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SKLAVE & TRAINER.
»Briochekipferln, Zimtschnecken, Faschingskrapfen, Topfengolatschen. Nehmen Sie sich ruhig, auf was Sie einen Gusto haben. Es ist genug da«, sage ich zum Herrn Josef und drücke ihm die Plastiksackerin vom »Mann, der alles kann« in die Hand. Der Trainer und ich haben am Weg ins Rallye noch rasch was fürs Frühstück besorgt. Man will einem erfolgsverwöhnten jungen Mann schließlich was bieten. Nicht, daß es danach heißt, der Ostbahn und seine Haberer haben beim großen Showdown nicht einmal ein anständiges Frühstücksbuffet springen lassen.
»Und beim Kaffee, Herr Josef«, sagt der Trainer, der am Stammtisch neben der Jukebox letzte Vorbereitungen trifft, »nehmen’S bitte ausnahmsweise den besseren. Und ist ein koffeinfreier im Haus? Vielleicht is der Körner jetzt mehr auf Wellness, who knows.«
»Leider«, sagt der Herr Josef. Er hat nur einen Kaffee im Angebot, und der ist nimmer ganz röstfrisch.
Ich beziehe meinen Posten in der ehemaligen Kochnische. Dort hab ich den bescheidenen Gerätepark aufgebaut, den uns der Doc mitgegeben hat. Die Geräte stammen aus seinem privaten James-Bond-Museum. Für diesen heiklen Einsatz hat er ein Abhörgerät ausgewählt, das bereits zu Sean Connerys Zeiten von Q als altertümlich belächelt worden wäre, und mit dem der Trainer auf der Jagd nach dem Mörder von Rikki Horvath bereits einmal kläglich gescheitert ist, was in dem Fallbericht »Kurt Ostbahn: Peep-Show« nachgelesen werden kann.
Der Doc aber sagt, die Ausrüstung mag vielleicht mager sein, was zählt, ist jedoch der persönliche Einsatz. Er wäre selbst gern persönlich mit dabei, aber ein Gespräch mit Paul Körner würde ihn im Moment noch überfordern.
Der Trainer hat am Stammtisch Posten bezogen, auf dem Stuhl mit Blick auf die Eingangstür.
»Mayday ... Mayday«, sagt er in die staubigen Plastikblumen, die vor ihm auf dem Tisch in einem Senfglas blühen. Hier ist das Mikrofon verborgen.
»Alles roger«, sage ich und gebe ein entsprechendes Handzeichen, das der Herr Josef hinter der Budel in ein zufriedenes Kopfnicken umwandelt und an den Trainer weitergibt. Ein Talkback, Headset-Monitoring oder sonst was wie eine Gegensprechanlage ist im Budget nicht vorgesehen.
»Es kann gar nix passieren«, sage ich zum Herrn Josef. »Im schlimmsten Fall kommt der junge Mann gar nicht oder er ist Diabetiker. Dann müssen wir die ganzen Süßigkeiten halt selber fressen.«
Der Herr Josef nickt unsicher. Er ist nimmer der Jüngste, hat er mir einmal mehr gestanden, und kann sich eine Aufregung, womöglich mit Kieberei und Blutvergießen, gesundheitlich nicht leisten.
Pünktlich um zehn sperrt er die Eingangstür auf. Und pünktlich fünfzehn Minuten später betritt Paul Körner das Rallye. Er trägt seine teure Lederjacke und hat eine Sonnenbrille im Gesicht, die im Fachhandel mindestens so viel kostet, wie der Trainer an einer ganzen Staffel »Donna in Distress«-Cliffhangern verdienen wird.
Körner schaut sich um im Rallye, nickt dem Herrn
Josef zu, marschiert auf genagelten Sohlen an den Trainertisch und damit aus meinem Blickfeld.
»Hab ich mir gleich gedacht. Der gefürchtete Trainer«, höre ich ihn in Mono in meinem Kopfhörer. Er klingt ziemlich verschnupft. »Wo haben Sie denn Ihren Herrn und Meister gelassen, den Sherlock von der Ostbahn?«
»Morgen, Herr Körner«, sagt der Trainer. Cool. Entspannt. Herr der Lage. »Frühstück?«
»Sicher nicht hier«, sagt Körner. Und laut durchs Lokal. »Eine Hag-Melange. Mit viel Schaum.«
Ich sehe den Herrn Josef zirka zwei Meter von mir entfernt. Er macht eine hilflose Geste, leider in meine Richtung. Ich zeige dorthin, wo ich Paul Körner vermute.
»Koffeinfrei ist leider aus«, sagt der Herr Josef in die richtige Richtung. »Der wird bei mir so selten verlangt ...«
»Dann bringen‘s mir ein stilles Wasser«, sagt Körner.
»Von der Pippen?« will der Herr Josef wissen. Nicht von seinem anspruchsvollen Gast, sondern von mir. Ich nicke.
Neben der Jukebox geht Körner offenbar gleich in medias res, wie er das bei Nora gelernt hat, indem er unser E-Mail auf den Tisch knallt: »Was soll der Scheiß? Bestellen Sie Nora einen schönen Gruß und richten Sie ihr aus, daß ich dagegen Schritte unternehmen werde. Diese Aufnahmen sind privat und vertraulich, über ihre Verwendung gibt es eine klare Vereinbarung. Wieso finden sie sich in der Mail meiner Eltern und bei ConsulData?«
»Um Sie ein bißl zu kompromittieren, schätz ich. Und es gibt noch mehr davon, wie Sie wissen. An die siebenhundert. Ich hab mir — als Noroticom-Autor — erlaubt, im Archiv zu blättern und da ist mir eine kleine Geschichte dazu eingefallen ...«
Der Trainer packt die Fleißaufgabe aus, über die er und Nora letzte Nacht so viel gelacht haben. Ein Fotoroman, komplett mit launigen Sprechblasen, der Paul Körner zum Helden hat, zumeist in schwarzer Latexhaut wie Batman, nur ohne Fledermausmaske, aber dafür ganz fürchterlich in Bedrängnis. »Körner In Distress«, könnte man sagen. Als Arbeitstitel.
Der Held des Abenteuers schweigt jetzt, was dem Trainer die Gelegenheit gibt, ein bißchen auszuholen: »Wenn man davon ausgeht, Herr Körner, daß Sie derzeit versuchen, aus Ihrem reichhaltigen Noroticom-Wissen Kapital zu schlagen, dann werden wir das auch tun. So ein Fotoband macht vielen Leuten viel Freude, glauben sie nicht? Das Material ist vorhanden, ich könnte aus dem Vollen schöpfen. Die Qualität ist hervorragend, dank Ihrer Ausarbeitung. Wir brauchen eigentlich nur noch Ihre Einwilligung, daß Sie mit der weltweiten Veröffentlichung einverstanden sind. Und die Honorarfrage wäre noch zu klären. Aber dafür bin ich nicht zuständig. Das müßten Sie mit der Nora besprechen. Sie hat da, soviel ich weiß, bereits konkrete Vorstellungen ...«
»Einen Scheißdreck werd ich tun!« wird Paul Körner unnötigerweise ziemlich laut. »Geben Sie das her!« Dann ist das Rascheln von Papier zu hören, offenbar zerren Trainer und Sklave an der pikanten Bildgeschichte, und der Herr Josef macht ein beschwichtigendes »Ho,ho,ho, meine Herren!«, als er mit einem Glas Leitungswasser an den Stammtisch kommt.
»Is nur eine Kopie. Die können Sie ruhig behalten«, höre ich den Trainer sagen.
Meiner Meinung nach hätte er länger und mit etwas mehr Nachdruck um das Schriftstück ringen sollen. Andererseits redet es sich natürlich leicht, in meiner Position. Ich steh ja nicht im Ring oder Centercourt. Hier bin ich nur der Trainer, der leider nicht einmal Ezes geben darf. Mein Auftritt ist in Plan A ebenso wenig vorgesehen wie Körners Wunsch nach einer Hag-Melange. Vorgesehen ist vielmehr, daß der Trainer den Körner mit unserem detaillierten Wissen über Kreuzschinder-Kohout überrascht, den angehenden Copy-Killer damit sozusagen aufblattelt, damit ganz gewaltig punktet, und Körner zu der bitteren Einsicht gelangt, daß sein ganzer, auf sehr vielen Straßen ausgehirnter Plan wertlos und zum Schmeißen ist, weil seine falsche Fährte von uns und seinem Opfer Nora längst durchschaut wurde. Diese Erkenntnis und die drohende VÖ von »Körner In Distress« würden ihn zur Kapitulation zwingen, sollte er tatsächlich vorgehabt haben, seine blutigen Kreuzschinder-Drohungen wahr zu machen.
»Wo sind hier die Toiletten?« fragt er jetzt den Herrn Josef.
»Durchs Extrazimmer und dann rechts, aber nehmens lieber die Sonnenbrille runter, im Zimmer is kein Licht«, weist ihm mein Wirt den Weg.
»Mayday, mayday«, meldet sich der Trainer gleich darauf flüsternd. »Der Körner is unterwegs aufs Klo, vermutlich, um sich dort sein Frühstück in die Nase zu ziehen.«
Gleich darauf kommt aus dem Hinterzimmer ein Poltern und Scheppern, gefolgt von einem unterdrückten Schrei.
»Was hab i gsagt? Sonnenbrille abnehmen, hab ich gsagt!« ruft der Herr Josef nach hinten.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, nehme ich die Kopfhörer ab, verlasse meinen Posten und jage am Herrn Josef und dem Trainer vorbei hinter den schweren grünen Filzvorhang ins Halbdunkel des Extrazimmers. Kein Körner. Nur die traurige Sonderschau von leeren Schnapsflaschen aus aller Welt. Die Tür zur Herrentoilette steht offen. Drinnen brennt Licht. Und davor liegt Paul Körners edle Sonnenbrille auf dem Boden. Ein Blick aufs Klo, nur um sicherzugehen: kein Körner. Kein goldener Taschenspiegel. Kein eingerollter Fünftausender. Kein goldenes Feuerzeug. Keine goldene Nadel.
Ich renn zurück in den Schankraum und weiter zur Eingangstür.
»Er is hinten raus, durch den Hof!« halte ich Trainer und Gastwirt auf dem laufenden. Der Notausgang des Rallye führt vom Klo in den Hinterhof mit einem Schuppen, der dem Herr Josef früher als Lagerraum gedient hat. Über den Hof und Hausflur gelangt man auf die Sechshauser Straße, kann so also unbemerkt einen Abgang machen, wenn man nicht ganz so cool ist wie Paul Körner und im Finstern seine Sonnenbrille abnimmt.
Oder der Paul Körner hat gar keinen heimlichen Abgang gemacht.
Diesen Eindruck hab ich, als ich hinaus auf die Straße trete und nach seinem roten Japaner Ausschau halte. Der parkt schräg gegenüber vor dem neuen Bipa-Drogeriemarkt.
Aber der Körner geht nicht zu seinem Wagen, sondern flotten Schrittes zu einem schwarzen Mercedes. Und er ist in Begleitung. Der Mann an seiner Seite trägt eine schwarze Pudelhaube und einen roten Anorak und ist mehr breit als hoch. Ich kann es nicht mit Sicherheit sagen, aber es sieht ganz so aus, als hätte er eine Pistole in seiner linken Tasche, die auf Körners Nieren gerichtet ist.
Durchaus im Bereich des Möglichen, daß Paul Körner jetzt nicht ganz freiwillig in den Mercedes steigt.
Ich beschließe, nicht danach zu fragen.
Geht mich ja nix an. Im Grunde.