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Hören Sie«, sagte Musgrave. »Ich hab die Sache mit meinem regionalen Kommandeur besprochen. Ich werde nicht mit diesem laptopschwingenden Schnösel vom CSIS zusammenarbeiten. Wir machen Folgendes: Ich halt mich an Sie, und Sie sich an ihn.«

»So schlimm fand ich Squier gar nicht mal«, sagte Cardinal.

»Sie hatten noch nie mit dem CSIS zu tun, oder?«

»Nein.«

»Sie kleiner Glückspilz. Jedenfalls«, sagte Musgrave und sah auf die Uhr, »haben wir gerade fünfundvierzig Minuten meiner kostbaren Lebenszeit vergeudet. Oder können Sie mir sagen, was wir hier verloren haben?«

Sie saßen in einem Zivilfahrzeug, das sie auf der Hauptstraße geparkt hatten. Der Nebel war endlich in Regen übergegangen, der heftig auf das Dach trommelte.

Nach dem Telefonat mit seinem Vater hatte Cardinal das Handy noch nicht eingehängt, als es klingelte. Es war Arsenault, der ihm sagen wollte, dass sie einen Abdruck aus der Trapperhütte an einem Namen festmachen konnten: Paul Bressard. Cardinal war sofort zu ihm rausgefahren. Bressards Frau, die bereits um halb zwei mittags eine Scotch-Fahne hatte, erzählte ihm, Paul sei wahrscheinlich in Duane’s Billiard Emporium. Cardinal band ihr nicht auf die Nase, dass er Polizist war, und sie war nicht nüchtern genug, um es selber zu merken.

Und so kam es, dass er und Musgrave in einem Zivilfahrzeug der Polizei auf der Main Street hockten und den renovierungsbedürftigen Eingang zu Duane’s Billiard Emporium im Auge behielten.

»Duane’s ist ein beliebter Treff bei den Jungs, die’s nicht ganz bis zum Schwerverbrecher schaffen«, sagte Cardinal. »Rocker, die die Aufnahmeprüfung zu Satan’s Choice nicht bestanden haben, italienische Kids, die für die Bande zu dämlich sind.«

»Und die Frau hat Ihnen das einfach so gesteckt? Wieso steht die auf Sie?«

»In Cutty Sark veritas.«

»In Cutty Sark Blödsinn, wie’s aussieht.«

»Verraten Sie mir was, Musgrave. Weiß Ihre Frau über jeden Ihrer Schritte Bescheid?«

»Sie könnten einen ganzen Turm CD-Roms vollkriegen mit dem, was meine Frau nicht weiß. Und sie ist stolz drauf.«

»Schön. Also geben wir ihnen noch eine halbe Stunde, ja?«

Sie lauschten für weitere zehn Minuten auf das Prasseln des Regens, und dann kam der Explorer in Sicht.

»Ist er das, mit dem Schnauzer?«

»Ja. Der Kerl neben ihm ist Thierry Ferand, auch ein Trapper.«

Bressard parkte einen halben Häuserblock entfernt, und dann schlenderten er und Ferand durch den Regen zur Billardhalle zurück. Ferand reichte Paul Bressard bis zum Bauchnabel und musste mit seinen Dackelbeinen flitzen, um mit ihm Schritt zu halten.

»Bressard ist ja beeindruckend gekleidet«, sagte Musgrave. »Der Mantel würde ein hübsches Sümmchen bringen.«

»Er kann nur hoffen, dass die Anti-Pelz-Bewegung es nie bis nach Algonquin Bay schafft.«

Bressard und Ferand gingen hinein. Cardinal und Musgrave stiegen aus, um sich den Explorer näher anzusehen. Eine gezackte Schramme reichte auf der Beifahrerseite quer über zwei Türen. »Da müssen unsere Jungs von der Spurensicherung ran«, sagte Cardinal. »Aber auf den ersten Blick würde ich sagen, die ist frisch, was meinen Sie?«

»Sehe ich genauso. Glauben Sie, der Kerl wird Probleme machen?«

»Bressard? Wo denken Sie hin! Bressard wird freiwillig mitkommen.«

Musgrave lachte. »Um Himmels willen, Cardinal, ich hätte Sie nie für einen ausgemachten Optimisten gehalten!«

Als sie in den dunklen Treppenhausschacht traten, der zu Duane’s hinunterführte, sagte Cardinal: »Nehmen Sie sich vor Ferand in Acht. Er ist klein, aber ein hinterhältiger Knochen, er liebt Schlagringe.«

»Den übernehme ich.« Musgrave zog seinen Gürtel hoch. »Es sind immer die Kleinen.«

In Cardinals Teenagerzeit hatte der Billardhalle der Ruch des Geheimbündlerischen angehaftet. Er und seine Freunde hatten dort endlos Boston, High-low oder Snooker gespielt und dabei wie Gangster aus den Dreißigern eine Player’s oder du Maurier nach der anderen gepafft. Der Rauch hatte wie Sturmwolken über einer grünen Filzlandschaft gehangen. Und so war er ein wenig überrascht, als er eintrat und feststellte, dass die Luft nicht einmal zu sehen war. Selbst Billardspieler waren gesundheitsbewusster geworden.

Duane selber stand hinter der Theke, von wo aus er die wohl schlechtesten Hamburger der Stadt zum doppelten Preis servierte. Obwohl er groß und dick war, ähnelte er einem Wiesel. Er hatte zwar – von dem einen oder anderen Verkehrsdelikt abgesehen – noch nie vor Gericht gestanden, doch sah man ihm zehn Meter gegen den Wind an, dass er ein windiger Bursche war.

Die meisten seiner Klientel waren achtzehn bis Anfang zwanzig, alle männlichen Geschlechts und alle – mit unterschiedlichem Erfolg – bemüht, taff zu wirken. Ein einziger Blick durch den Raum genügte Cardinal, um zwei Drogendealer und einen Autodieb wiederzuerkennen. Bressard und Ferand hatten an einem Ecktisch ein Spiel angefangen. Bressard neigte sich gerade vor, um zu zielen. Ohne sich aufzurichten, traf sein Blick über das Queue hinweg Cardinal, der zusammen mit Mus grave auf ihn zukam. Ferand trank ein Dr. Pepper und verschüttete eine Menge davon auf sein Hemd, als er sie entdeckte. Cardinal hatte ihn schon zweimal wegen Körperverletzung festgenommen, auch wenn sie ihm nur das eine Mal etwas nachweisen konnten. Ferand fluchte, stellte sein Queue an den Wandständer zurück und griff nach seinem Mantel.

»Entspann dich, Thierry«, sagte Cardinal und zog seine Marke. »Wir haben nur mit deinem Kumpel hier was zu besprechen.«

»Lassen Sie mich raten«, sagte Bressard. »Sie kommen, um zu sehen, ob ich nicht tot bin.«

»O nein, keineswegs, Paul, ich sehe, dass Sie nicht tot sind. Ich brauch nur Ihre Hilfe, um ein paar Dinge zu klären, Sie wissen schon, die Sache, die ich gestern erwähnte.«

Ferand sagte: »Was glotzte so?«

Musgrave stand vor dem Hinterausgang, die Arme über der wuchtigen Brust verschränkt, und starrte Ferand mit einem seltsamen, leichten Grinsen an, bei dem er die Mundwinkel kaum merklich verzog.

»Also, wir arbeiten immer noch an dieser kleinen Geschichte mit dem Mord im Wald«, sagte Cardinal zu Bressard. »Und jetzt haben wir auch noch eine Leiche – nicht Ihre offensichtlich –, aber vielleicht haben Sie ja in den Nachrichten davon gehört.«

»Und wenn?«

»Na ja, Sie sind der Einzige, dessen Name bei der ganzen Angelegenheit gefallen ist. Deshalb habe ich gehofft, Sie würden mit uns ins Präsidium kommen und uns bei der Aufklärung behilflich sein.«

»Was zum Teufel glotzte so?«, fragte Ferand noch einmal. »Bisse schwul oder was?«

Musgrave stand immer noch wie eine Sphinx in der Tür, immer noch mit diesem kleinen Mona-Lisa-Lächeln in Richtung Ferand.

»Sag ihm, er soll aufhören, mich so anzustarren.«

»Halt den Schnabel, Thierry«, sagte Bressard. »Das ist nur psychologische Kriegsführung, und du fällst prompt drauf rein.«

»Also, Paul, was sagen Sie? Kommen Sie mit in die Stadt, und wir plaudern ein bisschen darüber, was Ihr Name bei der Sache zu suchen hat. Ich bin sicher, das lässt sich ganz leicht …«

Ein kleiner, verschwommener Gegenstand schoss an Cardinal vorbei in Musgraves Richtung. Bevor er sich auch nur umdrehen konnte, um zu sehen, was es war, kam das kleine Etwas zurückgeflogen und landete auf dem Billardtisch. Weitere Bälle schwirrten durch die Luft, die Deckenlampe schwang heftig hin und her. Etwas Goldenes oder Messing-farbenes glänzte in Ferands Hand, als er auch schon stöhnend auf dem Tisch lag und der schimmernde Gegenstand klirrend zu Boden fiel.

»Tätlicher Angriff auf einen Staatsbeamten«, sagte Musgrave. »Der ist ja dümmer, als die Polizei erlaubt.«