18

Arlan und Fia nahmen die Morgenmaschine nach New Orleans. Da sie nicht wussten, wohin sie sich wenden oder was sie tun sollten, checkten sie zunächst in einem malerischen Hotel an der Bourbon Street ein. Um die Mittagszeit saßen sie dort auf der Veranda, aßen ein Sandwich und tranken süßen Tee.

»Hast du dein Handy kontrolliert?« Fia pickte eine verirrte Olive auf, die von ihrem Sandwich gefallen war, und steckte sie sich in den Mund. »Keine Nachricht von Fin?«

Arlan schüttelte den Kopf und wischte sich mit der Serviette über die Stirn. »Jesus«, sagte er atemlos. »Ich hasse diese Stadt. Ich hasse diese Hitze.« Er zog am Kragen seines John-Butler-Trio-T-Shirts. Es war eine seiner Lieblingsbands. Mit einem seiner Lieblings-T-Shirts am Leib hätte er sich besser fühlen müssen. Er tat es aber nicht.

Sie runzelte die Stirn und biss in ihre Hälfte des gewaltigen Sandwiches. »Hier ist es auch nicht heißer als in Delaware im August. Hör auf zu jammern, Weichei.« Sie bewarf ihn mit einer Olive. »Und wenn du ehrlich bist, ist es nicht die Hitze, die dir zu schaffen macht. Es sind die Rousseaus.«

Er lehnte sich zurück. Er war schon den ganzen Vormittag übelster Laune. Hauptsächlich, weil er sich Sorgen machte. Er war sehr aufmerksam und offen gewesen und hatte auf eine weitere Botschaft von Regan gewartet. Aber es kam nichts. Nichts.

Die Möglichkeit, dass Regan vielleicht keinen Kontakt mehr zu ihm aufnahm … vielleicht nie mehr aufnahm, traf ihn bis ins Mark.

Aber er machte sich auch Sorgen um Macy, die in Clare Point zurückgeblieben war. Sie war zwar auf seine Migränegeschichte eingestiegen, aber er fürchtete, dass sie ihm nicht geglaubt hatte. Er hatte Argwohn in ihrem Atem gerochen. Und ihre Bemerkungen über das »schräge« Clare Point hatten ihn zusätzlich aufhorchen lassen. Jeden Sommer wurde ihre Stadt von Touristen überschwemmt. Keiner von ihnen hatte jemals gemerkt, dass die Kahills anders waren. Nach all den Jahrhunderten hatten die Clanmitglieder reichlich Übung darin, sich unter den Menschen zu bewegen, sich als Menschen auszugeben. Einige von ihnen hatten es darin zu solcher Meisterschaft gebracht, dass sie selbst fast glaubten, Menschen zu sein. Also was war an Macy anders als an durchschnittlichen Menschen? War sie die eine von einer Million, die übersinnliche Fähigkeiten besaß? Natürlich war es nicht unmöglich. Nur unwahrscheinlich.

»Ich habe keine Angst vor den Rousseaus«, brummte er und griff nach seiner Sandwichhälfte.

»Das habe ich auch nicht gesagt. Soweit ich weiß, bist du der mutigste Bursche auf Gottes weiter grüner Erde. Kinderschänder in Athen, Axt-Serienmörder in Brüssel.« Sie zeigte auf ihn. »Und erinnerst du dich noch an die Zombies in Amsterdam? Zombies! Igitt! Was habe ich in meinen Stilettos vor denen gezittert.«

Wenn das ein Versuch war, seine Laune zu heben, zeigte er keine Wirkung.

Sie beugte sich vor und sah ihn eindringlich durch ihre dunkle Ray-Ban an. »Schau, ich habe nicht mehr Lust, mich mit den Rousseau-Brüdern anzulegen, als du.« Sie zuckte mit ihren muskulösen Schultern. »Und vielleicht haben sie ja auch gar nichts damit zu tun.«

»Oh, das haben sie doch, ganz sicher.« Er kaute auf seinem Sandwich herum, ohne es wirklich zu schmecken. »Wenn Regan in New Orleans Ärger hat, dann kann ich dir garantieren, dass die Rousseaus dahinterstecken. Sie hassen uns seit zwei Jahrhunderten.«

Sie setzte sich aufrecht hin und schüttelte die Serviette aus, bevor sie sie auf ihrem Schoß ausbreitete. Sie sah wie die Touristinnen aus, die an den Tischen um sie herum saßen: khakifarbene Caprihose, rotes Top. Aber Fia hatte eine kühl-elegante Art, mit der nur wenige mithalten konnten. Menschenmänner, ob jung oder alt, schwul oder hetero, konnten ihr nicht näher als zwanzig Meter kommen, ohne von ihr fasziniert zu sein, so heiß war sie.

»Was, meinst du, sollen wir jetzt tun?«, fragte sie. »Uns auf den Friedhöfen umsehen?«

Er starrte sie an. »Ich kann nicht glauben, dass du ›Weichei‹ zu mir gesagt hast.«

»Na, aber das bist du doch manchmal. Zu zartbesaitet. Ein bisschen zu nah dran an deiner weiblichen Seite.«

»Gut für dich, dass ich dich eigentlich mag«, sagte er ruhig. »Sonst müsste ich mich jetzt leider in einen Kodiakbären morphen und dich und deine Sandwichhälfte auffressen.«

Sie griff schnell nach den Überresten ihres Mittagessens.

»Ich schätze, uns bleibt gar nichts anderes übrig, als nach ihm zu suchen.« Er biss erneut herzhaft ab. »Aber ich weiß nicht, ob er gerade selbst auf dem Friedhof war oder mir nur Bilder schicken wollte, von denen er dachte, dass ich sie wiedererkenne.«

»Es wäre leichter gewesen, wenn er einfach eine Adresse durchgegeben hätte«, witzelte sie.

»Das ist eben Regan«, war seine Antwort. Er dachte über das weitere Vorgehen nach, während er kaute. »Ich schlage vor, wir warten, bis es dunkel ist, und gehen dann ins French Quarter. Unterhalten uns mit ein paar einheimischen Freaks. Wen kennen wir?«

Sie dachte eine Weile nach. »Die Voodoo-Queens im Vieux Carré. Dann den Hexenzirkel an der Dumaine. Wir hören mal, was auf der Straße so geredet wird. Fragen unsere Lieblingsmedizinmänner, ob sie etwas wissen. Eben Klinken putzen.«

Er bekam ein Grinsen zustande und zwinkerte ihr zu. »Das ist auch nicht viel anders, als durch die Bars von Philadelphia zu tingeln.«

Weichei, dachte sie.

»Wenn du so weitermachst«, erwiderte er laut, »kannst du deine beiden Brüder allein babysitten.«

»Spielverderber.« Sie stand auf. »Bin gleich wieder da. Die große Schwester muss für kleine Mädchen.«

Arlan winkte gerade dem Kellner, ihren Eistee aufzufüllen, da tauchte Macy auf. Er war so schockiert, dass er zweimal hinschauen musste, um sicher zu sein, dass sie es wirklich war. Aber sie war es. Sie trug Shorts, ein T-Shirt und eine Baseballkappe, und sie hatte etwas bei sich, das wie eine Mimose in einem großen Glas aussah.

»Ist hier noch frei?« Sie setzte sich neben ihn.

»Was zum Henker –« Er sah weg. Als der Kellner die Gläser aufgefüllt hatte und zum nächsten Tisch weitergegangen war, wandte er sich wieder Macy zu. »Was machst du hier?«

»Recherchen zu einem alten Haus, das nach Katrina wieder aufgebaut wurde.« Sie blickte ihn über den Rand ihres Glases hinweg an. »Und was machst du hier?« Sie wies mit dem Kinn auf Fias Teller. »Du erzählst mir, dass zwischen euch nichts läuft, und ich glaube dir auch, dass ihr nicht miteinander schlaft. Aber hier geht doch wohl etwas sehr Merkwürdiges vor sich. Etwas à la M. Night –«

»Bitte.« Er hob beide Hände. »Fang nicht wieder damit an. Ich habe keine Ahnung, was du meinst, und ehrlich gesagt interessiert es mich auch nicht.«

Macy war so unvermittelt auf der Bildfläche aufgetaucht, dass er nicht wusste, was er sagen sollte. Sie war ihm also gefolgt. Aber nicht nur, dass sie ihm gefolgt war – er hatte nicht einmal gewusst, dass es so war. Was war nur mit ihm los? Er konnte das besser. Wenn die falsche Person hinter ihm hergewesen wäre, wäre er jetzt tot.

»Du solltest nicht hier sein, Macy.« Er lehnte sich zu ihr hinüber. »Du darfst nicht hier sein. Das hier ist eine FBI-Ermittlung«, log er.

Sie stellte ihr Glas auf dem Tisch ab und hängte ihre Tasche über die Stuhllehne. Offenbar beabsichtigte sie, eine Weile zu bleiben. Fia würde ihn umbringen. Sie würde ihn einen Kopf kürzer machen und ihn in der ewigen Verdammnis schmoren lassen.

»Ich versuche ja nur, etwas zu verstehen«, sagte Macy leichthin. »Bist du Undercover-Agent, und das mit dem Handwerker ist nur Tarnung, oder bist du Fias Watson?«

»Macy, ich darf nicht mit dir darüber reden.« Er warf einen Blick Richtung Lobby. »Hat Fia dich gesehen?«

»Nein, aber ich habe sie gesehen. Übermenschlich lange Beine. Sie ist doch mindestens 1 Meter 80 groß, oder?«

»So ungefähr.« Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl umher. Fia würde fuchsteufelswild werden, wenn sie entdeckte, dass Macy auch hier war. Vielleicht konnte er sie ja einfach dazu bringen, wieder zu gehen. Vielleicht musste es Fia gar nicht erfahren. »Du solltest in Clare Point sein. Fia hat dich gebeten, zu bleiben, wo du bist. Wenn das FBI dich darum bittet, dann bleibst du gefälligst auch da.«

»Ich muss Geld verdienen. Ich hab dir doch gesagt, ich bin nur nach New Orleans gekommen, um –«

»Das kaufe ich dir nicht ab. Es ist kein Zufall, dass du um vier Uhr morgens eine Maschine nach New Orleans nimmst. Dieselbe Maschine wie ich.«

»Es war die um sechs Uhr.«

»Du hast mich bis hierher verfolgt«, fuhr er fort. »Du hast geschworen, dass du mich nicht stalkst.«

»Ich stalke dich auch nicht!« Sie sagte es laut genug, dass das Ehepaar vom Nebentisch mit den Kameras um den Hals zu ihnen herübersah.

Das war genau das, was Arlan nicht gebrauchen konnte – Leute, die von seiner und Fias Anwesenheit Notiz nahmen. Er hatte vorgehabt, nach Möglichkeit nach New Orleans zu fliegen, Regan zu holen und wieder zu verschwinden, bevor die Rousseaus auch nur wussten, dass er den Fuß in ihr sumpfiges Revier gesetzt hatte.

»Aber du tust alles, um es so aussehen zu lassen«, sagte Arlan im Flüsterton. Er war mittlerweile genauso genervt von sich selbst, weil er das hier nicht verhindert hatte, wie von ihr.

Sie sah mit einem Mal traurig aus und mied seinen Blick.

Arlan war sofort zerknirscht. Er wusste ja, dass sie keine Stalkerin war. Er wollte doch nur –

»Ich weiß nicht, warum ich hergekommen bin«, sagte sie leise, mit jener Stimme, die ihn immer wieder dahinschmelzen ließ. »Ich schwöre dir, dass ich zurzeit bei der Hälfte der Dinge, die ich tue, nicht weiß, warum.« Sie stützte die Ellbogen auf den Glastisch und legte die Stirn in die Hände. »Ich glaube nur … ich fühle, dass ich bei dir in Sicherheit bin.« Sie redete, als habe sie unangenehme Dinge zu beichten. »Weißt du, als ich dich gestern gefragt habe, warum du meinst, dass du Leuten helfen kannst, habe ich eigentlich mich gemeint.« Ihre Stimmte bebte. »Ich schätze, ich will damit sagen, dass ich das auch so sehe.« Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar und setzte sich wieder gerade hin. »Ich habe das Gefühl, dass du mir helfen kannst, obwohl mir noch nie jemand –« Die Worte blieben ihr im Hals stecken, und sie konnte nicht weitersprechen.

»Macy …« Er nahm ihre Hand. Er war kein Held. Er tat, was ihm der Clan auftrug, denn er war einer von ihnen; das hatte nichts mit Heldentum zu tun. Aber er wollte Macys Held sein.

»Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich will dir diese Verantwortung nicht aufhalsen. Wirklich nicht.« Sie sah zu ihm auf. »Du glaubst, dass ich eine Irre bin. Du glaubst, dass ich eine irre Stalkerin bin.«

Er betrachtete ihre grünen Augen, in deren goldenen Flecken ihre Seele aufzuleuchten schien. Ihre gute Seele. Auch wenn es eher nach dem Gegenteil aussah, er glaubte nicht, dass sie ihn stalkte. Irgendwie hatte all das mit dem Totengräber-Killer zu tun, das spürte er. Und er spürte, dass auch er irgendeine Rolle in dem Spiel zwischen Macy und diesem Mann spielte. Er wusste nur noch nicht, welche.

Er hob ihre Hand an seinen Mund und küsste ihre Finger. »Ich möchte, dass du nach Clare Point zurückkehrst. Dort sind Leute, die für deine Sicherheit sorgen. Ich glaube, dass du deshalb überhaupt nach Clare Point gekommen bist.« Er barg ihre Hände in den seinen. »Und ich glaube, dass du das weißt – tief in deinem Unterbewusstsein. Wahrscheinlich bist du mir deshalb hierher gefolgt.«

»Meinst du wirklich?« Ihre Augen waren die eines wilden Kindes, und Arlan hatte nur den einen Wunsch: sie in seine Arme zu schließen.

Er fühlte, dass Fia kam, noch bevor er ihre Schritte auf dem Fliesenboden hörte. Er setzte sich aufrecht hin und ließ Macys Hände los. »Achtung«, flüsterte er. »Sie wird ziemlich sauer sein.«

»Macy.« Fia blieb am Ende des Tisches stehen. »Was machen Sie denn hier?« Sie wartete gar nicht erst ihre Antwort ab und sah zu Arlan. »Was macht sie hier?«

»Sie fliegt nach Delaware zurück.« Er warf Macy einen Blick zu, von dem er hoffte, dass er sie einschüchterte. »Stimmt doch, oder?«

»Sobald ich mir die Häuser angeschaut habe, wegen deren ich hier bin.« Keine Spur mehr von der Verletzlichkeit, die er noch eben in ihrer Stimme gehört hatte. Sie stand auf und griff nach ihrer Tasche und ihrem Glas. »Einen schönen Tag allerseits.« Im Weggehen hob sie das Glas und prostete ihnen zu. »Viel Glück bei eurem Fall.«

 

»Ich kann’s noch immer nicht glauben, wie leichtfertig du einen Menschen in Gefahr bringst«, sagte Fia. Sie gingen hintereinander im Dunkeln durch eine enge Gasse. Zu beiden Seiten wuchsen die Backsteinmauern der Gebäude hoch in den Himmel. In der Gasse roch es nach schimmelndem, bröckelndem Mörtel, den Exkrementen irgendwelcher Nager und noch so manchem anderen.

Arlan ging voran. »Und ich kann’s nicht glauben, dass du mir nicht glaubst, wenn ich sage, dass ich mit ihrem Kommen nichts zu tun habe. Ich habe ihr nicht mal gesagt, dass wir hierherfliegen.«

»Sie ist dir also einfach gefolgt?«

»Ja.« Er warf einen Blick über die Schulter. »Wir haben das schon durchgekaut, Fia. Ich fange an zu glauben, dass sie medial veranlagt ist. Sie weiß es einfach nur noch nicht.«

»Und ich glaube, dass sie eine Spinnerin ist.« Sie erreichten das Ende der Gasse. »Links.« Sie zeigte in die angegebene Richtung. »Diese Tür. Die mit dem Fingerknochen im Fenster.«

»Schöne Freunde hast du.«

Fia prüfte die Pistole, die sie in einem Holster unter ihrem weiten T-Shirt trug. »Das sind nicht meine Freunde.«

»Wieder Spitzel? Hexenspitzel?«

Sie überholte ihn. »Wenn sie dich sehen, werden sie gar nichts sagen. Also kümmere dich darum.« Sie machte eine Handbewegung, als wolle sie ihn verscheuchen. »Verwandle dich in eine Maus oder so.«

»Eine Maus?« Er hob entrüstet die Augenbrauen. »Ich verwandle mich nicht in Mäuse.«

»Mir egal.« Sie klopfte an die Tür.

Der Laden erinnerte ihn an das Lebkuchenhaus der Hexe aus »Hänsel und Gretel«, nur dass die Lebkuchen hier lila bemalt waren und auf einem Schild über der Tür »Zaubertränke« stand.

»Katze oder Hund?«, fragte er Fia.

Von drinnen war ein Geräusch zu hören. Der Vorhang im Fenster bewegte sich.

»Nager«, zischte Fia.

Als sich die Tür öffnete, morphte sich Arlan in einen mageren Straßenköter mit langen, dürren Läufen.

Zwei Frauen tauchten hinter der Tür auf. Das Einzige, was Arlan bei ihrem Anblick in den Sinn kam, war »alte Hexen«. Diese Frauen waren sehr jung für alte Hexen, aber trotzdem blieben sie alte Hexen. Ihr Haar war lang und fettig. Schmutzig. Die vier Augen, die Fia anstarrten, hatten weißgetrübte Linsen. Ihre Gesichter waren im Laufe eines harten Lebens verwittert. Sie stanken nach Zigarettenrauch, Gin und dem Bösen.

Ich hasse Hexen, teilte er Fia telepathisch mit.

Still, mein Mäuschen, gab sie zurück. Sie suchte den Blick der Hexe, die ihr am nächsten stand. »Gullveig. Lange nicht gesehen.«

»Wir haben geschlossen«, kreischte die Blonde und streckte die knochigen Finger nach der Tür aus, um sie zuzuschlagen.

»Ich brauche keinen Liebestrank.« Fia stellte den Fuß in den Türspalt. »Wollt ihr lieber meine Dienstmarke oder meine Zähne sehen, Ladys?«

Die Schwestern wechselten einen Blick und sahen dann wieder zu Fia. Ihr weißäugiges Starren hätte die meisten in Angst und Schrecken versetzt, aber nicht Fia. Ihrer Meinung nach war das nur Masche, aber immerhin eine gute. »Wir sind seit letztem Jahr nicht mehr im Geschäft. Wir verkaufen nur noch Zaubertränke.«

»Heißt das, dass eine FBI-Razzia hier reine Zeitverschwendung wäre? Gullveig?« Sie schaute die zweite Schwester an. »Heid?«

Die Letztere quietschte und wich zurück. Dabei fiel ihr Blick auf Arlan, der zu Fia aufgeschlossen war und nun neben ihr stand.

»Verfluchte Streuner«, bemerkte Fia und stieß Arlan mit dem Knie weg. »Ihr solltet den Hundefänger rufen.«

Arlan winselte und trat einen Schritt zurück. Biest, kommunizierte er.

Weichei, konterte Fia. Sie sah die beiden Frauen an der Tür an. »Ich suche einen Burschen namens Regan. Könnte sein, dass er ein bisschen Ärger hat. Habt ihr von einem Vampir gehört, auf den das passt?«

Die Schwestern warfen sich wieder einen Blick zu. Gullveig versuchte erneut, die Tür zu schließen.

Fia rammte ihren Handballen gegen die Tür, so dass die Frau zurückgestoßen wurde. Fia trat über die Schwelle. Arlan folgte ihr bis zur Tür, blieb aber draußen und knurrte kehlig. So, wie er heute Abend gelaunt war, brauchte es nur eine Winzigkeit, und er würde einer der fettigen Hexen an die Kehle gehen. Oder Hackfleisch aus dem grauen Tiger machen, der ihn mit seinen grünen Augen vom Fenster im oberen Stockwerk aus anstarrte.

Er hasste Hexen.

»Ist das ein Ja?«, fauchte Fia und entblößte ihre Reißzähne. »Ihr habt also etwas gehört.«

Es war schon lustig, dass die meisten Leute die Reißzähne der Kahills erst bemerkten, wenn sie sie fletschten. Von einem Zahnarzt aus der Kahill-Dynastie zurechtgefeilt, sahen die Reißzähne fast normal aus, aber wenn die Lippen zurückgezogen wurden, jagten sie Menschen und Hexen offenbar gleichermaßen eine Heidenangst ein.

»Ich weiß gar nichts«, quiekte Gullveig und hob die Hände, als könnte sie sich so gegen Fias Zorn schützen. »Nur, was man sich so erzählt.«

»Und was erzählt man sich so?«

»Jemand hat Drogen gestohlen. Jemanden übers Ohr gehauen. Ein Vampir. Gutaussehender Kerl. Jung. Ein Kahill, wie ich gehört habe.«

»Da musst du dich verhört haben. Kahills machen so einen Mist nicht.«

»Dann muss ich mich wohl verhört haben«, echote Gullveig, deren Stimme vor Schreck ganz hoch war.

Arlan kam einen Schritt näher. Fee, dachte er.

Fia ignorierte ihn. »Wem wurden die Drogen gestohlen?«

»Den Rousseau-Brüdern, wem sonst?«, gackerte die Hexe.

Arlan knurrte wieder und kam noch näher, blieb aber mit den Vorderpfoten auf der Schwelle stehen. Jeder einzelne sehnige Muskel in seinem 35 Kilo schweren Hundeleib brannte darauf loszuspringen. Er fragte sich, wonach das Blut der Hexen wohl schmecken würde. Nach Gin und Zigaretten? Wahrscheinlich war es so faulig, dass er es wieder ausspucken würde. Er hätte ihnen aber auch genauso gern die Kehle herausgerissen.

Die Hexen jaulten vor Angst, als Arlan geduckt näher kam.

Fia warf ihm einen Blick zu. »Raus hier, Köter. Mach schon.«

Arlan fügte sich und kehrte auf die Straße zurück.

»Haben sie ihn? Die Rousseaus – haben sie den Vampir?«

Die Hexen krümmten sich. »Vielleicht«, räumte Gullveig ein, als Fia noch einmal ihre Reißzähne zeigte.

»Wo?«

»Irgendwo in der Stadt.«

Arlan knurrte.

Gullveig schielte zu dem Hund an der Tür. »St. Louis, Nummer eins. Ecke St. Louis und Basin.«

»Ich weiß, wo das ist«, blaffte Fia. Sie trat aus dem Laden in die Dunkelheit hinaus. »Komm, Waldi«, flüsterte sie Arlan zu und klopfte auf ihren Oberschenkel. Ihr Zorn war sofort verflogen; jetzt war sie nur noch die besorgte große Schwester. »Gehen wir auf den Friedhof und holen wir meinen Bruder.«