17

Drake hörte Sarias Stimme wie aus weiter Ferne, so als stecke er in einem langen Tunnel, in dem ein so dichter Nebel herrschte, dass er nicht nur das Hören, sondern auch das Sehen beeinträchtigte. Er öffnete den Mund, um zu antworten, doch sofort rangen seine Lungen nach Luft. Er musste husten und ihm wurde bewusst, dass er auf dem Boden lag und Saria bemüht war, ihn aufzuwecken. Was zum Teufel sollte das? Auch sein Leopard versuchte aufgeregt, ihn zu alarmieren. Das Zimmer war so verqualmt, dass Saria, die über ihm kniete, kaum zu erkennen war.

»Die Rauchmelder funktionieren nicht«, sagte sie dicht an seinem Ohr. »Ich glaube, wir sind alle betäubt worden. Wenn wir nicht wach geworden sind, wird es den anderen ähnlich ergehen.«

Drake kämpfte gegen die Nebelschleier und erhob sich auf alle viere. Sein Magen verkrampfte sich und seine Lungen brannten. »Geh auf den Balkon, Saria. Ich warne die anderen.«

Sie kroch zu den bodentiefen Fenstern und fasste nach dem Türknauf. Drake hielt an der Zimmertür an und sah sich nach ihr um. Im Flur schien es nicht übermäßig heiß zu sein, trotzdem war er vorsichtig, als er, die Augen nach wie vor auf Saria gerichtet, ebenfalls nach dem Türknauf griff. Sie hätte längst auf dem Balkon sein müssen.

»Stimmt was nicht?« Es war unmöglich, die schrecklichen Magenkrämpfe nicht wahrzunehmen, und ihm war klar, dass es nicht lange dauern würde, bis er sich übergeben musste.

»Es geht nicht auf. Irgendetwas blockiert.« Sie warf sich mit der Schulter gegen das Schloss, doch die Tür rührte sich nicht. Saria presste eine Hand auf den Mund und unterdrückte ein Würgen. »Mir wird schlecht, Drake.«

»Mir auch, Baby. Wir müssen hier raus.« Drake kroch zu ihr zurück. Rauch kam unter der Zimmertür hervor, das hieß, dass das Feuer wahrscheinlich im Flur war, obwohl die Sprinkler nicht arbeiteten und die Tür sich nicht heiß anfühlte. Verwirrt versuchte Drake, die Balkontür zu öffnen. Irgendetwas hielt sie von außen zu. »Geh zurück, Süße«, kommandierte er und nahm sich einen Stuhl.

Er musste sich aufrecht hinstellen, um mit Wucht auf das dicke Glas einschlagen zu können, dann nahm er die Kraft seines Leoparden zu Hilfe und zertrümmerte das Glas. Frische Luft strömte ins Zimmer. Vorsichtig brach Drake die schartigen Scherben aus dem Rahmen, ehe er Saria, vorließ, um durch die Öffnung zu steigen.

Hustend stolperte sie zum Geländer und drehte sich nach den anderen Balkontüren um. »Sie sind alle blockiert, Drake. Wir müssen sie öffnen. Die anderen sind vielleicht nicht wach geworden, oder sie versuchen, in den Flur zu gelangen und Alarm zu schlagen, so wie du es getan hättest.« Dann beugte sie sich über das Geländer und erbrach sich ein ums andere Mal.

Drake konnte ebenfalls nicht anders. Danach ging es ihm gleich ein wenig besser. »Ich laufe links herum und du rechts. Aber, Saria, geh nicht wieder rein.«

Sie wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und lächelte matt. »Ich pass schon auf.«

Drake sprang hoch, griff nach der Regenrinne, schwang sich aufs Dach und lief zum nächsten Balkon. Ja, die Tür war von außen verbarrikadiert. Er schaute zum Erdgeschoss hinunter, weil er damit rechnete, Flammen oder Rauch aus den Fenstern schlagen zu sehen, doch nichts deutete darauf hin, dass es dort brannte.

»Evan.« Drake riss die Latte unter dem Türgriff weg und öffnete die Tür. Dicker schwarzer Qualm quoll aus dem Zimmer. »Evan!«

Drake ruderte mit den Armen, um den Qualm zu vertreiben, ehe er sich ins Zimmer stürzte. Evan lag halb auf und halb vor dem Bett, so als ob er weit genug zu sich gekommen wäre, um zu begreifen, dass es ein Problem gab, aber nicht gänzlich zur Besinnung gekommen wäre. Wahrscheinlich tobte sein Leopard innerlich und versuchte verzweifelt, gegen die Droge in seinem Inneren anzukämpfen. Drake warf sich den Mann über die Schulter, trug ihn nach draußen und ließ ihn auf den Balkon fallen.

Evan hustete ein paarmal, oft genug für Drake, um sicher zu sein, dass er gleich wieder bei sich sein würde.

»Ich muss nach den anderen sehen, Evan. Sobald du kannst, hilfst du Saria. Sie kümmert sich um die Balkone auf der rechten Seite. Verstanden?«

Evan nickte und holte gezielt saubere Luft in seine Lungen. Dann deutete er an, dass ihm übel wurde, und dann befreite er sich eilig vom Inhalt seines Magens.

Drake schaute zu dem Balkon hinüber, auf dem Saria zu sehen sein sollte. Die Fenstertüren standen weit offen und Qualm waberte heraus, doch sie war nirgends zu sehen. Drake fluchte laut, denn er ahnte, dass sie entgegen seinen Anweisungen ins Haus gegangen war. Nun wusste er nicht, ob er nach dem nächsten Mann oder nach ihr sehen sollte. Doch gerade als er sich nach rechts wandte und sich auf das Geländer stellte, um sich erneut aufs Dach zu schwingen, erschien sie auf der Schwelle, Jeremiah im Schlepptau.

Drake zögerte nicht länger. Er kletterte aufs Dach und lief nach links, zum nächsten Zimmer, das er ebenfalls verbarrikadiert vorfand. Jetzt, da er völlig wach war und die Wirkung des Betäubungsmittels sich an der frischen Luft verflüchtigt hatte, wurde er langsam wütend. Hastig riss er die Tür auf. Einen Stuhl in der Hand kam Elijah ihm entgegengetaumelt. Die Rauchschwaden in diesem Raum waren besonders dick, dicht und schwarz, so als läge er wesentlich näher am Brandherd als sein eigener. Drake sah, dass Elijah in seinem Zimmer heftig erbrochen hatte, was höchstwahrscheinlich dafür gesorgt hatte, dass er die Droge aus dem Körper bekam und früh genug erwacht war, um die Gefahr zu erkennen.

Sobald Drake die Türen geöffnet hatte, stürzte Elijah hustend und keuchend und fuchsteufelswild auf den Balkon hinaus. »Irgendjemand hat versucht, uns umzubringen, Drake. Verdammt noch mal, das war kein Zufall.«

Drake nickte. Zu dem Schluss war er auch schon gekommen. »Bist du in Ordnung. Ich muss nach Joshua sehen.«

Joshua schlief im letzten Zimmer, am Ende des Flurs, gleich neben der kreisrunden Bibliothek oben an der Treppe. Falls der Qualm von dort kam, war Joshua der Ursache am nächsten und höchstwahrscheinlich in größten Schwierigkeiten. Drake erinnerte sich, dass sein Freund besonders müde gewesen war.

Elijah nickte und bedeutete Drake weiterzumachen, während er sich grimmig bemühte, frische Luft in seine Lungen zu bekommen.

Drake schaute nach rechts, zu Saria. Zusammen mit Evan half sie gerade Jerico auf den Balkon. Jerico ging auf den eigenen Füßen, und obwohl er zwischen den beiden hin- und herschwankte, war er gesund und munter. Wieder stieg Drake aufs Dach. Er war erschöpft, aber da er nun Luft bekam und die Droge fast gänzlich aus ihm heraus war, fühlte er sich besser. Auch wenn er schon die Nachwirkungen spürte hämmernde Kopfschmerzen und nach wie vor ein heftiges Rumoren im Magen –, seine Kraft kehrte zurück und mit ihr die Wut. Wut in ihrer reinsten Form.

Irgendjemand war ins Haus eingedrungen, jemand, der das Alarmsystem und den Code kannte. Ein Mitglied der Familie also? Pauline? Amos? Einer von den Merciers? Als er über das Dach lief, entdeckte er zwei Männer, die aus den Bäumen auf die Pension zugelaufen kamen. Es waren Joshua Tregres beide Onkel. Die zwei waren genau wie er und seine Männer von schwarzen Rauchspuren gezeichnet. Während Drake sich auf Joshuas Balkon fallen ließ, machte er Elijah mit Rufen auf sie aufmerksam. Durch die Flügelfenster sah er den dunklen Qualm, der das Zimmer füllte, und ihm sank das Herz. Wie konnte Joshua noch leben, wenn es nicht einmal möglich war, irgendetwas zu sehen?

Drake riss die hölzerne Sperre weg, schnappte nach Luft und stürzte ins Zimmer. Joshua lag nicht im Bett und auch nicht auf dem Boden. Die Zimmertür stand offen, und Drake konnte erkennen, dass der Flur schwarz war von Rauch, doch weder am Boden noch an den Wänden oder der Decke züngelten Flammen. Er lief wieder nach draußen, schöpfte noch einmal frische Luft und rannte quer durch den Raum in den Flur. In der großen, kreisrunden Bibliothek vor Joshuas Zimmer schwelten Scheite im steinernen Kamin. Irgendjemand hatte nasses Holz angezündet.

Hustend hastete er zum Rauchfang. Offenbar war Joshua vor ihm da gewesen und hatte die Lüftung geöffnet, die vor dem Anzünden des Feuers geschlossen worden war. Drake spähte über das Treppengeländer. Auch im Wohnzimmerkamin glühte feuchtes Holz. Joshua lag unten, offenbar war er die Treppe hinuntergekrochen, um dort ebenfalls die Lüftung zu öffnen. Er lag in der offenen Haustür, halb drinnen, halb draußen.

Drake sprang mit einem Satz über das Geländer und rannte mit schmerzenden Lungen zu ihm. Während er seinen Freund ganz aus dem Haus zog, drehte er ihn auf den Rücken und vergewisserte sich, dass er noch atmete. Joshuas Lider hoben sich flatternd, dann schaute er zu Drake auf und zeigte ihm matt die erhobenen Daumen.

»Du bist wahnsinnig«, sagte Drake. »Du hättest dich sofort in Sicherheit bringen sollen.«

In Joshuas schwarz verschmiertem Gesicht wirkten seine Zähne sehr weiß. »Ich dachte, es wäre besser, den Rauch rauszulassen.« Er hustete und versuchte, sich aufzusetzen. »Ich glaube, ich habe unterwegs alles vollgebrochen. Miss Pauline ist bestimmt böse auf mich.«

»Du bist ein verdammter Narr«, erwiderte Drake und setzte sich neben ihn. »Wenn du mich noch mal so erschreckst, trete ich dir in deinen hässlichen Hintern.«

»Verstanden, Boss«, erwiderte Joshua und schaute zum bedeckten Himmel auf. »Ich hätte nichts dagegen, wenn es zu regnen anfinge. Haben’s alle nach draußen geschafft?«

»Ja. Keine Verluste. Aber sie sehen ähnlich schrecklich aus wie du.«

Joshua versuchte zu lachen, brachte aber nur ein Hüsteln zustande. »Ich habe den Eindruck, irgendjemand ist echt sauer auf dich, Boss. Anscheinend hast du dich mit dem Falschen angelegt.«

»Dann hätte ich gern die Möglichkeit, noch einmal von vorn anzufangen, und es diesmal vielleicht richtig zu machen«, entgegnete Drake. Als er sich mit der Hand durchs Haar fuhr, färbten sich seine Finger schwarz. »Ich muss wieder reingehen und die untere Lüftung öffnen. Qualm kann in einem Haus ziemlichen Schaden anrichten. Ich reiße die Türen und Fenster auf, dann wird er sich hoffentlich schnell verziehen.«

»Irgendjemand hat die Alarmanlage ausgeschaltet.«

»Schlauberger. Wahrscheinlich eine von deinen Ex-Freundinnen«, meinte Drake.

Joshua stieß mit dem Fuß nach ihm. »Hau schon ab. Sonst kriege ich wegen dir noch Kopfschmerzen.«

»Das dürfte eher an der Droge und dem Qualm liegen.«

Joshua rieb sich den Nasenrücken und verschmierte die schwarzen Rauchschlieren. »Es muss der Kaffee gewesen sein. Verdammt, Drake, ich fühle mich grässlich.«

»Daran solltest du denken, wenn du das nächste Mal den Helden spielen willst.«

»Ach, lass mich in Ruhe.«

Drake lachte und schob sich auf die Füße. »Du wirst mindestens eine Woche keine Stimme mehr haben. Das gefällt mir. Ich mache jetzt alle Türen und Fenster auf und öffne die Lüftung. Wehe, du rührst dich vom Fleck. Ich möchte dich genau an dieser Stelle wiederfinden, wenn ich zurückkomme.« Er war unglaublich erleichtert, dass Joshua noch am Leben war. Sie hatten Glück gehabt. Richtiges Glück.

Jede einzelne Tür im Erdgeschoss war von innen abgeschlossen, doch keine war so manipuliert worden wie die Türen oben. Irgendjemand hatte solange gewartet, bis das Betäubungsmittel wirkte, dann hatte er die Balkontüren versperrt, die Lüftung der Kamine geschlossen und das nasse Holz angesteckt, um Rauch zu erzeugen. Danach brauchte er sich nur noch zurückzulehnen und zu warten, bis der Qualm die ganze Pension einhüllte und hoffentlich das gesamte Team tötete einschließlich Saria.

Drake musste mehrere Male ins Haus laufen, bis er alle Fenster und Türen geöffnet hatte und Frischluft hereinströmen konnte. Dann öffnete er noch die Lüftung unten und löschte beide Feuer. Zwischendurch eilte er immer wieder nach draußen, um Luft zu schöpfen, und irgendwann kamen ihm Elijah und Evan zu Hilfe. Als Letztes waren die Fenster im oberen Stockwerk an der Reihe. Schließlich machten sie noch die Deckenventilatoren und die in den Schränken gefundenen Standlüfter an, um die Zimmer endgültig vom Qualm zu befreien.

Saria brachte einen Krug frisches Wasser vors Haus, wo Elijah, Evan und Drake bei Joshua auf dem Rasen saßen.

»Jerico und Jeremiah haben zwei Gefangene gemacht. Die Tregre-Brüder behaupten, sie seien vorbeigekommen, um mit Joshua zu reden, und hätten gesehen, dass unten alles voller Rauch gewesen sei. Da alle Türen zu waren, sind sie nicht ins Haus gekommen. Deshalb sind sie zum Seeufer gelaufen, weg von den Bäumen, um eine Handy-Verbindung zur Feuerwehr zu bekommen. Das Problem ist nur, dass man ein Stück weiter unten an der Straße problemlos ins Netz kommt, und das dürfte beiden bekannt sein.« Sie reichte Joshua ein Glas Wasser und schenkte auch Drake eines ein. »Sie lügen.«

»Was für eine Überraschung.« Drake leerte das Glas in einem Zug und hielt es ihr wieder hin.

Saria beachtete ihn nicht und gab Elijah ein Glas und ein weiteres Evan. »Miss Pauline wird sich furchtbar aufregen. Ich rufe Amos an und sage ihm, was passiert ist. Außerdem sind meine Brüder unterwegs hierher«, fügte sie noch hinzu.

Drake sah sie durchdringend an. »Wir hätten das auch allein erledigen können.«

»Ich war mir nicht sicher, was ihr ausheckt, Drake.« Saria nahm ihm das Glas aus der Hand und füllte es wieder. »Ich möchte nicht, dass du jemanden umbringst.«

»Wie kommst du denn darauf?«, fragte er leise. Sie wirkte wesentlich gefasster, als er erwartet hatte.

»Sieht so aus, als wäre deine Frau ziemlich kaltblütig«, konstatierte Joshua.

Drake warf ihm einen strengen Blick zu. Wahrscheinlich dachten all seine Männer das Gleiche und waren nur zu höflich, es laut zu sagen.

Saria lachte. »Habt ihr etwa gedacht, ich würde in Ohnmacht fallen?«

»Nö«, sagte Elijah, »den Part hat Joshua übernommen.«

Die Männer lachten. Saria schenkte Drake ein kleines Lächeln. »Ich geb’s ja zu, wahrscheinlich war es keine gute Idee, Remy herzubitten. Er hörte sich ziemlich verärgert an.«

»Baby, er hat Armande und Robert beinahe totgeschlagen, als sie auf dich geschossen haben. Ich möchte nicht wissen, was er tut, wenn er denkt, die Tregre-Brüder hätten irgendetwas mit diesem Mordanschlag zu tun.« Drake konnte es sich nicht verkneifen, eine Grimasse zu ziehen. »Dein Bruder ist viel schlimmer als ich.«

»Das bezweifle ich stark«, widersprach Saria.

»Cleveres Mädchen«, bemerkte Elijah. »Lassen Sie sich bloß nicht von seinem zivilisierten Benehmen täuschen.«

»Tja, als ich euch gesehen habe, ist mir der Gedanke gekommen, dass er möglicherweise etwas vor mir verbirgt«, erwiderte Saria mit diesem kleinen, verschmitzten Grinsen, das Drakes Herz immer aus dem Rhythmus brachte.

Seine Männer hatten sie akzeptiert. Saria hatte sie durch den Sumpf geführt, ohne sich auch nur ein einziges Mal über den Regen oder den Matsch zu beklagen. Sie hatte ihr Leben riskiert, um seine Leute aus der verqualmten Pension herauszuholen und sofort daran gedacht, allen Wasser zu bringen. Und sie war nicht in Panik geraten was all seinen Männern Bewunderung abnötigte. Dass sie Saria in ihre Flachsereien mit einbezogen, bedeutete, dass seine Leute sie respektierten und mochten.

»Saria, du weißt ja, dass unsere beiden Gefangenen im Boot der Merciers unterwegs waren, demjenigen, das die Drogen geliefert hat«, sagte Drake leise und bedächtig. Seine Augen begegneten Elijahs, und als er das Mitgefühl darin sah, musste er wegschauen.

Ob Saria begriff, was das hieß? Kein Gestaltwandler durfte ins Gefängnis kommen. In Gefangenschaft konnten sie nicht überleben, und wenn sie in der Haft starben, war eine Autopsie unvermeidlich. Er war der Anführer des Rudels. Es war seine Aufgabe, das Urteil zu sprechen und zu vollstrecken. Remy konnte zu einem Problem werden. Wenn er die Gesetze der Menschen über die des Rudels stellte, musste ein Weg gefunden werden, mit der Situation umzugehen, ohne dass Sarias Familie Schaden nahm. Die Regeln der Leopardenmenschen hatten Vorrang. Drake seufzte. Die Lage verschlechterte sich rapide. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer der Tregre-Brüder oder sogar beide Serienmörder waren, wurde immer größer. Offensichtlich gab es in der Familie perverse Neigungen. Der Vater war ein grausamer Tyrann gewesen, und schließlich hatte er den Gerüchten zufolge möglicherweise sogar seinen eigenen Sohn ermordet.

»Drake«, sagte Saria leise.

Sie sahen sich in die Augen.

»Mach dir keine Gedanken um mich. Tu, was du tun musst.«

Am liebsten hätte er sie geküsst, trotz ihres schwarz verschmierten Gesichts, wenn seine Männer nur nicht über alle Backen gegrinst hätten.

Sie waren immer über Wasser zur Pension gefahren, daher überraschte es sie ein wenig, als sie Autos kommen hörten und daran erinnert wurden, dass sie sich keineswegs auf einer Insel befanden. Remy sprang aus dem Wagen, lief über den Rasen zu seiner Schwester und riss sie mit einer Bewegung von den Füßen und in seine Arme.

»Alles in Ordnung mit dir, Saria?«

»Mir geht’s gut. Wir sind alle gut rausgekommen.«

»Das war ein gemeiner Anschlag.«

»Ganz meine Meinung«, bekräftigte Saria mit einem kleinen Lächeln. Dann löste sie sich vorsichtig von ihrem Bruder und rieb an den schwarzen Flecken auf seinem Hemd.

»Wenn das so weitergeht, schicke ich dich weg«, drohte Remy und sah finster zu Drake hinüber. »Falls du sie weiterhin in Gefahr bringen willst, sollten wir beide uns noch mal unterhalten.«

»Jederzeit, Remy«, blaffte Drake beleidigt zurück. Er war verdammt müde und so wütend, dass er gern jedem einzelnen Mitglied des Rudels in den Hintern getreten hätte. »Wie zum Teufel konntest du es so weit kommen lassen? Du musst doch gewusst haben, was direkt vor deiner Nase vorging. Ich schätze, du hast einfach weggeschaut, weil es leichter war, genauso wie früher, als Saria noch klein war.«

Remys Brüder bauten sich hinter ihm auf und Drakes Männer hinter ihrem Boss. Saria machte Anstalten, zwischen die beiden Lager zu treten, doch Drake packte sie am Handgelenk und zog sie ebenfalls hinter sich. Dann musterte er die Boudreaux-Brüder mit funkelnden Augen, sein Leopard war kaum noch zu bändigen. Er trug nur eine Hose, also fasste er sich, bereit zum Ausziehen, an die Hosenknöpfe.

»Falls einer von euch mich herausfordern möchte, soll er es jetzt tun oder es für immer lassen. Ich habe genug von diesem Rudel.« Die Wut jagte Adrenalin durch seine Adern und seine Haut spannte bereits, obwohl er tief ein- und ausatmete, um seinen Leoparden in Schach zu halten. Er hatte sie alle satt.

Remy neigte den Kopf und seine Brüder folgten seinem Beispiel. »Ich stelle deinen Führungsanspruch nicht infrage, ich habe bloß etwas dagegen, dass du alles so persönlich nimmst«, erklärte er. »Meine Schwester ist einige Jahre jünger als ich. Vielleicht hast du recht, und wir hätten besser auf sie aufpassen sollen. Diese Jahre waren schwierig, für uns alle, und man hatte immer den Eindruck, sie sei glücklich. Womöglich liegt es an diesem Schuldgefühl und an dem Bedürfnis, alles wiedergutzumachen, dass ich so gereizt bin. Aber wie auch immer, sie ist meine Schwester, und ich mag es nicht, wenn jemand sie bedroht oder in Gefahr bringt.«

»Dann lass uns diesen Bastard finden und töten«, forderte Drake ihn auf.

Saria schob die Finger in die Hintertasche seiner Jeans und sofort fühlte Drake sich besänftigt. Sein Leopard beruhigte sich und die Knoten in seinem Bauch lösten sich.

»Ich habe da zwei Männer, die wir vernehmen müssen. Wollen wir das gemeinsam tun?«, erkundigte Drake sich bei Remy.

»Sie werden nicht begeistert sein, wenn ich dich begleite«, gab Sarias Bruder zu bedenken. »Ich habe einen gewissen Ruf. Mehr oder weniger unverdient, aber nicht aus der Welt zu schaffen.« Er versuchte es mit einem kleinen Lächeln, ließ eigentlich nur die weißen Zähne blitzen, aber es war eine versöhnliche Geste.

Hinter seinem Rücken fasste Drake nach Sarias Hand. Es kam ihm seltsam vor, dass er sie vor knapp einer Woche noch gar nicht gekannt hatte. Mittlerweile bedeutete sie ihm mehr als alles andere auf der Welt. In ihrer Gegenwart fühlte er sich irgendwie entspannt, obwohl er jede ihrer Bewegungen registrierte. Als ihre Finger sich mit seinen verschränkten, war er sehr erleichtert und voll innerer Zufriedenheit. Sie war für ihn da. Jederzeit. Immer. Egal, was passierte. Oder wie schlimm es kam.

»Vielleicht solltest du mit deinen Brüdern nach Hause fahren, um zu duschen und dich umzuziehen. Elijah und Joshua können dich begleiten. Die beiden sind knallhart, wenn du die beiden und deine Familie um dich hast, kann dir nichts geschehen.«

»Du willst mich doch nur loswerden.«

»Das kommt noch dazu.« Drake grinste sie an. Saria war keine von den Frauen, denen man etwas vormachen musste. »Mir wäre es lieber, dass du weg bist, wenn wir diese Männer verhören.« Drake schielte zu Joshua hinüber. Saria folgte seinem Blick und nickte kaum merklich, sie hatte seine stumme Bitte verstanden. Joshua sollte auch nicht dabei sein. Falls sich herausstellte, dass seine Onkel genauso krank waren wie sein Großvater, nahm er das vielleicht besonders schwer. Es war immer hart, der Tatsache ins Auge zu sehen, dass es im eigenen Stammbaum Wahnsinnige gab. Drake arbeitete schon eine ganze Weile für Jake Bannaconni und wusste aus erster Hand, wie es war, wenn Leoparden degenerierten. Jakes Eltern gehörten schließlich zu den grausamsten, übelsten Menschen, die ihm je begegnet waren.

Saria nickte. »Eine Dusche hört sich gut an.«

Drake hielt sie noch einen Moment fest. »Und du verlässt das Haus nicht allein, versprochen?«

»Willst du damit andeuten, ich könnte sowohl deinen Männern als auch meinen Brüdern unbemerkt entwischen?«, fragte sie neckend.

»Schon möglich. Jedenfalls würde ich nicht dagegen wetten. Aber du wirst es nicht tun.«

»Versprochen. Ich weiß, dass jemand sehr gefährliches da draußen herumläuft und «

»Nach dir Ausschau hält«, beendete Drake den Satz für sie.

Sie nickte ernst. »Die Männer passen schon auf mich auf.«

Beruhigt richtete Drake den Blick auf seine Leute nicht auf Sarias Brüder. Joshua und Elijah würde er sein Leben anvertrauen und Sarias. Alle beide nickten. Sie hatten verstanden.

Remy musterte seine Brüder. »Nehmt sie mit nach Hause und lasst sie nicht aus den Augen. Selbst wenn sie duscht, wird einer von euch vor dem Fenster Wache stehen. Falls die beiden Ertappten nicht für die Morde verantwortlich sind, versucht der Killer vielleicht noch mal, an sie heranzukommen.«

Mahieu nickte und trat zurück, damit seine Schwester vor ihm her zum Wagen gehen konnte.

»Gebt uns eine Minute«, sagte Elijah. Sie brauchten mehr Waffen und die befanden sich in ihren Zimmern. »Ich bringe deine Sachen mit, Joshua.«

Joshua widersprach nicht, musterte seinen Chef aber misstrauisch. »Willst du mich loswerden, Drake?«

Sein Freund machte ein finsteres Gesicht. »Ich vertraue dir das Leben meiner Gefährtin an, Mann. Sag mir, wer besser für den Job geeignet ist, dann schicke ich den.«

Joshua grinste ihn an. »Ich wollte nur, dass du es aussprichst, Boss.«

Drake machte eine wegwerfende Handbewegung und ignorierte das Gelächter der Boudreaux-Brüder. Als Elijah mit einer ganzen Tasche voller Waffen zurückkehrte, verdrehte Remy die Augen.

»Ziehst du in den Krieg?«

»Könnte sein«, antwortete Elijah.

Drake klopfte Joshua auf die Schulter. »Ich verlasse mich auf euch. Achtet darauf, dass meiner Frau nichts passiert.«

Elijah und Joshua nickten und folgten der Familie Boudreaux zu den Autos, während Drake und Remy ums Haus herum zu den zwei Gefangenen gingen.

Die Arme vor der Brust gekreuzt, betrachtete Drake die Gebrüder Tregre, die nicht weit entfernt von der Pension unter den Bäumen auf dem Boden saßen. Jerico hatte sie nicht gefesselt, doch Remy legte ihnen sofort Handschellen an und war dabei nicht zimperlich.

»Ich gebe euch die Gelegenheit, mir die Wahrheit zu sagen«, begann Drake und hob eine Hand, um die beiden daran zu hindern, etwas zu erwidern. »Ehe ihr beschließt, eine Dummheit zu begehen, solltet ihr vielleicht bedenken, dass manche Leoparden Lügen wittern können. Remy genießt hohes Ansehen bei der Polizei und hat dort eine steile Karriere hingelegt. Mittlerweile ist er schon Kommissar. Im Morddezernat. Könnt ihr euch vorstellen, warum?«

»Ist euch eigentlich aufgefallen, dass hier im Umkreis eine Menge Leichen aufgetaucht sind?«, redete Remy weiter. »Mir schon.«

»Wenn Saria nicht rechtzeitig aufgewacht wäre, hätte es noch ein paar mehr gegeben, Remy«, meinte Drake. »Mir kommt es so vor, als sei deiner Schwester in letzter Zeit häufiger etwas zugestoßen, fast so als ob man es auf sie abgesehen hätte.«

»Du denkst, irgendjemand ist hinter meiner Schwester her? Deiner Verlobten, Drake?«, fragte Remy und begann auf und ab zu laufen. Er war ein großer Mann, und so, wie er vor den Tregre-Brüdern hin- und hertigerte, schien er nur aus geschmeidigen Muskeln und Sehnen zu bestehen.

»Genau das denke ich«, bestätigte Drake.

»Wenn du glaubst, jemand sei so dumm, dass er versucht, meine Schwester und deine Verlobte zu töten, was sollen wir deiner Meinung nach dagegen tun?«

»Ich schätze, wir haben keine Wahl, Remy. So einer muss verschwinden.« Drake starrte die beiden Brüder ausdruckslos an. »Also, wer von euch ist Beau, und wer ist Gilbert?«

»Ich bin Beau«, stellte der Mann zur Linken sich vor.

»Also du steckst hinter dem Ganzen«, konstatierte Drake. »Die Drogen, die Morde, der Mordanschlag auf mein Team und auf meine Frau geht alles auf dein Konto.« Es klang wie eine Feststellung. Drake sprach sehr leise und sanft, aber sein Blick war lauernd wie bei einem Raubtier.

Offenbar verwundert darüber, dass er Drogen ins Spiel gebracht hatte, sah Remy rasch zu ihm hinüber, doch Drake ließ Beau nicht aus den Augen. Entweder war der Mann der beste Schauspieler der Welt, oder irgendetwas von dem, was er ihm vorgeworfen hatte, hatte ihn aus der Fassung gebracht, denn sein Mund stand offen, sein Gesicht lief rot an und er schüttelte heftig den Kopf. Dann sah er seinen Bruder an, der genauso schockiert wirkte.

»Morde? Ich weiß nicht, wovon Sie reden. Ich habe niemanden umgebracht. Niemals. Und ich werde es auch nie tun. Wenn ich dazu fähig wäre, hätte ich wohl damals unseren Vater umgebracht.«

Gilbert schüttelte den Kopf. »Remy, du kennst uns doch. Wir sind keine Mörder.«

»Was zum Teufel wolltet ihr hier, wenn ihr nicht vorhattet, uns zu töten?«, fragte Drake barsch. »Glaubt ihr etwa, nur weil ihr es nicht geschafft habt, euren heimtückischen Plan in die Tat umzusetzen, lasse ich euch vom Haken?«

»Sie haben das völlig falsch verstanden«, erwiderte Beau. »Ich habe dir prophezeit, dass das passieren würde. Ich hab’s gewusst, Gilbert. Ich wusste, dass wir uns lieber im Verborgenen hätten halten sollten.«

»Ihr habt gewusst, was passieren würde?«, fragte Remy.

Gilbert seufzte. »Man will uns die Sache in die Schuhe schieben. Jemand hat uns eine Falle gestellt, Remy.«

Drake trat dem Mann vor den Stiefel. »Wie oft hast du das schon gehört, Remy?« Remy feixte. »Oh, das ist ganz neu für mich, ich bin ja noch nicht trocken hinter den Ohren.« Böse starrte er die Tregre-Brüder an. »Glaubt ihr das wirklich? Glaubt ihr, ihr habt es mit einem Anfänger zu tun? Haltet ihr euch für schlauer als mich?« Mit einer Miene, die an ein Grinsen erinnerte, bleckte er die Zähne. »Hörst du das, Drake? Gilbert glaubt, er sei schlauer als ich.«

»Du drehst mir das Wort im Mund um, Remy«, erwiderte Gilbert. »Wir sind gekommen, um mit dem Jungen zu reden Renards Sohn. Da er ein Blutsverwandter ist, dachten wir, er würde uns vielleicht helfen.«

»Wobei? Bei dem Mordanschlag auf sein Team? Seine Freunde? Die einzige Familie, die er je gekannt hat?«, höhnte Drake. »Wenn ihr das glaubt, wisst ihr nicht, was Loyalität ist, und schon gar nicht, wie Joshua tickt.«

Die beiden Männer schüttelten den Kopf. »Wir sind nicht hergekommen, um jemanden umzubringen«, beharrte Gilbert. »Wir wussten, dass ihr gestern Nacht im Sumpf gewesen seid. Ihr habt euch bei den Merciers und bei uns umgesehen. Es hat überall nach euch gerochen.«

Beau musterte Drake mit einem Blick, der beinahe respektvoll war. »Ihr seid unserem Boot quer durch den Sumpf gefolgt, nicht wahr? Ich habe nicht geglaubt, dass irgendjemand so etwas fertigbringt, und ich habe mein ganzes Leben im Sumpf verbracht.«

Remy hob einen Finger. »Ihr seid quer durch den Sumpf gegangen, um ein Boot zu verfolgen?«

»Um ihnen allen zu folgen«, verriet Beau. »Dem gesamten Team, und Saria hat sie angeführt. Sie müssen gerannt sein.«

»Und an ein paar Stellen sind sie sogar durchs Ried gewatet«, fügte Gilbert hinzu. »Es gibt keinen anderen Weg.«

»Meine Schwester ist nachts durch den Sumpf gelaufen? Durch die Untiefen gestapft, die voller Alligatoren sind?«

Remys Stimme war gefährlich leise geworden. Drake hatte gehofft, dass er sich nicht aufregen würde, doch da er selbst erkannt hatte, wie verrückt es gewesen war, überhaupt auf die Idee zu kommen, und erst recht Saria mitzunehmen, konnte er ihn ja sogar verstehen.

»Wir wussten, dass es um Drogen ging, Remy«, erklärte er. »Und obwohl wir uns mit dem Regenwald und seinen Gefahren gut auskennen, hatten wir keine Ahnung, dass das, worum wir Saria gestern Nacht gebeten haben, wirklich so riskant ist. Sie war großartig, und wir verdammt dumm, so ein Risiko einzugehen.«

Weiter würde er Remy nicht entgegenkommen. Entweder er akzeptierte diese Entschuldigung oder er ließ es.

»Ihr habt also Drogen geschmuggelt, Beau? Direkt vor meiner Nase?«

»Es ist ja wohl ein himmelweiter Unterschied, ob man ein Boot nimmt und Seife ausliefert oder ob man Menschen ermordet, Remy«, bemerkte Beau. »Wir haben niemanden umgebracht.«

»Und wie seid ihr zum Drogenhandel gekommen?«, fragte Drake.

»Wir liefern nur«, betonte Gilbert. »Deshalb wollten wir mit dem Jungen reden.«

»Eins wollen wir von Anfang an klarstellen«, sagte Drake verächtlich. »Joshua ist ein Mann. Er erledigt seine Arbeit und er übernimmt, wie jeder Erwachsene, die Verantwortung für das, was er tut.«

Seufzend schaute Beau seinen Bruder an und schüttelte den Kopf. Dann blickte er niedergeschlagen zu Boden. Gilbert machte ein finsteres Gesicht. »Ihr wollt die Wahrheit nicht hören.«

»Aber sicher doch, Gil«, erwiderte Remy. »Spuck sie aus und versuch nicht, irgendetwas zu beschönigen, denn ich habe den Eindruck, unser Anführer ist kurz davor, euch das Fell über die Ohren zu ziehen.«

»Vielleicht hast du ja die Gerüchte über unseren Vater gehört«, murmelte Gilbert. »Jedes einzelne davon ist wahr. Er hat Frauen misshandelt und vergewaltigt. Er hat unsere Mutter geschlagen und uns. Und er hat Renard umgebracht. Wir konnten es nicht beweisen, aber er hat es getan. Außerdem hat er gespielt. Wobei er meistens verloren hat.«

Drake lüpfte eine Augenbraue.

Gilbert wurde rot. »Ich will mich nicht über mein Leben beklagen, ich erzähle nur, wie es war. Irgendwann hat er angefangen, bei den Merciers die Arbeiten in den Gärten zu überwachen. Meist kommandierte er nur alle anderen herum. Aber manchmal belieferte er auch besondere Kunden. Nach und nach haben wir ihm das abgenommen. Es wurde gut bezahlt, und wir haben uns nicht viel dabei gedacht, bis wir diese Lieferungen mitten in der Nacht übergeben sollten, und zwar an Boote, die von überallher kamen.«

»Willst du damit sagen, ihr wusstet nichts von dem Opium, als ihr anfingt, für die Merciers zu arbeiten?«

Gilbert schüttelte den Kopf. »Erst nachdem unser Vater krank geworden war und wir auch die nächtlichen Auslieferungen übernahmen, hat es uns gedämmert. Seit ungefähr drei Jahren fahren wir raus, wenn wir einen Anruf bekommen. Wir hätten damit aufhören sollen, sobald wir wussten, worum es ging, aber das Geld war gut und wir wollten nicht unser Leben lang Alligatoren jagen.«

»Außerdem war da noch die Sache mit Evangeline«, fügte Beau hinzu. »Wir hatten das Gefühl, wir müssten sie beschützen.«

»Ist sie denn bedroht worden?«, fragte Remy.

Beau schaute seinen Bruder an. »Nicht direkt. Eines Nachts, als wir nach Hause kamen, war Evangelines Zimmer völlig verwüstet. Und mitten in ihrer Matratze steckte ein Messer. Wir hatten etwas gezögert, als der Anruf kam, und sind nicht sofort losgefahren. Das haben wir danach nie wieder gemacht. Für uns sah es so aus, als ob derjenige, der die Anrufe tätigte, uns damit sagen wollte, dass wir entweder mitmachen oder mit Evangelines Tod rechnen mussten.«

»Wer war dieser Anrufer?«

Die beiden Tregres sahen sich an. Dann zuckte Gilbert die Achseln. »Ich weiß es nicht. Sie haben irgend so ein Ding benutzt, mit dem die Stimme verzerrt wird.«

»Also wollt ihr uns nach all der Zeit, die ihr für die Merciers gearbeitet habt, weismachen, dass ihr keine Ahnung habt, von wem ihre eure Anweisungen bekommt?«, fragte Drake scharf.

Beau schüttelte den Kopf. »Wir wollten es gar nicht wissen. Wir dachten, das wäre sicherer. Sie haben mehrere Gärtner, die sich unter Anleitung des Obergärtners um die Blumen kümmern. Wir liefern bloß. Zum Anleger, zu den Geschäften vor Ort und zu speziellen Kunden.«

»Und was wolltet ihr mit Joshua bereden?«, fragte Drake. Die beiden sagten die Wahrheit. Sie hatten aus einer Reihe von Gründen vor allem die Augen verschlossen und nur an das Geld gedacht, aber man merkte, dass sie nicht logen.

»Wir dachten, wenn wir ihm erzählen, was hier vorgeht, findet er vielleicht einen Weg, wie wir da rauskommen, ohne Evangeline in Gefahr zu bringen«, gestand Gilbert. »Wir haben darüber gestritten. Beau hat gemeint, dass ihr uns nicht glauben würdet. Aber am Ende blieb uns gar keine Wahl. Wir wussten, dass ihr uns gesehen hattet. Dieses Mädchen Saria –, sie ist wirklich gut im Sumpf. Sie hat euch rechtzeitig zu der Stelle gebracht, von der aus ihr das Boot beim Anlegen beobachten konntet. Sie weiß nur einfach nicht, wann es zu gefährlich wird.«

»Immerhin hat sie es geschafft«, erwiderte Drake. »Und wir hatten genug Zeit, euch beide zu identifizieren.«

»Tja, irgendwann haben wir aufgehört zu streiten und sind durch den Kanal und den Sumpf hierhergefahren. Das Boot liegt unten am See. Als wir zur Pension kamen, haben wir den Rauch gesehen. Wir haben versucht, die unteren Türen zu öffnen, aber sie waren alle verschlossen«, erklärte Gilbert.

»Gilbert wollte sie schon eintreten, doch da hörten wir oben auf einem der Balkone Glas splittern. Da sind wir weggelaufen. Wir hatten Angst, wenn ihr uns seht, würdet ihr denken, wir hätten das Feuer gelegt. Aber als wir unten am Ufer angekommen waren, konnten wir nicht einfach so wegfahren, während in der Pension vielleicht Leute verbrannten, deshalb sind wir zurückgelaufen.«

Wieder klang Beau so ehrlich, dass Drake es nicht überhören konnte. Er schaute zu Remy hinüber, der nickte. Auch Sarias Bruder glaubte, dass die beiden die Wahrheit sagten. Man konnte den Tregres zwar vorwerfen, dass sie schmutziges Geld für Drogen genommen hatten, aber keiner von ihnen war ein Mörder und erst recht kein Serienmörder. Außerdem bezweifelte Drake, dass einer von ihnen auf die Idee gekommen wäre, Opiate in parfümierten Seifen zu verstecken.

»Hat euer alter Herr euch nie erzählt, wem die Sache mit dem Opium in den Seifen eingefallen ist?«, fragte Drake, doch die Antwort kannte er bereits.

»Ich wusste nicht einmal, was sich in den Kisten befindet«, erwiderte Beau. »Und ich wollte es auch nicht wissen.«

»Wo werden diese Seifen, Lotionen und Parfums denn hergestellt?«, fragte Drake. Beau runzelte die Stirn und sah seinen Bruder an. »Die Fabrik ist in der Stadt, nicht im Sumpf. Das Labor, in dem Charisse arbeitet, liegt auf dem Grundstück, aber hergestellt wird alles in der Stadt. Dort holen wir auch die Lieferungen ab.«

»Und was ist mit den besonderen Lieferungen?«, hakte Remy nach.

»Die warten am Anleger der Merciers, im beladenen Boot.«

»Beau, wie blöd kann man sein?«, stieß Remy verächtlich hervor. »Drogen zu schmuggeln, um Himmels Willen. Was zum Teufel ist mit euch los?«

Beau ließ den Kopf hängen. »Wir liefen Gefahr, alles zu verlieren, Remy. Das Haus, das Boot, einfach alles, und wir haben immer gemacht, was Pa uns sagte. Wir bekamen gutes Geld für die Lieferungen und haben mit der Arbeit für die Merciers einen schönen Gewinn gemacht. Sie sind ziemlich faire Arbeitgeber.«

»Nur wenn man davon absieht, dass sie euch dazu benutzten, für sie Drogen zu schmuggeln«, sagte Drake.

Darauf wusste Beau nichts zu sagen.

»Was habt ihr mit uns vor?«, fragte Gilbert.

»Das weiß ich noch nicht«, erwiderte Drake. »Erst mal geht ihr nach Hause und haltet den Mund. Falls ihr wieder einen Anruf bekommt, solltet ihr uns besser sofort Bescheid sagen. Und bringt Evangeline zu den Boudreaux’. Habt ihr mich verstanden? Sorgt dafür, dass ich mich besser nicht noch um euch kümmern muss.«

Remy bückte sich und nahm den beiden die Handschellen ab. »Ihr wart verdammt dumm, euch in so einen Schlamassel zu bringen«, wiederholte er. »Und ihr habt Glück, dass Drake der Anführer ist.«

»Oh, aber sie werden ihre Strafe bekommen«, bemerkte Drake. »Ich muss nur noch darüber nachdenken.«

»Sagt dem Jungen « Beau unterbrach sich für ein Räuspern, als Drakes finsterer Blick ihn traf. » Renards Sohn, dass wir nach wie vor gern mit ihm reden würden. Wenn er möchte.«

»Ich sag’s ihm.« Drake fixierte ihn mit seinem Raubtierblick. »Macht bloß nicht den Fehler, zu flüchten oder zu den Merciers zu laufen. Ich würde euch solange jagen, bis ich euch gefunden habe, und euch töten. Ihr wollt euch doch nicht mit mir anlegen, oder?«

Beau nickte fügsam. »Dies ist mein Zuhause. Ich wurde hier geboren und ich werde hier sterben. Ich wüsste nicht, wo ich hingehen sollte. Und bei Gilbert ist es das Gleiche. Außerdem müssen wir uns um Evangeline und die Jungen kümmern. Wir möchten nicht für den Rest unseres Lebens Angst haben müssen.«

Drake sah zu, wie die beiden Männer mit schweren Schritten zu ihrem Boot zurückgingen, dann drehte er sich zu Remy um. »Über unseren Killer haben wir nicht viel erfahren können.«

»Drogen? Ist dir nicht der Gedanke gekommen, dass es wichtig sein könnte, mir das zu erzählen«, wollte Remy wissen.

»Tut mir leid. Wir wollten mit dir reden, sobald wir ausgeschlafen hatten. Irgendjemand hat uns betäubt und versucht, uns alle auf einen Schlag durch eine Rauchvergiftung umzubringen. Ich muss mit Pauline reden. Sie hat die Alarmanlage eingeschaltet, aber irgendjemand hat sie wieder abgestellt und auch die Rauchmelder zerstört. Alle Balkontüren sind von außen blockiert worden.«

»Und du glaubst, das war der Mörder?«

»Es muss jemand sein, der mit dem Sicherheitssystem der Pension vertraut ist. Die Merciers waren heute Morgen hier und haben gehört, wie Pauline gesagt hat, dass sie den ganzen Tag fort sein würde. Jeder von ihnen hätte das tun können.«

»Charisse oder Armande. Verdammt, Drake, wir landen immer wieder bei diesen beiden. Mahieu mag das Mädchen.«

»Saria ebenfalls.« Drake schüttelte den Kopf. »Trotzdem, Charisse hat den Verstand und das Wissen, und sie war jedes Mal in der Nähe, wenn irgendetwas schieflief.«

»Verdammt und zugenäht«, fluchte Remy wieder.