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Bist du sicher, dass er tot ist?«, fragte Red Bear. »Ich kann keine Überraschungen brauchen.«

»Er ist mausetot.« Leon drehte die Stereoanlage ein bisschen lauter, ein Marantz, Top-Modell. Und REM, oh Mann, Erfahrung zählte eben ’ne Menge. Diese alten Bands waren nicht zu schlagen. »Musste ihm allerdings am Ende noch einen mit dem Baseballschläger überziehen.«

»Und? Kannst du damit leben?«

»Sicher. Kein Problem.« Leon zuckte die Achseln. »Bei dem Mädchen war’s noch ein bisschen schwieriger. Ich gewöhn mich dran.«

»Und diesmal hast du es woanders gemacht, will ich hoffen. Du bist doch nicht wieder zum Wasserfall zurück?«

»Nee. Wir sind Richtung West Rock rausgefahren.«

Sie lagen in voller Montur auf dem riesigen Bett, das Red Bear von Toronto hatte raufbringen lassen. Teak oder so, ein Himmelbett mit jeder Menge Schnitzereien. Red Bear hatte die einzige Hütte mit mehr als einem Zimmer, und er hatte sie sich schön eingerichtet. Lampen mit scharlachroten Seidenschirmen tauchten den Raum in rotes Licht und verliehen ihm eine gewisse Atmosphäre, wie im Film.

Neben dem Fenster stand eine riesige Frisierkommode, mit Kristallkerzenleuchtern und Silberhaarbürsten, die Red Bear benutzte, bis seine Haare glänzten.

Sie hatten ein paar Joints geraucht. Aus irgendeinem Grund hatte Red Bear keine Probleme mit Gras. Er wollte nur nicht, dass sie die harten Drogen nahmen. War außerdem echt gut, das Zeug.

Die Musik waberte schmeichelnd wie Rauchkringel in der Luft.

Red Bear drehte sich auf die Seite und packte Leon am Bizeps. Leon hatte sich noch nie von einem Mann anfassen lassen. Bei Red Bear war irgendwie nichts Schwules, nichts Weibisches daran.

»Danke für deine Loyalität, Leon. Ich glaube, du weißt, wie viel mir Loyalität bedeutet.«

»Klar, mir auch.«

Red Bear starrte ihm in die Augen. Leon hielt das nicht lange aus und sah weg.

»Ich hab eine Frage«, sagte Leon. »Wegen des Mädchens. Und jetzt Toof.«

»Raus damit.«

»Wieso hast du mit ihnen nicht dasselbe gemacht wie mit Wombat? Du hast sie nicht leiden lassen. Hast sie nicht in Stücke geschnitten.«

»Du klingst enttäuscht.«

»Vielleicht.«

Red Bear deutete zur Decke. »Der Mond. Der Mond nimmt im Moment nicht zu, er nimmt ab. Ein Opfer darf nur bei zunehmendem Mond vollzogen werden.«

»Wieso?«

»Wenn du jemanden bei abnehmendem Mond tötest, wird sein Geist danach Macht über dich haben. Das ist das Gegenteil von dem, was du willst.«

»Na großartig. Dann hat der Geist der beiden jetzt also Macht über mich? Ich werde heimgesucht?«

»Keineswegs. Du hast sie ja nicht geopfert. Du hast die Geister nicht angerufen. Und du hast es mit meinem Segen getan. Unter meinem Schutz. Und jetzt werde ich diesen Schutz hundertprozentig verstärken. Zieh dein Hemd aus.«

Leon setzte sich auf und streifte sich das Hemd über den Kopf. Red Bear ging zur Kommode und kam mit einem geschnitzten Holzkästchen zurück. Er machte es auf und holte eine Kette mit einem Goldamulett heraus.

»Heftig, Mann«, sagte Leon. »Was haben die Symbole zu bedeuten?«

»Ich hab es mit der Kraft von Oggun geweiht.«

Red Bear hängte Leon die Kette um den Hals. Das Amulett fühlte sich kalt an der Brust an.

»Oggun ist derjenige, der über Eisen herrscht, oder?«

Red Bear lächelte. »Nicht nur Eisen. Alle Metalle. Zum Beispiel Blei. Das Amulett wird dir die Kraft des Goldes verleihen, seine Reinheit, seine Stärke, seine Geschmeidigkeit. Trag sie, und Geschosse können dir nichts anhaben. Sie werden durch deinen Körper hindurchgehen, ohne auch nur Spuren zu hinterlassen.«

»Wow, klingt phantastisch.« Leon fühlte, wie sich das Gold auf seiner Haut erwärmte. Er holte tief Luft und konzentrierte sich, um die Reinheit, die Stärke und die Geschmeidigkeit in sich aufzunehmen.

»Jetzt bist du kugelsicher«, sagte Red Bear. »Du hast nichts zu befürchten, mein Freund.«

Eine Zeit lang lagen sie schweigend da. Die Musik hatte gewechselt. Eine Frau sang schmachtend davon, ihren Frieden zu finden.

Der Song gab Leon einen kleinen Stich. Red Bear sagte etwas zu ihm.

»Was? Was hast du gesagt?«

»Ich hab gefragt, ob es dich bedrückt. Eine Frau getötet zu haben.«

Leon überlegte einen Moment. Red Bear hatte was, dass man ihm die Wahrheit sagen musste. Diese seltsamen Augen gaben einem das Gefühl, dass er die Wahrheit bereits kannte.

»Ja. Ich hab danach gezittert. Ich hatte Angst. Vielleicht, weil sie eine Frau war, ich weiß es nicht. Deshalb hab ich sie an derselben Stelle erledigt, wo du Wombat erledigt hast. Frau. Mann. Wieso soll das eigentlich einen Unterschied machen? Ist ja nix Besonderes an Frauen. Bin ihnen nichts schuldig, die haben mir immer das Gefühl gegeben, ein Versager zu sein, haben mir ’ne Menge Ärger gemacht. Tut mir nur wegen Kevin leid. Der Junge ist in Ordnung. Ich will nicht, dass er davon erfährt.«

Red Bear tippte Leon sacht auf die Brust. Es fühlte sich an, als ob jemand an eine Schlosstür donnert, laut und schallend, als klopfte das Schicksal an die Tür.

»Da haben wir wieder deine Loyalität«, sagte Red Bear. »Das bewundere ich so sehr an dir.«

»Kevin sollte es besser nicht erfahren. Er und seine Schwester standen sich nahe.«

»Er kommt drüber weg. Wie hat er auf Toof reagiert?«

»Hatte Angst. Genau wie ich das erste Mal.«

»Ich werd ihn beruhigen. Aber jetzt will ich, dass du still liegst. Ich hab noch eine kleine Belohnung für dich.«

Red Bear stand auf und zog seinen Sweater aus. Er war muskulös, wenn auch kaum größer als Leon. An seinem Rücken bildeten zwei lange Narben von den Schultern bis zum Steißbein ein V.

»Wie bist du an diese Narben gekommen?«, fragte Leon. »Sieht nicht nach einem Unfall aus.«

»Das spielt jetzt keine Rolle.«

»Ich hab dir auch von meinen erzählt.«

Red Bear lächelte und trat aus seiner Tunnelzughose. »Vielleicht erzähl ich dir mal davon, aber jetzt haben wir was anderes vor.«

Red Bear ging zur Tür und rief nach jemandem. Wenig später kam eine zierliche blonde Frau herein, nackt. Sie hatte kleine Brüste, ein wundervolles Lächeln. Sie sah nach einer Russin aus, mit tief liegenden Augen und breiten Wangenknochen.

»Das ist Mira«, sagte Red Bear.

Mira kam herüber und setzte sich aufs Bett. Sie ergriff Leons Gürtel und öffnete die Schnalle.

»Und das ist Katya.«

Eine zweite Frau kam herein, ein dunklerer Typ, mit größerem Brustumfang und wie ihre Kollegin nackt.

»Irgendwie«, sagte Red Bear, »habe ich nicht das Gefühl, dass du dich bei diesen Damen wie ein Versager fühlen wirst.«