14

Fia klemmte das Handy zwischen Schulter und Kinn, während sie in den Tiefen ihrer Handtasche nach einem Vierteldollar wühlte. Bisher hatte sie nur Stifte, eine Rolle Pfefferminzbonbons und Fusseln zutage gefördert. Frustriert grub sie sich weiter die Nähte entlang.

Sie begann zu glauben, dass es keine so gute Idee gewesen war.

Sie hatte die Strandpromenade von Rehoboth Beach für das Treffen mit Macy ausgesucht, hauptsächlich deshalb, weil es nicht Clare Point war. Innerhalb weniger Tage hatte es die junge Frau offenbar geschafft, einen bleibenden Eindruck in der Stadt zu hinterlassen. Arlan schlief mit ihr, Eva wünschte sich, mit ihr zu schlafen, und Mrs.Cahall wollte sie am liebsten adoptieren. Alle redeten über Macy, über ihren Erfolg als freie Journalistin, über ihre Schönheit und ihre geheimnisvolle Ausstrahlung. Fia hatte keine Zeit für diesen Mist. Sie hing an ihrer Familie. Sie fühlte sich ihnen zutiefst verpflichtet, aber sie hatten manchmal nur Blödsinn im Kopf und konnten es nicht für sich behalten. Sie mischten sich immer in anderer Leute Angelegenheiten. In Fias Angelegenheiten.

Hier in Rehoboth Beach war Fia weit genug von ihren neugierigen Verwandten entfernt und konnte ihre Befragung durchführen, ohne telepathisch abgehört zu werden. Öffentliche Orte eigneten sich immer gut als Treffpunkt, vor allem, wenn der Informant etwas scheu war. Dort gab es jede Menge Menschen, Bewegung und Unruhe. Fia hoffte, dass sich Macy dort sicher fühlen würde.

Sie hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass die Promenade an einem Freitagabend im Juni so belebt sein würde. Einige Blocks von der Rehoboth Avenue, der Hauptstraße, entfernt fand sie endlich einen Parkplatz. Sie musste sich beeilen, wenn sie Macy rechtzeitig an Dollys Popcornstand treffen wollte.

»Fia, bist du noch da?«, kam es vom anderen Ende der Leitung.

Verdammt. Fast hätte sie Glen vergessen. »Ja, ja, ich bin noch da.« Ganz unten in ihrer Tasche bekam sie ein paar Münzen in die Finger. Sie griff zu und zog sie heraus. »Sorry. Ich versuche wieder mal, zehn Dinge auf einmal zu erledigen. Heute war ein verrückter Tag.«

»Ich wollte dir nur sagen, dass ich es heute zum Abendessen nicht schaffe.« Er wirkte verändert. Nicht wie er selbst. »Ich … wahrscheinlich hat es auch keinen Sinn, wenn du später kommst. Es wird wohl spät bei mir.«

»Oh, okay.« Sie versuchte, enttäuscht zu klingen. Sie hatte vollkommen vergessen, dass Freitag war. Nein, sie wusste natürlich, dass Freitag war, aber sie war so sehr mit dem Totengräber-Fall beschäftigt gewesen, dass sie nicht mehr an ihre wöchentliche Verabredung mit Glen gedacht hatte. Normalerweise trafen sie sich irgendwo zum Essen und gingen dann heim zu ihm.

»Es tut mir wirklich leid«, sagte er.

Alles, was sie fühlte, war Erleichterung. Wenn es ihr früher eingefallen wäre, hätte sie selbst angerufen und abgesagt; das tat sie in letzter Zeit öfter. Und es wäre ihr sicher wieder eingefallen. Irgendwann.

Fia steckte drei Quarter und ein Pfefferminz in die Parkuhr. Sie verweigerte die Annahme des Bonbons.

»Nein, ist schon okay«, erwiderte sie. »Ich bin sowieso unterwegs. Ich weiß gar nicht, wann ich hier fertig bin.« Sie wusste nicht, warum sie Glen verschwiegen hatte, dass sie wieder zu Ermittlungen in Delaware war. Es gab keinen Grund, es ihm nicht zu sagen. Außer, dass er immer merkwürdige Bemerkungen darüber machte, sie würde zu oft nach Clare Point fahren. Er mochte Arlan nicht. Ihm gefiel die Beziehung nicht, die sie zu ihm hatte. Er verstand sie nicht. Manchmal fand sie den Gedanken anziehend, dass er eifersüchtig sein könnte. Diese Woche hatte sie keine Zeit dazu.

Sie ließ die Parkuhr hinter sich und ging auf die Promenade zu, hinter der die Wellen an den Strand schlugen. Sie roch Popcorn, Zuckerwatte und frittierte Muscheln. Auch ein Hauch Menschenblut lag in der Luft.

»Also, dann«, sagte Glen. »Wir hören uns morgen?«

Ihre Unterhaltung hörte sich so steif an. Wie hatte es so weit kommen können? »Klar.« Sie versuchte, fröhlich zu klingen. »Vielleicht können wir ja etwas unternehmen. Ins Kino gehen zum Beispiel?«

»Ja, vielleicht.«

Am Boardwalk Plaza Hotel bog Fia nach rechts ab, gen Süden. Beim Vorübereilen registrierte sie flanierende Familien mit Kinderwägen, verliebte Pärchen und Singles. Sie hielt Ausschau nach Macy. Oder zumindest nach der Frau, die Arlan ihr beschrieben hatte. Sie war bisher so unwirklich, nichts als ein Schemen am anderen Ende der Leitung. Fia wollte nicht, dass sie ihr entglitt, nicht jetzt. Sie hatte das Telefonieren satt. Satt, Spielchen zu spielen. Sie wollte wissen, was Macy wusste.

Erst nachdem sie aufgelegt hatte, wurde Fia klar, dass Glen nicht gesagt hatte, was ihn davon abhielt, sich heute mit ihr zu treffen. Wenn sie Zeit dazu gehabt hätte, wäre sie vielleicht ärgerlich gewesen.

Fia kam fünf Minuten zu spät, aber noch immer zehn Minuten vor Macy. Sie trafen sich mitten auf der Promenade, zwischen der Hauptstraße und dem Atlantik. Fia hielt zwei kleine Schachteln mit Dollys berühmtem Karamellpopcorn in der Hand, eine für jede. Ein Friedensgeschenk.

»Macy Smith.« Die auffallend schöne Frau streckte ihr die Hand hin.

»Schön, dass wir uns endlich kennenlernen. Das ist für Sie.« Fia gab ihr eine Schachtel, während sie sie durch die dunklen Gläser ihrer Sonnenbrille hindurch nicht aus den Augen ließ.

»Danke.«

Sie schüttelten sich die Hände. Macys Händedruck war fest.

»Ich hatte schon befürchtet, Sie kommen nicht mehr.« Fia wies mit dem Kopf auf eine leere Bank, die aufs Meer hinausblickte. »Wollen wir uns setzen?«

»Klar.«

Die junge Frau, die Fia auf Ende 20 schätzte, trug Strandkleidung: T-Shirt mit Aufdruck, Shorts und Flip-Flops. Fia fühlte sich in ihrer Anzughose und dem ärmellosen Seidentop unangenehm overdressed. Auch ohne Blazer schrie ihr Aufzug förmlich »Achtung, Cop«.

Die beiden Frauen setzten sich nebeneinander auf die Bank, nah genug, um zu verhindern, dass jemand anders sie belauschte, aber doch mit ausreichend Sicherheitsabstand. »Ich habe gehört, dass Sie diese Woche in Clare Point ziemlich beschäftigt waren.«

»Haben Sie das?« Macy sprach mit ruhiger Stimme und hielt mit ihren durchdringenden grünen Augen Blickkontakt. Sie umfasste die Popcornschachtel mit beiden Händen. »Wer hat das gesagt?«

Fia lächelte und sah auf die Popcornschachtel hinunter, während sie das Band darum herum aufknotete. Macys Stimme war leise, schüchtern, aber sie spürte, dass da auch ein stahlharter Stachel hinter der Scheu, dem Modelaussehen und den goldenen Locken lauerte. »Die Stadt ist voller Klatschmäuler. Und Arlan ist wahrscheinlich das größte von allen.«

Macy wandte den Kopf ab und sah geradeaus aufs Meer. Sie stellte die Schachtel neben sich auf die Bank. »Er wirkt nicht wie ein Klatschmaul auf mich. Er ist ein guter Mann.«

Fia steckte sich ein Popcorn in den Mund, um den unbehaglichen Moment zu überspielen. Warum hatte sie sich diesen Seitenhieb nicht verkneifen können? »Das ist er. Wie … wie stehen Sie eigentlich zu ihm?«

»Warum fragen Sie?« Macy blickte weiter unverwandt über die Sanddünen auf die hereinkommende Flut hinaus.

»Okay, es tut mir leid.« Fia kaute auf ihrem Popcorn herum. »Bitte nehmen Sie es mir nicht übel.«

Natürlich nahm Macy es ihr übel; Fia hatte über den Mann gelästert, mit dem sie schlief. Aber Fia musste hier und jetzt die Fronten klären. Macy sollte wissen, dass Fia das Sagen hatte und es auch nicht unter ihrer Würde fand, ein wenig Druck auszuüben.

Macy öffnete ihre Schachtel und griff hinein. »Ich mag keine persönlichen Fragen.«

»Sie wollen nicht, dass ich persönliche Fragen stelle, aber Sie wollen, dass ich Ihnen das glaube, was Sie mir über diesen Fall erzählen? Sie wollen, dass ich Ihnen blind vertraue?«

Macy steckte sich ein weiteres Popcorn in den Mund. »Ich habe neulich erst wieder mit ihm gesprochen.«

Fia wusste auch ohne Erläuterung, wer »er« war. »Er ruft Sie an?«

Macy schüttelte den Kopf und kaute bedächtig. »Aus diesem Grund verwende ich meine Handys nur sehr kurze Zeit. Prepaid. Die Nummern sind dann nirgends registriert. Nein, er chattet mit mir.«

»Und er hat neulich wieder mit Ihnen gechattet?«

»Montagabend, so gegen Mitternacht.«

»Sie sitzen so spät noch am Computer?«

»Ich habe Schwierigkeiten mit dem Schlafen.« Sie wandte sich zu Fia. »Sie doch auch, oder? Ich wette, Sie sind genauso rastlos wie ich. Wenn mich diese Unruhe packt, schlafe ich mit Männern, die ich nicht kenne. Oder … ich arbeite.« Sie griff wieder nach dem Popcorn. »Und Sie?«

Fia hatte tatsächlich ebenfalls Schlafstörungen. Seit ein paar Leben schon. Aber woher wusste Macy das? Und was die Frage anging, was sie gegen ihre innere Rastlosigkeit unternahm … Sie dachte an ihren peinlichen Anruf bei Arlan mitten in der Nacht. An den Kerl, den sie aufgerissen und an die Abflussrinne gefesselt hatte. Kein schönes Bild. Nichts, auf das sie stolz sein konnte. Und sicher nichts, das sie jemand anderem mitteilen wollte.

»Ich stelle hier die Fragen.« Die Fragen, die sie Macy wirklich stellen wollte, betrafen ihre Männer. Sie überlegte, ob sie vielleicht wie ihre eigenen waren – leicht zu vergessen und praktisch austauschbar. Aber das wäre vollkommen unprofessionell. »Ich versuche, Informationen zu diesem Fall zusammenzutragen.«

»Okay, Special Agent Kahill.« Macy fuchtelte mit ihrem Popcorn herum. »Aber Sie müssen mir trotzdem etwas erklären. Ist eigentlich in Ihrer Stadt jeder mit jedem verwandt? Dort leben eine ganze Menge Kahills«, sagte sie. »Und wenn ich so darüber nachdenke, klingen alle Nachnamen, die mir untergekommen sind, auch irgendwie gleich: Kahill mit K, Cahill mit C, Cahall, Hill …«

»Ich dachte, wir sind uns einig, dass ich diejenige bin, die hier die Fragen stellt.« Fia wühlte in ihrer Schachtel. Normalerweise hielt sie sich zugute, dass sie die Kontrolle über ihre Befragungen hatte. Aber etwas sagte ihr, dass das bei dieser hier nicht der Fall war. »Zurück zu diesem Mann, der mit Ihnen chattet. Sie glauben, er ist der Killer?«

»Ich weiß es.« Macy rieb die Hände aneinander, um die klebrigen Popcornbrösel loszuwerden.

»Woher wissen Sie das?«

»Er sagt es, aber auch wenn er es nicht sagen würde, wüsste ich es.«

Ihre Worte waren rätselhaft, aber sie klangen ganz sachlich aus ihrem Mund. Tief drinnen wusste Fia, dass Macy die Wahrheit sagte. Sie wusste, dass sie ihre Verbindung zu dem Killer war.

»Und Sie sind sicher, dass es ein Mann ist?«

»Er ist in der Lage, ganze Familien in Schach zu halten. Er gräbt Löcher, die so tief sind, dass er die Leute bis zum Kinn begraben kann.« Sie fasste Fia ins Auge. »Es gibt nicht viele Frauen, die das können, außer vielleicht Frauen von Ihrer Statur. Außerdem sind die meisten Serienmörder keine Frauen.«

Fia ignorierte die persönliche Bemerkung. Mit ihren 1 Meter 80 Körpergröße musste sie der zierlichen Macy sehr groß erscheinen. »Woher wissen Sie, dass die meisten Serienmörder Männer sind?«

»Männlich, weiß, Mittelschicht. Dreißig bis fünzig Jahre alt. Ich sehe die einschlägigen Sendungen. Irgendwo läuft immer ein Special über Serienkiller. Die sind wohl ziemlich in.«

Fia lächelte. Sie hatte nicht gewusst, dass sie diese junge Frau mochte; es war nicht ihr Job, sie zu mögen. Es konnte sogar hinderlich sein. Aber sie verstand, warum Macy Arlan so gefiel. Mal abgesehen von dem, was offensichtlich war – nämlich dass sie Trägerin eines zweiten X-Chromosoms war.

»Sie sind sich also sicher, dass er es ist. Aber woher kennt er Sie?«

»Ich weiß es nicht.«

»Was ist Ihre Verbindung zu ihm?«

»Ich weiß es nicht.«

»Er hat Sie einfach willkürlich ausgesucht und Ihnen geschrieben? Vor einem Jahr, als Sie mich angerufen haben? Oder zwei?«

»So was in der Richtung.«

Fia blickte ihr direkt ins Gesicht. Sie trug eine Sonnenbrille, Macy nicht. Fia konnte die dunkelbraunen Flecken in ihren grünen Augen sehen. Sie registrierte auch, dass ihre Pupillen ein winziges bisschen weiter wurden. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen das glauben soll.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob mir das was ausmacht.«

Fia holte tief Luft und ließ den Blick über jene Sanddüne schweifen, die vor einigen Jahren nach einem heftigen Sturm aufgeschüttet worden war. Sie sollte Mutter Natur in ihre Schranken weisen und teure Strandgrundstücke vor den Elementen schützen. Dennoch wurde der Streifen Sand zwischen der Promenade und dem Ozean jedes Jahr schmäler. Vor einem Jahrhundert war er noch knapp 100 Meter breiter gewesen. Leider wusste sie, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis die Promenade, die Bank, auf der sie saßen, und Dollys Popcornstand unter den unbarmherzig heranrollenden Wellen verschwinden würden.

»Macy, Sie rufen mich jetzt seit einem Jahr an. Anscheinend möchten Sie mir helfen, dieses Monstrum zu schnappen. Wir sollten mit diesem Rumgeeiere aufhören. Erzählen Sie mir einfach, was Sie wissen.«

Macy faltete die Hände in ihrem Schoß. »Ich will nicht über mich sprechen.« Sie redete so leise, dass Fia näher rücken musste. Ein Kind in einem Buggy eine Bank weiter schrie nach Popcorn.

»Er stalkt mich schon seit Jahren«, fuhr Macy fort. »Früher hat er es mir erst gesagt, nachdem er die Leute umgebracht hatte. Er sagte dann, ich solle mir eine Zeitung besorgen, die Abendnachrichten anschauen, so in dieser Art. Aber vor ungefähr einem Jahr hat er damit angefangen, mir Hinweise zu geben, wann er es wieder tun würde. Das … das letzte Mal … in Virginia. Er hat es mir angekündigt. Bevor er es getan hat.«

»Aber er hat Ihnen nicht gesagt, wo oder wann, und auch nicht, wen er umbringen würde?«

Sie schüttelte den Kopf. »Teddy ist zu clever dafür.«

»Teddy.« Fia überlegte. »Und seit wann haben Sie nun wirklich Kontakt zu ihm?«

»Seit den Downings in Chattanooga 1997

»Seit dem allerersten Fall? Heilige Maria Muttergottes. Wie alt waren Sie damals?«

»18. Er hat mir die Todesanzeige aus der Zeitung geschickt. Dann bin ich umgezogen. Er hat mich etwa eineinhalb Jahre später wiedergefunden.«

»Die Shorans in Pennsylvania.«

»Deshalb bin ich wieder umgezogen«, sagte Macy. »Danach bin ich eigentlich nur noch umgezogen. Als er mich im Internet aufspürte, dachte ich, dass mir dabei nichts passieren konnte. Er wirkte zufrieden, dass er auf diese Weise mit mir reden konnte.«

»Möchte er, dass Sie sich an seinen Taten beteiligen?«

»Nein.«

»Was meinen Sie: Warum erzählt er Ihnen von seinen Morden? Glauben Sie, dass er Eindruck auf Sie machen will?«

»Nein.«

»Haben Sie einen anderen Namen für ihn außer Teddy?«

»Nein. Und er ist gerissen genug, das zu wissen.«

Macy starrte auf den Sand unter ihnen. Von hier oben aus hatten sie einen ausgezeichneten Überblick. Eine Familie ging Richtung Wasser: Mutter, Vater und drei Kinder, im Entenmarsch. Es war schwerer, als sie gedacht hatte – mit Fia zu reden. Sie hatte gedacht, dass sie distanzierter bleiben könnte. Sie hatte gedacht, dass sie sich beherrschen könnte und nicht an ihre eigene Familie denken müsste. Sie erinnerte sich nicht daran, jemals mit ihrer Mutter und ihrem Vater und ihren kleinen Schwestern am Strand entlanggegangen zu sein, aber sie hatten ja auch in Missouri gelebt. Im Mittelwesten gab’s nicht viel Meer.

»Macy?«

Macy sah Fia an und begriff, dass sie eine Frage überhört hatte.

»Warum, glauben Sie, sucht er den Kontakt zu Ihnen?«

Macy schüttelte die Flip-Flops von den Füßen und zog die Knie an die Brust, bis ihre nackten Füße auf der Bank ruhten. »Ich nehme an, dass er mich einschüchtern will.«

»Aber warum Sie?«, fragte Fia wieder.

Macy starrte geradeaus und umschlang ihre Knie. »Er hat am Montag etwas gesagt. Ich weiß nicht, was es bedeutet, aber ich glaube, dass es wichtig ist.«

»Und das wäre?«

»Der Mond.« Macy sah Fia an. »Sehen Sie mal Ihre Berichte durch. Die Morde wurden alle bei Vollmond verübt. Bis auf das letzte Mal. Er war einen Tag zu spät dran.«

»Bei Vollmond?«

Fia klang interessiert. Es war also wirklich eine Spur.

Macy nickte. »Ich habe ihn gefragt, ob ihm jemand sagt, dass er es tun soll. Wissen Sie, ich dachte an verrückte Stimmen in seinem Kopf oder so. Er ist sauer geworden, als ich fragte. Er schrieb: Niemand hat mir etwas zu sagen. Es waren genau diese Worte.«

»Niemand hat mir etwas zu sagen?«, wiederholte Fia. »Klingt nach einem trotzigen Kind.«

»Das habe ich auch gedacht.«

»Schauen wir mal. Normalerweise um Vollmond oder davor. Aber niemand sagt ihm, dass er es tun soll. Niemand bestimmt über ihn. Niemand kontrolliert ihn«, überlegte Fia laut. »Interessant.«

»Finden Sie?« Macy spürte so etwas wie einen Anflug von Hoffnung. »Für meine Begriffe klingt es nach nicht besonders viel, aber ich glaube, das war das aufschlussreichste Gespräch bisher mit ihm. Normalerweise … normalerweise macht er sich nur lustig über mich.«

»Es könnte definitiv etwas bedeuten.« Fia verschloss die Popcornschachtel wieder. Sie blickte zu Macy. »Er macht sich lustig über Sie?«

»Er beschimpft mich«, flüsterte sie. »Meistens wegen meiner wechselnden Männerbekanntschaften. Ich glaube, dass er mich ausspioniert. Irgendwie findet er immer heraus, wo ich gerade bin. Mit wem ich gerade zusammen bin.«

»Nimmt er Kontakt zu den Männern auf, mit denen Sie zusammen waren?«

»Ich glaube nicht.«

»Bizarr«, bemerkte Fia und sah weg.

Sie schien es gleichmütig hinzunehmen, dass Macy praktisch zugegeben hatte, eine Hure zu sein. Na ja, keine Hure, denn schließlich floss dabei nie Geld, dachte Macy ironisch. »Flittchen« war vermutlich das passendere Wort.

»Und Sie wissen nicht, wie er aussieht?«

Macy konnte förmlich die Rädchen in Fias FBI-Gehirn rattern hören.

»Sie sind ihm nie begegnet?«, fragte Fia weiter.

»Ich halte immer nach bekannten Gesichtern Ausschau. Sie wissen schon, im Supermarkt, in einer Menschenmenge. Wenn ich ihn jemals gesehen habe, ist es mir nicht bewusst. Er hat nie versucht, mich persönlich zu treffen. Kein einziges Mal.«

Sie saßen einen Moment lang schweigend da.

Macy atmete tief. Ihr Pulsschlag hatte sich wieder normalisiert. Es machte ihr Angst, über ihn zu sprechen, aber es war auch befreiend. Sie spürte, wie sich ein paar der Bande lösten, die sie all die Jahre über an Teddy gefesselt hatten.

»Das ist alles, was ich für Sie habe«, sagte Macy.

»Das bezweifle ich. Aber es ist ein guter Anfang.« Fia stand auf. »Bleiben Sie noch ein paar Tage in der Gegend, Macy Smith. Geben Sie mir Zeit, noch einmal alle Fälle durchzugehen. Ich glaube, die Sache mit dem Mond ist eine Spur.«

»Ich habe keine Eile, Clare Point zu verlassen. Ich mag Ihre Stadt. Sie ist ein bisschen schräg.« Ihr glückte ein schüchternes Lächeln. »Aber ich mag sie. Und, wie Sie sicher schon gehört haben, es kann gut sein, dass ich einen Artikel über einige viktorianische Häuser schreibe. Das wird ein paar Wochen dauern.«

»Wenn Sie aber doch wegfahren, hoffe ich, dass Sie es mich wissen lassen.« Fia beobachtete sie durch die dunklen Gläser ihrer Sonnenbrille. »Sie haben die Neigung, mir zu entwischen, Macy Smith.«

Macy lächelte fast. »Ich ziehe jedenfalls nicht in die Pension Ihrer Mutter. Ich mag das Hotel. Aber wenn ich gehe, sind Sie die Erste, die es erfährt. Ich muss zwar noch mal zurück nach Virginia, um ein Fotoshooting zu Ende zu bringen, aber das ist nur ein Tagesausflug.«

»Ich denke, ich fahre jetzt zurück. Ich will noch bei meinen Eltern vorbeischauen. Wahrscheinlich haben Sie schon gehört, dass mein Bruder in der Klemme zu sein scheint. Wir wissen nicht genau, wo er ist. Fahren Sie auch?« Fia deutete mit dem Daumen gen Norden.

»Nein. Ich werde wohl noch ein Weilchen hier sitzen bleiben. Vielleicht hole ich mir eine Pizza. Grotto’s soll ziemlich gut sein.«

»Noch Popcorn?« Fia hielt ihr die Schachtel hin.

»Nein, danke. Es war gut, aber ich hab’s nicht so mit Süßigkeiten.«

»Na, jedenfalls nochmals danke für Ihre Hilfe. Ich würde Sie ja nach Ihrer Telefonnummer fragen, aber ich schätze, dass sie Ende der Woche schon nicht mehr stimmt.«

»Sie können mir ja im Hotel Nachrichten hinterlassen.«

»Ja. Geben Sie mir ein bisschen Zeit, im die Akten aller Fälle durchzugehen, und ich sehe zu, was ich über unseren Moon Boy ausgraben kann. Ich melde mich. Wahrscheinlich gegen Mitte der Woche.«

»Danke fürs Zuhören.« Als Macy Fia nachblickte, hatte sie ein sonderbares Gefühl. Es war so lange her, dass sie es gespürt hatte – wahrscheinlich war sie damals noch ein Kind gewesen –, dass sie es fast nicht wiedererkannte. Aber dann wurde ihr mit einem Lächeln klar, was es war.

Hoffnung.