20. Kapitel
Wie lange dauerte es bei einem Karpatianer, bis solch furchtbare Wunden heilten? Eine Woche? Zwei? Einen Monat? Marguarita ging langsam durch das dunkle Haus zu ihrem eigenen Schlafzimmer und Bad. Sie hatte gelernt, von Julio und Cesaro Blut zu nehmen, was ihr ganz und gar nicht leichtfiel. Sie konnte inzwischen auch die ihr unangenehme Erde öffnen, aber aus Angst vor Spinnen wusch sie danach noch immer fieberhaft ihr Haar und ihren Körper. Es gab noch sehr viel, was sie nicht wusste und noch lernen musste.
Jeden Abend ging sie zu ihren geliebten Pferden, doch nicht einmal ihren peruanischen Paso zu reiten, eine ihrer größten Freuden, vermochte den Kummer zu verdrängen, der ihr das Herz schwer machte. Es nützte auch nichts, sich immer wieder zu sagen, dass Zacarias in Sicherheit war und in ihrem gemeinsamen Schlafzimmer unter der Erde ruhte. Ganz gleich, wie viele Tage sie neben ihm lag, ihn in den Armen hielt und ihm das lange Haar zurückstrich, um sein geliebtes Gesicht zu sehen, sie hatte noch immer Angst um ihn – und trauerte um ihn. Manchmal befürchtete sie, dass sie noch den Verstand verlieren würde.
Mehr als einmal, als sie neben Zacarias erwachte und Spinnen über sie krabbelten, hatte sie ihn in einem Wutanfall geschlagen, weil sie sich an die Unmengen von Spinnen erinnerte, in die sie gefallen war, ohne den geringsten Trost von ihm zu erhalten. Aber hauptsächlich versuchte sie, nicht um Zacarias zu weinen und ihn auch nicht anzuflehen zu erwachen. Sie brauchte ihn so sehr, doch sie wollte stark sein, wenn er zur Genesung Zeit und Kraft benötigte.
Außerdem gab es so viele andere Dinge, an denen sie arbeiten und mit denen sie sich die Zeit vertreiben konnte. Wie die Sache mit dem Bekleiden, die sie immer noch nicht richtig hinbekam. Normalerweise nahm sie ein Bad und zog sich auf ganz normale Art und Weise an, so wie immer schon. Das Bad war unerlässlich, weil sie ihre Angst vor Spinnen nicht loswerden konnte. Schließlich schlief sie in der Erde, Himmel noch mal, und wusste, dass die Biester die ganze Nacht dort herumkrabbelten und sich wahrscheinlich sogar in ihrem Haar einnisteten.
Sie zuckte zusammen, als starke Arme sie umfingen und sie Zacarias’ leises Lachen an ihrem Ohr hörte.
»Ich bezweifle sehr, dass Spinnen sich in deinem Haar einnisten, meine schöne kleine Närrin.«
Ihr Herz schlug schneller, und für einen Moment erstarrte sie aus Angst, nur zu glauben, dass er hinter ihr stand. Aus Angst, dass sie ihn sich aus purer Verzweiflung bloß eingebildet hatte. Ganz langsam drehte sie sich um und erhob den Blick zu ihm. Seine normalerweise schwarzen Augen hatten diesen fantastischen saphirblauen Glanz, den sie bekamen, wenn er sie ansah und besonders stark erregt war. Allein sein Anblick machte Marguarita ganz schwach.
»Ich habe geträumt, dass du mir einen Vortrag über Spinnen hieltest und mich vielleicht sogar ein oder zwei Mal schlugst. Könnte daran etwas Wahres sein?«
Marguarita lächelte. Möglich. Wenn ja, hattest du es auf jeden Fall verdient. Ihre Hand glitt zu seinem flachen, harten Bauch, über den jetzt Narben verliefen, wo die Haut vorher noch ganz glatt gewesen war. Ich dachte, die Narben würden auch verschwinden.
Es war das Einzige, was ihr zu sagen einfiel. Eigentlich wollte sie nämlich nichts anderes, als ihn zu küssen, ohne je wieder damit aufzuhören, und ihn so fest an sich zu drücken, dass sie beide nicht mehr atmen konnten, und ihn so tief in sich aufzunehmen, dass er nie wieder den Weg hinaus finden würde.
Er berührte ihren Hals. »Ich hatte auch gehofft, du würdest wieder sprechen können, wie du es dir so sehr gewünscht hast. Doch ich vermute, dass wir beide zu schwer verletzt waren. Sogar das machtvolle karpatianische Blut kann uns nicht vollständig heilen.«
Zacarias füllte das ganze Zimmer aus und überschwemmte ihre Sinne, sodass ihr Körper nach dem seinen griff, weil sie sich seiner so ungeheuer stark bewusst war. So sanft, dass sie die leichte Berührung fast nicht erkannte, drang Zacarias in ihr Bewusstsein ein. Das eisige Gefühl war da, doch statt des Gletschers schien das Eis durch seinen Geist zu treiben und sich langsam zu erwärmen.
Sie sah, wie der Ausdruck seiner Augen wechselte und Hunger und Verlangen sich mit der Freude, sie zu sehen, vermischten. Zacarias senkte den Kopf, und sie bot ihm den Mund zum Kuss. Er war heiß und dominierend, alles, was sie in Erinnerung hatte, und noch mehr. Marguarita gehörte ihm augenblicklich, schmiegte sich aus eigenem Antrieb hingebungsvoll und voller Zärtlichkeit an ihn, doch sie wurde auch von eigenen Forderungen getrieben. Zacarias nahm sich Zeit, sie wieder und wieder zu küssen, bis er ihr mit seinen heißen Küssen schier den Atem raubte.
Dann hob er widerstrebend den Kopf, nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und blickte ihr in die Augen, als suchte er dort nach irgendetwas. Schließlich erschien ein Ausdruck der Zufriedenheit in seinem Blick; anscheinend hatte er gefunden, nach was immer er Ausschau gehalten hatte.
Er schwenkte die Hand in Richtung Badezimmer, und sogleich wehte mit einer Wolke von Wasserdampf der Duft ihres Lieblingsbadeöls ins Zimmer. »Komm! Ich bringe dich in die Wanne.«
Du weißt, dass das nicht nötig ist. Es ist ein albernes Ritual, da wir uns doch auch mit einem einzigen Gedanken säubern können. Was ihr allerdings kein Gefühl von Sauberkeit gab und ihr auch nicht die irrationale Angst vor Spinnen in ihren Haaren nahm.
»Dein Bad ist ein schönes Ritual, und ich hoffe, dass du es noch viele Jahrhunderte beibehältst«, berichtigte Zacarias sie sanft. »Ein Ritual, das dir wichtig ist und mir zugleich viel Freude bereitet.« Er küsste die Innenfläche ihrer Hand. »Ich hatte deine Angst vor Spinnen nicht gesehen. Sie war zu tief in deinen Kindheitserinnerungen vergraben. Ich hätte besser achtgeben müssen, wie ich es von jetzt an vorhabe. Ich bin fest entschlossen, jeden Abend jeden Zentimeter von dir gründlich zu untersuchen, um sicherzugehen, dass diese lästigen Tierchen dich nicht wieder stören.«
Marguarita erschauderte, als sie das Krabbeln Tausender haariger Beine zu verspüren glaubte, und rieb sich die Arme, um das Gefühl loszuwerden. Zacarias hob ihr Kinn an, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als sich in seinen Augen zu verlieren, in diesen tiefen, dunklen Seen aus flüssigem Eis – die manchmal so kalt sein konnten, dass sie von einem tiefen Mitternachtsblau waren. Schon mit einem einzigen glutvollen Blick konnte er ihr den Atem rauben. Die Vorstellung, dass Zacarias sie jeden Abend »gründlich untersuchen« würde, ließ tausend Schmetterlinge in ihrem Bauch einen Freudentanz aufführen.
Zacarias nahm ihre Hand und zog daran, bis Marguarita ihm in das jetzt von Wasserdampf erfüllte Badezimmer folgte. Sehr sanft hob er sie auf und ließ sie in das tiefe Wasser der altmodischen Wanne mit den Klauenfüßen sinken. Ihren Kopf bettete er behutsam auf ein weiches Tuch am Rand der Wanne.
»Schließ die Augen und lass dich von mir baden! Und wenn ich fertig bin, kannst du sicher sein, dass keine einzige Spinne mehr in deiner Nähe ist. Denk an gar nichts und entspann dich, sívamet!«
Dankbar ließ sie sich noch tiefer in das Wasser sinken, das grün wie das einer Lagune war und sich himmlisch anfühlte. Marguarita schloss die Augen und tauchte auch den Kopf unter, um ihr langes Haar zu durchnässen. Von dem heißen, parfümierten Wasser und Zacarias’ hypnotisierend weicher Stimme ließ sie sich dann auf einer Welle des Glücks dahintreiben. Er lebte, und er war bei ihr. Was immer auch geschehen mochte, sie wusste jetzt, dass sie den Mann wollte, der er war – urwüchsig und immer in Alarmbereitschaft, falls es Schwierigkeiten geben sollte. Zacarias war zu großer Gewalttätigkeit imstande, wenn es nötig war, ein anspruchsvoller Geliebter – und ein ebenso anspruchsvoller Partner.
Würde der Umgang mit ihm einfach sein? Marguarita versuchte nicht, sich diesbezüglich etwas vorzumachen. Zacarias hatte ihr seinen Geist anvertraut, seine Seele, alles, was ihn ausmachte, sodass sie alles von ihm sah und mit ihm teilte. Sie wusste, dass er sich nie wie ein normaler Karpatianer, der seine Seelengefährtin gefunden hatte, fühlen würde, wenn er nicht fest in ihr, Marguarita, verankert war. Doch was er vielleicht niemals verstehen würde, war, dass es sie ängstigte, ihn sich auf der Jagd vorzustellen ohne das Dunkel in ihm, das ihm diese zusätzliche Schärfe gab. Deshalb musste er es sich bewahren. Weil er niemals die Jagd aufgeben würde, um Böses zu vernichten. Nie. Und so sollte es auch sein.
Den Kopf an den Wannenrand gelehnt, Zacarias’ Hände in ihrem Haar, die das Shampoo einmassierten, hatte Marguarita das Gefühl, sich in einer Art Traumwelt zu befinden. Zacarias murmelte leise Worte in seiner eigenen Sprache, und Marguarita überließ sich diesem Singsang seiner rauen und dennoch samtenen Stimme und gab sich ganz in seine liebevolle Obhut. Es gab nur diesen Moment, Zacarias und das sinnliche Vergnügen des heißen Wassers auf ihrem Körper.
Marguarita hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verging. Das Wasser blieb heiß, während er ihr Haar ausspülte und danach ihren Körper zu waschen begann, ihr Gesicht zuerst und dann mit größter Gründlichkeit und Sanftheit alle anderen Körperteile. Tränen brannten hinter ihren Lidern, denn so zärtlich hatte sie sich ihn nie vorgestellt. Sie bezweifelte sogar, dass er selbst sich dieser Fähigkeit zur Zärtlichkeit bewusst gewesen war. Eine langsame Hitze durchflutete Marguarita, als die Berührungen seiner Hände sinnlicher und fordernder wurden. Mit der gleichen Umsicht, wie er sie gewaschen hatte, trocknete er sie ab, nahm sich Zeit für ihr Haar und trocknete es, während er es ausbürstete. Erst dann hob er sie auf die Arme und trug sie zu ihrem Bett.
Mit exquisiter Zärtlichkeit legte er sie auf die kühlen Laken. Dort in der Dunkelheit, mit seinem außergewöhnlich guten Sehvermögen, untersuchte er noch einmal ihren Körper, weil Zacarias sich wieder einmal jeden Zentimeter von ihr einprägen musste und sich mit eigenen Augen überzeugen wollte, dass keine Spuren von der Umwandlung oder DS’ Misshandlungen zurückgeblieben waren. Seine Zunge glitt verführerisch über ihren Mund, seine Fingerspitzen streichelten ihre Brüste, wanderten zu ihren Rippen hinunter und über die Biegung ihrer Hüfte noch ein wenig tiefer. Plötzlich ergriff ihn ein heftiges Verlangen nach ihr, und er wollte jeden Zentimeter von ihr kosten. Sie war seine Frau – die einzige, die es je in seinem Leben geben würde, die sein Herz erfüllen und seine Seele so weit wiederherstellen würde, dass er ein Leben haben konnte.
Sein Mund kehrte zu ihrer Brust zurück, um deren zarte Spitzen zu liebkosen. Als er die Hitze, die in Marguarita aufstieg, spürte, schob er ein Knie zwischen ihre Beine und spreizte sie ein wenig. Er wollte sich Zeit lassen und sie auf solche Höhen der Ekstase führen, dass sie nie wieder herunterkommen würde. Aber er fieberte auch danach, sich mit ihr zu vereinen, mit Körper und Seele mit ihr eins zu werden. Er musste sich wieder vollständig fühlen. Das Dunkel in ihm musste so weit zurückgedrängt werden, dass es Wochen brauchen würde, um zurückzukehren.
Komm zu mir!, lud er sie zärtlich ein. Schenk mir deine Liebe, Marguarita, deine Zärtlichkeit! Verströme dein Licht in mir und erfülle mich mit dir! Ich brauche dich.
Noch nie im Leben hatte er zugegeben, jemanden zu brauchen. Aber sie verstand, und er spürte, wie sie in ihn hineinglitt mit ihrem wundervollen Licht, so warm und erfüllt von einer Emotion, die er vielleicht niemals erfassen würde. Das Gefühl überwältigte ihn, und wie immer war er versucht, es beiseitezuschieben, aber nicht jetzt. Nicht in dieser Nacht. Sanft schob er die Hand zwischen ihre Körper, um ihre einladende Feuchte zu spüren. Er war groß, und sein Eindringen war für sie noch immer nicht ganz leicht. Und er wollte nicht riskieren, ihr wehzutun, egal, wie sehr es ihn drängte, mit ihr eins zu werden.
Zacarias blickte auf ihr Gesicht herab, um ihren Ausdruck zu beobachten, als er langsam in sie eindrang. Es war ein wundervolles Gefühl, wie ihre heiße, samtene Enge nachgab, als er nach und nach Besitz von ihr ergriff. Und die ganze Zeit über ließ sie Wärme in ihn einströmen. Liebe. Zacarias fühlte sich vollkommen von ihr umgeben. Sie war sein Zuhause. Er war endlich heimgekehrt. Als er sie vollkommen in Besitz genommen hatte, hielt er inne und verschränkte die Finger mit den ihren.
»Manchmal werde ich dich verrückt machen, Marguarita, aber ich schwöre dir, dass ich versuchen werde, dir Freude zu bereiten. Ich verspreche es dir von ganzem Herzen und gebe dir mein Ehrenwort darauf, dass ich mich stets bemühen werde, dich glücklich zu machen. Es gibt nur einige Dinge, von denen ich nicht sicher bin, dass ich sie ändern kann.«
Sie lächelte ihn an. Ich habe dich nicht gebeten, dich zu ändern – nur dein Leben mit meinem zu vereinen. Es gibt auch gute Dinge in meiner Welt, wenn du offen für sie bist.
Er zog sich zurück, um dann von Neuem in sie einzudringen, und konnte sehen, wie ihre Augen sich verschleierten. Zacarias liebte diesen Ausdruck auf ihrem Gesicht, diese wilde Lust und sinnliche Verzückung. Und es freute ihn zu wissen, dass er diesen Ausdruck auf ihre Züge brachte. Wieder verharrte er. »Ich habe Brüder, das weißt du. Wenn wir bei ihnen sind, darf ich nie sehr weit von dir entfernt sein. Ich brauche dich, um Gefühle empfinden zu können, die mir so lange, lange fehlten.«
Ein leises Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. Ich glaube nicht, dass das ein Problem sein wird.
Zacarias war voll und ganz verloren, und er war dankbar für dieses Gefühl. Er begann einen langsamen, überaus erotischen Angriff auf ihre Sinne, teilte mit Marguarita seine Gedanken, die immer stärker werdende Spannung und die exquisite Lust. Diese Frau würde stets seine Welt sein. Er würde sie teilen müssen mit der Welt, in der sie lebte – und die sie liebte -, aber für seine Seelengefährtin konnte er das schaffen.
Auf die Ellbogen gestützt, um sie nicht mit seinem ganzen Gewicht zu belasten, senkte er den Kopf auf ihre Brust. Diese Hazienda wird unser Zuhause sein, doch wir müssen auch reisen, Marguarita. Zusammen.
Das hoffe ich. Ich liebe es, was deine Hände, dein Mund und dein Körper mit mir anstellen. Ich bin süchtig nach dir. Aber mehr als das noch, Zacarias, bin ich sehr verliebt in dich. Und deshalb hoffe ich natürlich, dass du mich auf deine Reisen mitnimmst.
Zacarias spürte ihre Liebe in sich, die all die abgerissenen Verbindungen für ihn überbrückte und ihn mit ihrer Wärme umhüllte. Dank dieser Liebe war es in Ordnung, der zu sein, der er war, angeschlagen und ein bisschen gebrochen vielleicht.
Er küsste Marguarita, legte die Hände um ihre Hüften und hob sie an, um sich rückhaltlos dem leidenschaftlichen Vergnügen hinzugeben. Du bist der einzige Mensch, den ich jemals lieben werde.
Und das war die volle Wahrheit. Endlich hatte er ein Zuhause und jemanden, zu dem er gehörte. Marguarita. Sie war seine Welt.