Kapitel 8
Zwei Tage nach Johannes „verunglücktem“ Bordellbesuch klingelte bei ihm am Sonntagabend das Telefon.
„Hallo Johannes. Lisa hier.
„Lisa. Du? Was gibt es?“, fragte Johannes völlig überrascht.
„Mit meinem Anruf hast du sicher so schnell nicht gerechnet. Ich habe eine gute Nachricht für dich. Du wirst dich bestimmt freuen.“
Lisa machte Johannes neugierig.
„Was ist passiert? Erzähl schon! Spann mich nicht so lange auf die Folter!“
„Also pass auf! Wir haben eine nette Hilfe für Deinen Bauernhof gefunden. Es ist eine alte Schulfreundin von mir. Sie ist sehr nett. Ihr werdet bestimmt gut miteinander auskommen. Sie wird sich übermorgen früh 9:00 Uhr bei dir vorstellen. Ist dir das recht?“
„Was? So schnell. Ich bin gar nicht darauf vorbereitet.“
„Das ist doch kein Problem. Sie wird sicher Erfahrung haben, wie es auf Bauernhöfen aussieht, wo seit längerer Zeit die Bäuerin fehlt.“
Johannes stammelte irgendetwas wie eine Antwort.
„Ja, äh, dann soll sie mal kommen!“
*
Den ganzen Montag war Johannes unkonzentriert, musste ständig an den kommenden Tag denken. Wie sollte er sich der Frau gegenüber verhalten? Noch nie zuvor befand er sich in einer ähnlichen Situation. Was ist, wenn die Chemie zwischen beiden nicht stimmt? Gegenseitige Sympathie ist nun mal die Voraussetzung für eine erfolgreiche und vor allem verlässliche Zusammenarbeit auf einem Bauernhof.
*
Am Dienstag klingelte es pünktlich um neun Uhr an der Tür. Johannes öffnete selbst. Christin gab er kurzfristig frei. Eine recht attraktive Frau mittleren Alters lächelte ihn an und sagte: „Guten Morgen Herr Sandgruber. Ich bin die Vroni Erdmann. Von meiner Schulfreundin Lisa habe ich erfahren, dass sie dringend eine Hilfe für den Bauernhof suchen. Ich nehme an, dass sie sie schon vorgewarnt hat, dass ich mich heute bei ihnen vorstellen möchte.“
Johannes war aufgeregt, sein Hals wie zugeschnürt. Es fiel ihm schwer, die richtigen Begrüßungsworte zu finden.
„Hallo Vroni. Ich freue mich. Ja, das stimmt, das mit Lisa. Sie hat gestern bei mir angerufen. Ja, ich suche eine Hilfe, hier auf dem Hof. Kommen sie aber erst einmal rein!“
Vronis halblange brünette Haare passten gut zu ihrer weißen Rüschenbluse, zu der sie hellblaue verwaschene Jeans trug. Auf den ersten Eindruck war Johannes begeistert und der soll ja bekanntlich der beste sein. Jetzt müsste sie nur noch ordentlich zupacken können, dachte er. Doch dies konnte er am allerbesten während einer Probezeit feststellen.
„Vroni, ich darf doch du sagen?“, fragte Johannes noch ein wenig befangen.
„Aber natürlich duzen wir uns.“
Ihre gute Menschenkenntnis verriet Vroni, dass sie gleich zu Beginn einen guten Eindruck auf Johannes gemacht hat.
„So hübsch hätte ich mir dich nicht vorgestellt“, schmeichelte ihr Johannes.
„Danke für das nette Kompliment. - Aber wie denn dann? Wie eine Vogelscheuche etwa? Wie ein Landei? Oh, entschuldige!“
Langsam bekam Johannes Auftreten wieder mehr Sicherheit.
„Na, ja, vielleicht nicht ganz so. Dir ist aber schon bewusst, dass die Arbeit auf solch einem Bauernhof kein Zuckerschlecken ist?“
Vroni lief im Raum umher und schaute sich interessiert um.
„Ich weiß, ich habe keine Angst vor der Arbeit. Ich arbeite gern und ich bin mir sicher, dass mir auch diese schwere Arbeit auf dem Hof Freude bereiten wird.“
„Freude muss die Arbeit schon machen, sonst erledigt man sie nicht gewissenhaft. - Na, gut, wir werden sehen. Bist du einverstanden, dass du erst einmal für eine Woche bei mir zur Probe arbeitest?“
„Ja gern. Soll ich gleich heute anfangen?“
Johannes schaute sie erstaunt an, mit solch einer spontanen Entscheidung hätte er sicher nicht gerechnet.
„Mir soll‘s recht sein, dann fängst du eben heute schon an“, sagte Johannes, obwohl ihm diese Zustimmung von Vroni etwas aus dem Konzept gebracht hat. Er musste unbedingt noch einen wichtigen Punkt ansprechen.
„Ach, ist dir eigentlich klar, dass du bei mir sechs Tage in der Woche arbeiten musst?“
Vroni schluckte, dieser Umstand brachte sie ein wenig aus der Fassung, doch sofort lächelte sie wieder: „Ja, - das – geht – in - Ordnung.“
„Noch etwas“, ergänzte Johannes mit erster Mine. „Diese Arbeit als Aushilfe ist zunächst einmal auf ein halbes Jahr begrenzt. Ich habe nämlich vor, wieder zu heiraten.“
„Und, hast du schon eine Braut?“, fragte Vroni neugierig und schaute Johannes dabei an, als hätte sie diese Bemerkung nicht von ihm erwartet. Oder wollte er nur ihre Reaktion darauf testen?
Johannes schaute Vroni von oben bis unten demonstrativ musternd an, schwieg für einen Augenblick und antwortete ihr schließlich: „Schon möglich. Wir werden sehen.“
Vroni nahm an, dass diese Bemerkung von Johannes nur eine versteckte Anspielung auf sie war und lächelte verlegen.
„Was hast du eigentlich bisher gemacht?“, erkundigte sich Johannes.
Vroni überlegte einen Augenblick. Um Zeit zu gewinnen, setzte sie sich in aller Ruhe an den Küchentisch und schaute Johannes mit ernster Mine an.
„Zurzeit bin ich arbeitslos. Die Firma, in der ich fast fünfzehn Jahre gearbeitet habe, hat von heute auf Morgen Insolvenz anmelden müssen; Missmanagement, Korruption, das ganze Programm. Die Chefs haben unbemerkt in ihre eigene Tasche gewirtschaftet.“
„Das hört man ja jetzt öfter. Entweder sie arbeiten in ihre eigene Tasche oder für ihre verdammten Aktienkurse. Cache Flow, oder wie das auch alles heißt. - Was war das für eine Firma?“
„Ach, eine Zulieferfirma für die Autoindustrie.“
„Und als was hast du dort gearbeitet?“
„Ich war zuständig für den Vertrieb. War viel im Außendienst, selten im Büro. Habe von all den Problemen nicht sehr viel mitbekommen. Es hat mich damals kalt erwischt. Das kannst du dir sicher vorstellen?“
„Siehst du, so schnell kann es gehen. - Komm mit, ich zeig dir dein Zimmer! Dort kannst du dich umziehen, deine persönlichen Sachen unterbringen. Es wäre sowieso besser, wenn du die Woche über hier bei uns wohnen würdest. Bist du verheiratet oder hast du Kinder?“
„Verheiratet bin ich nicht, aber eine Tochter hab ich, die Sonja. Aber die ist bereits erwachsen, die braucht mich nicht mehr. Das geht schon irgendwie zu regeln.“
Johannes führte Vroni in einen etwa 18 qm großen Raum mit Kleiderschrank, Tisch, Bett und zwei Stühlen. Das Bett war frisch überzogen.
Vroni war begeistert von dem behaglichen Zimmer. „Oh, ist das schön.“
„Machs dir bequem! Fühl dich wie Zuhause! Im Bad sind Handtücher und Seife. Wenn du umgezogen bist, machen wir eine kleine Hausbesichtigung. - Ach, hast du Arbeitskleidung mit, oder soll ich dir ein paar Klamotten von unserer Magd Christin bringen? Aber, ob die dir passen werden.“
„Ist schon gut, ich habe hier ein paar Sachen in meiner Tasche.“
Johannes lachte: „Das nenne ich vorausschauend. Also bis dann.“
Wenig später erschien Vroni in Arbeitssachen bei Johannes.
„So, es kann losgehen.“
Johannes staunte über Vronis selbstsicheres Auftreten. Jetzt war er sich endgültig sicher, dass sie es ernst mit der Arbeit meinte.
„Du kannst es wohl gar nicht erwarten, wieder zu arbeiten?“
Johannes zeigte Vroni zunächst den Bauernhof und anschließend die Ställe. Er machte sie mit den Zeiten der Fütterung und des Säuberns bekannt und erklärte ihr, wann die Kühe gemolken werden müssen. Gleichzeitig stellte er Vroni Alma und Jakob vor.
Vroni zeigte sich sehr interessiert und verkündete zur Freude von Johannes: „Dann werde ich also zunächst einmal bis Samstag hier bleiben.“
„Prima, ich freue mich. Komm mit, Vroni! Ich werde dich gleich mal Lukas, unserem Knecht vorstellen. Er wird sicher staunen, wie schnell es mit der neuen Hilfe ging. Er hat nämlich schon die ganze Zeit darauf gedrängt, dass ich mir wieder eine Frau, eine Hilfe für den Hof, suchen soll. Ihr werdet euch sicher gut verstehen, der Lukas und du.“
Sie gingen raus auf den Hof. Lukas kam gerade mit dem Traktor vom Feld. Johannes winkte ihn zu sich: „Lukas, komm mal her!“
Lukas stieg vom Traktor, neugierig kam er schnell zu den Beiden gelaufen.
„Lukas, das ist Vroni, sie wird ab heute bei uns auf dem Hof arbeiten. Kühe melken, Stall ausmisten, die leichteren Arbeiten eben. Für die Schweren habe ich ja dich.“
„Prima, ich freue mich, Vroni. Wenn du Hilfe brauchst, kannst du gern zu mir kommen.“
Lukas lächelte und Vroni lächelte zurück. Man sah ihnen an, dass sie sich gleich auf den ersten Blick sympathisch waren.
Johannes hatte nur ein paar wenige Worte mit Vroni gewechselt, er spürte aber sofort, dass zwischen ihnen die Chemie stimmte. Ihre liebenswürdige Aura umhüllte ihn, wie eine Wolke teuren Parfums, betäubte ihn, wie eine Droge. Er fühlte sich wohl, wenn sie in seiner Nähe war. Es kam ihm vor, als wäre sie die Reinkarnation seiner allerersten Liebe aus einem früheren Leben. Von heute auf morgen war er ein anderer Mensch.
*
Am nächsten Morgen kam Vroni gut gelaunt zur Küchentür herein. Johannes saß bereits mit Alma und Jakob am Frühstückstisch, auch Christin war wieder anwesend und verrichtete ihre aufgetragene Arbeit, nur Lukas hatte sich bereits auf den Weg zu den Feldern gemacht.
„Guten Morgen, alle zusammen.“
Johannes schaute Vroni an, als ob sie ihn an irgendjemand erinnert, als ob er sie von irgendwoher kennen würde. So sehr er auch grübelte, er kam einfach nicht drauf. Stattdessen sagte er zu ihr: „Guten Morgen Vroni. Setzt dich zu uns! Hast du gut geschlafen? Hast du was Schönes geträumt? Du weißt, was man in der ersten Nacht in einem fremden Bett träumt, geht in Erfüllung.“
Vroni setzte sich an den Tisch.
„Ja, ich habe was Schönes geträumt. Aber das verrate ich dir nicht.“
Johannes schenkte ihr Kaffee ein.
„Möchtest du Milch und Zucker?“
„Ja, gern, beides.“
„Hier sind frische Brötchen. Ach und das hier ist Christin, unsere Haushaltshilfe. Christin, das ist Vroni. Sie wird von nun an auf dem Hof mit anpacken.“
Vroni gab Christin die Hand, erhob sich extra noch einmal vom Tisch und lächelte Christin an.
„Ich freue mich, Christin.“
Christin dagegen verzog keine Miene, als sie Vroni die Hand gab, blieb sie betont ernst.
„Hallo Vroni“, sagte sie nur kurz.
Johannes bemerkte, dass Christin erst einmal auf Distanz zu Vroni ging. Das machte sie immer so bei Fremden. Vielleicht ist dies auch der Grund, dass sie bis zu diesem Tag noch keinen Mann hatte. Dabei ist sie gar nicht so grimmig, wie sie manchmal drein schaut. Ein Freund würde ihr sicher gut tun.
„Vroni bleibt vorerst ein paar Tage zur Probe hier. Aber ich denke, dass wir sie auch darüber hinaus auf dem Hof sehen werden.“
Vroni lächelte Johannes verschmitzt an. Nur Alma schaute etwas skeptisch.
„Kommst du aus der Stadt?“, fragte sie.
„Ja, aber bereits seit meiner Kindheit interessiere ich mich für Tiere und Bauernhöfe. Es war schon immer ein großer Traum von mir, einmal auf einem richtigen Bauernhof zu leben.“
„So, so“, nickte Alma, „dann geht also jetzt ein Traum für dich in Erfüllung. Hoffentlich wird es kein Alptraum.“
Vronis Lächeln erstarrte, sie wusste nicht, wie sie auf diese Bemerkung reagieren sollte, war verunsichert, nachdem bereits Christin sie nicht gerade mit offenen Armen begrüßte. Johannes versuchte, die verfahrene Situation zu retten.
„Endlich kommt wieder etwas Licht in unseren Hof. Ich denke, dass du dich recht bald eingelebt haben wirst und dass wir gut zusammenarbeiten werden.“
Mit dieser Bemerkung provozierte Johannes wieder ein Lächeln bei Vroni. Nach einer kurzen Unterbrechung sagte er weiter: „Freitagabend kommt Ruben, mein Sohn, ich habe dir bereits von ihm erzählt. Er wird dich sicher auch mögen.“
„Ich freue mich, endlich mal deinen Sohn kennenzulernen. Wie gefällt ihm denn das Biologiestudium?“
Johannes stutzte plötzlich: „Woher weißt du, dass er Biologie studiert? Ich habe dir nie etwas von Ruben erzählt.“
„Ach“, stotterte Vroni, „das habe ich mir nur so gedacht. Wer auf einem Bauernhof lebt, was soll der denn anders studieren als Biologie oder höchstens Landwirtschaft.“
Johannes schaute Vroni einen Augenblick in die Augen, dann sagte er: „Ist eigentlich logisch.“
*
Als Ruben am Freitag nach Hause kam und in der Küche nur Christin vorfand, die sich etwas merkwürdig benahm, fragte er sie: „Was ist los? Stimmt irgendetwas nicht? Wo ist Papa?“
„In der Scheune, mit Vroni.“
„Vroni, wer ist Vroni?“
„Papas Neue, neue Hilfe auf dem Hof, so wie er immer betont.“
Ruben rannte aus dem Haus, geradewegs in die Scheune.
„Hallo Ruben“, begrüßte ihn Johannes, „darf ich dir Vroni vorstellen. Sie wird mich in Zukunft etwas bei meiner Arbeit unterstützen. Etwa so, wie es deine Mutter immer getan hat.“
Vronis Lächeln machte Ruben verlegen. Er schaute sie mit großen Augen an, musterte sie von oben bis unten.
„Hallo Vroni. Du bist also dieser Ersatz für Mutter. Ich freue mich.“
„Hallo Ruben, ich freue mich auch, dich kennenzulernen. Ich möchte jedoch kein Ersatz sein. Ich möchte Vroni sein.“
Beide schauten sich schweigend an. Johannes sagte: „Ja, dann wollen wir mal Abendbrot essen gehen.“
*
Vronis einwöchige Probezeit verging wie im Fluge und zu Johannes vollster Zufriedenheit. Aus der Probezeit wurde eine feste Anstellung. Inzwischen waren zwei Wochen vergangen.
„Papa scheint auf dem richtigen Weg zu sein“, freute sich Ruben, als er am Sonntagabend in Lukas Zimmer kam.
Lukas, der gerade dabei war, einige buchhalterische Arbeiten zu verrichten, meinte: „Ich würde mich freuen, wenn das mit den beiden klappen würde. Ich finde Vroni ganz nett. Sie muss deinem Vater ganz schön den Kopf verdreht haben.“
„Wie kommst du da drauf?“, fragte Ruben neugierig.
„Johannes hat doch nur noch Augen für Vroni, Vroni hier, Vroni da. Alles dreht sich nur noch um sie. Hast du davon noch nichts mitbekommen?“
Ruben nickte und sagte: „Doch, doch. Vielleicht bringt sie ihn auf andere Gedanken und er vergisst Marie. Denn, irgendwie habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich Papa vor der Polizei schütze.“
„Mach dich nicht verrückt. Er ist dein Papa. Im Knast würde es ihm noch viel schlimmer ergehen“, beruhigte ihn Lukas.
Ruben, dagegen, war etwas skeptischer: „Schließlich hat er bereits drei junge Frauen auf dem Gewissen und wer weiß, ob er irgendwann einmal durchdreht und uns etwas antut.“
„Ach was. Bevor er uns was antut, würde er lieber sich selbst was antun.“
„Ich weiß nicht, ob ich dieses Versteckspiel auf die Dauer durchhalten kann.“
„Weißt du Ruben, was mir aufgefallen ist?“, fragte Lukas.
„Was denn?“
„Der Hochsitzmörder hat seit über mehr als sechs Wochen nicht mehr zugeschlagen. Ich glaube, die Vroni hat Papa wieder gesund gemacht.“
„Glaubst Du, dass es wirklich nur an Vroni liegt? Dein Vater kam mir auch davor schon ziemlich verändert vor. Irgendetwas muss passiert sein. Ich weiß nur nicht was.“
*
Schneider wollte gerade in sein süßes Teilchen beißen, da klingelte das Telefon: „Hauptkommissar Schneider. Was kann ich für sie tun?“
Doch am anderen Ende meldete sich niemand. Er wiederholte seine Worte: „Hauptkommissar Schneider. Was kann ich für sie tun? Wer sind sie? Hören sie mich?“
Dann sprach eine merkwürdig verstellte weibliche Stimme: „Möchten sie wissen, wer der Hochsitzmörder ist?“
Schneider hatte es bereits des Öfteren mit Spaßvögeln zu tun, deshalb fragte er: „Wer sind sie? Sagen sie mir ihren Namen!“
„Mein Name ist uninteressant. Ich weiß, wer der Hochsitzmörder ist und sie wissen es auch?“
Schneider glaubte, es mit einer verwirrten Frau zu tun zu haben.
„Wenn sie mir etwas sagen möchten, dann kommen sie bitte in mein Büro.“
„Nein, nicht in ihr Büro. Wir treffen uns. In einer Stunde auf dem Markt, am Brunnen, 16:00 Uhr, seien sie pünktlich.“
Dann legte sie auf.
„Schon wieder so eine Verrückte. Behauptet den Hochsitzmörder zu kennen. Sie möchte sich mit uns auf dem Markt treffen, in einer Stunde, um 16:00 Uhr“, sagte Schneider zu Eller.
Eller fragte: „Und, gehen wir hin?“
Schneider entrüstete sich: „Sag mal, spinnst du. Wir können doch nicht jeden Idioten, der hier anruft, ernst nehmen. Die sollen herkommen, wenn sie eine Aussage machen wollen. Sie sagte, ich würde ihn auch kennen.“
Eller überlegte, dann sagte er: „Na, wenn das so ist. Dann sollten wir das Angebot ernst nehmen. Komm, Jürgen, das ist nicht weit. Lass uns gehen.“
Schneider brummelte: „Nicht mal in Ruhe Kaffee trinken kann man. Weißt Du, Frank, was mich stutzig macht? Sie sagte, ich würde ihn auch kennen. Das interessiert mich jetzt mal wirklich. Wie meint die das? Komm! Wir gehen gleich zu Fuß. Ein wenig frische Luft wird uns ganz gut tun.“
*
Als sie pünktlich 16 Uhr dem Brunnen ankamen, war niemand zu sehen. Schneider sagte: “Siehst du, was habe ich gesagt, ein Spinner.“
Eller hatte immer noch Hoffnungen.
„Lass uns wenigstens bis zum Brunnen gehen und noch zehn Minuten warten.“
Als nach zehn Minuten immer noch niemand zu sehen war, sagte Schneider: „Komm, Frank. Es war ein schöner Spaziergang. Wir gehen.“
Plötzlich rief Eller: „Halt, Jürgen, hier liegt etwas.“
„Suchst du schon wieder im Müll?“
„Nein, hier steckt ein Zettel zwischen den Steinen.“
Eller nahm den Zettel heraus, faltete ihn auf und las vor: „Tut mir leid, Herr Kommissar. Ich bringe es nicht übers Herz, meinen Mann zu verraten. Ich liebe ihn immer noch.“
Schneider wunderte sich: „Wer könnte das geschrieben haben? Wieso kenne ich den Mörder. Ich muss mal überlegen, wen ich alles kenne.“
Eller setzte sich maßlos enttäuscht auf den Brunnenrand und sagte: „So ein Mist.“
„Warum?“
„Weil ich bisher immer den Sandgruber verdächtigt habe und dir damit immer auf die Nerven gegangen bin. Aber dessen Frau ist tödlich verunglückt.“
„Siehst du, ich hab dir gleich gesagt: Es ist nicht der Sandgruber.“
„Komm, lass uns gehen“, meinte Eller. „Das muss ich erst mal verdauen.“
*
Johannes war glücklich, endlich wieder eine brauchbare und zuverlässige Hilfe auf seinem Bauernhof zu haben. Und weil von Anfang an auch die Chemie zwischen beiden stimmte, bauten sie schnell ein Vertrauensverhältnis auf. Die anfangs recht schüchterne Vroni entpuppte sich binnen weniger Tage als eine selbstsichere resolute Frau.
Johannes begann sich ein wenig in Vroni zu verlieben und bekam nicht mit, wie auch sie versuchte, ihm peu à peu den Kopf zu verdrehen. Vroni machte sich fast jede Gelegenheit zunutze, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, um ihn zu provozieren.
Eines Morgens, als Johannes in den Kuhstall kam, um das Heu für die Tiere zu erneuern, war Vroni gerade mit dem Melken der Kühe beschäftigt. Sie saß auf einem Melkschemel, zwischen ihren Beinen stand ein Zinkeimer, in den in Sekundenabständen die frische Milch spritzte. Als sie Johannes hereinkommen sah, sagte sie zu ihm: „Hallo Johannes, Du willst mir doch nicht etwa beim Melken helfen?“
Im gleichen Augenblick schob sie ihren Rock noch etwas weiter nach oben und öffnete ein wenig ihre Beine, als ob es auf einem Bauernhof gang und gäbe wäre, in dieser Position eine Kuh zu melken.
„Ich denke, das kannst du schon ganz gut allein.“
Johannes ging auf Vroni zu, er konnte ihr genau unter den Rock schauen, schemenhaft erkannte er ihr schwarzes Höschen. Doch als er direkt vor ihr stand, konnte er seinen Augen kaum trauen. Das angebliche schwarze Höschen in Form eines dunklen Dreiecks war in Wirklichkeit gar keins, es war der dunkle Flaum ihres Venushügels.
Johannes war fassungslos, wusste nicht, wie er sich in dieser Situation verhalten sollte. Er schaute wie ein kleiner Junge, der zu ersten Mal bewusst den kleinen Unterschied zwischen Mann und Frau wahrnimmt. Sollte er eine kritische Bemerkung machen? Er wusste ja nicht, ob Vroni es unabsichtlich machte oder ob sie ihn tatsächlich provozieren wollte. Was sollte er denn sagen? Genau so gut könnte er mit einer unpassenden Bemerkung ins Fettnäpfchen treten, sich vollends lächerlich machen. Demonstrativ schaute er ihr für Sekunden an jene Stelle, die er schon eine geraume Zeit lang bei einer Frau nicht mehr sehen, geschweige denn berühren konnte.
Vroni hob ihren Kopf und blickte kurzzeitig zu Johannes hinauf. Als sie sah, wohin Johannes Blick gerichtet war, rutschte sie auf dem Schemel noch etwas weiter nach vorn. Dadurch gab sie noch mehr von ihren intimen Reizen frei, lächelte ihn an und fragte: „Gefällt es dir? Der Schemel ist etwas unbequem. Ich weiß nie, wie ich darauf sitzen soll. “
Johannes wusste nicht, was er davon halten sollte. Obwohl er Vroni sehr mochte und auch ihre Arbeit schätzte, wollte er ihr beweisen, dass er nicht so leicht von derartigen Zurschaustellungen weiblicher Reize zu beeindrucken war. Er schaute ihr noch einmal für einen Augenblick an jene Stelle, die Vroni ihm demonstrativ darbot, direkt zum Anbeißen, und sagte schließlich in ernstem und eindringlichem Ton: „Du machst das schon ordentlich. Wenn es dir zu unbequem ist, solltest du dir vielleicht etwas anderes anziehen.“
Vroni hatte gewiss eine andere Antwort erwartet. Schlagartig stand sie auf, ließ umgehend ihren Rock nach unten fallen und setzte sich wieder.
„Du hast recht, so ist es viel bequemer und nicht so kalt am Po“, scherzte sie schnippisch.
Einen Augenblick noch stand er vor Vroni, beobachtete sie beim Melken und schaute sie von Kopf bis Fuß an. Als sein Blick auf ihren nackten Füßen ruhte, verharrte er plötzlich. Den hellgrünen Nagellack hatte er doch schon einmal bei einer Frau gesehen. Er überlegte einen Augenblick, aber er kam nicht drauf. Ohne ein Wort zu sagen, begann Johannes mit dem Ausmisten der einzelnen Boxen.
Als Vroni mit dem Melken der Kühe fertig war, kam sie zu Johannes und sagte, während er seine Arbeit nicht unterbrach: „Entschuldige bitte, wegen vorhin. Es war nicht so, wie du denkst. Ich wollte dich nicht provozieren. Ich musste meinen Slip ausziehen, weil ich ihn mir mit Milch vollgespritzt hatte. Ich kann es dir zeigen. Er hängt dort vorn über dem Balken, ich musste ihn kurz durchwaschen. Das Ganze war nur ein Spaß. Ich dachte, du würdest darüber lachen. Hätte ich geahnt, dass du dies als Anmache siehst, hätte ich es nicht gemacht. Glaube mir!“
Johannes unterbrach seine Arbeit und schaute Vroni an, dann begann er zu lächeln.
„Ich habe es auch als Spaß aufgefasst. Ist schon gut. Es ist nur …“ Johannes unterbrach seinen Satz, wollte Vroni eigentlich sagen, dass es für ihn nicht leicht ist, so lange schon ohne Frau. Aber im letzten Moment überlegte er es sich anders und machte einen Rückzieher.
„Was, nur …?“, fragte Vroni, die genau wusste, was Johannes ihr sagen wollte.
„Schon gut. Vergessen wir’s.“
Vroni lächelte nun auch, gab Johannes ein Küsschen auf die Wange, drehte sich um und wollte aus dem Stall gehen. Da rief ihr Johannes hinterher: „Vroni!“ Sie blieb stehen, drehte sich um. „Es hat mir aber gefallen.“
Vroni grinste und ging mit erhobenem Kopf aus dem Stall.
*
Mustafa begrüßte Schneider und Eller bereits von Weitem: „Hallo Kommissare, Du essen wieder Döner? Ganz frisch heute, nicht Fleisch von Gammel, Fleisch von meine Freund Mehmet.“
Schneider freute sich, Mustafas optimistische Stimme zu hören.
„Rede nicht, du weißt doch gar nicht, was da alles in dem Döner drin ist.“
Mustafa war künstlich empört über Schneiders Anschuldigung, seine Stimme wurde laut und er fuchtelte mit den Armen.
„Kommissare, ich wissen genau. Mehmet immer sagen: Für Döner ich legen Hand in Feuer. Du müssen glauben?“
„Mehmet, du weißt: In diesen Zeiten kann man niemanden mehr trauen. Das müssen wir erst kosten. Mach uns mal zwei, aber nur einmal mit Knoblauchsoße.“
„Kommen sofort.“
Mustafa bereitete zwei Döner zu und fragte währenddessen: „Was ist mit Hochsitzmörder? Verschwunden? Hat sich aufgelöst in Luft?“
Eller wollte einen Spaß machen: „Vielleicht steckt er hier im Döner.“
Mustafa lachte: „Du machen Scherze. Freund von Kommissare ist Schlitzohr. Mustafa fallen nicht drauf rein. Mustafas Döner nur Fleisch von jungen Kalb. Nicht Fleisch von Mörder von Hochsitze. Du werden schmecken.“
Schneider wollte wieder etwas Ernst in das Gespräch reinbringen.
„Nein, Mustafa, du und Deine Familie müssen immer noch auf der Hut sein. Wir haben ihn leider noch nicht, aber wir sind nah dran. Es kann nicht mehr lange dauern, dann haben wir ihn.“
„Ich drücken Daumen, Kommissare. - Hier zwei Döner, extra für Polizei mit Salat grün, weiß. Oh, ich nicht dran gedenkt. Polizei ja jetzt blau. Blau, wie Wasser Nil. Ich bekommen sechs Euro.“
Sie bezahlten die beiden Döner und gingen zu einem der runden Standtische.
Mustafas Frage nach dem Hochsitzmörder wühlte bei Schneider das für kurze Zeit verdrängte Problem wieder neu auf.
„Irgendetwas muss passiert sein. Entweder der Hochsitzmörder lebt nicht mehr, was ich eher nicht glaube, oder es ist etwas geschehen, das ihn plötzlich davon abhält, junge Frauen umzubringen.“
„Das Erstere wäre schlimmer. Seine gerechte Strafe sollte er schon noch bekommen“, antwortete ihm Eller.
„Wir sollten unsere Strategie noch einmal überdenken. Ich bin mir sicher, dass wir irgendwo einen kleinen Denkfehler haben.“
„Das ist doch meine Rede. Aber du willst ja partout nicht auf mich hören. Was ist, wenn es tatsächlich der Sandgruber ist?“, fragte Eller und schaute dabei Schneider vorwurfsvoll an.“
Der nuschelte nur mit vollem Mund: „Er ist es aber nicht. Seine Frau ist tot, kapierst du das nicht?“
Wieder einmal schien es Eller, als ob Schneider seinen Vermutungen keinerlei Beachtung schenkte, und regierte sauer.
„Deine Sturheit wird dir noch mal das Genick brechen. Was ist, wenn sie gar nicht tot ist.“
Schneider schaute Eller an, ohne auch nur eine Miene zu verziehen.
„Komm, lass uns gehen! Bevor du wieder anfängst zu spinnen.“
„Aber ich bin noch gar nicht fertig.“
„Iss im Auto weiter! Mir ist der Appetit vergangen.“
*
Ausgerechnet zur Haupterntezeit erwischte es Lukas schwer. Er lag mit hohem Fieber im Bett. Johannes war mit Vroni auf dem Feld. Er lud die getrockneten Strohballen auf einen Hänger, der von einem Traktor gezogen wurde. Vroni rechte das restliche Stroh zusammen. Sie trug eine karierte Bluse, bei der die obersten drei Knöpfe geöffnet waren. Johannes konnte ihr von der Ladefläche des Hängers direkt in den Ausschnitt und somit auf ihre wundervollen Brüste schauen. Er nahm auch wahr, dass Vroni etwas unruhig von einem Bein auf das andere trampelte.
„Was ist los mit dir?“, fragte Johannes.
„Johannes entschuldige mich bitte mal für einen Moment. Ich muss mal dringend für kleine Mädchen. Ich halt es nicht mehr länger aus. Der Kaffee von heute Morgen treibt“, sagte Vroni.
„Aber beeil dich!“
„Bin sofort wieder zurück.“
Sie lief eilig ein paar Meter zur Seite, aber nur so weit, dass Johannes sie noch gut sehen konnte. Dann hob sie ihren Rock, kauerte sich hin und urinierte auf das abgeerntete Feld. Alles passierte in Windeseile.
Ohne seine Arbeit zu unterbrechen, beobachtete Johannes sie dabei. Vroni schaute ihm ins Gesicht und lächelte, als ob es das Natürlichste auf der Welt sei, sich vor einem Mann so schamlos zu erleichtern. Fast eine halbe Minute dauerte dieses außergewöhnliche Schauspiel.
„Ach, tat das gut. Das war vielleicht nötig. Beinahe hätte ich mir ins Höschen gemacht. Noch einen Schritt und dann wäre es passiert“, sprach sie anschließend.
„Welches Höschen? Schämst du dich denn gar nicht?“, fragte Johannes.
„Oh, hab ich heute schon wieder kein Höschen an. Böses, böses Mädchen, Vroni. Der Onkel Johannes hat das gar nicht gern“, murmelte Vroni leise, aber verständlich vor sich hin.
Johannes war über Vronis Verhalten etwas irritiert und fragte: „Hättest du nicht wenigstens hinter den Wagen gehen können?“
„Das hätte ich nicht mehr geschafft. Außerdem dachte ich, du magst das, den Frauen dabei zuzusehen. Die meisten Männer mögen das.“
Johannes schwieg und stimmte ihr somit insgeheim zu. Vroni stand auf, ordnete ihren Rock und sagte: „Du brauchst dich dafür nicht zu schämen, ich schäme mich auch nicht.“
„Das hab ich gesehen.“
„Außerdem bist du nun kein fremder Mann mehr für mich.“
Johannes war sich unsicher. Einerseits faszinierte ihn natürlich diese delikate Situation, andererseits wollte er Stärke zeigen gegenüber Vroni. Er wusste jedoch, dass er nicht mehr lange gegen diesen inneren Konflikt ankämpfen könnte. Eines Tages würde er wohl kapitulieren und sich ihren Reizen ergeben. Manchmal war er sich jedoch nicht sicher, ob Vroni nur mit ihm spielte oder ob sie es ernst meinte.
Vroni agierte abgeklärt und erfahren. Sie wusste genau, was sie tat und wie weit sie gehen konnte. Jede Reaktion von Johannes war im Voraus durchdacht, gedanklich durchgespielt.
*
Als Johannes zweimal klingelte, öffnete ihm Lola. Verwundert fragte sie ihn: „Johannes, was machst Du denn hier? Komm rein!“
Johannes trat in den Flur.
„Hallo Lola. Ist Lisa da?“
„Lisa arbeitet nicht mehr bei uns.“
„Was sagst du da?“
„Ja, seit ein paar Wochen. Kann ich dir eine andere Dame empfehlen? Vielleicht die Babette?“
„Nein, ich möchte keine Dame. Ich wollte …“
„Ich weiß, du wolltest zu Lisa, aber die ist leider Gottes nicht mehr hier. Sie war immer sehr beliebt bei den Männern. Seit sie nicht mehr da ist, ist unser Umsatz rapide zurückgegangen.“
„Nein, doch“, Johannes fing an zu stottern. „… ich wollte ihr nur sagen, dass ich nicht mehr komme und mich dafür bedanken, dass sie mir bei der Suche nach einer Hilfe so unterstützt hat. Kennst du ihre Telefonnummer?“
„Nein, tut mir leid. Die kenne ich nicht.“
„Nicht?“ Johannes wunderte sich. „Dann kann ich es auch nicht ändern. Schade. Falls du sie mal wieder siehst, bestelle ihr einen schönen Gruß von mir!“
„Mach ich, Johannes. Bist du eigentlich mit deiner neuen Hilfe zufrieden?“
Johannes Blick erhellte sich. Er strahlte: „Ja, ich bin sehr zufrieden. Sie ist eine nette hübsche Frau und sehr fleißig.“
„Schön, ich freue mich für dich.“
*
Lukas erholte sich recht schnell wieder von seinem fieberhaften Infekt. Bereits vier Tage später ging es ihm schon wieder so gut, dass er mit Johannes auf den Feldern arbeiten wollte. Johannes gab ihm aber noch einige Tage Schonzeit, damit er sich richtig auskurieren konnte.
Es klingelte an der Tür, Lukas öffnete. Im ersten Moment erkannte er die junge Frau nicht, er schaute sie von oben bis unten an, dann dämmerte es bei ihm und er sagte: „Marie, das ist aber eine Überraschung. Wo kommst Du denn auf einmal her? Mit deiner neuen Frisur hätte ich dich fast nicht erkannt.“
Marie, die ihre Haare dunkelrot gefärbt und zu einem Zopf gebunden hatte, war eher etwas zurückhaltend.
„Hallo Lukas. Ich wollte zu Johannes.“
„Johannes ist heute nicht da, er ist auf dem Berg oben, in seiner Hütte.“
„Ach, auf dem Berg, in der Hütte. Schade.“
„Willst du nicht reinkommen. Wir haben uns ja lange nicht gesehen. Ich freue mich, dich mal wieder zu sehen.“
Marie wehrte ab, ihr Blick war kühl und abweisend.
„Nein, nein, ist schon gut. Ich geh dann mal lieber wieder.“
Lukas wollte sie überreden, noch für einen Augenblick reinzukommen.
„Warum? Jetzt bist du einmal hier. Ich koch uns einen Kaffee.“
Jetzt kam auch noch Vroni an die Tür, schaute Marie mit großen erschrockenen Augen an und rief:
„Marie, was machst du hier?“
Als sie Vroni sah, drehte sich Marie um und rannte weg, so schnell sie konnte. Lukas schaute ihr hinterher und ganz leise sagte er: „Marie, warum rennst du weg?“
Dann drehte er sich um und fragte Vroni: „Woher kennst du Marie? Kannst du mir das erklären?“
Anstatt zu antworten, verschwand Vroni schweigend in ihrem Zimmer.
*
Johannes öffnete die Tür zum Badezimmer, sie war nicht verschlossen. Nichts ahnend ging er hinein und sah, wie Vroni, ein fröhliches Lied summend, unter der Dusche stand. Vroni registrierte den unverhofften Gast, tat jedoch nichts dergleichen. Sie unterbrach lediglich ihr Summen, lächelte Johannes an und sagte: „Oh, da habe ich glatt vergessen, abzusperren.“
Anstatt umgehend das Bad wieder zu verlassen, blieb Johannes vor der Dusche stehen. Durch die transparenten Glastüren betrachtete er Vroni, wie sie ihren nackten Körper einseifte. So wie Gott sie erschaffen hat, sah er sie zum ersten Mal. Ihr fraulicher, aber dennoch wohlproportionierter Körper, schien in ihm sinnliche Gefühle zu wecken, die er lange Zeit unterdrücken musste.
Vroni genoss Johannes lüsterne Blicke, die von ihrem bezauberndem Busen über den Bauchnabel bis hin zu dem Dickicht von gelocktem, schwarzem Haar, die ihre Scham vollständig bedeckten, wanderten.
Als sie sich unter dem heißen dampfenden Strahl der Dusche hin und her drehte, gab sie den Blick frei auf die festen Rundungen ihres Hinterteils und in dem Tal zwischen ihren Brüsten staute sich das Wasser, schoss in einem starken Strahl über ihren Bauch und sammelte sich an ihren Füßen, deren Zehennägel von hellgrünem Nagellack glänzten.
Da war er wieder, dieser hellgrüne Nagellack. Johannes sah die Bilder genau vor sich: Die nackten Füße, den Nagellack. Er wollte an den Beinen hinaufgleiten, doch je weiter er nach oben kam, desto unschärfer wurden die Bilder. Er hörte Stimmen, doch auch die Stimmen waren verzerrt, entstellt. Er fragte sich: Habe ich diese Frau überhaupt gesehen oder existiert sie nur in meinem Träumen? So sehr er sich auch bemühte, er konnte diesen hellgrünen Nagellack keiner Frau zuordnen.
Johannes sagte kein Wort, aber seine Blicke verrieten seine Gedanken und geheimen Sehnsüchte. Noch hatte er seine Gefühle im Griff. Doch wie lange er dies noch durchhalten könne, dafür wollte er seine Hand nicht ins Feuer legen.
„Entschuldige bitte, ich geh dann mal lieber.“
Vroni lächelte: „Möchtest du mit reinkommen? Es ist genug Platz für uns beide. Ich kann dir auch den Rücken schrubben.“
Johannes wehrte ab: „Nein. Lieber nicht. Ich denke, es würde ganz schön eng werden.“
Vroni lachte und schaute auf seine Hose. Sie wusste, was er mit dieser Bemerkung ausdrücken wollte: „Angeber!“
Johannes betrachtete sich noch einmal begierig alle Reize, die die Natur Vroni gegeben hat, und verließ anschließend aufgewühlt das Badezimmer.
*
So sehr Ruben auch in die Pedalen trat, er schaffte es nicht, noch vor dem drohenden Gewitter, das sich mit lautem Donner ankündigte, Zuhause zu sein. Denn auf dem freien Feld hatte Ruben keine Möglichkeit, sich unterzustellen. Immer häufiger erhellten Blitze den nächtlichen Himmel.
Etwa einen Kilometer vor dem rettenden Zuhause setzte heftiger Platzregen ein, der von stürmischem Wind begleitet wurde. Er musste sich seinem Schicksal ergeben und weiter radeln. Das Gewitter kam bedrohlich näher. Die Abstände zwischen Blitz und Donner wurden immer geringer, bis sie schließlich ineinander übergingen und sich gegenseitig überholten. Der Regen peitschte unnachgiebig und im Nu war Ruben bis auf die Haut durchnässt.
Endlich hatte er es geschafft, nur wenige Meter noch bis zur Scheune. Als er vom Rad abstieg, bemerkte er plötzlich im Schein der immer häufiger werdenden Blitze eine unbekannte Gestalt. Sie stand hinter dem Zaun, etwa in einer Entfernung von 25 Metern. Für einen Moment glaubte Ruben, einen Geist vor sich zu haben. Recht schnell wurde ihm jedoch bewusst, dass es sich nur um eine menschliche Gestalt handelte. Sie trug einen schwarzen Ledermantel mit Kapuze. Das Gesicht verdeckte ein schwarzer Schleier.
Ruben erschrak, blieb sofort stehen, bekam Angst. Die grauenerregende Gestalt erinnerte ihn an den Sensenmann aus unzähligen billigen Horrorfilmen, ihm gruselte, Schauer liefen ihm über den Rücken. Die fremde Gestalt rief mehrmals mit röchelnder Stimme, die immer wieder von Donnergrollen unterbrochen wurde: „Ruben, nimm dich in acht.“ Die Stimme, obwohl sie verstellt war, kam ihm irgendwie bekannt vor, doch er konnte sie in diesem Augenblick nicht zuordnen.
„Wer sind sie?“, rief er. „Was wollen sie hier?“
„Du kennst mich, aber ich bin nicht“, rief die fremde Gestalt, die erleuchtet von sporadischen Blitzen ständig eine andere bizarre Gestalt abgab.
Ruben verstand die Bedeutung dieser Worte nicht.
„Sagen sie, wer sie sind, sonst rufe ich die Polizei!“, drohte er oder verschwinden sie dorthin, wo sie hergekommen sind.
„Keine Polizei, ich will nichts von Dir. Ich möchte dich nur warnen.“ Ruben hatte große Mühe, die Worte akustisch zu verstehen, Sturm, Regen und Donner bildeten eine sich permanent verändernde Geräuschkulisse.
„Warnen wovor?“, fragte er neugierig.
„Vor dem Tod. Er wird euch alle heimsuchen. Nehmt euch in acht!“
Ruben fasste sich Mut, ging langsam und mit weichen Knien auf sie zu: „Verschwinden sie endlich! Hören sie auf mit dem Unsinn!“
„Bleib stehen, rühr dich nicht! Ich bin schon weg.“
Die fremde Gestalt drehte sich um und verschwand, rannte davon, bis sie die Dunkelheit der Nacht verschluckte. Noch immer erhellten Blitze den Himmel und verliehen der Situation eine gespenstige Atmosphäre.
Ruben stellte sein Fahrrad in der Scheune ab und ging ins Haus. Die fremde Gestalt ließ ihm lange Zeit keine Ruhe. Er grübelte und grübelte. Schließlich kam ihm ein schrecklicher Verdacht. War dies etwa eine Frauenstimme? War das etwa …?
*
Nachts, einige Tage später. Johannes lag im Bett, er schlief bereits. Die Fenster des Schlafzimmers waren weit geöffnet. Vroni schlich sich leise und auf Zehenspitzen zur Tür herein. Sie trug nur ein hauchdünnes durchsichtiges Negligé. Vorsichtig hob sie Johannes Bettdecke hoch und setzte sich auf seinen Schoß. Johannes wachte auf, sah Vroni erschrocken und etwas schlaftrunken an. Er wehrte sich nicht, ließ es geschehen. Johannes streifte ihr das Nachthemd über den Kopf und vergrub seine Nase in ihren weichen Brüsten. Dann streichelte er sie, fasste mit beiden Händen fest zu und nuckelte wie ein Baby an ihnen. Vronis rosarote Lippen senkten sich langsam auf Johannes Mund.
„War das eine Überraschung?“, fragte sie.
„Und was für eine.“
Es dauert nicht lange, bis Vroni spürte, dass sich bei Johannes etwas regte. Mit langsamen Bewegungen entfachte sie seine Lust. Trieb ihn immer mehr auf den Höhepunkt zu. Sie wusste, dass er ihn, nach der langen Zeit der Abstinenz, nicht lange unterdrücken konnte. Als Johannes schließlich versuchte, aus dem Spiel bitteren Ernst zu machen, erhob sich Vroni wieder.
„Komm Montag um drei Uhr am Nachmittag in die Scheune! Ich hab eine Überraschung für dich“, machte sie ihn neugierig.
Johannes seufzte tief: „Du Luder. Was denn für eine Überraschung?“
„Psssst, das wird noch nicht verraten.“
Vroni ging zum Fenster und sagte: „Du sollst doch immer die Fensterläden nachts schließen.“
Sie schaute noch einmal aus dem Fenster und sah, wie sich ein Schatten bewegte.
„Johannes, da war jemand.“
„Ach was, wer soll denn da sein? Du siehst Gespenster.“
„Nein, da war jemand. Ich habe einen Schatten gesehen und dann rannte eine dunkle Gestalt weg.“
„Vielleicht war es Lukas. Der schleicht manchmal nachts hier rum und schaut bei Christin durchs Fenster, wenn sie sich auszieht.“
„Das war nicht Christins Fenster, das war dein Fenster.“
„Schließ die Fensterläden, dann kann keiner mehr reinschauen.“
„Johannes sei bitte vorsichtig. Ich habe Angst, dass dir etwas passiert.“
„Was soll mir denn passieren?“
„Ich geh jetzt, Johannes. Ich erwarte dich dann am Montag.“
Dann verschwand sie so schnell, wie sie gekommen war.
*
Wieder einmal saß die ganze Familie Samstagmorgen am Frühstückstisch. Johannes wollte Salz auf sein Frühstücksei streuen. Plötzlich löste sich der Deckel vom Salzstreuer und das ganze Salz fiel aufs Ei.
„Salz verschütten bringt Unglück“, unkte Vroni.
„Das hat Mutter auch immer gesagt“, stellte Johannes fest.
Plötzlich schaute Ruben entgeistert auf: „Mama? Was ist mit Mama? Warum sagst du das?“
„Was hast du? Was soll mit Mutter sein? Ich habe nur gesagt, dass sie auch immer diesen Satz sagte.“
„Ich habe Mutter gesehen“, sagte er und den anderen blieb der Bissen im Hals stecken.
Johannes reagierte gereizt: „Was sagst du da? Mutter ist seit einem halben Jahr tot. Rede nicht so einen Unfug.“
„Doch, ich habe Mutter gesehen.“
Lukas schaute etwas verwundert und bemerkte: „Ruben, lass diese Scherze! Spiele hier nicht auch noch den Verrückten.“
Ruben verzog keine Miene.
„Ich bin nicht verrückt. Es stimmt. Ihr werdet es schon sehen. Eines Tages wird sie bei uns an der Tür klingeln.“
Wie kommst du eigentlich da drauf, Ruben, dass deine Mutter lebt?“, wollte Vroni wissen.
Er betonte nochmals mit nachhaltiger Stimme: „Ich habe sie gesehen.“
„Wann hast du sie gesehen?“, fragte Johannes.
Vroni war die Unterhaltung peinlich. Sie stand auf und sagte: „Ich räume schon mal das Geschirr ab.“
Ruben setzte unterdessen seine Ausführungen fort: „Vor einer Woche, abends, im Mondschein, stand sie plötzlich vor mir. Sie trug einen schwarzen Schleier, wie bei einer Beerdigung. Obwohl sie sich verstellt hat, habe ich sie an der Stimme erkannt. Es war Mutter.“
Lukas wurde es auch zu blöd. Er dachte, dass Ruben sich nur wichtig machen wollte und sich einen bösen Scherz erlaubte.
„Ruben, du solltest dir mal ein wenig Ruhe gönnen und nicht jeden Abend vor deinen Büchern sitzen. Du siehst ja schon Gespenster.“
„Es war kein Gespenst. Es war Mutter. Ich bin mir ganz sicher.“
Johannes und Lukas schauten sich an, kein Lächeln kam über ihre Lippen. Sie dachten nur daran, was wäre, wenn Ruben tatsächlich recht hätte.
Ruben stand auf, und bevor er die Küche verließ, drehte er sich noch einmal um und sagte: „Wir werden bald die Wahrheit erfahren, die ganze Wahrheit.“
*
Als Marie von der Mittagspause zurück in die Boutique kam, gab ihr ihre Kollegin einen Briefumschlag.
„Hier, Marie, das hat vor wenigen Minuten eine Frau für dich abgegeben.“
Marie öffnet hastig den Umschlag und liest: Komm Montag 15:30 Uhr in Johannes Scheune. Dort wirst du die ganze Wahrheit erfahren.
Marie fragte ihre Kollegin: „Wie sah die Frau aus?“
„Blond, sie trug eine Sonnenbrille und einen hellen Sommermantel. Mehr weiß ich nicht mehr.“
Marie überlegte, wer diesen Brief wohl abgegeben haben könnte. Es musste auf alle Fälle jemand gewesen sein, der sie gut kannte. Welche Wahrheit würde sie bei Johannes erfahren? Was würde sie dort erfahren, was sie nicht ohnehin schon wüsste? Sie wurde neugierig und wünschte sich, dass die beiden Tage bis Montag schnell vergehen würden. Montag hat sie immer frei, das musste diese Frau gewusst haben.