15

Elijah Lospostos war ein außergewöhnlich schöner, aber Furcht einflößender, ernster Mann mit stählernem Blick. Das dichte, glänzend schwarze Haar reichte ihm bis zu den Augen, die im einen Moment noch wie Quecksilber schillern und im nächsten schon dunkel wie die Nacht sein konnten. Saria stand am Steuer, lenkte das Boot durch das kabbelige Wasser und versuchte, nicht darüber nachzudenken, wie bedrohlich er wirkte oder warum er Befehlen von Drake Donovon gehorchte. Elijah und sein Partner Jeremiah Wheating, zwei weitere Männer aus Drakes Team, hatten die Nacht im Sumpf verbracht. Sie hatten zusammen mit dem Rest der Einheit auf den Anbruch der neuen Nacht gewartet, um in voller Stärke zurückzukehren.

Der Regen fiel in dichten silbrigen Schleiern, die die Sicht erschwerten, trotzdem bemühte sich Saria, auf dem Weg zu dem Stück Land direkt gegenüber von Fenton’s Marsh möglichst im offenen Wasser zu bleiben. Sie hatte fünf Männer in ihrem Boot, die allesamt stumm und grimmig dasaßen und offenbar etwas wussten, was sie ihr nicht verrieten. Andererseits hatte Drake Saria ohne zu zögern gebeten, sie alle in den Sumpf zu bringen. Dabei hatte sie mittlerweile das Gefühl, dass keiner von ihnen sie so dringend brauchte, wie sie glaubte.

Wieder warf sie einen schnellen Blick auf die fünf Männer aus Drakes Team. Jeder Einzelne davon war brandgefährlich. Das Rudel ahnte nicht einmal, wie streitbar sie waren, und dennoch alle hörten auf Drake. Ein kleiner Angstschauer rieselte über ihren Rücken. Anscheinend kannte sie ihn nicht ganz so gut, wie sie es sich eingebildet hatte, nicht, wenn Männer wie diese auf sein Kommando hörten.

Saria schaute zum Himmel empor. Dunkle, stürmische Wolken jagten darüber hinweg, angetrieben von einem heftigen Wind. Mit den Knien glich sie das Aufklatschen des Bootes auf dem unruhigen Wasser aus. Ihr fiel auf, dass das schlechte Wetter und die holprige Fahrt keinem der Männer etwas auszumachen schien. Sie war nicht sicher, warum das Team in einer solchen Nacht unbedingt in den Sumpf wollte, jedenfalls waren sie alle bis an die Zähne bewaffnet. Was Elijah Drake auch berichtet haben mochte, der Mann ihrer Träume war mit grimmigem Gesicht von dem Treffen zurückgekommen, seine Augen, die sonst freundlich blickten, hart und kalt, richtig unheimlich.

Saria hatte keine Fragen gestellt, wie sie es normalerweise getan hätte, denn er hatte seinen Männern sofort mitgeteilt, dass sie mitkommen würde, und zwar in einem Ton, der sich jede Kritik verbat. Doch die Überraschung auf den Gesichtern seiner Männer war ihr nicht entgangen, auch wenn sie sich bemüht hatten, sie zu verbergen.

»Ist dir warm genug?«, fragte Drake.

Er stand nahe bei ihr, so nah, dass die Wärme seines Körpers ihre Windjacke durchdrang, und legte eine Hand leicht, aber in einer besitzergreifenden Geste auf ihr Kreuz. Saria spürte, wie ihr Magen sich zusammenzog. Es spielte keine Rolle, dass ihr Gehirn versuchte, sie davor zu warnen, sich bis über beide Ohren zu verlieben, ihr Herz und auch der Rest ihres Körpers sehnte sich nach ihm.

Sie nickte. »Ich bin an das Wetter gewöhnt. Und deine Freunde?« Fragend deutete sie mit dem Kopf auf die anderen Männer.

Drake grinste sie an, mit dem tropfnassen Haar und dem wettergegerbten Gesicht sah er recht verwegen aus. »Die sind auch daran gewöhnt.« Er beugte sich zu ihr herab und legte die Lippen an ihr Ohr. »Ich liebe Stürme. Ich finde sie so erregend.«

Saria spürte, wie sie bei den Zehen angefangen knallrot anlief und von einer Hitzewelle überrollt wurde. Nicht wegen seiner Wortwahl, sondern wegen seines Tonfalls. »Sind deine Leute nicht alle Gestaltwandler?«, zischte sie. »Wenn ja, kriegen sie bestimmt alles mit.«

Sanft biss Drake ihr ins Ohrläppchen. Einer der Männer hüstelte und ein anderer unterdrückte ein Kichern. Ja, sie war eindeutig unter Leopardenmenschen.

Saria boxte Drake in den steinharten Bauch. »Hau ab, du Playboy. Ich habe hier meine Arbeit zu tun, und du versuchst, mich abzulenken, obwohl ich für die Sicherheit dieser Männer verantwortlich bin.« Mit einer Kopfbewegung deutete sie auf die Ufer zu beiden Seiten. »Richtet die Schweinwerfer auf den Wassersaum rechts und links.«

Joshua und Jerico kamen ihrer Aufforderung nach. Unzählige Augen starrten sie an. Im Schilf jagten Alligatoren.

Saria schnitt Drake eine Grimasse. »Und die vielen Baumstämme da im Wasser sind auch nicht aus Holz.«

Drake lachte. »Willst du mir Angst machen, Süße?«

»Nein«, gab sie zu, denn es war absurd zu glauben, dass man Drake Furcht einflößen könnte. Trotzdem feixte sie noch einmal. »Aber ich steh am Steuer und das sollte dir Angst machen.« Gleich nach dieser deutlichen Warnung schwenkte das Boot herum. Nicht so abrupt, dass Drake über Bord ging, aber immerhin rasant genug, dass er sich an Saria festhalten musste.

Joshua prustete los und Elijah verkniff sich ein Grinsen.

»Ein bisschen Ärger mit der Freundin, Boss?«, fragte Jerico hämisch.

»Ich kann sie ja schlecht aus dem Boot werfen«, erwiderte Drake, »aber bei euch ist das etwas anderes.«

Diesmal lachten seine Männer ganz offen.

»Ich weiß nicht genau, was wir hier draußen vorhaben«, mischte Saria sich ein, »doch falls wir unentdeckt bleiben wollen Geräusche sind über das Wasser weithin zu hören.«

»Es wird wohl noch etwas dauern, bis wir Gesellschaft bekommen«, meinte Drake.

Saria zog eine Augenbraue in die Höhe und sah ihn durchdringend an. »Warum sagst du es mir nicht?«

»Ich wollte vor Pauline nicht darüber reden«, gestand er. »Es tut mir leid, Saria. Du hast sehr viel Geduld gezeigt, indem du in ihrem Beisein keine Fragen gestellt hast.«

Sie zuckte die Achseln, freute sich aber im Stillen über seine Entschuldigung. Er hatte sie also einweihen wollen, aber keine passende Gelegenheit gefunden.

»Elijah und Jeremiah haben die letzte Nacht auf deinem Hochsitz verbracht.«

Saria blinzelte, warf einen Blick auf die beiden Männer und wandte sich hastig wieder dem Steuer zu. »Dem beim Eulennest? Wie haben sie ihn gefunden? Niemand weiß davon. Ich habe das Material Stück für Stück dorthin geschafft und ihn selbst zusammengezimmert.«

»Er ist sehr stabil«, sagte Elijah. »Und ich danke Ihnen dafür. Am Boden war ziemlich viel los, deshalb war ich sehr froh, so weit oben zu sein.«

»Gern geschehen. Aber wie habt ihr den Hochsitz gefunden?«

Die Frage brachte Elijah offensichtlich in Verlegenheit. Drake kam ihm zur Hilfe. »Du bist ein weiblicher Leopard kurz vor dem Han Vol Don.«

»Das heißt, ich stinke?«

Drake lachte. »Du riechst sehr gut, mein Schatz. So gut, dass «

Als Saria ihm mit der Faust drohte, ersparte er sich den Rest.

»Ihr habt also die Nacht auf meinem Hochsitz verbracht. Und worauf habt ihr gewartet? Dass der Killer zurückkommt?«

»Nicht unbedingt«, sagte Elijah. »Ich habe mir die Wasserwege angesehen und bemerkt, dass sie ein Boot leicht durchschiffen und sich dort mit einem anderen treffen kann, ohne dass sie bemerkt werden, es sei denn, irgendjemand sitzt nachts zufällig auf einem Hochsitz im Sumpf und das ist sehr unwahrscheinlich, oder?«

»Versteh ich nicht. Was hat das mit dem Mörder zu tun?«

»Nichts, oder vielleicht alles. Leider bin ich Experte auf einem sehr seltenen Gebiet«, gestand Elijah. »Ich habe eines der weltweit erfolgreichsten Drogenkartelle geerbt. Ich erkenne einen Schmuggelweg, wenn ich einen sehe, und dieser hier ist ein recht netter.«

Erschrocken sah sich Saria um, strauchelte und wäre beinahe gestürzt. Drake hielt sie an den Hüften fest. »Sie sind verrückt. Keiner hier handelt mit Drogen.«

Elijah zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht, wer das Geschäft aufgezogen hat, aber es läuft definitiv gut, und das ist es, was Sie gesehen haben, als Sie die erste Leiche gefunden haben. Sie haben verdammt viel Glück gehabt, dass man Sie nicht entdeckt hat. Es handelt sich um eine sehr große Organisation, und wenn Sie, also jemand, der diesen Sumpf in- und auswendig kennt, nicht dahintergekommen sind, dann wohl auch niemand anders. Wahrscheinlich sind Sie Zeugin eines Mordes geworden, der auf einen geplatzten Drogenhandel zurückzuführen ist. Deshalb schien er Ihnen so anders zu sein als der zweite Mord.«

Anscheinend wusste Elijah alles, was sie über die Toten berichtet hatte. Natürlich, das musste so sein. Und er wirkte sehr sicher, dass irgendjemand mit Drogen handelte. Sogar absolut überzeugt. Er hatte ein erfolgreiches Drogenkartell geerbt? Was sollte das heißen? Was machte er dann in einer so stürmischen Nacht mitten im Sumpf? Was wusste sie eigentlich über diese Männer?

Drake legte eine Hand auf ihre Schulter. Saria versuchte, sie abzuschütteln. Er würde merken, dass sie zitterte, und sofort wissen, dass sie plötzlich Angst bekommen hatte.

»Er hat nichts mehr mit dem Kartell zu tun. Er ist jetzt bei uns.«

Doch Saria wusste nicht, was oder wer »uns« war. Mit einem Mal wünschte sie sich, sie hätte irgendjemandem ihren Brüdern oder zumindest Pauline mitgeteilt, was sie vorhatte. Wahrscheinlich hatte man ihr absichtlich nichts gesagt, bis sie auf dem Wasser waren. Drakes Griff wurde fester, und er trat so nahe an sie heran, dass sie sich bedrängt fühlte. Saria drosselte die Geschwindigkeit und ließ das Boot um eine Biegung in tückischeres Wasser gleiten.

»Ich muss mich konzentrieren.«

»Ich wollte Ihnen keine Angst einjagen«, sagte Elijah. »Sie sollten nur verstehen, woher ich die Wahrheit weiß. Sobald ich die Stelle und das Umland dort gesehen hatte «

»Welches Umland?« Saria versuchte, nicht angriffslustig zu klingen. Wehe, er wagte es, ihre Brüder oder einen ihrer Freunde anzuklagen. Sie hatten bestimmt ihre Angst gerochen. Alle. Sie schluckte schwer und blinzelte mehrmals hintereinander, um besser sehen zu können.

»Sind Ihnen all die Blumen aufgefallen, an denen wir vorübergefahren sind? Ganze Felder davon. Es müssen Hunderte, vielleicht sogar Tausende sein.«

»Daraus wird Parfum gemacht. Falls es Ihnen noch niemand gesagt hat, es gibt hier ein international höchst erfolgreiches Unternehmen. Die Besitzer haben es nicht nötig, Drogen zu schmuggeln.«

»Haben Sie auch gesehen, wie viele Mohnblumen sie gepflanzt haben? Zwischen den anderen Blumenbeeten gibt es immer wieder Mohnfelder, insgesamt wahrscheinlich mehr als einen Morgen.«

»Die Familie Mercier hat die Genehmigung, sämtliche Blumensorten anzupflanzen, selbst solche, deren Anbau anderweitig verboten ist. Glauben Sie nicht, dass man sie streng überwacht? Auf dem Anwesen werden regelmäßig Kontrollen durchgeführt. Sie haben Hunderte von Pflanzen, darunter auch viele giftige.«

»Und ich wette, dass sie zu bestimmten Jahreszeiten niemanden aufs Grundstück lassen«, beharrte Elijah.

Saria zögerte. Damit hatte er recht. »Wenn sie ernten und Charisse im Labor ist, gibt es viel Arbeit. Dann würden Besucher bloß stören.«

»Wer’s glaubt«, murmelte Joshua.

Saria umschiffte die Luftwurzeln eines großen Zypressenhains und steuerte das Boot durch einen Engpass. Die Richtung, in die das Gespräch ging, gefiel ihr nicht. Sie kannte Charisse schon ihr ganzes Leben. Die Frau benahm sich hin und wieder etwas seltsam, aber sie war ihr immer, immer eine treue Freundin gewesen. Es gab nur wenige Mädchen in der Gegend, deshalb waren sie alle eng befreundet und hielten zusammen. Saria konnte sich nicht erinnern, wann es je eine Zeit gegeben hatte, in der Charisse nicht in ihrem Labor war, um Düfte zu kreieren. Ihre Obsession hatte das Parfumgeschäft der Familie Mercier zu einem millionenschweren Unternehmen gemacht.

»Ich sagte Ihnen doch, dass sie ihre Parfums, Lotionen und Seifen auf der ganzen Welt verkaufen. Sie haben es nicht nötig, das Risiko einzugehen, illegale Geschäfte zu machen.« Saria bemühte sich, nicht zu streitlustig zu klingen, schaffte es aber nicht ganz.

»Und sie verkaufen ihr Parfum und all diese kleinen Seifen hübsch verpackt in kleinen Schachteln, nicht wahr?« Elijah nahm die Herausforderung an.

»Elijah«, sagte Drake leise mahnend. Weiter nichts, doch danach herrschte Ruhe. Nur der Wind und der Regen waren noch zu hören.

»Lass ihn ruhig weiterreden«, sagte Saria. »Wenn ich falschliege, muss ich es wissen. Was ist denn Ihrer Meinung nach in diesen Schachteln? Und was spricht dagegen, sie so zu verkaufen, parfümierte Seifen sind ein Teil des Geschäfts.«

»Sie haben mehrere Großhändler, die riesige Mengen ordern, stimmt’s?«, fuhr Elijah fort.

»Die Schachteln gehen doch durch den Zoll«, sagte Saria abwehrend und schaute gen Himmel, damit der Regen ihren Ärger fortwaschen konnte. Sie mochte Charisse und Armande. Die beiden spendeten für die Schule und die Kirche und taten viel für die Gemeinde, mehr als die meisten anderen Mitglieder des Rudels. Sie waren zwar etwas eigen, aber immer sehr nett zu ihr gewesen besonders Charisse.

»Hübsche Schächtelchen mit Seifen und Parfums. Der Zoll macht einen Stempel drauf und schon sind sie durch, mitsamt der netten kleinen Kugel Opium in der Seife.«

Saria schüttelte den Kopf. »Es gibt doch Drogensuchhunde « Sie brach ab und ihr Herz machte einen Satz. Wenn ein Leopard einen anderen Leoparden nicht mehr wittern konnte, dann hatte vielleicht jemand, der sonst Düfte erschuf, auch einen Weg gefunden, Gerüche zu verdecken.

Es hatte ihr den Atem verschlagen. Wieder schüttelte sie den Kopf. Urplötzlich brannten Tränen in ihren Augen. Es war, als zöge man ihr den Boden unter den Füßen weg. Alle Indizien deuteten auf Charisse. Was Düfte anbetraf, war ihre Freundin einfach genial. Aber sie kannte Charisse. In mancher Hinsicht war sie doch sehr kindlich. Saria hätte sich eher vorstellen können, dass Armande vielleicht so gierig war; seine Mutter hatte ihn offensichtlich verhätschelt, aber Charisse Saria schüttelte den Kopf.

Andererseits war Armande im Umgang mit Düften bei Weitem nicht so begabt wie Charisse. Außerdem hatte er keinen Ehrgeiz oder Eigenantrieb. Trotzdem war er seiner Schwester treu ergeben. Er hatte sie schon in der Schule immer in Schutz genommen. Charisse war die Clevere gewesen, die die Klassen so schnell übersprungen hatte, dass sie emotional nicht Schritt halten konnte. Bloß wäre sie einfach niemals dazu fähig, auf internationaler Ebene Drogen zu vertreiben. Das passte nicht zu ihrem Charakter, egal, wie viele Beweise Drake und sein Team gegen sie sammelten.

Auf der anderen Seite, falls irgendjemand aus Charisse’ Mohnblumen Opium herstellte, wie konnte sie nicht davon wissen? Saria schaute stur geradeaus, die Stille im Boot sprach Bände. Die Männer waren zu demselben Ergebnis gekommen wie sie. Wenn irgendjemand es geschafft haben sollte, den Geruch eines Raubtiers zu neutralisieren, konnte er auch Hunde daran hindern, Drogen zu erschnüffeln und dieser Jemand musste Charisse sein.

»Du bist auf der falschen Fährte, Drake«, sagte Saria leise. »Ich weiß, dass alles auf sie hindeutet, aber sie ist unfähig, das zu tun, was du ihr anlasten willst. Du liegst völlig daneben.«

»Ich hoffe, du hast recht, meine Süße«, erwiderte er sanft.

Sie hasste den mitleidigen Unterton in seiner Stimme. Sie warf einen Blick über die Schulter und musterte seine entschlossene Miene. »Charisse ist nicht in der Lage, einen Drogenhandel aufzuziehen.«

Drake legte einen Arm um Sarias Taille. »Und ihr Bruder?«

Armande war ein verzogener, launischer Junge gewesen, der zu einem verzogenen, launischen Mann herangewachsen war. Der einzige Mensch, der ihm etwas zu bedeuten schien, war seine Schwester. Er schaffte es gerade eben, die eigenen Bedürfnisse lange genug zurückzustellen, um ihren zu dienen, nur dann kam er für ein paar Minuten aus seiner sehr ichbezogenen Welt heraus. Doch Saria bezweifelte ernsthaft, dass er intelligent genug war, ein solches Unternehmen auf die Beine zu stellen. Charisse dagegen hatte zwar genug Verstand, war aber in vielen Dingen wie ein Kind. Armande Saria seufzte. Armande war ein selbstsüchtiger Taugenichts, aber alle mochten ihn. Und wenn er wollte, konnte er sehr charmant sein.

»Wie soll das bewiesen werden?«

»Wir folgen den Drogenschmugglern quer durch den Sumpf und schauen, wohin sie gehen. Wer auch immer der Lieferant ist, es muss ein Einheimischer sein«, sagte Elijah.

»Durch den Sumpf?«, wiederholte Saria skeptisch. »Seid ihr verrückt? Der Sumpf ist nicht wie euer Regenwald. Euer Geruchssinn hilft euch nicht viel, wenn ihr in der Marsch versinkt. Überall lauern Gefahren, Schlangen, Alligatoren, alles Mögliche.« Sie lenkte das Boot an das Schilf heran. »Schon an Land zu gehen, ist extrem gefährlich.«

»Deshalb haben wir ja unsere Geheimwaffe dabei«, erwiderte Drake.

Saria sprang ins Wasser und watete durch das Schilf, um das Boot festzubinden. »Und die wäre?« Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus.

»Du. Du wirst uns führen.«

»Jetzt bin ich komplett sicher, dass ihr alle übergeschnappt seid.«

»Ein Boot könnten sie hören, aber du weißt, wie man von einem Stück Land zum nächsten kommt und kennst wahrscheinlich auch Abkürzungen.«

»Ihr wolltet zu Fuß nachts durch die Sümpfe laufen?« Saria sah sich nach einer Stelle um, an der sie sich setzen konnte. Ihr war etwas flau geworden. Die Männer hatten keine Ahnung, wie es war, durch den Sumpf zu gehen. »Das ist kein Land, sondern Moor. Unterbrochen von Treibsand. Eigentlich ist unter uns Wasser, mit einer dünnen Schicht Erde und Pflanzen darauf. Ihr versteht das einfach nicht.« Erregt fuhr sie sich mit den Fingern durchs Haar, sodass es stachlig nach allen Seiten abstand, aber das war ihr gleichgültig. Am liebsten hätte sie es sich gerauft. Die Männer hatten allesamt den Verstand verloren.

»Doch, wir verstehen sehr gut.«

»An manchen Stellen fällt man einfach durch und versinkt. Habt ihr schon mal von Wassermokassinschlangen gehört? Die gibt es hier nämlich auch.«

»Du jagst, fischt und stellst Fallen in diesem Moor. Außerdem fotografierst du hier. Seit deiner Kindheit läufst du praktisch ununterbrochen im Sumpf herum, Saria«, sagte Drake. »Du kannst das, und du weißt es.«

»Ich kann das, aber nicht, wenn ich euch alle führen soll. Drake, du willst doch wohl nicht von mir verlangen, die Verantwortung für sechs Menschen zu übernehmen. Wir müssen an mindestens drei Stellen durch dichte Schilfgürtel voller Alligatoren waten.«

»Wir haben Gewehre«, bemerkte Drake.

»Wisst ihr denn auch, wohin ihr schießen müsst, um einen Alligator tödlich zu treffen? Habt ihr eine Vorstellung davon, wie klein der Zielpunkt bei diesen Reptilien ist? Ungefähr so groß wie eine Münze, und man sollte nicht danebenschießen. In eurer gewohnten Umgebung mögt ihr ja alle Experten sein, aber hier seid ihr Anfänger. Allein die Tatsache, dass ihr euch diesen haarsträubenden Plan ausgedacht habt, ohne euch beraten zu lassen, beweist, dass ihr Amateure seid.«

Die sechs Männer sahen sie wortlos an, ohne einen einzigen Wimpernschlag. Mit Katzenaugen. Starrem Raubtierblick. Völlig unbeeindruckt von den vorgebrachten Argumenten. Stöhnend gab sich Saria geschlagen. Sie schüttelte nur noch den Kopf, fing das Gewehr auf, das Drake ihr zuwarf, und drehte ihnen den Rücken zu. Idioten. Jedes Kleinkind in der Gegend wusste mehr als diese Männer.

Dann schob sie ihren Ärger beiseite und konzentrierte sich auf das, was ringsum zu hören war. Die Insekten summten. Ochsenfrösche riefen einander zu. Der Regen strömte unaufhörlich. Sie zog die Schultern hoch und blendete alles aus, achtete nur noch darauf, ob es in der dichten Vegetation raschelte. Wo sie hintreten musste, wusste sie genau, aber sie würden mehrere Alligatorenrutschen kreuzen.

»Wohin wollt ihr?«

»Wir brauchen klare Sicht auf Fenton’s Marsh und den besten Weg, um einem Boot zu folgen, das von dort zu den Merciers will«, sagte Drake. »Die Blätter sind schon von den Mohnblumen abgefallen, also ist das Opium geerntet. Jetzt werden sie die Beweise vernichten.«

Saria hatte nicht vor, mit ihm zu streiten. Aber was war, falls er wie durch ein Wunder doch Recht behielt? Denn wenn Hunde keine Drogen mehr schnüffeln konnten, hieß das, der Killer hatte Zugang zu irgendeiner Erfindung, die Geruch neutralisierte. Es war vollkommen unmöglich, dass Charisse eine Mörderin war. Sie konnte keiner Fliege etwas tun. Sie war sehr anhänglich und ihre Überspanntheit ging allen etwas auf die Nerven, aber jeder hätte Saria zugestimmt, dass Charisse zu den mitfühlendsten Menschen in der ganzen Gegend gehörte.

Sie schob die Gedanken an ihre Freundin beiseite. Schließlich musste sie sich unbedingt auf die Sicherheit der ihr anvertrauten Männer konzentrieren. Sie hätte Drake eine Abfuhr erteilen sollen. Hier im Sumpf gab sie die Anweisungen nicht er. Saria biss sich auf die Lippen und ging voran. Die Lautlosigkeit der Männer war unheimlich, doch sie wollte nicht über die Schulter schauen, um zu sehen, ob sie ihr folgten. Trotz des mörderischen Tempos, das sie anschlug, umging sie alle giftigen Sträucher und achtete sorgfältig darauf, die Füße nur dahin zu setzen, wo der Boden sie sicher trug. Leider hatte der Regen ihn aufgeweicht, sodass er noch schwammiger war als sonst.

Als Drake sie an der Schulter berührte, blieb sie automatisch stehen. Er stellte sich vor sie, hob die Hand und spreizte die Finger. Sofort schienen seine Männer mit der Dunkelheit zu verschmelzen. Gerade hatte man sie noch sehen können und nun waren sie verschwunden. Lautlos, ohne dass auch nur ein Blatt raschelte oder ein Zweig knackte, hatten sie sich einfach in Luft aufgelöst.

Saria hatte weder ein Boot gehört noch Lichter gesehen, doch ihr Herz begann schneller zu klopfen, und sie spürte, wie ihre Leopardin tief in ihr die Krallen ausfuhr. Angst stieg in ihr hoch. Die Tatsache, dass sie gemerkt hatte, wie ihre Leopardin sich buchstäblich kampfbereit machte, erschreckte sie noch mehr als das Verschwinden der Männer. Sie hatte keine Erfahrung im Umgang mit solchen Menschen. Und sie brauchte noch Zeit, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass auch sie ein Raubtier in sich hatte. Nach all den Jahren, in denen sie neidisch auf ihre Brüder gewesen war und sich so allein gefühlt hatte, hatte sie genau das bekommen, was sie wollte, und nun fürchtete sie sich. Jetzt, wo sie dazugehörte, hätte sie sich gern irgendwo in einer stillen Ecke verkrochen und sich zu einer Kugel zusammengerollt.

Drake klopfte ihr auf die Schulter und sie kauerte sich hin, selbst verwundert darüber, dass sie wusste, was er wollte. Dann deutete er nach links und sie sah, dass sich im Gebüsch etwas regte, hörte aber nur das Trommeln des Regens. Dann blieb es eine Weile ruhig. Sie hätte ihre Herzschläge zählen können, während die Spannung zunahm. Der ständige Regen ließ ein wenig nach und wurde zu einem langsamen Nieseln, begleitet von dichtem Nebel, der sich auf den Sumpf legte und in dicken Schwaden über dem Wasser hing.

Drake kauerte sich neben sie. »Wir haben Gesellschaft. Nördlich von uns, zwei Boote im Wasser, Seite an Seite. Die Lichter sind abgedeckt. Kannst du uns zu einem Weg führen, der uns zum Mercier-Land bringt, ohne dass wir gesehen werden?« Er flüsterte ihr die Worte ins Ohr, die Lippen dicht an ihrer Haut und schon begann ihr Schoß zu brennen eine höchst unangemessene Reaktion. Ihre Leopardin erhob sich erwartungsvoll. Schockiert darüber, dass das Tier in einer auch so schon unmöglichen Nacht solche Scherereien machte, schloss Saria kurz die Augen.

Drake legte eine Hand um ihren Nacken. »Lass sie noch nicht raus. Halt sie unter Kontrolle.«

»Machst du Witze?«, zischte Saria wütend zurück. Die Leopardin machte sie gereizt, doch das kümmerte sie nicht mehr. »Wie soll ich die Kontrolle behalten, wenn ich nicht einmal weiß, was auf mich zukommt?«

»Du bist stark genug, Saria. Wenn du sie zu weit hervorkommen lässt und es in einem der Boote einen Gestaltwandler gibt, wird er, falls der Wind umschlägt, sofort wissen, dass du heute Nacht im Sumpf bist.«

Saria schnaubte und kämpfte gegen den seltsamen Drang an, am liebsten mit den Fingernägeln nach Drake zu schlagen. Ihre Katze machte sich deutlich bemerkbar und sie hatte schlechte Laune. Der Regen, die Nähe so vieler Männer und das Gefühl, aus der Haut zu platzen, machten Saria nervös und unruhig.

»Hör auf mich, Baby«, sagte Drake. »Ich weiß, dass es schwer ist. Sie kommt und geht «

»Erzähl mir was Neues«, blaffte sie. »Ich hocke in diesem verdammten Regen, nass bis auf die Haut, umgeben von Verrückten, mit einer Leopardin im Innern, die sich im Handumdrehen von einem Flittchen in eine psychotische Zicke verwandelt. In meinen Adern kreisen so viele Hormone, dass ich nicht mehr weiß, was ich tue.«

»Atme sie weg. Schieb sie fort, mit aller Kraft. Sie muss erkennen, dass du die Überlegene bist und dich weigerst, dich von ihren überbordenden Hormonen steuern zu lassen.«

Saria schaute sich langsam um, vor ihren Augen flimmerte es und ihre Sicht veränderte sich. Die schärferen Raubtiersinne verrieten ihr, wo sich die Mitglieder des Teams befanden. Mit einem Mal war ihre Leopardin nicht mehr ärgerlich, sondern hocherfreut. »Komisch, dass es ihr plötzlich gefällt, all diese Männer um sich zu haben.«

Kaum hatte sie das gesagt, wusste Saria, dass sie einen schrecklichen Fehler gemacht hatte. Ein warnendes Grummeln drang aus Drakes Brust und er fixierte sie mit seinen Augen, die golden schimmerten. Saria schauderte. Sein Leopard war näher als ihrer, und das Tier wurde zornig, als es die Männer um sie herum roch. Sie verkniff sich die sehr zickige Frage, wo denn seine ganze Selbstbeherrschung geblieben sei, und zwang sich tief durchzuatmen. Einer von ihnen musste in dieser angespannten Situation schließlich kühlen Kopf bewahren, und wenn es nach ihrer liebeskranken Katze ging, würde das weder Drake noch seinem Leoparden gelingen.

Saria spürte, dass ihre Leopardin auf die aufgeladene Atmosphäre reagierte, indem sie sich aufreizend streckte und träge gähnte. Da sie selbst am Boden kauerte, kostete es sie einige Mühe, sich davon abzuhalten, den Rücken durchzudrücken und sich an Drake zu reiben. Und sie ließ sich auch nicht dazu bringen, sich verführerisch nach den Männern umzusehen. Sie spürte deutlich, wie angespannt die Stimmung bereits war.

Sie atmete noch einmal durch und richtete ihren Unmut auf die Leopardin. Das kleine Luder neigte dazu, sich für ihre Auftritte den ungünstigsten Moment auszusuchen und sich dann in der Aufmerksamkeit, die sie erregte, zu sonnen. Saria hasste so etwas. Und zu allem Überfluss auch noch von Drake mehr oder weniger angebrüllt zu werden, machte ihre miese Laune auch nicht besser.

»Willst du mich auf den Arm nehmen, Drake? Wag es bloß nicht, alles noch schlimmer zu machen. Ich kann mich nicht mit einem Mann befassen, der sich benimmt wie ein wild gewordener Liebhaber, wenn ich noch nicht einmal weiß, wie ich mit dem Tier in mir umgehen soll. Ich bin verantwortlich für all diese Leben, und du denkst, ich möchte einen Haufen fremder Kerle vernaschen? Reiß dich zusammen. Ich will ganz bestimmt keinen anderen Mann und im Moment wirkst nicht einmal du sehr verlockend.«

Zornig musterte sie Drake, während sie innerlich ihre Leopardin zusammenstauchte. Leg dich wieder hin, du nutzloses Biest. Wenn du Sex willst, warte bis wir in einem Schlafzimmer sind.

Drake fuhr mit den Fingern durch ihr seidiges Haar. »Tut mir leid, Süße. Leoparden benehmen sich ihrer Gefährtin gegenüber sehr besitzergreifend, insbesondere wenn sie «

»Sag es nicht. Wenn du noch einmal davon anfängst, dass ich läufig bin, bringe ich dich um, das schwöre ich«, stieß Saria zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Es war schlimm genug zu wissen, dass sie genug Pheromone verströmte, um jedes männliche Wesen im Umkreis anzulocken, er musste es nicht auch noch aussprechen. Sie durchbohrte ihn förmlich mit ihrem Blick.

Ihre Leopardin war beleidigt, weil sie keine Aufmerksamkeit bekommen hatte, und verärgert, dass Saria ihren Wünschen nicht nachkam. Saria verfügte über einen eisernen Willen und wenn es ihr mal reichte, ließ sie sich weder durch Schläge noch von Betschwestern oder irgendetwas anderem beeindrucken und diesen eisernen Willen kreuzte sie jetzt mit der Leopardin. Hau ab. Du bist im Moment keine Hilfe für mich. Leg dich wieder hin und schlaf weiter, bis ich uns aus diesem Schlamassel herausgebracht habe.

Gekränkt zog sich die Katze zurück. Saria schaute verstohlen zu Drake hinüber. »Es wäre schön, wenn der Umgang mit dir auch so einfach wäre.«

»Ich habe doch gesagt, dass es mir leidtut.«

»Eifersucht ist keine anziehende Eigenschaft«, sagte Saria leise. »Und wir müssen weiter. Ich glaube nicht, dass das Boot solange wartet, bis dein dämlicher Leopard sich wieder beruhigt hat.«

»Wenn wir uns verwandeln sollen, um schneller zu sein «

Sarias Blick brachte Drake zum Verstummen. »Wenn ich auf zwei Beinen laufen kann, könnt ihr es auch.« Sie hatte nicht vor, ihrer rolligen Katze einen Vorwand zu liefern, um sich zu zeigen und sich an einem Haufen nackter Männer zu reiben.

»Verstanden«, sagte Drake.

Direkt hinter sich hörte Saria ein unterdrücktes Kichern, das sofort Drakes goldenen Blick anzog. Er biss die Zähne zusammen, sagte jedoch nichts, und niemand war dumm genug, noch einen despektierlichen Laut auszustoßen.

»Also los, Saria.«

Sie ignorierte den scharfen Unterton, denn sie wusste, dass sein Leopard ihm ziemlich zusetzte, sobald andere Männer in ihrer Nähe waren. Es lag nicht an Drake, sagte sie sich immer wieder, er gehörte nicht zu der Sorte Mann, die ihre Frauen ständig überwachen.

Drake legte eine Hand auf ihre Schulter und blieb ihr dicht auf den Fersen, setzte seine Füße genau dahin, wo sie ihre gehabt hatte. Seine Männer reihten sich einer nach dem anderen hinter ihm ein und taten es ihm nach.

»Ich weiß, dass es schwer ist, nicht nach einer Entschuldigung zu suchen, um vor mir wegzulaufen, insbesondere da alles so neu und aufwühlend ist. Ich rechne es dir hoch an, dass du dich dazu entschlossen hast, zu mir zu halten.«

Froh darüber, dass ihm aufgefallen war, wie sehr sie zu kämpfen hatte, warf Saria ihm über die Schulter hinweg ein kleines Lächeln zu. »Wir müssen uns beeilen. Sag deinen Leuten, dass sie keinen Fußbreit vom Weg abweichen dürfen. Weiter vorn wird er sehr schmal und wir müssen ein paar Alligatorenrutschen überqueren. Einige Meilen landeinwärts kommen wir auf sehr dünnen Boden. Dort gibt es nur wenige Stellen, die dick genug sind, um Gewicht zu tragen, also bleibt dicht bei mir und achtet darauf, wo ihr hintretet. Vergesst das Boot. Ich weiß genau, von wo aus wir es sehen können.«

Saria zwang sich, ein Selbstvertrauen in ihre Stimme zu legen, das sie gar nicht empfand. Sie hatte die Sümpfe ausgiebig erkundet, so viel stimmte, und das oftmals sogar bei Nacht. Aber verglichen mit den Männern war sie relativ leicht, und außerdem hielt sie schon die ganze Zeit wachsam nach Hinweisen auf Alligatoren Ausschau. Entgegen der landläufigen Meinung waren sie an Land nicht besonders schnell, doch sie konnten blitzartig vorspringen und auf kurzer Strecke auch recht flink sein.

Zunächst gab Saria ein rasches Tempo vor. Auf dem ersten Abschnitt war der Boden fest, und falls irgendjemand danebentrat, würde nichts passieren. Etwa eine Meile weiter wurde das begehbare Land allerdings so schmal wie ein Strich und man konnte längs des Weges leicht einbrechen. Deshalb ging sie aus Sicherheitsgründen nicht noch schneller, obwohl sie spürte, dass die Männer es eilig hatten. Sie würden, da sie querfeldein liefen, auf jeden Fall eher ankommen als das Boot, das um das Land herumfahren musste. Sobald sie das Ufer, die Zypressenhaine und das Schilf hinter sich gelassen hatten, stellten wohl auch die Alligatoren keine Gefahr mehr dar.

Es war seltsam, so im Gänsemarsch zu gehen. Saria hörte ihr Herz schlagen, dazu ihren Atem und ihre eigenen Schritte aber auch nur die. Die Männer folgten einer nach dem anderen genau im Takt, in absoluter Übereinstimmung miteinander und mit ihr, sodass sie nach einer Weile das Bedürfnis verspürte, ihren Rhythmus zu ändern, nur um zu sehen, wie schnell sie ihn annahmen.

Während sie sich im Stillen für den albernen Gedankengang schalt, suchte sie mit der seltsamen Nachtsicht, die ihre Leopardin ihr verlieh, den Boden vor ihren Füßen ab. Sie kannte die Gegend in- und auswendig, hatte dort praktisch ihre Kindheit verbracht, sie nach Nestern durchsucht, die sich zum Fotografieren eigneten, und sich oft irgendwo in irgendeiner Ecke vor den Erwachsenen versteckt, die dumm genug waren, nach ihr zu suchen. Auf genau diesem Landstrich hatte sie ihre Fähigkeiten als Fährtenleserin perfektioniert. Sie kannte jede gefährliche Stelle und die Ruheplätze der Alligatoren, jeden Laut und jedes Zeichen der Warnung.

Saria steigerte das Tempo und lief durch die dichteste Baumgruppe, denn sie wusste, dass es in diesem Abschnitt keine Reptilien gab. Er lag zu weit entfernt vom Wasser und den Matschrutschen der Echsen. Hier waren verschlungene Ranken und Wurzeln die größte Gefahr, deshalb kamen sie etwas schneller voran. Sobald sie das Wäldchen verlassen hatten, musste es eigentlich möglich sein, einen Blick auf die Lichter des Bootes zu erhaschen und zu sehen, welche Richtung es nahm. Saria hoffte, dass es sie vom Mercier-Land wegführen würde, hatte jedoch das ungute Gefühl, dass dieser Wunsch vergebens war.

Als das dichte Wäldchen in Unterholz überging, drosselte sie die Geschwindigkeit etwas, um anzuzeigen, dass sie wieder auf gefährliches Terrain kamen. Sie passte gut auf, wo sie hintrat, war aber dennoch bei jedem Schritt misstrauisch. Das Wasser, das sich in ihren Fußabdrücken sammelte, verwandelte den Boden in eine Schlammwüste. Und der Regen machte es auch nicht besser, denn er erhöhte den Wasserspiegel ebenso gnadenlos wie die Gezeiten. In der Hoffnung, dass die Männer genauso sorgfältig auf ihre Füße achteten, führte Saria sie über eine sehr schmale und sehr gefährliche Stelle, an der ein falscher Schritt sie durch die dünne Kruste ins Wasser befördert hätte.

Die sechs folgten ihr äußerst vorsichtig und traten genau in die Fußstapfen des Vordermanns. Sie waren sehr aufmerksam, obwohl sie darauf vertrauten, dass ihre Führerin sie sicher ans Ziel brachte. Saria fühlte sich fast geschmeichelt, auch wenn das Gewicht der Verantwortung schwer auf ihr lastete. Dieser Teil des Sumpfes war voller dünner Stellen und zugewucherter Löcher, die ein unvorsichtiger Mensch leicht durchbrechen konnte. Sie hatte den Weg natürlich deutlich vor Augen, doch das Risiko einer Bodenerosion war immer gegeben.

Als sie am Ende des Wäldchens angelangt waren, stieß Saria einen erleichterten Seufzer aus. Sie hob eine Hand und alle blieben sofort stehen. Einen Moment lang wartete sie noch, dann spähte sie durch die Bäume nach der kleinen offenen Fläche in der Ferne, wo das Boot vorbeikommen und kurz zu sehen sein würde. Sie hatte die Zeit für die einzelnen Etappen so eingeteilt, dass sie, ohne die Sicherheit ihrer Schutzbefohlenen zu opfern, rechtzeitig da war, um einen Blick auf das Boot und seine Fahrtrichtung zu erhaschen.

Sekunden später flimmerte auf dem Wasser ein schwaches Licht, das sich nach links bewegte. Schwer enttäuscht verfolgte Saria, wie das Boot in den Kanal einbog, der zur Tregre-Mercier-Grenze führte.

»Wir gehen durchs Schilf«, flüsterte sie Drake zu und fügte im Wissen, dass die anderen sie hören konnten, noch eine deutliche Warnung an alle hinzu. »Bleib dicht bei mir und achte auf die Alligatoren. Sie werden im Wasser sein. Wir müssen hier möglichst schnell durch.«

Ihr Herz klopfte aufgeregt, denn sie hatte einen gesunden Respekt vor diesen Tieren. Sie nahm ihr Gewehr und watete ins Wasser. Es reichte ihr bis an die Oberschenkel. Saria holte tief Luft und tastete sich ruhig durch die trübe Brühe, nicht zu langsam, aber auch nicht zu schnell. Ihre verbesserte Nachtsicht ließ sie die dunklen, baumstammartigen Schatten erkennen, die zwischen den Schilfrohren und den Luftwurzeln der Zypressen lauerten.

Angespannt, aber absolut lautlos glitt der Trupp gleichmäßig durch das tückische Wasser. Saria fürchtete sich, wollte es aber nicht zeigen. Sie trug die Verantwortung für diese Männer, und sie würde sie nicht in Gefahr bringen, indem sie in Panik geriet. Sie hatte das Drake bislang vorenthalten, aber die Vorstellung, nachts in ein schlammiges Gewässer zu steigen, das voller hungriger, aggressiver Alligatoren steckte, jagte ihr doch tatsächlich Angst ein. Sie wollte sich merken, dass das ein gutes Thema für eines ihrer nächsten Dates wäre.

Saria spürte, wie ein kleiner Ast unter ihrem Fuß nachgab und verlagerte das Gewicht, um nicht auszurutschen. Sofort fasste Drake sie stützend am Arm. Sie leckte sich über die plötzlich trocken gewordenen Lippen. Im ersten Moment hatte der Ast sich wie ein kleiner Alligator angefühlt, sodass ihr Puls in die Höhe geschnellt war. Sie befanden sich nach wie vor dicht am Ufer, was auch nicht zu ihrer Beruhigung beitrug. Zu gern lungerten die Alligatoren in den schilfbewachsenen Untiefen herum.

Doch am Ende schluckte Saria ihre Angst hinunter und zwang sich weiterzugehen. Drake ließ ihren Arm nicht mehr los, wahrscheinlich weil er merkte, wie sie zitterte. In dem Augenblick, in dem sie wieder festen Boden betrat, überlief sie eine Welle der Erleichterung. Ihre Knie wurden weich und ihre Beine fühlten sich an, als wären sie aus Gummi, doch sie atmete mehrmals tief durch und ging weiter. Sobald sie sich vom Ufer entfernt hatten, wurde der Weg leichter und sie konnten schneller vorwärtskommen.

Saria entschied sich, keinen Jogginggang einzulegen, sondern so schnell zu laufen, wie sie es sich zutraute. Sie mussten das Südufer des Sumpfes erreichen, bevor das Boot die Landspitze umrundet hatte. Auf dem Wasser waren das mehrere Meilen, während sie mit Drakes Team eine Abkürzung nehmen konnte. Das sparte viel Zeit. Die Vegetation war sehr dicht, bestand aber hauptsächlich aus wirren Ranken, Bäumen und Sträuchern. Und der Boden jenseits der Uferregionen trug. Saria war die Kleinste in der Gruppe und musste mehrmals den Kopf einziehen, doch die Männer duckten sich ständig unter tief hängenden Ästen, Moosschleiern und Lianen hinweg, um nicht hängen zu bleiben. Trotzdem geriet keiner von ihnen aus dem Takt. Langsam dämmerte Saria, dass sie es mit Menschen zu tun hatte, die in vielen verschiedenen Umgebungen viel erlebt hatten und schwer zu erschüttern waren.

Sie rannte durch den Regen über einen schmalen Wildwechsel, wobei Dreck und Wasser nach allen Seiten spritzten. In diesem Teil des Sumpfes hatte sie viel Zeit verbracht, um das Geschehen in den Vogelnestern auf Film zu bannen. Abgesehen von ein paar Rotluchsen, die aber stets vor ihr geflüchtet waren, gab es dort keine Raubtiere zu befürchten. Dies war der einzige Abschnitt, in dem sie Zeit aufholen konnten, ehe sie das zweite gefährliche Ried erreichten, wo, wie sie wusste, ein sehr großer männlicher Alligator hauste. Es war allgemein bekannt, dass er sogar Artgenossen tötete und fraß. Er stahl die Köder aus den Fallen und verbog selbst die größten und stärksten Haken, mit denen die Jäger ihn fangen wollten.

Sie mussten sozusagen quer durch sein Wohnzimmer zum Ufer der nächsten Landzunge und von da zu einem Vorsprung auf der anderen Seite laufen, um das Boot wiederauftauchen zu sehen und das genaue Fahrtziel auszumachen.

Saria befeuchtete die trockenen Lippen und watete in das Schilf. Es gab auch Zypressenbäume, die knietief im trüben Wasser standen, sogar einen ganzen Wald davon, mit vielen verrotteten Stümpfen, die zusammen mit den weitverzweigten Luftwurzeln echte Stolperfallen bildeten. Der Alligator hatte zahlreiche Verstecke. Sie war müde und nach dem langen Lauf und der ständigen Wachsamkeit war ihr Körper schwer wie Blei.

Auf halbem Wege zum nächsten Ufer sah Saria zu ihrem Entsetzen, dass eine Wassermokassinschlange direkt auf sie zukam. Sie hielt das Gewehr an sich gedrückt, um es trocken zu halten, und weglaufen konnte sie nicht. Der Kopf des Reptils war nur noch wenige Zentimeter von ihrer Hüfte entfernt, als Drake blitzschnell zuschlug. Er traf die Schlange gleich hinter dem Kopf, riss sie aus dem Wasser und schleuderte sie weg. Saria hörte, wie sie rechts von ihr gegen einen Baum prallte.

Sie öffnete den Mund, um Drake zu danken, brachte aber kein Wort heraus, also ging sie einfach weiter. Falls der große Alligator, der hier sein Revier hatte, in der Nähe war, zeigte er sich nicht, daher schafften sie es zum Ufer und liefen weiter.

Die Durchquerung des Sumpfes schien ewig zu dauern. Die kürzeste Strecke zwischen den beiden Wasserwegen war voller Löcher und unter mindestens zwei Zentimetern Wasser begraben, sodass es schwierig war, das schmale Stück festen Grundes zu treffen. Mehrmals mussten sie sich auf kleine Steine retten, um nicht in den Morast einzusinken.

Als sie das Ufer erreichten, tauchte gerade auch das Boot auf und näherte sich langsam der Anlegestelle der Merciers. Ein Mann stand wartend auf dem hölzernen Steg, der auf den Fluss hinausragte. Das Boot gehörte definitiv Armande und Charisse, doch gelenkt wurde es von den beiden Tregres.

Langsam atmete Saria aus, ganz leise, und wenn es einen passenden Platz gegeben hätte, hätte sie sich kurz hingesetzt, doch sie hatten immer noch einen weiten Weg vor sich.