Epilog

 

Ich bin dann trotzdem nicht Sängerin geworden. Zwar haben Tim und ich den Song tatsächlich unter Tobias’ Betreuung als Duett aufgenommen und ihn auch gut in den Charts plaziert – aber nach diesem kleinen Ausflug ins Künstlerdasein habe ich beschlossen, dass mir das reicht. Natürlich habe ich meine Ausbildung noch abgeschlossen, denn wenn man etwas Unvernünftiges tut, sollte man es auch zu Ende bringen. Aber seitdem mache ich wieder das, was ich kann: Seit einem Jahr bin ich zurück als Senior A&R bei World Records. Zusammen mit Tobias, der, so wie David es versprochen hat, jetzt nicht mehr Junior ist und gerade mit den Reeperbahnjungs ein zweites Album produziert, denn das erste war ein so großer Erfolg, dass sie da nahtlos anknüpfen wollen. Anfangs war ich etwas eifersüchtig, dass ich den Act nicht betreue – aber generell finde ich immer noch, dass man Berufliches und Privates nicht miteinander vermischen sollte.

Martin Stichler hat sich übrigens mit seinem Auftritt – oder besser: mit seinem Abgang – beim Konzert selbst ein Bein gestellt. Offensichtlich hat es das Fass zum Überlaufen gebracht, das sich schon geraume Zeit füllte, und David und er sind übereingekommen, dass es für ihn keine Zukunft bei World Records gibt. Vor ein paar Wochen habe ich ihn vor dem Atlantic getroffen – dort fand wieder Kino trifft Pop statt. Er sah blendend aus, seine Begleiterin war blonder als blond – und er genauso ein selbstgefälliger Arsch wie immer. »Und«, fragte ich mehr aus Höflichkeit als aus Interesse, »wie geht’s?«

»Bestens«, behauptete er. »Ich lasse mir einfach etwas Zeit, den neuen Stier zu finden, den ich bei den Hörnern packen kann. Muss diesmal wirklich etwas Kapitales sein, so ein kleines Label wie World Records, das langweilt doch auf die Dauer.«

»Na dann«, sagte ich, »wir sehen uns sicher gleich noch drinnen.«

»Ja, du, da muss in diesem Jahr etwas schiefgelaufen sein«, stotterte er plötzlich los. »Sag mal, hast du noch eine Einladung für mich über, meine ist irgendwie nicht angekommen. Oder kannst du mich und Trixie hier irgendwie reinschmuggeln?«

Ich habe ihn dann einfach stehen lassen.

 

»Also«, will Tim wissen, als wir an einem Samstagabend nebeneinandergekuschelt auf meinem Sofa sitzen und uns die neuen Demos anhören, die er mir heute aus dem Studio mitgebracht hat.

»Ich weiß nicht«, gebe ich mich betont skeptisch, »irgendwie habe ich den Eindruck, dass da noch etwas fehlt. Aber das habe ich dir ja schon tausendmal gesagt, da musst du mit Tobias noch mal ran.« Tim zögert kurz, dann zieht er mich fest an sich und fängt an, mich sehr lange und zärtlich zu küssen.

»Und ich«, sagt er, als er sich für einen Augenblick von meinen Lippen löst und mich aus seinen großen braunen Augen ansieht, »habe dir schon tausendmal gesagt, dass ich dich liebe.«

Dann küsst er mich wieder, hebt mich hoch und trägt mich rüber in mein Schlafzimmer. Dort lässt er mich aufs Bett gleiten, greift nach Möhrchens Ohren und befördert ihn in hohem Bogen durch die Tür nach draußen in den Flur. »Sorry, Möhrchen, wir beide wollen jetzt ausnahmsweise mal ein bisschen allein sein.«

»He!«, beschwere ich mich. »Schmeiß meinen Hasen nicht einfach raus!«

»Tut mir leid, Süße«, antwortet er und knabbert mir am Ohr. »Zum Kuscheln holen wir ihn nachher wieder rein, aber jetzt habe ich etwas vor, das schlicht und ergreifend nicht hasenfrei ist.« Als er mich wieder mit seinen warmen, weichen Lippen küsst, muss ich zugeben, dass meine Empörung über Möhrchens Rauswurf dahinschmilzt wie Butter in der Sonne. Ja, ich bin charakterlos – und das ist sooo schön.

Als Tim sich über mich beugt, um mein Gesicht und meinen Hals mit vielen kleinen Küssen zu bedecken, muss ich kurz kichern. Er hält in seiner Bewegung inne.

»Was ist?«, will Tim wissen.

»Ach nichts«, antworte ich, »es ist gar nichts. Außer, dass ich manchmal denke, dass mein Leben ein absolutes Wunschkonzert ist.«

Tim lächelt. »Meins auch.«

Und der Rest der nächsten zwei Stunden ist in der Tat nichts, bei dem wir Möhrchen zusehen lassen wollen …