Oberbefehlshaber II

 

ArDell starrte ihn an. Sein Gesicht war kalkweiß, aber seine Augen wichen Donals durchdringendem Blick nicht aus.

„Ich mußte Arbeit haben“, sagte er. „Die Untätigkeit war wie ein langsamer Tod für mich. Ich will mich auch gar nicht entschuldigen.“

„Das allein war der Grund?“ fragte Donal ironisch.

Bei diesen Worten wandte ArDell sich ab.

„Nein …“ sagte er. „Es war ihretwegen.“

„Sie!“ Der Tonfall von Donals Stimme veranlaßte die beiden anderen Dorsai, unwillkürlich einen Schritt näher an ihn heranzutreten. Aber Donal rührte keinen Muskel und beherrschte sich. „Anea?“

„Vielleicht hätte sie Mitleid mit mir gehabt …“, flüsterte ArDell und starrte auf den Boden des Salons. „Sie verstehen das nicht … all die Jahre, die ich in ihrer unmittelbaren Nähe verbrachte … und mir war so erbärmlich zumute, und sie … ich konnte nichts dagegen tun, daß ich mich in sie verliebte …“

„Nein“, sagte Donal. Langsam versiegte die Flutwelle aus Anspannung, deren Gischt in ihm hochgesprüht war. „Sie konnten nichts dagegen tun.“ Er drehte sich um. „Sie Narr“, sagte er und wandte ArDell den Rücken zu. „Kannten Sie ihn nicht gut genug, um zu wissen, wann er Sie anlog? Er wollte sie für sich selbst.“

„William? Nein!“ ArDell war mit einem plötzlichen Satz auf den Beinen. „Er … mit ihr? Unmöglich … das kann nicht sein!“

„Das wird es auch nicht“, sagte Donal müde. „Aber nicht deshalb, weil es an Leuten wie Ihnen läge, ihn aufzuhalten.“ Er wandte sich wieder um und sah ArDell an. „Kapitän, sperren Sie ihn bitte ein.“ El Mans kräftige Hand schloß sich um den Arm des Newtoniers und dirigierte ihn auf den Ausgang des Salons zu. „Ach, noch eins, Kapitän …“

„Sir?“ erwiderte El Man und drehte sich zu ihm um.

„Wir stoßen so bald wie möglich zu den Schiffen von Flottenkommandeur Lludrow.“

„Ja, Sir.“ Halb zerrend und halb schiebend brachte El Man ArDell aus dem Raum. Es war wie ein Symbol: Der Newtonier wurde nicht nur aus dem Salon entfernt, sondern auch aus dem Hauptentwicklungsstrom der Menschheit, den er mit seiner Sozialwissenschaft zu beeinflussen versucht hatte – für William, Fürst von Ceta.

Die N4J machte sich auf den Weg, um mit Lludrow Kontakt aufzunehmen. Es war ein Vorhaben, das Zeit kostete und gar nicht so einfach durchzuführen war. Selbst wenn die ungefähre Position bekannt ist, so ist es alles andere als ein Kinderspiel, in der unfaßbaren Weite des interstellaren Raums ein so kleines Ziel wie eine Flotte von Raumschiffen ausfindig zu machen und zu ihr zu stoßen. Ganz einfach deswegen, weil es immer die Möglichkeit eines Berechnungsfehlers gibt, eine Sicherheitsdistanz berücksichtigt werden muß – besser, man kommt ein ganzes Stück vom Ziel entfernt aus der Phasenverschiebung als so nah, daß die Gefahr einer Kollision besteht – und im ganzen Universum, wie jedermann weiß, nichts stillsteht. Man errechnete die gegenwärtige Position des Kurierschiffes, dann ging die N4J in die Phasenverschiebung und sprang zu dem Koordinatenpunkt, wo sich anderen Berechnungen zufolge die Flotte befinden mußte. Dann sendete man ein Rufsignal – und erhielt keine Antwort. Erneute Daten- und Koordinatenermittlung, ein Sprung, ein Rufsignal – und immer so fort. Bis das erste, noch sehr schwache Antwortsignal eintraf, dann ein stärkeres und schließlich eins, das eine Verständigung möglich machte. Das Flaggschiff der Flotte und die N4J stimmten die Daten untereinander ab, eine letzte Verschiebung – und man hatte das Ziel endlich erreicht.

 

Währenddessen waren mehr als drei Tage der vereinbarten Woche verstrichen, in der absolute Funkstille herrschen sollte. Donal ging zusammen mit Ian an Bord des Flaggschiffes und übernahm das Kommando.

„Sie sind über die Lage informiert?“ lautete seine erste Frage, als er Lludrow wieder gegenüberstand.

„Ja“, antwortete der Flottenkommandeur. „Ich habe insgeheim ein Schiff zwischen Dunnins Welt und uns hier hin und her pendeln lassen. Wir sind auf dem laufenden.“

Donal nickte. Das war eine völlig andere Sache als der komplizierte Anflug der N4J. Ein Kurier, der zwischen einem Planeten mit bekannter Position und Eigenbewegung und einer Flotte pendelte, deren Standort und Abdrift ebenfalls bekannt waren, konnte mit einer einzigen Phasenverschiebung bis in Funkreichweite der betreffenden Welt springen und genauso problemlos zurückkehren – vorausgesetzt, die Entfernung war nicht zu groß für eine genaue Berechnung, was manchmal zwischen den verschiedenen Planeten der Fall war.

„Soll ich Ihnen eine Übersicht zeigen, oder möchten Sie, daß ich Sie rasch instruiere?“ fragte Lludrow.

„Eine kurze Zusammenfassung reicht“, sagte Donal.

Und so berichtete Lludrow. Die Hysterie, die den Anschuldigungen der Kommission gegen Donal und sein Verschwinden gefolgt war, hatte zum Sturz der bestehenden Regierungen geführt, deren Positionen bereits zuvor durch die Zwistigkeiten in Hinsicht auf den offenen Markt ins Wanken geraten waren. Ausgenommen waren hier nur die der Exotischen Welten, von Dorsai, Alt-Erde sowie die der beiden kleineren Planeten Coby und Dunnins Welt. Dadurch war ein vollkommenes Machtvakuum entstanden, in das William mit seinen Streitkräften von Ceta rasch und ohne zu zögern vorgestoßen war. Auf Neuerde, Freiland, Newton, Cassida, Venus, Mars, Harmonie und Eintracht waren provisorische Regierungen entstanden und hatten im Namen des Volkes die Macht übernommen. Doch sie standen direkt unter Williams Befehl und hielten die betreffenden Welten nun im eisernen Griff des Kriegsrechts. William hatte sich in der letzten Zeit weniger um seine üblichen Geschäfte gekümmert, sondern statt dessen die Kontrakte vieler Truppenkontingente auf den zivilisierten Welten aufgekauft. Unter den verschiedensten Vorwänden – zur Ausbildung, Vermietung, Bereitschaft und aus einem Dutzend anderer scheinheiliger Gründe – hatte William ganze mit Kontrakten an Ceta gebundene Armeen auf allen Welten stationiert, auf denen es zu Unruhen gekommen war. Er hatte nur kleine Truppenkontingente und Offiziere mit den richtigen Befehlen für die bereits vor Ort befindlichen Streitkräfte einsetzen müssen.

„Generalstabsbesprechung“, sagte Donal.

Sein Stab versammelte sich im Konferenzraum des Flaggschiffes: Flottenkommandeur Lludrow, Truppenkommandeur Ian Graeme – und jeweils ein halbes Dutzend Senior-Offiziere, die den beiden unterstellt waren.

 

„Meine Herren“, sagte Donal, als sie alle am Tisch Platz genommen hatten. „Sicherlich sind Sie alle mit der Lage vertraut. Irgendwelche Vorschläge?“

Für kurze Zeit herrschte Schweigen. Donal sah die Männer der Reihe nach an.

„Wir sollten Verbindung mit Freiland oder Neuerde aufnehmen“, sagte Ian. „Oder mit irgendeinem anderen Planeten, von dem wir Unterstützung erwarten können. Wir landen eine kleine Streitmacht und holen zum Gegenschlag gegen die Truppen von Ceta aus.“ Er blickte seinen Neffen an. „Die Berufssoldaten beider Seiten kennen deinen Namen. Vielleicht erhalten wir sogar aus den Reihen der gegnerischen Streitkräfte Unterstützung.“

„Das bringt nichts“, widersprach Lludrow von der anderen Seite des Tisches. „Das ginge zu langsam. Sobald wir uns auf einem bestimmten Planeten einrichten, könnte William dort seine Truppen zusammenziehen.“ Er wandte sich an Donal. „Was die Anzahl der Schiffe betrifft, so sind wir ihm überlegen – aber seine Einheiten besäßen Bodenunterstützung auf allen von ihm kontrollierten Welten. Und unsere Landetruppen hätten alle Hände voll zu tun, um einen Brückenkopf zu errichten.“

„Das stimmt allerdings“, erwiderte Donal. „Was schlagen Sie also vor?“

„Wir sollten uns auf einen der Planeten zurückziehen, auf denen es zu keinen Unruhen gekommen ist: Die Exotischen Welten kämen da in Frage, ferner Coby und Dunnins Welt. Oder sogar Dorsai, wenn man uns da aufnimmt. Dort wären wir sicher und in einer Position der Stärke. Und wir hätten Zeit genug, um nach einer Möglichkeit für einen Gegenschlag Ausschau zu halten.“

Ian schüttelte den Kopf.

„William wird auf den von ihm übernommenen Welten mit jeder Stunde und jedem Tag stärker“, sagte er. „Je länger wir warten, desto schlechter werden unsere Aussichten. Und schließlich wäre er so stark, um uns angreifen zu können – und uns zu schlagen.“

„Nun, was sollen wir dann Ihrer Meinung nach unternehmen?“ fragte Lludrow scharf. „Eine Flotte ohne Heimatbasis ist keine durchschlagende Waffe. Und wie viele von unseren Leuten werden mit uns Kopf und Kragen riskieren? Es sind Berufssoldaten, Söldner – keine Patrioten, die auf heimatlichem Boden kämpfen!“

„Entweder wir setzen die Infanterieeinheiten jetzt ein oder nie!“ sagte Ian und schüttelte den Kopf. „Wir haben vierzigtausend kampfbereite Männer an Bord dieser Schiffe. Ich habe sie ausgebildet, und ich kenne sie. Setzen Sie sie an irgendeinem gottverlassenen Ort ab, und in zwei Monaten ist alle Disziplin zum Teufel.“

„Ich würde trotzdem dafür plädieren …“

„Schon gut, schon gut!“ Donal klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch, um sie zur Ordnung zu rufen. Lludrow und Ian nahmen daraufhin wieder in ihren Gleitsesseln Platz. Die Aufmerksamkeit aller Männer am Tisch richtete sich auf Donal.

„Ich habe diese Besprechung und die gerade gehörten Diskussionsbeiträge angeregt“, sagte er, „damit wir sicher sein können, keine Möglichkeit übersehen zu haben. Tatsache ist, daß Sie beide mit Ihren Einwänden recht haben – aber beide Pläne haben gleichzeitig auch etwas für sich. Sie stellen jedoch ein Risiko dar, sowohl der eine als auch der andere – ein großes, verzweifeltes Risiko.“

Er hielt kurz inne und sah sich um.

„Ich möchte Ihnen an dieser Stelle etwas ins Gedächtnis zurückrufen: Wenn Sie einem Gegner im Nahkampf gegenüberstehen, dann greifen Sie ihn zuletzt dort an, wo er es am ehesten erwartet. Das Wesentliche an einem erfolgreichen Kampf besteht darin, den Feind ganz überraschend an einer ungeschützten Stelle zu erwischen – dort, wo er nicht mit einem Hieb rechnet.“

Donal erhob sich am Ende des Tisches.

„William hat während der letzten Jahre vor allem die Ausbildung von Bodentruppen, von landgestützten Kampfverbänden, mit Nachdruck verfolgt“, sagte er. „Ich habe das gleiche getan – aber zu einem ganz anderen Zweck.“

Er legte den Finger auf eine Taste des Tischterminals vor ihm und wandte sich halb zu der großen Wand hinter ihm um.

„Zweifellos kennen Sie alle die militärische Binsenwahrheit, die lautet: Einen zivilisierten Planeten kann man nicht erobern. Dies ist zufällig eine der überlieferten Maximen, die ich persönlich schon immer sehr bezweifelt habe. Denn für jedermann mit gesundem Menschenverstand sollte es klar ersichtlich sein, daß man rein theoretisch alles erobern kann – die notwendigen Mittel dazu vorausgesetzt. Damit rückt die Eroberung einer zivilisierten Welt völlig in den Bereich des Möglichen. Das einzige Problem dabei besteht nur darin, die für ein solches Unternehmen notwendigen Voraussetzungen zu schaffen.“

Sie hörten ihm alle aufmerksam zu – einige ein wenig verwirrt, andere skeptisch. Einige mochten sogar annehmen, sein ganzer Vortrag könne sich plötzlich als ein Scherz herausstellen, der die Anspannung auflockern sollte. Nur Ian war ganz gelassen und gab durch nichts zu erkennen, was er dachte.

„Während der letzten paar Monate haben die uns unterstehenden Truppen diese notwendigen Voraussetzungen herausgebildet – einige davon sind Bestandteile herkömmlicher militärstrategischer und -taktischer Erwägungen, andere sind ganz neu entwickelt worden. Ihre Männer kennen die Techniken und Verfahrensweisen, auch wenn man ihnen nie gesagt hat, in welcher Hinsicht sie angewendet werden sollen. Ian hier hat durch rigorose Ausbildung hochspezialisierte kleine Kampfeinheiten geformt, Gruppen, die unter gewöhnlichen Gefechtsbedingungen fünfzig Mann umfassen, die wir aber im Zuge dieser Modernisierung auf dreißig Mann beschränkt haben. Diese Gruppen sind dazu ausgebildet, völlig unabhängig voneinander zu operieren und über eine beträchtliche Zeitspanne ohne jede Unterstützung auszukommen. Den gleichen Vorbereitungen sind auch die höheren Dienstgrade unterzogen worden – und die letzten Flottenmanöver, die von uns durchgeführt wurden, dienten ebenfalls diesem besonderen Zweck.“

Er hielt kurz inne.

„Dies alles läuft auf einen Punkt hinaus, meine Herren“, fuhr er fort. „Wir sind darauf vorbereitet, die alte Binsenwahrheit zu widerlegen – und eine ganze zivilisierte Welt mit allem Drum und Dran zu erobern. Wir werden dieses Unternehmen mit den Soldaten und Schiffen durchführen, die wir hier zur Verfügung haben. Unsere Truppen sind sorgfältig ausgebildet und für diese besondere Aufgabe ausgewählt worden, ebenso wie die Besatzungen der Schiffe – und auch der Zielplanet, der in jeder Hinsicht genau ausgekundschaftet wurde.“ Er lächelte ihnen zu. Die Männer waren alle wie erstarrt.

Donal betätigte die Taste, die sein Finger die ganze Zeit über berührt hatte. Die Wand hinter ihm verschwand und wurde von dem dreidimensionalen Bild eines großen, grünen Planeten ersetzt. „Dieser Zielplanet ist das Herz des Macht- und Einflußbereiches unseres Feindes: seine Heimatbasis – Ceta!“

Das war zuviel – selbst für die Senior-Offiziere. Am Tisch erhob sich plötzlich ein erregtes Stimmengewirr. Donal achtete nicht darauf. Er hatte eine Schublade am Tischende geöffnet, holte ein dickes Bündel von Unterlagen hervor und warf es mitten auf den Tisch.

„Wir werden Ceta erobern, meine Herren“, sagte er. „Innerhalb von vierundzwanzig Stunden haben unsere Leute die Kontrolle über alle lokalen Truppenverbände, alle Polizeistationen, alle Garnisonen und Milizen und Exekutivorgane auf Bezirks- und Kreisebene.“

Er deutete auf das Aktenbündel.

„Unsere Spezialeinheiten werden alle diese Institutionen einzeln, unabhängig voneinander und mit einem Schlag übernehmen. Wenn die Bevölkerung am nächsten Morgen erwacht, dann wird sie feststellen, daß nicht mehr Cetaner, sondern wir ihre Truppen, Polizei, Milizen und Behörden kontrollieren. Die Einzelheiten wie etwa die Angaben über Ziele und Gruppenzusammensetzungen sind in den Papieren dort aufgeführt. Machen wir uns gleich an die Arbeit?“

 

Sie begannen mit der Einsatzplanung. Ceta war ein großer Planet mit niedriger Schwerkraft und wies weite, unberührte Gebiete auf. Der bewohnte Teil konnte in achtunddreißig größere Städte und dazwischen liegende Landwirtschaftsflächen und Wohngegenden aufgegliedert werden. Es gab soundso viele Militärbasen, soundso viele in Garnisonen stationierte Truppen, soundso viele Polizeistationen, soundso viele Munitionsdepots – die Details waren wie die Teile eines Präzisionsinstruments, das man auseinandernahm und dann wieder zusammensetzte, wobei jedem einzelnen Bestandteil ein entsprechendes Element aus der von Donal kommandierten Streitmacht zugeordnet wurde und sich nahtlos mit den anderen zusammenfügte. Es war ein Meisterwerk der Invasionsvorbereitung.

„Und jetzt“, sagte Donal, als sie fertig waren, „instruieren Sie bitte Ihre Truppen.“

Er sah zu, wie sie den Konferenzraum verließen – alle bis auf Ian, den er mit einem Wink zurückgehalten hatte. Und Lee, der gerade auf sein Rufzeichen hin hereinkam. Als die anderen gegangen waren, wandte er sich den beiden Männern zu, die nun noch bei ihm waren.

„Lee“, sagte er, „in sechs Stunden weiß jeder Soldat dieser Flotte, was wir beabsichtigen. Ich möchte, daß Sie mir einen Mann suchen – keinen der Offiziere –, der nicht an einen Erfolg dieses Unternehmens glaubt. Ian …“ Er blickte seinen Onkel an. „Wenn Lee einen solchen Mann gefunden hat und sich bei dir meldet, dann sorge bitte dafür, daß der Betreffende sofort zu mir gebracht wird. Alles klar?“

Die beiden anderen nickten. Und gingen hinaus, um jeder auf seine Weise die ihm obliegenden Aufgaben wahrzunehmen. Und auf diese Weise kam der mürrische Gruppenführer einer bestimmten Landeeinheit zu einer erstaunlichen Begegnung, an die sich eine überraschend herzliche Plauderei mit seinem Oberbefehlshaber anschloß. Eine halbe Stunde später traten sie Arm in Arm aus Donals Kabine und suchten den Kontrollraum des Flaggschiffes auf, wo der Dorsai um eine Bild-und-Ton-Verbindung zu den anderen Schiffen bat und sie auch bekam.

„Sie alle sind inzwischen von dem bevorstehenden Unternehmen unterrichtet worden“, sagte Donal, als die Verbindung hergestellt war und er von Tausenden von Bildschirmen seinen Soldaten zulächelte. „Diese Aktion ist einige Jahre lang mit äußerster Geheimhaltung geplant worden, und ein Großteil der Vorbereitungsarbeiten gründet sich auf die Informationen des besten Geheimdienstes aller bewohnten Welten, auf den wir glücklicherweise zurückgreifen konnten. Dennoch ist jemand von Ihnen mit der ganz verständlichen Befürchtung zu mir gekommen, dieser Happen könnte ein bißchen zu groß für uns sein. Da es sich hierbei um eine völlig neue Art militärischer Operation handelt und es meine feste Überzeugung ist, daß die Rechte des einzelnen Berufssoldaten unantastbar sind, unternehme ich deshalb jetzt den ungewöhnlichen Schritt, den beabsichtigten Angriff auf Ceta zur Abstimmung zu bringen. Sie stimmen innerhalb der einzelnen Schiffe ab, und das Ergebnis – das Dafür oder Dagegen – wird von dem jeweiligen Kapitän hier zum Flaggschiff weitergeleitet. Meine Herren …“ Donal streckte den Arm aus und dirigierte den Mann, den Lee gefunden hatte, an seine Seite und damit in den Erfassungsbereich der Bildschirmübertragung. „Ich möchte Ihnen Gruppenführer Theiss vorstellen, der den Mut hatte, wie ein freier Mann aufzustehen und Fragen zu stellen.“

Der Gruppenführer trat überrascht vor. Es machte ihn unsicher, plötzlich im Scheinwerferlicht zu stehen; er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und grinste ein wenig einfältig.

„Ich überlasse die Entscheidung Ihnen allen“, fügte Donal hinzu und gab ein Zeichen, damit die Aufnahmekameras ausgeschaltet wurden.

 

Drei Stunden später befand sich Gruppenführer Theiss wieder an Bord seines eigenen Schiffes und erstaunte seine Kameraden mit einem Bericht darüber, was er erlebt hatte. Dann trafen die Abstimmungsergebnisse ein.

„Fast einstimmig für den Angriff.“ berichtete Lludrow. „Nur drei Schiffe sind dagegen – aber sie gehören nicht zur ersten Welle, und es sind auch keine Truppentransporter.“

„Ich möchte, daß diese drei Schiffe nicht zum Angriff hinzugezogen werden“, sagte Donal. „Und notieren Sie die Kenn-Nummern und die Namen der Kapitäne. Erinnern Sie mich daran, wenn dies alles vorbei ist. Also gut.“ Er erhob sich aus seinem Sessel im Salon des Flaggschiffes. „Erteilen Sie die Befehle, Kommandeur. Es geht los.“

Die Flotte brach auf. Ceta hatte die Möglichkeit eines Feindangriffs nie ernsthaft in Erwägung gezogen. Es war der einzige bewohnbare Planet im System von Tau Ceti, einer Sonne vom KO-Typ; weite Teile seiner Oberfläche waren noch unerforscht, der Großteil der natürlichen Ressourcen ungenutzt. Ceta nahm eine fest verankerte Position ein in dem komplexen Netz aus Forderungen und Verbindlichkeiten, das alle anderen planetaren Regierungen bis zu einem gewissen Grad abhängig machte vom Geschäftsgebaren der Handelsfürsten. Und deshalb befanden sich nur wenige Schiffe in einem permanenten Verteidigungsorbit.

Die Positionen und Orbitalgeschwindigkeiten dieser Schiffe waren von Donals Nachrichtendienst ganz genau ermittelt worden. Als die Flotte der Angreifer auftauchte, wurden die wenigen Verteidiger gestellt und sofort außer Gefecht gesetzt. Ihnen blieb kaum die Zeit für eine Warnung. Und die wenigen Alarmsignale, die noch gesendet werden konnten, stießen auf Ceta selbst auf Skepsis und Unglauben.

Aber zu dieser Zeit fielen die Landetruppen bereits der Oberfläche des Planeten entgegen. Eingehüllt vom dunklen Vorhang der Nacht, die rasch um die große, aber schnell rotierende Welt herumglitt, sanken sie den Städten, Militärbasen und Polizeistationen entgegen.

In den meisten Fällen trafen sie ihre Ziele ganz genau, denn die Manöver der Schiffe, die sie weit oben am Himmel abgesetzt hatten, wurden durch keine Störangriffe des Feindes beeinträchtigt. Und die Gefechte auf dem Boden spielten sich ziemlich genau so ab, wie man es erwarten konnte, wenn voll ausgerüstete, bestens ausgebildete und kampferprobte Truppen auf lokale Polizeieinheiten, kaum bewaffnete Milizen und in Garnisonen faulenzende Soldaten stießen. Hier und da kam es zu erbitterten Kämpfen, wenn eine Angriffsgruppe plötzlich auf eine Söldnereinheit stieß, die sich ebenfalls aus kriegserfahrenen Veteranen zusammensetzte. Aber in diesen Fällen wurde sofort Verstärkung herangebracht, um den Widerstand zu brechen.

Donal selbst landete mit der vierten Welle. Und als am nächsten Morgen die Sonne groß und gelb über den Horizont kletterte, war Ceta fest in ihrer Hand. Zwei Stunden später übermittelte eine Ordonnanz Donal die Nachricht, daß man William selbst ausfindig gemacht hatte – in seinem Domizil außerhalb von Whitetown, etwa fünfzehnhundert Kilometer entfernt.

„Ich fliege hin“, sagte Donal. Er sah sich rasch um. Seine Offiziere waren beschäftigt, und Ian befand sich mit einer Truppenabteilung irgendwo im Einsatz. Er wandte sich an Lee. „Kommen Sie mit, Lee“, sagte er.

Sie nahmen eine Vier-Mann-Plattform und machten sich auf den Weg. Die Ordonnanz wies sie ein. Als sie in dem Garten der Wohnanlage landeten, ließ Donal die Ordonnanz bei der Plattform zurück, bedeutete Lee, ihn zu begleiten, und betrat das Haus.

Er schritt durch stille Räume, in denen sich nur Möbel befanden. Alle Bewohner des Hauses schienen verschwunden zu sein. Nach einer Weile begann er anzunehmen, daß der Bericht möglicherweise auf einem Irrtum beruhte und William ebenfalls das Weite gesucht hatte. Doch dann trat er durch einen gewölbten Eingang in einen kleinen Vorraum und stand plötzlich Anea gegenüber.

Sie sah ihn mit blassem, aber gefaßtem Gesicht an.

„Wo ist er?“ fragte Donal.

Sie drehte sich um und deutete auf eine Tür in der gegenüberliegenden Wand des Zimmers.

„Sie ist verriegelt“, sagte sie. „Er war dort drinnen, als Ihre Männer landeten. Und er ist bisher nicht wieder herausgekommen. Die anderen wollten nicht bei ihm bleiben. Doch ich … ich konnte nicht gehen.“

„Ja“, sagte Donal düster. Nachdenklich betrachtete er die Tür in der Wand gegenüber. „Es wird nicht leicht für ihn gewesen sein.“

„Haben Sie etwas für ihn übrig?“ Bei diesen Worten sah er sie plötzlich an. Er suchte nach einer Andeutung von Spott in ihrem Gesicht. Doch er konnte nichts entdecken. Ihre Frage war ganz ehrlich gemeint.

„In gewisser Weise habe ich für jeden Menschen etwas übrig“, sagte er. Er durchquerte den Raum und trat an die Tür heran. Einem plötzlichen Impuls folgend, legte er die Hand auf das Schloß, preßte den Daumen auf den Kontaktgeber – und die Tür schwang auf.

Eine jähe Kühle stieg in ihm empor.

„Bleiben Sie bei ihr!“ rief er Lee über die Schulter zu. Er stieß die Tür ganz auf und stand dann vor einer weiteren, größeren. Sie öffnete sich ebenfalls auf einen Fingerdruck hin, und er trat ein.

William saß hinter einem Schreibtisch, auf dem sich ein ganzer Berg von Papieren stapelte und der am Ende des langen Raumes stand. Er erhob sich, als Donal hereinkam.

„Somit wären Sie also endlich hier“, sagte er ruhig. „Gut, gut.“

Donal kam näher und musterte Gesicht und Augen des Mannes. Er entdeckte nichts, das eine solche Bemerkung begründete. Doch Donal hatte plötzlich den Verdacht, daß William noch nicht alle Trümpfe ausgespielt hatte.

„Es war ein sehr gutes Landeunternehmen, wirklich sehr gut“, sagte William müde. „Klug eingefädelt. Wie Sie sehen, gestehe ich diese Tatsache ein. Ich habe Sie von dem Tag an, als wir uns zum erstenmal begegneten, unterschätzt. Das gebe ich offen zu. Meine Niederlage ist total – oder?“

Donal trat vor den Schreibtisch. Er blickte in Williams ruhiges und erschöpftes Gesicht.

„Ceta ist ganz in meiner Hand“, sagte Donal. „Ihre Expeditionskorps auf den anderen Welten sind abgeschnitten – und ihre Kontrakte sind nicht mehr das Papier wert, auf dem sie geschrieben stehen. Sie können keine Befehle mehr geben, und damit ist die Sache erledigt.“

„Ja … ja, das habe ich mir schon gedacht“, erwiderte William mit einem leisen Seufzer. „Wissen Sie, Sie sind mein Verhängnis – mein Schicksal. Das hätte ich früher erkennen sollen. Eine Macht von dem Ausmaß, wie ich sie über die Menschen hatte, muß ein Gegengewicht haben. Ich dachte, der Ausgleich bestünde in der zahlenmäßigen Überlegenheit auf der anderen Seite, doch das war nicht der Fall.“ Er sah Donal mit einem so eigenartigen, prüfenden Ausdruck an, daß Donal unwillkürlich die Augen zusammenkniff.

„Es geht Ihnen nicht gut“, sagte der Dorsai.

„Nein, es geht mir nicht gut.“ William rieb sich müde die Augen. „In letzter Zeit habe ich zu hart gearbeitet – und es war auch noch vergebens. Montors Kalkulationen waren narrensicher. Aber je perfekter mein Plan, desto unvermeidlicher ging er jedesmal schief.“ Er ließ die Hand sinken und sah wieder zu Donal auf. „Wissen Sie, ich hasse Sie“, sagte er ganz unbewegt. „Niemand in der ganzen Geschichte der Menschheit hat jemals jemanden so gehaßt, wie ich Sie hasse.“

„Kommen Sie“, sagte Donal, ging um den Schreibtisch herum und trat auf ihn zu. „Ich bringe Sie zu jemandem, der Ihnen helfen kann …“

„Nein, warten Sie …“ William hob die Hand und wich vor ihm zurück. Donal blieb stehen. „Zuerst muß ich Ihnen noch etwas zeigen. Ich sah das Ende in dem Augenblick voraus, als ich die ersten Berichte über die Landung Ihrer Truppen bekam. Ich habe jetzt fast zehn Stunden gewartet.“ Er schauderte plötzlich. „Eine lange Zeit. Ich mußte irgend etwas haben, um mich zu beschäftigen.“ Er drehte sich um und schritt rasch auf eine Doppeltür zu, die in der gegenüberliegenden Wand eingelassen war. „Sehen Sie einmal hier hinein“, forderte er Donal auf und betätigte eine Taste.

Die beiden Türhälften glitten zur Seite.

Donal erstarrte. In der kleinen Kammer, die nun sichtbar geworden war, hing eine blutige Masse, die kaum noch etwas Menschliches an sich hatte. Es war sein Bruder Mor – oder das, was von ihm übriggeblieben war.