6
Bertha wartete in dem Wagen unserer Detektei, um mich zum Jiu-Jitsu-Unterricht zu bringen. Sie hatte neben sich eine Nachmittagszeitung liegen und war in gereizter Stimmung.
»Donald, diesmal kommst du sicher nicht mit heiler Haut davon«, sagte sie.
»Von was?«
»Sie werden dich schnappen.«
»Nicht, solange sie keine Spur haben, der sie nachgehen können.«
»Aber früher oder später werden sie dich doch fassen. Warum hast du das nur getan!«
»Was hätte ich denn sonst machen sollen? Ich hatte mir das Nebenzimmer geben lassen und habe ein Loch in die Türfüllung gebohrt. Diese Verbindungstür war auf der anderen Seite nicht verriegelt.«
»Aber weshalb hast du Ringolds Zimmer überhaupt betreten?«
»Warum sollte ich nicht? Ich wäre doch sowieso verratzt gewesen — wenn sie mich ertappt hätten.«
»Donald, du tust das alles nur, um dieses Mädchen zu schützen.«
Ich gab keine Antwort.
»Du mußt mich unbedingt über die tatsächlichen Vorgänge informieren, Donald. Mein Gott, nimm mal an, die Polypen lochen dich ein. Selbstverständlich würde ich versuchen, dich freizukriegen, aber wie sollte ich das dann begründen?«
Ich sagte: »Reden und gleichzeitig den Wagen steuern kannst du nicht. Rutsch 'rüber und laß mich ans Lenkrad.«
Wir hielten an, wechselten die Plätze, und ich sagte: »Eins merke dir: Alta Ashbury wurde erpreßt. Weswegen, spielt keine Rolle. Der Erpresser war ein Rechtsanwalt namens Crumweather — C. Layton Crumweather.«
»Das ergibt noch keinen Sinn«, sagte Bertha. »Sie muß doch bei diesem Ringold gewesen sein. Die Beschreibung paßt und...«
»Die Beschreibung mag passen, und sie mag auch bei Ringold gewesen sein, aber der Mann, der sie erpreßte, war Crumweather.«
»Woher weißt du das?«
»Er wollte sich unbedingt Geld verschaffen, um einen Klienten zu verteidigen — einen, der wegen schweren Verbrechens angeklagt wird.«
»Wer ist das denn, lieber Kerl?«
»Habe seinen Namen vergessen.«
Sie funkelte mich zornig an.
»Wir haben also jetzt«, fuhr ich fort, »nur einen gangbaren Weg, um den Fall richtig zu behandeln — das heißt: Alta Ashbury von jedem Verdacht zu befreien und mich auch aus der Patsche zu ziehen, nämlich dem Crumweather die Daumenschrauben anzusetzen. Er ist ein Verbrecher, dieser sogenannte Anwalt. Ist darauf spezialisiert, das Aktienrecht betrügerisch zu umgehen.«
»Das kann man nicht. Haben andere Leute auch schon versucht.«
»In jedem Gesetz lassen sich Lücken finden«, erwiderte ich. »Mir einerlei, welche.«
»Na, du hast ja Jura studiert. Ich nicht.«
Ich fuhr fort: »Der Blue Sky Act läßt sich umgehen. Crumweather macht das folgendermaßen: Er übernimmt alte Aktiengesellschaften, deren Lizenzen an den Staat zurückgefallen sind, weil sie ihre Gebühren und Steuern nicht bezahlt haben — bringt diese Gesellschaften wieder in Gang und läßt sie in einer ganz anderen Branche arbeiten. Um das tun zu können, kauft er zunächst die Aktien dieser eingegangenen Gesellschaften auf. Er braucht eine Firma, die alle ihre Aktien schon an den Mann gebracht hatte und keine rechtsverbindlichen Schulden hat. Also: zuerst kauft er die Aktien, die in den Händen der gutgläubigen Erwerber Privateigentum geworden sind, für ein Butterbrot auf, und dann organisiert er die Gesellschaft neu. Er läßt seine Mitarbeiter sondieren, zu welchem Kurs man die neuen Aktien absetzen kann, und läßt sie dann durch seine Vertrauensleute zu einem Preis, bei dem er — an jeder abgesetzten Aktie — zehn Prozent verdient, an den Mann bringen. Seinen Mitarbeitern schärft er ein, nicht den Eindruck zu erwecken, als seien die Aktien ganz allgemein dem Publikum zugänglich, vielmehr veranlaßt er sie beziehungsweise ermöglicht er ihnen, jeweils auch privatim Abschlüsse zu tätigen.«
»Na und?« fragte Bertha.
»In der Erpressungsfrage kommen wir an den Kerl nicht heran, weil er viel zu gerissen ist und sich ganz im Hintergrund gehalten hat. Festnageln können wir den nur dadurch, daß wir eine seiner betrügerischen Firmengründungen zum Platzen bringen, und das wird nicht leicht sein, weil er auf diesem Gebiet äußerst beschlagen ist.«
»Wie hast du das nur alles feststellen können?« fragte Bertha Cool, die mein Gesicht ständig beobachtete.
»Indem ich Spesengeld ausgab«, antwortete ich und hatte sie damit mattgesetzt.
»Wie kommst du mit dem jungen Mädchen zurecht?«
»Recht gut.«
»Sie vertraut dir?«
»Ich glaube, ja.«
Bertha seufzte erleichtert. »Dann werden wir den Job doch noch behalten?«
»Wahrscheinlich.«
»Donald, du bist ein Genie!«
Ich nahm die Gelegenheit wahr, zu sagen: »Ich bin bereits mit Crumweather in Fühlung, als angeblich zukünftiger Kunde, weil ich glaubte, auf diese Weise an den Kern heranzukommen. Das geht jedoch nicht, denn der Bursche ist zu wachsam. Bei jedem Schachzug, den ich mache, kontert er so, daß ich weiter im Dunkeln tappe. Es gibt nur eine einzige Möglichkeit.«
»Und die wäre?«
»Als argloser Käufer, der gern Geld anlegen will, einen Posten Aktien von einer der Firmen, die Crumweather lanciert, zu erwerben.«
»Wie kommst du eigentlich darauf, daß dieser Crumweather der Erpresser sein soll?«
»Er muß es sein, andernfalls wäre alles Unsinn. Noch vor kurzem hatte ich angenommen, es könnte eine vom Staatsanwalt gestellte Falle sein, doch das kann nicht stimmen, denn der hätte sie jetzt schon zuschnappen lassen. Crumweather vertritt einen Klienten in einer wichtigen Sache, die stark ins Licht der Öffentlichkeit rücken wird. Ihm bietet sich dabei die Chance, als Verteidiger die erste Geige zu spielen. Fast könnte man meinen, er täte das nur, um bekannt zu werden, doch Crumweather ist von anderem Kaliber. Als er die Gelegenheit, Alta Ashbury unter Druck zu setzen und sie zum Zahlen zu zwingen, erkannt hatte, tat er das prompt. Zwanzigtausend hat er von ihr schon ergattert, mit den letzten zehntausend ist etwas schiefgegangen.«
»Donald, jetzt will ich dich mal was fragen und verlange, daß du mir die volle Wahrheit sagst.«
»Was denn?«
»Hast du ihn umgebracht?«
»Na, was meinst du wohl?«
»Ich glaube nicht, daß du's getan hast, Donald, darauf könnte ich zehntausend zu eins wetten, aber es sieht aus — na, du weißt ja selber, wie es aussieht. Du bist doch ganz der Typ, der sich Hals über Kopf in ein hübsches Mädel verknallt und dann, um es zu retten, irgendeine Verzweiflungstat begeht.«
Ich bremste vor einer Verkehrsampel ab und unterdrückte ein Gähnen.
Bertha sagte kopfschüttelnd: »Du bist doch der kälteste Bursche, der mir je vorgekommen ist. Wögest du nur fünfzig Pfund mehr, so wärst du für Bertha eine Goldmine.«
»Zu schade«, sagte ich.
Eine Zeitlang fuhren wir schweigend weiter, bevor ich sagte: »Ich werde eine Sekretärin und ein Büro brauchen. Entweder engagiere ich mir eine, oder ich muß mir Elsie Brand ausleihen.«
»Donald, bist du wahnsinnig? Ich kann dir doch kein Extrabüro einrichten! Das kostet Geld. Alles kostet sowieso schon zuviel. Da mußt du dir schon eine andere Methode ausdenken, um deine Fabrik zu betreiben. Und Elsie Brand kann ich nicht fortlassen, nicht einmal halbtagsweise.«
Jetzt fuhr ich so lange stumm weiter, bis Bertha richtig gallig wurde. Kurz bevor ich auf den Parkplatz bei der Sporthalle des Japaners zusteuerte, sagte sie: »Also gut, mach's, wie du denkst, aber schmeiß kein Geld zum Fenster hinaus.«
Wir gingen hinein. Der Japaner schleuderte mich ordentlich im Saal umher. Mir war, als übte er mit mir nur so wie ein Ballkünstler, der zum Training Bälle durch einen Ring wirft. Ein paarmal gab er mir die Chance, ihn zu Boden zu zwingen, doch so sehr ich mich auch anstrengte, es gelang mir nicht, ihn über meinen Kopf auf die Matte zu klatschen, wie er das mit mir machte. Jedesmal verstand er es, in der Luft so herumzuwirbeln, daß er grinsend wieder auf den Füßen landete.
Dieses Theater ging mir nun über die Hutschnur. Gehaßt hatte ich's schon von Anfang an, und dabei sagte Bertha, sie habe den Eindruck, daß ich besser geworden sei, und Hashita erklärte meine Leistungen sogar für recht gut.
Nachdem ich mich geduscht hatte, sagte ich zu Bertha, sie solle ja nicht vergessen, mir ein Büro mit mehreren Räumen für eine Woche zu mieten, und auch nicht vergessen, daß der Name, den ich ihr nannte, am Eingang stehen müsse, daß die Einrichtung solide und repräsentativ wirken und daß Elsie Brand für Diktate zur Verfügung stehen sollte.
Sie sprudelte halblaut noch allerlei Flüche, fand sich aber schließlich doch bereit, mir zu versprechen, daß sie mich spät abends noch anrufen werde, um mir dann die Adresse des neuen Büros mitzuteilen.
Henry Ashbury nahm mich abends, vor dem Essen, beiseite und fragte: »Wie wär's mit einem Cocktail in meinem Privatzimmer, Lam?«
»Gut, gehen wir«, antwortete ich.
Der Butler brachte uns die Getränke in einen kleinen Raum, der mit Jagdgewehren und einigen Trophäen an den Wänden, einem Pfeifenständer und ein paar Sesseln ausgestattet war. Dieses Zimmer war das einzige im Haus, das niemand ohne besondere Aufforderung von Ashbury betreten durfte. Sein einziges Versteck vor der ewig klagenden Stimme seiner Frau.
Wir sprachen, Cocktails trinkend, einige Minuten über alle möglichen Nebensachen, dann sagte Ashbury: »Sie verstehen sich ja mit Alta recht gut.«
»Ich sollte doch ihr Vertrauen gewinnen, nicht wahr?«
»Ja. Sie haben, wie mir scheint, mehr als das erreicht. Sobald Sie im Hause sind, hält sie ständig nach Ihnen Umschau.«
Ich trank wieder einen Schluck.
Er fuhr fort: »Den ersten Scheck hatte Alta am 1. des Monats, den zweiten am 10. ausgeschrieben. Falls noch ein dritter in Frage gekommen ist, müßte der das Datum vom 20. haben, also von gestern.«
Ganz nebenbei sagte ich: »Und der vierte wäre dann am 30. fällig.«
Er sah mich von oben bis unten an. »Alta ist gestern abend fortgefahren.«
»Ja. Sie war im Kino.«
»Sie waren auch abwesend.«
»Ja, ich hatte noch etwas zu arbeiten.«
»Sind Sie Alta gefolgt?«
»Wenn Sie es gern wissen wollen: ja.«
»Und wohin?«
»Ins Kino.«
Er kippte rasch den Rest aus seinem Glas hinunter und gab einen Seufzer der Erleichterung von sich. Dann ergriff er den Shaker, schenkte mir noch einmal ein und goß sein eigenes Glas bis zum Rand voll. »Sie scheinen tan verständiger junger Mann zu sein«, sagte er dabei.
»Danke.«
Er hantierte nervös eine Minute mit den Gläsern, und ich sagte: »Mir brauchen Sie keine Komplimente im Voraus zu machen. Reden Sie einfach frei von der Leber weg.«
Das schien er gern zu hören. Er sagte: »Bernard Carter hat Alta gestern abend gesehen.«
»Um welche Zeit?«
»Kurz nach — na ja, kurz nach der Schießerei.«
»Wo war sie denn zu diesem Zeitpunkt?«
»Ganz in der Nähe des Hotels, in dem Ringold getötet wurde. Sie trug ein Kuvert in der Hand und ging sehr schnell.«
»Das sagte Ihnen Carter?«
»Hm — nein. Er sagte es meiner Frau und sie mir.«
»Carter sprach nicht mit Ihrer Tochter?«
»Nein.«
»Sie hat ihn auch nicht bemerkt?«
»Nein.«
Ich sagte: »Carter irrt sich. Ich bin ihr die .ganze Zeit gefolgt. Sie stellte ihren Wagen auf dem Parkplatz in der Nähe des Hotels ab, in dem Ringold ankam, doch in das Hotel ist sie nicht gegangen. Sie ging in ein Kino. Ich bin ihr auch dorthin gefolgt.«
»Und nach dem Kino?«
»Sie blieb nicht sehr lange drin«, antwortete ich. »Ging dann gleich wieder zu ihrem Wagen. — O ja, sie blieb noch an einem Briefkasten stehen, um einen Brief einzustecken.«
Ashbury sah mich die ganze Zeit an, sagte jedoch nichts.
»Ich glaube«, sagte ich, »sie hatte eine Verabredung für den Kinobesuch, und der Betreffende kam nicht.«
»Konnte das Ringold gewesen sein?« fragte er.
Ich ließ mir Überraschung anmerken. »Wie kommen Sie auf diese Idee?«
»Weiß nicht. Fiel mir nur so ein.«
»Dann lassen Sie's sich wieder ausfallen.«
»Aber es hätte Ringold sein können?«
Ich sagte: »Herrjeh, sein können hätte es jeder. Ich erklärte Ihnen doch schon, daß sie im Kino war.«
Als er eine Minute schwieg, benutzte ich die Pause, um ihn zu fragen: »Sind Sie über die Firma Ihres Stiefsohnes orientiert — das Unternehmen, bei dem er Generaldirektor ist? Wissen Sie, was diese Firma betreibt?«
»Hat etwas mit Goldgräberei und mit Baggerei zu tun. Soviel ich hörte, haben die Leute ein vielversprechendes Objekt, ein wahres Dorado; doch davon will ich überhaupt nichts wissen.«
»Wer verhökert denn direkt, ich meine persönlich, die Aktien?«
»Mir wäre es lieber, wenn Sie das nicht so bezeichneten«, sagte er. »Wie Sie es formulierten, klingt es — nun, es hört sich nach krummen Sachen an.«
»Ich weiß immer noch nicht, wer die Aktien verhökert.«
»Und ich auch nicht. Die Firma hat einen Stab von Vertretern, sehr sorg-fältig geschulte Leute, wie ich hörte.«
»Die Partner selbst verkaufen nicht?«
»Nein.«
»Das ist alles, was ich wissen wollte.«
»Aber ich möchte noch etwas wissen«, gab er zurück.
Ich hob die Brauen.
»Abendzeitungen schon gesehen?« fragte er.
Ich schüttelte den Kopf.
»Es sind ein paar Fingerabdrücke reproduziert. Die Polizei hat ganz gute von der Tür und dem Türknauf in dem bewußten Hotelzimmer sichern können. Nach der Beschreibung scheint mir der Mann, der gesucht wird, einige Ähnlichkeit mit Ihnen zu haben.«
»Mir sehen nicht wenige Leute ähnlich«, erwiderte ich, »meistens handelt es sich um Verkäufer in Kolonialwarenläden.«
Er lachte. »Wenn Sie die Ihrem Verstandskasten entsprechende Größe hätten, wären Sie unüberwindlich.«
»Soll das ein Kompliment sein?«
»Ja.«
»Danke.«
Ich trank meinen Cocktail aus und lehnte ein weiteres Glas ab. Ashbury trank noch zwei.
»Wie Sie wissen«, sagte er, »hat ein Mann in meiner Position zuweilen Gelegenheit, mancherlei über finanzielle Transaktionen zu erfahren, an die der gewöhnliche Sterbliche nicht herankommt.«
Ich rauchte eine seiner Zigaretten und hörte weiter brav zu.
»Das gilt vor allem für Vorgänge im Bankwesen.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Vielleicht wundert es Sie, wie ich das mit Altas Zehntausenddollarschecks entdeckt habe.«
»Konnte es mir schon denken.«
»Sie meinen, durch die Bank?«
»Ja.«
»Nun, nicht direkt durch die Bank, sondern durch einen mir gefälligen Bankangestellten. «
»Ist denn das ein Unterschied?«
Er lächelte. »Die Bank würde schon einen Unterschied darin sehen.«
»Und weiter?«
»Heute nachmittag bekam ich weitere Auskünfte.«
»Sie meinen, von dem gefälligen Angestellten?«
Er kicherte und sagte: »Ja.«
Als er merkte, daß ich nicht fragen wollte, welche Auskünfte, fuhr er mit gewichtiger Betonung fort: »Die Atlee Amusement Corporation rief bei der Bank an und sagte, bei ihr sei ein Scheck aus dem Kassenfach gestohlen worden, und zwar einer über zehntausend Dollar, für Barauszahlung, unterschrieben von Alta Ashbury. Die Leute verlangten sofortige Mitteilung, falls jemand den Scheck vorlegt, und drohten mit Klage wegen Diebstahls.«
»Welche Antwort gab die Bank?«
»Daß sie Alta anrufen und sie auffordern wollten, den Scheck sperren zu lassen.«
»Das war also der bewußte Anruf bei ihr?«
»Ja.«
»Und der Betreffende am Apparat meldete sich als Atlee Corporation?«
»Jawohl.«
»Männerstimme oder Frauenstimme?«
»Frau. Behauptete, die Buchhalterin und Sekretärin des Direktors zu sein.«
»Das kann am Telefon jede Frau behaupten, und dann klingt's genauso.«
Er nickte langsam.
Die Cocktails begannen zu wirken, er wurde redseliger, beugte sich vor und legte mir väterlich eine Hand aufs Knie. »Lam, mein Junge, ich habe Sie gern. In Ihnen stecken Fähigkeiten, die besonderes Vertrauen erwecken. Ich glaube, Alta empfindet es ebenso.«
»Freut mich, daß ich meine Arbeit zu Ihrer Zufriedenheit verrichte.«
»Eine Zeitlang hatte ich das eigentlich nicht erwartet und angenommen, es würde alles verkorkst werden, weil Alta ziemlich gewitzt ist.«
»Läßt sich von keinem für dumm verkaufen«, sagte ich und fügte hinzu, weil er a) das erwartete und b) bei uns zahlender Kunde war: »Der Apfel fällt bekanntlich nicht weit vom Stamm.«
Er strahlte mich an, doch dann wurde seine Miene plötzlich sorgenvoll. »Ich kann mir denken, daß Sie genau wissen, was Sie tun, Lam«, sagte er, »aber wenn ein Barscheck über zehntausend gestohlen worden ist und wenn die Person, die ihn zwecks Auszahlung vorgelegt hat, in Bedrängnis kommen und gewisse Aussagen machen sollte, und...«
»Zerbrechen Sie sich darüber nicht mehr den Kopf. Es wird nichts dergleichen passieren.«
Er sagte bedeutungsvoll: »Wenn Sie die Zeitungen gelesen hätten, wäre Ihnen aufgefallen, daß die männlichen Zeugen widerspruchsvolle Beschreibungen des mysteriösen John Smith gegeben haben. Gerade diese Widersprüche sind für einen Menschenkenner von Gewicht. Die junge Frau hat John Smith in ein viel freundlicheres Licht gestellt.«
Ich unterdrückte jeden Kommentar.
»Wissen Sie, Lam, ich vertraue in dieser Angelegenheit stark auf Ihre Diskretion. Ich hoffe zuversichtlich, daß Sie nicht — daß Sie nicht bereits — hm, daß nicht durch Übereifer Ihrerseits vielleicht schon der Grund für etwas Schlimmeres gelegt worden ist. Für etwas, was über das hinausgeht, was Sie in Ordnung bringen sollten.«
»Das wäre peinlich, nicht wahr?«
»Sehr sogar. Sie vertrauen gewiß Dritten nicht viel an?«
»Ich ziehe es vor, ganz allein zu handeln, wo es nur möglich ist.«
Er sagte: »Ich könnte unbegrenztes Vertrauen zu Ihnen haben, mein lieber Donald — absolut unbegrenztes —, wenn ich nur eins wüßte.«
»Und das wäre?«
»Ob bei Ihrem Plan die Gefahr berücksichtigt war, daß so ein Zehntausenddollarscheck ans Tageslicht kommt.«
Jetzt hatte ich die Chance, mich groß herauszustreichen, und ich konnte ihr nicht widerstehen. »Mr. Ashbury«, sagte ich, »den bewußten Scheck habe ich gestern abend auf Ihrer Veranda persönlich verbrannt und die Asche mit meinen Fingerspitzen zu Pulver zerdrückt. Also brauchen Sie sich darum gar keine Sorge mehr zu machen.«
Er sah mich mit Augen an, die so groß wurden, daß ich schon glaubte, sie würden ihm die Brille vom Nasenrücken stoßen. Dann packte er meine Hand und schüttelte sie gewaltig. Ich hielt ihm die vier Cocktails zugute, doch auch so war es eine stattliche Ovation. »Sie sind ein Wunder, mein Junge, tatsächlich ein Wunder! Dies soll das letztemal gewesen sein, daß ich Sie ausgefragt habe. Gehen Sie von jetzt an nur nach Ihrer eigenen Methode vor. Das ist ja großartig!«
Ich sagte: »Danke. Sie wissen, daß dies vielleicht einiges Geld kosten wird.«
»Was es kostet, ist mir verdammt egal. Nein, so buchstäblich meine ich das nicht. — Nun, Sie wissen schon, wie ich's meine.«
»Bertha Cool«, sagte ich, »übt sich manchmal in falscher Sparsamkeit Sie kargt mit den Pennies und geht mit den Pfunden leichtsinnig um.«
»Das braucht sie nicht. Erklären Sie ihr das. Sagen Sie ihr, daß...«
»Ihr das zu sagen nützt gar nichts«, entgegnete ich, »sie kann aus ihrer Haut nicht heraus.«
»Nun, was wünschen Sie denn?«
»Ist Ihnen noch nicht der Gedanke gekommen, daß ich vielleicht jemanden bestechen muß.«
»Nein.«
»Nun, diese Möglichkeit sollte in Erwägung gezogen werden.«
Das schien ihn wenig zu beglücken. Er sagte: »Na ja, natürlich, wenn Sie in Nöte geraten sollten, gibt's nur eins — daß Sie zu mir kommen, und...«
»Und Ihnen sage, wen ich besteche, wieviel ich dem zahlen muß und warum?« ergänzte ich.
»Hm — ja.«
»So daß, wenn etwas schiefgeht und sich die Sache als Falle erweist, Sie derjenige sind, der gecatcht wird.«
Ich sah sein Gesicht die Farbe wechseln. »Wieviel wollen Sie denn haben?« fragte er.
»Geben Sie mir lieber gleich tausend Dollar«, sagte ich. »Ich werde die bei mir haben für den Fall, daß ich sie brauchen sollte. Vielleicht komme ich wieder und ersuche um mehr.«
»Das ist eine Menge Geld, Donald.«
»Allerdings«, bestätigte ich. »Wie groß ist denn Ihr Vermögen?«
Er wurde rot. »Ich sehe nicht ein, was das damit zu tun hat.«
»Wie viele Töchter haben Sie?«
»Nur die eine, selbstverständlich.«
Ich schwieg, während er über die Geldfrage grübelte, und sah, wie es ihm langsam einging. Er zog seine Brieftasche und zählte mir zehn Hundertdollarnoten hin.
Am Abend gegen acht Uhr rief Bertha Cool an und berichtete mir, sie hätte es furchtbar schwer gehabt, ein Büro im gewünschten Stil für mich zu finden, doch es sei ihr gelungen, einen entsprechenden Raum zu mieten, und zwar unter dem Namen Charles E. Fischler, Zimmer 622 im Commons Building. Elsie Brand werde am nächsten Morgen um neun Uhr zur Stelle sein und das Büro öffnen. Schlüssel hätte sie dann.
»Es müßten Geschäftskarten für mich gedruckt werden«, sagte ich.
»Dafür ist auch bereits vorgesorgt. Elsie wird sie mitbringen. Du bist der Chef der >Fischler Verkaufsgesellschaft<.«
»Okay«, sagte ich und wollte schon anhängen, als sie fragte: »Was gibt's Neues?«
»Nichts.«
»Halte mich auf dem laufenden.«
»Mache ich«, gab ich zurück und brachte diesmal den Hörer auf die Gabel, bevor ihr noch etwas Unangenehmes entfallen konnte.
Der Abend zog sich endlos lang hin. Alta gab mir ein Zeichen, daß sie mich sprechen wolle, doch ich sagte mir: Was sie weiß, weiß ich schon lange. Aber — ich wußte nicht alles, was Bernard Carter wußte, und wollte mich gern so postieren, daß er ganz beiläufig ein Gespräch anknüpfen konnte, falls er den Wunsch hatte, mir etwas zu sagen.
Und den hatte er.
Ich knuffte im Billardzimmer die Bälle herum, als er hereinkam und mich fragte: »Lust zu einem Spielchen?«
»Ich bin ein miserabler Spieler«, erwiderte ich. »Bin nur hier hereingegangen, um dem Geschwätz zu entweichen.«
»Was haben Sie denn?« fragte er. »Bedrückt Sie etwas?«
»Wie man's nimmt«, sagte ich, stieß den Ball ab und beobachtete seinen Zickzackweg.
»Haben Sie mit Ashbury gesprochen?« fragte er. »Hatten Sie Gelegenheit dazu?«
Ich nickte.
»Netter Kerl, dieser Ashbury«, sagte er.
Ich schwieg.
»Es ist sicher herrlich, wenn man es versteht, sich körperlich in Form zu halten«, fuhr er fort, indem er auf seine pralle Weste hinabschaute. »Sie bewegen sich so leicht wie ein Fisch im Wasser. Habe Sie beobachtet.«
»So?«
»Jawohl. Wissen Sie, Lam, ich würde Sie gern näher kennenlernen — mich von Ihnen drillen lassen, um in bessere Kondition zu kommen.«
»Das ließe sich schon einrichten«, sagte ich, während ich die Billardbälle weiter herumjagte.
Er kam näher zu mir. »Es gibt hier im Hause noch eine Person, auf die Sie einen günstigen Eindruck gemacht haben, Lam.«
»Wirklich?«
»Ja, Mrs. Ashbury.«
Ich erwiderte: »Mrs. Ashbury hat mir gesagt, sie würde gern ein bißchen abnehmen, wenn ihr Blutdruck erst mal wieder normal ist.«
Er sprach jetzt leiser: »Haben Sie schon mal darüber nachgedacht, daß es eigentlich etwas sonderbar ist, wie unmittelbar nach ihrer Heirat mit Ashbury ihr Blutdruck stieg und ihr Gewicht zunahm?«
»Sehr viele Frauen leben, während sie noch nach einem Ehemann jagen, brav Diät, doch sobald sie unter der Haube sind, machen sie sich's gemütlich und —«
Sein Gesicht lief blaurot an. »So habe ich das keineswegs gemeint«, fuhr er mich grimmig an.
»Entschuldigen Sie«, sagte ich.
»Wenn Sie Carlotta Ashbury kennen würden, müßten Sie einsehen, daß Ihre Worte, auf sie angewendet, höchst ungehörig und vom wahren Sachverhalt weit entfernt sind.«
Ich sah stur auf meine Billardbälle. »Sie haben ja zuerst von ihr gesprochen«, sagte ich. »Ich dachte mir, daß Sie etwas in diesem Sinne meinten, und wollte es Ihnen nur leichter machen.«
»So etwas hatte ich aber durchaus nicht im Sinn.«
»Na, dann können Sie doch jetzt sagen, was Sie meinten.«
»Ich kenne Mrs. Ashbury schon seit geraumer Zeit. Vor ihrer Ehe wog sie fünfundzwanzig Pfund weniger und sah zwanzig Jahre jünger aus.«
»Hoher Blutdruck kann beim Menschen vieles verändern«, sagte ich.
»Selbstverständlich — aber wodurch entsteht denn erhöhter Blutdruck? Weshalb sollte sie in der Ehe beziehungsweise durch die Ehe plötzlich unter höherem Blutdruck leiden?«
»Ja, warum sollte sie?« fragte ich trocken.
Carter schwieg jetzt, bis ich hochblickte und ihm in die Augen sah. Er bibberte beinahe vor Wut, als er sagte: »Die Antwort liegt doch auf der Hand. Es ist die hartnäckige, nicht nachlassende Feindseligkeit ihrer Stieftochter.«
Ich stellte das Queue ins Gestell und sagte: »War es Ihre Absicht, darüber mit mir zu sprechen?«
»Ja.«
»Also gut, ich höre zu.«
»Carlotta — Mrs. Ashbury — ist eine wunderbare Frau«, sagte er. »Von geradezu magnetischem Charme, und eine Schönheit. Seit ihrer Heirat habe ich sie anders werden sehen.«
»Das brachten Sie bereits deutlich zum Ausdruck.«
Seine Lippen zitterten vor Zorn. »Und der Grund für die ganze Veränderung ist das feindliche Verhalten dieses verzogenen Görs.«
»Meinen Sie Alta?« fragte ich.
»Jawohl, Alta!«
»Hatte Mrs. Ashbury vor der Eheschließung mit dieser Haltung des jungen Mädchens nicht gerechnet?«
»Vor der Heirat«, führte er das Gespräch fort, »hatte Alta ihren Vater im Stich gelassen; sie gondelte in der Welt umher, wollte sich nur amüsieren und kümmerte sich überhaupt nicht um ihren Papa, doch als er geheiratet und Carlotta begonnen hatte, ihm ein Heim zu bereiten, da kam Alta sofort zurück und begann, die Rolle der liebevollen Tochter zu spielen. Und allmählich, immer ein bißchen mehr, vergiftete sie die Gefühle ihres Vaters für seine Frau. Carlotta ist sensibel und —«
»Warum erzählen Sie das alles mir?« fragte ich.
»Ich halte es für richtig, daß Sie es wissen.«
»Sie meinen, es könnte mir helfen, Henry Ashbury in bessere körperliche Form zu bringen?« fragte ich.
»Wäre denkbar«, sagte er.
»Und was, dachten Sie, sollte ich tun?«
»Sie und Alta verstehen sich doch recht gut.«
»Na und?«
»Ich dachte, Alta würde ihre Haltung vielleicht etwas ändern, wenn sie einsähe, daß ihre Stiefmutter nett zu ihr sein möchte.«
»Und?«
»Sie haben doch mit Ashbury gesprochen?«
»Ja.«
»Merken Sie denn noch immer nicht, worauf ich hinaus will?« Er sah mich durchdringend an und sprach weiter: »All right, wenn Sie die rauhe Wahrheit hören wollen: Carlotta — Mrs. Ashbury — braucht von dem, was sie weiß, nur ein Sterbenswörtchen zur Polizei zu sagen, dann steht fest, daß Alta gestern abend zur Zeit des Mordes in Ringolds Zimmer war.«
Ich zog die Brauen hoch.
»Zumindest«, schränkte Carter ein, »kurz vor der Tatzeit. Sind Sie denn noch gar nicht darauf gekommen, daß die Beschreibung der Frau, die zu Ringold hinauffuhr, auf Alta paßt und daß es daher für Kriminalbeamte kein großes Kunststück ist, zu ermitteln, daß Altas Wagen auf einem Parkplatz nur wenige Häuser vom Hotel entfernt gestanden hat? Daß man ferner einen Zeugen haben könnte, der beeidet, gesehen zu haben, wie Alta ungefähr zur Zeit des Mordes vom Hotel zu ihrem Parkplatz eilte?«
»Was soll denn ich dabei tun?« fragte ich.
»Sie könnten, sobald Alta wieder über ihre Stiefmutter, redet, ihr ganz beiläufig erklären, daß es in Mrs. Ashburys Macht steht, sie in eine verteufelte läge zu bringen, und Carlotta das nur deshalb nicht tut, weil sie so anständig und ihrem Mann ergeben ist.«
»Sie scheinen ja als selbstverständlich vorauszusetzen, daß Miss Alta mit mir über ihre Stiefmutter tratschen wird.«
»Jawohl!« sagte er, machte kurz kehrt und wollte zur Tür hinausgehen.
»Einen Moment bitte«, sagte ich. »Wenn Alta das Hotel vor der Mordtat verlassen hat, braucht sie sich kaum Sorgen zu machen.«
Er blieb, die Hand am Türknopf, stehen und sagte: »Man hat sie kurz nach dem Mord dort auf der Straße gesehen.«
Ich starrte die Tür an, als sie sich hinter ihm geschlossen hatte. Offenbar wußte Carter nicht genau, wann der Mord geschehen war, und hatte, als er Alta sah, nicht auf die genaue Uhrzeit geachtet. Oder war er gar entschlossen, die Geschichte ein wenig zurechtzubiegen, um Mrs. Ashbury eine Trumpfkarte in die Hände zu spielen?
Wie es auch sei, wozu sollte ich mich mit Gedanken über diesen Mann belasten! Wenn die Polizei sich in den Kopf setzte, daß Alta an dem Verbrechen beteiligt gewesen sein könnte, hatte sie ohnehin leichtes Spiel. Der Nachtportier im Hotel, die Verkäuferin am Zigarrenstand, der Parkplatzwächter, der Liftboy — Zeugen gab es genug. Aber das Gute dabei war, daß diese Zeugen ja schwören müßten, daß Alta das Hotel verlassen hatte, bevor geschossen wurde! Wenn Mrs. Ashbury glaubte, eine Hand voll Trümpfe zu haben — warum sollte ich sie nicht in diesem Glauben lassen, bis. ich genau wußte, wie sie die auszuspielen gedachte?
Ich holte mir Hut und Mantel und nahm die passende Gelegenheit wahr, mich zu verdrücken, bevor Alta mich bemerkte. Mein nächster Schritt war ein Besuch bei der Atlee Amusement Corporation. Den Laden mußte ich mir noch näher ansehen.
Die Leute hatten im Parterre zwei piekfeine Restaurants, und in den ersten Stock zu gelangen machte kaum Schwierigkeiten. Die Spielzimmer waren repräsentativ ausgestattet, aber recht klein. Niemand schien mich sonderlich zu beachten. Ich spielte mit geringen Einsätzen und glich am Roulett die anfänglichen Verluste knapp wieder aus. Spieler waren nur wenige da. Ich versuchte, mit einem Vorwand zum Geschäftsführer zu kommen, doch es gelang mir nicht.
Als ich das Lokal verließ, kam eine Blondine am Arm eines Mannes herein, der einen Smoking trug und steinreich wirkte.
Dieses auffallende Haar hatte ich doch schon einmal gesehen? Ja, es war Esther Clarde, die Zigarrenverkäuferin aus dem Hotel, wo Ringold...
Ich konzentrierte mich mit aller Gewalt, denn hier bot sich eine Chance, aber eine, die ich hätte voraussehen müssen. Wenn diese Blondine, da im Hotel, genug von den Atlee-Leuten gewußt hatte, um meine Fragen zu beantworten, dann war sie auch mit dem Betrieb genügend vertraut, um sich als Schlepperin leichtgläubiger Provinzler dort Prozente zu verdienen. Also hatte ich mir selbst eine Falle gestellt und war prompt hineingeschlittert.
Als sie mich entdeckte, sah ich ihren Blick hart werden. »Oh, hallo! Wie klappt's mit dem Spiel? Schon Glück gehabt?« fragte sie.
»Nicht viel.«
Sie lächelte ihren Begleiter an und sagte: »Arthur, darf ich dich mit Mr. Smith bekannt machen? Und das ist Mr. Arthur Parker.«
Wir gaben uns die Hand, und ich sagte, daß ich erfreut sei, ihn kennenzulernen.
»Sie wollen doch nicht etwa schon gehen, Mr. Smith?«
»Allerdings war das meine Absicht.«
»Na, Sie werden doch nicht gerade in dem Moment, da ich komme, Weggehen wollen?« sagte Esther. »Gewöhnlich bringen Sie mir doch Glück, und ich habe das Gefühl, daß Sie mir heute abend besonders viel bringen werden.«
Ich überlegte, daß ich meine Lage nur noch komplizierter machen könnte, wenn ich bei Mr. Parker Eifersucht erregte. So blickte ich ihn an und sagte: »Nach meinem ersten Eindruck ist Mr. Parker ein durchaus geeigneter Glücksbringer.«
»Er ist mein Kavalier, aber mein Maskottchen sind Sie«, sagte Esther Clarde. »Kommen Sie doch mit zu den Spieltischen.«
»Ach, wissen Sie, ich bin recht müde und —«
Ihr Blick bohrte sich förmlich in meine Augen. »Ich lasse Sie jetzt nicht so einfach Weggehen, und wenn ich die Polizei zu Hilfe holen müßte«, sagte sie und lachte mit ihren roten Lippen. Ihre Augen aber lachten nicht.
Ich erwiderte lächelnd: »Na, schließlich hätte darüber wohl vor allem Mr. Parker zu bestimmen. Ich dränge mich nie gern auf.«
»Ach, ihm ist das schon recht«, sagte sie. »Parker hat doch schon gemerkt, daß Sie zu diesem Etablissement gehören.«
»Oh«, sagte Parker und begann sofort zu lächeln, als sei damit vieles erklärt. »Kommen Sie nur Smith, und bringen Sie uns Glück.«
Ich schleuderte mit ihr voraus zum Roulett. Sie fing mit Silberdollars an zu spielen — und verlor. Parker schien keine Neigung zu haben, ihre Börse aufzufüllen. Als sie ihr Geld verspielt hatte, zog sie eine Schnute, und er holte ihr schließlich für fünf Dollar kleine Chips, die sie noch riskieren durfte.
Als ihr Begleiter mehr ans Ende des Tisches rückte, wandte sie mir plötzlich ihr Gesicht zu und versuchte, mich wieder mit den Blicken zu durchbohren. »Geben Sie mir unauffällig unter dem Tisch zweihundert Dollar«, flüsterte sie im Befehlston.
Ich starrte sie nur eisern an.
»Los, los«, sagte sie schnell und leise. »Tun Sie nicht, als wären Sie taub, und zögern Sie nicht noch. Entweder Sie blechen jetzt, oder...«
Ich brachte ein Gähnen zustande.
Sie hätte am liebsten geheult, so enttäuscht war sie. Knallte ihre Chips auf das Spielbrett und verlor wieder. Als der Rest ihres Geldes verspielt war, ließ ich einen Dollar in ihre Hand gleiten. »Soweit will ich mich spendabel zeigen, Kleine«, sagte ich, »und es ist bestimmt ein Glücksdollar. Spielen Sie Zero.«
Sie legte den Schein auf Zero und — gewann.
»Stehenlassen«, riet ich.
»Sie sind ja verrückt!«
Ich zuckte mit den Schultern, während sie ihren Gewinn bis auf fünf Dollar an sich zog.
Nie werde ich wissen, warum ich ihr zweimal Zero vorschlug. Die Kugel ratterte im Rad herum und kam schließlich in einem der kleinen Fächer zur Ruhe.
Ich hörte Esther Clarde laut ausatmen und blickte hin, wo die Kugel lag.
Sie lag in Nummer 7.
»Sehen Sie, nun haben Sie mich zum Verlieren gezwungen«, sagte sie.
Ich lachte. »Sie sind immer noch im Plus.«
»Na, vielleicht kommt die 7 jetzt noch mal«, sagte sie und setzte zwei Dollar auf diese Zahl. Und die kam tatsächlich wieder! Jetzt fühlte ich mich nicht mehr als Glücksbringer. Esther brachte einen Gewinn von etwa fünfhundert Dollar zustande, den sie dann kassierte.
Eine Brünette lungerte zwischen den Spieltischen, ein geschmeidiges Mädel mit schlanken Hüften, hübschen nackten Schulten und Augen, die von zärtlichen Abenteuern sprachen. Sie und die Blondine kannten einander. Ich sah, nachdem Esther ihr Geld kassiert hatte, daß sie sich ein Zeichen gaben und danach miteinander flüsterten.
Nun fing die Brünette an, sich um Arthur Parker zu bemühen. Sie bat ihn um seinen Rat und brachte, indem sie ihm reizend zulächelte, ihre nackten Schultern ganz nahe an sein Gesicht, indem sie sich vor ihm zum Spieltisch beugte, um ihren Einsatz weit hinten zu placieren.
Ich beobachtete Parkers Mienenspiel und erkannte, daß ich nun bei seiner Blonden festsaß.
»Na schön«, sagte ich zu Esther Clarde, »Sie haben gewonnen. Wohin gehen wir?«
»Ich verdrücke mich zuerst, gehe in die Garderobe und warte dort«, sagte sie. »Versuchen Sie keine Mätzchen — einen Hinterausgang gibt es hier nicht.«
»Weshalb sollte ich mich vor so viel Schönheit zurückziehen?«
Sie lachte und sagte nach einem Moment: »Tja, warum sollten Sie das wohl?«
Ich blieb noch lange genug im Spielsaal, um am Roulettisch ein paar Einsätze zu riskieren. Ich konnte von Zero nicht lassen. Aber Zero kam nicht mehr. Parker war von der Brünetten ganz fasziniert. Einmal zuckle er wie schuldbewußt zusammen und blickte ringsum.
Ich ging zur Garderobe hinaus, wo Esther Clarde auf mich wartete. »Sind Sie mit einem Wagen hier, oder fahren wir im Taxi?« fragte sie.
»Taxi«, antwortete ich.
»Na schön, dann kann's losgehen.«
»Besonderes Ziel im Auge?«
»Ich denke, ich fahre mit zu Ihrer Wohnung«, antwortete sie.
»Ich möchte aber lieber, daß wir zu Ihnen fahren.«
Eine Minute studierte sie mein Gesicht, dann sagte sie schulterzuckend: »Warum auch nicht?«
»Ihr Freund, Mr. Parker, wird doch da nicht auftauchen, oder?«
»Mein Freund, Mr. Parker, ist für heute nacht in Obhut — besten Dank«, gab sie zurück.
Sie nannte dem Chauffeur ihre Adresse. Wir brauchten etwa zehn Minuten bis dorthin, und es war wirklich ihre Wohnung. Auf dem Klingelschildchen stand ihr Name, sie hatte einen Hausschlüssel und ging gleich die Treppe hinauf. >Warum auch nicht?< hatte sie gesagt. Ich wußte ja, wo sie tätig war, also hätte ich mich auch anderweitig genau über sie informieren können. Die Zeitungen hatten ihr Foto und ein Interview mit ihr gebracht, in dem sie den Mann beschrieb, der sich bei ihr nach Ringold erkundigt hatte. Nein, von meiner Seite hatte sie nichts zu fürchten.
Ich hingegen saß in der Patsche.
Die Wohnung war recht gemütlich eingerichtet. Ein Blick ringsum bestätigte mir, daß sie das Inventar nicht von ihrem Verdienst als Tabakwarenverkäuferin in einem Hotel zweiter Güte angeschafft haben konnte.
Sie legte ihren Mantel ab, forderte mich auf, Platz zu nehmen, brachte Zigaretten, fragte mich, ob ich Whisky haben wollte, und setzte sich dann neben mich aufs Sofa.
Nachdem wir uns Zigaretten angezündet hatten, rückte sie etwas näher und lehnte sich an meine Schulter. Ich sah den Lichtschein auf ihrem Nacken glänzen und bemerkte den verführerischen Blick in ihren blauen Augen. Das blonde Haar streifte meine Wange. »Sie und ich«, sagte sie, »wir werden uns gut anfreunden.«
»So?«
»Jawohl. Weil nämlich«, fuhr sie fort, »das junge Mädchen, das zu Ringold aufs Zimmer ging — das Mädchen, dem Sie folgten —, Alta Ashbury war.«
Und jetzt kuschelte sie sich zärtlich an mich.
»Wer ist denn Alta Ashbury?« fragte ich, ohne eine Miene zu verziehen.
»Die Frau, die Sie beschatten.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, ich war nur an Ringold interessiert.«
Sie blickte mir ins Gesicht und sagte langsam: »Na, in einer Weise spielt das ja keine Rolle. Meine Kenntnis von der Sache kann ich sowieso nicht verwerten, jedenfalls nicht direkt. Ich würde lieber für Sie arbeiten als für jeden anderen aus meinem Bekanntenkreis.« Und lächelnd fügte sie hinzu: »Weil ich Sie vor Dummheiten bewahren könnte.«
»Damit haben Sie mir aber noch nicht gesagt, wer Alta Ashbury ist. War sie seine Geliebte?«
Ich konnte sehen, wie sie mit sich rang, um zu entscheiden, was sie mir sagen sollte und was nicht.
»War sie das?« blieb ich bei meiner Frage.
Sie probierte es mit einem Gegenangriff. »Was hatten denn Sie von Ringold gewollt?«
'»Eine geschäftliche Sache wollte ich mit ihm besprechen.«
»Was für eine?«
»Es hatte mir jemand gesagt, er wüßte, wie man die Bestimmungen über Aktiengesellschaften umgehen kann. Ich bin nämlich Promoter und hatte da ein Objekt, das mich reizte.«
»Also gingen Sie in sein Zimmer, um mit ihm zu reden?«
»Ich? Nein. Ich bekam doch das Nebenzimmer für die Nacht.«
»Und bohrten da ein Loch in die Verbindungstür?«
»Ja.«
»Schauten hindurch und horchten?«
»Ja.«
»Und was sahen Sie?«
Ich schüttelte stumm den Kopf.
Nun wurde sie ärgerlich. »Hören Sie mal«, sagte sie, »Sie sind entweder der größte Idiot, der mir je begegnet ist, oder ein eiskalter Kerl. Wie konnten Sie auch nur annehmen, daß ich nicht die Polente rufen würde, als Sie mir nicht die zweihundert unter dem Spieltisch geben wollten?«
»Konnte ich nur vermuten.«
»Werden Sie sich lieber mit mir einig. Wissen Sie, was geschähe, wenn ich jetzt den Telefonhörer dort abnähme und die Polizei anriefe? Um Gottes willen, seien Sie doch vernünftig und besinnen Sie sich.«
Ich versuchte, einen Rauchring zu blasen.
Sie sprang auf und ging zum Telefon. Ihre Lippen waren zusammengepreßt, die Augen funkelten.
»Rufen Sie ruhig die Polizei an«, sagte ich. »War schon im Begriff, das selber zu tun.«
»So sehen Sie aus!«
»Selbstverständlich wollte ich das«, sagte ich. »Können Sie sich denn den wahren Sachverhalt nicht vorstellen?«
»Welchen Sachverhalt?«
»Ich saß doch im Nebenzimmer, das Auge fest ans Loch in der Verbindungstür gedrückt«, sagte ich. »Der Mörder aber hatte schon etwa eine halbe Stunde bevor ich ankam, das Schloß geöffnet. Er hatte die Randleiste einer Türfüllung gelöst, das Schloß festgesetzt, so daß der Riegel nicht zuging, war ins Zimmer zurückgegangen, hatte die Füllung wieder befestigt, auf den geeigneten Moment gewartet, dann hatte er die Tür aufgemacht, war in den kleinen Alkoven und von da in den Baderaum getreten.«
»Das behaupten Sie.«
»Sie vergessen eins, Schwester.«
»Und was?«
»Daß ich der einzige bin, der den Mörder sah. Ich weiß, wer es war. Ringold hatte vorher mit dem Mädchen gesprochen. Er übergab ihr einige Papiere und sie ihm einen Scheck, den er in seine rechte Rocktasche steckte. Nachdem sie gegangen war, trat er in den Baderaum. Ich wußte nicht, daß dort der andere schon wartete, hatte aber bemerkt, daß die Verbindungstür auf meiner Seite, also im Zimmer 421, nicht verriegelt war, und ich hatte sie zugeriegelt, als ich das Loch bohrte. Der Mörder wußte, daß Ringold in das Bad kommen würde, und wollte sich wieder ins Zimmer 421 zurückziehen, doch da war ja der Riegel vorgeschoben, und ich war in dem Zimmer. Der Mann war also gefangen.«
»Und was taten Sie dann?« fragte sie, beinah atemlos.
»Ich benahm mich ganz dämlich«, erwiderte ich. »Hätte zum Telefon greifen, den Portier anrufen und ihm sagen sollen, man müßte sofort die Ausgänge sperren, und dann hätte ich gleich die Polizei anrufen sollen. Aber ich war zu durchgedreht und überlegte mir das überhaupt nicht. Ich schob den Riegel an der Verbindungstür zurück, riß sie auf und verfolgte den Mörder bis in den Korridor, blieb in der Tür stehen und spähte nach beiden Seiten. Dann ging ich zum Lift und stieg im ersten Stock aus. Als der Klamauk oben losging, verließ ich das Hotel.«
»Eine reizende Geschichte«, sagte sie, überlegte einen Augenblick und fügte hinzu: »Wahrhaftig, eine ganz reizende Geschichte. Aber die wird die Polizei Ihnen nie und nimmer glauben.«
Ich lächelte sie erhaben an. »Sie vergessen, daß ich den Mörder sah«, sagte ich.
Auf diese Worte reagierte sie so jäh, als hätte ihr jemand elektrischen Strom unter die Sitzfläche gejagt. »Wer war es?« fragte sie gepreßt.
Ich lachte sie aus und blies wieder einen Rauchring. Das heißt, ich probierte es.
Sie ging durchs Zimmer, setzte sich hin, schlug die Beine über und umfaßte mit verschränkten Händen ihr linkes Knie. Mein Bericht hatte sie konfus und ratlos gemacht. Sie sah abwechselnd mich und ihre Schuhspitze an. Der Saum ihres Abendkleides störte sie dabei. Sie wollte ihn höher ziehen, stand jedoch auf, ging in ihr Schlafzimmer und zog das Kleid aus, wobei sie die Tür offenließ. Nach einigen Minuten kam sie in einem Hausmantel aus schwarzem Seidensamt zurück und setzte sich wieder neben mich.
»Tja, ich glaube kaum«, sagte sie, »daß das die Situation wesentlich ändert. Ich brauche jemanden, der die Sache Ashbury klärt. Sie scheinen ein guter Mensch zu sein. Ich weiß nicht, was an Ihnen mich zu diesem Vertrauen veranlaßt — Sympathie auf den ersten Blick? Wer sind Sie denn eigentlich, und wie heißen Sie? Ich weiß nicht mal Ihren Namen.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Also, Sie — Sie kommen hier nicht heraus, bis Sie mir Ihren Namen genannt haben — und zwar Ihren richtigen! Ich werde mir Ihren Führerschein und Ihre Ausweise ansehen und Fingerabdrücke von Ihnen nehmen — oder ich fahre zu Ihrer Wohnung — die werde ich schon feststellen —, und dann kriege ich alles heraus. Das merken Sie sich.« .
Ich zeigte auf die Tür. »Sobald ich den Zeitpunkt für gekommen halte, marschiere ich schnurstracks dort hinaus.«
»Dann verpfeife ich Sie.«
»Und wo bleiben Sie dann mit Ihrer feinen Erpressung der Ashtray?«
»Ashbury«, sagte sie.
»Na schön — wie Sie wollen.«
»Wie ist Ihr richtiger Name?«
»John Smith.«
»Sie lügen.«
Ich lachte wieder.
Sie versuchte es nun mit Schmus. »Also schön, John.« Sie drehte sich zu mir herum, zog die Knie hoc!;, rutschte so über meinen Schoß, daß sie einen Ellbogen auf die Sofalehne stützen konnte, und sah mit bestrickendem Lächeln zu mir auf.
»Nun passen Sie mal auf, John. Sie sind doch ein Mann mit Verstand. Wenn wir beide uns zusammentäten, könnten wir Gewinn aus der Sache ziehen.«
Ich ignorierte ihre Augen, denn die Farbe ihres Haares faszinierte mich mehr.
»Machen Sie mit, ja oder nein?«
»Wenn's Erpressung ist, nein. Diese Tour liegt mir nicht.«
»Pfui«, sagte sie, »ich rede doch so offen mit Ihnen, und wir beide könnten uns ganz schön Moos besorgen.«
»Womit können Sie denn dieser Ashbury eigentlich bange machen?«
Als sie den Mund öffnete, legte ich rasch meine Hand über ihre Lippen. »Nein, erzählen Sie's mir nicht, ich will es gar nicht wissen«, sagte ich.
Sie stierte mich verblüfft an. »Was ist denn nun in Sie gefahren?«
»Ich stehe auf Seiten der Gegenpartei«, antwortete ich.
»Wie soll ich das verstehen?«
»Also, Liebling, ich kann das nicht mitmachen, denn ein so großer Schuft bin ich nicht. Und Sie können mir nicht das geringste vorspiegeln. Sie waren von Anfang an mit in dem Komplott. Jed Ringold hat die bewußten Schecks von Alta Ashbury bekommen. Die gab er Ihnen zum Kassieren, und zwar bei der Atlee Amusement Corporation. Von dem Geld gaben Sie den Leutchen dort etwas ab, ließen auch ein bißchen an Ihren eigenen Fingern kleben, zahlten Ringold das übrige aus, und der gab es an die ihm übergeordneten oder — wenn Sie's so nennen wollen — die ihm untergeordneten Personen weiter.
Und nun will ich Ihnen noch sagen, daß Sie erledigt und abgetan sind und restlos ausgespielt haben. Sollten Sie auch nur das Geringste gegen Alta Ashbury unternehmen, dann können Sie die Außenwelt hinter Gittern betrachten.«
Sie richtete sich ruckartig auf und starrte mich im Sitzen an. »Na, so einen verrückten Kerl wie Sie gibt's ja wohl nicht noch einmal!« sagte sie.
»All right, Schwester, ich habe es Ihnen deutlich gesagt.«
»Das haben Sie, weiß der Teufel — Sie Blödian.«
»Und jetzt nehme ich noch eine von Ihren Zigaretten, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Als sie mir ihr Etui reichte, sagte sie: »Na, da soll mich doch der Schlag treffen! Wenn das nicht ein ganz tolles Ding ist, erkläre ich mich für geisteskrank! Ich sehe Sie in ein Hotel gehen, anschließend suchen die Polypen nach Ihnen, ich treffe Sie zufällig wieder, lasse meinen Kavalier sausen, bringe Sie in meine Wohnung und gebe meine Trümpfe aus der Hand, ohne überhaupt zu wissen, wer Sie sind oder was sie bezwecken. Vermutlich sind Sie als Privatschnüffler für Alta Ashbury tätig. Nein, eher glaube ich, daß ihr Vater Sie engagiert hat.«
Ich zündete mir die Zigarette an.
»Aber was soll das nur heißen, daß Sie so dumm handeln? Warum haben Sie mich nicht weiterreden lassen, um alles haargenau zu erfahren?«
Ich sah sie an und sagte: »Kindchen, das weiß ich tatsächlich selber nicht.« Das war die reine Wahrheit.
»Sie können trotzdem der Mann sein, der Jed Ringold umgelegt hat.«
»Könnte ich sein, gewiß.«
»Und ich könnte Sie hochgehen lassen.«
Ich sagte: »Dort steht das Telefon.«
Ihre Augen wurden zu Schlitzen. »Und dann«, sagte sie, »könnten Sie mich in alles 'reinziehen und womöglich nachweisen, daß meine Motive nicht gerade edler Natur waren, und — ach, zum Teufel auch, es hat ja alles keinen Zweck.«
»Was machen wir nun zunächst?« fragte ich.
»Wir werden uns einen kräftigen Drink genehmigen. Wenn ich mir überlege, was Sie mir hätten antun können und nicht getan haben! Ich werde aus Ihnen einfach nicht klug, dumm sind Sie offenbar nicht. Sie haben das Komplott sofort erkannt, und als ich's dann eilig hatte, in die Falle zu rennen, drängten Sie mich zurück. Man lernt nie aus. Was nehmen Sie in Ihren Scotch — Soda oder Wasser?«
»Haben Sie tatsächlich Scotch im Hause?« fragte ich.
»Ein bißchen noch.«
»Wissen Sie ein Geschäft hier in der Gegend, das so spät nachts noch Getränke ins Haus schickt?«
»Aber klar!«
»Dann rufen Sie dort an, man möchte eine halbe Kiste echten Schottischen schicken — der geht natürlich auf mein Spesenkonto.«
»Nanu! Sie wollen mich wohl foppen?«
Ich schüttelte den Kopf, zückte meine Brieftasche, zog eine Fünfzigdollarnote hervor und warf sie lässig auf den Tisch. »Das würde mein Chef natürlich als Geldverschwendung bezeichnen.«
Nachdem Esther den Whisky bestellt hatte, sagte sie: »Wir können ja erst mal meinen Rest austrinken, während wir auf die neuen Flaschen warten.«
Sie schenkte für uns beide ein.
»Passen Sie auf, daß ich mich nicht betrinke, John.«
»Haben Sie Angst davor?«
»Weil ich dann das heulende Elend kriege. Es ist schon so lange her, daß mich jemand anständig behandelt hat. Was mich dabei kränkt, ist nur, daß Sie es nicht taten, weil ich anständig war, sondern weil Sie selbst es sind. Sie haben mich ganz verwirrt — ich weiß nicht, wie ich's aus-drücken soll. Sie haben so etwas an sich, dem ich einfach nicht... Ach, küssen Sie mich!«
Ich küßte sie.
»Herrje, doch nicht so lasch, mein Junge«, sagte sie. »Küß mich richtig, du…«
Eine Viertelstunde später kam der Bote mit den sechs Flaschen Scotch.
Um zwei Uhr früh landete ich wieder im Hause Ashbury. Ich vermochte meine Gedanken an das Haar dieses Mädchens nicht abzuschütteln.