8
Arlan wachte in der Morgendämmerung leicht desorientiert vom Geratter der Klimaanlage auf. Der nackte Po einer Frau drückte gegen seinen Magen. Maggie. Maggie, die Mysteriöse. Maggie, Fias Informantin. Vielleicht Maggie, die Killerin.
Die ersten Sonnenstrahlen ließen sich hinter den Gardinen erahnen. Er betrachtete ihre bloße Schulter, von der das Laken herabgerutscht war. Irgendwann in der Nacht hatten sie sich damit zugedeckt, nachdem sie ein zweites Mal miteinander geschlafen hatten.
Sein Blick schweifte zu ihrem langen, schlanken Hals. Ihrem Hinterkopf. Ihrem strubbeligen blonden Haar. Zurück zu ihrem Hals. Sie hatte ihn zweifellos sexuell befriedigt, aber ein Hauch von Verlangen war noch immer tief drunten in ihm.
Er sah auf sie hinab. Es wäre so einfach, ihr Blut zu trinken.
Es war schon lange her, dass er einen Menschen geschmeckt hatte – wirklich geschmeckt. Wie die meisten Kahills stillte er seinen Blutdurst an den Hirschen aus dem Naturschutzgebiet in der Nähe ihrer Stadt. Sie wurden gehegt und gepflegt und lieferten genug Blut für alle, ohne ihr Leben lassen zu müssen. Wenn er länger auf Reisen war, wurde der Aderlass schon schwieriger, aber da er nur ein- oder zweimal im Monat Blut benötigte, war diese Unannehmlichkeit vernachlässigbar.
Das Trinken von Menschenblut, wie es in alten Zeiten gang und gäbe war, hatte der Clan nunmehr verboten. Sie waren über derlei primitive Verhaltensweisen hinweg. Oder gefielen sich zumindest darin, es zu glauben.
In den frühen Tagen, am Anfang von allem, war die Familie mit einem Fluch belegt worden, weil sie gegen den heiligen Patrick kämpfte und sich weigerte, ihrem heidnischen Glauben abzuschwören. Gott hatte sie alle zu Vampiren gemacht. Danach waren sie in ihrem Blutrausch über die Hügel und Täler ihrer Heimat hergefallen, ohne Rücksicht auf Verluste. Sie hatten sich vorgemacht, es tun zu müssen, um zu überleben. Einige töteten, andere machten Menschen zu Vampiren. Und sie begannen, sich selbst für das zu hassen, was aus ihnen geworden war. »Animalisch« war ein zu milder Ausdruck dafür.
Aber all das lag nun hinter den Kahills. Im 17. Jahrhundert waren sie vor den erbarmungslosen Vampirjägern aus Irland geflohen, um in der Neuen Welt Zuflucht zu suchen. Sie erlitten Schiffbruch in einem Sturm, und die überlebenden Clanmitglieder wurden an die Gestade der Delaware Bay gespült. Da sie verschont worden waren, glaubten sie, dies sei nun ihre zweite Chance. Um sich selbst von ihrem Fluch zu erlösen, weihten sie ihr Leben dem einen wahren Gott und gelobten, die menschliche Rasse von ihren übelsten Vertretern zu befreien. Sie wollten Serienmörder und Kinderschänder jagen, die die Menschen nicht fassen und überführen konnten, und sie liquidieren. Mit jedem eliminierten Verbrecher, so beteten sie, kamen sie Gottes Gnade wieder einen Schritt näher. Mit der Auslöschung jedes Schwerverbrechers wurden sie ein kleines bisschen menschlicher. Jeder Mann und jede Frau im Clan hoffte, dass er oder sie so der Sterblichkeit ein wenig näher kam und mit ihr dem Ende des ewigen Lebens in Verdammnis, das sie wieder und wieder erdulden mussten.
Arlan blickte wieder auf die Frau, die in seinen Armen schlief. Obwohl er aufrichtig daran glaubte, dass er durch sein Lebenswerk Erlösung erlangen würde, lechzte ein Teil von ihm noch immer nach Menschenblut. Dieser archaische Teil seiner selbst schien sich im Laufe der Zeit nicht zu verändern. Er träumte noch immer von Menschenblut. Während er sie im bleichen Morgenlicht betrachtete, konnte er es wieder schmecken.
Man konnte das Blut eines Menschen trinken und davon satt werden – und zwar ohne den Menschen zu einem Vampir zu machen. Sie sagte, dass sie keine Familie, keinen Mann hatte. Er bezweifelte, dass jemand sie vermissen würde, dass überhaupt jemand von ihrem Tod erfahren würde. Wenn sie tatsächlich mit dem Totengräber-Killer zu tun hatte, wäre es so einfach, es hier und jetzt zu beenden. Und es würde den Steuerzahlern eine Menge Geld sparen.
Arlan senkte seinen Mund auf ihren Hals und drückte seine Lippen an ihre warme Haut. Er leckte sie mit der langsamen, bedachten Zärtlichkeit eines Liebhabers. Dabei fiel das Kruzifix, das er stets um den Hals trug, auf ihre nackte Schulter. Sie seufzte im Schlaf. Ein Teil von ihr wollte es auch …
Nein. Er zog sich von ihr zurück, vorsichtig, damit er sie nicht weckte.
Angewidert von sich selbst und seinen kranken, finsteren, bösen Gedanken griff Arlan nach Jeans und T-Shirt und zog sich rasch an. Während er auf dem Stuhl saß und seine Schuhe zuband, beobachtete er sie. Sie schlief noch immer, auf der Seite zusammengerollt, und hatte nicht die leiseste Ahnung, wen sie da letzte Nacht am Strand aufgerissen hatte.
Mit der Lederjacke über der Schulter warf Arlan, schon in der Tür, einen letzten Blick auf sie. Er hatte ein schlechtes Gewissen, weil er ging, ohne sich von ihr zu verabschieden, aber im Augenblick traute er sich selbst nicht. Er wollte nach Hause. Nach Hause, wo er von seinesgleichen umgeben war. Von Leuten, die seine schlimmen Wünsche verstehen konnten. Dort war er in Sicherheit.
Und Maggie auch.
Macy öffnete die Augen und blinzelte in das helle Licht, das durch die Ritzen zwischen den Gardinen hereindrang. Sie konnte Arlan noch immer auf ihrer Haut riechen. Auf ihrer Zunge schmecken. Ihn in sich fühlen.
Aber sie war allein.
Natürlich war sie das. Es war besser so. Wirklich.
Sie starrte auf die Stockflecken an der Decke. Ihr wurde klar, dass er wahrscheinlich schon seit Stunden fort war. Gut für ihn. Er war kein Dummkopf. Er wusste, was seine Aufgabe gewesen war und wann es Zeit war zu gehen. Macy hasste es, wenn sie Männer hinauskomplimentieren musste.
Sie stand auf und ging nackt ins Badezimmer. Als sie an der Spüle vorbeikam, sah sie den Kaffee in der Kaffeemaschine. Sie fasste die gläserne Kanne an. Sie war noch warm. Er hatte Kaffee für sie gekocht? Dann entdeckte sie die Packung Donuts – wahrscheinlich kamen sie aus dem Automaten in der Hotellobby.
Er hatte Kaffee und Donuts für sie dagelassen? Bei dem Gedanken musste sie lächeln.
Dann, als sie schon ins Badezimmer treten wollte, fiel ihr Blick auf eine Plastiktasse. Sie war mit Wasser gefüllt. Ein einzelnes Gänseblümchen steckte darin.
Sogar eine Blume. Wer war dieser Spinner?
Macy nahm das Gänseblümchen aus der Tasse und hielt es sich an die Wange. Hätte sie doch nur noch gewusst, wie man weinte.
»Mary Kay.« Arlan betrat das luftige Esszimmer und drückte Fias Mutter einen Kuss auf den ergrauenden Kopf.
»Arlan! Maria und Gott sei Dank, dass du hier bist. Du bist unser Retter.« Sie strahlte ihn an. »Ich hole dir etwas zu essen. Du musst ja halb verhungert sein.«
»Mach dir nur keine Umstände«, sagte er, als sie Anstalten machte, sich von ihrem Stuhl zu erheben. »Bleib sitzen.« Er legte ihr die Hand auf die Schulter, um sie am Aufstehen zu hindern. »Iss du nur weiter. Ich hole mir selbst etwas.«
»Fia ist in der Küche«, rief sie ihm nach. »Ich bin so froh, dass du da bist. Ich hab zu Fia gesagt, dass du heimkommen musst. Ich war mir sicher, dass du weißt, was zu tun ist.«
»Keine Nachricht von Regan?«
Sie schüttelte den Kopf und griff nach ihrem Glas mit hausgemachter Limonade, in der ein Minzezweig schwamm. »Es ist Geflügelsalat im Kühlschrank. Mit Trauben und Walnüssen – so, wie du’s magst.«
»Dank dir. Ich bin gleich wieder da. Du bleibst, wo du bist.« Er stemmte sich gegen die Schwingtür, die vom Esszimmer in die Küche führte.
Fias Eltern Mary Kay und Tom betrieben eine Pension, seitdem sie vor Hunderten von Jahren in die Neue Welt gekommen waren. Zunächst war es nur eine Kutschenstation gewesen, dann eine Schänke mit Übernachtungsmöglichkeit und ein Gasthaus, und schließlich, in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts, hatten sie sich noch einmal neu orientiert. Da Bed and Breakfast bei den Amerikanern immer beliebter wurde, hatte das Paar in dem Küstenstädtchen Clare Point ein gutes Auskommen als Betreiber einer modernen Pension gefunden. Jeden Tag buk und kochte und putzte Mary Kay und spielte die Herbergsmutter, während Thomas auf der Veranda saß, eine Zigarette nach der anderen rauchte und darauf wartete, dass es Zeit war, in den Pub zu gehen und seine tägliche Dosis Starkbier zu sich zu nehmen.
Als Arlan in die Küche kam, stand Fia an der Theke und gab Geflügelsalat auf ein Bett aus Salatblättern auf einem Teller. »Hey«, sagte sie. Sie sah nicht auf. Das musste sie nicht. Sie wusste, dass er es war.
»Hey«, gab er zurück.
»Geflügelsalat?«
»Klar.« Er sah zu, wie sie einen zweiten Teller aus dem Küchenschrank nahm. »Deine Mom hat gesagt, dass es nichts Neues von Regan gibt. Hat Fin etwas von ihm gehört?«
Fin war der älteste der Geschwister, nach ihr. Neben Fin und Regan gab es noch drei Jungen, die gerade im Teenageralter waren. Fia betrachtete sie ebenfalls als ihre Brüder. Beim Massaker in Irland waren sie Waisen geworden, und Mary Kay hatte sie an Kindes statt angenommen.
»Ich habe noch nicht mit Fin gesprochen. Er ist gerade im Einsatz, aber ich habe ihm eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen.«
Arlan beobachtete, wie sie Blätter von einem Römersalat rupfte und sie auf dem zweiten Teller anrichtete. »Hey, ich hätte gern ein Croissant.«
Sie verteilte Geflügelsalat auf den Salatblättern. »Nichts da. Zu viele Kohlenhydrate.« Sie gab ihm den Teller.
Er sah auf die kleine Portion Geflügelsalat hinunter. »Aber Mary Kay macht mir immer Geflügelsalat mit Croissant«, protestierte er.
»Vergiss es.« Im Vorübergehen klatschte sie ihm mit der Hand auf den Bauch. »Aus dir wird langsam ein Weichei, mein Freund. Buchstäblich.«
Er legte seine freie Hand auf den Bauch. Er trainierte regelmäßig. Er hatte gutdefinierte Bauchmuskeln. Wovon redete sie? »Aus mir wird kein Weichei. Versuch’s noch mal. Ich war eben nicht vorbereitet.« Er streckte die Brust vor und zog den Bauch ein.
Sie stellte die gewaltige Aluminiumschüssel mit Geflügelsalat zurück in den riesigen Kühlschrank. »Hat Regan wirklich nicht gesagt, wo er nach dem Auftrag in Athen hinwollte?«
»Hey, das Weichei-Thema ist noch nicht abgeschlossen.«
»Doch, ist es.« Sie schlängelte sich um ihn herum und nahm zwei Gabeln aus einer Schublade. »Ma hat schon den Eistee ins Esszimmer gebracht.«
Er folgte ihr durch die Schwingtür. »Er hat nicht gesagt, dass er überhaupt noch irgendwohin wollte.« Nach seiner Ankunft hatte sich Arlan nur kurz mit Regan und den anderen getroffen. Es war das letzte Mal, dass er ihren Bruder gesehen hatte.
Arlan verschwieg wohlweislich den Namen der Stadt, in der sie zusammengekommen waren. Fia wusste es, da sie dem Hohen Rat angehörte, aber Mary Kay war ahnungslos. Der Hohe Rat hatte stets 13 Mitglieder. Um die Stadt zu schützen, blieben bestimmte Informationen über die Verbrecher, die sie gerade jagten, vertraulich. Mary Kay wusste fast nie, wohin der Rat ihre Söhne entsandte. Die einzelnen Ermittlungen waren geheim, ebenso wie die Liquidierungen.
Arlan ließ sich gegenüber Mary Kay und neben Fia an dem massiven alten Eichenesstisch nieder, an dem gut und gern zwölf Personen Platz fanden.
»Ich bin mir sicher, dass es Regan gutgeht, Mary Kay.« Arlan steckte sich eine Gabel voll Geflügelsalat in den Mund. Er war gut, wäre aber auf einem ihrer butterweichen, selbstgebackenen Croissants noch besser gewesen. »Du kennst Regan doch.« Er bemühte sich um einen munteren Ton. »Er ist nie, wo er gerade sein sollte. Und wann er es sollte.«
Fias Mutter wollte sich nicht so schnell trösten lassen. »Als er anrief, sagte er, dass er ziemlich in der Klemme sitzt. Die Verbindung brach ab, bevor er noch etwas sagen konnte.« Sie schenkte aus einem pinkfarbenen Glaskrug Eistee in zwei Gläser. »Ich hatte fest damit gerechnet, dass er in der Zwischenzeit noch einmal anrufen würde«, meinte sie besorgt.
Die Haustür ging auf, und ein glatzköpfiger Mann um die vierzig in karierten Shorts kam durch das Foyer ins Esszimmer. Er hatte ein verweintes Kleinkind auf dem Arm. Ein Mensch, der sich in der Pension eingemietet hatte.
»Oh, Sie haben Besuch. Tut mir leid, Mary Kay. Ich dachte, Sie könnten uns vielleicht helfen.« Er knuffte den kleinen Jungen. »Todd ist anscheinend von einer Biene gestochen worden. Haben Sie eine Pinzette oder etwas anderes, mit dem man den Stachel entfernen kann?«
Mary Kay war schon aufgestanden und wischte sich mit einer gelben Serviette über den Mund. »Natürlich, Bradley. Das sind nur meine Tochter und mein Neffe.« Sie winkte ihn in die Küche – wieder ganz die hingebungsvolle Wirtin, auch wenn sie sich gerade große Sorgen um eines ihrer eigenen Kinder machte. Und das war über die Jahrhunderte schon ein paarmal der Fall gewesen. »Kommen Sie nur. Meine Hausapotheke ist in der Küche.«
Arlan wartete, bis die Schwingtür hinter ihnen zugefallen war, bevor er sich Fia zuwandte. Er senkte die Stimme. »Glaubst du wirklich, dass Regan in Schwierigkeiten ist?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ich weiß nicht. Du kennst Regan. Er übertreibt. Ich bin wegen Ma nach Hause gekommen, nicht wegen Regan.«
Sie aß Mary Kays köstlichen Salat. Arlan hingegen achtete peinlich darauf, den göttlichen Geflügelsalat nicht mit dem Grünzeug für Kaninchen zu entweihen.
»Willst du mir von Maggie erzählen?« Sie steckte die letzte Gabel Geflügelsalat in den Mund, griff nach ihrem Eistee und stand auf. »Komm nach draußen. Weg von neugierigen Touristen.«
Arlan schnappte sich ebenfalls sein Glas und ließ den Blattsalat auf dem Teller liegen. Er folgte Fia auf die Veranda, wo sie es sich schon in der Hollywoodschaukel gemütlich gemacht hatte.
»Was hat Maggie gesagt?«, fragte Fia.
»Sie war nicht sehr begeistert darüber, dass du nicht gekommen bist.« Er stemmte die Fersen in den Holzboden, und sie schwangen zurück.
»Aber sie hat mit dir geredet?«
»Ja.« Er zuckte mit den Achseln und trank einen Schluck Eistee. »Irgendwie schon.«
Sie sah ihn an. »Also hat sie nun mit dir geredet oder nicht?« Sie beobachtete ihn genauer. Dann boxte sie ihn in die Schulter. »Du Idiot! Du hast mit meiner Informantin geschlafen?«
»Aua!« Er rieb sich den Arm; anschließend strich er mit der Hand über sein T-Shirt, auf das er Eistee verschüttet hatte. »Fee, das tut weh.«
»Du hast also nicht mit ihr geschlafen?«
Als er nicht antwortete, schlug sie mit der flachen Hand auf die Armlehne der Hollywoodschaukel. »Verdammt noch mal, Arlan. Warum muss es immer so laufen? Warum kannst du deinen Schwanz nicht in der Hose behalten?«
»Dir hat’s doch früher auch gefallen, wenn ich ihn ausgepackt habe.«
Sie seufzte und sah weg. »Hast du irgendetwas aus ihr herausbekommen, bevor du mit ihr geschlafen hast? Oder vielleicht auch danach?«
»Ich muss dir leider mitteilen, dass sie keine besonders gute Informantin ist, Fee.« Er versuchte, sie aufzuziehen, aber anscheinend war sie nicht in der Stimmung dazu.
»Das heißt also nein.« Fia wollte ihn noch immer nicht ansehen.
»Ich glaube, dass sie etwas weiß, aber ich habe den Verdacht, dass es ein hartes Stück Arbeit werden wird, das aus ihr herauszubekommen.«
»Und woher weißt du das, Mr.Casanova?«
Er lächelte. »Du bist eifersüchtig.«
Sie sah stur geradeaus. »Ich bin nicht eifersüchtig, Arlan. Du nervst mich. Ich habe vielleicht eine Zeugin für diverse Morde, und du vögelst mit ihr rum. Ich hätte das nicht von dir erwartet. Ich dachte, dass du damit umgehen kannst. Dass du es für mich kannst.«
»Aber ich kann doch damit umgehen.« Als die Worte heraus waren, merkte er, dass es ein Witz zu viel gewesen war.
Fia funkelte ihn an.
»Ich hab’s versucht, okay? Ich habe ihr offen gesagt, warum ich dort war, Fee. Sie wollte mit dir sprechen, nicht mit mir. Denk daran: Wenn die Sache mit Regan nicht gewesen wäre, hättest du selbst hingehen können.«
Die Schaukel kam zum Stillstand. Keiner von beiden stieß sie mehr an.
»Sie wollte mit dir also nicht über die Morde reden, aber schlafen wollte sie schon mit dir?«
Er zögerte und stellte sein leeres Glas auf dem Boden neben der Schaukel ab. Natürlich hatte sie recht. Fia hatte recht. Wie immer. »Ja. Sie wollte mit mir schlafen. Sie war diejenige, die mich angemacht hat.«
Fia sah ihn zweifelnd an.
»Wirklich«, verteidigte er sich. »Ich schwöre es beim Grab meiner Mutter.«
Fia blickte finster drein und stellte ihr Glas ebenfalls ab. »Hast du sonst noch was mit ihr gemacht?«
»Sonst noch was?«
Sie meinte Blutsaugen. Es war gegen das Gesetz des Clans, das wussten sie alle. Und sie alle brachen dieses Gesetz gelegentlich. Sogar Fia. Das wusste er genau. Denn Fia hatte ein kleines Problem. Sie zog gern durch Bars und lachte sich dort Menschenmänner an, um dann von ihnen zu naschen – etwas, das vom Clan doppelt verboten war. Jedenfalls hatte sie das getan, bis sie ihren derzeitigen Menschenfreund kennengelernt hatte.
»Nein. Nein, natürlich nicht«, sagte er in dem Bemühen, gekränkt zu klingen. Gleichzeitig fühlte er sich schuldig für die dunklen Gedanken, die ihm heute Morgen gekommen waren, als er die schlafende Maggie in seinen Armen gehalten hatte. »Ich hatte nur Sex mit ihr. Nur Beischlaf. Nur das alte Rein und Raus. Sonst nichts.«
»Das ist immerhin etwas.« Fia atmete tief durch. Sie blickte auf den sorgsam getrimmten grünen Rasen vor dem großen viktorianischen Haus. »Gehe ich recht in der Annahme, dass sie dir nicht gesagt hat, wie ich mit ihr Verbindung aufnehmen kann? Gibt’s eine Telefonnummer? Eine E-Mail-Adresse?«
»Nein. Aber sie hat gesagt, dass sie dich anruft.«
»Du bist also einfach gegangen. Hast sie gevögelt und bist dann gegangen.«
»Fee, was hätte ich denn tun sollen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Du hättest sie nicht vögeln können. Was, wenn du sie verschreckt hast? Was, wenn sie nicht anruft? Es sind jetzt fünf Morde mehr. Das ist ein ziemlich übler Bursche, und die Gesetzeshüter sind ihm nicht näher als vor einem Jahr. Das kann ich dir jetzt schon sagen.« Sie erhob sich aus der Schaukel und ging zum Geländer, das um die Veranda lief.
Arlan folgte ihr. Er konnte Fia die Verbundenheit nicht erklären, die er letzte Nacht zu Maggie gespürt hatte. Sie würde es sowieso nicht verstehen, auch wenn er versuchte, es ihr zu erklären. Aber wie sollte sie auch, wenn nicht einmal er selbst es verstand? »Es tut mir wirklich leid. Ich hab’s vermasselt.«
»Da hast du recht. Das hast du.« Sie legte die Hände auf das Geländer und beugte sich vor.
»Aber sie wird dich anrufen. Ich weiß es. Sie will mit dir reden. Sie will dir helfen, diesen Freak zu schnappen.«
»Und woher weißt du das?« Sie sah zu ihm auf.
Er streckte die Hand aus und strich ihr sanft über den Rücken. »Keine Ahnung. Ich habe es einfach im Gefühl. Du wirst wieder von ihr hören.«
»Ich hoffe sehr, dass du recht hast.« Sie ließ den Blick wieder hinaus auf den Rasen schweifen.
Er beugte sich neben ihr übers Geländer. »Was sollen wir deiner Meinung nach wegen Regan unternehmen?«
»Wir können gar nichts unternehmen. Ich glaube, ich habe Ma gestern Abend davon überzeugt. Wir müssen einfach warten. Du kennst ihn. Er wird schon wieder auftauchen.«
Dies war die perfekte Gelegenheit, Fia zu beichten, dass Regan nicht zur Liquidierung erschienen war. Aber es fühlte sich noch immer wie Verrat an. Es war nicht das erste Mal, dass Regan geschwänzt hatte. Und jedes Mal hatte er an irgendeinem Spieltisch gezockt, während er eigentlich seiner Pflicht hätte nachkommen sollen. Regan war einfach unreif. Er würde sich schon noch in seinen Job einfinden.
Aber was war mit seinem Anruf zu Hause?
Es wäre nicht das erste Mal, dass Regan in betrunkenem Zustand jemanden angerufen und eine abstruse Geschichte erzählt hätte.
Aber normalerweise rief er dann nicht seine Mutter an.
»Soll … soll ich herausfinden, wann sein Flug abgehen sollte?«, fragte Arlan. »Und wohin er fliegen wollte? Ich bin mir nicht mal sicher, dass er zurück in die Staaten wollte. Es sind noch immer einige andere Ermittlungen in Europa im Gange.«
»Das kann ich auch machen«, sagte sie.
»Nein. Du bist beschäftigt. Du hast diesen Fall am Hals.« Ihm fiel ein, dass sie nicht offiziell mit dem Totengräber-Fall betraut war. »Diese anderen Fälle«, fügte er schnell hinzu.
»Ja, ich habe die Jungs aus Baltimore gebeten, mich zu den Ermittlungen zuzulassen. Nur als Beraterin. Natürlich müssen erst ihre Bosse mit meinen Bossen reden. Aber es könnte klappen. Oder auch nicht.«
»Wenn du Maggie hättest, wärest du drin.«
»Wahrscheinlich.«
»Sie wird anrufen.«
Fias Handy klingelte. Sie nahm es aus der Hosentasche und sah erst aufs Display, dann auf Arlan.
»Dein Herzblatt?«, fragte er.
»Entschuldige«, erwiderte sie und entfernte sich ein paar Schritte. »Glen«, sagte sie ins Handy.
Arlan beobachtete, wie sie zum anderen Ende der Veranda ging, während sie leise mit ihrem Freund sprach. Mit ihrem menschlichen Freund. Er stieß die Hände in die Hosentaschen, stieg die Verandastufen hinunter und bezwang den Drang, sich nach ihr umzusehen. Fia brauchte nicht eifersüchtig zu sein, wenn er mit einer Menschenfrau schlief. Arlan hatte genug Eifersucht in sich aufgestaut. Sie reichte für sie beide.