7. Kapitel
Zacarias verlor sich in dem flüssigen Feuer, das durch seine Adern rann. Ein scharfer Schmerz durchzuckte seine Lenden, die brannten und pochten, bis er heiß und schwer wurde – für Marguarita. Die Empfindung war überwältigend, so umfassend und vollkommen, dass sie schon beinahe schockierend war. Nichts in seinem Leben hatte ihn auf diesen Ansturm auf seine Sinne vorbereitet, auf das animalische Begehren und hemmungslose sexuelle Verlangen, die nicht nur in seinem Bewusstsein, sondern auch in seinem Körper tobten.
Diese Frau hatte ihn für alle Zeit verändert, ihn und seine Welt, und wo kein Gefühl gewesen war, solange er sich zurückerinnern konnte, war jetzt sein ganzes Sein auf Marguaritas weichen, biegsamen Körper konzentriert, auf das Blut, das durch ihre Adern floss, und den femininen Duft, der den Mann in ihm ansprach.
Sie roch so gut, dass er der Versuchung, sie zu kosten, nicht widerstehen konnte, und ihr Körper wurde so nachgiebig, dass er sich an den seinen schmiegte, als gehörte er dorthin. Sofort schärften sich Zacarias’ Sinne; sie wurden so fein, dass er sich in den biochemischen Signalen einer Frau verlor, die nach ihrem Gefährten rief. Er zog Marguarita noch fester an sich, strich ihr Haar zur Seite und legte ihren Nacken frei. Dann senkte er den Kopf und fuhr mit der Zunge über das kleine Mal, das der Welt verriet, dass sie zu ihm gehörte.
Ein erwartungsvolles Erschauern durchlief Zacarias. Ihm war, als stünde die Welt still, als hielte er den Atem an und wartete einen Herzschlag lang, während er das Gefühl ihres warmen Körpers auskostete, ihren Duft und die glühende Schönheit ihrer Farben. Oh, Sterne und Mond dort oben! Er konnte sie tatsächlich sehen! Ihre geradezu unfassbar schönen Farben.
Von ungewohntem Begehren überwältigt, senkte er die Zähne in Maguaritas Schulter und stellte eine Verbindung zwischen ihnen her. Die Essenz dessen, was Marguarita ausmachte, ihr Leben spendendes Blut rieselte in seinen Mund wie der süßeste Nektar. Sie schmeckte exotisch, exquisit … sie schmeckte. Nichts hatte überhaupt je einen Geschmack für Zacarias gehabt. Er trank Blut, weil er es zum Leben brauchte, weil Blut das Leben war. Und in diesem einzigartigen Moment war das Leben Marguarita.
Sein ganzer Körper summte, seine Adern sangen schier vor Freude. Marguarita war ein Musikinstrument und spielte ein Lied, das nur für ihn geschrieben worden war. Er wusste, dass er der einzige Mann war, der jemals ihre wundervollen Töne hören würde, doch ihm war auch klar, dass er sie nicht behalten konnte. Er war gefangen in einem halben Leben und konnte sie nicht zu einer solchen Existenz verurteilen. Doch er hatte das Leben nie richtig gekannt, deshalb war das, was er mit ihr erlebte, im Moment genug – nein, alles für ihn.
Sie war wie eine Droge in seinem Organismus, wie flüssiges Feuer, das durch seine Adern rauschte und ihn mit einem Strahlen erfüllte. Die Welt um ihn herum war trist und leblos und stand in krassem Gegensatz zu ihren wie Juwelen funkelnden Augen und ihrem glänzenden blauschwarzen Haar. Sie war Farbe und Leben, der Grund, warum jeder Krieger die Plage des Vampirs bekämpfte. Und dass sie sein Grund war, das merkte Zacarias sofort. Er schmeckte es in seinem Mund und spürte ihre Schwingungen in seinem Körper.
Zacarias würde jetzt immer wissen, in welchem Teil des Hauses sie sich aufhielt, womit sie sich beschäftigte und was sie dachte. Er würde wissen, wie oft sie die Stirn runzelte oder ihr eigensinniges kleines Kinn vorschob, sich auf ihre entzückende Unterlippe biss oder lächelte. Durch ihren femininen Duft war er sich ihrer als Frau sehr stark bewusst, und er würde stets den genauen Moment bestimmen können, wenn sie den Kopf wandte und ihn ansah – oder an jemand anderen dachte! Denn er würde nie wieder ganz aus ihrem Bewusstsein hinaustreten, solange er in ihrer Nähe war. Oder zumindest nicht, bis er die Morgendämmerung suchte.
So überwältigt, wie er von der ersten richtigen Empfindung seines Lebens war, konnte er nicht den genauen Moment bestimmen, in dem sich alles für sie änderte. Gerade war sie noch bei ihm und brannte in dem erotischen Inferno, und im nächsten kämpfte sie. Wagte es, gegen ihn anzukämpfen. Wies ihn zurück. Damit weckte sie jeden seiner Jagdinstinkte, und die waren sehr scharf und ausgeprägt nach über tausend Jahren. Das Jagen war Zacarias angeboren; es lag ihm im Blut und in der Seele. Er hörte das warnende Knurren, das tief aus seiner Kehle kam, und merkte, wie er den Griff um ihren jetzt sehr stark angespannten Körper noch verstärkte.
Sie gab keinen Laut von sich, doch er spürte, wie verängstigt sie war. Marguarita wehrte sich verzweifelt, aber mit brutaler Härte presste er sie noch fester an sich. Es war gut über tausend Jahre her, seit jemand es gewagt hatte, sich ihm zu widersetzen. Im Grunde konnte Zacarias sich nicht einmal erinnern, ob das je geschehen war, und sie entfachte jedes seiner Bedürfnisse, zu erobern und zu beherrschen.
Seine Reaktion war mehr animalisch als menschlich, jedoch durch und durch männlich. Zacarias hatte ihren exquisiten Duft in sich aufgenommen, ihren biegsamen, nachgiebigen Körper an seinem gespürt, und seine Welt hatte sich verändert. Er wollte nicht, dass dieses Gefühl je endete, aber das hatte es schon und obendrein noch sehr abrupt. Marguaritas Duft umhüllte ihn – nur strahlte er diesmal nichts Verführerisches aus, sondern verriet nur nackte Angst vor ihm. Er hasste diesen Duft sofort.
Widersetz dich mir nicht! Er war zu sehr Raubtier, um die starken Instinkte unterdrücken zu können, die verlangten, dass er seine Beute unterwarf.
Ihr heißes Blut durchflutete seinen Organismus, und seine Adern kribbelten von der elektrischen Energie, die sich in ihm entfaltete und noch mehr Blut in seine Lenden pumpte, bis eine schon fast schmerzhafte Erregung ihn erfasste. Doch während er die lustvollste erotische Erfahrung seines Lebens machte, war Marguarita vollkommen verängstigt. Ihr ganzer Körper hatte sich versteift, und ihr Geist stieß einen verzweifelten Protestschrei nach dem anderen aus. Ihre Lungenflügel brannten, weil sie nicht genügend Luft bekamen. Zacarias konnte sehen, dass sie fast völlig abschaltete vor Angst vor ihm.
Hilf mir, Marguarita. Du musst aufhören, dich zu wehren, sonst kann ich die Kontrolle nicht zurückgewinnen.
Seine Arme waren wie Eisenstäbe, die sie an ihn pressten. Ihre lautlosen, panischen Schreie hallten in seinem Bewusstsein wider. Wieder versuchte er, sie zu erreichen: Embe karmasz, bitte!
Er konnte sich nicht erinnern, schon einmal jemanden um etwas gebeten zu haben, doch es war zwingend notwendig, dass sie aufhörte, sich zu wehren, und sogar noch wichtiger, dass sie wieder das Gleiche verspürte wie er selbst. Die Barrieren, die ihr nach der Geburt ins Bewusstsein eingesetzt worden waren und sich mit jeder Generation ganz offensichtlich noch verstärkten, konnte er überwinden. Aber seine Macht benutzte er eigentlich nur, um seine Opfer zu beruhigen, und Marguarita war kein Opfer. Es erschien ihm falsch, psychischen Zwang auf ihr Bewusstsein auszuüben und dort Gefühle und Erinnerungen einzupflanzen, die nicht der Realität entsprachen.
Es mussten sein Tonfall und die sanfte Bitte in seiner eigenen Sprache sein, die ihre Panik durchdrangen, denn an ihrem tiefen Einatmen und ihrer erzwungenen Ruhe merkte er, dass sie einen Entschluss gefasst hatte. Endlich konnte er den Kopf heben und mit der Zunge über ihren Nacken streichen, um die kleine Bisswunde zu schließen. Dann hielt er Marguarita in den Armen und konnte das schnelle Klopfen ihres Herzens hören und an seiner Brust wahrnehmen. Erleichtert drückte er das Gesicht in ihr seidenes Haar, hielt sie einfach nur in den Armen und atmete für sie beide.
In seiner eigenen Sprache flüsterte er ihr sanfte Worte zu, obwohl er selbst kaum wusste, was er sagte. Er spürte nur, dass diese Worte aus seinem tiefsten Inneren kamen, von einem Ort, an dem er noch nie gewesen war, den er noch niemals berührt hatte und von dem er nicht einmal gewusst hatte, dass er existierte. Marguarita rührte einen unbekannten Vorrat an Zärtlichkeit in ihm an – der ihm so unbekannt war, dass Zacarias im Grunde nicht mal wusste, was er damit anfangen sollte. Er war ein uralter Karpatianer, einer der ältesten und erfahrensten, und völlig überfordert mit all dem.
»Te avio päläfertiilam – du bist meine Seelengefährtin, eine Frau, die für mich über allen anderen steht. Was von meiner Seele geblieben ist, hältst du in deinen Händen. Ich würde für dich töten. Ich habe vor zu sterben, um dich zu beschützen und dich abzusichern. Fürchte mich nicht, Marguarita! Ich möchte nur ein paar Nächte mit dir glücklich sein. Hab keine Angst mehr!«
Er war schockiert über seine Erklärung, obwohl Marguarita nicht einmal ganz verstehen konnte, was er ihr zu sagen versuchte. Sanft drückte Zacarias das Gesicht in ihr duftendes Haar und hielt sie fest umfangen, während er einen Weg suchte, sie beide zu beruhigen. Zacarias war für jeden Kampf gewappnet – außer für den des Herzens. Zum ersten Mal in seinem Leben war er wirklich restlos überfordert.
Marguaritas Herzschlag und Atem beruhigten sich. Sie bewegte sich endlich wieder und legte den Kopf zurück, um zu Zacarias aufzuschauen. Sein Herz zog sich zusammen, und er konnte spüren, wie ihn der Mut verließ, als er die Tränen in ihren Augen sah.
Tränen hatten ihn nie bewegen können. Tatsächlich musste er sogar zugeben, noch niemals darüber nachgedacht zu haben, was sie bedeuteten oder warum Menschen weinten. Kummer war ihm ebenso unbekannt wie andere Gefühle, aber plötzlich waren diese Tränen wie ein Messer in seinem Herzen, viel schlimmer als Zähne eines Vampirs, die ihm das Fleisch zerfetzten.
Es tut mir leid. Ich war nicht darauf gefasst, wie es sich anfühlt. Ich werde mich nicht mehr wehren.
Sie senkte den Kopf schnell wieder, doch Zacarias hatte den Anflug von Beklemmung in ihren Augen schon gesehen.
Er runzelte die Stirn. »Warum hast du Angst davor, mein Blut zu nehmen? Das ist doch etwas ganz Natürliches.«
Er spürte, dass ihr Herz schon wieder schneller schlug, und hielt sie in den Armen, weil er ihren Herzschlag, ihre Wärme und Weichheit fühlen wollte. Er wollte ihre Kapitulation, aber nicht auf diese Weise. Sanft hob er ihr Kinn ein wenig an, damit sie seinen Blick erwidern musste. Sie sah ihm prüfend in die Augen und schien etwas zu suchen – eine Versicherung vielleicht, dass er ihr nicht böse sein würde, wenn sie die Wahrheit sagte?
»Erklär es mir!«, beharrte er leise. »Und sei bitte ehrlich.« Weil er es wissen musste. Ihre Gründe zu verstehen war für ihn so notwendig wie das Atmen, was ein seltsames Gefühl für ihn war. Warum legte er so viel Wert darauf, ihre Beweggründe zu kennen?
Es dauerte einen Moment, bis sie den Mut aufbrachte zu antworten.
Für mich ist es nichts Natürliches, auf diese Weise Blut zu geben. Nicht weit von der Stelle, wo du dich an mir nährst, hat mir der Vampir die Kehle zerrissen, und deshalb … geriet ich in Panik. Und dann …
Zacarias empfing den Eindruck eines wilden Tieres, das sie angriff. Er hatte nicht bedacht, dass ihr Blut zu nehmen wie ein Angriff aufgefasst werden könnte. Schließlich wusste ihre ganze Familie, dass Karpatianer von Blut lebten, und sie alle hatten geschworen, ihn, seine Brüder und deren Gefährtinnen damit zu versorgen.
»Ich würde dir nicht wehtun.«
Ihre Hand glitt zu der Stelle an ihrem Nacken, wo sich sein Mal befand, das die Farbe einer Erdbeere und in der Mitte zwei kleine Einstichspuren hatte. Ich weiß.
Der Eindruck, den sie ihm übermittelte, war gemischt. Ihr war ganz und gar nicht klar, dass er ihr niemals wehtun würde. Sie war sich nicht in vollem Umfang der Tatsache bewusst, dass sie eigentlich der sicherste Mensch auf dem Planeten war. Weil er ihr Beschützer war und für ihre Sicherheit sorgen würde. Er würde sie sogar vor ihm selbst beschützen, was die größte Aufgabe zu werden schien. Doch zuerst musste sie ihre Ängste überwinden, ihm Blut zu geben.
»Du weißt es nicht. Du fürchtest mich.« Er würde keine Lügen zwischen ihnen dulden, und sich selbst zu belügen wäre sogar noch schlimmer.
Sie schluckte und nickte widerstrebend. Dabei drückte sie die Hand noch fester gegen die Bisswunde, als schmerzte sie. Zacarias’ Stirnrunzeln vertiefte sich. Hatte er ihr wehgetan? Sein Speichel enthielt ein natürliches Betäubungsmittel – müsste das nicht jeden Menschen davor bewahren, Schmerzen zu verspüren? Er hatte nie Kontakt mit dieser Spezies gehabt, außer, um ihr Blut zu nehmen, oder falls es irgendwann einmal vorgekommen war, erinnerte er sich nicht daran. Vielleicht hatte er schon so lange nichts mehr gespürt, dass sogar sein Erinnerungsvermögen nachließ? Selbst die Männer und Frauen, die seit Generationen seiner Familie dienten, mieden ihn – und er sie.
»Tut das weh?«
Marguaritas erste Reaktion war ein Nicken, doch dann wechselte ihr Ausdruck, und diesmal runzelte sie die Stirn, als könnte sie sich nicht entscheiden.
»Zeig mir, wie es sich anfühlt!«
Bevor er wusste, wie ihm geschah, drückte sie das Gesicht an seine Brust und biss ihn fest. Der Schmerz durchzuckte ihn, und er stellte ihn automatisch ab, schockiert, dass sie so etwas gewagt hatte. Niemand griff ihn an – weder mit den Händen noch mit den Zähnen! Das duldete er einfach nicht.
»Was tust du, kislány kunenak – kleine Närrin?«
Du wolltest doch, dass ich es dir zeige.
Sie strahlte eine solche Genugtuung aus, dass aus dem Nichts heraus wieder dieses seltsame Gefühl der Heiterkeit in Zacarias aufstieg, wie so oft, wenn er mit ihr zusammen war. Sie biss ihn, und er fand das auch noch lustig! »Ich habe dir nicht erlaubt, mich zu beißen. Ich meinte, du solltest es mir in deinem Kopf verdeutlichen. Zeig mir, wie der Schmerz sich anfühlt.«
Das hast du selbst gespürt, als ich dich gebissen habe.
Er strich über ihr langes, seidiges Haar, das jetzt sogar noch schwärzer war als vorher und so glänzend, dass er kaum den Blick abwenden konnte. »Ich spüre keinen Schmerz.«
O doch. Du willst es nur nicht wahrhaben. Ich war in deinem Bewusstsein und habe es gefühlt.
Er schloss sie noch fester in die Arme. Warum brachte sie sich in eine Lage, in der sie nicht nur ihren eigenen Schmerz, sondern auch den seinen fühlte? »Ich verstehe dich nicht, Marguarita. Es ist doch völlig sinnlos, was du da versuchst. Du hast Angst, dass ich dir wehtue, und dann verbindest du dich mit meinem Geist, um auch jeden Schmerz zu spüren, den du mir verursachst. Ergibt das irgendeinen Sinn für dich?«
Ihr Blick wich lange nicht von seinem. Ein kleines Lächeln lenkte seine Aufmerksamkeit auf ihren schönen, sexy Mund. Sein Körper reagierte wieder, eine Welle heißen Blutes schoss durch seine Adern, um sich an einer einzigen Stelle zu konzentrieren. Marguaritas Augen waren weich geworden; sie waren wie Seen aus dunkler Schokolade, in denen Diamantsplitter glitzerten. In diesen Augen würde er sich verlieren, wenn er zu lange hineinsah. Aber das durfte er nicht. Und das wusste und akzeptierte Zacarias. Er war so düster wie der Schwarm von Vögeln, der über der Ranch kreiste, um ihn zu suchen – ausgesandt von den übelsten Kreaturen, die auf Erden wandelten.
Er hatte nie Güte oder Zärtlichkeit gekannt. Da war nichts Entgegenkommendes in ihm, keine Schwächen oder wunden Punkte, und es hatte sie auch nie gegeben. Zacarias war schon ohne diese Eigenschaften geboren worden; er war von Anfang an so dominant gewesen und dann in Zeiten der Kriege und Unsicherheiten zu einem einsamen Jäger herangewachsen, der außerstande war, Skrupel zu empfinden, wenn er jemanden verletzen musste. Es ging ihm stets nur darum, sein höchstes Ziel zu erreichen: seine Spezies zu schützen.
Dass der Schutz seiner Frau für einen Mann an erster Stelle kam, war ein geheiligtes Gesetz, und dass sie sich seiner Führung anvertraute, seine einzige Art zu leben. Nur war das leider nicht mehr so in der modernen Welt. Vielleicht war es ja auch nie so gewesen. Zacarias war ein Mann, der keine Artigkeiten kannte, und die besten Manieren der Welt würden nicht ändern können, was er war: ein Killer. Er entschuldigte sich nicht für seine Lebensweise und würde es auch niemals tun. In einer anderen Zeit, lange vor dieser, hätte er vielleicht noch versucht, unter einen Hut zu bringen, was er war und wer er für Marguarita würde sein müssen – doch diese Zeit war längst vorbei. Und heute war es unmöglich.
Ihr Blick wich noch immer nicht von seinem, und Zacarias fand einen gewissen Trost in ihrer Schönheit und in ihrem Mut. Marguarita konfrontierte ihn trotz ihrer Ängste, sie hatte ihn gerettet, und wenn es für ihn Zeit wurde zu gehen, würde sie seinem Tod mit dem gleichen Mut ins Auge sehen. Er würde es ihr so leicht wie möglich machen, und sie würde nie erfahren, was es ihn kostete. Ihr Blick suchte nach etwas in ihm, von dem er wusste, dass es nicht vorhanden war. Er konnte sie nicht mit liebevollen Worten beruhigen und ihr ein höfliches, zuvorkommendes Benehmen versprechen. Er kannte ja nicht einmal die Regeln dieses Spiels. Deshalb nahm er nur ihr Gesicht zwischen seine Hände und sah ihr bittend in die Augen.
»Mach es mir verständlich!«
Sie befeuchtete die Unterlippe, und er hatte plötzlich den Wunsch, sich vorzubeugen und sie zu küssen – um ihn wieder zu kosten, diesen unbeschreiblichen Geschmack, den er jetzt auf eine neue, andere Art begehrte.
Du hast mir beim ersten Mal wehgetan und mir Angst gemacht. Genau wie der Vampir.
Zacarias runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf; er war verärgert, dass sie so von ihm dachte. »Es war eine Lektion – und eine, die du dringend brauchtest. Er war schlecht, und er hat dir die Kehle herausgerissen. Nur so zum Spaß hätte er dich getötet. Wärst du nicht so …« Unbedarft. Das Wort vibrierte zwischen ihnen in der Luft und in ihrem Bewusstsein. Zacarias räusperte sich, als er den Sturm sah, der sich in ihren Augen zusammenbraute. »… so stur, würdest du mühelos den Unterschied zwischen uns erkennen und bräuchtest keine Erinnerung daran, dass du sofort und ohne Widerspruch zu gehorchen hast. Diese eine Lehre müsste für ein Leben reichen. Es ist nicht gut, mich zu verärgern.«
Lehre? Das nennst du, mich etwas lehren? Du hast mir eine Höllenangst eingejagt.
»Die solltest du auch haben. Wenn ein karpatianischer Jäger etwas von dir verlangt, hat er seine Gründe. Weil es normalerweise um Leben und Tod geht. Schreib dir das lieber hinter die Ohren, statt je wieder zu zögern.«
Und Julio? Du sahst aus, als wolltest du ihn umbringen.
Ihre Augen waren groß und dunkel geworden, und ihre langen Wimpern flatterten nervös. Aber sie wandte den Blick nicht ab. Sein Körper reagierte mit sofortiger Anspannung auf ihre Frage, und etwas Tödliches regte sich in seiner Seele. Bei ihr dagegen spürte er, wie etwas in ihr weicher wurde, als sie an Julio dachte. Ihre Gedanken waren voller Wärme, und Zacarias las uneingeschränktes Vertrauen darin. Doch diese Gefühle sollte sie nur einem Mann entgegenbringen – ihrem Seelengefährten – statt irgendeinem Kindheitsfreund.
Sein Blick ließ ihren nicht mehr los. Er würde seiner Frau nur die Wahrheit sagen. »Es ist unvernünftig von einem Gefährten, andere Männer in die Nähe seiner Frau zu lassen. Die Tiere im Dschungel dulden so etwas nicht.«
Zacarias beobachtete, wie sie nach Luft schnappte. Sie war ganz und gar nicht unbedarft. Er sagte ihr, dass sie zu ihm gehörte. Und sie hatte ihn verstanden, das zeigte sich in ihrem zurückhaltenden Blick. Sie schwieg einen Moment, und ihre Augen suchten in seinen wieder dieses schwer zu fassende Etwas, das er nicht zu geben wusste.
Wir sind keine wilden Tiere.
In diesem Punkt durfte es keine Irrtümer, keine Missverständnisse zwischen ihnen geben. »Ich schon.«
Marguarita schüttelte nur stumm den Kopf, aber er wusste, dass sie den Killer in ihm erkannte.
»Du weißt, was ich bin, Marguarita. Ich kann nichts anderes sein.«
Sie blinzelte, schluckte und befeuchtete die Lippen. Dann ist es ja gut, dass ich nicht deine Frau bin.
Er fuhr mit der Hand durch ihr langes, seidiges Haar und war selbst erstaunt über die Sanftheit seiner Berührung – und die unerwartete Nachgiebigkeit in ihm. »Du weißt, dass das nicht stimmt.«
Sie holte Luft, und wieder roch er Angst, doch dieses Mal war sie vermischt mit etwas anderem – Interesse? Sie war nicht völlig immun gegen ihn, und das beunruhigte sie.
Ich bin nichts weiter als eine Dienstbotin, señor
»Zwischen uns ist mehr als zwischen einer Dienstbotin und ihrem Herrn, und wenn du es noch so gern abstreiten würdest. Aber für den Moment wird das genügen. Ich will nicht, dass du fürchtest, mein Blut nehmen zu müssen. Ich werde mehr Rücksicht auf deine Empfindlichkeiten nehmen.«
Sie blinzelte mehrmals und hätte sich vielleicht abgewandt, hätte er ihr nicht den Weg verstellt. Es faszinierte ihn, wie ihre Augen von dem dunklen Schwarz mit Diamantsplittern zu einem noch tieferen Ton wechselten, in dem jeder Glanz erloschen war. »Wolltest du nicht vorhin Tee trinken und etwas essen?«
Sie warf einen Blick auf das Essen auf der Arbeitsfläche und schüttelte den Kopf. Ein Eindruck von Kälte erreichte Zacarias. Er schwenkte die Hand, und sofort stieg von der Tasse und dem Teller wieder Dampf auf. Marguaritas Lächeln war unsicher und fast ein wenig scheu, doch er fand den Kontrast zu ihren pinkfarbenen Lippen und weißen Zähnen wunderschön. Ihre Augen waren mittlerweile braun, und er konnte jetzt auch kleine goldene Sprenkel darin sehen.
Sie hob die Teetasse auf, und Zacarias trat zurück, um ihr gerade so viel Raum zu lassen, dass sie ihn nicht streifen musste, als sie zum Tisch ging. Sie war vorsichtig, und ihre Hand zitterte nur ganz leicht, als sie die Steinguttasse absetzte. Er wusste, dass er stets jede Nuance und jedes kleinste Detail sehen und sich jeder ihrer Bewegungen bewusst sein würde, bis zum Flattern ihrer Wimpern.
Marguarita setzte sich und beobachtete ihn einen Moment. Sie war noch immer so nervös, als befände sie sich in einem Käfig mit einer großen Dschungelkatze. Er pirschte sich an sie heran und konnte nicht widerstehen, sie leise anzufauchen, weil er wusste, dass sie große Augen machen und dann lächeln würde. Und da kam es auch schon, dieses langsame, herzbewegende Lächeln, das ihn zu durchfluten schien wie eine Welle. Es war zunächst sanft und nahm dann an Kraft zu, bis es wie Hitze und Feuer war, die geradewegs in seine Lenden schossen.
Sie trank einen Schluck Tee. Hör auf damit! Du willst mir nur Angst einjagen.
Zum ersten Mal war der Eindruck ihres Lachens so stark, dass er in Zacarias’ Bewusstsein widerhallte. Es war nicht nur vorsichtige Belustigung. Er hatte sie mit voller Absicht geneckt, und sie hatte reagiert. Es erfüllte ihn mit einer gewissen Befriedigung, dass ihr bewusst gewesen war, dass er nur scherzte. Es war eins von einer Million Dingen, die er vorher nicht verstanden hatte, aber er wollte, dass sie lächelte, und musste etwas unternehmen, damit sie ihre Ängste überwand.
»Im Moment hast du, glaube ich, gar nicht so viel Angst vor mir«, erklärte er und pirschte weiter wie ein Raubtier durch den Raum.
Die Küche war so groß, dass er jede Menge Platz hatte, aber Zacarias hatte sich nur selten, falls überhaupt je, in einem anderen geschlossenen Raum als einer Höhle aufgehalten, und er empfand die Wände als erdrückend. Er konnte die Luft nicht riechen, nicht unablässig Informationen sammeln.
Was macht dich so nervös? Der dunkle Vogelschwarm?
Zacarias hielt abrupt in der Bewegung inne. Interessant. Sie wusste, dass die Vögel mit dem Makel des Bösen behaftet waren, und sie erinnerte sich an sie, nachdem er gerade erst im Zusammenhang mit den Schatten in seinem eigenen Geist und Körper an sie gedacht hatte.
»Ich bin es nicht gewöhnt, mich drinnen aufzuhalten. Stört es dich, so einen unruhigen Geist um dich zu haben?«
Sie aß etwas von ihrem Rührei und musterte ihn aufmerksam. Nach einer Weile schüttelte sie den Kopf. Du bist sehr groß und kräftig und neigst manchmal dazu, den ganzen Raum zu dominieren. Aber ich glaube, ich gewöhne mich langsam an dich und deine geschmeidige Art, dich zu bewegen. Du erinnerst mich an einen Jäger.
»Ich bin ein Jäger.« Er wollte sich an ihre Art gewöhnen. Es lag sehr viel Anmut in ihren Handbewegungen, in der Haltung ihres Kopfes und in ihrer Sitzweise. Er mochte das leise Rascheln ihres Rocks und das lange Haar, das wie ein seidener Wasserfall über ihren Rücken bis zu ihrer Taille hinunterfiel. Ja, ihr Haar faszinierte ihn. Es wirkte so lebendig mit seinem Glanz und war irgendwie immer in Bewegung. Seltsamerweise schien sich die Haarfarbe zu vertiefen, je länger er in ihrer Gesellschaft war.
Glaubst du, dass wir angegriffen werden? Die Vögel suchen dich, nicht wahr?
Zacarias las Furcht um die anderen in ihr. Er konnte sehen, dass sie gar nicht erst daran denken wollte, was mit ihr geschehen würde. Ihre größte Sorge jedoch galt ihm. Sie hatte Angst um ihn, und das machte eigentlich keinen Sinn. Eigentlich müsste sie wünschen, er würde die Vampire von ihr und der Hazienda weglocken, doch Zacarias konnte sehen, wie ihr der Gedanke widerstrebte, er könnte gefunden werden. In ihrem Bewusstsein sah er sogar sich selbst unter der Erde, falls er sich verbergen müsste.
Er zwang sich, die Küche zu durchqueren, sich einen Stuhl heranzuziehen und sich zu Marguarita zu setzen. »Möchtest du wirklich die Wahrheit über diese Vögel hören? Und was sie mit der Familie de la Cruz zu tun haben? Wenn du es willst, werde ich dir die Wahrheit sagen, also überleg dir gut, was du dir wünschst.«
Sie trank einen weiteren Schluck Tee und betrachtete sein Gesicht über den Rand der Tasse hinweg. Ihr Blick war sehr ernst geworden, und er konnte sehen, wie sie im Geiste seine Worte abwog. Als sie dann langsam nickte, wirkte sie sehr entschieden.
»Nach dem Angriff auf dich stellte sich heraus, dass die Köpfe der Verschwörung, den Prinzen der Karpatianer zu ermorden, eine Armee um sich versammelt hatten und den Plan gegen den Prinzen ausführen, ihn aber vorher auf einem unserer Familiensitze erproben wollten. Wir waren überzeugt – und hatten recht damit –, dass es sich um unseren größten Besitz in Brasilien handelte. Die meisten Mitglieder meiner Familie und ihre Gefährtinnen halten sich dort auf, und es war daher nur logisch, dass sie uns alle auf einen Schlag erwischen wollten.« Er bleckte die Zähne. »Sie hatten nur nicht damit gerechnet, mich dort anzutreffen.«
Marguarita befeuchtete die Lippen. Dann teilte sie sie, und Zacarias verlor den Faden. Sie blinzelte mehrmals, und er merkte, wie er ihre Wimpern bewunderte, die dicht, lang und fedrig waren. Komisch, aber solche Einzelheiten hatte er noch nie bei einer anderen Person bemerkt! Marguarita runzelte die Stirn und zog die Brauen zusammen, worauf für einen Moment winzige Fältchen erschienen, die sich jedoch gleich wieder auflösten wie das Grübchen an ihrer rechten Wange, wenn sie aufhörte zu lächeln.
Und? Haben sie alle zusammen erwischt?
»Dachten sie. Aber sie hatten nicht mit mir oder einem anderen Krieger namens Dominic gerechnet. Und sie hatten auch nicht bedacht, dass die Frauen kämpfen würden – und die Menschen.« Marguaritas Verletzungen, nachdem der Haubenadler sie durch die Luft getragen hatte, hatten Zacarias die Zerbrechlichkeit der Menschen viel bewusster gemacht – und doch waren seine Leute in Brasilien bereit gewesen, freiwillig in den Kampf zu ziehen, um den Besitz zu verteidigen.
Wussten sie, worauf sie sich einließen?
Zacarias’ Kopf fuhr hoch. »Liest du meine Gedanken?«
Deine Gefühle. Du empfindest Trauer wegen der Gefallenen. Und du bewunderst sie.
Er schüttelte ablehnend den Kopf. Er empfand nichts! Sein Verstand klassifizierte sein neues Verständnis als Sachverhalt und legte es zu all den anderen Informationen, die er in seinem langen Leben gesammelt hatte. Aber Gefühle hatten keinen Platz in seiner Welt.
Wussten sie, wer ihre Gegner waren?, beharrte Marguarita.
Zacarias nickte. »Nicolas sprach mit allen und gab ihnen die Möglichkeit zu gehen. Ihnen wurde empfohlen, Frauen und Kinder wegzubringen, doch sie weigerten sich. Alle blieben, obwohl mein Bruder klarstellte, dass wir Verluste erleiden würden und dass keiner, der ging, das Recht verwirken würde, auch weiterhin für uns zu arbeiten. Ein Angriff einer ganzen Armee von Vampiren war noch nie zuvor geplant und ausgeführt worden, und wir wussten, dass es ein brutaler Kampf werden würde.«
Zeig es mir!
»Bestimmt nicht«, erwiderte er ruhig.
Er sah die langsame Röte, die unter ihre Haut kroch, die ungläubige Frage in ihrem Blick und auch den Anflug von Gekränktheit, der in ihre Augen trat. »Krieg ist nichts für dich. Du hattest eine Begegnung mit einem Vampir, und eine ist mehr als genug. Sie werden nicht mehr an dich herankommen, solange ich lebe.«
Marguarita legte die Gabel weg und sah ihm prüfend ins Gesicht. Ich arbeite für deine Familie. Wir mussten schwören, euch zu beschützen, señor, und das werde ich, genau wie die anderen, die hier angestellt sind. Wir sind genauso tapfer und loyal wie die, die euch in Brasilien dienen.
Zacarias brauchte einen Moment, um die Fülle der Eindrücke zu verarbeiten, die sie ihm übermittelte. Er hatte sie gekränkt. »Du missverstehst mich. Ich bin mir eurer Loyalität und Tapferkeit sehr wohl bewusst. Ich weiß, dass ihr alle die Absicht habt, mich zu beschützen …« Er hatte gedacht, dass er den Gedanken für lächerlich halten würde. Für eine Kinderfantasie. Aber jetzt merkte er, dass seine Einstellung sich geändert hatte, seit er Marguarita kannte. Im Stillen war er sogar erfreut darüber, dass sie an nichts anderes denken konnte, als daran, ihn zu beschützen, nun, da sie wusste, dass Vampire hinter ihm her waren. Gefühle waren merkwürdige Regungen und schwer zu akzeptieren, bei sich selbst und auch bei anderen. Emotionen komplizierten offenbar alles.
Marguarita schrieb ein Fragezeichen in die Luft. Zacarias schüttelte den Kopf und gab ihr keine Antwort. Er würde ihr nicht ihr Schreibzeug geben. Ihre Fähigkeit, sich auf geistigem Wege zu verständigen, wurde jedes Mal besser, wenn sie Bilder und Eindrücke der Worte formte, die sie sagen wollte. Er würde anders sein als ihre menschlichen Gefährten. Mit ihm konnte sie ohne Stimme »sprechen«. Das Intime daran gefiel ihm.
»Du wirst mir hierin gehorchen, Marguarita. Ohne Widerworte.«
Mit voller Absicht hielt er ihren Blick einen Moment lang fest, damit sie sah, dass eine sofortige Bestrafung folgen würde, falls sie es wagte, sich offen seiner Anordnung zu widersetzen. Und da er ihre krankhafte Neigung kannte, sich seinen Befehlen zu widersetzen, würde er sie sehr genau beobachten. Er wartete, bis sie zuerst den Blick abwandte, dann fuhr er fort.
»Wir haben sämtliche Vampire getötet, die geschickt worden waren, und auch die Marionetten, die sie geschaffen hatten. Die führenden Köpfe hatten keine Zeit, eine weitere Armee zu versammeln, um sie gegen mich ins Feld zu führen. Stattdessen, vermute ich, werden sie mich jetzt durch kleinere Angriffe zu schwächen versuchen, und erst dann wird einer kommen, um zu versuchen, mich zu vernichten. Nach Brasilien müssten sie ihre Lektion gelernt haben.«
Diesmal zeichnete Marguarita das Fragezeichen im Geiste, und er merkte, dass wieder das heitere, warme Lachen in ihm aufstieg. Das Wort »gehorchen« schien sie sehr verärgert zu haben. Wie sie auf ihrem Stuhl herumrutscht und sich bemüht, ihre Verärgerung vor mir zu verbergen, ist entzückend, dachte er. Vielleicht sollte er das Wort von nun an öfter fallen lassen, um zu sehen, wie sie reagierte. Denn wenn irgendjemand es wagen sollte, ihn zu überraschen, würde es Marguarita sein.
Wie meinst du das, sie müssten ihre Lektion gelernt haben? Was hat es sie gelehrt, dir und deinen Brüdern eine Armee auf den Hals zu schicken?
»Die Meister bleiben lieber in Deckung und ziehen es vor, ihre Schachfiguren zu opfern. Zwei der fünf Meistervampire wurden bereits vernichtet. Drei sind noch übrig. Wenn sie mich tot sehen wollen, hat nur ein Meister eine Chance, mich zu besiegen. Und nicht nur irgendein Meister. Es müsste schon einer der Brüder Malinov kommen.«
Ein Erschaudern durchlief sie. Zacarias beugte sich vor, um ihr in die Augen zu sehen, die sich bei seinen Worten verdunkelt hatten.
»Du brauchst keine Angst zu haben. Ich freue mich, wenn er kommt. Und sollte er mich besiegen, wird er zu große Angst vor meinen Brüdern haben, um hier in der Nähe zu bleiben.«
Abrupt schob Marguarita den Stuhl zurück, erhob sich und trug Teller und Tasse zur Spüle, wo sie beides sorgfältig spülte und abtrocknete. Dabei wandte sie Zacarias beharrlich den Rücken zu. Es war eine lächerlich menschliche Geste – als könnte sie ihn so aus ihren Gedanken heraushalten. Es gab keine Möglichkeit mehr, sich vor ihm zurückzuziehen, nachdem er sie entdeckt hatte – und sie ihren Geist und ihr exquisites Blut mit ihm teilte.
»Ich sage dir nur die Wahrheit.«
Sie fuhr herum, lehnte sich an die Spüle und sah ihn mit so ausdrucksvoller Miene an, dass es ihm einen Stich ins Herz versetzte. Diesmal versuchte er, den Schmerz, der ihn durchfuhr, zu spüren, zuzulassen und nicht zu verdrängen. Ihre Augen schwammen in Tränen und verwandelten all dieses schöne Schwarz in zwei bodenlose Seen. Es war unmöglich, voll und ganz die Fülle ihrer aufgewühlten Emotionen zu verstehen, doch eins stand fest: Er hatte es wieder mal geschafft, sie zu verärgern.
Zacarias seufzte. Frauen waren schwierig; man wusste nie, wie sie von einem Moment zum nächsten reagieren würden. Sie besaßen weder Logik noch Vernunft. Zumindest Marguarita nicht. Er war nicht lange genug mit anderen zusammen gewesen, um beurteilen zu können, ob sie anders waren, aber diese Frau machte es ihm wirklich schwer, sie zu verstehen.
»Hör auf damit!«, befahl er ihr und drückte die Hand auf sein Herz, als könnte er so den Schmerz vertreiben, den ihre Tränen ausgelöst hatten.
Womit? Sie wirkte verwirrt.
Fasziniert und entsetzt zugleich beobachtete er, wie eine Träne in ihren dichten Wimpern hängen blieb, bevor sie ihr Gesicht hinunterlief. »Damit«, knurrte er, als sein Herz sich wieder jäh verkrampfte.
Er trat näher zu ihr und spürte den Kummer, der in großen Wellen von ihr ausstrahlte. Sie gab keinen Laut von sich, nicht einmal einen kleinen, doch da ihm nichts entging, was sie betraf, wusste er, dass sie tief im Innersten, wo es niemand sehen konnte, weinte.
Die giftige Säure von Vampirblut konnte ihn nicht töten. Er hatte Folter und tödliche Verwundungen überlebt, aber das … dieses stumme Weinen dieser Frau um ihn war zu viel. Seine Knie würden ihm noch den Dienst versagen, wenn das so weiterging. Es war völlig inakzeptabel und äußerst ärgerlich, dass sie eine solch wirkungsvolle Waffe gegen ihn besaß!
Zacarias zog sie an sich, doch sein Körper war so hart und unnachgiebig, dass es ihr den Atem verschlug und sie sich an seinen Armen festhalten musste, um sich zu stützen. Er musste sie so halten, ohne eine klare Vorstellung, warum, aber er konnte ihre tränenumflorten Augen keine Sekunde länger ansehen. Mit einer Hand strich er ihr über das Gesicht und entfernte alle Spuren. Dann hob er die Finger an den Mund und kostete ihre Tränen.
Du kannst mir nicht befehlen, nicht zu weinen.
»Natürlich kann ich das. Und bei allem, was heilig ist, dieses eine Mal wirst du gehorchen!« Mit einer Hand auf ihrem Hinterkopf drückte er ihr Gesicht ganz fest an seine Brust.
Zuerst war sie steif und verkrampft, aber als die Wärme seines Körpers auf sie übergriff, wurde sie ganz weich und anschmiegsam. Er hätte ihr erlauben sollen, einen Schritt zurückzutreten, doch es war einfacher, einen Anschein von Kontrolle über sie zu bewahren, wenn er sie hielt. Tatsächlich waren seine Arme zu einem eisernen Käfig geworden, und er war nicht ganz sicher, ob er sie unbewusst oder bewusst so fest an sich gedrückt hielt. Aber wie dem auch sei – er konnte sie jedenfalls nicht aus ihrer Umarmung entlassen. Wieder strich er ihr über das Haar.
Nur wenige moderne Frauen schienen noch langes Haar zu haben. Eine uralte Erinnerung erwachte in ihm, als er das Gesicht an diese seidigen Strähnen drückte: Frauen in langen Kleidern, die plaudernd und mit Wasserkrügen in den Händen auf dem Weg zu ihrem Lager an ihm vorbeigingen. Er hatte sie bemerkt, weil sie so fröhlich gewesen waren. Drei Tage später, als er dorthin zurückgekehrt war, wo er die Spur des Vampirs verloren hatte, hatten dieselben Frauen zerfetzt und blutüberströmt im Schmutz gelegen und mit toten Augen zum Himmel emporgestarrt.
Nicht. Marguarita schlang plötzlich die Arme um ihn und zog ihn an sich.
Die Geste war so unerwartet und schockierend, dass Zacarias fast zurückgetreten wäre. Er hatte sie festgehalten, doch jetzt schien sie ihn zu halten, obwohl sie viel schwächer war als ein karpatianischer Mann.
Bitte denk nicht daran! Das tut dir weh. Ich weiß, dass du sagst, du spürst es nicht, aber das stimmt nicht. Die Trauer durchflutet dich und setzt sich in dir fest. Erinnere dich nicht mehr daran! Oder zumindest jetzt nicht.
Zacarias rieb das Kinn an ihrem Kopf, und einige ihrer langen Haare verfingen sich in den dunklen Bartstoppeln. »Warum bist du so verärgert?«
Weil du deinen eigenen Tod so einfach akzeptierst. Du freust dich darauf, gegen einen Meistervampir zu kämpfen. Du wärst in der Sonne verbrannt. Du tust so, als könnte dich nichts berühren, aber von innen heraus zerstört es dich. All diese Toten. Du glaubst, sie gingen dir nicht nahe, doch das stimmt nicht. Du siehst deinen eigenen Tod, nicht weil du befürchtest, zum Vampir zu werden, sondern weil du nicht mehr mit der Qual dessen leben kannst, wer und was du bist. Und dabei bist du eigentlich gar nicht so, wie du dich siehst.
Sie ballte die Hand zur Faust und hämmerte gegen seine Brust. Er bezweifelte, dass es ihr bewusst war, denn sonst hätte sie es bestimmt nicht gewagt, ihn zu schlagen. Und da es für ihn kaum mehr als ein Antippen war – und er ganz verwirrt war über das, was sie gesagt hatte -, beschloss er, ihre Unbedachtheit zu ignorieren. Er bedeckte nur ihre Hand mit seiner und drückte Marguarita an sich, bis sie innehielt.
»Ich empfinde leider nicht so viel, Marguarita. Ich habe sogar meine Erinnerungen verloren. Diese Dinge, von denen du sprichst, mag es in einer anderen Lebenszeit gegeben haben – vor langer Zeit -, doch ich habe keine Erinnerungen mehr daran.«
Das ist nicht wahr, Zacarias. Ich schwöre dir, dass es nicht wahr ist. Ich bin in deinem Kopf und sehe die Kämpfe und Erinnerungen, und ich spüre deinen Schmerz. Der Kummer ist größer und überwältigender als alles, was ich je erfahren habe – und ich habe beide Eltern verloren und weiß, was Leid ist. Ich kann mir so etwas nicht ausdenken. Und ich würde es auch nicht.
Wie konnte sie seinen Schmerz spüren, wenn er selbst ihn nicht fühlte? Übertrug sie ihre eigenen Gefühle auf ihn? Die telepathische Verbindung zwischen ihnen wurde jedes Mal stärker, wenn sie sie benutzten, aber trotzdem wäre es unmöglich für sie, etwas zu spüren, was nicht vorhanden war.
»Zeig es mir!«, flüsterte er an ihrem Ohr. »Zeig mir, was du in mir siehst!«
Gerade noch war er Zacarias de la Cruz, karpatianischer Krieger und Jäger. Allein. Kalt und spröde, mit Gletscherwasser in den Adern – und im nächsten drang sie in ihn ein wie warmer Honig und füllte jede leere Stelle in ihm aus. Fand jede dunkle Ecke, jede geheime Träne und jeden Riss in seinem Geist. Dieser warme Honig floss über das Eis, fand jede gebrochene Brücke, baute neue, füllte Löcher und stellte zerstörte Verbindungen wieder her.
In Zacarias’ Kopf knisterte Elektrizität. Er spürte jeden ihrer Atemzüge und atmete mit ihr. Ihr Herz schlug, und es war in seiner Brust. Sie war in ihm, bis alles, was ihn ausmachte, von Marguarita erfüllt war, von ihr und all der Wärme, die sie mit sich brachte. Mit ihrem strahlend hellen Licht. Die Hitze schmolz das Eis in ihm so schnell, dass er keine Barriere errichten konnte, um es aufzuhalten.
Zacarias blinzelte, als er spürte, wie Marguarita ihn fester an sich zog und mehr und mehr Leere mit sich selbst ausfüllte, bis er zum ersten Mal vollständig war. Er war nicht mehr allein. Sterne explodierten in seinem Kopf, öffneten sich wie eine Urmasse und stürmten so schnell auf ihn ein, dass er zuerst gar nicht begreifen konnte, was er sah.