NUR GUCKEN

Zum Glück befinden wir uns in der Wir-leben-in-der-Zeit-von-Computer-und-Kommunikation-da-können-wir-gefälligst-auch-einen-passenden-Cache-bauen-Zeit. Deshalb gibt es natürlich auch spezielle Wir-leben-in-der-Zeit-von-Computer-und-Kommunikation-da-können-wir-gefälligst-auch-einen-passenden-Cache-bauen-Caches. Das sind die so genannten Webcam-Caches. Webcams sind mit dem Internet verbundene Kameras, die über eine Webseite gesteuert werden und Bilder auf einen Rechner übertragen, zum Beispiel die Verkehrssituation an belebten Straßen. Sie werden einfach über eine Webadresse aufgerufen, und das Bild erscheint.

Das Prinzip der Webcam-Caches ist relativ einfach und funktioniert so: Man gehe an die Position x/y, stelle sich hin, lasse ein Foto von sich machen mit Hilfe der in der Nähe befindlichen Webcam. Wenn man sich anschließend zu Hause an den Computer setzt und den Cache loggt, muss man nur noch das Foto mit hochladen, und der Cache gilt als gefunden.

Diese Caches sind eigentlich für alle Beteiligten nur peinlich. Das Problem bei den meisten Webcams ist nämlich, dass sie sehr weitwinkelig sind. Man sieht also maximal viel von der Umgebung, aber minimal viel von den Personen, die sich fotografieren lassen sollen, also den Cachern. Das ist ganz toll und eine super Idee, wenn man eine Kreuzung, einen Marktplatz, ein Autobahnkreuz oder ein ganzes Bundesland beobachten will. Soll dagegen eine einzelne Person zu sehen sein, dann muss sich diese entsprechend auffällig verhalten. Und das in der Öffentlichkeit. So kommt es gelegentlich vor, dass Transparente geschwungen, Arme durch die Luft gewedelt oder anderweitig großräumige Bewegungen gemacht werden. Dass die Umstehenden kurz davor sind, Krankenwagen oder das mobiles Psychiatrie-Kommando zu rufen, interessiert den eingefleischten Cacher-Profi allerdings nicht weiter.

Sollte man vorhaben, einen solchen Cache zu suchen, empfiehlt es sich daher, vorher die Koordinaten der örtlichen Nervenheilanstalt mit Edding auf den Boden zu schreiben. Dann wird man ganz schnell aufgegriffen und hat bei der Gelegenheit gleich einen Multicache gelegt.

Ein anderes Problem ist die Art und Weise, wie ein Foto mit der Webcam zustande kommt. Der Computer, mit dem das Bild abgespeichert werden soll, steht selten an der Stelle, die der Owner angegeben hat, um fotografiert zu werden. Und falls doch, ist das mit dem Online-Sein auch so ein Problem. Am einfachsten ist es, jemanden anzurufen, den man vorher mit einer Info-Mail instruiert hat:

«Hallo, ich will demnächst einen Webcam-Cache heben, das ist dieses mit dem … ach, auch egal. Auf jeden Fall schicke ich dir Ende der Woche ins Büro eine SMS, dann gehst du bitte auf die Webseite am Ende der Nachricht und speicherst das Bild, das dort erscheint. Schicke es mir per E-Mail, ich mache dann den Rest. Danke.»

Der Angesprochene sitzt nun erst mal eine halbe Woche rum. Erhält er die Nachricht, kann er im Internet diese blöde Webcam suchen, der Link, den er vor ein paar Tagen per E-Mail bekommen hat und der vom Spamfilter sofort aussortiert wurde, ist gelöscht und der entsprechende Bereich auf der Festplatte mit Müll überschrieben.

Während der arme Cacher auf einem Bein hüpft, zwei Arme schwingt, seinen Rucksack in die Höhe wirft und deshalb eine zunehmende Menschenmenge um sich herum versammelt, sitzt sein Freund zu Hause und flucht: «Ich habe dieses Hobby schon immer gehasst! Jetzt hat er mich da reingezogen! Ich könnte so schöne Sachen machen: mein Zimmer aufräumen, Verträge unterschreiben, meine Tante besuchen, aber nein, ich suche eine WEBCAM!»

Irgendwann hat der Freund es dann geschafft, das Foto ist gemacht, und auf dem Bild ist ein am Boden liegender, von Gaffern umstellter und von Ersthelfern wiederbelebter Cacher NICHT zu sehen. Aber er verschickt es trotzdem per E-Mail.

Eine andere Möglichkeit ist es, einfach einen Laptop mitzunehmen, um die Internetseite der Webcam unterwegs selbst zu suchen. Als hätte man mit der üblichen Cacherausrüstung nicht schon genug zu schleppen! Wie bereits erwähnt: Navigationsgerät, Kompass zum Peilen, Stifte in mehreren Farben, Cachebeschreibung, Spaten, Seil, Taschenmesser, Handys (für jedes Netz eines oder zwei, zur Sicherheit), Leatherman, Taschenlampen in drei verschiedenen Größen, Nahrung und Flüssigkeit für drei bis vier Tage. Das wiegt schon eine Menge. Die Frage ist: Wie komme ich vor Ort ins Internet?

Möglichkeit 1: Gar nicht.

Möglichkeit 2: Man zapft illegalerweise ein ungesichertes Drahtlosnetzwerk an. Das macht natürlich niemand, denn das ist verboten. Übrigens auch ein toller Sport. Vielleicht sollte man einen WLAN41-Cache einführen: «Gehe an die Position x/y und finde das ungesicherte Netzwerk. Notiere die IP-Adresse des Routers, zapfe den Drucker an und schreibe: ‹Ätsch!›»

Möglichkeit 3: Mit einer UMTS/GPRS-Karte. Das erste Problem an GPRS ist, dass die Leute es dauernd mit GPS verwechseln. Man sucht das GPRS-Signal und hat kein GPS-Netz. Und ich habe hier bestimmt schon 1232 Mal die Rücktaste mit einem «Hach, schon wieder» gedrückt, weil ich mich andauernd vertue. Okay, ist vielleicht mein persönliches Schicksal.

Das andere Problem ist, dass der Empfang nicht immer optimal ist. Und weil man sich ständig bewegt (man muss schließlich dauernd auf und ab springen, um in dem großen Bildausschnitt überhaupt gesehen werden zu können, wie wir uns erinnern), kann der Empfang sehr stark variieren. Oben hat er vielleicht zwei Balken und unten keinen, sodass sich die Verbindungsgeschwindigkeit dauernd ändert oder gar ganz abbricht. Davon würde der Cacher aber nichts mitbekommen, weil er, bevor ihm überhaupt klar ist, was da gerade in seinem Laptop passiert, schon längst wegen Überanstrengung an einem Herzinfarkt verstorben ist.

Möglichkeit 4: Die Hightechvariante. Man kann irgendwo im Internet42 eine Seite so programmieren, dass sie automatisch die Inhalte einer bestimmten Webadresse nach dem Empfang einer SMS an eine vorher angegebene E-Mail-Adresse schickt. Wenn man als Webadresse jetzt also die Seite mit der Webcam angibt, kann man nach dem Schicken einer SMS darauf hoffen, ein schönes Bild auf dem eigenen Rechner wiederzufinden. Aber wie das beim Cachen so ist, spielt das VERrechnen oft eine ganz große Rolle. Abgesehen davon, dass man bestimmt eine Dreiviertelstunde lang Plakate schwingen muss, weil man nie so genau weiß, wie lange eine SMS braucht, kann man sich auch mal ganz dezent in der Kamera verprogrammieren. Zumindest stand das so in einem Log:

«Tja, alles super geklappt. Auch das mit der Programmierung. Das Foto war zwar nicht auf meinem Rechner, aber jedes Mal, wenn ich eine SMS geschrieben habe (ja, mehrere, sicher ist sicher, wer weiß, ob ich gerade in der Luft war), wurde das benachbarte Atomkraftwerk kurz heruntergefahren …»

Ich habe natürlich ebenfalls so einen Webcam-Cache in meiner Statistik, der auch klar zu erkennen ist, da er mit einer kleinen Kamera markiert ist. Es war ein total spannendes Abenteuer:

Ich ging an die Koordinaten, rief eine Freundin an, die sofort die Webseite fand, mich sah, das Foto auf ihrem Rechner abspeicherte und es mir schickte. Wahnsinn, oder? So spannend kann Cachen sein. Drei Minuten später war ich wieder unterwegs 

 

Leider ist es nicht immer möglich, überall eine Dose zu verstecken. Das kann mehrere Gründe haben: Zum Beispiel hat der Owner einfach keine Zeit, den Cache auch zu warten. Das heißt, er muss regelmäßig nachsehen, ob noch alles an Ort und Stelle ist. Oder der Cache würde an einer sehr exponierten Stelle liegen, zum Beispiel genau in der Mitte vom Petersplatz in Rom. Dort wäre er nie zu heben, ohne dass man gesehen würde. Vielleicht hat der Cacheleger die Dose aber auch einfach zu Hause vergessen und keine Lust, nochmal hin- und zurückzulaufen.

Da bei solchen Caches etwas nicht versteckt wurde, aber trotzdem gesucht werden soll, bezeichnet man sie als virtuell. Es gibt sie also nicht wirklich, na ja, es gibt sie schon, aber eben nur virtuell. Also nicht real, also so, wie die Autos beim Computerspielen keine echten Autos sind. Sie funktionieren trotzdem fast genauso (die Caches, nicht die Autos …). Man spart sich eigentlich nur das Bücken.

Demnach lautet die Aufgabe im Prinzip: Gehe zu den angegeben Koordinaten und mache dieses Foto noch einmal. Dazu gibt es ein Beispielbild. Von einem Haus, einem Turm, einem Felsen, einer Statue, einer besonderen Pflanze

Richtig begeistert bin ich von dieser Art Cache allerdings nicht. Zwar kommt man an schöne Stellen, aber es fehlt das richtige Erfolgserlebnis. Ich glaube auch, dass das für den Cacheleger nicht so richtig spannend ist. In Wirklichkeit läuft es sicher so: Ein Cacher langweilte sich, weil sein Partner die Haustür von außen verschlossen hatte und er warten musste, bis er befreit wurde. Er sah dann seine alten Fotoalben durch und dachte sich dabei: Warum soll es den anderen besser gehen als mir? Kurzerhand stellte er seine Bilder ins Netz mit der Aufforderung, ihm doch nachzufolgen. Und jetzt müssen andere an dieselbe Stelle fahren, um die gleichen Bilder zu machen wie er.

Nichtsdestotrotz habe ich selbst mal so einen Cache «gelegt». Wieder war es im Urlaub, in Österreich. Diesmal hatte ich eigentlich nur eine längere Bergwanderung geplant. So ganz ohne Suchen und Graben und Finden. Morgens um 09.00 Uhr losgehen und am frühen Nachmittag wieder am Auto sein. Die Strecke ging über 1300 Höhenmeter, vorbei an einer Almhütte und dann recht steil zu einem 3002 Meter hoch gelegenen Gipfelkreuz. Eigentlich hatte ich mit denselben Problemen zu kämpfen wie auch sonst beim Cachelegen: Ich hatte keine Ahnung, wie man diesen Cache jemals überprüfen oder warten sollte. Außerdem lag er so hoch, dass es mir fraglich erschien, ob überhaupt eine Dose da oben so gut zu verstecken sei. Und letztendlich hatte ich gar keine Dose mit in den Urlaub genommen.

Ich wandere eigentlich recht oft und gerne und dann auch noch alpin, und diesmal gönnte ich mir zusätzlich den besonderen Spaß, bereits im Vorfeld mit Hilfe einer topografischen Karte aus Papier die Koordinaten von markanten Punkten der Wanderung zu bestimmen.

So hatte ich quasi meinen eigenen «Multicache» gelegt. Gehe zu Punkt A (da sollte eine Wegkreuzung sein), gehe dann zu Punkt B (da überquert man einen Bach) und so weiter bis hin zu Punkt K (dort steht das Gipfelkreuz). Das mag jetzt viele verwirren, wenn nicht komplett an mir zweifeln lassen, aber es hat Spaß gemacht.

Dort hinauf sollte die Cachesuche gehen, 3002 Meter hoch.

Ich befinde mich auf halber Höhe.

Schon bei der Planung keimte in mir die Idee auf, bei dieser Tour einen Cache zu legen. Sofort war klar: wenn, dann einen ohne Dose. Aus den oben genannten Gründen musste ich mir also etwas anderes ausdenken und beschloss, an allen markanten Stellen der Tour die Koordinaten zu speichern, Fotos zu machen und diese dann von den Cachefindern ebenfalls zu verlangen.

Das habe ich insgesamt dreimal gemacht. Wenn ich den Cache dann ins Netz gestellt hatte, sollten die nachfolgenden Cachesucher nur meinem Weg folgen, zu den Koordinaten gehen und alles wiederfinden. Den Felsvorsprung, die Hütte und das Gipfelkreuz. Um später nachweisen zu können, dass sie auch wirklich da gewesen waren, schoss ich ein paar Fotos, die die suchenden Geocacher ebenfalls machen sollten. Jeweils an den von mir gespeicherten und später im Netz veröffentlichten Positionen. Es war also ein virtueller Cache der reinsten Art.

Diese drei Motive sollten aufgenommen werden – Felsvorsprung, Hütte und Gipfelkreuz – als Zeichen, dass man den Cache wirklich geschafft hat.

Dass die Wanderung statt fünf dann zehn Stunden dauerte, da es irgendwie doch viel, viel weiter war, als ursprünglich auf der Karte zu sehen, und folglich nur noch klägliche Reste des Abendessens im Hotel auf mich warteten, weil ich da wohl unter «Einzelschicksal» lief, ist eine kleine Randerscheinung dieses Erlebnisses.

Als ich den Cache vom heimischen PC aus im Internet veröffentlichen wollte, tauchte auch schon das erste Problem auf: Es war mir nicht erlaubt! Auf der Internetplattform geocoaching. com sind seit geraumer Zeit keine Caches mehr ohne Dose gestattet. Denn nur eine Dose ist eine Dose! Zum Glück gibt es ja auch andere Webseiten, und da war alles kein Problem. Und ich bin stolz, denn bis heute haben meinen sensationellen Cache sage und schreibe NULL Menschen gefunden. Wenn sich das nicht mal gelohnt hat.

 

Bei anderen Caches gestaltet sich das deutlich einfacher, etwa wenn das gesuchte Foto eine berühmte Sehenswürdigkeit ist. Allerdings ist damit dem Betrug Tür und Tor geöffnet. Zum Beispiel, wenn man selbst eingesperrt in den eigenen vier Wänden so tun will, als wäre man an einem Ort gewesen, wo man aber nie war. Man durchwühlt bloß seine eigenen Urlaubsfotos, weil man sich dunkel erinnern kann, dass man da irgendwann schon mal war. Dann kramt man denselben Leuchtturm oder dieselbe im Sand versinkende Kirche heraus und behauptet einfach, dass man da war, indem man das alte Foto ins Netz stellt. War man zwar auch, aber irgendwie anders. Also natürlich schon richtig, aber nicht so, wie das gedacht war, also … Also ich finde es irgendwie unfair.

Viel besser finde ich dann die Bedingung, dass das GPS-Gerät mit auf dem Bild zu sehen sein muss. Hähähä, dann ist man nämlich gezwungen, sich noch einmal dorthin zu bewegen – oder ein bisschen mit einem Grafikprogramm herumzuwerkeln. Aber das ist dann natürlich NOCH unfairer.

Für alle, denen der Weg in den Keller zu den alten Urlaubsfotos zu weit ist, gibt es auch noch die reinen Rate-Caches. Hier werden im Prinzip Sachen gefragt wie: «Was befindet sich an den oben angegebenen Koordinaten?» Das kann dann ein Bauwerk sein oder ein Ort. Manchmal wird noch nach Details gefragt: «Wann wurde der Ort zum ersten Mal urkundlich erwähnt?» oder «Wie hieß der Architekt mit zweitem Vornamen?» Klingt erst mal einfach, zumindest nach einer guten halben Stunde googeln. Dumm nur, wenn sich die angegebene Position mitten im Meer befindet oder auf einem Berg oder an einer Stelle, von der man gar nicht weiß, wo sie ist. So mussten beispielsweise schon Name und Fracht von versunkenen Schiffen herausgefunden werden. Das bedeutet dann schon mal zwei Stunden googeln.

Insgesamt ist es jedenfalls sehr spaßig – ein echtes Muss für alle Rätselfreunde. Außerdem bekommt man dafür einen Punkt, und es hat den entscheidenden Vorteil, dass man dafür gar nicht vor die Tür muss, weil an der zu findenden Stelle keine Dosen liegen. Für Leute, die mal cachen wollen, aber unter freiem Himmel gallische Einsturzbedenken haben, ist das genau das Richtige. Es besteht nicht die geringste Gefahr, frische Luft zu atmen oder versehentlich einen Sonnenstrahl abzubekommen. Man sitzt gemütlich am PC und sucht drauflos.

Einer von diesen Caches hat mich mal fast in die völlige Verzweiflung getrieben. Ich kann die Geschichte hier leider nicht bis ins letzte Detail beschreiben, da ich sonst anderen den Spaß nehme. Auch wenn mir völlig unklar ist, welchen Spaß ich den Leuten da nehme. Ich hatte nämlich keinen. Damals hätte ich jeden Hinweis als Rettung verstanden und dankbar angenommen. Deshalb möchte ich an dieser Stelle auch nochmal Tobi danken, der mich aus dieser Hölle der Unwissenheit wieder herausgeholt hat.

Man sollte im Umkreis eines angegebenen Punktes etwas suchen, was sich auf einem Feld befindet und rund 46-mal in Deutschland vorkommt. Ich machte mich mit Feuereifer ans Werk und probierte alles aus, was mir einfiel: Segelflugplätze, Rennstrecken, Umspannungsanlagen, Golfplätze, Modellflughäfen … nichts. Nach einer Weile wurde ich frustriert, irgendwann dann wahnsinnig.

Ich überlege gerade, wie man diese Tragödie spannend erzählen kann, aber ich habe nicht die geringste Ahnung. Sie ist nicht spannend, sondern verzweifelt, traurig.

Jedenfalls saß ich mehrere Stunden vor den Auftritten in der Garderobe und versuchte angestrengt, die Lösung zu finden. Irgendwann stand Tobi hinter mir und meinte ganz freundlich: «Na ja, Google Earth zeigt nicht immer alles, sondern manches nur manchmal, na?» Er lächelte mich wissend an. Ich schaute böse zurück, weil ich auf so ein Indiana-Jones-Rätsel absolut keine Lust hatte. Aber Tobi hatte wohl zu viel Da Vinci Code gelesen und machte munter weiter: «Wenn ein Haken dir den Weg wird weisen, musst du nicht selbst dorthin verreisen.» Erst als ich ihm drohte, sämtliche Cacherbilder von ihm mit falschem Datum an seine Freundin zu schicken, sprudelte er los: «Schalt mal bei Google Earth die Informationen ein …» Ich tat wie geheißen. Toll, es tauchten «unterirdische Gasleitung», «überirdische Stromkabel» und noch viel mehr auf, nur nutzte es nichts. «… und sieh mal genau dorthin, ja dort, nein nicht da. Da, ja etwas weiter, nein hoch, nicht die Seite, ach, lass mich mal.» Damit nahm er mir die Maus aus der Hand. Am Ende stand da: «Konfluenzpunkt».43

Toll!

Das sagte mir gar nichts. Ich schaute also im Internet nach und stellte fest, dass wir als Geocacher ziemlich armselige Gestalten sind, weil wir mit so einer Art Handy durch die Wildnis laufen, um Dosen auszubuddeln, die jemand anders versteckt hat, anstatt sie direkt per Paketdienst von Ort zu Ort zu schicken. Aber nein, es gab noch armseligere Menschen. Diese Leute suchten einfach nur Stellen auf der Erde, bei denen die Minutenangabe null war. Also gerade Gradzahlen. So was wie N 23° 00.000 E 34° 00.0000.

Da wird das GPS zum reinen Selbstzweck. Vielleicht gibt es auch Menschen, die nur nach Primzahlen als Graden oder Minuten oder Schnapszahlen suchen. Wer soll auf so was kommen, wer WILL auf so was kommen?

Ich besann mich jedenfalls auf mein eigenes Hobby und fing wieder an, nach Dosen zu suchen. Und zwar erst mal die im Arzneischrank – mit den Beruhigungspillen.

 

Eine besondere Kombination aus Webcam- und virtuellem Cache ist der sogenannte SpyCam. Er hat einerseits die virtuelle Komponente, auch hier muss man nicht vor die Tür, es bedarf aber auch der Zuhilfenahme einer Webcam.

Wie bei den meisten Ich-bin-faul-Caches hat mich Tobi darauf gestoßen. Er hatte wohl mal wieder Stubenarrest. Vielleicht war auch einfach nur seine Tante zu Besuch. Jedenfalls saß er am Computer und entdeckte aus Versehen diesen virtuellen Cache. Das muss ihn so was von schockiert haben, dass er mir sofort – ebenfalls aus Versehen – eine E-Mail schickte, um mir zu sagen, was er da Tolles vollbracht hatte. Also für ihn, ich selbst bin natürlich gegen so etwas immun. Nicht mal im Ansatz reizen mich solche Caches. Trotzdem setzte ich mich ihm zuliebe mal dran – und schon war ich infiziert.

Beim «SpyCam» besteht die Aufgabe darin, eine bestimmte Kamera zu steuern. Dann sieht man etwas, womit man weiß, was man als Nächstes sehen soll, wodurch man wieder weiß, womit man was sehen soll.

Schon der Einstieg war nicht ganz einfach, da man erst einmal raten musste, welche Stadt gemeint war, in der dann die Kamera gesucht werden sollte. Da ich aber just in ebenjener Stadt schon mehrmals mit überhöhter Geschwindigkeit fotografiert worden bin und sich ebenjene Stadt deshalb in mein Gehirn eingebrannt hat, war mir sofort klar, worum es ging: «Xneyfehur». Mehr wird nicht verraten, sonst ist der Cache ja viel zu einfach. Die Kamera fand ich dann übrigens überraschend schnell – meist ein sicheres Indiz dafür, dass man völlig falsch liegt.

Leider hat man nur 120 Sekunden Zeit, um die Kamera zu steuern, dann landet man in der Warteschleife wieder ganz hinten. Selbst wenn man alleine ist, wird man aber immer wieder auf Warteplatz eins gelegt, die Kamera fährt, ich vermute mal automatisch, in die Ausgangsposition zurück, und man kann sich wieder beim Anblick bewegter Müllwagen während des Entladens blauer Säcke entspannen. Bei mir zog sich die Suche dann doch ein wenig länger hin:

Die ersten 120 Sekunden, die mir zustanden, verbrachte ich damit, auf das Bild zu starren, weil ich gar nicht wusste, dass ich schon dran war.

Die zweiten 120 Sekunden verbrachte ich damit, zu bemerken, dass ich schon dran war.

In den dritten 120 Sekunden lernte ich dann, wie man diese Kamera überhaupt steuert.

Die vierten 120 Sekunden war ich gerade auf Toilette. Genau genommen waren es nur die vierten 112 Sekunden, aber acht Sekunden kann man nicht wirklich nutzen.

Dann hatte ich endlich alles unter Kontrolle, löste die erste Aufgabe und musste mit dieser Lösung einige komplizierte Rechenoperationen ausführen. Addieren UND subtrahieren! Ja, was denn nun? Entscheidungen der klaren Art sind das, was der heutigen Fortschrittsgesellschaft am meisten fehlt 

Mit dem Ergebnis steuerte ich dann die Kamera ein zweites Mal, wieder weg vom Müllwagen, und löste souverän die zweite Aufgabe. Dann sollte von der Position, die man mit der zweiten Kameraeinstellung fand, eine Peilung durchgeführt werden. Nichts leichter als das – wenn man sein GPS-Gerät nicht gerade verliehen hat, so wie ich. Da es sich um ein Firmengebäude handelte, versuchte ich es anders:

1. Firmenadresse in den Gelben Seiten suchen.

2. Adresse grob bei Map 24 finden.

3. Gebäudeteil bei Google Earth mit dem Da-ach-nee-was-rüber-wieder-Übersicht-stimmt-da-oder-ja-ach-nee-vielleicht-hier-Verfahren lokalisieren.

4. Zurück bei Map 24 den Maßstab vom Monitor auf einen Zettel abmalen. Dann 2 Kilometer markieren und durch fünffaches Falten des Blattes ungefähr die Länge zehn ermitteln. Das war zwar nicht die errechnete Entfernung, aber irrationale Zahlen zu falten ist echt kompliziert. Also musste diese Näherung sein.

5. Auf dem Bildschirm einen Radius ziehen. Das ging auf meinem damals nagelneuen TFT-Bildschirm super, jetzt ist er gebraucht. Wegen der Bleistiftstriche und der Zirkellöcher.44

6. Wieder bei Google Earth nachschauen, ob da irgendwas irgendwie so interessant aussieht, dass man eine Antwort auf die letzte, die endgültige Frage findet.

7. Noch einmal bei Google nach den Detailinformationen suchen.

8. Tabulatortaste auswechseln, die dem ständigen Fensterwechsel erlegen ist.

9. Endlich irgendein Ergebnis haben.

Ich war mal wieder begeistert von mir: Nicht nur im freien Feld bin ich in der Lage, durch Improvisation und indem ich meinen Verstand einsetze, in ausweglosen Situationen eine Lösung zu finden, nein, auch bei reiner Denk- und Rechenarbeit bin ich dazu befähigt. Ich bin sozusagen der McGyver des Cachens im Internets.

Das Ergebnis schickte ich natürlich erst mal mit einer leicht modifizierten Zeitangabe an Tobi, damit er neidisch wurde, er, der ja völlig unerwartet bereits erfolgreich war. Als ich auf die Mail «Kieswerk!» die Antwort «Kieswerk?» bekam, gab ich auf und beschloss, auf mein GPS-Gerät zu warten, mit dem ich leichter peilen kann.

Bis dahin entwickelte ich eine neue Cache-Idee: «Fahre die Hauptstraße von x1/y1 nach x2/y2 so schnell, dass du das Gefühl hast, viel, nein sehr viel, nein einfach viel zu viel zu viel zu langsam zu fahren. Nenne mir den Fabrikatstyp der Kamera, die dich trotzdem geblitzt hat, und du darfst dich loggen. Hast du denselben Sachbearbeiter wie ich, dann sogar zweimal.»

Der Cache heißt dann: «Aufmerksame Stadtverwaltung von Xneyfehur».