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Förening

Irgendwann versiegten meine Tränen und ich holte tief Luft. Obwohl Finn mich nicht mehr im Arm hielt, saßen wir immer noch so dicht nebeneinander, dass wir uns beinahe berührten. Als ich ihn ansah, wurde ihm das bewusst, und er zog seinen Arm weg.

»Was geht hier vor?«, fragte ich. »Wer waren diese Leute? Und warum mussten wir so schnell abhauen?«

Finn betrachtete mich kurz, wendete sich dann wieder der Straße zu und holte tief Atem.

»Die Antwort darauf ist sehr lang. Am besten erklärt dir deine Mutter alles.«

»Meine Mutter?« Ich fragte mich, was Kim denn über die ganze Geschichte wissen sollte, aber dann fiel der Groschen. Er meinte meine wahre Mutter. »Fahren wir zu ihr? Wo ist sie? Wo fahren wir hin?«

»Nach Förening«, erklärte Finn. »Dort lebe ich – dort wirst auch du leben.« Er lächelte mir aufmunternd zu, und erstaunlicherweise wirkte es. »Leider liegt es sieben Autostunden entfernt von hier.«

»Wo genau?«

»In Minnesota, am Mississippi. Die Gegend ist sehr abgelegen«, sagte Finn.

»Und was ist dieses Förening genau?«, fragte ich und beobachtete ihn.

»Eine Art Stadt«, sagte Finn. »Man könnte es auch ein luxuriöses Resort nennen, im Stile der Kennedys. Aber eigentlich ist es einfach eine eingezäunte Wohnsiedlung.«

»Wohnen da auch Menschen?«, fragte ich und überlegte bereits, ob ich Matt nicht dorthin einladen könnte.

»Nicht so richtig.« Er verstummte und warf mir einen Blick zu, bevor er zögernd weitersprach. »Dort leben nur Tryll, Tracker und Mänsklig. Die Stadt hat rund fünftausend Einwohner, eine Tankstelle, ein paar Supermärkte und eine Schule. Eine ruhige Kleinstadt eben.«

»Wow!« Ich riss die Augen auf. »Du meinst, in Minnesota gibt es eine … Trollstadt? Und das ist noch nie jemandem aufgefallen?«

»Wir sind sehr diskret«, sagte Finn. »Und wir haben Mittel und Wege, um unsere Privatsphäre zu schützen.«

»Du klingst wie ein Mafioso«, sagte ich trocken, und Finn grinste. »Schickt ihr Neugierige mit Betonsocken zum Schwimmen?«

»Überzeugungskraft ist ein sehr mächtiges Werkzeug«, sagte er. Sein Lächeln war verschwunden.

»Hast du diese Fähigkeit auch?«, fragte ich vorsichtig. Er schien das Thema nicht zu mögen, und wie erwartet schüttelte er den Kopf. »Warum nicht?«

»Ich bin ein Tracker. Wir haben andere Fähigkeiten.« Er schaute mich an, und da er merkte, dass ich mich nicht von meinen Fragen abbringen lassen würde, fuhr er fort: »Fähigkeiten, die uns beim Aufspüren helfen. Überzeugungskraft ist für meinen Beruf nicht besonders nützlich.«

»Was ist nützlich?«, drängte ich, und er seufzte müde.

»Das ist schwer zu erklären. Genau genommen sind es keine echten Fähigkeiten.« Sein Gesicht wirkte angespannt und er rutschte auf seinem Sitz hin und her. »Es sind Instinkte und Intuitionen. Wir sind wie Bluthunde, die einem Geruch folgen, ohne dass es einen Geruch gibt. Ich weiß manches einfach.« Er schaute mich an, als hoffe er, ich hätte bereits verstanden, aber ich sah ihn nur mit leerem Blick an.

»Na ja, als du neulich Abend diese Frau besucht hast, wusste ich, dass du weit entfernt warst und dich irgendetwas unglücklich machte.«

»Du weißt, wie es mir geht, selbst wenn wir nicht zusammen sind?«, fragte ich.

»Solange ich deiner Fährte folge, schon.« Finn nickte.

»Ich dachte, du hättest gesagt, du seiest kein Telepath«, murmelte ich pikiert. »Aber dass du meine Gefühle spürst, klingt schon so ähnlich.«

»Ich habe gesagt, ich kann keine Gedanken lesen, und das kann ich auch wirklich nicht.« Er seufzte abgrundtief. »Ich habe leider keine Ahnung, was in deinem Kopf vorgeht.«

»Ich kann nicht all deine Gefühle spüren«, fuhr er fort, als er merkte, wie unangenehm mir das Ganze war. »Nur Trauer und Angst. Ich muss wissen, ob du in Gefahr bist, damit ich dir notfalls helfen kann. Meine Aufgabe ist es, für deine Sicherheit zu sorgen und dich nach Hause zu bringen.«

»Woher weißt du, wo du mich suchen musst? Bevor du in meiner Nähe bist?«

»Die Mütter bewahren etwas aus der Babyzeit auf, meistens eine Haarsträhne«, erklärte Finn. »Dadurch weiß ich, wen ich suchen muss. Und die Eltern wissen meist auch ungefähr, wo ihre Kinder sich aufhalten. Als ich dann in deiner Nähe war, habe ich dich deutlicher gespürt und konnte dich leicht finden.«

Mir wurde warm ums Herz. Meine Mutter hatte eine Haarsträhne von mir aufbewahrt. Kim hatte mich nie geschätzt, aber jemand da draußen schon. Sie hatte die Erinnerung an mich all die Jahre über bewahrt.

»Hast du mich deshalb die ganze Zeit angestarrt? Weil du diese Schwingungen gespürt hast?« Ich dachte daran, wie sein Blick auf mir geruht hatte und dass ich seinen Gesichtsausdruck damals nicht deuten konnte.

»Ja.« Irgendetwas an seiner Antwort war merkwürdig. Er log mich nicht an, aber er verschwieg mir etwas. Ich überlegte kurz, nachzubohren, aber ich wollte noch so viele andere Dinge wissen.

»Wie viele Aufträge hast du schon gehabt?«, fragte ich.

»Du bist mein elfter Auftrag.« Er schaute mich an und schien auf eine Reaktion zu warten, also versuchte ich, völlig ausdruckslos auszusehen.

Seine Antwort überraschte mich. So ein Auftrag musste doch ewig dauern. Er wirkte ein bisschen zu jung, um das schon elfmal hinter sich zu haben. Außerdem machte mich die Vorstellung nervös, dass es da draußen so viele Changelings gab.

»Und wie lange machst du das schon?«

»Seit ich fünfzehn bin«, antwortete er.

»Fünfzehn?« Ich schüttelte den Kopf. »Willst du damit sagen, dass deine Eltern dich mit fünfzehn in die Welt geschickt haben, um solche wie mich zu suchen und nach Hause zu bringen? Haben dir die Kids denn geglaubt und vertraut?«

»Ich bin sehr gut in meinem Beruf«, antwortete Finn sachlich.

»Trotzdem. Das klingt … surreal.« Ich begriff das alles nicht. »Sind sie alle mit dir gegangen?«

»Ja, natürlich«, sagte er schlicht.

»Machen sie das immer? Mit dem Tracker mitgehen?«

»Nein, aber meistens.«

»Aber mit dir sind alle mitgegangen?«, fragte ich beharrlich.

»Ja.« Finn sah mich wieder an. »Warum fällt es dir so schwer, das zu glauben?«

»Ich finde alles, was du mir erzählst, schwer zu glauben.« Ich überlegte, was mich noch daran störte. »Moment. Du warst fünfzehn, also warst du kein … kein Changeling, oder? Bist du der einzige? Wie funktioniert das Ganze eigentlich?«

»Tracker wachsen immer bei ihren Eltern auf.« Er rieb sich den Nacken und schürzte die Lippen. »Ich glaube, das Changeling-Prinzip sollte dir lieber deine Mutter erklären.«

»Warum sind Tracker ausgenommen?«, fragte ich unbeirrt.

»Wir trainieren unser ganzes Leben lang für unsere Aufgabe als Tracker«, erläuterte Finn. »Und unsere Jugend ist unser größter Vorteil. Es ist viel einfacher, sich mit einem Teenager anzufreunden, wenn man selbst einer ist.«

»Es gehört also zu deinem Job, Vertrauen aufzubauen«, sagte ich und sah ihn mit neuem Misstrauen an.

»Das stimmt.«

»Du wolltest also Vertrauen schaffen, als du dich beim Ball mir gegenüber wie ein Arsch benommen hast?«, fragte ich spitz. Einen Moment lang wirkte er traurig, aber dann war sein Gesicht wieder ausdruckslos.

»Nein. Damit bin ich auf Abstand gegangen. Ich hätte dich nicht zum Tanzen auffordern sollen und habe versucht, meinen Fehler wiedergutzumachen. Du solltest mir vertrauen, aber mehr hätte nur zu Missverständnissen geführt.«

Alles, was zwischen uns passiert war, war nur geschehen, weil er mich in meine Heimat zurückbringen wollte. Er hatte mich beschützt und mich dazu gebracht, ihn zu mögen. Und als er merkte, dass ich drauf und dran war, mich in ihn zu verknallen, hatte er die Notbremse gezogen. Das tat weh. Ich schluckte und starrte aus dem Fenster.

»Es tut mir leid, wenn ich dich verletzt habe«, sagte Finn leise.

»Kein Problem«, erwiderte ich eisig. »Du hast nur deinen Job gemacht.«

»Ich weiß, dass das sarkastisch gemeint war, aber du hast trotzdem recht.« Er legte eine Pause ein. »Und ich tue es immer noch.«

»Tja, du bist wirklich sehr gut.« Ich verschränkte die Arme und starrte aus dem Fenster.

Ich hatte keine Lust mehr, mit ihm zu reden. Meine unzähligen Fragen konnten warten. Ich würde sie jemand anderem stellen. Ich war so nervös und aufgeregt, dass ich an Schlaf nicht mal dachte, aber nach einer Stunde Fahrt döste ich ein. Ich kämpfte gegen die Müdigkeit an, bis mir klar wurde, dass die Fahrt viel schneller vorbei sein würde, wenn ich schlief.

Als ich die Augen wieder öffnete, stand die Sonne hoch über uns. Ich hatte mich auf dem Sitz zu einer Kugel zusammengerollt, und mir tat jeder Knochen weh. Gähnend setzte ich mich auf, reckte mich und versuchte, meinen verspannten Nacken zu dehnen.

»Ich dachte schon, du schläfst, bis wir da sind«, sagte Finn.

»Wie weit ist es noch?«, fragte ich, rutschte im Sitz herunter und stützte meine Knie am Armaturenbrett ab.

»Nicht mehr weit.«

Die Landschaft hatte sich verändert. Hohe, mit Bäumen bestandene Felshügel erhoben sich zu beiden Seiten der Straße. Das Auto rollte über Hügel und durch Täler, und die Gegend war wirklich wunderschön. Irgendwann verlangsamte Finn die Fahrt und wir fuhren einen Hang hinauf. Oben angekommen, sah ich, wie sich die Straße durch die Bäume wand. Dahinter erkannte ich den Mississippi, der zwischen den Steilufern dahinfloss.

Ein großes Metalltor versperrte uns den Weg, aber als der Torwächter Finn erkannte, nickte er ihm zu und winkte uns durch. Hinter dem Tor sah ich wunderschöne Häuser auf den Klippen. Sie waren alle hinter dichten Bäumen verborgen, was mir das seltsame Gefühl gab, dort stünden viel mehr Häuser, als wir sehen konnten. Alle wirkten luxuriös und waren so gebaut, dass sie die bestmögliche Aussicht boten.

Wir hielten vor einem mächtigen Anwesen, das ganz am Rand einer Klippe stand. Es war strahlend weiß und von langen Weinreben wunderschön überwuchert. Die Rückseite, die auf den Fluss hinausging, schien nur aus Fenstern zu bestehen. Das ganze Haus stand auf zerbrechlich wirkenden Stützpfeilern. Es war unglaublich prachtvoll, sah aber aus, als könne es jeden Augenblick von der Klippe stürzen.

»Was ist das für ein Gebäude?« Ich löste meinen Blick einen Augenblick lang von dem Haus und schaute Finn an. Er lächelte mich an und meine Haut kribbelte.

»Wir sind da. Willkommen zu Hause, Wendy.«

Meine alte Familie war wohlhabend gewesen, aber so etwas hatte ich noch nie gesehen. So stellte ich mir einen Adelssitz vor. Finn ging mit mir zum Haus, und ich konnte kaum glauben, dass ich wirklich hierhergehören sollte. Ich hatte mich noch nie so klein und unbedeutend gefühlt.

Das Haus war so feudal, dass ich erwartete, von einem Butler begrüßt zu werden. Stattdessen öffnete ein Junge die Tür. Er musste in meinem Alter sein, und sein blondes Haar fiel ihm ins Gesicht. Er sah sehr gut aus, aber das wunderte mich nicht. Aus einem solchen Haus konnte nur Schönes kommen. So perfekt war es.

Zuerst wirkte er verwirrt und überrascht, aber als er Finn sah, schien er die Situation zu kapieren, und er lächelte strahlend.

»Oh mein Gott! Du musst Wendy sein.« Er öffnete die schwere Eingangstür und bat uns ins Haus.

Finn ließ mir den Vortritt, was ich seltsam fand, und das strahlende Lächeln dieses Jungen machte mich verlegen, vor allem weil ich nur einen Schlafanzug trug und einen Bluterguss auf der Wange hatte. Er sah aus wie alle anderen Jungs auf den Privatschulen, auf die ich gegangen war. Wieso fand ich das komisch? Hatte ich erwartet, dass er zu Hause frühmorgens im Smoking herumlief?

»Äh, ja, ich bin Wendy«, murmelte ich.

»Oh, sorry. Rhys.« Er deutete auf sich selbst und wandte sich dann wieder Finn zu. »Wir haben euch noch gar nicht erwartet.«

»Besondere Umstände«, sagte Finn achselzuckend.

»Ich würde mich gerne weiter mit euch unterhalten, aber ich war nur zum Mittagessen hier. Ich muss zurück zur Schule und bin schon spät dran.« Rhys sah sich um und schaute uns entschuldigend an. »Elora ist im Salon. Du findest den Weg ja, richtig?«

»Richtig.« Finn nickte.

»Okay. Sorry für die Hektik.« Rhys lächelte verlegen und hob seine Kuriertasche vom Boden auf. »Hat mich gefreut, dich endlich kennenzulernen, Wendy. Wir sehen uns ab jetzt sicher ziemlich oft.«

Als er durch die Tür geeilt war, blieb ich einen Moment stehen und sah mich um. Die Böden waren aus Marmor und über uns hing ein riesiger Kristallkronleuchter. Von meinem Standpunkt aus sah ich die atemberaubende Aussicht, die man durch die verglaste Rückwand des Hauses hatte. Die Scheiben reichten vom Boden bis zur Decke, und ich sah nur Baumspitzen und den Fluss, der tief unten unter uns vorbeiströmte. Ich bekam beinahe Höhenangst, dabei stand ich auf der anderen Seite des Hauses.

»Komm.« Finn ging voraus und bog in einen dekadent möblierten Flur ein. Ich eilte ihm nach.

»Wer war das?«, flüsterte ich, als könnten die Wände mich hören. Sie waren mit Gemälden behängt, alles wertvolle Meisterwerke.

»Rhys.«

»Ja, ich weiß, aber … ist er mein Bruder?«, fragte ich.

»Nein.« Ich wartete, aber mehr hatte Finn zu dem Thema offenbar nicht zu sagen.

Abrupt bog er in ein Zimmer ab. Es lag an der Hausecke, also waren zwei Wände voll verglast. An einer Innenwand befand sich ein offener Kamin, über dem das Porträt eines attraktiven älteren Gentlemans hing. Die andere Innenwand war von Bücherregalen gesäumt. Das Mobiliar bestand aus eleganten Antiquitäten und vor dem Kamin stand eine mit Samt bezogene Récamiere.

Eine Frau saß auf einem Schemel in einer Ecke und wandte uns den Rücken zu.

Ihr Kleid war so dunkel und fließend wie das Haar, das ihr über dem Rücken hing. Auf einer Staffelei vor ihr stand eine große Leinwand. Das Bild war noch nicht fertig, aber es schien einen Brand zu zeigen. Dunkler Rauch quoll über einen zerbrochenen Kronleuchter.

Sie malte noch ein paar Minuten weiter, während wir an der Tür warteten. Ich schaute Finn an, aber der schüttelte nur den Kopf, als spüre er meine Ungeduld. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und stand so stramm, als sei er ein Soldat.

»Elora?«, sagte er schließlich vorsichtig, und ich bekam das Gefühl, dass sie ihn einschüchterte. Das war sowohl beunruhigend als auch überraschend. Ich hätte nie gedacht, dass Finn sich von irgendjemandem einschüchtern lassen würde.

Als sie sich zu uns umdrehte, vergaß ich zu atmen. Sie war viel älter, als ich erwartet hatte, wahrscheinlich Mitte fünfzig, aber sie war sehr elegant und wunderschön, vor allem ihre großen dunklen Augen. In ihrer Jugend war sie wahrscheinlich unfassbar attraktiv gewesen. Auch jetzt konnte ich kaum glauben, dass es sie wirklich gab.

»Finn!« Ihre Stimme war klar und melodisch, und ihre Überraschung wirkte entwaffnend echt. Mit einer anmutigen Bewegung stand sie auf, und Finn machte eine kleine Verbeugung. Das verwirrte mich, aber ich versuchte ungeschickt, es ihm gleichzutun. Sie musste lachen, schaute zu Finn und deutete auf mich. »Ist sie das?«

»Ja, das ist sie.« Er klang stolz. Er hatte mich hierhergebracht, und mir wurde allmählich klar, dass er damit eine sehr wichtige Aufgabe erfüllt hatte.

Wenn sie sich bewegte, wirkte sie noch eleganter und geradezu hoheitsvoll. Ihr Rock schwang um ihre Beine und es sah aus, als schwebe sie, anstatt zu laufen.

Als sie vor mir stand, musterte sie mich sorgfältig. Von meinem Schlafanzug mit dem Schmutzfleck am Knie, der noch von dem Kampf stammte, schien sie nicht sehr angetan zu sein, aber als sie den Bluterguss in meinem Gesicht sah, schürzte sie die Lippen. »Du meine Güte.« Sie hatte die Augen aufgerissen, aber ich erkannte keine Besorgnis in ihrer Miene. »Was ist passiert?«

»Vittra«, sagte Finn mit der gleichen Verachtung wie zuvor.

»Oh?« Elora hob eine Augenbraue. »Und welche?«

»Jen und Kyra«, sagte Finn.

»So, so.« Elora starrte einen Augenblick lang ins Leere und strich eine nicht existente Falte in ihrem Rock glatt. Müde seufzend schaute sie Finn an. »Bist du sicher, dass es nur Jen und Kyra waren?«

»So gut wie sicher«, sagte Finn und überlegte. »Ich habe sonst niemanden gesehen, und wenn noch jemand da gewesen wäre, hätten sie ihn zu Hilfe gerufen. Sie wollten sich nicht davon abbringen lassen, Wendy mitzunehmen. Jen hat sogar Gewalt angewandt.«

»Das sehe ich.« Elora blickte mich wieder an. »Aber auch so bist du sehr hübsch.« Sie schien beinahe Ehrfurcht vor mir zu empfinden, und ich spürte, wie ich rot wurde. »Du heißt Wendy, nicht wahr?«

»Ja, Madam.« Ich lächelte sie schüchtern an.

»Ein so gewöhnlicher Name für ein so außergewöhnliches Mädchen.« Einen Moment lang wirkte sie fast ärgerlich, aber dann wandte sie sich wieder an Finn. »Großartige Arbeit. Du darfst dich zurückziehen, während ich mit ihr spreche. Bleib aber in der Nähe. Ich rufe dich, wenn ich dich brauche.«

Finn verbeugte sich noch einmal, dann verließ er das Zimmer. Seine Ehrerbietung machte mich unsicher, weil ich nicht wusste, wie ich mich ihr gegenüber verhalten sollte.

»Ich heiße Elora, und ich erwarte nicht, dass du mich anders nennst. Du musst dich natürlich erst eingewöhnen. Ich weiß noch, wie es war, als ich wieder hierherkam.« Sie lächelte und schüttelte den Kopf. »Alles war so verwirrend.« Ich nickte, weil ich nicht wusste, was ich sonst tun sollte, und sie deutete auf das Sofa. »Setz dich. Wir müssen über so vieles reden.«

»Danke.« Unsicher nahm ich auf dem Rand des Sofas Platz, weil ich Angst hatte, es würde auseinanderbrechen, wenn ich es mir richtig bequem machte.

Elora ging zu der Récamiere und legte sich darauf. Ihr Kleid umfloss sie. Sie stützte ihr Kinn auf ihrer Hand ab und betrachtete mich fasziniert. Ihre Augen waren dunkel und wunderschön und mir auf merkwürdige Weise vertraut. Es waren die Augen eines wilden Tieres, das in einem Käfig gefangen ist.

»Ich weiß nicht, ob Finn es dir schon gesagt hat, aber ich bin deine Mutter«, sagte Elora.