Söldner III

 

Als Donal durch den Korridor zum Bug des Schiffes zurückkehrte, grübelte er ein wenig wehmütig über die Bürde nach, die ihm seine sonderbare Andersartigkeit im Vergleich zu anderen Menschen auferlegte. Er hatte geglaubt, sie mit seiner Kadettenuniform zurücklassen zu können. Statt dessen schien sie ihn weiterhin auf Schritt und Tritt zu verfolgen und schwer auf seinen Schultern zu lasten. So war es immer gewesen. Was ihm selbst so klar und deutlich und offensichtlich erschienen war, hatte auf andere immer verschleiert, kompliziert und verwickelt gewirkt. Immer hatte er den Eindruck gehabt, ein Fremder in einer fremden Stadt zu sein und hier Menschen zu begegnen, die sich von ihm unterschieden und ihm aufgrund mangelnden Verständnisses mehr und mehr mißtrauten. Ihre Sprache scheiterte an der Schwelle seiner Motive und konnte nicht bis in das einsame Palais seines Geistes vordringen. Sie benutzten Worte wie „Feind“ und „Freund“, „stark“ und „schwach“, „sie“ und „wir“. Sie entwickelten tausend willkürliche Einteilungen und Unterscheidungen, die sich seinem Verständnis entzogen – da er der Überzeugung war, daß alle Menschen zusammen ein einziges Volk darstellten und die Unterschiede, die es tatsächlich in sich aufwies, unbedeutend waren. Und wenn man sich mit diesem Volk befaßte, dann ging das über einzelne Personen vonstatten, und man durfte nicht vergessen, Geduld zu üben. Und wenn man damit Erfolg hatte, dann lösten sich auch alle Probleme mit der größeren Sozialeinheit in Wohlgefallen auf.

Als er erneut durch den Eingang zum Salon trat, entdeckte er hier – wie er mehr oder weniger erwartet hatte – den jungen Newtonier ArDell Montor. Er lag in einem Sessel am einen Ende der Bar, die sich sofort aus dem Boden erhoben hatte, nachdem die Eßtische in den Wänden verschwunden waren. Außer ihm hielten sich hier nur noch wenige Passagiere auf. Sie saßen gemütlich bei einem Drink zusammen – doch keiner von ihnen sprach mit dem allein sitzenden Montor. Donal schritt direkt auf ihn zu. Ohne sich zu rühren, hob Montor den Blick seiner dunklen Augen und sah Donal entgegen.

„Was dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?“ fragte Donal.

„Bin erfreut“, erwiderte ArDell. Er lallte zwar nicht, aber er zog die Worte in die Länge. „Dachte mir bereits, es wäre ganz nett, mit Ihnen zu plaudern.“ Seine Finger krochen auf die Tasten des Bestellpultes neben ihm zu. „Einen Drink?“

„Dorsai-Whisky“, sagte Donal. Montor betätigte eine der Tasten. Einen Augenblick später schob sich ein gefüllter, transparenter Kelch aus einem verborgenen Fach in der Bar. Donal setzte ihn an die Lippen und nippte vorsichtig daran. Am Abend jenes Tages, an dem er volljährig geworden war, hatte er erfahren müssen, auf welche Weise Alkohol ihn beeinflußte. Und daraufhin hatte er für sich selbst den Beschluß gefaßt, sich nie wieder zu betrinken. Die verbürgte Tatsache, daß sich Donal tatsächlich sein Leben lang daran hielt, war typisch für ihn. Als er den Blick von seinem Glas hob, stellte er fest, daß ihn der Newtonier durchdringend anstarrte, und seine Augen waren seltsam klar und doch verloren.

„Sie sind jünger als ich“, sagte ArDell. „Auch wenn ich nicht so alt aussehe. Wie alt schätzen Sie mich?“

Donal musterte ihn neugierig. Trotz Überdruß und Langeweile, die ihre Spuren darin hinterlassen hatten, wies Montors Gesicht die zum Teil noch unreifen Züge eines gerade erst erwachsen werdenden Jugendlichen auf. Der dichte, ungekämmte Haarschopf und die flegelhafte Art und Weise, in der er in seinem Sessel lag, verdichteten diesen Eindruck noch.

„Fünfundzwanzig Standardjahre“, sagte Donal.

„Dreiunddreißig“, erwiderte ArDell. „Bis zu meinem neunundzwanzigsten Lebensjahr war ich Schüler, ein Asket. Glauben Sie, ich trinke zuviel?“

„Daran dürfte wohl kaum ein Zweifel bestehen“, antwortete Donal.

„Der Meinung bin ich auch“, sagte ArDell, und für einen Augenblick erklang seine schnaubende Version eines Lachens. „Da stimme ich Ihnen voll zu. Daran besteht kein Zweifel – eins der wenigen Dinge in diesem gottverdammten Universum, an denen überhaupt kein Zweifel besteht. Aber das ist es nicht, worüber ich mich gern mit Ihnen unterhalten hätte.“

„Was denn?“ Donal nippte erneut an seinem Whisky.

„Mut“, sagte ArDell und sah ihn mit einem leeren, durchdringenden Blick an. „Haben Sie Mut?“

„Das gehört zur Standardausrüstung eines Soldaten“, sagte Donal. „Warum fragen Sie?“

„Und keine Zweifel? Keine Unsicherheiten?“ ArDell schwenkte die goldfarbene Flüssigkeit in seinem großen Becher und nahm einen Schluck davon. „Keine verborgenen Ängste, die Ihre Knie weich werden und Ihr Herz hämmern lassen, wenn der entscheidende Augenblick kommt? Die den Wunsch in Ihnen wecken, zurückzuweichen und wegzulaufen?“

„Ich werde ganz gewiß nicht zurückweichen und weglaufen“, sagte Donal. „Schließlich bin ich ein Dorsai. Und was das angeht, was ich in solchen Augenblicken fühle … ich kann Ihnen nur sagen, daß ich noch nie so empfunden habe, wie Sie es eben ausdrücken. Und selbst wenn das der Fall wäre …“

Ihr Gespräch wurde von einem kurzen, melodischen Geläut unterbrochen, das über ihnen erklang.

„Phasenverschiebung in einer Standardstunde und zwanzig Minuten“, gab eine Stimme bekannt. „Phasenverschiebung in einer Standardstunde und zwanzig Minuten. Den Passagieren wird empfohlen, nun die Tabletten einzunehmen und zu Bett zu gehen, damit die Verschiebung zu keiner Beeinträchtigung des Wohlbefindens führt.“

„Haben Sie bereits eine Pille geschluckt?“ fragte ArDell.

„Noch nicht“, erwiderte Donal.

„Aber Sie holen das noch nach?“

„Natürlich.“ Donal musterte ihn neugierig. „Warum nicht?“

„Erscheint Ihnen die Einnahme von Medikamenten zur Vermeidung der unangenehmen Nebenwirkungen einer Phasenverschiebung nicht als eine Art Feigheit?“ fragte ArDell. „Ist es nicht so?“

„Das ist eine idiotische Ansicht“, gab Donal zurück. „Genausogut könnten Sie sagen, es sei feige, Kleidung zu tragen, damit man die Kälte nicht ertragen muß und es warm und bequem hat. Oder zu essen, um keinen Hunger zu leiden. Das eine ist eine Sache der Bequemlichkeit, das andere …“ – er dachte einen Augenblick nach – „… eine Pflicht.“

„Mut ist also das Akzeptieren einer Pflicht?“

„… die im Gegensatz zu persönlichen Wünschen und Neigungen steht“, sagte Donal. „Ja.“

„Ja“, sagte ArDell nachdenklich. „Ja.“ Er stellte sein leeres Glas auf die Theke und bestellte sich einen neuen Drink. „Ich wußte, daß Sie Mut haben“, fügte er in Gedanken versunken hinzu, während er beobachtete, wie sein Glas in der Bar verschwand, wieder gefüllt wurde und sich dann erneut zur Thekenoberfläche hob.

„Ich bin Dorsai“, sagte Donal.

„Ach, ersparen Sie mir die Verherrlichung genetischer Spezialisation und sorgfältiger Erziehung!“ sagte ArDell scharf und griff nach dem wieder gefüllten Glas. Als er sich ihm erneut zuwandte, erkannte Donal, daß das Gesicht des Newtoniers verzerrt war. „Zum Mut gehört mehr als das. Wenn er nur auf Ihre Gene zurückzuführen wäre …“ Er brach plötzlich ab und beugte sich zu Donal vor. „Hören Sie.“ Er flüsterte nun beinahe. „Ich bin ein Feigling.“

„Wirklich?“ fragte Donal gelassen. „Woher wollen Sie das wissen?“

„Ich bin ganz verrückt vor Angst“, flüsterte ArDell. „Ganz verrückt vor Angst, wenn ich an das Universum denke. Was wissen Sie über die Mathematik der Sozialdynamik?“

„Es handelt sich um ein mathematisches System der Sozialbestimmung, nicht wahr?“ meinte Donal. „Meine Ausbildung war an anderen Dingen orientiert.“

„Nein, nein!“ gab ArDell fast gereizt zurück. „Ich spreche von der Statistik der Sozialanalyse und ihrer Extrapolation hinsichtlich des Bevölkerungswachstums und der gesellschaftlichen Entwicklung.“ Seine Stimme wurde noch leiser. „Damit kommt man einer Parallele zur statistischen Berechnung von Zufalls-Wahrscheinlichkeiten recht nahe.“

„Tut mir leid“, erwiderte Donal. „Das sagt mir gar nichts.“

Plötzlich umfaßte ArDell Donals Arm, und sein Griff war überraschend kräftig.

„Verstehen Sie nicht?“ murmelte er. „Der Zufall umfaßt jede nur denkbare Möglichkeit – einschließlich des Endes aller Dinge. Es muß dazu kommen, denn das Wahrscheinlichkeitspotential ist vorhanden. Und da unsere Sozialstatistik immer größere Bereiche einschließt, müssen wir diese Möglichkeit auch für uns selbst in Betracht ziehen. Die letztendliche Konsequenz liegt auf der Hand. Wir werden uns selbst auslöschen. Es gibt keine andere Alternative. Und das alles, weil der Anzug des Universums ein paar Nummern zu groß für uns ist. Der Kosmos bietet uns so viel Platz, daß wir darauf mit einem zu großen und zu schnellen Wachstum reagieren. Irgendwann werden wir die kritische Masse erreichen … und dann …“ – er schnippte mit den Fingern – „… peng!“

„Nun, das Problem liegt noch in der Zukunft“, sagte Donal. Doch die melancholischen Worte des Newtoniers berührten ihn irgendwie, und so fügte er etwas höflicher hinzu: „Warum quält Sie dieser Gedanke so sehr?“

„Aber verstehen Sie denn nicht?“ gab ArDell zurück. „Wenn alles vergeht – einfach so –, als hätte es nie existiert … was war dann der Sinn des Ganzen? Was zeugt dann noch davon, daß wir einst lebten? Ich meine nicht die Dinge, denen wir materielle Gestalt gaben – die sind ohnehin sehr kurzlebig und vergänglich. Auch nicht unser Wissen. Wir haben die naturgesetzlichen Fakten nur erkannt und formuliert, doch sie existieren unabhängig von uns. Es muß sich um solche Dinge handeln, die es vor uns im Universum nicht gab, die erst wir ins Weltengefüge einbrachten. Dinge wie Liebe, Güte – und Mut.“

„Wenn Sie so empfinden und die Welt auf diese Weise betrachten“, sagte Donal und löste seinen Arm behutsam aus ArDells Griff, „warum trinken Sie dann soviel?“

„Weil ich ein Feigling bin“, erwiderte ArDell. „Die ganze Zeit über spüre ich es dort draußen, das Universum mit seiner gewaltigen Endlosigkeit. Durch das Trinken kann ich seine Präsenz von mir fernhalten – und das gotterbärmliche Wissen verdrängen, was es uns antun wird. Darum trinke ich. Die Flasche gibt mir den nötigen Mut für so unbedeutende Dinge wie etwa, eine Phasenverschiebung ohne Sedativ auszuhalten.“

„Nun“, meinte Donal und war beinahe versucht zu lächeln. „Worin liegt da der Sinn?“

„Darin, daß man sich in gewisser Weise der Grenzenlosigkeit stellt.“ ArDell sah ihn bittend aus seinen dunklen Augen an. „Es ist so, als trete man ihr ganz allein entgegen und sagte: Komm schon, reiß mich in die kleinsten Fetzen, die du fertigbringst, blas mich auseinander und verteile mich in deiner Grenzenlosigkeit – es macht mir nichts aus.“

Donal schüttelte den Kopf.

„Sie verstehen nicht“, sagte ArDell und ließ sich in seinen Sessel zurücksinken. „Wenn ich arbeiten könnte, brauchte ich den Alkohol nicht. Aber heutzutage bekomme ich keine Anstellung mehr. Bei Ihnen ist das ganz anders. Sie haben einen Beruf, den Sie ausüben. Und Sie haben Mut – richtigen Mut. Ich dachte, Sie könnten vielleicht … nun, macht nichts. Mut wäre ohnehin kaum übertragbar.“

„Sind Sie nach Harmonie unterwegs?“ fragte Donal.

„An welche Gestade dieses unendlichen Meeres es meinen Fürst auch verschlagen mag, dorthin will auch ich gehen“, sagte ArDell pathetisch, und wieder ertönte sein schnaubendes Lachen. „Sie sollten mal meinen Kontrakt lesen.“ Er wandte sich wieder zur Bar um. „Noch einen Whisky?“

„Nein“, sagte Donal und erhob sich. „Wenn Sie mich entschuldigen würden …“

„Wir sehen uns noch“, murmelte ArDell und tastete die Bestellung eines neuen Drinks ein. „Wir sehen uns noch.“

„Ja“, sagte Donal. „Bis dann.“

„Bis dann.“ ArDell nahm das erneut gefüllte Glas von der Theke. Über ihnen ertönte wieder das Läuten, und die Stimme erinnerte sie daran, daß bis zur Phasenverschiebung nur noch gut siebzig Minuten blieben. Donal verließ die Bar.

In seiner Kabine angekommen, las Donal Aneas Kontrakt noch einmal aufmerksam durch und studierte jede einzelne Vertragsbestimmung. Eine halbe Stunde später betätigte er die Meldetaste an der Tür der Salonkabine von Fürst William, dem Vorsitzenden der Handelskammer von Ceta. Er wartete.

„Ja?“ ertönte von oben Williams Stimme.

„Donal Graeme, Sir“, sagte Donal. „Wenn Sie nicht gerade zu beschäftigt sind …“

„Ach ja, natürlich – Donal. Kommen Sie herein!“ Die Tür vor ihm schwang auf, und Donal trat ein.

William saß in einem schlichten Sessel vor einem kleinen Schreibtisch, über einen Stapel Papiere und einen winzigen, tragbaren Sekretär gebeugt. Das Licht einer einzelnen Lampe glühte direkt über ihm und der Schreibtischplatte, und es gab seinem grauen Haar einen silbernen Schimmer. Donal zögerte und hörte, wie die Tür hinter ihm klackend ins Schloß fiel.

„Nehmen Sie irgendwo Platz“, sagte William, ohne dabei von seinen Papieren aufzusehen. Seine Finger glitten flink über die Tastatur des Sekretärs. „Ich habe noch einiges zu erledigen.“

Im Halbdunkel des Raums, das außerhalb der einen Lichtoase herrschte, blickte sich Donal suchend um, entdeckte einen Lehnsessel und setzte sich. William fuhr eine Weile damit fort, die Papiere durchzusehen, und tastete Anmerkungen in den Sekretär.

Nach einigen Minuten schob er die verbleibenden Unterlagen beiseite und löste die Arretierung des Pults. Der Schreibtisch mit seiner Decke aus Akten glitt lautlos zur gegenüberliegenden Wand. Der einzelne Lichtschimmer an der Decke verblaßte; andere glühten auf und tauchten den ganzen Raum in gleichmäßige Beleuchtung.

Donal zwinkerte in der plötzlichen Helligkeit. William lächelte.

„Also“, sagte er. „Warum drängen Sie sich mir so auf?“

Donal zwinkerte, starrte ihn an und blinzelte erneut.

„Sir?“ sagte er.

„Ich denke, wir können Zeitverschwendung vermeiden, wenn wir die Maskerade sein lassen“, sagte William, und sein Tonfall war noch immer freundlich. „Sie haben sich an unseren Tisch gedrängt, weil Sie dort jemanden kennenlernen wollten. Der Marschall war es wohl kaum – als Dorsai hätten Sie einen eleganteren Weg finden können, seine Bekanntschaft zu machen. Hugh kam sicherlich nicht in Frage, und ArDell kann man ganz bestimmt ausschließen. Bleibt noch Anea. Sie ist ziemlich hübsch, und ihr beide seid jung genug, um so töricht zu sein … aber unter diesen Umständen? Nein, ich glaube nicht.“ William faltete seine schmalen Hände. „Also bleibe nur ich übrig.“

„Sir, ich …“ Donal begann sich zu erheben, so eckig und ungelenk, als sei er aufs gröbste beleidigt.

„Nein, nein“, sagte William und bedeutete ihm, wieder Platz zu nehmen. „Es wäre doch ziemlich dumm, jetzt zu gehen, nachdem Sie sich diese Mühe gemacht haben, hierherzukommen, nicht wahr?“ Seine Stimme wurde schärfer. „Setzen Sie sich!“

Donal ließ sich zurücksinken.

„Warum wollten Sie mit mir zusammenkommen?“ fragte William.

Donal straffte seine Schultern.

„Also gut“, sagte er. „Wenn ich ganz offen sein soll … ich dachte, ich könnte Ihnen nützlich sein.“

„Und Sie glaubten“, sagte William, „sich damit ebenfalls einen Dienst zu erweisen, indem Sie sich meines Wohlwollens versichern, um sich so meine Position und Autorität zunutze machen zu können. Sprechen Sie nur weiter.“

„Durch Zufall“, meinte Donal, „bin ich in den Besitz eines gewissen Dokuments gelangt, das Ihnen gehört.“

William streckte wortlos die Hand aus. Donal zögerte einen Augenblick, dann holte er Aneas Kontrakt aus der Tasche und reichte ihn an den Fürsten weiter.

William nahm ihn entgegen, entfaltete das Dokument und warf einen kurzen Blick darauf. Dann legte er es achtlos auf den kleinen Tisch neben sich.

„Sie wollte, daß ich den Vertrag für sie beseitige“, erklärte Donal. „Sie wollte mich dafür bezahlen, daß ich ihn für sie vernichte. Offenbar wußte sie nicht, wie schwierig es ist, ein Blatt aus dem Material zu zerstören, das für Kontrakte verwendet wird.“

„Aber Sie nahmen den Auftrag an“, sagte William.

„Ich habe ihr nichts versprochen“, entgegnete Donal peinlich berührt.

„Statt dessen hatten Sie von Anfang an die Absicht, ihn mir sofort zurückzugeben?“

„Ich bin der Ansicht“, sagte Donal, „daß er Ihr Eigentum ist.“

„Oh, selbstverständlich“, erwiderte William. Eine ganze Weile lächelte er Donal schweigend an. „Sie sind sich natürlich darüber im klaren“, sagte er dann, „daß ich Ihnen nicht ein einziges Wort glauben muß. Ich brauchte nur anzunehmen, daß Sie ihn selbst gestohlen und später kalte Füße bekommen haben, ihn auch zu beseitigen – und sich diese Räuberpistole ausdachten, um ihn mir auf eine Weise zurückzugeben, die Sie nicht verdächtig macht. Der Kapitän dieses Schiffes würde Sie ohne zu zögern auf mein Wort hin unter Arrest stellen und Sie vor Gericht bringen, sobald wir Harmonie erreichen.“

Ein leichter, kalter und elektrisierender Schauer rann über Donals Rücken.

„Eine Auserlesene von Kultis würde keinen Meineid schwören“, sagte er. „Sie …“

„Ich sehe keinen Grund, warum man Anea in diese Sache mit hineinziehen sollte“, entgegnete William. „Wir kämen auch sehr gut ohne sie zurecht. Mein Wort gegen das Ihre.“

Donal schwieg. William lächelte erneut.

„Verstehen Sie, was ich Ihnen klarzumachen versuche?“ fragte William. „Sie haben sich nicht nur als käuflich erwiesen, sondern darüber hinaus auch als ein Narr.“

„Sir!“ Das Wort war wie ein rhetorischer Schuß von Donals Lippen.

William winkte gleichgültig ab.

„Heben Sie sich Ihren Dorsai-Zorn für jemanden auf, der sich davon beeindrucken läßt. Ich weiß ebenso gut wie Sie, daß Sie nicht die Absicht haben, mich anzugreifen. Vielleicht wäre das der Fall, wenn Sie eine andere Art von Dorsai wären … aber das sind Sie nicht. Sie sind das, was ich Ihnen bereits sagte, käuflich und ein Dummkopf. Akzeptieren Sie diese Feststellungen als die unbestreitbaren Tatsachen, um die es sich handelt. Dann können wir zum Geschäft kommen.“

Er sah Donal an. Donal gab keinen Ton von sich.

„Nun gut“, fuhr William fort. „Sie kommen zu mir, weil Sie hoffen, ich könnte Sie irgendwie verwenden. Und zufälligerweise kann ich das auch. Anea ist natürlich nur ein törichtes und dummes Mädchen. Aber zu ihrem eigenen Besten – und zu meinem ebenfalls, da ich ihr Arbeitgeber bin – müssen wir dafür Sorge tragen, daß sie nicht in ernsthafte Schwierigkeiten gerät. Nun, sie hat sich Ihnen einmal anvertraut. Vielleicht bleibt es nicht bei diesem einen Mal. Wenn das der Fall ist … dann weisen Sie sie auf keinen Fall ab. Und damit Sie für solche Vertrauensbeweise zur Verfügung stehen …“ – William lächelte erneut, diesmal wieder recht liebenswürdig – „… läßt sich für Sie, denke ich, eine Stellung als Truppenführer unter Kommandeur Hugh Killien finden, sobald wir auf Harmonie gelandet sind. Es gibt keinen Grund, warum eine militärische Karriere nicht einhergehen könnte mit anderen Verwendungsmöglichkeiten, die sich vielleicht für Sie ergeben.“

„Vielen Dank, Sir“, sagte Donal.

„Nichts zu danken …“ Eine läutende Melodie drang aus einem verborgenen Wandlautsprecher. „Aha … noch fünf Minuten bis zur Phasenverschiebung.“ William nahm eine kleine silberne Schachtel von einem neben ihm stehenden Hocker und öffnete sie. „Haben Sie Ihre Tablette schon genommen? Hier, bedienen Sie sich.“

Er streckte Donal die Schachtel entgegen.

„Danke Sir“, sagte Donal höflich. „Ich bin bereits versorgt.“

William griff nach einem weißen Tablett und stellte die Schachtel an ihren Platz zurück. „Dann wäre das wohl alles.“

„Das denke ich auch, Sir“, erwiderte Donal.

 

Donal deutete eine Verneigung an und ging hinaus. Vor der Tür der Salonkabine blieb er nur kurz stehen, um eine seiner eigenen Beruhigungstabletten für die Phasenverschiebung zu nehmen, dann machte er sich auf den Rückweg zu seiner Kabine. Unterwegs machte er einen kleinen Abstecher in die Schiffsbibliothek und besorgte sich ein Informationsband über die Erste Dissidentenkirche auf Harmonie. Und dadurch verlor er so viel Zeit, daß er sich noch in einem der langen Sektionskorridore befand, als es zur Phasenverschiebung kam. Vorsichtigerweise hatte er während all der anderen Phasenverschiebungen seit seiner Abreise von Dorsai immer geschlafen. Und natürlich wußte er schon seit Jahren, was ihn dabei erwartete. Außerdem war er durch das Sedativ vollkommen geschützt, und die Verschiebung selbst war vorüber, noch bevor sie richtig begonnen hatte. Tatsächlich erfolgte sie in Nullzeit, in einer Zeitspanne, die niemand als Zeitspanne wahrnehmen konnte. Doch sie hatte stattgefunden. Und irgendein in seiner Aufmerksamkeit nie nachlassender Teil seines Wesens wußte und erinnerte sich, daß er zerrissen und bis auf die kleinsten Bruchteile seines Selbst zerstückelt, als zerstörte atomare Erinnerung durch die Weite des Universums gezerrt, dann wieder zurückgeschleudert und verdichtet und an einem willkürlichen und Lichtjahre vom Ort seiner Vernichtung entfernten Punkt erneut zusammengesetzt worden war. Und dieses Wissen war es – und nicht die Verschiebung selbst –, das ihn kurz schwanken ließ, bevor er ruhigen und sicheren Schrittes den Rückweg zu seiner Kabine fortsetzte. Doch die Erinnerung, das Gefühl der Auflösung, würde ihn nie mehr verlassen.

Er ging weiter den Korridor hinunter. Doch kurz darauf mußte er feststellen, daß er noch nicht alle Herausforderungen dieses Tages hinter sich hatte. Als er ans Ende einer Sektion gelangte, trat Anea auf ihn zu. Sie kam aus einem Seitengang, bei dem es sich um das genaue Duplikat des Korridors in jener anderen Sektion handelte, in dem er ihr zum erstenmal begegnet war. Ihre grünen Augen sprühten Feuer.

„Sie haben ihn besucht!“ zischte sie und versperrte ihm den Weg.

„Besucht?“ erwiderte er. „Ach, Sie meinen William.“

„Streiten Sie es nicht ab.“

„Warum sollte ich?“ Donal sah sie beinah verblüfft an. „Daraus braucht man doch wohl kein Geheimnis zu machen, oder?“

Sie starrte ihn an.

„Oh, verdammt!“ schrie sie. „Ihnen ist alles völlig gleichgültig, nicht wahr? Was haben Sie mit dem … Dokument gemacht, das ich Ihnen ausgehändigt habe?“

„Ich gab es selbstverständlich seinem Eigentümer zurück“, sagte Donal. „Das war das Vernünftigste, was ich tun konnte.“

Ihr Gesicht war plötzlich so blaß, daß er sie schon festhalten wollte, da er glaubte, sie würde ohnmächtig. Aber zu einer solchen, typisch weiblichen Reaktion ließ sie sich nicht hinreißen. Sie starrte ihn an, und in ihren Augen spiegelte sich ein ungeheurer Schock wider.

„Oh!“ brachte sie mühsam hervor. „Sie … Sie Verräter! Sie … Betrüger!“ Und noch bevor er sich rühren oder etwas darauf erwidern konnte, hatte sie sich auf dem Absatz umgedreht und lief durch den Korridor von ihm fort, in die Richtung, aus der sie gekommen war.

Auf eine irgendwie bittere Weise enttäuscht – denn trotz seiner ziemlich schlechten Meinung über ihren gesunden Menschenverstand hatte er doch erwartet, sie würde seiner Erklärung zuhören – setzte er den einsamen Rückweg zu seiner Kabine fort. Während der restlichen Strecke traf er niemanden mehr. So kurz nach der Phasenverschiebung waren die Korridore noch leer, da die Passagiere vorsichtig genug waren, sich während dieser Zeit in ihren privaten Unterkünften aufzuhalten.

Doch als er an einer bestimmten Kabine vorbeikam, vernahm er würgende Geräusche. Er sah auf und erinnerte sich an die Nummer auf der Tür. Als ihn sein kleiner Abstecher zur Bibliothek geführt hatte, war er hier ebenfalls vorbeigekommen.

Es war die Kabine von ArDell Montor. Und das Würgen mußte von dem Newtonier dort drinnen stammen. Er hatte das Sedativ nicht eingenommen und litt nun an den Nachwirkungen der Phasenverschiebung. ArDell focht seinen einsamen und langen Kampf gegen das Universum.