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Valleydale war früher einmal ein Ort gewesen, über den die Handelskammer lobende Auskünfte gab. Die mit Kiefern, Chaparral- und Manzanillagesträuch und, weiter unten, mit hohen Steineichen bewachsenem Berge verliefen in sanfte Bodenwellen, die sich zu dem ehemals so fruchtbaren Talgrund ausweiteten.

Aber heute sah man dort nur Felsgestein, zu Hügeln gehäuft, wo die Transportbänder der Goldbagger es seinerzeit gerade abgeworfen hatten. Zwischen den kantigen Brocken lagen abgerundete, von den Gletschern und Strömen der Urzeit glattgewachsene Felsblöcke wie ausgebleichte Knochen in der Wüste. Hier und dort hatte man versucht, den Boden für Obstgärten wieder einzuebnen. An den Hängen der von den Baggern nicht berührten Hügel warfen die mächtigen Eichen dunkle Flächen verlockenden Schattens. Die kleinen Weingärten und Obstbaumpflanzungen, die an einigen Stellen in die Hügelhänge hineinragten, ließen ahnen, was dieses Gebiet einst gewesen war.

Ein aus den Bergen kommender Fluß rauschte in der Nähe des Städtchens Valleydale durch eine Schlucht, breitete sich dahinter als stilles Gewässer aus, das sich durch die häßlichen Haufen von Gesteinsabfällen weiter einen Weg bahnte.

Ich fand ein Autohotel, wo ich mich als Donald Lam und mit der Nummer des Agenturwagens eintrug, denn ich wollte später, wenn es notwendig wurde, der Polizei über jede Minute meiner Zeit Rechenschaft abzulegen, nicht mit einem Decknamen dastehen und den Eindruck machen, daß ich auf der Flucht gewesen sei.

Sofort begann ich meine Erkundungstätigkeit.

Die noch in dem Städtchen verbliebenen Leute haßten die Goldbaggerei wie die Pest. Die früheren Besitzer der Ländereien hatten ihren Profit gemacht und waren mit dem Erlös in die größeren Städte gezogen. Die Baggergesellschaft hatte dem Ort mit den Arbeiterlöhnen, den Reparaturwerkstätten für die Maschinen und den Verwaltungsbüros einen gewissen Wohlstand gebracht, doch als der Boden ausgeschöpft war, verschwanden die Werkstätten, und die Büros verödeten. Eine Atmosphäre der Verzweiflung lag über dem Ort, die Menschen gingen bedrückt ihrer Beschäftigung nach, als arbeiteten sie nur noch, weil sie nicht wüßten, wie sie aufhören sollten.

Was aus den Akten der Baggerfirma geworden war, konnte mir niemand sagen, zumal die Geschäfte immer von auswärts geleitet worden waren. Wie die Angestellten und die Maschinen waren auch die Akten verschwunden.

Ich begann mich umzuhören, ob nicht doch noch frühere Angestellte der Firma in der Gegend wohnten. Der Besitzer eines kleinen Kramladens meinte sich zu entsinnen, daß ein alter, zurückgezogen lebender Junggeselle namens Pete — den Nachnamen wußte er nicht — damals an den Baggern und Bohrern gearbeitet hatte. Wo Pete wohnte, wußte er auch nur ungefähr, jedenfalls in einer ärmlichen Hütte etwa eine Meile flußabwärts auf einem kleinen Stück Land, dessen Boden nicht umgebaggert worden war. Pete käme nur selten in die Stadt, um Proviant einzukaufen. Er bezahle bar und sei sehr wortkarg. Kein Mensch wisse recht, wovon und wie er lebe.

Ich erfuhr, daß die neue Gesellschaft beabsichtigte, mittels jüngst erfundener Maschinen das Terrain so umzuschichten, daß die Muttererde wieder über die Gesteinstrümmer zu liegen kam. Doch die Alteingesessenen waren skeptisch und meinten, selbst wenn das gelänge, würden Jahre vergehen, bis der Boden wieder ertragsfähig sei. Andere waren der Meinung, bei planmäßiger Düngung werde man auch sofort wieder Ernten erzielen. Die Ansichten der Leute, mit denen ich sprach, gingen in jedem Punkt so auseinander, daß ich nicht viel Hoffnung hatte, Nützliches von ihnen zu erfahren.

Es wurde schon dunkel, als ich Petes Hütte fand; ein Häuschen, das, als ehemalige Wohnung eines Baggerführers, rundum Fenster hatte, von denen jetzt die Hälfte mit Blechplatten vernagelt waren, die Pete aus alten Benzinkanistern zurechtgehämmert hatte.

Dieser Mann, der sich Pete Digger nannte, war annähernd siebzig, derb gebaut und hager.

»Was wünschen Sie denn?« fragte er mich, indem er auf die selbstgezimmerte Bank bei seinem wackligen, vermutlich aus dem Schrott geborgenen Herd deutete. Ein Topf voll Bohnen brodelte über dem Feuer.

»Ich möchte mich ein bißchen über die Geschichte dieses Ortes informieren«, sagte ich.

»Wozu?«

»Bin Schriftsteller.«

»Was wollen Sie denn schreiben?«

»Über die Entwicklung der Goldbaggerei.«

Pete nahm die Pfeife aus dem Mund und wies mit dem Stiel über die Schulter in die Richtung nach Valleydale. »Das können Ihnen die Leute dort alles erklären.«

»Die scheinen aber solchen Fragen sehr abgeneigt zu sein«, sagte ich.

Pete Digger kicherte. Es war das trockene Lachen des Philosophen, der die Welt nur noch komisch findet. »Ein tolles Volk«, sagte er.

Ich sah mich in seinem Blockhaus um. »Sie haben's hier wirklich recht gemütlich«, bemerkte ich.

»Bin ganz zufrieden so.«

»Wie kam es, daß man bei der Baggerei Ihr Stück Land verschont hat?«

»Das mußten sie, sonst wäre Wasser vom Fluß ins Baggergebiet gedrungen. Sie umgingen es im Bogen und wollten es später mit Trümmergestein abdeichen, damit sie diesen letzten Rest dann auch noch vornehmen konnten. Aber dazu kam es nicht mehr.«

»Wie groß ist denn das Stück?«

»Oh, so ungefähr achthundert Meter lang und zweihundert breit.«

»Hier bei Ihrem Hause sieht es ja ganz schön aus. War das auch so, bevor die Baggerei begann?«

»Nee. Ödland war's. Früher hatten es Chinesen beackert, ganz ohne Maschinen. Man kann die Haufen der von ihnen ausgebuddelten Steine noch sehen. Es gab hier ganz schöne Flächen von fruchtbarem Land, weiter oben im Tal — ehe die Bagger loslegten.«

»Ihr Grundstück jedenfalls scheint gut in Schuß zu sein.«

»Hm.«

»Als ich mit dem Wagen ankam, sah ich hier ein paar wilde Kaninchen hüpfen.«

»Ja, die gibt's reichlich. Liefern mir ab und zu einen Braten.« Mit dem Kopf wies er auf ein rostiges Jagdgewehr an der Wand. »Sieht von außen nicht gerade schön aus, aber der Lauf ist innen spiegelblank«, sagte er.

»Wem gehört denn dieses Grundstück?«

»Mir«, antwortete er. Seine Augen leuchteten auf.

»Besonders erfreulich«, sagte ich. »So naturverbunden zu leben ist doch schöner als in der Stadt.«

»Das kann man wohl behaupten. Der Ort ist ja wie ausgestorben. Mir gefällt's hier sehr gut. Wie haben Sie eigentlich hergefunden?«

»In der Stadt sagte mir jemand, daß Sie liier wohnten und mir einiges über das Goldbaggern erzählen könnten.«

»Was möchten Sie denn zum Beispiel wissen?«

»Och, nur Allgemeines.«

Wieder zeigte der Alte mit dem Pfeifenstiel nach Valleydale. »Die Leute da sind mir zuwider«, sagte er. »Ich habe die ganze verdammte Baggerei von Anfang an miterlebt. Das Land hier in der Gegend war guter Ackerboden. Früher, als man noch mit Pferd und Wagen fuhr, war Valleydale bloß ein einsames Kaff — dann machte plötzlich jemand Reklame für das Goldbaggern, doch die meisten Einwohner meinten, das ginge gar nicht. Sie machten alles mies, was damit zusammenhing, aber als sie dann merkten, daß es klappen würde, wurden sie verrückt vor Gier. Die Bodenpreise kletterten immer höher, und keiner wollte verkaufen, weil jeder dachte, sie müßten immer noch höher steigen. Da wurde die Handelskammer mobil, das heißt, sie kroch vor der Baggerfirma zu Kreuze und stellte ihr sozusagen die ganze Stadt zur Verfügung. Jeder, der arbeiten wollte, fand Arbeit bei der Gesellschaft, und dann holte die Firma noch Leute von auswärts herbei. Die Stadt wurde über Nacht wohlhabend. Die Kaufleute trieben ihre Preise so hoch, wie es überhaupt nur ging. Natürlich stellte von Zeit zu Zeit mal einer die Frage, was denn von dem Land noch übrigbliebe, wenn die Baggerei zu Ende wäre — aber den hätte man am liebsten geteert und gefedert und gleich aus der Stadt verbannt.

Na, nach einer Weile lief alles so halbwegs, und dann dachten die Kerle, die viel Grund und Boden aufgekauft hatten: >jetzt ist's Zeit, jetzt kriegen wir die höchsten Preise.< Aber die Käufer dachten anders. Die Baggerfirmen verkleinerten ihr Personal, Arbeiter verloren Heim und Haus. Aber selbst dann schien die Handelskammer noch blind für Tatsachen zu sein und ging davon aus, daß man eine Bahnlinie durch die Stadt legen und sie damit zu einem wichtigen Knotenpunkt machen würde. Mit Steinbrechmaschinen wollte man sich von den Felsmassen wieder befreien. Ach, was wurde alles zusammengefaselt! Aber auf einmal war der ganze Zauber zu Ende, und da wurde es dann eben so, wie's heute aussieht, jetzt verfluchen sie alle die Baggergesellschaft.«

»Sie hatten für die Firma gearbeitet?«

»Hm.«

»Wann fingen Sie damit an?«

»Na, eigentlich gleich, als das Baggern losging. Ich war hier schon beim Goldsuchen gewesen.«

Das Herdfeuer flackerte lebhafter, und die Bohnen kochten so, daß der Dampf den Topfdeckel hochhob. Pete stand auf und rückte den Topf ein bißchen zur Seite.

»Mich interessiert sehr, was Sie erzählen«, sagte ich.

»Sind Schriftsteller, sagten Sie?«

»Ja. Wenn Sie Lust hätten, sich ein paar Dollar zu verdienen, könnte ich mich einen Abend mit Ihnen hinsetzen und mich ein bißchen mehr über die Geschichte der Gegend unterrichten. Es wäre für Sie vielleicht lohnend.«

»Wieviel?« fragte er.

»Fünf Dollar.«

»Geben Sie her den Kies.«

Ich gab ihm eine Fünfdollarnote.

»Bleiben Sie zum Abendbrot?«

»Würde ich gern tun.«

»Habe aber nur Bohnen, Puffer und Sirup.«

»Klingt ja ganz schmackhaft«

»Sie sind doch nicht etwa Wildhüter?«

»Nein.«

»Gut. Ich habe nämlich auch noch zwei gebratene Wachteln, kalt. Wollen erst mal essen, nachher können wir reden.«

»Kann ich Ihnen helfen?«

»Nee. Sitzen Sie man still, am besten da in der Ecke, damit ich Platz habe.«

Ich sah zu, wie er das Abendessen vorbereitete, und merkte, daß ich neidisch auf ihn wurde. Seine Wohnung war primitiv, aber sauber. Alles tadellos in Ordnung, jeder Gegenstand lag oder hing, wo er hingehörte. Schränke hatte er aus Kisten gebaut, die einst mit Kanistern voll Öl angekommen waren.

Das Essen schmeckte mir gut. Ich bat Pete, ihm beim Geschirrwaschen helfen zu dürfen, doch noch während wir darüber hin und her redeten, hatte er es schon abgespült und getrocknet. Dann stellte er die Petroleumlampe mitten auf den selbstgezimmerten Tisch.

»Mögen Sie Zigaretten?« fragte ich.

»Nee, bleibe bei meiner Pfeife. Ist billiger und schmeckt mir. So gibt der Tabak mehr her.«

Ich rauchte eine Zigarette, Pete zündete seine Pfeife an, einen wahren Bottich, dessen Holz so voll Nikotin gesogen war, daß ein fast betäubender, wenn auch angenehmer Geruch mit dem Qualm den ganzen Raum erfüllte.

»Na, was wollen Sie also wissen?« forderte Pete mich zum Sprechen auf.

»Sie waren Goldsucher, ja?«

»Jawohl.«

»Welche Methode wendeten Sie an? Ich dachte, hier hätte man gar nichts ausrichten können, weil die goldführende Schicht unter dem Grundwasser lag?«

»Damals hatten wir den sogenannten Keystone-Bohrer, mit dem ging's ganz einfach«, belehrte er mich. »Man treibt ein Bohrrohr bis auf den Felsgrund durch, dann kann man mit einer Sandpumpe die Bodenschicht nach und nach hochsaugen. Alles, was herausgeholt wird, die sogenannten Bohrkerne, kommt in eine Wanne, wird durchgesiebt und das Goldfarbene ausgesondert.«

»Das Goldfarbene?« fragte ich.

»Jawohl. Es ist nämlich Gold, das durch die Bewegung der Flüsse und Gletscher vor Abertausenden von Jahren zu ganz winzigen Flocken abgeschliffen wurde, die nicht größer als ein Stecknadelkopf und papierdünn sind. Manchmal gehören viele solche Teilchen zu einem Cent Goldwert.«

»Dann mußten Sie ja aus jedem Bohrloch ziemlich viel herausholen, damit sich's lohnte.«

»Nee, das konnte man nicht. Die großen Bagger freilich konnten den Boden mit Gewinn durcharbeiten, wenn der Kubikmeter für nur zehn Cent Gold ergab. Aber mit den alten Methoden war ein Kubikmeter kaum an einem ganzen Tag zu schaffen.«

»Aber wie konnten sie denn die Werte abschätzen, die durch das Baggern gewonnen wurden?«

»Sehr einfach«, antwortete er. »Die Techniker wußten bis auf ein oder zwei Kubikzentimeter genau, wieviel Erde sie bei jedem Durchstoß auf den Felsgrund im Rohr hatten, also im Bohrkern. Und Gold bekamen sie aus jedem Bohrloch. Diese Menge wurde sorgfältig gewogen, und dann führte man die weiteren Bohrungen in genau berechneten Abständen durch, alle paar Fuß eine.«

»Und große Mengen Gold gewannen Sie bei keinem Bohrloch?«

»Nee, bloß Farben, wie wir das nannten.«

Ich schwieg ein Weilchen, bevor ich sagte, als hätte ich nur laut gedacht: »Meiner Ansicht nach wäre es dann leicht gewesen, bei dieser Art des Goldschürfens die Ergebnisse zu fälschen.«

Pete nahm seine Pfeife aus dem Mund und sah mich lange, mit ganz schmal zusammengepreßten Lippen, eindringlich an, ohne jedoch etwas zu sagen.

»Ist dies die einzige Gegend, in der Sie Gold gesucht haben?« fragte ich, wieder ablenkend.

»Nee. Nachdem ich erst richtig Bescheid wußte, wie man's machen kann, wurde ich in verschiedenen Gegenden als Fachmann zugezogen. Ich habe oben am Klondyke geschürft, wo der Boden so hart und tief gefroren war, daß man ihn erst durch Heißdampf auftauen mußte, sonst ließ sich einfach kein Loch bohren. Unten in Südamerika war ich auch auf Goldsuche, kreuz und quer und überall — und dann kam ich wieder hierher und wurde Baggerführer.«

»Haben Sie denn Ihr Geld gespart?« fragte ich

»Nicht einen Cent.«

»Aber jetzt arbeiten Sie doch nicht?«

»Nee. Komme schon so zurecht.«

Nach einigem Schweigen fuhr er fort: »Mich kostet mein Lebensunterhalt so gut wie nichts. Fast alles, was ich brauche, suche ich mir in der Umgebung zusammen. Ab und zu kriege ich mal einen Sack Bohnen, und einen kleinen Gemüsegarten habe ich ja selbst hier beim Hause. In der Stadt kaufe ich mir nur meinen Tabak, ein bißchen Zucker und Mehl. Auch mal etwas Speck, den ich auslasse, um das Fett zum Braten und Kochen zu verwenden. Sie wären erstaunt, wenn Sie wüßten, mit wie wenig der Mensch gut auskommen kann.«

Ich dachte wieder nach und sagte dann: »Hatte mir nicht vorgestellt, daß ich den Abend so behaglich wie bei Ihnen hier verbringen würde. Nur etwas fehlt dabei.«

»So? Was denn?« fragte er.

»Ein ordentliches Glas Schnaps. Was meinen Sie, wenn wir schnell in die Stadt führen und uns eine Flasche holten?«

Er schwieg lange und sah mich nur an. »Was für 'ne Sorte trinken Sie denn?« fragte er schließlich.

»Einerlei welche, wenn's nur eine gute ist.«

»Und wieviel bezahlen Sie gewöhnlich dafür?«

»Ungefähr vier Dollar für den Liter.«

»Bleiben Sie mal eine Minute hier sitzen, ich bin gleich wieder zurück«, sagte er, erhob sich und ging hinaus.

Ich konnte hören, daß er von der Haustür etwa zwanzig Schritte fortging und dann stehenblieb. Gleich darauf hörte ich ihn wieder gehen. Wir hatten Mondschein. Durch die nicht mit Blech verdeckten Fenster konnte ich den Mond sehen, der unter die Kiefern und Eichen schwarze Schatten warf. Im Hintergrund reflektierten die Berge von hellem Gestein kalt das Mondlicht und erinnerten mich wieder an Bilder der Wüste.

Nach ein paar Minuten kam Pete zurück und setzte sich. Ich sah ihn an, zog meine Brieftasche und entnahm ihr vier Eindollarscheine, die ich ihm gab.

Zwei davon gab er mir zurück und erklärte: »Ich habe nur einen halben Liter gebracht.«

Er zog die Flasche aus seiner Gesäßtasche, stellte sie auf den Tisch, holte Gläser, goß für jeden eins halb voll und steckte die Flasche wieder ein.

Der Schnaps hatte die Farbe dunklen Bernsteins. Ich kostete ihn gleich. Schmeckte nicht schlecht.

»Feine Sorte«, sagte ich.

»Danke«, sagte Pete bescheiden.

Trinkend und rauchend saßen wir beisammen, während er mir von alten Goldsucherlagern erzählte, von in der Wüste verlorenen Fundstellen, von Betrug bei den Vorrechten, von Streit und Kämpfen. Immer wieder machte er dazwischen Bemerkungen über die >gute alte< Zeit der Goldsuche mit Baggern.

Beim zweiten Glas, als mir im Kopf ein wenig schwummerig wurde, sagte ich: »Ich habe davon gehört, daß eine neue Baggerfirma hier wieder anfangen will.«

Er kicherte nur.

»Hat man nicht früher ein riesiges Stück des goldführenden Terrains unberührt gelassen?« fragte ich.

»Die Gesellschaft, für die ich arbeitete«, sagte Pete, »wurde vom alten Darniell geleitet, und was der unberührt gelassen hat, hätte in Ihrem Auge Platz.«

»Aber es gab doch Stellen, wo sie nicht bis auf den Felsgrund eindringen konnten?«

»Jawohl.«

»Waren das viele?«

»Jawohl.«

»Also, warum sollten sie nicht alles nochmals durchbaggern?«

»Können sie ja machen.«

»Mit Gewinn?«

Pete schürzte die Lippen. »Vielleicht.«'

»Und dann könnten sie das Gebiet wieder zu fruchtbarem Land machen?«

»Das behaupten die wenigstens.«

»Wäre das denn nicht erfreulich?«

»Mag sein.«

»Ich nehme an, die Leute besitzen die alten Akten über die Goldsuche> bei der Sie mitgemacht haben, und ersehen daraus, wie tief damals die Bagger greifen konnten, so daß sie nun wissen, wo sich für sie das Nachfassen noch lohnt.«

Pete beugte sich vor und sagte: »So plump, wie die Brüder salzen — das habe ich im Leben noch nicht gesehen.«

»Was meinen Sie damit?«

»Die Bohrungen, die sie machen.«

»Sind sie denn schon beim Bohren?« fragte ich.

»Klar. Ungefähr zweieinhalb Kilometer flußabwärts von hier. Aber mein Gott, was sind diese Leute für Tollpatsche!«

»Inwiefern?«

»Erbärmlich!« sagte er. »Schmeißen einfach Gold in das Bohrrohr und sieben es nachher wieder aus. Von Zeit zu Zeit bringen diese Bauernfänger eine Schar von Leichtgläubigen her, und diese Trottel stehen dann herum und bestaunen mit Glotzaugen, wie da Gold ausgesiebt wird. Eins aber merken die nicht: was der Bohrmeister mit seinen Händen macht. Die eine muß er fast immer am Seil haben, damit der Bohrmeißel bei seinen Schlägen in der gewünschten Richtung bleibt. Wer die Hand beobachtet, kann sehen, wie er sie beim Griffwechsel, also wenn er mit der anderen Hand das Seil faßt, in die Tasche steckt. Und wer dann sehr scharf aufpaßt, könnte sehen, daß jedes Mal am Seil entlang die kleinen Goldflocken ins Bohrrohr rieseln. Das macht der Bursche allerdings ganz geschickt. Er hat alles richtig kalkuliert, und sie holen keinesfalls einen Bohrkern mit Gold heraus, ehe sie nicht tiefer gebohrt haben, als der Bagger der früheren Unternehmer gekommen war, verstehen Sie. Aber sobald sie auf den Felsgrund stoßen, tun sie tüchtig Gold 'rein. Wenn Sie die Zahlen lesen, was die da angeblich aus einem Bohrloch an Gold gewinnen, und mal überschlagen, wieviel Land sie sich zum Bohren gesichert haben — na, dann könnte die staatliche Münzanstalt Pleite machen, und sie müßten ganz Kentucky als Tresor für ihr Gold ausbauen.«

»Aber für diese Praktiken müssen sie doch eine Menge Gold zur Verfügung haben?«

»Was? Um ein Bohrloch zu spicken? Salzen nennen wir das übrigens.«

»Ja, das meinte ich.«

Er schüttelte den Kopf. »Nein, da brauchen sie nicht viel. Und doch sind die Kerle saudämlich. Die werden bestimmt geschnappt.«

»An wie vielen Stellen haben sie denn schon gebohrt?«

»Drei Bohrungen bis jetzt. Eine vierte haben sie gerade angefangen.«

»Wissen Sie vielleicht, wer hinter der Sache steckt?«

»Nee. Sind Leute aus dem südlichen Teil des Staates, und da verkaufen sie auch hauptsächlich ihre Aktien.«

»Wie denkt man denn in der Stadt über das Unternehmen?«

»Oh, da sind die Meinungen geteilt. Die einen unken, die andern versprechen sich wer weiß was davon. In dem Moment, wo's so aussieht, als wollte die Gesellschaft einen Bagger einsetzen, könnten Sie erleben, daß man in der Handelskammer vor Freude kopfsteht und mit den Zehen wackelt — aber einen Bagger werden diese Leute nicht benutzen.«

»Weshalb nicht?«

»Weil dann ihre Interessenten selbst zuviel sehen könnten. Sobald in diesem Gebiet ein Bagger anfängt, müßte es herauskommen, daß der Boden >gesalzen< wird. Ich glaube jedenfalls nicht, daß die für einen Bagger überhaupt Geld ausgeben würden. Die reden bloß 'n dicken Strahl, schütten Gold in die Erde und holen's wieder heraus, nur um es ins nächste Bohrloch zu praktizieren. — Wie wär's mit noch einem Gläschen?«

»Nein, danke«, sagte ich, »dieser Schnaps hat's in sich.«

»Ja, der haut hin. Dazu habe ich ihn ja auch gebraut.«

»Trinken Sie ruhig weiter, aber ich muß ja im Auto noch nach Hause fahren«, sagte ich.

»Ich bin auch nicht gerade ein Säufer, trinke aber gern, wenn ich so gemütlich sitze und mich mit einem Bekannten unterhalte. Sie sind ein netter Mensch — Schriftsteller, wie?«

»Hm.«

»Was schreiben Sie denn meistens?«

»Artikel über alles mögliche.«

»Von Bohrungen und so verstehen Sie nicht viel, wie?«

»Keinen Dunst.«

»Wie kommt es dann, daß Sie sich gerade das für einen Artikel ausgesucht haben?«

»Nun, weil ich mir dachte, die Leute würden so etwas besonders gern lesen — nicht in einer Fachzeitschrift natürlich, sondern in landwirtschaftlichen Familienblättern.«

Eine ganze Weile betrachtete er mich stumm, dann drückte er den Tabak in seinem Pfeifenkopf zusammen und qualmte behaglich weiter.

Alsbald erklärte ich ihm, ich müsse nun abfahren, käme aber vielleicht in Kürze wieder, um meine neuen Kenntnisse noch zu erweitern. Ich sei gern bereit, ihm pro Abend fünf Dollar zu geben. Er bezeichnete das als anständig, und wir drückten uns die Hände. »Sie können mich jederzeit wieder besuchen«, sagte er, »das soll Sie aber nicht fünf Dollar kosten. Sie gefallen mir und passen in die Welt. Ich lasse noch lange nicht jeden in mein Haus, um mich mit ihm so zu unterhalten. Und noch nicht einer von hundert kriegt eine Probe von dem da.« Er wies mit dem Kopf nach dem Glas auf dem Tisch.

»Das kann ich verstehen. Na, dann auf Wiedersehen.«

Ich fuhr zum Autohotel zurück. Ein großes, spiegelblankes Sportcoupé stand vor der Kabine, die ich gemietet hatte. Ich holte meinen Schlüssel aus der Tasche und öffnete die Tür. Als ich in der Kabine nebenan Geräusche hörte, schloß ich schnell die Tür. Einen Moment später vernahm ich Schritte auf dem Kiesweg, leichte Schritte auf der kleinen Veranda und dann ein Klopfen an meine Tür.

Nun war es also soweit! Ich hatte mein Bestes getan, das zu vermeiden...

Ich öffnete die Tür.

Alta Ashbury stand auf der Schwelle. »Hallo«, begrüßte sie mich.

»Hier zu erscheinen ist für Sie nicht gerade gut«, sagte ich zu ihr.

»Warum denn nicht?«

»Aus vielerlei Gründen. Erstens, weil Detektive nach mir fahnden.«

»Hat mir Papa schon erzählt.«

»Zweitens würden, wenn man uns entdeckte, die Zeitungen eine pikante Story daraus zusammenbrauen.«

»So à la Liebesnest, meinen Sie?«

»Richtig.«

»Wie reizvoll«, sagte sie und fügte nach einer kleinen Pause hinzu: »Ich hätte nichts dagegen — bereitet Ihnen das etwa Sorge?«

»Tut es, jawohl.«

»Angst um Ihren guten Ruf?«

»Nein, um Ihren.«

Sie sagte: »Papa will auch herkommen, er wird gegen Mitternacht hier sein.«

»Womit kommt er?«

»Flugzeug.«

»Woher wußten Sie, in welchem Autohotel ich abgestiegen bin?«

»Habe sie alle abgeklappert, bis ich Sie fand. Vier sind's aber nur, und hier bin ich erst beim zweiten.«

»Weshalb kommt Ihr Vater her?«

»Ihm Wird wohl der Boden zu heiß.«

»Was hat sich denn inzwischen entwickelt?«

»Mr. Crumweather rief mich an und bat mich, morgen nachmittag um zwei Uhr zu ihm ins Büro zu kommen.«

»Fahren Sie nicht hin.«

»Warum nicht?«

»Weil ich vermute, daß er die noch fehlenden Briefe hat und im Begriff ist, die Daumenschrauben anzuziehen.«

»Meinen Sie, daß er alle Briefe gehabt hat?«

»Ja.«

»Also glauben Sie nicht, daß die Detektive der Staatsanwaltschaft damit ein Geschäft gemacht haben?«

Ich antwortete kopfschüttelnd. »Wenn Sie schon hergekommen sind, dürfen Sie es sich auch gemütlich machen und vergnügt sein.«

»Donald, Sie haben getrunken!«

»Und wie!«

»Was war denn der Anlaß zum Feiern?«

»Hatte eine Sitzung mit einem Schnapsschmuggler.«

»Haben Sie welchen mitgebracht?«

»Nur, was ich davon in mir trage.«

»Es riecht, als sei das eine ganze Menge.« Sie kam näher und schnupperte. »Und Knoblauch noch dazu!«

»Stört Sie das sehr?«

»Überhaupt nicht. Ich bin nur böse, weil Sie mich nicht mitgenommen haben. Zigarette da, Donald?« fragte sie. »Ich war so aufgeregt, als ich Sie eben ankommen hörte, daß ich meine Handtasche liegenließ.«

»Wo denn?«

»In der Kabine nebenan.«

Ich reichte ihr eine Zigarette. »Ist Geld darin?« fragte ich.

»Etwas.«

»Wieviel?«

»Sechs- oder siebenhundert, genau weiß ich's nicht.«

»Dann holen Sie lieber die Tasche.«

»Oh, die nimmt schon keiner weg. Nun sagen Sie mir aber, Donald, weshalb Sie wirklich hierher fuhren.«

»Ich wollte Material gegen Crumweather auftreiben.«

»Und weshalb?«

»Damit ich, wenn er Druck auf Sie ausübt, ihn in die Zange nehmen kann.«

»Werden Sie das können?«

»Weiß noch nicht. Er ist ein gerissener Kunde.«

»Dies ist doch die Gegend, wo Roberts Firma die Ländereien hat, nicht wahr?«

»Sind Sie denn darüber im Bilde?«

»Nur ganz allgemein. Was Robert mir selbst erzählt hat.«

Ich sah sie an. »Ich muß Ihnen jetzt eine Frage stellen, die Sie vielleicht nicht beantworten möchten.«

»Lassen Sie das lieber, Donald, wir verstehen uns doch so gut. Ausfragerei hasse ich.«

»Warum denn?«

»Gewiß, weil ich gern unabhängig sein und ein Leben nach eigener Fasson führen will. Wenn man mir zuviel Fragen stellt und mich zum Antworten drängt, habe ich das Gefühl, mein Privatleben zu verlieren. Ist mir der Fragende sympathisch, dann antworte ich, aber hinterher bereue ich's doch. So bin ich schon immer gewesen.«

»Trotzdem werde ich meine Frage stellen.«

»Und?«

»Haben Sie Ihrem Stiefbruder jemals Geld gegeben?«

Alta zog die Brauen zusammen. »Vermutlich will Papa das wissen«, sagte sie.

»Nein, ich.«

»Jawohl«, gab sie zu.

»Viel?«

»Nein.«

»Geld als Einlage in seine Firma?«

»Nein, keinen Cent. Nur so viel, daß er nicht in Bedrängnis geriet und sich weiterhelfen konnte, als Papa ihm jede Unterstützung entzog.«

»Wieviel?«

»Muß ich das beantworten?«

»Ja.«

»Ich will es aber nicht.«

»Ich bestehe darauf.«

»Wenn Sie mich zwingen, sage ich's, doch es wird Ihnen nachher leidtun.«

»Wieviel also?«

»Ungefähr fünfzehntausend Dollar.«

»In welchem Zeitraum?«

»Etwa im Lauf von zwei Monaten.«

»Wann gaben Sie ihm zuletzt etwas?«

»Als er seine neue Tätigkeit aufnahm.«

»Und seitdem nichts mehr?«

»Nein.«

»Er verlangte aber auch dann noch Geld, nicht wahr?«

»Ja. Und das erbitterte mich. Verstehen Sie recht, Donald — ich mag ihn im Grunde nicht leiden und finde, er ist ein Ekel, aber schließlich gehört er zwangsläufig zum Familienkreis, und ich muß möglichst gut mit ihm auskommen oder mich von der Familie trennen.«

»Und weshalb tun Sie das nicht?«

»Weil Papa alles so schrecklich verpfuscht hat.«

»Meinen Sie damit seine zweite Ehe?«

»Ja.«

»Wie wurde er denn in die hineingelockt?«

»Das weiß ich wirklich nicht, Donald — ach, es ist so scheußlich, darüber zu reden.«

»Reden Sie weiter, den Anfang haben Sie ja nun gemacht.«

»Na, eigentlich war's meine Schuld.«

»Inwiefern?«

»Weil ich erst mal in die Südsee, dann nach Mexiko gefahren bin und anschließend noch Jachtreisen gemacht habe.«

»Na und?«

»Papa war also ständig allein. Er ist ein sonderbarer Mensch, äußerlich so rauhbeinig und abgebrüht und im Herzen doch so butterweich.

Mama war mit ihm sehr glücklich, und ich kam mit ihm wunderbar aus. Unser Familienleben war harmonisch und bedeutete ihm viel. Nach Mutters Tod — sie besaß eigenes Vermögen — fiel testamentarisch die Hälfte ihrer Hinterlassenschaft Papa, die andere Hälfte mir zu. Ich war damals — ach, ich werde es Ihnen wohl sagen müssen. Also, ich war in eine Liebesaffäre verstrickt, die mir viel Kummer bereitet hat. Jetzt bin ich darüber hinweg, doch eine ganze Zeit glaubte ich, das nie überwinden zu können, und Papa sagte mir, ich sollte die Dinge einfach laufen lassen. Ich packte also meine Sachen und verzog mich für längere Zeit. Als ich zurückkehrte, war er wieder verheiratet.«

»Wie ging das denn vor sich?«

»Wie geht's denn schon bei diesen Dingen zu!« sagte sie bitter. »Sehen Sie sich diese Frau doch an. Ich mag nicht über sie reden, zumal Sie sie ja kennengelernt haben. Wie konnte ein Mann sich nur so schwere Fesseln anlegen! Da gibt es nur eine Erklärung.«

Ich starrte sie an. »Sie meinen, mit gewissen Erpressungen? Daß man also...«

»Selbstverständlich nicht«, sagte sie. »Diese Frau ist eine vollendete Schauspielerin. Haben Sie noch nie darüber nachgedacht, woran es wohl liegen mag, daß so viele Frauen von Charakter, die prächtige Ehekameradinnen sein könnten, nie zum Heiraten kommen, während die zänkischen, ewig klagenden Weiber meistens gute Ehemänner finden?«

»Beabsichtigen Sie etwa, mir jetzt einen Vortrag über Eheanbahnung und Eheharmonie zu halten?«

»Ich denke, Sie sind alt genug, Donald, um das Wesentliche vom Leben zu kennen. Menschen mit Charakter bleiben immer gleich und pflegen nicht, wie die Heuchler, kleinliche und hinterlistige Kniffe anzuwenden und fortwährend ihre Launen zu wechseln. Solche Frauen geben sich natürlich, wie sie eben sind. Wenn sie dem Mann so gefallen, mag er sie heiraten oder es bleiben lassen.

Ganz anders hingegen ist der Typ der charakterlosen Frau mit allerlei unangenehmen Eigenschaften, die aber schlau genug ist, ihre Mängel im entscheidenden Augenblick zu verbergen. Papas jetzige Frau hatte jedenfalls festgestellt, daß er sich einsam fühlte, sich ein behagliches Heim wünschte, und das zu einem Zeitpunkt, da seine Tochter in der Welt umherreiste und wahrscheinlich unterwegs heiraten würde. So lud sie ihn öfters zum Essen in ihre Wohnung ein. Und wie das dann so geht...

Robert benahm sich prächtig, er spielte sozusagen den guten Kameraden von Papa, und sie zeigte, sich nie so launisch und unzufrieden, wie sie jetzt ist. Nie hörte Papa, bis sie verheiratet waren, auch nur ein Wort über ihren Blutdruck. Sie war bis dahin das liebe Wesen, das nur von dem Gedanken beseelt war, ihm alles im Hause so gemütlich wie nur möglich zu machen.«

Plötzlich hielt sie inne und sagte: »Da haben Sie's! Durch Sie bin ich auf dieses Thema gekommen. Ich vermute, Sie haben auf diese Gelegenheit gewartet und sich schon gedacht, daß Sie mich eines Tages in der richtigen Erregung antreffen würden, in der ich dann alles ausplaudere.«

»Im Gegenteil, mich interessiert das nicht besonders«, antwortete ich. »Wollte doch nur wissen, wieweit Sie finanziell mit Ihrem Stiefbruder verbunden waren.«

»So etwas nenne ich Dankbarkeit!« sagte sie mit einem Lächeln. »Ich lege mein Herz vor Ihnen bloß, und Sie erklären, das hätten Sie gar nicht wissen wollen.«

Ich lächelte sie an. »Haben Sie schon gegessen?«

»Nein. Ich habe mächtigen Hunger, hatte mit dem Essen solange gewartet, weil ich dachte, Sie kämen bald.«

»Ich glaube, in dieser Stadt machen die Lokale schon um halb neun zu, aber an der Chaussee finden wir vielleicht noch eins, das auch nachts geöffnet ist.«

»Sie sind ein netter Junge, Donald. Hier, nehmen Sie meine Wagenschlüssel und fahren Sie uns ins Blaue.«

»Wann wird Ihr Vater hier eintreffen?«

»Nicht vor Mitternacht. Auf ihn haben Sie bestimmt großen Eindruck gemacht.« Alta öffnete die Wagentür und sprang hinein.

Wir fanden ein kleines spanisches Restaurant, wo sie die Speisekarte herunteraß. Als wir hinausgingen, sagte sie: »Lassen Sie uns noch eine Weile im Mondschein spazieren fahren.«

Mir war es, als sei in der Nähe eine Straße, die auf das Plateau oberhalb des Flusses führen mußte, und die fand ich schließlich auch. Als wir uns etwa dreihundert Meter über der Talsohle befanden, bog ich von der Asphaltstraße in einen Feldweg ein und parkte dann an einer Stelle, von der aus wir das Land unter uns weithin überblicken konnten. Von hier oben schienen die Felstrümmer nicht so schimmernd weiß. In dem sanften Mondlicht war das ganze Tal ein Stück der Nacht mit ihren Sternen und dem geheimnisvollen Rascheln und Raunen der unsichtbaren Tierwelt.

Ich schaltete die Beleuchtung und den Motor ab. Alta rückte etwas näher zu mir. Die Schatten in den Schluchten und zwischen den Bäumen waren tiefschwarz, die Hügelkämme vom Licht des Mondes überflutet, und unter uns das Tal lag im silbergrauen Glanz.

Ich spürte Altas Körper und hörte ihr ruhiges, gleichmäßiges Atmen. Als ich sie nach einer Weile anblickte, weil ich vermutete, sie sei eingeschlafen, hatte sie die Augen weit offen und genoß das herrliche Bild der Landschaft. Einmal gab sie einen Seufzer tiefen Wohlbehagens von sich, sah dann plötzlich hoch und fragte: »Donald, gefällt's Ihnen so?«

Statt einer Antwort beugte ich mich zu ihr vor und berührte mit den Lippen zart ihre Schläfe.

Für einen Moment dachte ich, sie wollte mir ihren Mund zum Kuß hinhalten, doch sie schmiegte sich nur etwas mehr an mich und saß ganz still.

Nach längerem Schweigen sagte ich: »Wollen jetzt lieber abfahren, damit wir schon beim Autohotel sind, wenn Ihr Vater ankommt.«

»Ja, das ist wohl richtiger.«

Wir hatten bereits die kurvenreiche Flügelstraße bis zu den Außenbezirken von Valleydale hinter uns, als sie wieder sprach. »Donald, dafür könnte ich Sie ewig liebhaben.«

»Wofür?«

»Ach, für alles da oben.«

Ich erwiderte lachend: »Ich bin doch nicht schuld, daß die Landschaft zu dieser Stunde so schön war.«

»Nein«, sagte sie, »und es gibt noch etwas, woran Sie gar nicht erst schuldig geworden sind — ach, Donald, Sie sind ja so ein feiner Kerl!«

»Warum sagen Sie das?« fragte ich.

»Ich hatte es Ihnen eben nur sagen wollen. Mit keinem anderen Menschen hätte ich dies so schön empfunden. Die Männer, die ich sonst kenne, reden entweder zuviel oder hätten mich zuviel getätschelt oder gar bedrängt. Bei Ihnen fühlte ich mich so gelöst, als gehörten Sie zu dem Landschaftsbild und das alles zu mir.«

»Mit anderen Worten: Ich bin also so etwas wie ein lahmer Hase. War es so gemeint?«

»Donald, hören Sie auf, Sie wissen doch genau, daß das nicht wahr ist.«

»Kein Mann kann es als ein Kompliment ansehen, wenn ein Mädchen behauptet, sich bei ihm >vollkommen sicher< zu fühlen.«

Ihr Lachen klang nervös. »Wenn Sie wüßten, wie unsicher ich mich vorhin neben Ihnen fühlte, würden Sie erstaunt sein. Ich meinte doch nur, daß sich alles so harmonisch zusammen... Ach, warum versuche ich überhaupt, es zu erklären? Darauf verstehe ich mich sowieso nicht. Können Sie nicht auch mit einer Hand steuern, Donald?«

»Kann ich.«

Sie nahm meine rechte Hand vom Lenkrad, legte sie um ihre Schultern und kuschelte sich an mich. Langsam fuhr ich durch die menschenleeren Straßen der kleinen Stadt, dieses fast nur von Erinnerungen bewohnte Geisterstädtchen mit den Häusern, die keine Farbe mehr hatten, den Bäumen, in deren breiten Kronen von blanken Blättern das Mondlieht gleißend tanzte. Die Schatten unter ihnen sahen schwarz wie Tusche aus, als hätte ein dicker Pinsel sie hingekleckst.

Henry Ashbury erwartete uns schon vor dem Autohotel. Er war mit einem gecharterten Flugzeug gekommen und das letzte Stück in einem Mietauto gefahren.

»Du hast ja deinen Fahrplan noch übertroffen, Papa!« empfing ihn Alta.

Er nickte, musterte uns mit fragendem Blick, schüttelte mir die Hand küßte seine Tochter und betrachtete dann wieder mich, ohne ein Wort zu sagen.

»Na, nun sei doch nicht so reserviert«, sagte Alta. »Hoffentlich hast du in deinem Koffer auch eine Flasche Whisky mitgebracht. In dieser Stadt sind jetzt die Geschäfte schon geschlossen.«

Wir gingen zusammen in die Doppelkabine, die Alta für sich und ihren Vater gemietet hatte, und nahmen Platz, während sie uns einen heißen Whiskytrunk zubereitete, den sie in Tassen servierte.

»Was haben Sie hier feststellen können?« fragte mich Ashbury.

»Nicht gerade sehr viel, aber einiges«, antwortete ich.

»Was wird hier getrieben?«

»Sie schürfen nach Gold, anscheinend nur mit Bohrern. Für einen Boden, der nur noch wenig Gold pro Kubikmeter ergibt, braucht man nur wenig Gold, um eine angebliche Fundstelle zu >salzen< — und man kann dieselbe Goldmenge immer wieder benutzen.«

»Wieviel ist das denn?«

»Weiß ich nicht. Der Wert beträgt schätzungsweise nur einige Dollar.«

»Wie stark >salzt< denn die Gesellschaft ihre Bohrstellen?«

»Offenbar ziemlich kräftig.«

»Und wie soll das weitergehen?«

»Die Manager werden alles Geld der Aktionäre einstreichen und damit türmen. Einen Bagger einzusetzen, würden die nie riskieren. Täten sie das nämlich, dann ergäben sich in der Ausbeute so krasse Unterschiede, daß der Schwindel mit dem >Salzen< leicht nachzuweisen wäre.«

Er biß die Spitze einer Zigarre ab und rauchte eine Weile schweigend. Zweimal sah ich, wie er über den Rand seiner Brille Alta musterte.

»Nun?« fragte ich unvermittelt.

»Wonach fragen Sie?«

»Jetzt wären Sie mit einer Aktion an der Reihe«, erwiderte ich.

»Wie stellen Sie sich das vor?«

»Kommt ganz darauf an, was Sie zu unternehmen gedenken.«

»Ich überlasse alle notwendigen Maßnahmen Ihnen, zumal da ich davon überzeugt bin, daß Sie uns schützen können.«

»Sie vergessen, daß ich morgen um diese Zeit wahrscheinlich bereits in einer Zelle sitze und mir ein Mordprozeß droht.«

Alta Ashbury atmete unwillkürlich laut, einen Aufschrei unterdrückend.

Ihr Vater streifte sie mit einem Blick, sah wieder mich an und sagte: »Was schlagen Sie vor?«

»Wie wichtig ist es Ihnen, daß Robert Peinlichkeiten erspart bleiben?« fragte ich.

»Verdammt wichtig. Ich betätige mich mit drei Teilhabern doch selbst propagandistisch für Aktienverkäufe. Wenn jetzt etwas Dummes passierte, das mein Boot ins Schaukeln brächte, käme ich in eine üble Lage — nicht finanziell, aber die Leute würden mich schief ansehen. Jedesmal, wenn ich den Klub betrete, würden die gerade geflüsterten Gespräche verstummen. Die kleinsten und schäbigsten Rufmordprozeduren würden sich vor meinen Augen abspielen, während ich immer so getan habe, als wüßte ich von der Geschichte überhaupt nichts.«

»Es gibt nur eine Methode, nach der Sie verfahren könnten.«

»Und welche?«

Nachdenklich fuhr ich fort: »Wir könnten zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.«

»Welche wäre dann die zweite?«

»Oh, die gerät nur nebenbei unter die Klappe.«

Alta hob ihre Tasse zur Seite, neigte sich über den Tisch und sagte: »Papa, sieh mich mal an. Du machst dir Sorge, weil du glaubst, ich hätte mich in Donald verliebt, stimmt's?«

Ashbury hielt ihren Blick ruhig stand. »Ja«, gab er zu.

»Ich selbst glaube das aber nicht. Jedenfalls versuche ich, es nicht zu glauben. Donald hilft mir und ist dabei ein Gentleman.«

»Mir ist inzwischen klargeworden«, sagte Ashbury bitter, »daß du ihn ins Vertrauen gezogen hast, mich jedoch nicht.«

»Stimmt, Papa. Das hätte ich tun sollen. Wenn du willst, hole ich es jetzt nach.«

»Nicht jetzt. Später vielleicht«, sagte er. »Donald, welche Idee hatten Sie?«

Etwas hitzig antwortete ich: »Ich renne nicht den Millionen oder Hunderttausenden oder wieviel die Ashburys auch besitzen mögen, nach. Ich habe mich bemüht, Ihnen reelle Dienste zu leisten, wollte für Sie...«

Seine Hand legte sich auf meinen Arm, und die Finger packten fester zu, als er mich unterbrach: »Ich beschwere mich ja auch nicht über Sie, Donald. Vielmehr über Alta. Meistens scharen sich die Männer um sie und tanzen nach ihrer Pfeife. Wie sie dann mit denen umspringt, ärgert mich stets, aber mein Ärger gilt nicht ihr, sondern den Männern, weil die sich so herumkommandieren lassen.« Er drehte sich plötzlich Alta zu: »Dir wird es vielleicht eine Last von der Seele nehmen, wenn ich dir jetzt mitteile, daß ich, ehe ich nach hier abfuhr, deiner Stiefmutter erklärt habe, sie könne sich zwecks Scheidung mit ihrem Anwalt besprechen, ohne Aufsehen nach Reno fahren und ihren Sohn mitnehmen. — Nun also, Donald, was für eine Idee hatten Sie?«

Ich erklärte: »Der leitende Kopf hinter all diesen Manövern ist ein Rechtsanwalt namens Crumweather. Ich hatte gehofft, das Unheil abwenden und den Mann in die Zange nehmen zu können. Von einem Ende her kann ich das auch, aber vom anderen nicht. Es sind zu viele Aktien verkauft worden.«

»Wie viele?«

»Das weiß ich nicht, jedenfalls ein ziemlicher Stapel. Es wird eine tolle Meuterei geben.«

»Und was unternimmt der Bevollmächtigte für Aktiengesellschaften?«

»Crumweather hat eine Lücke im Blue Sky Act gefunden oder glaubt wenigstens, sie entdeckt zu haben.«

»Können wir ihn nicht einfach vor den Kadi bringen?«

»In dieser Sache nicht, da ist er zu wendig. Er sitzt ruhig und trocken auf dem dicken Plus, das er mit seinen zehn Prozent vom Erlös gemacht hat. Der Stoß träfe die leitenden Männer der Gesellschaft.«

»Tja, was können wir denn da machen?«

»Die einzige Möglichkeit wäre, die Aktienbesitzer zu ermitteln und sie zum Verkauf ihrer Anteile zu bewegen.«

»Donald«, antwortete er sofort, »das war der erste total verrückte Vorschlag, den ich von Ihnen gehört habe.«

Alta sprang mir bei. »Papa, ich finde seinen Vorschlag vernünftig. Kannst du nicht einsehen, daß es die einzige Möglichkeit ist?«

»Quatsch«, sagte er, ließ sich in seinen Sessel sinken und kaute an seiner Zigarre. »Für die Leute, die Anteile jener Gesellschaft kauften, ist das ein Glücksspiel und keine vorsichtige Kapitalanlage. Die erwarten einen hundertfachen oder fünfhundertfachen oder sogar fünftausendfachen Profit. Wenn Sie also versuchten, denen die Aktien zu dem Betrag abzukaufen, den sie dafür angelegt haben, lacht man Sie aus. Bieten Sie ihnen das Zehnfache des ursprünglichen Preises, dann vermuten sie, die Gesellschaft sei auf große Goldlager gestoßen und Sie gehörten zu den Eingeweihten.«

Ich sagte: »Sie haben, glaube ich, nicht recht verstanden, worauf ich hinauswill.«

»So? Dann erklären Sie's genauer.«

»Es existiert nur einer, der die Anteile zurückkaufen könnte, und das ist Crumweather.«

»Wie sollte der das wohl anstellen?«

»Er könnte plötzlich entdecken, daß sämtliche Aktienverkäufe illegale Geschäfte waren, und könnte seine Verkäufer veranlassen, die Abnehmer der Anteile zu informieren, daß der Plan nicht durchführbar ist und der Bevollmächtigte für das Aktienwesen ihnen, also den Verkäufern, auferlegt habe, das für die Aktien erzielte Geld wiederzubeschaffen und herauszugeben.«

»Und wieviel müßte dafür aufgebracht werden?« fragte Ashbury trocken. »Ich schätze, etwa eine halbe Million Dollar.«

»Ich glaube, wir könnten das ganze Paket für fünfhundert bekommen.«

»Wie bitte? Für wieviel?«

»Fünfhundert.«

»Entweder sind Sie verrückt, oder ich bin's«, sagte er.

»Ist es Ihnen fünfhundert wert.«

»Mir wäre es glatte fünfzigtausend wert.«

»Der Wagen Ihrer Tochter steht draußen. Lassen Sie uns eine kleine Fahrt machen.«

»Darf ich mit?« fragte Alta.

»Besser nicht«, sagte ich. »Wir suchen einen Junggesellen auf, der sich schon von dieser Welt zurückgezogen hat.«

»Ich mag Junggesellen gern.«

»Dann kommen Sie eben mit«, gab ich nach.

Wir saßen alle drei vorn, und ich steuerte den Wagen über die holprige Straße durch die Gesteinshaufen, bis die weit voraustanzenden Scheinwerfer die Umrisse von Petes altem Blockhaus abzeichneten.

»Sie bleiben hier sitzen«, sagte ich. »Ich gehe erst mal hinein und erkundige mich, ob er Besucher empfangen will.«

Ich stieg aus und wollte auf das Häuschen zugehen, da hörte ich eine brüchige Stimme aus dem Schatten sagen: »Hoch die Flossen, Bruder, ganz hoch damit!«

Ich fuhr herum und streckte meine Arme senkrecht empor. Das Licht der Scheinwerfer ließ mein Gesicht deutlich erkennen, und Pete Digger sagte in grimmigem Ton: »Hätte wissen müssen, daß Sie ein Spitzel sind! Na, dann los, versuchen Sie, es zu finden, Sie widerlicher Heuchler. Ein Schriftsteller wollen Sie sein? Das Auto sieht mir gerade nach Schriftstellerei aus! Wenn Sie keinen Haussuchungsbefehl haben, hauen Sie blitzschnell ab! Haben Sie einen, dann zeigen Sie ihn vor.«

Ich sagte: »Sie haben einen völlig falschen Begriff von mir, Pete. Ich möchte mir nur noch ein paar Auskünfte von Ihnen holen, mit dem Unterschied, daß ich diesmal mehr dafür zahlen werde.«

Seine Antwort bestand aus halblauten Flüchen, die sich auf meine Vorfahren bezogen.

Plötzlich klappte die vordere Wagentür auf, Alta stieg aus und schritt schnurstracks in das Dunkel, wo Pete stand. »Es ist wirklich so, wie er sagt«, sprach sie ihn an. »Donald hat meinen Papa und mich hergebracht, weil wir mit Ihnen ein kleines Geschäft besprechen möchten.«

»Wer sind denn Sie?«

»Ich heiße Alta.«

»Treten Sie da ins Licht, damit ich Sie richtig sehen kann.«

Sie stellte sich im Scheinwerferlicht neben mich.

Henry Ashbury stieg aus und watschelte zu uns.

»Und wer sind Sie, zum Donnerwetter?« fragte Pete Digger.

Ich antwortete: »Er ist der Weihnachtsmann«, und ließ meine Arme sinken.