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DREI KOALAS.

In der Datenzentrale des Doc duftet es wie in einem Eukalyptushain. Und das bei tropischen 36 Grad und einer Luftfeuchtigkeit, die ganz knapp unter der 100-Prozentmarke liegen dürfte. Für einen Koalabären das wahre Paradies, für den Trainer und mich, die aus der Nullgradzone ohne Vorwarnung in diesen dampfenden Datendschungel gestolpert sind, ein Klimaschock, der den Kreislauf auf eine harte Probe stellt.

Die Etagenheizung läuft auf Hochtouren. Über den Heizkörpern hängen nasse Tücher. Und zwei Luftbefeuchter sprühen heilende Eukalyptus- und Teebaumessenzen in die angespannte Atmosphäre.

Der Trainer hängt im Unterleiberl im Gästefauteuil, schwitzt wie ein Schwein und führt seinem irritierten Organismus Unmengen von Coca Cola light zu. Eine Doppelliterflasche hat er bereits geleert. Die zweite ist gerade in Arbeit. Der kranke Doc hat seine Behausung zur rauchfreien Zone erklärt, für einen Kettenraucher wie den Trainer ein weiterer harter Schlag. Entsprechend mies ist seine Laune, obwohl ihn die Ergebnisse meiner Recherchen doch eigentlich froh und optimistisch stimmen sollten. Noch dazu, wo er im Fall Kreuzschinder — wie ich unsere Ermittlung seit heut nachmittag im Arbeitstitel nenne — sowohl als launischer Watson wie auch als entnervtes Opfer zweiten Grades beteiligt ist.

Ich hänge mit aufgekrempelten Ärmeln im zweiten Gästefauteuil, kämpfe mit leichtem Schwindel und starker Atemnot, und trinke ein »Null Komma Josef« nach dem andern, während ich meine beiden Mitermittler auf den neuesten Stand bringe: das Frühstück mit Nora; Kreuzschinders Metamorphose vom Hannes zur Michaela und retour; meine Bildungsfahrt ins Herz von Margareten; das D&G-Girl und Kreuzschinders Logo auf dem Gangklo.

Doktor Trash - dem jedes Mittel recht ist, um schleunigst seine Atemwege freizukriegen (»weil nur ein körperlich fitter Ermittler ein erfolgreicher Ermittler sein kann«) - trägt einen Morgenmantel aus schwarzer Seide, wie man ihn aus dem Kino, genauer von dem gefürchteten Doktor Fu Man Chu kennt. In die Brusttasche ist das Monogramm des Doc sowie ein roter Skorpion mit zum tödlichen Angriff erhobenen Giftstachel eingestickt.

Da der Doc bekanntlich so gut wie nie das Haus verläßt, vor allem nicht vor Sonnenuntergang, ziert seine Züge stets eine noble bis ungesunde Blässe. Heute aber ist er mehr als blaß. Ich kenne eine solche Gesichtsfarbe eigentlich nur aus Horrorfilmen, die von sogenannten Untoten handeln, die nächtens auf nebelvergangenen Friedhöfen aus ihren Gräbern steigen und mit ihrer unguten Art und ihrem unvorteilhaften Äußeren die Bewohner amerikanischer Provinzstädte in Angst und Schrecken versetzen. Auch die umschatteten, in tiefen Höhlen liegenden Augen des Doc und sein streng nach hinten gekämmtes schwarzes Haar könnten das Werk eines Maskenbildners sein, dessen Auftrag lautet, einen Fürsten der Finsternis zu schaffen, der sich mit dämonischem Charme in die Herzen zarter Jungfrauen schleicht, um sich im geeigneten Augenblick an ihrem reinen, unschuldigen Blut zu laben.

Kurz und gut: Der Doc sieht für ein Grippeopfer verdammt schlecht aus.

Aber der äußere Anschein trügt. Der Privatgelehrte und über unsere Landesgrenzen hinaus anerkannte Serienmordexperte ist geistig absolut auf der Höhe, ein konzentrierter Zuhörer und brillanter Fragensteller, bei dem sich höchste fachliche Kompetenz und detektivischer Instinkt die Hände reichen.

Und so weiß er natürlich auch, was ich getan habe, nachdem ich auf Barbies Gangklo die Markierung unseres Patienten Kreuzschinder entdeckt hatte.

»Richtig, Doc«, sage ich. »Ich bin rüber auf die andere Straßenseite und hab mir angesehen, von wo aus man die D&G-Boutique in der im Fax beschriebenen Art und Weise vom Wohnzimmerfenster aus beobachten kann. Ergebnis: vom ersten und zweiten Stock der Häuser Schönbrunner Straße 56 und 58.«

»Und dann bist du rein, rauf in den ersten und zweiten Stock, und hast alle Leute mit straßenseitigen Wohnungen rausgeklingelt, bis du schließlich dem Kreuzschinder gegenübergestanden bist, der eine Kreuzung aus Docs Analyse und Noras Beschreibung ist und sich von dir zu einem umfassenden Geständnis überreden ließ. Fall Kreuzschinder gelöst. Akte geschlossen. Rauchpause. Gemma auf ein Bier«, sagt der Trainer. Manchmal findet er es lustig, die Bemühungen und Anstrengungen anderer grundlos lächerlich zu machen. An solchen Tagen sollte man ihm besser aus dem Weg gehen. Oder mit einer Retourkutsche auffahren. Wie das der Doc soeben tut:

»Danke, Trainer, für deinen konstruktiven Beitrag. Da diese Wortmeldung so ziemlich das einzige war, das du heute an Erhellendem zur Lösung unseres Problems beigetragen hast, würde ich dich dringend bitten, den Ausführungen unseres Freundes Kurt von nun an schweigend zu folgen!«

»Eh«, sagt der Trainer und trinkt weiter Cola light.

»Ich hab mir das so vorgestellt«, sage ich zum Doc. »Wir unternehmen die Begehung der beiden Mietshäuser gegenüber der Boutique nicht live, sondern mit deinem Computer. Das ist die Liste der Mieter, die Ziffern hinter den Namen sind Stiege, Stock und Türnummer.«

Ich überreiche dem Doc eine Taxiquittung und die gestrige Rechnung vom Gasthaus Quell, auf deren Rückseite ich sämtliche Daten notiert hab.

Beide Mietshäuser wurden erst neulich renoviert und verfügen über eine Gegensprechanlage, neu installiert von der Firma »Heidenreich & Söhne«. Daß die Namensschilder neben den Klingelknöpfen auf dem aktuellen Stand sind, entnahm ich der Tatsache, daß sie alle auf »Heidenreich & Söhne«-Geschäftspapier gedruckt sind, in eleganter Zierschrift und mit den nützlichen Informationen über die Lage der Wohnung.

Keines der Schilder lautet auf den Namen Kreuzschinder. Wär auch eine allzu leichte Übung. Aber auch kein Kreuzinger, Kreuzlechner, Kreuzgschwandtner oder Kreuzberger. Kein Kreuz weit und breit.

Aber auch diesen Service hab ich von Kreuzschinder nicht erwartet.

Der Doc rollt auf seinem Arbeitssessel an sein Cockpit, das er seit meinem letzten Besuch vor einem halben Jahr deutlich aufgerüstet hat. Ich schätze, die Rechner, Monitore, Scanner, Drucker, Modems und sonstigen blinkenden, modisch-elegant gestylten Kasteln, die hier beim Doc in der Kirchengasse stehen, machen den halben Jahresumsatz der Firma Apple Macintosh in Wien und Umgebung aus.

»Kluge Entscheidung, Kreuzschinder nicht frontal und ohne Fakten anzugehen«, lobt der Doc und überfliegt meine beiden Listen. »Du weißt, was das bedeutet, Kurt?«

»Viel Arbeit«, vermute ich.

»Verdammt viel Arbeit«, nickt der Doc. Dann klappert er auf diversen Tastaturen diverser Computer. Internet-Seiten kommen und gehen wieder, Tabellen mit kryptischen Buchstaben- und Zahlenkombinationen rollen ab, E-Mails trudeln ein und schwirren los.

»Vielleicht«, flüstert der Trainer und beugt sich zu mir herüber, »vielleicht sollten wir den Doc ungestört arbeiten lassen und einstweilen doch schnell auf ein Bier gehen?«

»Um dabei was zu tun, Trainer?« frage ich leise zurück.

»Na, einen Tschik rauchen, zum Beispiel.«