Nach-Sicht und Weit-Blick
»Das Hemd ist einem näher als der Rock«, sagt das Sprichwort. Und das ist wahr. Doch wer nur das Nächste sieht, wird bald das Nachsehen haben. Das lehrt alle Erfahrung. In einer unübersichtlich gewordenen Welt, in der uns das Ferne täglich nahegerückt wird, gilt es, das umgrenzte eigene Revier in Ordnung zu bringen, in Ordnung zu halten, und zugleich die Rückwirkungen globaler Prozesse zum Guten zu wenden. Dass möglichst jeder ein Leben in Würde führen kann, muss Ziel allen Strebens bleiben. Was uns gemeinsam trägt, kann nur das sein, was jeden Einzelnen trägt, prägt und bindet. »Was gut ist für alle und zugleich dem Einzelnen gut tut« wäre eine brauchbare Lebensmaxime.
Gerade in einer entgrenzten Welt ist die Orientierung auf eine regionale und nationale Identität wichtig, die sich nicht gegen andere richten darf, richten muss und richten braucht. Nichts wäre fataler als die direkte oder indirekte Aufforderung, sein eigenes Land nicht zu lieben oder lieben zu dürfen. Wir Deutschen tun gut daran, dass wir uns auf die großen, beachtenswerten, Respekt gebietenden humanen Traditionen und Leistungen von Deutschen zurückbeziehen, um daraus geistige Impulse, auch Kraft zu schöpfen – ohne jede Überheblichkeit, aber mit Dankbarkeit, als Teil der Menschheit. Es ist aller Ehren wert, sein eigenes Land zu lieben und zugleich andere Länder, fremde Menschen, ferne Kulturen zu achten. Wenn wir unsere Identität nicht positiv suchen, überlassen wir nationale Emotionen einer rechten »Denke«, die mit einer Gefühlswalze in uns schlummerndes nationalistisches Gedankengut wieder zu erwecken sucht und inzwischen damit weit mehr Bürger erreicht als jene, die rechtsradikal wählen. Nichts wäre jedoch unangemessener |166|und für die Zukunft gefährlicher, als uns den Abgründen deutscher Geschichte nicht zu stellen. Das eine relativiert das andere nicht. Es gehört zusammen, obwohl es eigentlich nicht zusammenpasst.
Als Bürger eines toleranten, eines solidarischen, eines friedlichen und eines selbstbewussten Landes zeigen wir uns, wenn wir Übereinstimmung darüber erlangen, von welcher Vergangenheit her wir uns definieren, was uns als Vergangenheitsschutt geblieben ist und was uns fernerhin wirklich »etwas wert ist«, worauf wir stolz sein können, wofür es sich lohnt, sich – gemeinsam – einzusetzen und wie wir ohne Illusionen gemeinsam unsere Zukunft gestalten können.
Vielleicht mit einer neuen Bescheidenheit, mit einer neuen Demut, mit einer neuen Einfachheit erneut nach dem Sinn suchen, weil die bloßen Zwecke das Leben nicht erfüllen können. Die bloß individuelle und spirituell fokussierte Frage nach dem inneren Reichtum wird nur zu sinnvollen Resultaten führen, wenn zugleich die Frage nach der Verteilung des zur Verfügung stehenden sozialen und materiellen Reichtums gestellt wird. Die Verteilungsfrage darf im real existierenden Kapitalismus weder tabuisiert noch den Apologeten des Neoliberalismus überlassen werden. Dazu aber bedarf es ganz neuer nationaler und internationaler Verbünde, entschlossener Koalitionen von Gewerkschaften, Kirchen sowie von all jenen, die nicht dulden wollen, dass sich die Welt in Gewinner und Verlierer teilt. Auf jeden kommt es an, auf alle kommt es an. Auf Sie kommt es an.
Lieb dein Land
Schwarz-Rot-Gold im Sommer 2006, wohin das Auge schaute, als ob wieder ein Einheitsrausch anstünde. Der Fußball war »Zu Gast bei Freunden«, die Gastgeber wollten allzu gern gewinnen und außerdem als Ausrichter einen gewinnenden Eindruck hinterlassen. Das ist gelungen. Fröhliche Fans, ein ganzes Volk angesteckt. Eine archaische Sehnsucht nach Zusammengehörigkeit, |167|nach Nationalität, nach einem großen WIR hat sich auf eine gänzlich unpolitische und kaum aggressive Weise wieder gemeldet. Wir stehen zu »unseren Jungs«, sie stehen für uns ein; aber das richtet sich nur in einem sportlichen Sinne gegen andere.
Die deutschen Fußballer als »Weltmeister der Herzen«. Warum auch nicht? Wo gibt es noch solch öffentlich gezeigte, gemeinschaftsstiftende Emotion?
Deutschland scheint in der Normalität des Nationalbewusstseins und des Nationalstolzes anderer Völker wieder angekommen zu sein. Solche Sätze waren im Sommer 2006 in Deutschland und bei unseren Nachbarn überall zu hören. Auf Nachfrage hat sich die Begründung bei den Fahnenschwenkern für Deutschland indes als ziemlich hohl erwiesen. Und es ist nicht von der Hand zu weisen, was sofort als Political Correctness bespöttelt worden ist: dass nationalistische Selbstüberhebung und Verachtung anderer Völker, Übergriffe gegen Fremde leichter weckbar als wieder eindämmbar sind. Nicht umsonst wurden immense Sicherheitsvorkehrungen getroffen und »No-go-areas« ausgerufen. Der Innenminister hatte Vorsorge getroffen, um – notfalls mit Panzern – gegen terroristische oder nationalistische Gewaltakte vorzugehen.
In welchen Begriffen, Personen, Ereignissen, Zeilen, Symbolen finden wir uns als Deutsche gern wieder, ohne dass bei anderen wieder böse Erinnerungen wach werden?
Schwarz-Rot-Gold – das sind die Farben der deutschen Demokratie! Aber mit welchem Nationallied sollen Menschen in größeren Mengen und bei feierlichen Anlässen ihrem Nationalgefühl Ausdruck geben? Man erinnere sich, wie das Lied Hofmann von Fallerslebens »Deutschland, Deutschland über alles« aus der Sehnsucht nach der Einheit des zersplitterten Landes hervorgegangen war und das Wort »Deutschland« sich über die partikularen Interessen der einzelnen Landesteile setzen sollte.
Die Suche nach neuen Nationalsymbolen führte nach dem Ersten Weltkrieg zu erheblichen Auseinandersetzungen, bis der erste Präsident der Weimarer Republik, Friedrich Ebert, am 11. August 1922 zum Verfassungstag erklärte: »Wir wollen |168|keinen Bürgerkrieg, keine Trennung der Stämme. Wir wollen Recht. Die Verfassung hat uns nach schweren Kämpfen Recht gegeben. Wir wollen Frieden. Recht soll vor Gewalt gehen. Wir wollen Freiheit. Recht soll uns die Freiheit bringen. Wir wollen Einigkeit. Recht soll uns einig zusammenhalten. So soll die Verfassung uns Einigkeit, Recht und Freiheit gewährleisten. Einigkeit und Recht und Freiheit! – dieser Dreiklang aus dem Liede des Dichters gab in Zeiten innerer Zersplitterung und Unterdrückung der Sehnsucht aller Deutschen Ausdruck; er soll auch jetzt unseren harten Weg zu einer besseren Zukunft begleiten … es soll auch nicht dienen als Ausdruck nationalistischer Überhebung. Aber so wie einst der Dichter, so lieben wir heute ›Deutschland über alles‹. In Erfüllung seiner Sehnsucht soll unter den schwarz-rot-goldenen Farben der Sang von Einigkeit und Recht und Freiheit der festliche Ausdruck unserer vaterländischen Gefühle sein.«
Friedrich Ebert hatte also damals schon insbesondere die dritte Strophe im Auge, während sehr bald die Nazis nur die erste Strophe in einer militärischen Rhythmik singen und spielen ließen und seit dem 30. Januar 1933 stets in Verbindung mit dem Horst-Wessel-Lied:
Die Fahne hoch! Die Reihen fest geschlossen.
SA marschiert mit ruhig festem Schritt.
Kam’raden, die Rotfront und Reaktion erschossen,
Marschieren im Geist in unseren Reihen mit.
Der Alliierte Kontrollrat hatte das Singen des »Deutschland-Liedes« 1945 untersagt, weil man darin einen Ausdruck des deutschen Ungeistes sah. Bei den Deutschen selbst war dieses Lied nach der Katastrophe dennoch populär geblieben. In den Debatten um eine Nationalhymne für die Bundesrepublik Deutschland unterlag schließlich Bundespräsident Theodor Heuss Kanzler Konrad Adenauer. Bei staatlichen Anlässen wurde seit 1952 wieder die dritte Strophe von Hoffmann von Fallersleben gesungen. Freilich wurde dabei stets die schwarz-rot-goldene Fahne gehisst.
|169|In der DDR stellte sich die Frage nach einer möglichen Übernahme dieses Liedes überhaupt nicht. Dort wurde Johannes R. Bechers Text »Auferstanden aus Ruinen …« mit der Musik von Eisler zur Hymne bestimmt. Die Schwülstigkeit des Textes wie der Melodie fanden durchaus Annahme, gaben sie doch ein verbreitetes Lebensgefühl wieder: Die Trümmer liegen hinter uns, und wir gehen mit Optimismus an die Gestaltung einer neuen Gesellschaft, in der »nie mehr eine Mutter ihren Sohne beweint«. Allerdings ließ sich das Bekenntnis »Deutschland, einig Vaterland« mit dem Mauerbau und der Zweistaatentheorie als endgültiger Lösung der deutschen Frage nicht vereinbaren. Der Text wurde deshalb seit Anfang der siebziger Jahre nicht mehr gesungen.
Die Mehrheit der Bundesbürger kann sich heute mit der dritten Strophe des »Deutschland-Liedes« identifizieren, selbst wenn diese Mehrheit den Text nicht mehr sicher beherrscht. Bei einigen emotional besetzten Anlässen, vor allem, als sie bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1990 gespielt wurde, klang für deutsche Siege immer noch die erste Strophe mit.
Brechts »Kinderhymne« entstand 1950 als Gegenlied zum Deutschlandlied und trug zunächst den Titel »Hymne« oder »Festlied«. Der anspielungsreiche Text ist von einem völkerverbindenden Pathos geprägt, ohne die Liebe zum eigenen Land zu verleugnen. »Deutschland, Deutschland über alles« setzt er das nüchterne »ein gutes Deutschland« oder »ein gutes Land« entgegen, dem er durchaus Blühen wünscht, aber zugleich wird unmissverständlich betont, wie Deutschland sich künftig im Konzert der Völker verhalten wolle.
Und nicht über und nicht unter
Anderen Völkern woll’n wir sein
…
Und das Liebste mag’s uns scheinen
so wie andern Völkern ihrs.
Jeder mag das eigene Land für das liebste halten. Bundespräsident Johannes Rau hatte immer wieder eine eingängige Formel |170|wiederholt: »Patriot ist einer, der sein Vaterland liebt; Nationalist ist einer, der andere verachtet.«
In seiner politischen Nüchternheit setzt sich Brechts Text zugleich von der Schwülstigkeit des Becher’schen Textes ab. Brecht gelingt es, die leidvollen Erfahrungen anderer Völker in die eigene Nationalhymne zu integrieren.
Dass die Völker nicht erbleichen
wie vor einer Räuberin.
Eine politische Utopie schließt er unmittelbar an:
sondern ihre Hände reichen
Uns wie anderen Völkern hin.
Und – 1950! – die politisch bejahte Entscheidung über die künftigen deutschen Nachkriegsgrenzen, statt Elbe bis Memel:
Von der See bis zu den Alpen
von der Oder bis zum Rhein.
Schließlich sei auf den nicht so eingängigen Eingangsdoppelvers verwiesen, in dem er Leidenschaft und Verstand, Anmut und Mühe zusammenzubringen versteht; daran soll man wahrlich nicht sparen, aber eben mit Leidenschaft und Verstand, mit Verstand und Leidenschaft.
Es täte unserer Nation im vereinten Europa gut, wenn wir diesen Brecht’schen Text mit voller innerer Überzeugung künftig singen könnten!
Wer mit offenen Augen durch Deutschland fährt und sich eine Empfindung für die Schönheit bewahrt hat, kann nur staunen, in welch einem wunderschönen Land wir leben, und mag sich blinzelnd vorstellen, wie es aussähe, hätten wir nicht diesen furchtbaren Krieg vom Zaune gebrochen.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ein kleiner Vers, den ich 1983 formuliert und in den Schaukasten des Lutherhauses in Wittenberg gehängt hatte, sofort für Wirbel sorgte und zu einer Demarche des Abteilungsleiters für Kirchenfragen führte: |171|Entweder dieser Text kommt sofort raus oder der Schaukasten kommt ab.
In Kinderliedmanier hatte ich damals für meine Freunde zum Jahreswechsel geschrieben
Lieb dein Land.
Brich die Wand.
Verbind das Leid.
Such, was eint.
Und sag es weiter.
»Lieb dein Land« war die trotzige Behauptung, dass dieses Land unser Land, nicht das Land der nicht legitimierten Kommunisten ist, dass man es nicht verlässt, weil es liebenswert ist und weil man es jenen nicht überlassen will, die es – mit einer sogenannten »historischen Gesetzmäßigkeit« folgenden Politik – für sich beanspruchen.
»Brich die Wand« interpretierte die Staatsmacht sofort als Aufforderung, die Mauer, jenen »Antifaschistischen Schutzwall«, zu durchbrechen. Natürlich! 1983! Ich hatte alle zwischen Menschen, Parteien und Ideologien, aber auch zwischen Völkern und Blöcken aufgerichteten Wände im Sinn gehabt. Wir hatten in jenem Jahr den Vers »Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen« (Psalm 18,30) erst entdeckt.
»Verbind das Leid« zielte auf die Versöhnung zwischen Verfeindeten, auf die Sorge um Leidtragende in einer Zeit, in einer Gesellschaft, in der einen Welt.
»Such, was eint«, wurde von den Zensoren sofort als Aufforderung, nach der deutschen Einheit zu streben, verstanden. Sicher war dies von mir auch intendiert, aber nicht an erster Stelle. Vor allem sollten die Worte als Aufruf verstanden werden, die sogenannten »antagonistischen Widersprüche« nicht hinzunehmen, das Einende und nicht das Trennende zu suchen.
Sein Vater-Land zu lieben heißt auch, seine Mutter-Sprache zu lieben. Unsere schöne deutsche Sprache verdient und braucht Pflege. Sie droht zu verarmen; Schönes, Tiefes, Wunderbares, Begeisterndes, Bereicherndes, Berührendes, Erheiterndes, Köstliches, Erhabenes, Aufrüttelndes und zu Herzen Gehendes wird z. B. weithin auf »cool«, »total gut« oder gar »geil« reduziert.
Die vom Goethe-Institut initiierte Suche nach dem »Schönsten deutschen Wort« war – so absurd das auf den ersten Blick erscheint – ein wertvoller Beitrag zur Sprachpflege und zum Bewusstwerden vieler Muttersprachler für das Schöne, Reiche und Klangvolle unserer Sprache.
Auf meiner Suche nach dem schönsten deutschen Wort habe ich beide Hände voll zu tun; körbeweise sammle ich sie ein.
Worte ziehen Worte nach sich, an sich, zu sich. Worte stiften Sinn und entfalten sich im Gesang der Sprache. Ich wäge sie, werfe sie in die Luft, sitze staunend vor ihnen, murmele sie vor mich hin, höre ihnen nach, betaste sie rundum, ergründe ihren Ursprung. Und dann kaue ich sie. Jedes für sich. Ja, sie schmecken, je länger ich sie kaue, richtig durchkaue. Da erschließen sie mir ihre Geschmacksbreite. Welch ein Reichtum an Konnotationen tut sich auf (so nennen das die Sprachwissenschaftler).
Ich beginne mit dem Wort »Du«. Du. Du. Du. Martin Buber hat eine ganze Philosophie um diese zwei Buchstaben gebaut. Dialogisches Prinzip nennt er das.
Was wäre Ich ohne das Wort Du. Was ohne mein Du und was ohne dein Du?
Die zusammengesetzten Worte haben es mir angetan, jene in andere Sprachen kaum übersetzbaren Doppel-Dreifach-Vierfach-Dingworte. Vom Heideröslein über das Fahrrad bis zum Friedensreich. Der Augenblick, die Himmelsschlüssel, das Ährenfeld. Der Honigmund, der Handkuss, das Briefgeheimnis, auch die Herzenswärme samt Verstandeskühle. Die Tiefenschärfe, der Grundton, der Mutterboden. Das Sonnenlichtflimmern, das |173|Weihnachtsbaumschmuckkästchen, die Erntewagenleitersprosse. Verschwiegen seien nicht die bürokratischen Ungeheuer wie die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die Lernmittelkostenentlastungsverordnung, das Aufenthaltsgenehmigungsformular und der Eierschalensollbruchstellenverursacher.
Mein liebstes Wort ist Freimut. Eindeutig. Der Mut zur Freiheit. Die unbefangene Offenheit. Die überwundene Angst. Das geläuterte Selbstbewusstsein. Freimut, flankiert von Demut und Sanftmut. Jedenfalls der Mut, man selbst zu sein, unermüdlich zu trotzen ohne Trotz.
Frei-Mut = befreiender Mut und befreiter Mut. Ein Wort, das ich brauche – täglich wieder! –, das sich nicht abnutzt, an dem ich mich aufrichte, jetzt, da ich es ausspreche.
Und dann laufe ich durch meine Alltage: Im Frühlingsrauschen, durch die Sommerfrische, bis zur Herbstfärbung und in die Wintergrüne.
Ich komme wieder an im Augen-Blick und gewinne Frei-Mut.
Christlicher Patriotismus
Die Inschrift »Für Gott und Vaterland« findet sich auf vielen alten Kriegerdenkmälern. Die Symbiose von Volk Gottes und Volk hatte nicht nur in deutscher Tradition verheerende Wirkungen. Kirche wollte Volkskirche sein. Und Christen teilten die Verblendung der großen Mehrheit der Deutschen, als die Wertschätzung des eigenen Volkes ins Völkische abglitt. Aus der biblischen Trias »ein Gott, ein Glaube, eine Taufe« konnte gar politisch »ein Volk, ein Reich, ein Führer« werden.
Patriot zu sein hieß lange Zeit, alle Kräfte für sein Vaterland in Gehorsam gegen die jeweilige Obrigkeit einzusetzen, öfter auch, eine Höherstellung des Deutschen zu beanspruchen. In Deutschland ist Patriotismus – abgesehen von den Befreiungskriegen gegen Napoleon – zunächst an die vielen größeren oder kleinen Königreiche, Kurfürstentümer oder Herzogtümer gebunden gewesen, also an Bayern, Sachsen, Hessen, Preußen etc.
|174|Einen großen, bisweilen mythisch überhöhten nationalistischen Schub erfuhr Deutschland, als das deutsche Kaiserreich nach dem Sieg über Frankreich mit »Blut und Eisen« neu gegründet wurde.
Unsere Kirchen feierten bis 1918 stets feierlich den Sedan-Tag, den Tag deutschen Sieges und französischer Niederlage. Von der Reichsgründung in seiner kleindeutschen Variante her datiert der verheerende Nationalismus des 19. Jahrhunderts, verbunden mit der Abwertung anderer Nationen – bis hin zur rassistisch-nationalistisch-chauvinistischen Ideologie des Nationalsozialismus.
Wir Deutsche können und dürfen nicht mehr von dem Zivilisationsbruch, der von unserem Volk ausgegangen ist, absehen. Die Erinnerung an das sogenannte »Tausendjährige Reich« und seine Verbrechen darf jedoch nicht »alles Deutsche« diskreditieren. Wir können uns mit guten Gründen auf positive deutsche Traditionen zurückbesinnen. Wer sich redlich erinnert und Mitverantwortung für die Vergangenheit nicht abschiebt, wird positiv von unserem Volk reden und sich mit einer bestimmten Dankbarkeit, ja vielleicht auch mit »Nationalstolz« auf deutschstämmige Persönlichkeiten beziehen, die Großes für unser Volk und für die Menschheit geleistet und das Weltkulturerbe bereichert haben. Ich nenne hier nur wenige Beispiele: die Musik von Bach und Brahms, die Dichtkunst Goethes und Heines, Thomas Manns und Bert Brechts, die Entdeckungen Wilhelm Röntgens oder Max Plancks.
Ein geläuterter Patriotismus tut Menschen gut. Solange man die anderen Völker achtet und ihnen zugesteht, dass auch sie stolz auf ihre Heimat sind, bedeutet Patriotismus nichts anderes als positive Verankerung in einer Herkunft, die Besonderheit und Einmaligkeit des eigenen Volkes zu erkennen und Respekt oder gar Bewunderung für die anderen aufzubringen.
Patriot ist, wer alles dafür tut, Krieg von seinem Vaterland abzuwenden und den Krieg gegen andere Vaterländer zu verhindern. Patriot ist, wer sich stets aller patriotisch-militärischen Stimmung verweigert, die im Konfliktfalle stets zu bedrohlicher |175|Gleichschaltung des Denkens und Fühlens ausartet – eben auch in freien, demokratisch verfassten Nationen.
Der Prophet Jesaja warnte vor all jenen, die nicht sehen wollen, obwohl sie sehen können, und die nur hören wollen, was angenehm ist, all das schauen, was das Herz begehrt (Jesaja 30, 10). Statt sich innerlich auf Frieden vorzubereiten und mit innerster Kraft auf Frieden hinzuwirken und zu hoffen, sagen sie: »Nein, sondern auf Rossen wollen wir dahinfliegen.« Da prophezeit ihnen der Prophet: »darum werdet ihr dahinfliehen. Da sie sagen: »Und auf Rennern wollen wir reiten«, prophezeit er ihnen: »Darum werden euch eure Verfolger überrennen.«
Patriot ist einer, der sich zunächst für das Wohl seines Landes einsetzt, der gleichzeitig als Internationalist in der einen Welt darauf hinwirkt, dass Artikel 1 des Grundgesetzes für alle Menschen in der Welt gelten möge. »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Auch wem eine europäische oder weltbürgerliche Perspektive wichtiger ist, der wird seine Herkunft nicht leugnen, sondern sie in Größeres einbringen.
Erst recht sollte das für Christen gelten. Denn in Christus sind sie alle eins, nicht mehr Jude oder Grieche, Sklave oder Freier, Mann oder Frau. Christen sind in diesem Sinne ganz Universalisten, keine Patrioten, für die Nation oder gar Blutsbande entscheidend wären – doch immer mit dem Vorbehalt: »Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.« (Hebräer 13, 12–14) Das Reich Gottes bleibt eine alle menschlichen Reiche, Nationen oder Herkünfte transzendierende Größe. Das meint Ökumene!
Mitglieder der Bekennenden Kirche – voran Dietrich Bonhoeffer – stellten die Rechtmäßigkeit des Eroberungs- und Vernichtungskrieges des Nazizregimes infrage. Doch Frieden höher zu schätzen (und dem Krieg selber den Krieg zu erklären) als das Vaterland, das im Krieg steht und jeden Mann brauche, dazu verstanden sich nur ganz wenige, einzelne Christen. Bereits 1934 hatte Dietrich Bonhoeffer formuliert: »Friede soll sein, weil Christus in der Welt ist. Die Kirche Jesu Christi lebt zugleich in allen Völkern, doch jenseits aller Grenzen völkischer, |176|politischer, sozialer, rassischer Art…« Ein Konzil des Friedens solle »den Frieden Christi aus[zu]rufen über die rasende Welt.« Das war Bonhoeffers Stimme gegen eine völkisch-nationalistisch verirrte Kirche. Er entwickelte einen Patriotismus des Widerstandes. Er stellte die jahrhundertealten Theorien des sogenannten gerechten Krieges infrage und warf fast als Erster (seit der Zeit Kirchenvaters Tertullian im 2. Jahrhundert) die Frage nach der Wehrdienstverweigerung aus dem Geist Christi auf, so, wie das die Quäker jahrhundertelang getan hatten.
Niederlage – Befreiung – Neubeginn
Der 8. Mai 1945 ist ein großer und zugleich tragischer Tag für unser Volk – alles in allem ein glücklicher Tag der deutschen Geschichte, weil er das Ende unseres dunkelsten Kapitels bedeutete. Unsere schönen Städte in Schutt und Asche, unsere deutschen Tugenden so missbraucht, das Denken der großen Mehrheit so nazifiziert. Das Leid, das wir anderen zugefügt hatten, war auf uns zurückgeschlagen. Durch eine demütigende Niederlage waren wir als Volk gezwungen, den unvorstellbaren Verbrechen ins Auge zu sehen, die von uns ausgegangen waren. Aber wir bekamen die Chance zu einem Neubeginn. Und wir haben sie genutzt. Heute sind wir als demokratischer Staat wieder Teil der Völkergemeinschaft.
Zweimal musste die bedingungslose Kapitulation unterschrieben werden – am 7. Mai ’45 in Reims und am 8. Mai in Berlin-Karlshorst. Vierzig Jahre blieb unser Land geteilt. Wir tragen noch an den Folgen dieser Trennung. Aber was ist das im Vergleich zu dem, was wir überwunden haben?!
Der 8. Mai 1945 wurde in der DDR offiziell als »Tag der Befreiung« bezeichnet; dieser Tag war bis 1974 sogar ein Feiertag. Unter sich sprachen die Menschen meist von »Zusammenbruch«. In der SBZ klang »Befreiung« angesichts der Reparationen ironisch.
|177|In der Bundesrepublik hatte der 8. Mai lange die Konnotation von Kriegsende, Niederlage, »Stunde null«, Untergang des deutschen Nationalstaates, bis Richard von Weizsäcker 1985 klare Worte fand, die unsere Erinnerungskultur in West und Ost nachhaltig prägten: »Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Niemand wird um dieser Befreiung willen vergessen, welche schweren Leiden für viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertreibung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherrschaft, die zum Kriege führte. Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen … Wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen. Jüngere und Ältere müssen und können sich gegenseitig helfen zu verstehen, warum es lebenswichtig ist, die Erinnerung wachzuhalten. Wir können des 8. Mai nicht gedenken, ohne uns bewusst zu machen, welche Überwindung die Bereitschaft zur Aussöhnung den ehemaligen Feinden abverlangte. Es gab keine ›Stunde null‹, aber wir hatten die Chance zu einem Neubeginn. Wir lernen aus unserer eigenen Geschichte, wozu der Mensch fähig ist.«
Bereits im Januar 1940, als alle deutschen Städte noch heil waren und die berauschenden Siege der Wehrmacht noch bevorstanden, fragte sich Thomas Mann, was aus Deutschland nach Kriegsende werden würde. Es sei unmöglich, zwischen bösen Nazis und guten Deutschen zu unterscheiden. »Das unselige deutsche Volk wird mit all seiner Intelligenz und Lebenskraft« für das Regime kämpfen und »nicht von ihm loslassen, ehe ihm selbst der Atem ausgeht«. Thomas Mann sollte Recht behalten.
Der britische Außenminister Eden erklärte im Mai 1942: »Die Wurzeln des deutschen Militarismus müssen zerstört werden, und zwar durch die Deutschen selber. Je eher umso besser. Solange sich die Deutschen nicht selbst vom deutschen Militarismus befreit haben, so lange werden die Engländer und ihre |178|Verbündeten unter Waffen bleiben, um einen Dritten Weltkrieg zu verhindern … Deutschland könnte morgen Frieden haben, wenn es sich selbst von Hitler und dem Militarismus befreit – einen Frieden in Freiheit und in Gerechtigkeit.«
Das Naziregime hielt bis zuletzt an der perversen Demagogie vom zu verteidigenden »Abendland« fest. Am 18. April ’45 hieß es im »Völkischen Beobachter« angesichts der Offensive der Roten Armee an der Oder: »Im Osten entscheidet sich deshalb in diesen Tagen oder Wochen unerbittlich und unwiderruflich das Geschick des Abendlandes. Hier kämpft Europa in einer Front mit allen seinen großen Geistern der Vergangenheit. Hier steht das antike Griechenland wieder bei den Thermopylen und bei Salamis in seinem Entscheidungskampf gegen den persischen Osten. Hier steht Rom wieder gegen die orientalische Welt Karthagos auf. Hier kämpft das Europa der Völkerwanderung gegen den Hunnensturm …«
Welche furchtbaren Kämpfe wurden noch auf den Seelower Höhen und in Berlin geführt, bei denen 300 000 Sowjetsoldaten ihr Leben lassen mussten. Und in Halbe liegen abertausende deutsche Soldaten begraben. Heute ist dieser Ort ein bevorzugter Anlaufpunkt für Neonazis und Ewiggestrige.
Wir Deutschen mussten als Land und Volk besiegt werden. Deutschland wurde besetzt – zu seinem eigenen Vorteil. Wir mussten sowohl der Niederlage wie den Verbrechen ins Auge sehen, die von Deutschen und in deutschem Namen angerichtet worden waren, in ganz Europa.
In der US-Direktive JCS 1067 steht: »Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als ein besiegter Feindstaat. Ihr Ziel ist nicht die Unterdrückung, sondern die Besetzung Deutschlands, um alliierte Absichten zu verwirklichen. Das Hauptziel der Alliierten ist es, Deutschland daran zu hindern, je wieder eine Bedrohung zu werden.«
Das wurde erreicht – im Verlauf von Jahrzehnten.
Wer vom 8. Mai 1945 spricht, muss sich zuallererst der schmerzhaften Tatsache stellen, dass sechs Millionen jüdische Deutsche und europäische Juden fabrikmäßig vernichtet wurden. |179|Und er muss von den ungeheuren Opfern sprechen, die die Völker gebracht haben, etwa die Polen und die Völker, die zur damaligen Sowjetunion gehört haben.
Man kann nicht über den 8. Mai und seine Folgen nachdenken, ohne sich zu erinnern, welche Rassenideologie, welche »Volk-ohne-Raum«-Demagogie das NS-System verbreitete. Am »deutschen Wesen« sollte die Welt genesen, und die Volksgemeinschaft hat »den Führer« in einer totalitären, politischen Unio mystica bedrohlich-rauschhaft vergötzt. Es bleibt schwer begreiflich, wie unser Volk so verblendet sein konnte und das Regime bis zum Schluss begeistert oder abgeduckt-angstvoll mitgetragen und mit »Tapferkeit vor dem Feind« bis zuletzt verteidigt hat. Viele jüdische Deutsche hatten sich einfach nicht vorstellen können, dass dieses Volk, zu dem Bach und Beethoven, Mozart und Brahms, Schiller und Goethe, Herder, Fontane und Thomas Mann, Kant und Hegel gehören, zu einem solchen Zivilisationsbruch kommen konnte. Wie auch?
Die meisten Deutschen hatten sich vom Nazismus infizieren lassen. (Wer wollte im Juni 1940 beim Fall von Paris nicht »patriotisch« empfinden?!) Einige behielten Klarsicht und Einsicht, Mitgefühl und Mut – wie Sophie und Hans Scholl, wie Georg Elser, Dietrich Bonhoeffer und Propst Lichtenberg, wie der Kreisauer Kreis und die »Rote Kapelle«, wie Graf Stauffenberg und Graf Schwerin … und jene, die keinen großen Namen haben, wie z. B. die Märtyrer, an deren Schicksale in der Kapelle in Xanten erinnert wird. Diese wenigen Widerständler müssen uns nicht als Ikonen, schon gar nicht als Selbstrechtfertigung, sondern als eine Verpflichtung wichtig bleiben – uns als einer Nation, von der Goethe einmal (ausgerechnet während der Zeit der Preußischen Freiheitskriege) notierte: »Ich habe oft einen bitteren Schmerz empfunden bei dem Gedanken an das deutsche Volk, das so achtbar im Einzelnen und so miserabel im Ganzen ist.«
Jeder kann dazu beitragen, dass man diesen Satz umkehrt: Die Deutschen sind im Ganzen achtbar, auch wenn es im Einzelnen miserable Leute gibt. Wie überall.
|180|Freilich muss auch gesagt werden, welche Opfer der von Deutschen angezettelte Krieg Deutsche gekostet hat. Viele hatten alles verloren – 12 Millionen Ostpreußen, Pommern, Schlesier, Sudentendeutsche gar ihre Heimat. Eine Bauernfamilie aus Schlesien, die für den Überfall auf Polen mit dem Verlust ihrer Heimat büßte, wird von dem sprechen, was sie erlebt und erlitten hat. Viele deutsche Frauen wurden von verrohter Soldateska vergewaltigt; ihnen wurde es verständlicherweise nie möglich, vom 8. Mai als einem »Tag der Befreiung« zu sprechen. Aber mit dem Ende des Krieges konnte die Rückkehr Deutschlands in den Kreis der zivilisierten Nationen beginnen.
Wer individuell leiden muss, ohne besondere persönliche Schuld zu haben, wen das Schicksal einfach hart trifft, dem sind historische Prozesse, deren Teil er ist, nur schwer nahezubringen. Die »Entnazifizierung« erwies sich als schwierig (obwohl sich die Deutschen westlich wie östlich ihren Schutzmächten gegenüber schnell sehr gelehrig zeigten). Das zerstörte Land zwang zu äußerster Anstrengung beim Wiederaufbau, und diese Anstrengung befreite weithin vom Nachdenken über sich selbst:
Warum konnten wir diesem verbrecherischen Wahnsinn nicht selbst Einhalt gebieten? Wollten die Deutschen nichts wissen, weil Wissen zu gefährlich war, oder hat man einfach weggehört und wegsehen wollen? Ich will über niemanden richten – aber um der Zukunft willen müssen solche Fragen gestellt werden.
Diese Fragen lasten weiter auf uns. Wir können letztlich nur froh sein, dass wir nicht einen abgemilderten Faschismus ohne Hitler bekommen haben und nach der bedingungslosen Niederlage einen Neuanfang wagen konnten.
War es nicht alles in allem eine großartige Integrationsleistung der deutschen Nachkriegsgesellschaft in Ost und West, Millionen Flüchtlinge aus den ehemaligen Ostgebieten aufzunehmen, sie im ganzen Land anzusiedeln, statt sie in Dauerlager zu pferchen? Es musste überall Platz für sie geschaffen werden, das ging nicht ohne Konflikte und Druck. Aber was wäre geworden, |181|wenn man sie in Wartelager gesteckt hätte, Flüchtlingsghettos – also in deutsche »Gazastreifen« an der Oder oder an der Weser?
All das kommt wieder hoch, wenn wir jährlich an den 8. Mai zurückdenken. Die Freude der aus den KZs Befreiten ist sogleich Quelle der Scham für die, in deren Land und von deren Mitbürgern solche KZs als Vernichtungslager betrieben wurden. Das Leid ist von niemandem zu ermessen – und die Verbrechen bleiben unbegreiflich und unverzeihlich.
Der 8. Mai wurde ein Tag der befreienden Niederlage, auch wenn nun viele Deutsche für etwas büßen mussten, das sie nicht persönlich verschuldet hatten, auch wenn das Leiden so unbegreiflich ungleich verteilt wurde. Ein unempfindsames »Schicksal« schlug zu, während andere schnell (wieder) oben waren. (Wohl zehnmal habe ich den Film »Wir Wunderkinder« gesehen – eine entsprechend selbstkritische Sicht gab es aus der DDR damals nicht, Humor schon gar nicht.)
Ich denke besonders an alle, die aus ihrer Heimat vertrieben worden waren, und an alle, die im Bombenterror gegen unsere Städte umkamen oder alles verloren, was ihnen lieb und teuer gewesen war. Ich denke auch an alle, die ohne besondere persönliche Schuld in die Lager der GPU gepfercht wurden und dort Ähnliches erleiden mussten wie diejenigen, die gerade aus den KZs, den deutschen Vernichtungslagern, befreit worden waren. Und dennoch war das nicht »dasselbe«, wie es jetzt häufiger aufrechnend-selbstentschuldigend klingt, bis man vorrangig von den »deutschen Opfern« spricht und die »Täterperspektive« sich in der Erinnerung ganz nach vorn schiebt. Man denke an den Erfolg des Films »Der Untergang« mit Bruno Ganz im Unterschied zur schwachen Resonanz auf den beeindruckenden Dachau-Film »Der Neunte Tag« mit Ulrich Matthes.
Wir können es den westlichen Siegermächten nicht hoch genug anrechnen, dass sie die Fehler von Versailles nicht wiederholt haben, dass sie Deutschland nicht auf ewig zerstückelten, dass sie Deutschland nicht nach Morgenthaus Plänen |182|deindustrialisierten, sondern den (West-)Deutschen halfen, die Demokratie aufzubauen, ein demokratisches Bewusstsein herauszubilden, verbunden mit einer enormen materiellen Hilfe, dem Marshall-Plan als ökonomisches Aufbau- und Anschubprogramm, das Deutschland ökonomisch und damit auch den Einzelnen sozial wieder nach oben brachte.
Für mich bleibt es ein Wunder, mit wie wenig Hass uns die Polen begegnet sind oder wie viel Zutrauen uns überlebende Juden – oder Nachkommen unserer jüdischen Mitbürger – entgegenbringen. Es bleibt ein großes Geschenk, dass die sogenannte Erbfeindschaft mit Frankreich überwunden ist, dass Versöhnung mit Israel ansatzweise möglich wurde – dass Bundespräsident Johannes Rau und nun auch Horst Köhler vor der Knesseth reden durften.
Im Osten versuchte die Siegermacht einerseits ihr Sowjetsystem auf das Ursprungsland kommunistischer Ideen zu übertragen, ein ganz »neues Kapitel« der Welt- und der deutschen Geschichte aufzuschlagen, die Kräfte des »Militarismus, des Revanchismus, des Rassismus« mit Stumpf und Stil zu beseitigen und alle ehemaligen Machteliten abzulösen. »Alte Nazis« gab es offiziell bald nur noch im Westen.
Ich habe in meiner Kindheit erlebt, mit welchen Opfern die »sozialistische Umgestaltung« verbunden war; aber ich habe auch nicht vergessen, mit wie viel Begeisterung viele einfache Leute – auch die sogenannten Umsiedler – nun eine neue Gesellschaft aufbauen wollten, in der es keine »Ausbeutung des Menschen durch den Menschen« mehr geben sollte und wo das Volk über die Produktionsmittel bestimmen sollte und konnte. (Dass dabei ein regider Staatssozialismus herauskam, dämmerte vielen erst allmählich.) Ich weiß ebenso genau – als ein Staatsfeind von Kindheit an –, was die »Diktatur des Proletariats« und fortdauernder Klassenkampf für die Insassen der 28 Jahre eingemauerten DDR bedeutete. Ich kann und will trotzdem nicht nachträglich vielen daran beteiligten Ostbürgern, also den Sozialisten, ihre Ideale absprechen. Aus diesen Idealen erwuchs ein |183|bestimmter – auch falscher und blinder – Enthusiasmus, der unter Führung der Partei mit einem geradezu »katholischen« Wahrheits- und Alleinvertretungsanspruch nicht wenige Menschen ergriff, die fest glaubten, sie würden ein wirklich »neues Deutschland« aufbauen.
Wollen wir uns daran überhaupt noch immer und immer wieder erinnern, etwas auf unsere Seele laden, was wir sowieso nicht mehr ändern können und was wir selbst ja auch nicht verschuldet haben? Dazu schrieb im November 1952 Bertolt Brecht: »Das Gedächtnis der Menschheit für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz. Ihre Vorstellungsgabe für kommende Leiden ist fast noch geringer. Die weltweiten Schrecken der 40er Jahre scheinen vergessen. Der Regen von gestern macht uns nicht nass, sagen viele. Diese Abgestumpftheit ist es, die wir zu bekämpfen haben, ihr äußerster Grad ist der Tod. Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote, wie Leute, die schon hinter sich haben, was sie noch vor sich haben, so wenig tun sie dagegen. Und doch wird nichts mich davon überzeugen, dass es aussichtslos ist, der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen. Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind.«
Ja, lasst es uns nicht einmal zu wenig sagen, und lasst uns die Warnungen erneuern, ohne zu verharmlosen und ohne zu übertreiben.
So wie es für die überlebenden Juden zu ihrer Identitätsbildung gehört, dass sie immer vom Holocaust erzählen, so werden wir Deutschen wohl um unserer selbst willen in absehbarer Zeit nicht darauf verzichten dürfen, mit unserem Deutschsein auch immer Auschwitz, Majdanek, Buchenwald und Bergen-Belsen zu verbinden bzw. uns klarzumachen, dass beides in uns steckte und zur Wirkung kam: der Geist von Weimar – Goethe, Schiller, Wieland und Herder – und der Geist des Gau-Forums, der Baracken Buchenwalds – hinter dem Buchen-Wald.
|184|Wir Deutschen werden beides im Blick behalten müssen, wollen wir als ein stabilisierender Faktor für die Demokratie und Menschenrechte in der Welt wirken – ohne erneute Selbstüberhebung. Wir brauchen in besonderer Weise Erinnerungskultur, allerdings ohne allen weiteren Generationen einen Dauerschuldkomplex aufzuladen. Das können sich stets die Falschen zunutze machen, die inzwischen vom »Bombenholocaust« reden, wenn es um die Erinnerung an den 13. Februar 1945 in Dresden geht. Die NPD-Jugend wollte am 8. Mai 2005 Plakate mit der Aufschrift tragen »60 Jahre Befreiungslüge – Schluss mit dem Schuldkult«.
Aber nicht nur für Leugner oder Verharmloser deutscher Kriegsschuld bleibt es immer noch schwer zu akzeptieren, was der britische Historiker Frederik Taylor 2005 über Dresden sagt: »Ich denke, dass Dresden ein legitimes Ziel war … In Dresden haben die Bomber nicht die Industrie anvisiert, das Ziel war die Stadt, deren Funktionsfähigkeit ausgelöscht werden sollte. Die Bombardierung war moralisch verwerflich – aber ich bezweifle, dass sie völlig ungerechtfertigt war.«
Churchill wollte im März 1945 die Bombardements einstellen, aber, so Taylor, »die Militärs wollten nicht. Das widersprach ihrer Logik. Sie wollten auf die Möglichkeiten des Flächenbombardements nicht verzichten.« Der Krieg erzeugt und vollstreckt stets seine eigene schreckliche Logik.
Wir werden von einer Verantwortung der Deutschen sprechen müssen, die mit dem Namen »deutsch« und auch mit unserer wunderbaren Sprache auf immer verbunden bleibt.
Es gibt bestimmte Worte und Wortkombinationen, die sich ins Bewusstsein eingeprägt haben und die wir aktiv bekämpfen müssen. Zum Beispiel »Führer befiehl, wir folgen.« Was war das für eine Lebenshaltung? Auch dafür gilt: »Nie wieder!«
Unsere Nachbarn und die Völker der Welt bitten wir, sich dem zu stellen, was in ihrer Geschichte versäumt oder auch verbrochen wurde – freilich ohne jeden Aufrechnungsgedanken.
Vorurteile sind wieder weckbar. Immer wieder lassen sich alte Antistimmungen reaktivieren. Daher müssen wir die Gründe |185|auch für fortwährenden Antisemitismus erforschen. Als Einzelne wie als Nation bleiben wir gefordert, stets vor uns selbst auf der Hut zu sein und zu bleiben. Die Geschichte ist unsere Lehrmeisterin – im Guten wie im Bösen.
Wir Europäer können uns glücklich schätzen, dass wir jetzt in der Europäischen Gemeinschaft miteinander leben und keiner irgendeinen Kriegsgedanken hat. Aber wenn BILD titelt »Wir sind Papst«, dann reagiert SUN mit der Schlagzeile »Er war Hitlerjunge«. Und am nächsten Tag titelt BILD »Wir auch« und nennt die Namen prominenter ehemaliger Hitlerjungen. Das klingt dann wie Stolz, wie etwas, das auch nachträglich als »normal« gelten kann.
Susan Sontag, die große amerikanische Intellektuelle, Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels 2003, mahnte: »Menschen sind imstande, dies hier anderen anzutun – vielleicht sogar freiwillig, begeistert, selbstgerecht. Vergessen wir das nicht.« Was nicht zu begreifen ist, bezeichnet Susan Sontag einfach mit der Formulierung »dies hier«. Uns ist es nach wie vor unmöglich, angemessen an Auschwitz zu erinnern. Da lauert stets falsche Feierlichkeit. Es bleibt unbegreiflich.
Zugleich darf jetzigen und künftigen Generationen nicht wieder eine Schuld aufgeladen werden, als ob alle Deutschen für alle Zeit etwas »wiedergutzumachen« hätten. Das bekäme Züge einer Dauerbüßerpose, die Rattenfänger sobald publikumswirksam als«Nationalmasochismus« etikettieren können.
Jeder Krieg entfaltet seine eigene destruktive Logik. Kein Beteiligter kann da unschuldig bleiben. Die Logik von Vernichtung und Zerstörung erfasst auch die, die zunächst Opfer von Verbrechen waren. Die Parole »Nie wieder Krieg« ist daher keine hohle Phrase. Wir Deutschen sollten immer besondere Anstrengungen unternehmen, um Frieden zu bewahren und Bedingungen für Frieden zu schaffen – in nationaler und internationaler Perspektive.
Kein Land soll vor uns jemals wieder Angst haben müssen. Ingeborg Bachmann mahnte uns zur »Tapferkeit vor dem Freund«. (Dies hatte sich auch gegenüber unseren amerikanischen Freunden und dem Irak-Desaster zu erweisen.)
|186|Die Haut unserer Zivilisation ist dünn. Deshalb müssen wir alle auf der Hut sein, dass wir uns nicht wieder an Abgründe bringen oder andere in Abgründe stürzen.
Demokratie lebt, so lange es Demokraten gibt, die unser Grundgesetz ausfüllen. Demokratie braucht Teilnahme und Teilhabe aller auf der Grundlage von Artikel 1 unseres Grundgesetzes – gegen alles Autoritäre wie gegen alles Nationalistische.
Respekt gegenüber anderen Kulturen
Sieben Thesen zum Dialog hatte Pfarrer Gottfried Keller am 31. Oktober 1989 an die Rathaus-Tür in der Lutherstadt Wittenberg geheftet:
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Im Dialog wird der Gegner nicht als Feind, sondern als andersdenkender Partner angenommen.
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Im Dialog wird keine Machtfrage entschieden, sondern die Beziehungen der Dialogpartner werden neu geklärt.
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Ziel des Dialogs ist nicht, seine Meinung zum Sieg zu bringen, sondern zu einer gemeinsam akzeptierten neuen Lösung zu kommen, bei der es weder Sieger noch Verlierer gibt.
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Dialog ist der Verzicht auf Gewaltanwendung, der Verzicht auf Warnungen, Drohungen und Abschreckungen, um so die Menschenwürde des anderen zu bewahren.
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Dialog ermöglicht, Schwächen, Fehler, Versagen und Schuld einzugestehen, ohne die eigene Menschenwürde zu verlieren.
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Im Dialog werden eigene und gesellschaftliche Tabugrenzen überschritten, die bisher anderen angelastet und bei ihnen bekämpft wurden.
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Dialog führt zu größerer Ganzheit im persönlichen und gesellschaftlichen Leben. Er hilft, widersprüchliche Impulse zu integrieren und ihre Potenzen für die Weiterentwicklung zu gewinnen.
Diese Thesen wurden für eine friedliche Konfliktlösung 1989 handlungswirksam. Ein Dialog setzt stets voraus, dass es Partner |187|mit Positionen gibt und man sich gegenseitig Toleranz gewährt. »Im Widerspruch zu sich selbst beginnt der Dialog.« (Elazar Benyonetz)
Es ist aber inzwischen geradezu schick geworden, Menschen zu verhöhnen, die etwas wert- und hochhalten. Diese würden als sogenannte Gutmenschen nur noch, wie es dann heißt, »nerven«. Wer aber nichts mehr will, wem jedes Engagement sinnlos erscheint, wer keine behaftbare Meinung oder Haltung mehr hat, macht sich genüsslich über die her, die eine haben. Er labt sich an der Negation, an der Zertrümmerung, an der Verachtung, die ihn bald selbst ergreift. Wer nichts mehr für richtig und wichtig hält, mit dem lohnt kein Gespräch mehr. Da wird alles zum beliebig austauschbaren, mehr oder weniger intellektuellen Geplänkel oder zum so publikumswirksamen wie entleerten Schlagabtausch. Statt Gespräch gibt es Event-Show.
Wer aus dem universalistischen Gott einen partikularen macht, für den wird »die Wahrheit« alsbald zu einer partikularen Speerspitze gegen andere. Meinem ich glaube tritt ein anderes ich glaube gegenüber, das ein wir glauben noch nicht möglich macht; aber in dem einen Gott angelegt ist. In ihm leben, weben und sind wir. Aus ihm kommen wir, in ihm werden wir sein. Der Polytheismus der Beliebigkeit, des Modischen und der geschmeidigen Gefälligkeiten ist mindestens so gefährlich wie der Monotheismus der Entschiedenheit oder der starren Prinzipien, wo dann stets Widersprüche und Widerspruch ausgeschlossen sind. Das eine provoziert das jeweils andere. Sie führen in die gleiche Sackgasse: die Arroganz eines Roma locuta, causa finita, also der Anmaßung, über die Wahrheit zu verfügen – genauso wie eine fundamentalistisch-enge protestantische Frömmigkeit, zu der uns bestimmte religiöse Gruppen aus den USA bekehren wollen, oder ein muslimisches Denken, das keinen freien, gar kritischen Gedanken zulässt, aber auch eine bestimmte jüdische, religiös aufgeladene aggressive Siedlermentalität. Jede dieser Orthodoxien lästert den einen Gott und erlaubt ihm keine Überraschungen.
In einer Zeit der Verunsicherung erwachen wieder Sehnsüchte nach Ein-Deutigkeit, nach rauschhaft-religiösem Eintauchen in |188|eine Masse Gleichgestimmter, nach einer auch Jugendliche massenhaft begeisternden Leitfigur – samt glorioser Inszenierungen für die Fernsehwelt, die Bilder braucht. Da gilt es für Protestanten, am kritischen Geist der »Unterscheidung der Geister« festzuhalten, am mündigen, innen- und gewissensgeleiteten Einzelnen, der in einer (Glaubens-)Gemeinschaft aufgehoben sein will, dort Orientierung und Vergewisserung erfährt, aber nie in der Gemeinschaft ganz aufgeht, sondern ein Ich bleibt: einmalig, unverwechselbar, hoch gewürdigt. »Würde-Trägerin und Würde-Träger« – jede Frau und jeder Mann mit ihren spezifischen Begabungen.
Gott wird unsere Bezugsgröße schlechthin bleiben im Vielerlei unserer Engagements, unserer konkurrierenden Prioritäten, unserer interessengeleiteten Absichten und unserer differierenden Lebensskripte. Gott wird im Alten Testament auch als ein Eifernder, als ein geradezu Eifersüchtiger vorgestellt, der nicht dulden will, dass wir anderen Göttern nachhängen. Wo aber wird heute ernsthaft um Gott gerungen, und was wird allgemein überhaupt noch gewusst über Gott?
Wenn 50 Prozent der Bürger – in Ost und West! – nicht mehr wissen, was Pfingsten bedeutet, und zugleich Pfingstmontag als quasi sozialer Besitzstand verteidigt wird, so deutet das auf einen kulturellen Notstand hin, auf innere Aushöhlung. Wir haben alle Hände voll zu tun, wir paar Christen, wenn wir denn wollen, dass unsere Kultur ihr Gepräge behält, ein Gepräge, das es verdient, weitergetragen zu werden.
Was hieße »Leitkultur Christentum« – mitten in einer multikulturellen und multipolaren, miteinander verflochtenen Welt? Von einer Leitkultur Christentum könnte man sprechen, sofern es geläutert würde, weil daran so viel verunreinigt wurde – durch unsere Vorfahren, durch uns Heutige – durch Tun und noch mehr durch Unterlassen. Wir sind ganz und gar nicht »perfekt«; aber wir haben einen großartigen Schatz zu verwalten, ein großes Geheimnis zu feiern, für unsere Begabungen von Herzen zu danken, für unsere Verfehlungen von Herzen Vergebung zu erbitten. Besudelt ist das große Wort »GOTT«. »Gott ist das |189|beladenste aller Menschenworte, keines ist so besudelt, so zerfetzt worden. Gerade deshalb darf ich darauf nicht verzichten. Wir können das Wort ›Gott‹ nicht reinwaschen, und wir können es nicht ganzmachen; aber wir können es vom Boden erheben und aufrichten.« (Martin Buber) Die Geschichte ist voll von Blasphemie. Wilhelm II. rief am 6. August 1914 dem deutschen Volk zu: »Vorwärts mit Gott, der mit uns sein wird, wie er mit den Vätern war.« Noch am 3. Mai 1945 feuerte Albert Speer die Deutschen zum Kampf an und schloss blasphemisch-pathetisch: »Gott segne Deutschland«. Am 18. März 2003 segnete Präsident Bush in der verlogenen Kriegserklärung an den Irak abschließend sein Volk: »God bless America«. Die neuen Weltraumwaffen »Global Strike« tragen sogenannte »Rods from God« (also Göttepfeile) mit Zylindern aus Titan, Uran und Wolfram, deren Wucht einer kleinen Atombombe entspräche. (AFP 18. Mai 2005)»Rods from God« aus dem Weltraum – welch eine Perspektive der »frommen Krieger«! Am Ende aller Gottes-Kriege stehen die Opfer und fragen, wo der »gute Gott« geblieben ist. Frieden machen ist Ausdruck des Respekts vor anderen.
Toleranz üben
Im Osten Deutschlands gebe es »No-go-areas«. So war vor der Fußballweltmeisterschaft im Sommer 2006 gewarnt worden. Die Atmosphäre in den Stadien und auf den Fanmeilen war sehr heiter, von Fremdenfeindlichkeit war nichts zu spüren. Im Gegenteil: Spieler und Besucher aus nahezu allen Nationen waren miteinander euphorisiert, und wir Deutschen waren fröhliche, schwarz-rot-goldene Gastgeber.
Am 24. Juni, also während der Weltmeisterschaft, veranstaltete der Heimatbund Ostelbien in Pretzien (Sachsen-Anhalt) eine Sonnwendfeier. Am Feuer wurden martialische Reden gehalten, die amerikanische Flagge verbrannt und Joseph Goebbels zitiert. Und das Tagebuch der Anne Frank wurde in die Flammen geworfen. Niemand von den Anwesenden schritt ein, auch |190|der Bürgermeister und die Polizisten nicht. Diese begriffen gar nicht, welche Brisanz der Vorgang hatte, welch weitreichende Symbolik darin steckte. Einige kannten schlicht den Namen Anne Frank nicht.
Der Heimatbund war aus einer Skinhead-Gruppe hervorgegangen, die in die Dorfgemeinschaft integriert werden sollte. Die Mitglieder organisierten Jugendveranstaltungen, engagierten sich bei Heimatfesten, fast alle der 900 Einwohner haben sie als harmlos eingeschätzt.
Dieser Vorfall hat besondere Aufmerksamkeit erregt, ist jedoch kein Einzelfall, das zeigen Fernseh- und Pressemeldungen, und das kann jeder beobachten. In den neuen Bundesländern ist Rechtsextremismus vor allem mit Ausländerfeindlichkeit verbunden. Wie der »Sozialreport 2006« zeigt, stimmen 44 Prozent der Ostdeutschen der Ansicht zu, bei uns lebten zu viele Ausländer. Bei den über 40-Jährigen ist der Anteil noch höher (49 Prozent). Die Frage, ob Ausländer soziale Probleme (Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot) verschärfen, bejahten 36 Prozent voll und 35 Prozent teilweise. Es ist besonders erschreckend, dass so viele ältere Menschen Ausländer als »Ursache« der gesellschaftlichen Missstände oder ihrer persönlichen Misere ausmachen. Als seien Migranten und Asylsuchende schuld an fehlenden Arbeitsplätzen, Hartz IV, zu niedrigen Löhnen und hohen Mieten, Kriminalität usw.!
Fragen wir uns selbst, ob wir in Fremden einen Störfaktor oder gar einen Feind sehen oder einen Gast, dem wir das »heilige Gastrecht« gewähren, ob wir Fremde wirklich als ebenbürtig und gleichwertig anerkennen, nicht nur allgemein, sondern auch, wenn wir direkt mit ihnen oder ihren Ansprüchen im Alltag konfrontiert sind.
Gedeihliches Nebeneinander und gelingendes Miteinander setzt voraus, den anderen, den Andersdenkenden, den Fremden zu akzeptieren und sich in ihn einzufühlen, sich mit seinen Handlungen, Motiven, Werten, Sitten auseinanderzusetzen. Im ernsthaften Dialog mit dem Andersdenkenden kann die Tragfähigkeit des eigenen Denkens erprobt werden. Dadurch wird |191|man herausgefordert, sich der eigenen Ansichten und Haltungen bewusst zu werden, sie zu prüfen und gegebenenfalls zu verändern. Wer seiner Wahrheit mit Gewalt Raum schaffen will, ist sich seiner Sache selbst nicht sicher.
Toleranz wird oft gleichgesetzt mit der Duldung des anderen – dessen Denken, Handeln und Lebensgewohnheiten. Für ein gelingendes längerfristiges Zusammenleben von Mitgliedern einer Familie oder Ethnie bzw. verschiedenen Ethnien, Kulturen, Religionen reicht bloßes Dulden nicht aus. Duldung wahrt einen tiefen inneren Abstand zum anderen. »Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt Beleidigen.« (Goethe) Duldung liegt wie eine Last auf der Seele; und diese Last ist der andere, der Fremde, der als Bedrohung erfahren wird und Angst macht. Wiewohl das Ziel menschlichen Zusammenlebens das Anerkennen, das ganz freie Akzeptieren des anderen darstellt, so ist doch Dulden bereits eine Tugend, die wenigstens Gewaltanwendung ausschließt und nolens volens die anderen leben lässt.
Eine sogenannte Multikulti-Ideologie ignoriert jedoch die Realität, verschweigt nicht nur Konflikte, sondern verstärkt sie gerade durch geflissentliches, moralisch hochstehendes Verschweigen, Verleugnen, Übersehen.
Das Anerkennen und Ertragen des Andersartigen, des Andersdenkenden, des Andersaussehenden und des Andersgeprägten ist ein wechselseitiger Prozess zwischen Einzelnen, zwischen Mehrheiten und Minderheiten. Anerkennung setzt Kompetenz zur Lösung von Konflikten und zur sachbezogenen Argumentation voraus. Solche Kompetenz muss von Kindheit an erworben und geschult werden.
Es bedarf überdies vertraglicher Regelungen, um zu verträglichem Neben- und Miteinanderleben zu gelangen. Toleranz und Intoleranz liegen nach aller Erfahrung nicht weit auseinander. Was ist, wenn der andere einen selbst nicht toleriert oder die Mehrheiten nicht die Minderheiten und umgekehrt? Zur Gretchenfrage für gegenseitig verträgliches Zusammenleben wird die Art und Weise, wie einer mit dem umgeht, der ihm nicht folgt. |192|Toleranz bedeutet bewusst zu ertragen, dass andere – meist aus Herkunftsgründen – nicht nur anders sind, anders leben, denken und fühlen, sondern auch anders bleiben wollen. Toleranz und Intoleranz liegen oft nicht weit auseinander. Intoleranz wirkt in aller Regel ansteckend. Dies gilt nicht nur in Hinblick auf Fremde, sondern auch für Konflikte zwischen Einheimischen.
Die Grenzen der Toleranz werden nach aller Erfahrung schnell erreicht, wenn es um religiöse oder kulturelle Eigenheiten geht. In solchen Fragen gibt es kein Mehr oder Weniger, sondern nur Entweder-Oder. Konflikte sind unvermeidbar. Die Frage ist nur, wie sie ausgetragen werden. Der Intolerante wird letztlich Macht ausüben und Toleranz beseitigen, von der er selber profitiert hat, als er die Macht (noch) nicht gehabt hat. Wenn der Tolerante nicht klar und frühzeitig den Intoleranten entgegentritt, so rechtzeitig, dass jene ihre Intoleranz nicht zum allgemeinen gesellschaftlichen Prinzip machen können, wird er verlieren, untergehen, zerrieben werden.
Echte Toleranz beruht auf innerer Souveränität, die den Unterschied nicht einebnet, die Differenz nicht verschweigt, aber stets für die Meinungsfreiheit des anderen ficht. Voltaire hat das unübertreffbar formuliert: »Ich mißbillige, was du sagst; aber bis in den Tod werde ich dein Recht verteidigen, es zu sagen.«
Toleranz muss aus dem Anerkennen des elementaren Lebensrechtes und der Würde des anderen erwachsen. Dabei geht es um mehr als die Vermutung, der andere könnte auch Recht haben: nämlich um die prinzipielle Anerkennung der universellen Menschenrechte unter der Ausgangsmaxime, dass alle Menschen die gleiche Würde in sich tragen. Die Würde des Menschen hängt nicht von Eigenschaften oder Einstellungen ab, auch nicht davon, ob sie anerkannt wird. Sie ist universell gültig und unantastbar. Wenn ich einem anderen seine Menschenrechte abspreche, weil er nicht die gleichen Merkmale oder Eigenschaften hat wie ich, wird er mir meine Menschenrechte auch absprechen, denn ich bin für ihn ebenfalls »anders«. Definiere ich als notwendige Voraussetzung für die Ausübung der Menschenrechte |193|eine meiner Eigenschaften, über die er nicht verfügt, ist es für ihn naheliegend, seine Vorstellung von Menschenwürde mit einer seiner Eigenschaften zu verbinden.
Wohin die Diskrepanz zwischen Macht und Überlegenheit auf der einen Seite und Ohnmacht und Unterlegenheitsgefühlen auf der anderen Seite führt, zeigt sich im Hinblick auf Ausländer ebenso wie in Hinblick auf West- und Ostdeutsche sowie auf Eliten und »Unterschichten«.
Was sich als Toleranz ausgibt, ist vielfach bloße Denkfaulheit, Unentschiedenheit, Gleichgültigkeit, Missachtung dessen, was andere denken, und kalte Ignoranz gegenüber den Lebensumständen anderer. Toleranz setzt im Grunde dialogische Existenz und Symmetrie voraus, zumindest Chancengleichheit. Werden Menschen, Gruppen oder Schichten sozial oder politisch auf Dauer ausgegrenzt, müssen sie sich ducken. Aus der Unfähigkeit, die eigenen Rechte, Interessen und Überzeugungen zu vertreten, erwachsen Hass, Wut und Gewalt, die sich wiederum gegen andere Ausgegrenzte richten, gegen noch mehr Benachteiligte oder gegen Minderheiten.
Die Freiheit der Meinung, der Lebensgestaltung und des Zusammenschlusses mit anderen findet ihre Grenze bei denen, die alles tun, um eben diese Freiheit lediglich dazu zu nutzen, sie zu zerstören oder für ihre eigenen Interessen zu instrumentalisieren. Die Freiheit zum Abwürgen der Freiheit kann um der Freiheit willen nicht toleriert werden.
Ein gegenüber jeder Intoleranz konsequent einschreitender Rechtsstaat bedarf neben seinen funktionstüchtigen Institutionen der mündigen, die Prinzipien einer freiheitlichen Ordnung aktiv vertretenden Staatsbürger. Allzu schnell, allzu gern, allzu oft bedienen sich die Intoleranten des Raumes, den ihnen die Toleranten gelassen hatten; gerade die Tolerantesten werden erste Opfer der Intoleranz.
Toleranz begegnet mindestens drei Gegnern, nachwachsenden Drachenköpfen vergleichbar:
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Dem universalen Wahrheitsanspruch für die eigene Überzeugung, einem vermeintlich sicheren Besitz von Wahrheit.
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|194|Der Gleichgültigkeit, die alles zulässt und alles für »gleich gültig« und damit für gleichgültig erklärt. Meinungslosigkeit ist keine Toleranz, sondern Einfallstor für jedwede Intoleranz, weil das Vakuum von strammen Ideologen, von neuen Führern und Verführern ausgefüllt wird.
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Dem Fundamentalismus, der prinzipiell nicht nur intolerant gegenüber anderen ist, sondern auch alle Mittel einsetzt, um andere zu erniedrigen, zu unterdrücken oder auszulöschen.
Die Grundversuchung der Menschheit war und bleibt ein manichäisches Denken, das sich dialektischem Denken und der vielschichtigen Wirklichkeit prinzipiell verweigert. Dazu passt das Ja-Nein-, Gut-Böse-, Wahr-Falsch-, Stark-Schwach-Schema. Jedes dieser Schemata entfaltet in der Regel enorme destruktive Kräfte. Gerade mit Blick auf die deutsche Geschichte kann man davon ein Lied singen – ein erschreckendes.
In der Demokratie ist Toleranz die Voraussetzung für das Finden von tragfähigen Kompromissen, damit allen ein Leben in Würde möglich bleibt. Der Kompromiss beruht auf der Erkenntnis, dass die eigene Überzeugung, die eigenen Interessen und die eigene Lebensweise nicht das Maß aller Dinge sind. Wer erwartet, dass der andere nachgibt, soll diesem signalisieren, dass er selber auch prinzipiell in der Lage und konkret bereit ist nachzugeben. Demokratie bedeutet, andere ausreden zu lassen; Toleranz bedeutet, ihnen zuzuhören und sie ernst zu nehmen. Dann aber geht es um gemeinsam zu akzeptierende Entscheidungen.
Freilich kann Nachgeben auch Ausdruck von Feigheit, ein Aufgeben und Zurückweichen aus opportunistischen Gründen sein. Prinzipienfestigkeit ist andererseits noch längst kein Zeichen von Mut, sondern Ausdruck uneingestandener Starrheit, Lernunfähigkeit und Borniertheit. Nur der Problembewusste und Suchende kann von innen her tolerant sein, eben weil er sich beständig die Unvollkommenheit all seines Begreifens und Tuns klarmacht.
Wer einen Wahrheitsanspruch hat und geradezu »verkörpert«, wie dies römisch zentrierte Katholiken tun, ist eigentlich nicht zur Toleranz, sondern nur zur temporären Duldung in der Lage, |195|genau so lange, wie dies realpolitisch unvermeidbar erscheint. Wenn aber die christliche Wahrheit angeblich in der Kirche (in der römischen!) substituiert ist, so können die anderen eben nur Teilwahrheiten partiell repräsentieren. Folgerichtig muss sie anderen Glaubensgemeinschaften ihr Kirche-Sein absprechen.
Sollte Rom sich nicht erinnern, welche fatalen – rückblickend auch verbrecherischen – Folgen Intoleranz aus Wahrheitsbesitzansprüchen für das geistige und für das physische Leben des ganzen Kontinents jahrhundertelang hatte?!
Und ist nicht auch die Römisch-Katholische Weltkirche im Sinne des Abaelard (1079–1142) im strengen Sinn eine »Sekte«? In seinem »Dialog zwischen einem Philosophen, einem Juden und einem Christen« schrieb er: »Die Bindung eines jeden an seine eigene Sekte macht die Menschen dünkelhaft und so überheblich, dass jeder, der sich von ihrem Glauben zu entfernen scheint, deshalb in ihren Augen auch der göttlichen Barmherzigkeit verlustig geht und dass sie für sich allein Glückseligkeit beanspruchen, während sie alle anderen der Verdammnis preisgeben.« Sekte – das Abgeteilte!
Welterlösungsideologien neigen zu Säuberungsutopien.
Die Kreuzzüge wie auch die Inquisition in der Geschichte des Christentums gehören zu den grausamen, religiös verbrämten christlichen Wahrheitsfanatikerexzessen mit Erlösungsgedanken, die durchaus dem Wohl der Opfer gelten sollten. In beachtlicher struktureller Analogie hatte die kommunistische Welterlösungsideologie für ihr Wahrheitsmonopol eine so zutreffende wie einfach drohende Parole: »Die Lehre von Marx ist allmächtig, weil sie wahr ist.« Das hatte Wladimir Iljitsch Uljanow dekretiert, den man als Lenin für einen großen Philosophen und für eine Verkörperung des Weltgeistes schlechthin gehalten und 70 Jahre wie einen vergöttlichten Pharao einbalsamiert und der Verehrung für würdig gehalten hatte.
Die Führer der Bewegung verkündeten – geradezu teleologisch abgesichert –, die kommunistische Partei verkörpere die historische Wahrheit. Daraus leiteten sie das Recht auf Befreiung der Menschheit ab, bis zur Durchsetzung des Fortschritts |196|auch mit Gewalt. Sie hingen einer »Utopie der Säuberung« an, die sich nicht nur gegen Feinde, sondern auch gegen eigene Anhänger richtete. Die Opfer stehen zahlenmäßig denen der rassistischen Vernichtungsmaschinerie Hitlerdeutschlands nicht nach, wie wir heute wissen.
Rosa Luxemburgs vielzitiertes Diktum, am linken Rand des Aufsatzes »Zur russischen Revolution« (1917/18) notiert, konnte die DDR 1988 durch öffentlichen Gebrauch in ihren Grundfesten erschüttern. »Freiheit nur für die Anhänger der Regierung, nur für Mitglieder einer Partei – mögen sie noch so zahlreich sein – ist keine Freiheit. Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.«
Die Mehrheit darf ihre Mehrheit nicht zum Argument gegen die Minderheit machen. Wahre Freiheit erweist sich am Umgang mit Andersdenkenden. Toleranz ist nichts anderes als die Freiheit der Andersdenkenden, seien sie in der Minderheit, seien sie in der Mehrheit. Sie ist keine bloße moralische Forderung; sie wurzelt in der (religiösen) Grundüberzeugung selbst. Der Wettstreit um die Wahrheit wird nicht zuletzt durch deren Wirkung entschieden. Aber es ist eben die Wirkung der je eigenen Grundüberzeugung.
Mahatma Gandhi fasste seine Lebenshaltung in seinen Briefen an den Ashram eindrücklich zusammen; sie entspricht einer inzwischen als universell geltenden Menschheitsmaxime: »Jeder hat von seinem Standpunkt aus recht, doch es ist nicht unmöglich, dass alle zusammen unrecht haben. Daher die Notwendigkeit, Toleranz zu üben, was nicht Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen Glauben entspringt, sondern einer reineren und intelligenteren Liebe zu diesem Glauben. Die Toleranz befähigt uns zu geistiger Durchdringung, die vom Fanatismus so weit entfernt ist wie der Nordpol vom Südpol. Die wahre Kenntnis der Religion läßt die Grenzen zwischen einem Glauben und dem anderen einstürzen. Indem wir in uns die Toleranz für andere Auffassungen pflegen, vertiefen wir das Verständnis unserer eigenen. … Der Respekt, den wir den anderen Glaubensrichtungen gegenüber empfinden, darf uns nicht daran hindern, ihre |197|Mängel zu sehen. Wir müssen uns auch lebhaft der Mängel unseres eigenen Glaubens bewußt sein und dürfen ihn dennoch deswegen nicht aufgeben, sondern müssen versuchen, über seine Mängel zu triumphieren.«
Nur der Suchende kann von innen her tolerant sein, eben weil er sich der Unvollkommenheit all seines Begreifens und Tuns bewusst bleibt und es wagt, Grenzen zum anderen hin zu überschreiten und solche Überschreitung ebenso vom anderen zu erwarten. Dazu gehört die Bändigung von Feindobsessionen, die sich in Konflikten zwischen Einzelnen und Völkern täglich anstacheln und aufschaukeln lassen. Wer die Zuwanderung von Gastarbeitern und Asylbewerbern z. B. nur nach dem Nutzen für unser Land bewertet, fördert indirekt Nationalismus und rassistisches Gedankengut, statt die politische Kultur in einem demokratischen Sinn zu beeinflussen.
Der scharfzüngige Pastorensohn Gotthold Ephraim Lessing hat ebenso wie sein jüdischer Freund Moses Mendelssohn den Toleranzgedanken gerade nicht auf eine so rührende wie unrealistische moralische Maxime reduziert, sondern auf den beständigen »Erweis des Geistes und der Kraft« der eigenen Ideen gesetzt. Ideen begegnen den Ideen anderer. Die Wahrheit der eigenen Überzeugung muss sich aus sich selbst heraus bewähren; sie mit subtiler oder grober Missachtung und durch Liquidation anderer durchzusetzen ist inhuman. Aber die Kraft, der je eigenen Grundüberzeugung, jener »unbestochnen, von Vorurteilen freien Liebe nachzueifern«, erfordert nicht nur, Weisheit, Interesse, Vernunft, Einfühlung und Selbstüberschreitung zusammenzubringen, sondern erfordert Alternativen, die inneren Frieden in einer praktizierten Demokratie ermöglichen. Erst dann lässt sich das bislang herrschende Prinzip »Wer wen?« durch das neue Prinzip »Leben und leben lassen!« ersetzen.