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Golumbine war fast nicht wiederzuerkennen. Die Lagerhäuser und Quais waren verschwunden oder mit Schlamm und Schlick bedeckt. Die langen Bootshäuser waren nur mehr Scherben nassen und zersplitterten Holzes und die Boote verstreute Wrackteile. Die Insel war still wie ein Grab. Niemand regte sich. Als das Schiff in den dreckverschmierten Hafen trieb, stießen Holzreste und Kadaver von Tieren und Menschen dumpf gegen seinen Bug. Die Stadt Mappu war vom Ozean aus nicht sichtbar und mochte von ihrer Einfassung aus Hügeln geschützt worden sein, aber sie konnten nicht die geringste Aktivität sehen. Bis zu einer Höhe von fünfzig Metern waren die bewaldeten Hügel struppig zerzaust und ihres Laubkleids beraubt.

Dat und eine ihrer Wächterinnen standen immer noch aufrecht, bis zur Hüfte mit Tang und Schlamm besudelt. Die andere Schlangensäule war nirgendwo zu sehen. Das Tageslicht war milchig und gleichsam lückenhaft; der Norden war grau und dunkel.

Müde auf den Tod, würgend ob des Geruchs nach Fäulnis, der in der warmen, unbewegten Luft lag, nahmen die Menschen an Bord der Dreizack das Bild in sich auf, während ihr Schiff vor Anker ging.

Bar-Woten kam an Deck. Sein Gesicht war bleich und gezeichnet von Schmiere und Dreck. Barthel stand an der Reling und starrte leer hinüber zur Insel.

„Er hat ein paar gebrochene Rippen“, sagte der Ibisier. Barthel nickte. „Mit seinem Kopf mag auch etwas nicht in Ordnung sein. Der Doktor kann es nicht mit Sicherheit sagen.“

Es gab keine Gezeiten, die die Strände hätten blankschrubben oder das angespülte Treibgut mit sich hinaus auf See nehmen können. Nur eine milde, seewärts gerichtete Strömung zog durch den Hafen. In wenigen Tagen würde das gesamte Gebiet ein Pestloch der Meere sein, in dem alle erdenklichen Seuchen grassierten, wenn nicht beizeiten etwas unternommen wurde, es auszukehren.

Am frühen Nachmittag schloß sich Bar-Woten dem ersten Boot an, das an Land anlegen sollte. Sie krochen und stolperten einen schief durchhängenden hölzernen Pier hinauf, der um die Hälfte seiner Länge auf das Ufer gedrückt worden war, und standen dann auf den zerbröckelnden Überresten des aus Stämmen und Ziegeln verfertigten Quais. Nur wenige Vögel zankten sie von den nackten Bäumen herab aus, während sie auf dem aufgerissenen Fahrdamm landeinwärts marschierten.

Die Wellen hatten den Durchgang ins Inland mit geballter Wucht aufgewühlt und hinter sich schlammbespritzte Hügel und verdrehtes Astwerk zurückgelassen. Aber das Wasser hatte seine Kraft an dem großen Steindamm verausgabt, der einen Teil des Zugangs in das Tal von Mappu bildete. Es hatte seinen Weg längs der Straße genommen und sich in den Fluß ergossen, der durch die Stadt floß. Mappu selbst sah ein wenig erschüttert aus, und einige seiner Gebäude waren von Rissen durchzogen und neigten sich bedenklich, aber im Ganzen hatte es sich wacker gehalten. Allerdings hielten sich nur noch wenige Inselbewohner in der Stadt auf. Sie waren entweder alt oder sehr jung und schauten betäubt drein, mit wilden, stieren Augen. Sie konnten nur nach Osten deuten und sagen, die anderen seien alle zu Dat gegangen.

Der Landetrupp hielt an den Palasttoren an und rekognostizierte. Bar-Woten und drei andere erhielten vom Ersten Maat den Befehl, den unbefestigten Pfad zur ungefähr zehn Kilometer entfernten östlichen Halbinsel zu nehmen und nachzusehen, wie viele Inselbewohner nun tatsächlich bei den Statuen seien. Der Rest würde tiefer in das Tal vorstoßen und feststellen, wie viele sich in den Inselhöhlen hinter Mappu verborgen hatten.

Von Süden her zogen dunkle Wolken auf und jagten mit ungewöhnlicher Hast auf die Insel zu. Bar-Woten sah Gewitterwolken anwachsen, die sich sichtlich auftürmten und dabei immer dunkler wurden. Lagen von stummen Blitzen spielten zwischen ihnen.

Der Trupp befand sich zwischen zwei Mauern aus dichtem, verwanztem Dschungel, als der erste Regenguß sie traf. Nachdem sie unter einem weit ausladenden, belaubten Eisenholzbaum Schutz gesucht hatten, warteten sie, während murmelgroße Wassertropfen Wald und Fußpfad wie mit Fäusten beutelten. Der Sturm flaute ab zu einem feinen Nieseln, das die Bäume zu raschelnden grauen Giganten verblassen ließ und die Blätter mit kristallenen Kettchen schmückte. Das Lärmen der Vögel setzte wieder ein. Insekten stiegen auf in Wölkchen und kleinen Explosionen, eine Geißel, die jeden Schritt in dem knöcheltiefen Schlamm zur Qual machte. Große Spinnen, rot und lohfarben, kreuzten mit hochbeinigem Tänzeln den Pfad und forderten die Wanderer mutig heraus. Der Ibisier setzte sich an die Spitze und brach ihnen Bahn, indem er sie mit einem abgebrochenen Palmwedel beiseitescheuchte. Nach ein paar Minuten war das vordere Ende des Wedels klebrig von Spinnfäden.

Zwei Mitglieder des Trupps waren Frauen, die eine mittleren Alters und schon grau an den Schläfen, mit knotigen Muskeln auf Armen und Waden, so zäh wie der zäheste Mann; die andere schlank und jung, mit kurzgeschnittenem Zottelhaar. Der zweite Mann war ein Offizier der Maschinenwache, zehn Jahre jünger als Bar-Woten, aber ebenso bewandert, was Dschungel anging. Sie tauschten kurze, atemlose Geschichten über das Leben im Dschungel aus. Bar-Woten erzählte von den Jahren, die er im Pais Vermagne zugebracht hatte, auf der Suche nach der Stadt der Eingeborenen. Das war das erste, was irgendwer von seinen langen Fahrten gehört hatte, und sie stellten Fragen über Fragen, einige davon erschreckend scharfsinnig. Geschickt vermied er verräterische Antworten.

Der Pfad mündete auf einen weißen Sandstrand, der der Hauptwucht der Sintflut entgangen war. Sie marschierten eine halbe Stunde lang über hart zusammengebackenen, feuchten Sand, dann überquerten sie einen schlammigen Dschungelfluß, der von den Hügeln herunterkam. Ein paar Schritte dahinter setzte sich der Pfad wieder fort und führte sie über eine Erhebung in das Tal, wo die Statuen standen.

Von See aus war Dat eindrucksvoll gewesen; jetzt war sie überwältigend. Die Wellen hatten eine ihrer Wächterinnen umstürzen lassen. Die Schlangensäule lag nun zu ihren Füßen, halb begraben in Schlamm und Astwerk. Rings um das Tal, auf der gefallenen Säule, auf dem Sockel Dats und sogar auf dem Grat der Klippe zwanzig oder dreißig Meter darüber saßen wenigstens zehntausend Menschen in völligem Schweigen. Mit weit geöffneten, klaren Augen starrten sie auf das Gesicht der Göttin, die Hände im Schoß gefaltet. Der winzige König und seine Königin saßen mitten unter ihnen, Weihrauchträger nahebei.

Bar-Woten begriff. Er ließ sich auf einem freien Felsen nieder und bedeutete den anderen, seinem Beispiel zu folgen. Gemeinsam starrten sie auf Dat und dachten ihre eigenen Gedanken.

Sie hatten alle Glück gehabt, daß sie noch lebten.

 

Kirils Brustkorb war fest mit Bandagen umwickelt, und es bereitete ihm Schmerzen zu atmen. Um die Schultern hatte er ein spaßiges, ausgerenktes Gefühl, und er konnte nicht für sehr lange beide Augen zugleich auf ein einzelnes Objekt ausrichten. Vage, verschwommene Formen bewegten sich rings um ihn in der Dunkelheit.

Ich bin im Krankenrevier, sagte er zu sich selbst. Etwas ist mir zugestoßen. Vielleicht bin ich eine Treppe hinuntergefallen. Ausgerutscht.

An die Flutwellen erinnerte er sich nicht mehr.

Lange Zeit über – es schienen Monate zu sein – träumte er verwischte Träume, in denen er mit den Ballons in Mediwewa aufstieg, die Obeliskentexte las, Elena kennenlernte und ihr näher kam und sie liebte, Nachmittage im Park längs der Promenade in der Ortschaft Gidalha verbrachte, wo die Vögel sogar noch nach Einbruch der Dunkelheit sangen und die Luft nach Jasminblüten duftete von den Räucherbecken, die ihre schönsten Feriendüfte ausströmten.

Gelegentlich sprach er mit dem Doktor und mit seiner Pflegerin, aber es gab Unmengen kleinerer Verletzungen und Fälle zu behandeln, die viel ernster waren als sein eigener. Bar-Woten und Kiril waren beide auf der Insel, also verbrachte er den größten Teil seiner Zeit allein.

Tag und Nacht drang der Lärm von Nieten und Hämmern und Sägen an sein Ohr. Langsam erinnerte er sich, was geschehen war.

Zufällig bekam er mit, daß ein Drittel der Bevölkerung Golumbines, siebzehntausend Menschen, in den Wellen den Tod gefunden hatten. Die meisten der einheimischen Boote waren auf See vollgeschlagen oder an Land zerschmettert worden. Zwanzig Mannschaftsangehörige der Dreizack waren schwer verwundet worden, und drei waren tot.

Er schlief. Zwei Wochen lang führte er eine von allem losgelöste Existenz.

Schließlich kam der Tag, an dem ihm gestattet wurde, alleine zu gehen und sich an Deck zu begeben. Er blickte nach Norden. Dort war es immer noch grau, aber der Süden war hell und warm und einladend. Die Insel wirkte zerzaust, doch zugleich auch geschäftig und ernsthaft auf ihre Gesundung bedacht. Leute setzten die Docks und den Quai instand. In einem endlosen Strom schleppten lange Reihen von ihnen Kübel mit Ziegeln und Mörtel hierhin und dorthin. Steinmetze setzten Steine und verfugten sie. Nachts arbeiteten sie bei Fackelschein.

Der Geruch des Todes war beinahe verschwunden. Boote kreuzten immer noch im Hafen, fischten mit Schleppnetzen nach Leichen und brachten sie hinaus auf hohe See zum Tiefwasserbegräbnis. Der Großteil des Strandguts war geborgen worden, um Verwendung beim Bootsneubau zu finden. Nur ein paar wenige treibende Baumstämme stellten noch eine Gefahr für die Schiffahrt dar. Das Wasser war wieder von einem durchsichtigen Blaugrün.

Das Wetter hatte sich verändert. Die aus dem Norden wehenden Winde waren kälter, und jedermann auf der Dreizack wußte, das bedeutete nur eines. Der Obelisk, der sich einst hoch über Weggismarche und Pallasta und die anderen Länder unter den Bleichen Meeren erhoben hatte, war nicht mehr. Was das dem Herkunftsland der Dreizack angetan hatte, vermochte niemand zu sagen – aber zuversichtlich waren sie nicht.

Allein der Gedanke, daß ein Obelisk fallen konnte, war erschütternd. Hinzugenommen zu der besternten Nacht von vor neun Monaten, bedeutete es, daß fürderhin nichts mehr so sein würde, wie es gewesen war. Aber wie viele weitere Schicksalsschläge mochten sie noch treffen?

Kiril hatte seit zweieinhalb Jahren – seit der Verwandlung Elenas – gewußt, daß die Welt aus den Fugen geraten war. Das hier waren nicht die Anfänge, sondern eine Eskalation.

Die Dreizack benötigte eine Überholung, die wenigstens zwei Monate in Anspruch nehmen würde. In dieser Zeit wurde allen, die nicht unmittelbar mit den Reparaturarbeiten befaßt waren, Landurlaub gewährt, um auf der Insel zu helfen. Küstendörfer mußten von Grund auf neu erbaut werden und in einigen Fällen auch neu bevölkert.

Im Kielwasser der Katastrophe trauerte die Insel nicht länger. Stattdessen gewann frenetische Arbeitslust die Oberhand. Durch eine Laune des Geschicks waren jetzt mehr Männer als Frauen auf der Insel, im Verhältnis von ungefähr zwei zu eins. Das kollidierte nicht mit den Gepflogenheiten der Vergangenheit, da Vielmännerei eine gesellschaftlich anerkannte Praktik war. Aber es schuf eine ganze Reihe von Problemen für die Männer.

Kiril verbrachte die letzten Tage seiner Genesung, indem er die Insel bereiste, wandernd oder reitend auf den halb wiederhergestellten Straßen, und die Stellen besuchte, wo die Mannschaft der Dreizack beim Wiederaufbau half.

Er blieb zwei Tage lang in Mappu als Berater beim Wiedereinsortieren der religiösen Bibliothek. Am zweiten Tag saß er gerade mit einer Gruppe von Priesterinitianten inmitten eines Wirrwarrs aus Steinregalen und Schriftrollen und erläuterte das Verfahren, einen Karteikartenkatalog anzulegen, wobei er zwischen Teutanisch und bruchstückhaftem Golumbine hin- und herstolperte, als eine schwarzhaarige, umberhäutige Frau die Bibliothek betrat und befehlend mit den Fingern schnippte. Sie blickten alle auf, Kiril mit einem Stirnrunzeln. Die Frau trug ein Kleid nach Art eines Sari, das sie von den Knöcheln bis zur Schulter verhüllte. Ihr Gesichtsausdruck war mild und freundlich, und als sie sie ansprach, benutzte sie die landesüblichen Entschuldigungsworte, aber es war augenscheinlich, daß sie vollkommene Aufmerksamkeit von ihnen forderte.

Bei Anbruch der Abenddämmerung würde auf der Plaza, dem Ritualplatz Mappus, eine feierliche Gattenwahl beginnen. Alle noch nicht erwählten Männer waren aufgefordert, dort zu erscheinen. Mit einem ausdruckslosen Seitenblick auf Kiril fügte sie hinzu, daß Ausländer ebenfalls eingeladen seien. „Die Verpflichtung wird in jedem Falle nur eine zeitweilige sein“, erklärte sie ihm auf Teutanisch. Dann lachte sie, drehte sich graziös um und ging hinaus.

Das war das letzte, in was Kiril verwickelt werden wollte. Die Initianten summten vor Interesse; Spekulationen flogen hin und her. Es kostete ihn etliche Minuten, die Diskussion wieder zurück auf den Katalog zu lenken.

 

Bar-Woten und Barthel spazierten über den halb fertiggestellten Quai und charterten ein Taxi, das sie zur Plaza bringen sollte. Der Fahrer trieb sein Pferd mit wildem Gezisch an und schnalzte freigebig mit den Zügeln. So preschten sie durch eines der unzähligen verwinkelten Seitengäßchen Mappus, als sie Kiril erspähten. Sie befahlen dem Taxi, anzuhalten, und luden ihn ein, sich ihnen anzuschließen. Er war zu müde, um viel darüber nachzudenken, wohin sie eigentlich unterwegs waren. Er nahm an, sie seien auf dem Weg zum Abendessen. Also kletterte er in den Kutschwagen, und das Taxi rollte wieder los.

Die Plaza war ein weites, offenes, mit ockerfarbenen Steinziegeln gepflastertes Geviert mit einer tiefen kommunalen Zisterne in der Mitte und einer Schräge aus steinernen Sitzreihen an einer Seite. Vor Tausenden von Jahren war die Plaza der Schauplatz von Opfern gewesen, ob nun Menschen- oder Tieropfer, darüber sprachen die Golumbianer nicht gern. Jetzt diente sie als Zentrum bürgerschaftlicher Willensbildung, wenn hier der Rat der Insel zusammentrat.

Die Sitzreihen waren gefüllt mit lärmenden und schwatzenden Frauen, die in zeremonielle rotgoldene Überwürfe gekleidet waren; ihr Haar floß über ihre Schultern herab, und ihre Augen leuchteten hell vor innerer Beteiligung. Die Plaza war leer, aber Scharen besorgt und nervös wirkender Männer drängten sich zu beiden Seiten. Das Taxi entließ die drei am Rande der Plaza, und erst jetzt erkannte Kiril, daß sie nicht zum Abendessen unterwegs waren.

„Was sollen wir hier?“ fragte er ruhig. Bar-Woten grinste und sagte nichts. Zu müde, um großen Wirbel zu machen, stellte sich Kiril zu ihnen, gewillt, die Vorgänge zu verfolgen, aber nicht, daran teilzunehmen. Seine Rippen schmerzten immer noch ein wenig.

Der Spätnachmittag war immer noch warm und drückend schwül. Vögel zeterten im Dschungel jenseits der Begrenzung der Plaza. Ein hochgewachsener, ganz in Grün gekleideter Priester trat auf die Krone der Mauer, die den Brunnen umschloß, und bat mit lauter, klarer Stimme um Ruhe. Als er jedermanns Aufmerksamkeit hatte, verkündete er der Menge zu allen drei Seiten, daß die Wahl beginnen könne.

Matt versuchte Kiril, eine Spur moralischer Fehlerhaftigkeit in dem zu finden, was da vor sich ging, aber er vermochte es nicht. Er hatte in den letzten paar Wochen zu viel Leid und Elend in den Straßen Mappus gesehen, um den Menschen diese organische Erleichterung zu mißgönnen. Bangigkeit machte sich in der Menge breit, aber auch Freude und frohe Erwartung. Er konnte sich nicht vorstellen, was das Ergebnis sein würde – eine Abfolge ritueller Heiraten? Oder geplante Orgien, um eine neue, frische Flut von Kindern auszulösen? Es schien alles sehr entfernt. Er sah mit akademischem Interesse zu.

Die Männer auf der gegenüberliegenden Seite der Plaza traten vor und bauten sich vor den steinernen Sitzreihen auf, jeder zwei Schritte von seinem Nachbarn entfernt, um deutlich gesehen zu werden. Die erste Reihe der Frauen ging zwischen die Männer und unterzog sie einer scharfen Musterung, wobei sie untereinander zankten und haderten. Für einen Zuschauer war es nicht sehr erhebend. Alles in allem füllten an die sechstausend Menschen die Plaza, darunter zweimal so viele Männer wie Frauen.

Das Gezänk ging weiter bis zur Dämmerung. Fackeln wurden in Ständern längs der Plaza aufgesteckt, um den weiteren Fortgang der Prozedur ins rechte Licht zu setzen. Die Frauen trafen ihre Wahl aus der ersten Gruppe. Ungefähr dreihundert Männer gingen unerwählt wieder weg.

Golumbianische Priester nötigten sodann die zweite Gruppe, sich aufzustellen. Kiril fand sich in der Menge eingekeilt, etwas, worauf er nicht gefaßt gewesen war. Trotz seiner Proteste wurde er vorwärtsgestoßen. „Ich gehör’ gar nicht hierher“, sagte er, aber die Männer rings um ihn dachten, er versuche bloß, einen besseren Platz ganz vorne in der ersten Reihe zu finden. Sie lachten und ließen ihn nicht auskommen. Barthel und Bar-Woten waren längst in dem Geschiebe verschwunden, und er konnte sie nirgendwo entdecken.

Mit einem Achselzucken beförderte er seinen Umhang wieder hinauf über seine Schultern. Vergebliche Liebesmüh’! Es würde ihn sowieso keine wählen. Die Männer verstummten, als die Frauen begannen, zwischen ihnen hindurchzuschreiten. Die meisten Frauen lächelten Kiril zu, schenkten ihm aber nur wenig Aufmerksamkeit – er war von der Dreizack, kein Inselgeborener. Es war nicht weise, sich mit einem Seemann einzulassen.

Nach einer Stunde unter dem dunklen Himmel fühlte er sich seltsam niedergedrückt. Nur wenige Feuertauben waren zu sehen. Hellere würden in wenigen Minuten flackernd in seinen Gesichtskreis treten, und andere würden aufsteigen, aber im Augenblick war es dunkel bis auf den Fackelschein, der die Frauen leiten sollte.

Ein Mädchen, ein paar Jahre jünger als Kiril, blieb stehen und versuchte, sich mit ihm zu unterhalten. Es scheiterte kläglich. Er beherrschte die örtliche Mundart nur ungenügend, und sie wußte nichts auf Teutanisch zu sagen außer ein paar Artigkeiten. Sie musterte ihn frostig und schob sich weiter.

Gereizt und nervös trat er von einem Fuß auf den anderen und fragte sich, wann es wohl vorüber sein mochte. Seine Beine schmerzten, und seine Brust juckte unter den Verbänden.

Die nächste Frau, die ihn begutachtete, ignorierte er einfach. Er streckte den Arm aus, als sie ihn dazu aufforderte, blinzelte dann und schaute genauer hin. Sie sprach ein ausgezeichnetes Teutanisch. Es war die Frau, die die Ankündigung in der Bibliothek gemacht hatte. Ihre Zähne blitzten ihn an, und sie erkundigte sich, wie er sich fühle.

„Gut“, sagte er, und sein Mund wurde trocken. Sie musterte ihn von oben bis unten, so gründlich wie ein Arzt, aber weniger derb und gemein als die anderen Frauen. Schließlich nahm sie seine Hand und legte sie sich auf die Hüfte – das Zeichen, daß sie ihn erwählt hatte.

„Aber ich bin gar nicht im – im Wettbewerb“, sagte er.

„Komm mit mir.“

Er kam an Bar-Woten vorbei, der eine Augenbraue hob, dann breit grinste und tief in der Kehle grunzte.

„Verdammt mögt Ihr sein!“ flüsterte Kiril. „Holt mich hier heraus!“

„Ich bin Ual“, sagte die Frau. „Ich mag dich, weil ich glaube, daß du möglicherweise ganz schön patent bist. Bist du patent?“

„Stumpf wie ein Ochse“, sagte Kiril.

„Das glaube ich aber nun gar nicht“, sagte sie, und ihre Stimme hob sich zu einem hübschen Höhepunkt.

„Ich werde wieder auf’s Schiff müssen, also ist’s von vornherein zwecklos.“

Sie schüttelte den Kopf, oh nein, und plötzlich fand er sich bereit und willens. Irgend etwas zerriß einfach, und der Funke sprang auf ihn über, und sein Körper wurde warm, und er gewann Gefallen an der Berührung ihrer Hand.

„Du wirst sicher für eine Weile dienstfrei bekommen können“, sagte sie. „Außerdem arbeitest du ja jetzt sowieso hier.“

Sie verließen den Platz und folgten einer gewundenen, dunklen Straße durch Mappu. Hunderte von Feuertauben standen nun wie Leuchtinsekten droben am Himmel. Am liebsten hätte er sie jetzt und hier genommen, übermannt von einer wahnsinnigen Not, der er kaum Herr zu werden vermochte. Aber sie hielt seine Hand locker in der ihren und führte ihn durch ein Tor in einen Hof.

„Ich fühl’ mich nicht recht wohl“, ließ etwas ihn sagen. Sie lächelte zurück, und da wußte er, daß er log.