abschußrampen für Atomraketen enthielt. Soweit kannte man das Boot – was sich weiter in diesem stählernen Riesenleib verbarg, wußten nur Jakowlew und seine Männer. Soviel allerdings war klar: Diese U-Bootkreuzer der Delta II-Klasse waren die stärksten Kriegsschiffe überhaupt. Auch die Amerikaner hatten dem nichts entgegenzusetzen.
Makarenkow wandte sich in seiner Not an den Chef der Basis in Petropawlowsk, aber auch Admiral Jemschin konnte keine Auskunft geben. »Mikola Semjonowitsch und ich sind befreundet«, sagte er nur, »aber was heißt das? Wenn er den Mund halten muß, dann hält er ihn, und wenn ich noch so laut: ›Prost, Brüderchen!‹ rufe. Nun gut, er kommt zu Ihnen, Wassili Borisowitsch – lassen Sie sich überraschen.«
Genau das tat Prassolow auch. Mit einer Tupolew Tu-26, die eine Geschwindigkeit von 2.125 Kilometer pro Stunde, also Mach 2, fliegen kann, brauste er heran und landete heulend auf dem Flugplatz von Kurilsk. Makarenkow erwartete ihn auf dem Flugfeld in seiner schwarzen Wolga-Limousine und begrüßte dann Prassolow mit Wangenküssen, wie es sich gehört, wenn man sich Freund nennt.
Prassolow kam allein, ohne Adjutant oder andere Offiziere – schon das war ungewöhnlich. Er trug selbst eine schwarze Aktentasche, und Makarenkow bemerkte verblüfft, daß sie mit dem Griff an Prassolows Handgelenk angekettet war. So etwas kannte man nur bei höchst geheimem Diplomatengepäck.
»Es gibt einen köstlichen Stör, gebacken und mit Kapernsoße, garniert mit eingesäuerten Waldpilzen«, sagte Makarenkow, als Prassolow neben ihm im Wolga Platz genommen hatte. »Und Blinis – ich sage Ihnen, mein lieber Mikola Semjonowitsch: Mein Koch, der Unteroffizier Gennadi Mattejewitsch, ist ein Genie. Wenn Sie in Moskau oder Leningrad bessere Blinis als bei mir bekommen, dürfen Sie mich einen Lügner nennen.«
»Hervorragend, mein lieber Wassili Borisowitsch«, antwortete Prassolow höflich, aber seltsam zerstreut. »Einen Bärenhunger habe ich mitgebracht. Ist der Stör schon in der Röhre?«
»Er brutzelt, mein Freund.«
»Dann sollten wir ihn schnell essen und dann zu Jakowlew fliegen.« Prassolow lehnte sich zurück. Die kurze Fahrt vom Flugplatz zur Marinekommandantur führte durch militärisches Sperrgebiet. In einem Seitenbecken des Hafens dümpelten vier japanische Fischkutter, die man aufgebracht und hierher geschleppt hatte, weil sie in sowjetischen Gewässern ihre Netze ausgeworfen hatten. Nach altbewährter sowjetischer Methode wurden sie jetzt zunächst der Spionage angeklagt, bis lange Verhandlungen mit der japanischen Regierung in Nemuro auf der Insel Hokkaido irgendwann zur Freigabe führen würden. Das gehörte zur sowjetischen Taktik in diesem Gebiet: Auch die Südkurilen gehören uns, mag man in Japan gegen diese Auffassung auch täglich protestieren.
»Sie kommen wegen Iwan Victorowitsch Jakowlew?« fragte Makarenkow voll Interesse. »Eine Inspektion? Im Vertrauen: Ich mag ihn nicht. Keinen Kontakt hat man mit ihm. Exerziert da draußen bei Kasatka, schindet seine Leute, bis sie statt Kwaß ihre eigenen Tränen trinken, ein ganz unangenehmer Mensch, dieser Jakowlew.«
»Darüber sind wir uns alle einig, mein lieber Wassili Borisowitsch.« Prassolow stieg aus, man hatte die Kommandantur erreicht. Die Ledermappe mit der Kette zu seinem Handgelenk drückte er gegen seine Brust, als erwarte er ein Attentat. »Aber der Oberkommandierende scheint ihn anders zu sehen. Ich habe neue Befehle für Jakowlew bei mir.«
Makarenkow staunte und zeigte das auch unverhohlen. Ein Admiral als Briefträger zu einem Korvettenkapitän – wo gab's denn das? Wollte man Prassolow demütigen? War das der Anfang von seinem Ende? »Sie bringen die Befehle zu Jakowlew wie ein Kellner die Suppe?« fragte er, geradezu empört. Prassolow war weit davon entfernt, bedrückt zu sein. Er nickte sogar.
»Er geht schweren Zeiten entgegen«, sagte er.
»Schwerer, als er es seinen Leuten macht, kann's nicht mehr werden.« Makarenkow lächelte sarkastisch. In der Wohnung schlug ihnen der Duft von gebratenem Fisch entgegen, aber es war ein angenehmer Geruch, gemischt mit Wacholder. Prassolow schnupperte begeistert.
»Haben Sie gehört, mein lieber Freund, was die Amerikaner da bei der Wake-Insel zaubern?«
»Nein. Meine Informationen beschränken sich darauf, daß in Wladiwostok eine Schnupfenepidemie ausgebrochen ist«, antwortete Makarenkow beleidigt. »Auch von Ihnen bekomme ich nichts zu hören.«
»Ich darf nicht, Genosse.«
»Was ist also los mit den Amerikanern? Neue Atomversuche? Neue Raketen?«
»Man weiß es nicht – das ist es ja! Luftaufnahmen zeigen, daß ein Teil von Wake eine einzige riesige Baustelle geworden ist. Auch scheint es, daß man durch die Lagune eine breite Fahrtrinne sprengt.«
»Sie lernen nie, die Amerikaner«, sagte Makarenkow, knöpfte seinen Admiralsrock auf und setzte sich an den gedeckten Tisch. Eine Ordonnanz im weißen Jackett schaute ins Zimmer, grüßte stramm zu Admiral Prassolow hin und verschwand sofort wieder. »Warum baggern sie aus? Um größere Schiffe in die Lagune zu bringen? Welch ein Irrsinn. Bauen sich selbst eine Falle und schippern hinein. Haben sie nichts gelernt von Pearl Harbour? Da lagen die Brötchen zur freien Auswahl herum, schön Seite an Seite, herrlich unbeweglich, unentrinnbar, eine riesige Falle. Und jetzt derselbe Blödsinn auf der Wake-Insel? Nur den Kopf kann man schütteln.«
»Noch anderes passiert da, Wassili Borisowitsch.« Prassolow hob die Nase. Die Ordonnanz trug auf einer großen Porzellanschale die Blinis ins Zimmer. Goldgelb glänzten sie und dufteten nach Majoran. Die Füllung war das Geheimnis des Kochs Gennadi Mattejewitsch. Er würde sie keinem verraten, hatte er einmal ausgerufen, auch wenn man ihn kastrierte. Ein Erbe war's von seiner Mutter aus Kasatkino. Das ist ein winziger Ort am großen Amur, aber die Frauen können dort kochen wie die Engel im Paradies.
»Das Verwerfliche ist, daß wir nicht wissen, was dort geschieht«, sagte Prassolow weiter. »Vor drei Tagen nun hat der Amerikaner das gesamte Seegebiet um Wake zur Sperrzone erklärt.«
»Welche Anmaßung!« Makarenkow rieb sich die Hände. Die Blinis wurden auf die Teller verteilt. »Der Pazifik ist international. Wenn jeder einfach die freie See für sich deklarieren wollte … Ha, die Amerikaner! Der Atlantik ist ihr Meer, der Pazifik ist ihr Meer, im Mittelmeer regen sie sich auf, wenn wir ein paar Schiffchen fahren lassen … Wann beanspruchen sie das Schwarze Meer oder den Baikalsee?« Er beugte sich nach vorn, stieß die Gabel in seine saftige Teigrolle und zerteilte sie. »Ich ahne etwas, Mikola Semjonowitsch: Wir sollen demonstrieren, daß im Pazifik auch sowjetische Schiffe etwas zu suchen haben. Daß es das nicht gibt, einfach ein Sperrgebiet zu erklären. Wir fahren einfach hinein, ist es so? Tragen Sie das in der Kettentasche mit sich herum? Die Flotte des Admirals Makarenkow zeigt Stärke gegenüber amerikanischer Arroganz im Pazifik – welch eine gute Schlagzeile in den Zeitungen! Das bringt wieder Leben in den trägen Alltag.«
»Erregen Sie sich nicht zu früh, Wassili Borisowitsch.« Prassolow biß in seine Blinirolle und seufzte begeistert. Die Fleischeinlage war gewürzt, daß die Zunge erzitterte, dann zerfloß das Ganze, und man brauchte nur noch mit geschlossenen Augen, hingerissen von dem Aroma, zu schlucken … »Es wird keine Demonstration der Stärke geben. Im Gegenteil: Wir erkennen die Sperrzone an.«
»Nein! Seit wann schielt man in Moskau um die Ecke?!«
»Und wenn man dadurch mehr sehen kann?« Prassolow lachte, schmatzte an seinen Blinis und freute sich auf den Stör, der noch in der Backröhre lag. »Lassen wir den Amerikanern ihr Vergnügen, ein Seegebiet zu sperren. Was signalisieren sie denn damit, die naiven Kinderchen? Na? Doch nur: Hier wird es ganz geheimnisvoll. Hier haben wir etwas zu verstecken. Wer näher kommt, verbrennt sich die Finger. – Und wir werden näher kommen!«
»Jakowlew!« sagte Makarenkow wonnevoll.
»So ist es. Ich habe den Einsatzbefehl für Iwan Victorowitsch in der Tasche.«
»Deshalb die irrsinnigen Übungen bei Kasatka! Ich habe mir sagen lassen, er geht im Meer auf ungewöhnliche Tiefen; er taucht, bis die Nieten krachen. Seine Matrosen haben wieder beten gelernt, wenn es heißt: Fluten! Und dann schleicht er auf dem felsigen Meeresboden herum, als hätte er den Radarsinn einer Fledermaus …«
»Iwan Victorowitsch wird viel Mut und Ausdauer brauchen«, sagte Prassolow und klatschte in die Hände, als der ganze Stör, braun gebacken, auf einem Tablett hereingetragen wurde. Um ihn herum lagen die Waldpilze, als schwämme der Stör noch in nachtdunklen Wogen. Ein Meisterwerk, und so etwas in Kurilsk! »Sogar ein Held der Sowjetunion kann er werden …«
»Der Amerikaner wird nie wagen, im Frieden unser U-Boot zu versenken!« rief Makarenkow erregt.
»Wo ist Frieden, Wassili Borisowitsch?« Prassolow schnüffelte über sein Stück Stör hinweg, das ihm hingeschoben wurde. »Frieden ist nur ein Wort für eine Übergangszeit, in der die Waffen geputzt und erneuert werden. Haben sie den richtigen Glanz, müssen sie auch wieder eingesetzt werden. Natürlich nur zur Verteidigung – aber verteidigt werden muß immer etwas. Außerdem: Was auch immer bei der Wake-Insel passieren mag: Man wird nie irgend etwas darüber hören. Jakowlew kann zwar Held der Sowjetunion werden – doch wofür er das vielleicht wird, das bleibt ebenfalls unter uns. Mit anderen Worten, mein liebster Freund: Ich bin hier und doch nicht hier. Alles, was ich da in der Tasche habe, gibt es nicht, obwohl es Millionen Rubel kosten kann. Ich gestehe: Bis vor drei Tagen hatte auch ich keine Ahnung davon, warum man mir Jakowlew mit seiner kleinen Flotte auf den Hals geschickt hat. Jetzt weiß ich es endlich. Man muß die Planer im Stab von Moskau bewundern … Ha, ist das ein Fisch! Und diese Pilze! Dieser Geschmack! Sie sollten Gennadi Mattejewitsch zum Unterleutnant befördern …«
Zwei Stunden später flog Admiral Prassolow mit einem Transport-Hubschrauber Ka-25 von dem kleinen Hafen Kasatka hinüber zu Jakowlews kleiner Flotte. Sie lag vierzig Seemeilen von der Küste der Insel Iturup entfernt in einem 500 Meter tiefen Gewässer und über einem wild zerklüfteten Meeresboden.
Prassolow landete auf dem kleinen Hubschrauberdeck des U-Boot-Versorgungsschiffes Ugra und wurde dort vom Kommandanten und von dem Korvettenkapitän Jakowlew begrüßt. Eine Trompete blies ein Ehrensignal. Und wieder hatte Prassolow beim Anblick Jakowlews das fade Gefühl, daß Helden, und wenn man sie noch so sehr ehrte, nicht immer – menschlich gesehen – die Besten des Volkes waren. Laut durfte man so etwas natürlich nicht sagen … Wenn man in seine kalten Augen blickte, hätte man den Kragen hochschlagen mögen, so eisig wehte es zu einem herüber.
Schon gleich nach der Begrüßung trat Jakowlew seinen Admiral sozusagen vor das Schienbein, indem er ganz ruhig fragte: »Sie bringen mir den Einsatzplan mit, Genosse Admiral?« Das bewies Prassolow: Jakowlew war viel früher als er über seine Aufgaben unterrichtet worden – über den Kopf des Befehlshabers Sondereinsatz See hinweg.
»Wir wollen sehen, Iwan Victorowitsch«, antwortete Prassolow. Mit diesen gönnerhaften Worten wollte er seinen Briefträgerdienst etwas aufwerten. »Bereiten Sie sich auf Großes vor!«
»Wir haben den Einsatz ständig geübt, Genosse Admiral.«
Im Offiziersraum des U-Boot-Versorgungsschiffes – der modernsten schwimmenden Werkstatt, die es auf dieser Welt gab, vollgestopft nicht nur mit allen Ersatzteilen, sondern auch mit Waffen, Elektronik und den hochempfindlichsten Radaranlagen und Suchgeräten, die in der NATO ›Slim Net‹, ›Strut Curve‹ und ›Muff Cob‹ hießen – öffnete Prassolow seine Aktentasche und entnahm ihr einen roten Schnellhefter. Der Kommandant des Schiffes verließ auf einen Blick des Admirals den Raum; was hier zu besprechen war, galt nur den Ohren von Jakowlew.
»Sie haben die Aufgabe, Iwan Victorowitsch, in das neue Sperrgebiet der Amerikaner um die Wake-Insel herum einzudringen und festzustellen, welche Versuche dort unternommen werden. Die Luftaufklärung hat nur Informationen über große Bautätigkeiten erbracht. Diese aber rechtfertigen in keiner Weise die Absperrung eines großen Seegebietes. Um Atomversuche kann es sich nicht handeln, sonst hätte man Wake selbst evakuiert. Stattdessen kommen nach Wake immer neue Truppen. Von Pearl Harbour sind unterwegs: drei Zerstörer, zwei Kreuzer, drei Korvetten, vier Schnellboote. Über neue U-Boote liegen keine Meldungen vor, aber ich nehme an, auch sie werden auf Wake verstärkt. Warum das alles? Nur, um uns unruhig zu machen? Die Taktik der kleinen Nadelstiche? Wer glaubt daran? Der strategische Stab der Admiralität ist anderer Ansicht. Er vermutet, daß die Amerikaner neue Tiefseewaffen ausprobieren wollen.«
»Tiefseewaffen?« fragte Jakowlew verwundert. »Was soll man darunter verstehen?«
»Seien wir ehrlich, Iwan Victorowitsch: Alles, was überm Wasser schwimmt, ist im Kriegsfall Schrott. Jede Rakete kann jedes Überwasserschiff erreichen. Die sich selbst lenkenden elektronischen Torpedos treffen jedes Ziel. Hier, unsere Ugra – was nutzt die beste Werkstatt, wenn sie nach allen Seiten sichtbar ist? Es muß gründlich umgedacht werden. Für einen schweren Schlachtkreuzer, den früher einmal jeder fürchtete, hat man heute nur noch ein Lachen übrig. Ein Druck auf ein Knöpfchen … zscht … die Rakete ist los, und niemand hält sie mehr auf. Die Abfangraketen stecken noch in den Kinderschuhen. Wenn wir einen Fächer von zwölf Raketen schießen, gibt es keine Gegenwehr mehr. Selbst wenn man zehn abfängt – zwei treffen dann noch, und das ist genug! Deshalb liegt die Zukunft der Marine unter dem Meer. Interkontinentalraketen aus der Tiefe, die sich unsichtbar und unhörbar an den Gegner heranschleichen und aus dem Meer heraus die Vernichtung bringen – nur so ist die militärische Überlegenheit zu sichern.« Prassolow holte tief Atem. Die Einsatzmöglichkeiten der sowjetischen Waffen begeisterten ihn so, daß er Schluckbeschwerden bekam. »Natürlich schlafen die Amerikaner nicht, auch sie haben die neue Taktik erkannt: Wir glauben, daß rund um Wake große Tiefseeversuche unternommen werden mit dem Ziel, Stützpunkte unter Wasser zu errichten, so wie man Satellitenstationen in den Weltraum schießt.« Prassolows Stimme zitterte vor Ergriffenheit. »Stellen Sie sich vor, Iwan Victorowitsch: Eine Kette Unterwasserbunker mit atombestückten Raketenrampen – so tief im Meer, daß sie unangreifbar sind. Keine Wasserbombe kommt heran, kein U-Boot kann so tief tauchen, ein elektronischer Strahlenkranz verhindert auch das Eindringen unserer normalen Raketen; ganz davon abgesehen, daß es kaum möglich sein wird, diese kleinen Stahlwanzen im Meer aufzuspüren. Unvorstellbar, welche Bedrohung das für uns wäre.«
Jakowlew hatte wortlos zugehört. Prassolow zu unterbrechen, war bei diesem Wortschwall sowieso unmöglich. Aber jetzt, als der Admiral wieder tief Atem holte, fragte er nüchtern:
»Das hört sich an wie ein Zukunftsroman. Welcher Stahl hält den ungeheuren Druck von einigen tausend Metern aus? Die Stationen müssen besetzt sein – wie kommen die Männer in diese Tiefen hinunter? Wie können sie versorgt werden?«
»Iwan Victorowitsch, was oben im luftleeren Raum des Weltalls möglich ist, muß auch unter Wasser machbar sein. Das ist die logische Überlegung der Admiralität. Und das alarmiert uns: Bei diesen Forschungen muß der Amerikaner weiter sein als wir. Die Wake-Insel ist da der Mittelpunkt. Korvettenkapitän Jakowlew, das ist nun Ihre Aufgabe: präzise Informationen, was im Sperrgebiet um Wake experimentiert wird.«
»Verstanden, Genosse Admiral«, sagte Jakowlew knapp. »Besondere taktische Befehle?«
»Wir betrachten Ihren Einsatz unter kriegsgemäßen Bedingungen. Es kann Opfer geben …«
»Ich verstehe, Genosse Admiral. Bei Angriff Gegenwehr?«
»Iwan Victorowitsch, es gibt Sie nicht. Sie existieren nicht. Und wer nicht da ist, kann nicht schießen. Wenn es Opfer gibt, werden es anonyme Opfer sein. Sie müssen unsichtbar bleiben. Werden Sie vom Gegner geortet, liegt die Entscheidung ganz allein bei Ihnen.« Prassolow übergab Jakowlew die rote Mappe mit den Einsatzplänen. Jakowlew klappte sie nicht auf, sondern legte nur seine Hände darüber. »Wenn es Sie beruhigt«, sagte Prassolow, nun doch etwas unsicher, denn es ist nicht leicht, einige hundert Mann aus dem Leben zu streichen: »Von Land aus werden Sie unterstützt. Die GRU hat die besten Agenten eingesetzt.«
»Ich bin ganz ruhig, Genosse Admiral.«
»Sobald wir von Land aus präzise Informationen bekommen, werden Sie sofort benachrichtigt. Viel Glück, Iwan Victorowitsch …«
Am Abend lief Jakowlews kleine Flotte aus: das Flaggschiff U Delta II, ein U-Boot der Charlie-Klasse, ein U-Boot der Victor-Klasse, das Versorgungsschiff Ugra und das Nachrichtenschiff Primorje III. Mit ihm war man über abhörsichere Satellitenverbindungen direkt mit Moskau verbunden.
Prassolow und Makarenkow standen in dem kleinen Hafen von Kasatka und verabschiedeten sich über Funk von Jakowlew.
»Ob wir ihn wiedersehen?« fragte Makarenkow anschließend.
»Das ist nicht die Frage!« antwortete Prassolow. »Wichtiger ist zu wissen, was die Amerikaner bei den Wake-Inseln ausbrüten …«
Genau acht Stunden nach dem Gespräch mit Linkerton erreichte der Delphin-Konvoi die Stadtgrenze von San Diego. Bereits in Yuma, an der Grenze von Arizona und New Mexico, hatte ein Kommando der Yuma Marine Corps Air Station den Geleitschutz übernommen: zehn Jeeps mit Marines und zwei große Sikorsky-Hubschrauber. Der Weg durch die einsamen Sand Hills und das Gebiet von East Mesa war gesichert.
Admiral Linkerton empfing Dr. Rawlings außerhalb San Diegos in El Cajon und drückte ihm beide Hände. »Was habe ich gelitten!« rief er, und es war kein Spott in seiner Stimme. »Ich hätte das nie für möglich gehalten! Es gab keine anderen Gedanken, ich dachte nur an die Delphine. Völlig genervt hat mich Admiral Bouwie. Als ob er eine Fuhre unschuldiger Töchter unterwegs habe … Ich muß ihm sofort mitteilen, daß ich Sie wohlbehalten in Empfang genommen habe.«
Während der Konvoi der riesigen Bassinwagen weiterzog, stieg Rawlings in den Jeep von Admiral Linkerton um und ließ sich erklären, was nun folgen sollte.
Die Delphinstation auf der langgestreckten, schmalen, als U.S. Naval Reservation hermetisch abgesperrten Halbinsel von Cabrillo war termingerecht genau auf den Punkt fertig geworden – eine Meisterarbeit von Technikern, Ingenieuren und Baufirmen. Das Gebiet der Forschungsstation, etwa in der Mitte der Halbinsel zum Pazifik hin, war nur über einen schmalen, abgesperrten Weg vom Cabrillo Memorial Drive aus zu erreichen, lag völlig unauffällig hinter Palmen und hohen Blütensträuchern und war außerdem noch durch einen drei Meter hohen Elektrozaun mit Alarmgebern gesichert. Wenn es wirklich jemandem gelang, auf die Halbinsel vorzudringen – am Zaun war das Ende. Jede Verletzung des Drahtgitters löste sofort die Warnsignale aus. Nachts wurde der Zaun mit Starkstrom beschickt; das hatte bisher das Leben von neunzehn Kaninchen, zwei Schlangen, drei Wüstenfüchsen und zwei Seeadlern gekostet.
»Es kann also gar nichts passieren«, sagte Linkerton mit Stolz. »Hier sind Sie und Ihre Delphine so sicher wie in Fort Knox das Gold.«
Am Abend dieses Tages wurde Ischlinski noch einmal der Delphine wegen belästigt. Tulajew rief in Washington an, aus San Diego, wie er mitteilte. »Die Delphine sind hier in der Marinebasis eingetroffen, Jurij Valentinowitsch«, sagte er. »Unter größten Sicherheitsvorkehrungen.«
»Hatte ich nicht recht?« rief Ischlinski und freute sich über seinen späten Triumph. »Es war ein militärischer Transport. Mich aber hielt man für urlaubsreif. Nun sehen Sie zu, Tulajew, wie Sie weiterkommen.«
»Das werde ich, Genosse! Ein Wolf verliert nie eine frische Fährte.«
Wieviel Wahrheiten enthalten doch die russischen Sprichwörter …