Der Scherz

Als Peppone sah, daß alle von seinem Stab anwesend waren, ließ er den Riegel vor die Tür schieben und holte aus dem Schreibtisch ein rotes Köfferchen.

Der Smilzo, Brusco, Bigio, Lungo und Genossen starrten staunend das Ding an, und als Peppone den Deckel hob, rief der Smilzo aus:

«Ein tragbares Radiogrammophon!»

«Eben», sagte Peppone, drückte den Stecker in die Steckdose und drehte an den Knöpfen des Geräts.

«Aber wo setzt man die Platte auf?» erkundigte sich Bigio.

«Die Neuheit besteht darin, daß dieser Apparat gar keine Platten braucht», erklärte Peppone. «Statt der Platte hat er ein Magnetband, auf das man die Musik auf nimmt.»

«Die wissen auch nicht mehr, was sie noch alles erfinden sollen», brummelte Brusco.

«He, laß uns was hören!» forderte Lungo.

«Sofort», antwortete Peppone, indem er weiter an den Knöpfen herummanipulierte. Man hörte ein Knistern, dann tönte aus dem Kästchen die Stimme von Bigio, dann die von Peppone, und so fort. Kurz, das ganze Gespräch von vorhin war zu vernehmen.

«Ist das nicht phantastisch?» fragte Peppone triumphierend.

Es war ein ganz gewöhnliches Tonbandgerät, aber dort unten in der Bassa hatte man diese elektrischen Schweinereien bisher noch nicht gekannt.

Peppone erklärte, daß man eine aufgenommene Stimme wieder anhören könne, sooft man wolle. Man könne sie aber auch löschen und das Band für neue Aufnahmen benützen.

Alle wollten jetzt in das kleine Mikrofon reden, um die eigene Stimme wieder zu hören. Schließlich wollten sie wissen, wozu dieses Spielzeug von Nutzen sei.

«Um die Reden unserer politischen Gegner festzuhalten, um ein Dokument über das zu besitzen, was sie gesagt haben, und um unsere eigenen Reden aufzunehmen, damit wir Selbstkritik üben und die stimmlichen Fehler korrigieren können. Oder auch um Radiosendungen aufzunehmen.»

Peppone schaltete das Radio ein, ließ es zehn Minuten laufen und spulte das Band zurück. Nach einigen Augenblicken wiederholte das Gerät exakt das, was man im Radio gehört hatte. Alles ganz perfekt, Worte und Musik.

Sie diskutierten lange über die Möglichkeiten des Apparates und plötzlich hatte der Smilzo eine Idee.

«Mir ist da etwas Besonderes eingefallen! Wir nehmen ein Stück einer gewöhnlichen Radiosendung auf Band auf, und wenn dann das Signet mit dem Vogelgesang kommt, stellen wir das Radio ab und sprechen eine selbsterfundene Nachricht ins Mikrofon. Dann lassen wir alles über den öffentlichen Lautsprecher laufen, und niemand bemerkt den Trick, denn alle glauben die eingeschobene Nachricht, weil wir gleich darauf wieder eine Sendung vom Radio übertragen.»

Der ganze Haufen lachte höhnisch und Peppone rief:

«Ciro

Mehr brauchte er nicht zu sagen. Alle hatten schon kapiert.

Ciro, der zu Peppones Gruppe gehörte, war ein leidenschaftlicher Fußballtotospieler. Kein Samstag verging, ohne daß Ciro seinen Totoschein ausfüllte. Das bedeutet gar nichts, denn es gibt Leute, die jede Woche zehn oder zwanzig Scheine loswerden. Ciro war Totospieler aus Passion, und jeden Samstag, sobald er seinen Schein ausgefüllt hatte, machte er sich Gedanken, was er alles mit dem gewonnenen Geld anstellen könnte. Doch jedesmal wenn der Sonntag kam und das Radio die Resultate der Fußballspiele übertrug, lauteten die Ergebnisse völlig anders, als sie Ciro vorausgesagt hatte. Aber Ciro geriet darüber nicht in Wut wie einer, der nicht gewonnen hat, sondern wie einer, der gewonnen hat und um seinen Gewinn betrogen wurde.

Jeden Sonntagnachmittag genoß man im Volkshaus das Schauspiel eines Ciro, der wie ein ganzer Käfig voll tollwütiger Leoparden tobte. Wenige Minuten vor der Übertragung der Sportnachrichten im Radio pflegte Ciro von seinem Tisch aufzustehen und sich mit einem Notizblock in der linken und einem Bleistift in der rechten Hand neben die Theke zu stellen.

Und jetzt wollten sie Ciro einen Streich spielen: die von Ciro aufgeschriebenen Resultate sollten mit denen der Radiosendung übereinstimmen. Dazu mußte man natürlich die fingierten Resultate in die Sendung hineinschmuggeln.

In der Kantine des Volkshauses funktionierte Lungo als Wirt. Er schenkte Wein und andere Getränke aus und verwahrte auch die Quittungen des Fußballtotos. Daher war es nicht schwer, die Prognosen zu erfahren, die Ciro jeden Samstagabend aufnotierte.

Sie studierten die kleinsten Einzelheiten des Unternehmens, nahmen Schlager und Werbesendungen auf, und sprachen dann am Samstagabend, nachdem sie Ciros Totoschein eingesehen hatten, die «Gewinnmeldung» auf das Band, worauf wieder eine normale Sendung folgte. Sie schlossen das Tonband an den Lautsprecher an und ließen das Ganze in einer Hauptprobe laufen.

«Unwahrscheinlich!» rief Peppone aus. «Wüßte ich nicht Bescheid, würde ich auch darauf hereinfallen!»

Der Sonntagnachmittag kam. Ciro erschien zur üblichen Stunde, setzte sich an den üblichen Tisch und bestellte die übliche Flasche Wein.

Aus dem Lautsprecher dudelte wie immer Musik, und sie dudelte so lange, bis der richtige Augenblick gekommen war. Peppone, der am Nebentisch saß und Karten spielte, fing plötzlich wie ein Verrückter an zu brüllen; er beschwerte sich lautstark über die «blödsinnige Spielweise» seines Partners Bigio. Bigio brüllte noch lauter. Im Nebenzimmer machte sich der Smilzo den Lärm zunutze: er stellte das Radio ab und schloß das Tonband an den Lautsprecher an.

Niemand bemerkte etwas, denn das Radio spielte nur mit geringer Lautstärke und der Lärm im Saal war geradezu höllisch. Als wieder Ruhe eingekehrt war und Minute um Minute verstrich, wurde Ciro immer aufgeregter.

Schließlich stand Ciro wie gewohnt auf, trat an die Theke und zog Notizbuch und Bleistift aus der Tasche.

Alles war minuziös einstudiert worden, und zur genauen Zeit verkündete das Radio: «Sie hören nun Sportnachrichten ...»

Im Saal hielten alle den Schnabel, und bei völliger Stille las der Sprecher im Radio die Fußballresultate vor. Ciro machte sich wie immer fieberhaft Notizen, und als er sämtliche Resultate aufgeschrieben hatte, verglich er sie mit den Voraussagen auf seinem Totoschein. Er riß weit die Augen auf und schnaufte: «Ah ... ah ... ah ...» Es verschlug ihm die Sprache, und alle umringten ihn voll Besorgnis.

«Ciro, was ist mit dir los?»

Ciro schwenkte mit zitternder Hand den Totoschein, und ein paar andere, drei oder vier, die die Resultate auch notiert hatten, kontrollierten nach.

«Du meine Güte, diesmal hat er wirklich gewonnen!» schrien sie.

Ciro packte eine Cognacflasche, die auf der Theke stand und nahm einen nicht endenwollenden Schluck. Dann brüllte er:

«Aus mit der Schufterei! Aus mit der Schufterei!»

Er stürzte wie ein Wilder aus dem Volkshaus und verschwand lärmend.

«Einen Moment hab’ ich befürchtet, daß ihn der Schlag trifft!» bemerkte Peppone. «Und wenn er jetzt auch noch erfährt, daß es ein Scherz war ...»

«Ein Scherz? Aber es kam doch im Radio!» antwortete einer.

Peppone holte das Tonband und erklärte die Sache.

Natürlich ließ das Interesse für das erstaunliche Kästchen, das Stimmen auf Band festhielt, den armen Ciro vergessen, weil jeder einmal ins Mikrofon sprechen wollte, um hinterher seine eigene Stimme zu hören.

Plötzlich betrat ein kleiner Junge, ganz außer Atem, das Volkshaus.

«Ciro ist verrückt geworden!» schlug er Alarm.

Ciro wohnte in einem einsamen Häuschen außerhalb des Dorfes, und Peppone machte sich - die ganze Mannschaft auf den Fersen - im Laufschritt auf den Weg, um zu sehen, was passiert war.

Sie fanden Ciro, der um ein hochflackerndes Feuer mitten im Hof einen wilden Tanz aufführte und pausenlos «Aus mit der Schufterei» brüllte. Seine Frau, vor Schreck halbtot, schaute ihm aus einem Fenster im ersten Stock zu. Als sie Peppone und seine Genossen sah, stieg sie die Treppe herunter und erklärte mit zitternder Stimme:

«Er kam wie ein Besessener nach Hause und schrie, was er jetzt auch schreit, daß es mit der Schufterei vorbei sei und daß endlich die Millionen gekommen seien. Er ging hinauf und warf alles in den Hof: Bett, Stühle, Tisch, Buffet. Dann goß er einen Kanister Petrol über das Zeug und zündete alles an.»

Die arme Frau packte Peppone am Arm.

«Schaut! Schaut!»

Ciro hatte zwei Matratzen ergriffen und wollte sie gerade in die Flammen werfen, aber Peppone und die anderen sprangen mit einem Satz auf ihn zu und rissen ihm die Matratzen aus den Händen.

«Ciro, bist du verrückt geworden?» fragte ihn Peppone und hielt seinen Arm fest.

«Verrückt? Verrückt, weil ich dieses Sauzeug verbrenne?» schrie Ciro. «Jetzt sind die Millionen da! Ein paar oder viele, sie sind da! Aus mit der Schufterei, ich habe gewonnen!»

Er wollte das begonnene Werk vollenden und alles verbrennen. Eine verwickelte Geschichte! Wer hatte den Mut, ihm zu erklären, wie es sich tatsächlich verhielt?

Ciros Frau hatte den Mut. Nachdem sie mit einigen der Gruppe gesprochen hatte, näherte sie sich ihrem Mann und fuhr ihn an:

«Ciro, sei kein Idiot! Verstehst du denn nicht, daß alles bloß ein Scherz war? Du hast gar nicht gewonnen!»

Ciro lachte.

«Ein Scherz ... Ich hab’s doch im Radio gehört! Ich hab’ die Resultate kontrolliert, und auch andere haben sie kontrolliert!»

«Ciro, beruhige dich!» brummte Peppone. «Wir haben einen Scherz gemacht.»

«Aber das Radio ...»

«Es war ein Trick mit dem Tonband. Ich erklär es dir, und du wirst sehen.»

Ciro beruhigte sich augenblicklich.

Er blickte Peppone fest an und dann auch die anderen reihum.

«Ein Scherz ... Es war ein Scherz», flüsterte er kopfschüttelnd.

Er starrte lange in das Feuer, in dem die Reste seiner armseligen Möbel verbrannten, und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Wieder blickte er Peppone fest ins Gesicht.

«Daß die Ausbeuter des Volkes mein Elend ins Lächerliche ziehen, gut, aber daß ihr das tut, nein!»

Langsam zog er ein Ledermäppchen aus der Tasche, und nachdem er den Parteiausweis herausgenommen hatte, warf er ihn ins Feuer.

Keiner wagte eine Bewegung.

«Vergeßt, daß es mich gibt!» sagte er mit harter Stimme, drehte Peppone den Rücken zu und ging, von seiner Frau gefolgt, ins Haus.

Peppone rührte sich nicht, starrte einige Augenblicke das Feuer an, machte dann rechtsum kehrt und schritt mit den anderen langsam dem Dorf zu.

«Es war ein ganz blödsinniger Scherz», sagte er, kurz bevor sie im Dorf ankamen, «aber wer hätte gedacht, daß er es so auffaßt? Smilzo, du ...»

Der Smilzo war auf der Hut. Er machte einen Satz zur Seite und brachte sein Hinterteil in sichere Distanz.

«Chef, mich trifft keine Schuld», protestierte er. «Ich habe den Scherz vorgeschlagen, und du hast an Ciro gedacht.»

«Lassen wir’s», sagte Peppone kurz. «Niemand weiß etwas, niemand hat etwas gesehen, verstanden? Wenn sie es bei der Sektion erfahren, werden sie uns künftig dauernd als Idioten bezeichnen. Wir streichen einfach seinen Namen aus der Kartei und ersetzen ihn ohne viel Umschweife. Und vielleicht kommt er drüber hinweg.»

Ciro kam nicht drüber hinweg. Und er konnte schon deshalb nicht drüber hinwegkommen, weil er wegen des dummen Scherzes alle seine Möbel verbrannt hatte, und die Geschichte von dem lächerlichen und tristen Freudenfeuer in der ganzen Gemeinde die Runde machte.

Ciro kam nicht drüber hinweg. Als seinem Bruder der zweite Sohn geboren wurde, wollte er ihm bei der Taufe Pate stehen. Sobald Don Camillo ihn in der Kirche vor sich sah, fragte er brüsk:

«Woher nimmst du den Mut, dich hier zu zeigen?»

«Hochwürden, macht keine Geschichten», antwortete Ciro, «jetzt bin ich in Ordnung. Ich habe das Parteibuch verbrannt und bin unabhängig.»

Don Camillo schüttelte den Kopf.

«Natürlich bist du unabhängig. Du bist wieder ein Christ, aber den anderen zuleid, nicht aus eigener Überzeugung. Du hast aufgehört, ein Bandit zu sein, nicht aus Liebe zur Ehrlichkeit, sondern aus Haß auf deinen Häuptling. Hätten sie mit dir nicht den Scherz mit dem fingierten Gewinn gemacht, wärst du noch immer einer von ihnen.»

Ciro schaute sich um.

«Hochwürden, wenn ich bei ihnen hätte bleiben wollen, hätte ich das sehr wohl können.»

«Ja, besonders nach dem prächtigen Scherz, der dich alle Möbel verbrennen ließ und der dich bis zum Nordpol hinauf lächerlich macht!»

«Die Möbel habe ich verbrannt, damit ich eine gute Ausrede hatte, ohne viel Umstände und Komplikationen aus der Partei austreten zu können. Ich wußte sehr wohl, daß es nur ein Scherz war. Am Abend vorher hatte ich im Korridor des Volkshauses alles mitangehört. Auch die falsche Meldung.»

«Das ändert die Sache», meinte Don Camillo versöhnlicher.

«Auf jeden Fall, Hochwürden, braucht Ihr es nicht überall zu erzählen. Wichtig ist nur, daß der dort drüben es weiß.»

In der Tat wußte es Christus am Hochaltar, und er war nicht beleidigt, daß man ihn «der dort drüben» hieß.

Es gibt ehrenwerte Leute, die fromm sind, die Stufen des Altars küssen und statt Jesus «Unser Herr Jesus Christus» sagen, die aber um Christi willen keinen Knopf opfern würden. Ciro hatte ihn nun einmal «der dort drüben» genannt, aber er hatte um Christi willen sogar sein Bett geopfert und schlief jetzt auf der bloßen Erde.

Und weil er auf der bloßen Erde schlief, war sein Schlaf so heiter und ruhig, als hätte er im Fußballtoto eine Milliarde gewonnen.