Kapitel 11

Der blaue Passat Combi, der am nächsten Morgen um die Ecke bog, schien noch weit entfernt zu sein. Oder war er aus einer Parklücke ausgeschert? Ganz genau konnte Frank es hinterher nicht mehr sagen. Jedenfalls meinte er, dass ihm noch genügend Zeit blieb, die Straße zu überqueren.

Womit er nicht gerechnet hatte, das war die unglaublich heftige Beschleunigung des Wagens. Als ob es das Auto direkt auf ihn abgesehen hatte – was natürlich lächerlich war.

Aber so lächerlich schien es dann doch nicht zu sein. Entsetzt starrte Frank auf den Passat, der tatsächlich auf ihn zuhielt, sogar die Spur wechselte und haarscharf hinter ihm vorbeizog, sodass er den Luftzug spürte. Gerade noch rechtzeitig rettete er sich mit einem Sprung auf den Gehweg, sah nur noch das Heck des Wagens. Vor lauter Aufregung war er nicht in der Lage, sich das Nummernschild zu merken.

Ein paar Meter weiter stand eine Bank unter einem Alleebaum. Frank ging darauf zu und setzte sich. Mit Erschrecken stellte er fest, dass seine Knie zitterten. „Der Wagen hätte mich glatt überfahren können“, murmelte er. „Sollte das vielleicht ein sportlicher Fahrstil sein?“

Er schüttelte verwundert den Kopf über die heutigen Autofahrer.

Oder ... durchzuckte es ihn, war das vielleicht ein Anschlag auf mich? Wollte mich jemand in einen Unfall verwickeln? Aber wozu? Und wer sollte so etwas tun?

Er ging die Liste seiner Bekannten durch und stellte sich die Gesichter der Patienten vor, die er in letzter Zeit gepflegt hatte. Gab es da jemanden, der irgendwie sauer auf ihn war?

Ihm fiel niemand ein.

Oder sollte ...

Nein! Unmöglich!

Und doch – warum nicht? Er hatte ja im Treppenhaus gehört, wie die „alte Freundin“ zu Melvin so etwas gesagt hatte, wie: „Vielleicht kommt er gar nicht vom Fernsehen?“

Angenommen, Melvin wäre unauffällig hinter ihm hergegangen, hätte ihn bis zum Bahnhof verfolgt, wäre in denselben Zug gestiegen, wäre Frank bis nach Hause nachgegangen, wusste also, wo er wohnte. Er hätte die „alte Freundin“ angerufen, sie wäre mit dem Wagen gekommen, hätte in der Nähe geparkt ...

Aber das erschien Frank so fantastisch, dass er mit dem Kopf schüttelte. So etwas passierte doch nur in Filmen, aber nicht in der Realität.

Er stand von der Bank auf und ging weiter.

Auf der anderen Seite – würde das nicht beweisen, dass Melvin der Mörder war? Er hatte Angst bekommen, weil man auf ihn aufmerksam geworden war? Und nun wollte er diesem Amateurdetektiv Frank Linde einen gehörigen Schrecken einjagen.

Möglich ...

Also: Aufpassen beim Überqueren der Straße!

Und wenn er der Polizei etwas davon erzählte?

Er schüttelte wieder den Kopf. Nein, das ginge nicht. Bis jetzt konnte er nichts beweisen, und außerdem müsste er dann zugeben, dass er auf eigene Faust Nachforschgungen bei den Hausbewohnern angestellt hatte.

Verzwickt, das Ganze! Er hatte nicht damit gerechnet, dass sich das so entwickeln würde

Eine Straße weiter gab es ein großes Elektrogeschäft mit einer CD- und DVD-Abteilung. Er stöberte in den Regalen und fand tatsächlich, was er gesucht hatte: „Paris, Texas“ stand auf der DVD-Hülle.

Als er wieder draußen stand und sich anschickte, die Straße zu überqueren, blickte er sich zuerst aufmerksam um. Erst dann ging er zügig hinüber.

Nichts passierte.

Plötzlich kam ihm eine Idee. Er öffnete eine Telefonzelle, blätterte in dem zerfledderten Buch, schrieb sich drei Nummern auf und rief sie nacheinander an. Zu seiner Wohnung ging er gar nicht erst hinauf, sondern stieg gleich in seinen Golf und hielt zehn Minuten später vor einem großen Gebäudekomplex an dessen Wand mit großen Buchstaben: „Haus Eichengrund – Senioren- und Pflegeheim“ stand.

An der Rezeption stellte er sich als Schwiegersohn von Frau Arth vor und erkundigte sich nach der Zimmernummer der alten Dame.