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Im Halbschlaf hörte Jódís das Sirenengeheul. Sie drehte sich auf die andere Seite – Karl schlief tief und fest. Auf einmal war sie hellwach.

Vigdís!

Ihre kleine Vigdís schlief in letzter Zeit schlecht, wälzte sich im Bett herum und wachte nachts oft auf. Das war völlig untypisch für sie. Sie war es aber auch nicht gewohnt, allein zu schlafen. Jódís stolperte aus ihrem Bett rüber zum Kinderbettchen, das gerade so in die Nische unter der Treppe passte, da es ungewöhnlich breit war. Der dunkelhaarige Engel schlief wie ein Stein. Sie hob Vigdís trotzdem aus ihrem Bettchen und legte sie in die Mitte des Ehebetts, auch wenn es dann ziemlich eng darin wurde. So hatte sie auf jeden Fall Ruhe bis zum Morgen, und die hatte sie bitter nötig.

Danach schlief Jódís so tief und fest, dass sie sich noch nicht einmal rührte, als zwei Stunden später das Telefon klingelte. Da war es halb acht. Erst als sich Karl zu ihr ans Bett setzte und sie an der Schulter berührte, wachte sie auf.

»Jódís, Schatz, die Polizei hat gerade angerufen.« Sie rieb sich die Augen und setzte sich auf.

»Was … stimmt was nicht? Was ist passiert?«

»Die Garage ist in Brand geraten und komplett abgebrannt, mit allem, was darin war.«

Jetzt war Jódís schlagartig wach. Wie furchtbar! Ihr ganzes Hab und Gut hatte in der Garage gelagert. Das Einzige, was sie aus der kleinen Mietwohnung in den Óttulundur mitgenommen hatten, waren Kleider und Bettwäsche, eine Handvoll persönlicher Dinge und ein paar Spielsachen von Vigdís. Den Rest hatten sie in der gemieteten Garage zwischengeparkt, bis sie in die Sóltún ziehen konnten.

Sie waren gut versichert, da mussten sie sich zum Glück keine Sorgen machen. Plötzlich guckten sie sich an, als hätten sie genau im selben Moment den gleichen Gedanken gehabt: »Das Fotoalbum!!!«

Die Bilder von den ersten Tagen, ersten Schritten, ersten Schühchen … all die Erinnerungen an die kleinen Füße und die kleinen Augen.

Alles verbrannt. Weg.

Dieser Schaden war nicht wiedergutzumachen. Jódís konnte es nicht fassen, bevor sie es nicht mit eigenen Augen gesehen hatte.