Weihnachten 1950

Genau vor Weihnachten war so viel Schnee gefallen, daß man bis zu den Waden drin steckenblieb, und es schneite unaufhörlich weiter. Don Camillo hatte die Krippenfiguren hervorgeholt, um sie auszubessern, und so war er um Mitternacht des 22. Dezember noch damit beschäftigt, mit einem Pinselchen die Farben der Gesichter, der Mäntel und die Vergoldungen aufzufrischen, wobei ihm die Katze Gesellschaft leistete.

Es war eine junge Katze, die mit allen kleinen Gegenständen spielte, die ihr zwischen die Pfoten kamen, und als Don Camillo unter den Tisch schaute, entdeckte er plötzlich, daß die Katze mit der Figur des Jesuskindes spielte.

Don Camillo brüllte sie an, und die Katze machte sich aus dem Staub, hielt aber weiter das Christkind in ihrem Maul. Don Camillo rannte ihr nach und warf ihr einen Pantoffel hinterher, damit sie ihre Beute losließ.

Don Camillo hatte die Figur des Christkindes bis zuletzt liegen lassen, um dann länger daran arbeiten zu können. Er zog die Lampe herunter, und nachdem er noch ein wenig mit der Katze geschimpft hatte, fing er mit aller Sorgfalt zu malen an.

Auf einmal glitt das Jesuskind aus seiner Hand und fiel auf den Boden. Als Don Camillo sich bückte, um die Figur aufzuheben, sah er, daß die verwünschte Katze die Figur schon wieder zwischen die Zähne genommen hatte.

Don Camillo schaute genauer hin und bemerkte etwas Sonderbares: Es war eine andere, viel größere Katze mit zwei Augen, die ihn seltsam anblickten. Seine Hauskatze war grau, die hier aber war schwarz. Woher kam bloß die fremde Katze?

«Gib her!» rief Don Camillo, und die Katze machte einen Satz zur Tür, ließ aber die Figur nicht los.

Don Camillo lief hinter ihr her. Die schwarze Katze rannte in den Hausgang, und da die Tür einen Spalt weit offen stand, huschte sie blitzschnell mit gesenktem Schwanz hinaus. Und da stand sie auf dem Kirchplatz, tiefschwarz im leuchtendweißen Schnee.

«Verfluchtes Vieh!» schrie Don Camillo und stand ebenfalls schon vor der Tür.

Mit dem Christkind zwischen den Zähnen rannte die schwarze Katze davon. Sie nahm den Weg über die Felder, und heftig schnaufend folgte ihr Don Camillo. Er hatte große Mühe, denn der Schnee war frisch gefallen und er sank bis zur halben Wadenhöhe ein, während die schwarze Katze wie eine Feder über den Schnee flog. Aber immer wieder hielt sie an, drehte den Kopf nach hinten und wartete, bis Don Camillo nur noch etwa zehn Meter entfernt war. Dann rannte sie erneut los.

Und so geschah es, daß die schwarze Katze bei jedem Halt größer wurde, und entsprechend wurde auch die Holzfigur des Jesuskindes immer größer.

Als das schwarze Biest die Größe eines Büffels erreicht hatte, war auch die Figur so groß wie ein richtiges Kind - ein lebendiges Christkind, das zwischen den Zähnen eines schwarzen Ungeheuers blutete und weinte. Don Camillo stieß einen Schrei des Entsetzens aus - und saß wieder an seinem Tisch, mit der Figur des

Christkindes in der einen Hand und dem Pinsel in der anderen.

Die Katze, die gewohnte graue Hauskatze, schnurrte friedlich unter dem Kamin. Es ging schon auf vier Uhr morgens zu, und die Flocken fielen noch immer.

Don Camillo erhob sich, um noch einen Blick in die Kirche zu werfen.

«Jesus», sagte Don Camillo und kniete vor dem Gekreuzigten am Hochaltar, «ich hatte einen seltsamen Traum.» Er erzählte den Traum von der schwarzen Katze, die sich in ein Ungeheuer verwandelte, und von der kleinen Holzfigur, die ein richtiges Christkind wurde, das zwischen den Zähnen des Untiers blutete und wimmerte.

«Jesus», schloß Don Camillo, «der Traum hat mich verwirrt.»

Christus lächelte.

«Nicht der Traum hat dich verwirrt, Don Camillo. Was dich verwirrt hat, ist der Gedanke, der den Traum verursacht hat. Ein Gedanke, den du mit dir herumträgst und der das Ergebnis einer vernünftigen Überlegung ist. Mit einer Art Lehrfabel hast du dir im Traum den Inhalt deiner Gedanken erklärt.»

«Jesus», rief Don Camillo aus, «ich verstehe diesen Traum als eine Vorahnung, als eine übernatürliche Warnung.»

«Es ist keine Vorahnung, Don Camillo. Und es ist auch keine Warnung, keine Stimme von draußen. Es ist die Stimme eines vernünftigen Gedankenganges, die Stimme deiner Angst.»

«Jesus, ich habe keine Angst.»

«Doch, Don Camillo, du hast Angst, nicht um dich, sondern um mich. Du hast Angst, daß die Menschen Gott ein Leid antun könnten. Sieh: Man kann die Sonne verleugnen, man kann den verfolgen, der die Existenz der Sonne bejaht. Man kann Wege finden, daß niemand mehr die Sonne sieht, indem man allen Geschöpfen die Augen aussticht. Aber das Sonnenlicht kann man dennoch nicht verdunkeln oder auslöschen. Die Menschen können nur sich selbst schaden. Gott können sie nicht schaden. Ich tadle dich nicht wegen deiner Angst, denn sie kommt nur aus der großen Liebe, die du mir entgegenbringst.»

Don Camillo legte sich schlafen und wurde von alten Weiblein geweckt, die in die Frühmesse wollten und die Kirchentür verschlossen fanden.

Don Camillo tauchte sein Gesicht in ein Waschbecken voll kaltem Wasser und rannte im Laufschritt in die Kirche.

«Tut mir leid, ich hab’ mich verspätet», erklärte er den Frauen und Männern, die sich vor der Tür des Pfarrhauses versammelt hatten. «Ich verstehe nicht, wie mir das passieren konnte. Der Glöckner kam gestern abend nicht zurück, weil er in der Stadt vom Schnee blockiert wurde.»

Die graue Katze strich an seinem Bein entlang, und Don Camillo schauderte. Er trat auf die Kirche zu, aber im gleichen Augenblick hörte man ein Krachen.

«Das Kirchendach stürzt zusammen!»

Der Dachfirst stand nicht mehr waagrecht, sein hinterer Teil hatte sich um einen halben Meter gesenkt. Da muß ein Balken nachgegeben haben, sagte jemand. Bigio, der Baumeister war, trat vor, schaute sich die Sache an und schüttelte den Kopf.

«Nichts ist zusammengekracht», sagte er. «Der große Längsbalken am Dachfirst stützt sich vorn auf den höchsten Punkt an der Vorderseite der Kirche und hinten auf den Dachstuhl. Das Gewicht des Schnees hat die Sparren aus ihren beidseitigen Widerlagern gedrückt. Jetzt liegen die Sparren über dem Längsbalken und haben sich so tief gesenkt, wie der Längsbalken nach unten gerutscht ist. Solange die Sparren nicht auseinanderbrechen, besteht keine Gefahr.»

Es war eine komplizierte Erklärung für eine einfache Sache. Doch da krachte es schon wieder, und der Dachfirst stürzte ein.

«Der Längsbalken ist gebrochen», sagte Brusco. «Jetzt verlagert sich alles Gewicht auf die Decke. Wenn heute morgen bei der Messe die Decke nachgibt, stürzt das ganze Dach herunter.»

Don Camillo schaute völlig fassungslos. Er dachte an den Altar, an den Tabernakel, an den gekreuzigten Christus.

«Macht keine Dummheiten», riefen sie ihm zu, aber schon hatte er die Kirchentür geöffnet und war eingetreten. Da hörte er eine befehlende Stimme:

«Halt, Don Camillo!»

Don Camillo hielt einen Augenblick auf der Türschwelle. Gerade in dem Augenblick brach das ganze Dach zusammen, und das Kirchenschiff füllte sich mit Backsteinen, mit Balken, Dachziegeln und mit Schnee.

Zwischen sich und dem Altar sah Don Camillo einen Berg von Trümmern, die der Schnee wie Zement zusammenhielt, aber der Altar war unversehrt, denn die Kuppel war nicht eingestürzt. Er blickte nach oben und sah, wie aus einem großen rechteckigen Stück Himmel der Schnee herabfiel, von dort, wo vorher das Dach seiner Kirche gewesen war.

Don Camillo dachte an die schwarze Katze und verstand nicht, was die schwarze Katze mit dem Schnee zu tun hatte, der das Dach einstürzen ließ.

Das ganze Dorf eilte herbei, um sich die Ruine anzusehen. Auch Don Camillo schien wie eine Ruine, denn nach einer Stunde stand er noch immer regungslos da und starrte auf den Trümmerhaufen. Eine dicke Flockenschicht bedeckte Kopf und Schultern, und es war schwer zu sagen, ob sein Gesicht naß vom Schnee oder von Tränen war.

Auf einmal stürzte er sich mit einem Satz auf die Trümmer, packte einen großen Balken und zerrte so lange, bis er ihn aus dem Wirrwarr befreit hatte.

Die Leute kamen näher.

«Es ist der Längsbalken vom Dachfirst», sagte Bigio, «oder genauer ein halber Balken.»

Dann schwieg er bestürzt. Auch ein Einäugiger hätte bemerkt, daß der Balken in der Mitte durchgesägt worden war. Die Schnittstelle war noch ganz frisch. Der Balken war allerdings nicht ganz durchgesägt worden, nur zu drei Vierteln. Das letzte Viertel war geborsten.

Don Camillo dachte wieder an die schwarze Katze und fühlte, daß seine Augen auf etwas blickten, das man noch gar nicht sehen konnte.

Da entdeckte er im Schneegemisch unter den Trümmern eine Säge. Sofort stürzten sich alle auf den Haufen und begannen die Trümmer wegzuräumen. Nach einer Stunde wütender Arbeit fanden sie einen Mann, dessen Blut den Schnee rot gefärbt hatte.

Der Mann lag mit dem Gesicht nach unten, mausetot, und sein Gesicht steckte im Schnee. Keiner hatte den Mut, ihn umzudrehen und zu sehen, wer es war, denn alle fürchteten, ihn zu kennen.

Der Gemeindepolizist drehte ihn dann um.

Sie zogen auch das andere Stück des Balkens heraus und schauten sich die Schnittstelle an. Der Mann hatte den Längsbalken zu drei Vierteln durchsägen wollen, um dann zu verschwinden. Das Gewicht des Schnees hätte das Übrige getan. Nur hatte er nicht bemerkt, daß der Balken, genau unter dem Schnitt, bereits einen Riß hatte, und so stürzte alles ein, bevor der Mann sich retten konnte. Wahrscheinlich sollte es eine Weihnachtsüberraschung sein.

Der Polizist sagte nicht, wer der Mensch war, der zusammen mit dem Dach herabstürzte.

«Es ist ein Fremder, einer von denen, die für den Frieden arbeiten», sagte er knapp.

Am Abend dieses 23. Dezembers fiel dem fassungslosen Don Camillo plötzlich ein, daß ja morgen Heiliger Abend war: «Wo zelebriere ich jetzt die Mitternachtsmesse?»

Der Heilige Abend kam, und die Leute sperrten sich alle in ihren Häusern ein, denn Angst heulte aus den Trümmern der im Dunkel begrabenen Kirche.

Das Dorf schien wie mitten im Krieg. Es schien, als führten die Menschen Krieg gegen ihren Gott, während die scheußliche schwarze Katze über die verlassenen Felder galoppierte und die Figur des Jesuskindes in den Zähnen hielt.

Eine schreckliche Stille senkte sich über das Dorf. Es war eine wunderbar klare Nacht, und reiner weißer Schnee bedeckte die dunkle Erde. Wer hätte da die kristallene Klarheit dieser Stille zu unterbrechen gewagt?

Doch plötzlich hörte man die Kirchenglocken, und wenig später erschien am Ende der langen Straße, die von Häusern umsäumt war, ein ungewöhnliches Licht.

Auf einem mit Damastseide bespannten und von acht Paar weißen Ochsen gezogenen Wagen stand der Altar, überragt von dem großen gekreuzigten Christus. Und vor diesem Altar las Don Camillo die Messe.

Auf beiden Seiten des Wagens und dahinter schritten Gruppen von Sängern, Männern und Frauen, die brennende Fackeln trugen.

Die Leute schauten aus den Fenstern, kamen aus den Häusern und folgten einer nach dem andern dem Wagen. Er fuhr langsam durch die lange Hauptstraße, spurte dann in die Nebenstraßen ein, und aus jedem Haus traten die Leute und schlossen sich den anderen an. Dann kehrten sie zum überfüllten Dorfplatz zurück, wo die Wandlung stattfand.

«Brüder!» rief Don Camillo, «die friedliche Armee Christi, rings um seinen Wagen geschart, hat heute abend die Schlacht gegen die Angst gewonnen. Das Haus Gottes ist das grenzenlose Universum, ist der unendliche gestirnte Himmel, und niemand wird es je zum Einsturz bringen können. Denkt nicht an die Decke eurer Kirche, sondern blickt auf den ewigen, unendlichen Himmel und singt freudig das Lob des Herrn.»

Dies und noch vieles mehr sagte Don Camillo, und die Fröhlichkeit kehrte in die Herzen zurück.

Die Leute begleiteten den Wagen bis vor die Kirche. Hier rief jemand, man müsse daran denken, alles sofort wieder aufzubauen, und legte Geld auf das Wagenbord.

Alle drängten am Wagen vorbei und legten ihre Gaben dazu. Don Camillo war vom Wagen gestiegen und schaute lächelnd auf die spendende Menschenreihe. Fast am Ende der Schlange stand ein Dreikäsehoch. Er war noch zu klein, um mit seinen Händen bis zum Wagenboden hinaufzureichen, und so hob ihn Don Camillo hoch.

Es war der Sohn von Peppone. Don Camillo blickte ihn angsterfüllt an und dachte dabei an die ungeheuerliche schwarze Katze, die das Christkind in ihrem Rachen hielt.

Er stellte das Kind wieder auf den Boden.

Dann trug er selber, über den Trümmerhaufen hinwegsteigend, den Gekreuzigten an seinen Platz am Hochaltar zurück.

«Jesus», sagte er, «vorgestern abend, während ich mit dir sprach, zersägte ein Mann den Balken über meinem Kopf, und wenn du mir nicht <Halt!> zugerufen hättest, läge ich jetzt unter diesen Trümmern.»

«Warum, Don Camillo, sprichst du noch von Balken und Decken, wo du doch vorhin selbst gesagt hast, daß die wahre Decke des Hauses Gottes keine Balken hat und niemand es zum Einsturz bringen kann?»

Don Camillo schaute hinauf und sah das große Rechteck des gestirnten Himmels.

Aber die gräßliche schwarze Katze konnte er nicht aus seinen Gedanken verbannen, und er sah sie über die verlassenen Felder und am Ufer des Flusses entlangrennen.