5. Kapitel

Marguarita erstarrte. Und wenn sie sich nun geirrt hatte? Was, wenn er wirklich ein Vampir war? Das Mal, /das Zacarias an ihrem Hals hinterlassen hatte, pochte und brannte, sein Atem bewegte die feinen Härchen an ihren Nacken … Sie versteifte sich, als seine Finger ihre Haut berührten und ihren dicken Zopf beiseiteschoben. Sein Körper lag so dicht an ihrem, dass sie jeden seiner Atemzüge spüren konnte. Er roch wild – wie eine unbezähmbare, gefährliche Kreatur, die sie weit entfernt von jeder Hilfe eingefangen hatte. Jeder seiner Muskeln und jeder seiner Herzschläge prägten sich ihr ins Gedächtnis ein.

Erst jetzt wurde sie sich seiner Frage bewusst. Beschränkt? Hatte er sie wirklich gerade gefragt, ob sie beschränkt war? Wut erfasste sie, die sich aber gleich mit Furcht vermischte.

Wärme strömte in ihren Geist und kündigte Zacarias an. Vorhin, als er sie im Haus angegriffen hatte, war er tief in ihr Bewusstsein eingedrungen und hatte es erobert und besetzt. Aber das hier war ganz anders. Diesmal wählte er einen langsamen Angriff, eine Hitze, die sich in ihr ausbreitete wie warmer Sirup und ihren Kopf ganz und gar ausfüllte. Marguarita stockte der Atem, und sie biss sich schmerzhaft auf die Unterlippe. Die Wärme verbreitete sich nun in ihrem ganzen Körper, wie dickflüssige Lava, die Zentimeter für Zentimeter ihre Adern einnahm und immer tiefer und tiefer glitt. Ihre Brüste waren schmerzhaft schwer geworden, die Spitzen hart – und ein heißes Prickeln erwachte zwischen ihren Schenkeln.

Ihre körperliche Reaktion auf seinen Übergriff war mehr als nur beunruhigend – sie war mindestens genauso grauenvoll wie der Biss in ihren Nacken. Ihr Instinkt riet ihr, auf der Stelle davonzulaufen, aber sie wehrte sich nicht einmal, weil Entsetzen und Wut sie festhielten. Das und Zacarias’ große Hände, die um ihre Taille lagen, über ihre Hüften strichen und sich sehr besitzergreifend anfühlten. Flammen züngelten durch Marguaritas Kleider hindurch über ihre Haut, wo immer diese Hände sie berührten.

In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie so feminin auf einen Mann reagiert. Sie hatte gehört, dass Gefahr sich als Verführung tarnen konnte, und dieses Gerücht konnte sie jetzt nur bestätigen. Zacarias war so sinnlich, wie ein Mann es nur sein konnte, und löste ein langsam schwelendes Feuer in ihr aus. Marguarita zitterte am ganzen Körper und fürchtete um ihre Seele. In einem stummen Versuch, sich zu retten, bekreuzigte sie sich.

»Ich weiß, dass du mich hören kannst – ob ich laut spreche oder nur in deinem Kopf. Dein Blut ruft das meine, und das antwortet. Tu also nicht so, als könntest du mich nicht hören!«

Marguarita befeuchtete die Lippen. Ich bin nicht beschränkt. Ein bisschen verwirrt vielleicht, aber sie verstand ihn. Nur sich selbst oder was mit ihrem Körper vor sich ging, begriff sie nicht.

Sie zitterte und hätte sich am liebsten losgerissen, doch auch sie verzehrte sich nach ihm und konnte seinen Herzschlag hören.

Zacarias beugte sich vor, bis seine Lippen ihr Ohr berührten. »Wenn du nicht beschränkt bist …« Eine seiner Hände glitt von ihrer Hüfte zu ihrer Taille und brannte sich durch ihre Kleider, bis sie mit dem Abdruck seiner Handfläche gezeichnet war. Die andere Hand legte sich langsam, Finger um Finger, um ihre Kehle. Er drückte ihren Kopf zurück, bis er an seiner Brust ruhte und Marguarita nichts anderes übrig blieb, als zu seinen dunklen, gnadenlosen Augen aufzuschauen. Sie starrten einander an und waren in einem merkwürdigen Kampf gefangen, den Marguarita nicht verstand.

»Dann willst du wohl sterben?«

Seine Stimme war nicht nur ein Flüstern an ihrem Ohr, sondern auch ein warmer Hauch an ihrer Haut und ihren Nervenenden. Seine Finger glitten sanft über ihren Körper und strichen dessen Rundungen nach. Die Empfindung war so real, dass Marguarita erschauderte. Ihre Kehle schnürte sich vor Furcht zusammen. Marguarita schluckte hart an seiner Hand und schüttelte nur stumm den Kopf. Es war unmöglich, den Blick von Zacarias’ bezwingenden dunklen Augen abzuwenden, die voller Hitze und Feuer waren, obwohl sie gerade noch ganz flach und kalt gewirkt hatten. Es war etwas sehr Reales in Zacarias de la Cruz, das konnte sie in seinen Augen sehen. Er war nicht nur eine Tötungsmaschine – und auch nicht der Untote, wie sie zuerst vermutet hatte, dafür waren diese Augen zu lebendig. Und sein Körper viel zu heiß und hart.

Marguarita versuchte, seine animalische Seite, die den größten Teil von ihm ausmachte, zu erreichen. Zacarias hatte schon lange jede Höflichkeit verloren. Oder vielleicht war er ja auch schon so zur Welt gekommen, wie er heute war: gerissen, wild und ausgesprochen territorial. Sie verstand Tiere, sogar gefährliche Raubtiere, und deshalb verdrängte sie die Furcht vor dem Karpatianer, konzentrierte sich auf das Tier und versuchte, es irgendwie zu beruhigen. Sie erwartete genauso wenig, dass sie Freunde werden würden, wie sie es bei einem Jaguar erwartet hätte, aber sie war schon einmal einer dieser großen Katzen begegnet, und beide waren ohne Feindseligkeit ihrer Wege gegangen. Das Gleiche hoffte sie bei Zacarias.

Das Problem war nur, dass er sie erheblich mehr verwirrte als eine dieser riesigen Katzen – oder etwa ein Raubvogel. Sie spürte die Flut von Wärme, die der geistigen Verbindung stets vorausging, und es war leichter, als sie geglaubt hatte, fast so, als wäre ihr der Weg bereits bekannt, als wäre er gut ausgetreten. Sie beruhigte Zacarias, als hätte sie ein wildes Tier vor sich, und näherte sich ihm sanft an, mit zarten geistigen Berührungen, um ihn zur Ruhe zu bringen und zu besänftigen.

Zacarias’ Augen waren jedoch noch kälter und Furcht erregender denn je, als er abrupt von ihr zurücktrat und die Hände sinken ließ. »Du bist eine Magierin.«

Es klang wie eine Anklage, wie ein Fluch und eine Androhung von Vergeltung. Marguarita schüttelte heftig den Kopf, um die Beschuldigung zurückzuweisen. Sie hatte keine Ahnung, warum Zacarias ihr vorwarf, ein Wesen zu sein, das Zauber wirken konnte. Diesen Vorwurf konnte man ja wohl eher ihm machen. Schließlich war er es, der sie derart durcheinanderbrachte. Wenn man seinen Augen glauben durfte, würde kein Magier Zacarias de la Cruz mit einem Zauber belegen wollen, und sie schon gar nicht.

»Was bist du dann?«, fuhr er sie an.

Sie runzelte die Stirn. Die Antwort müsste eigentlich offensichtlich sein. Ich bin nur eine Frau.

Zacarias musterte Marguaritas blasses, schönes Antlitz. Sie war mit Schlamm beschmutzt und offensichtlich sehr erschöpft. Ihr herzförmiges Gesicht schien nur noch aus großen, ängstlich aufgerissenen Augen zu bestehen.

Ich bin nur eine Frau.

Fünf simple Wörter, aber was wollte sie ihm damit sagen? Er kannte Frauen – doch keine wie sie. Marguarita Fernandez war weit mehr als nur eine Frau. Er durchforstete seine Erinnerungen, die nach Jahrhunderten des Lebens sehr umfangreich waren, aber keine Frau hatte je sein Interesse geweckt, jedenfalls keine, die wie diese war.

Lange starrten sie sich schweigend an. »Du wirst mit mir zur Hazienda zurückkehren.« Es war eine Feststellung, keine Frage. Er ordnete es an, gab den Befehl und wartete auf die für sie typische Reaktion: Widerspruch und Ungehorsam. Vielleicht hatte sie eine Krankheit, die sie zwang, sich einem direkten Befehl stets zu widersetzen.

Zacarias sah, wie es in ihrer Kehle arbeitete, wie Marguarita schluckte und von Angst ergriffen wurde. Doch sie unterdrückte die Furcht schnell – man zeigte einem Raubtier keine Angst. Sie waren geistig immer noch sehr intensiv miteinander verbunden, und er konnte ihre Emotionen spüren. Es war interessant, sich selbst durch ihre Augen zu sehen. Aus Erfahrung wusste Zacarias, dass andere Tiere und auch Menschen ihn für einen Killer hielten, aber das Wissen rief keine Reaktion in ihm hervor, schon gar keine emotionale. Auf dieser ursprünglichen, animalischen Ebene, auf der sie jedoch miteinander verbunden waren, spürte er ihre Emotionen, als wären sie die seinen – und das bereitete ihm Unbehagen.

Ihre kleine Zunge befeuchtete die perfekt geformten Lippen. Mit dem Stiefel tastete Marguarita nach festem Boden und trat sehr langsam zurück. Als er den Kopf schüttelte, blieb sie jedoch wieder stehen.

Zacarias konnte ihr die Gedanken am Gesicht ablesen. Sie wollte weglaufen, und es kümmerte sie nicht, ob er es für Feigheit hielt. Ihr Überlebenstrieb war jetzt sehr stark. Sie hatte sich ein Mal geopfert, und ihrer Meinung nach war das genug. Sie war bestraft genug.

»Ich bin noch nicht fertig mit dir, Frau. Du wirst mit mir zur Hazienda zurückkehren und dort bleiben, während ich herausfinde, was hier vorgeht. Und du wirst nicht noch einmal ohne meine Erlaubnis fortgehen.«

Das empörte sie. Zacarias konnte die Sturmwolken sehen, die sich in ihren dunklen Augen zusammenbrauten. Er hätte den Blick nicht von ihr abwenden können, selbst wenn er es gewollt hätte. Ihre Augen waren nicht von dem trüben Grau wie der Rest der Welt um sie herum. Und auch ihr Haar nicht. Beides war schwarz wie Ebenholz oder wie der Nachthimmel, von einem echten Schwarz ganz ohne Farbe. Auch ihr Mund faszinierte Zacarias. Ihre Lippen hätten grau oder von einem langweiligen Weiß sein müssen, aber er hätte schwören können, dass sie dunkelrosa waren. Er blinzelte mehrmals, um den Eindruck loszuwerden, doch die seltsame Farbe blieb und ließ ihn sogar ein bisschen taumeln. Diese Frau faszinierte ihn, wie keine andere es bisher vermocht hatte.

Trotzig schob sie ihr hübsches kleines Kinn vor. Falls du vorhast, mich zu töten, dann nur zu! Gleich hier und jetzt!

Seine Augenbrauen fuhren in die Höhe. »Sollte ich dich töten, entscheide ich, wann und wo, und lasse es mir nicht von einer Frau vorschreiben, die nicht mal die Bedeutung von Gehorsam kennt.«

Sie zog einen Stift und einen Notizblock aus der Tasche und begann zu schreiben. Zacarias nahm ihr beide Gegenstände aus der Hand und steckte sie in seine Tasche.

Benutz unsere Blutsbande!

Stumm schüttelte sie den Kopf und streckte entschieden die Hand nach seiner Tasche aus.

Aber er winkte genauso resolut ab und spürte, dass er schon gar nicht mehr schockiert über ihren Ungehorsam war. Er war jetzt sicher, dass sie an einer Krankheit litt, irgendeiner seltenen, angeborenen geistigen Funktionsstörung, die sie zwang, den Befehl einer Autoritätsperson zu ignorieren.

»Ich habe heute alle siebenundvierzig Briefe gelesen und will nicht noch einen lesen müssen.«

Alle siebenundvierzig? Du warst in meinem Zimmer? Sie waren im Papierkorb. Weggeworfen! Du hättest sie nicht lesen dürfen.

Also benutzte sie doch die Blutsbande, wenn sie wollte. Etwas, das Genugtuung sehr nahe kam, stieg in Zacarias auf. Marguaritas Furcht hatte so weit nachgelassen, dass sie schon viel natürlicher auf ihn reagierte. »Wieso? Sie waren doch offenbar für mich bestimmt, kislány kunenak minan – meine kleine Närrin. Sie waren eindeutig an Señor Zacarias de la Cruz adressiert.« Er machte eine angedeutete Verbeugung. »Und sehr gut geschrieben. Da sollte man doch annehmen, du wärst imstande, einfache Anweisungen zu befolgen.«

Gib mir meinen Stift und Block zurück!

»Du wirst die Blutsbande zwischen uns benutzen.« Er wusste, dass ihr diese viel intimere Kommunikationsform unangenehm war, doch er ersehnte sich diese Intimität.

Marguaritas Augen wurden schwarz wie Obsidian und flackerten wie zwei glänzende Feuersteine. Sie biss die Zähne zusammen, und dabei fiel ihm auf, wie ebenmäßig und weiß sie waren. Ohne nachzudenken, packte er sie an den Oberarmen, zog sie näher und drehte ihren Kopf so zu sich, um sie genauer ansehen zu können – sie waren weiß wie kleine Perlen. Nicht grau. Nicht von dem hässlichen, bräunlichen Weiß, das er zu sehen gewohnt war. Für einen Moment gab es nichts anderes auf der Welt als diese kleinen weißen Zähne und Marguaritas unglaubliche, fast völlig schwarze Augen.

Etwas schlug gegen seine Brust, nicht hart, weil er es kaum bemerkte, aber Marguaritas kleiner Aufschrei veranlasste ihn, den Blick zu senken. Sie hatte mit den flachen Handflächen gegen seinen Oberkörper geschlagen und sich offensichtlich wehgetan. »Was tust du?«, fragte er sie stirnrunzelnd.

Ich schlage dich, du Rüpel. Und? Wie fühlt sich das an?

Sie hatte Temperament. Er erkannte das Feuer nun, das in ihr schwelte. Aber sie hatte sich nur selbst Schmerzen zugefügt, und er hatte, wenn er ehrlich sein sollte, fast nichts gespürt. »Das nennst du ›schlagen‹? Du bist wirklich ein bisschen sonderbar. Kein Wunder, dass Cesaro dich aus dem Haus haben wollte. Er befürchtete wohl, dass ich mich über deine Narrheit aufregen könnte.«

Narrheit?

Marguarita ballte die Faust und holte aus. Ihren Bewegungen nach zu urteilen, musste ihr jemand beigebracht haben zu kämpfen. Zacarias wich jedoch aus, bevor sie ihn treffen konnte, packte sie und drehte sie herum, kreuzte ihre Arme über ihrer Brust und zog Marguarita hart an seinen Körper. Sein Atem entwich mit einem Geräusch, das ihn schockierte. Zacarias versteifte sich unwillkürlich und legte den Mund an ihren Nacken, an den warmen, heftig schlagenden Puls, der so laut nach ihm rief. War das etwa ein Lachen gewesen? Hatte er gelacht?

Er? Gelacht? Das war unmöglich. Soweit er sich erinnerte, hatte er nie gelacht. Als Kind vielleicht, als kleiner Junge, aber selbst das bezweifelte er. Woher war dann dieser Laut gekommen? War es möglich, dass diese sonderbare Frau seine ihm vom Schicksal bestimmte Gefährtin war? Bei allem, was heilig war, aber das war völlig ausgeschlossen. Er konnte unmöglich der Seelengefährte einer Frau sein, die außerstande war, auch nur die kleinsten Anweisungen zu befolgen. Und seine Emotionen und die Fähigkeit, Farben zu sehen, hätten auch sofort zurückkehren müssen. Doch merkwürdigerweise war es so, dass er sich im Moment tatsächlich lebendiger fühlte als seit tausend Jahren.

Wie er war auch Marguarita erstarrt. Sie hatte sich in seinen Armen wieder versteift wie ein verängstigtes Kaninchen. Und sie fröstelte, was kein Wunder war, so wie ihre nassen, verschmutzten Kleider an ihren weichen, femininen Rundungen klebten. Sowie er merkte, dass ihr kalt war, entfernte er mit einer Handbewegung die Feuchtigkeit und den Schmutz aus ihren Kleidern und wärmte sie mit seinem Körper. Solche Dinge waren etwas ganz Natürliches für seine Spezies, doch bei Marguarita Fernandez musste er sich selbst die alltäglichsten Vorgänge in Erinnerung rufen.

»Ich werde dein Benehmen entschuldigen, da du keine Mutter hattest, um dir Manieren beizubringen, doch meine Geduld hat Grenzen, das sage ich dir gleich«, flüsterte er an ihrem Ohr, fest entschlossen, ihr beizubringen, wer bei ihnen das Kommando hatte. Ganz sicher nicht dieses unerfahrene junge Ding, das dumm genug war, ohne Begleitung und im Dunkeln in den Regenwald hinauszugehen. »Du hast gewisse Aufgaben.«

Ich kenne meine Aufgaben. Wie spät ist es?

Erstaunt über die Frage, blickte er zum bewölkten Himmel auf. »Gegen vier Uhr morgens.«

Genau. Um diese Zeit habe ich frei.

Er war versucht, sie in diese entzückende Stelle zwischen Nacken und Schulter zu beißen, um sie für ihre fortgesetzte Aufsässigkeit zu bestrafen. »Wenn sich ein de la Cruz im Haus aufhält, bist du vom Sonnenuntergang bis zur Morgendämmerung im Dienst. Oder wann immer ich es sage. O jelä peje terád, emni – die Sonne soll dich holen, Frau! Widersprich mir nicht! Hast du in den letzten Stunden nichts dazugelernt? Du wirst ohne Begleitung nirgendwohin gehen. Du bist eine Frau, eine unverheiratete noch dazu, und wirst immer eine Anstandsdame bei dir haben.«

Sie gab keinen Ton von sich, aber er spürte ihre Auflehnung gegen sein neuestes Dekret. Und tief im Inneren erwachte es wieder, dieses seltsame Geräusch, das in seinem Bauch begann und hochsprudelte wie Champagnerperlen. Bei allem, was heilig war – sie brachte ihn zum Lachen! Er verspürte in der Tat Belustigung. Diese kleine Frau brachte Freude in sein Leben. Bis er herausgefunden hatte, warum sie solche Macht über ihn hatte, würde er nicht von ihrer Seite weichen. Sie konnte seiner Autorität trotzen, so viel sie wollte, aber sie würde schon noch lernen, was und wer in ihrem Leben die Macht ausübte.

Zacarias atmete ihren Duft ein und merkte, dass er gegen den Ruf ihres Blutes ankämpfte. Er hatte ihn schon wieder im Mund, diesen selten köstlichen Geschmack, der besser war als alles, was er je gekannt hatte. Zacarias spürte förmlich, wie dieses exquisite Blut seine Kehle hinunterlief, um in seine Adern einzudringen und sich wie geschmolzenes Gold in seinem Körper zu verbreiten. Ihre Haut war warm und weich, und ihr Puls zog ihn auf schier unwiderstehliche Weise an. Zacarias schloss die Augen und lauschte einfach nur dem Rhythmus ihres Herzens. Er war nicht hungrig, und trotzdem verzehrte er sich nach ihr wie ein Süchtiger nach der Droge; er wollte die Zähne in sie senken, ihre zarte Haut unter den Lippen spüren …

Streichelnd ließ er die Hände an ihren Armen hinaufgleiten, bis seine Finger ihre Brüste streiften. Ihre kleinen Knospen waren steif vor Kälte – oder Erregung? Er konnte es nicht sagen. Jeder seiner Sinne, sein ganzes Sein konzentrierte sich auf ihren Körper, auf ihr Aussehen und das Gefühl von ihr. Die Zeit schien stehen zu bleiben. Es gab nur seine Hände, die über sie glitten, ihre Brüste umfassten und mit den Daumen über die harten kleinen Spitzen strichen. Sein Herz, das ihm wild gegen die Rippen schlug – und das ihre, das im gleichen Rhythmus pochte.

Hitze durchflutete und erfüllte ihn. Das Blut in seinen Lenden pochte, bis er so hart und heiß war, dass er von innen heraus zu verbrennen glaubte. Ein seltsames Dröhnen erfüllte seinen Kopf; ihm war, als stünde er in Flammen, als versengte Feuer seine Haut und raste durch seine Adern. Eine Flut erotischer Bilder brandete durch seinen Geist; er sah ihren sich windenden Körper unter seinem, eine Million von Wegen, sie in Besitz zu nehmen … Er hatte solche Dinge natürlich schon gesehen, aber nie wirklich an sie gedacht. Nicht ein einziges Mal in seinem Leben hatte er mit dem Gedanken gespielt, eine Frau ohne ihre Zustimmung zu nehmen. Hatte niemals auch nur in Betracht gezogen, gegen ihren Willen in sie einzudringen und mit ihr zu machen, was er wollte – oder zumindest nicht bis jetzt. Die Bilder und sein schreckliches, brutales Verlangen überwältigten ihn. Winzige Tröpfchen Blut erschienen auf seiner Haut, Schweiß, wie er ihn noch nie gekannt hatte. Zacarias war nervös, außer Kontrolle und halb wahnsinnig von dem unbändigen Begehren, das von dem bloßen Verlangen nach ihrem Blut in sinnliche Begierde umgeschlagen war.

Er stieß sie von sich und atmete tief ein, um dem Wahnsinn, der in ihm tobte, ein Ende zu bereiten. Zacarias hatte gewusst, dass seine Seele gebrochen war, kaum mehr als ein Sieb, das von feinen, empfindlichen Fäden zusammengehalten wurde, aber das hier – das würde ihn und seine Ehre ein für alle Mal zerstören. Er wischte sich den Schweiß vom Gesicht und starrte das Blut an seinen Händen an. »Was bist du, Frau? Du hast mich verhext.«

Sie war so blass, dass sie in der Dunkelheit fast schimmerte, und schüttelte den Kopf. Das war ich nicht. Ich schwöre, dass ich nichts dafür kann. Ich weiß nicht, was mit dir geschieht.

Sie hatte ihn gespürt, gemerkt, wie er immer härter wurde und sein Körper sich in wachsendem Verlangen an sie gedrängt hatte.

»Du wirst mich nicht beherrschen.«

Das versuche ich auch gar nicht. Sie trat zwei Schritte von ihm weg und starrte mit großen Augen die unübersehbare Wölbung unter dem Stoff seiner Hose an. Zacarias konnte den genauen Moment bestimmen, als ihre Angst die Oberhand gewann und sie sich umdrehte und vor ihm davonlief.

Zacarias holte noch einmal tief Luft, breitete die Arme aus und nahm eine andere Gestalt an, weil er die Abwechslung von seiner männlich-menschlichen jetzt dringend brauchte. Federn sprossen auf seiner Haut, als er sich verwandelte. Diesmal war der Haubenadler riesig. Er erhob sich in die Luft, flog aber nicht zu hoch, da er sich jetzt auf die Jagd begab. Mit eleganter Leichtigkeit bewegte der Adler sich zwischen den Bäumen hindurch und hielt nach seiner Beute Ausschau. Dann hatte er sie entdeckt und sank noch tiefer. Marguarita blickte über die Schulter und riss entsetzt die Augen auf, als der Adler die Krallen nach ihr ausstreckte, sie noch im Laufen packte und sich mit ihr in die Luft erhob.

Marguarita kämpfte, aber der Haubenadler hielt sie unerbittlich fest und schlug mit den mächtigen Flügeln, um an Höhe zu gewinnen. Die junge Frau erstarrte förmlich, als der Boden sich immer mehr entfernte, und klammerte sich an den Beinen des Vogels fest. Sowie er das Blätterdach durchbrochen hatte, flog er, so schnell er konnte, über den Regenwald hinweg auf die Hazienda zu. Harpyien konnten eine Geschwindigkeit von fünfzig Meilen in der Stunde erreichen, und mit dem starken Wind im Rücken legte der Vogel die Strecke binnen kürzester Zeit zurück und war im Nu auf der Ranch.

Dort setzte Zacarias Marguarita sanft im Gras vor der Eingangstür ab und verwandelte sich, bevor seine Füße den Boden neben ihr berührten. Sie versuchte nicht mehr wegzulaufen, sondern lag nur still im Gras und presste die Hände auf den Bauch, wo die Vogelkrallen sie umklammert hatten. Zacarias bückte sich, um sie aufzuheben, und drückte sie an sich.

Ihre Augen waren riesengroß, die Furcht war wieder da, und von Marguaritas aufsässigem Naturell war nichts mehr wahrzunehmen. Da sie nicht schreien konnte, war nicht einmal ihr Mund geöffnet, um um Hilfe zu rufen, was Zacarias mehr aufregte, als gut für ihn war.

»Sieh mich nicht so an!«, fauchte er. »Wärst du einfach mitgekommen, ohne Theater zu machen, hätte ich dich nicht so zurückschleppen müssen. Hat dir eigentlich noch nie jemand gesagt, dass gewisse Dinge Konsequenzen haben?«

Sie wandte den Blick von ihm ab und starrte auf irgendetwas hinter seiner Schulter, doch sie konnte nicht das Erschaudern unterdrücken, das sie durchlief. Vielleicht war er zu grob gewesen. Er durfte ihre Krankheit nicht vergessen. Ihr Vater hätte auf jeden Fall etwas gegen ihre krankhafte Missachtung jeglicher Autorität unternehmen müssen, aber jetzt war er, Zacarias, ja da. Er zweifelte nicht daran, dass er das Problem beseitigen konnte.

Zacarias schwenkte die Hand, und die Tür ging auf. Mit Marguarita auf den Armen trat er hindurch und legte sie auf das Sofa, bevor er zurückging, um das Haus mit zusätzlichen Schutzzaubern zu versehen. Er nahm sich die Zeit, sehr starke, komplizierte Zauber um das gesamte Gebäude herum zu weben, damit niemand herein- oder hinauskonnte, solange er schlief. Die Arbeiter auf seinen Besitzungen wussten, wann ein de la Cruz da war und dass man sie tagsüber nicht stören durfte. Als Zacarias sicher war, dass niemand – nicht einmal einer seiner Brüder – die Schutzzauber würde überwinden können, kehrte er zu der Frau zurück, die ihm immer noch ein Rätsel war.

Marguarita setzte sich langsam auf. Er sah, wie sie nach Atem rang, und bemerkte den Schmerz, den ihr Gesicht verriet. Stirnrunzelnd trat er näher, und das Erste, was er wahrnahm, war der Geruch von Blut. Zacarias zog sie auf die Beine. Sie hielt die Hände fest an die Taille gepresst, und er konnte kleine rote Blutstropfen zwischen ihren Fingern hervorquellen sehen. Menschen heilten nicht so schnell von selbst wie Karpatianer. Zacarias war schon zu lange nicht mehr unter Menschen gewesen. Er hatte sich von ihnen genährt und war dann verschwunden, ein Geist in der Nacht, den niemand in Erinnerung behielt.

»Zeig mal her!« Er senkte die Stimme ein wenig, als Marguarita erschrocken den Blick zu ihm erhob. »Nimm die Hände weg, Frau! Ich muss wissen, was passiert ist.«

Vermutlich klang er jedoch nicht weniger bedrohlich, wenn er leise sprach, denn sie fröstelte wieder, und er bemerkte, dass sie sich nicht bewegen konnte.

Sehr sanft griff er nach ihren Handgelenken und zog ihre Hände von ihrem Bauch. Die Einstichwunden der Krallen, die so groß und scharf wie die eines Grizzlys waren, bedeckten ihren ganzen Körper um die Taille herum. Er hätte bedenken sollen, was diese Adlerkrallen mit menschlichem Fleisch anrichten würden, statt sich über ihren Trotz zu ärgern. Ohne den Blick von ihrem Gesicht zu wenden, spuckte er in die Hände. Sein Speichel hatte nicht nur eine heilende Wirkung, sondern enthielt auch eine betäubende Substanz, die Marguarita den Schmerz nehmen würde. Zacarias’ Hände umfassten fast vollständig die schmale Frauentaille, als er seine Handflächen auf die Einstichwunden legte und behutsam seinen Speichel darauf verrieb.

»Dir wird warm werden, aber der Schmerz müsste vergehen«, versicherte er ihr.

Sie zitterte so heftig, dass er nicht sicher war, ob sie sich auf den Beinen würde halten können, und sie starrte ihn mit dem gleichen Ausdruck an, den er bei Beutetieren von Kobras gesehen hatte. Marguarita war wie gelähmt und wirkte überaus verängstigt, aber sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden.

»Hör auf, mich zu fürchten!« Zacarias hatte ihr Angst einjagen wollen, ja, doch nun wünschte er, er könnte sie zurücknehmen. Marguarita sah furchtbar zerbrechlich, verwundbar und unsagbar allein aus. »Ich werde nicht zulassen, dass dir irgendetwas zustößt. Es ist meine Pflicht, auf dich aufzupassen und für dich zu sorgen.« Und das war die reine Wahrheit. Denn nichts würde ihm diese Frau wieder nehmen können – schon gar nicht der Tod. Durch ein Wunder – oder einen teuflischen Trick – erwachte er endlich zum Leben, er fühlte sich, als wäre er wiedergeboren worden, und er war endlich wieder an etwas interessiert.

Zacarias blickte sich in dem Zimmer um und sah wie immer alles grau in grau. Als er den Blick jedoch wieder auf Marguarita richtete, konnte er Farbe erwachen sehen, schwach nur, aber doch klar erkennbar. Ihre Wimpern waren von dem gleichen erstaunlichen Schwarz wie ihr dichtes Haar. Große Augen, dunkel wie Bitterschokolade, erwiderten seinen Blick. Ihre Augenbrauen waren ebenfalls schwarz und ihre Lippen definitiv rosa. Die Fähigkeit, Farben zu sehen, konnte einem Karpatianer nur von seiner Seelengefährtin zurückgegeben werden. Das Gleiche galt für Emotionen – und was sonst könnten seine heftigen Reaktionen auf sie sein? Dass sein Körper auf sie reagierte, war problematisch, aber auch beglückend – falls er tatsächlich so etwas wie Glück empfinden konnte. Doch eine Seelengefährtin hätte diese Dinge augenblicklich wiederhergestellt …

Erst vor ein paar Monaten hatten Magier die Nachbarranch bezogen und nur auf den rechten Augenblick gewartet, um die Familie de la Cruz vernichten zu können. Dominic und Zacarias hatten das verhindert, doch es bestand dennoch eine geringe Chance, dass das Bündnis zwischen den Meistervampiren und den Magiern gehalten hatte und Letztere zu einem weiteren Versuch zurückgekommen waren. Wäre Marguarita jedoch vom Zauber eines Magiers beeinflusst, hätte Zacarias das gemerkt. Und dennoch … egal, wie oft er sich das sagte, trotzdem wuchs die Furcht in ihm, dass er die wahre Erklärung kannte.

Falls Marguarita wirklich seine Seelengefährtin war, musste etwas schiefgegangen sein, und er fürchtete, die Antwort auf die Frage, was es war, bereits zu kennen. Er hatte sie nicht rechtzeitig gefunden. Seine Seele war schon so angeknackst, dass der Schaden nicht mehr zu beheben war. Seine andere Hälfte würde sich nicht mit ihm vereinen und Licht in das Dunkel in ihm bringen können. Es war nicht überraschend, dass er ein hoffnungsloser Fall war; wahrscheinlich war er schon so geboren worden. Aber dennoch hatte es eine Zeit gegeben, in der er von diesem Moment geträumt hatte, in der er sich eine Seelengefährtin erträumt und sich sogar auf die Suche nach ihr begeben hatte.

Zacarias’ Handflächen wurden feucht, als er Hitze aus seinem Körper in ihren sandte. Sie rang nach Atem, und er übernahm für sie das Atmen. Er beruhigte sie, bis die Luft wie von selbst durch seinen Körper in ihren floss und ihr Atem dem ruhigen Rhythmus des seinen folgte. Ihr Herz dagegen schlug so wild, dass Zacarias befürchtete, sie könnte einen Herzanfall erleiden.

»Atme einfach nur, mica emni kunenak minan – meine schöne kleine Närrin!« Ungewollt klang Kummer in seiner Stimme mit, Trauer um das, was er schon lange verloren gehabt hatte, bevor er es überhaupt gefunden hatte.

Marguarita blickte zu Zacarias de la Cruz’ markanten Zügen auf. Es war ein Gesicht, das wie aus Stein gemeißelt und geprägt von Kampf und Alter war, aber immer noch eine ganz spezielle Schönheit hatte. Dies war ein Mann, der nie ein Kind hatte sein dürfen, sondern von Anfang an ein Krieger gewesen war, durch und durch. Zum ersten Mal sah sie Leid und Schmerz in seinen Augen. Das Gefühl war tief und real, und als sie an seinen Geist rührte, hätte sie um ihn weinen können. Zacarias schien die Tiefe seines Kummers jedoch nicht einmal bewusst zu sein, oder vielleicht gestand er sich auch nur keine Gefühle ein, aber ihr zerriss es fast das Herz für ihn.

Er war vollkommen unabhängig und brauchte niemanden. So mächtig … und so unsagbar allein. Er fügte ihr Schmerz zu, jagte ihr eine Höllenangst ein und versorgte dann mit schier unglaublicher Sanftheit ihre Wunden. Vielleicht war er ein bisschen sonderbar, nachdem er so lange ganz allein gewesen war. Wann immer er etwas in seiner Sprache zu ihr sagte, wurde seine Stimme weicher, wie ein Streicheln fast, und seine Worte umhüllten sie wie starke Arme. Dummerweise erweckten diese Einsamkeit und Verwilderung in ihm Marguaritas Mitgefühl, denn schon suchte ihr Geist wieder die Verbindung zu seinem. Sie versuchte, ihn zu beruhigen, und sandte ihm Wärme und Verständnis.

Ohne nachzudenken, hob sie die Hand, um die tiefen Linien in seinem Gesicht zu berühren, und schrak zusammen, als er ihr Handgelenk ergriff. Ihr Handgelenk schmerzte von der Kraft, mit der er es umklammerte. Überhaupt war sein ganzer Körper hart wie ein Kapokbaum, kein bisschen nachgiebig oder flexibel. Seine Finger umschlossen ihr Gelenk wie eine Eisenschelle, sodass es ihr unmöglich war, die Hand zurückzuziehen. Ihr Herz begann wieder, wie wild zu pochen. Als sie blinzelnd zu Zacarias aufblickte und sein Gesicht sah, entwich der Atem zischend ihrer Lunge. Ohne auch nur nachzudenken, hatte sie es wieder einmal geschafft, den Tiger in ihm aufzuwecken.

Es tut mir leid. Wirklich.

Der Argwohn in seinen Augen war so sehr der eines misstrauischen wilden Tiers, dass sie den Strom des Mitgefühls und der Wärme von ihrem Geist in seinen nicht mehr bremsen konnte. Ihr war, als müsste sie diesen Mann beruhigen. Er gehörte nicht in ein Haus. Es war ausgeschlossen, seine Macht oder wilde Natur in vier Wänden einzusperren. Marguarita konnte sich nichts und niemanden vorstellen, der sich in seiner Nähe wohlfühlen würde. Mit seiner herrischen Art dominierte er jeden Raum, und seine aristokratische Haltung und unbeugsame Autorität verstärkten nur die Furcht erregende Aura, die ihn ohnehin umgab.

»Wolltest du mich streicheln wie ein Hündchen?«

Die Frage tat weh, obwohl kein Sarkasmus in seiner Stimme mitschwang. Marguarita befeuchtete die plötzlich trockenen Lippen und schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, was sie falsch gemacht hatte. Hätte sie ihr Schreibzeug, könnte sie vielleicht versuchen, es zu erklären, aber so? Wie sollte sie ihm mit bloßen geistigen Eindrücken zu vermitteln versuchen, wie sich ihre sonderbare Fähigkeit offenbarte?

Nicht einmal sie selbst war sich sicher, wie ihre Gabe wirkte. Sie wusste nur, dass alles in ihr auf die Wildheit in ihm reagierte, auf die gequälte Seele, die so spröde, einsam und bedürftig war. Und er wusste nicht einmal von seiner Bedürftigkeit. Wie sollte sie ihm sie aufzeigen, wenn sie nicht mal eine Stimme hatte?

Es tut mir leid, wiederholte sie im Geiste.

Zacarias’ Miene blieb unbewegt, als er ihre Fingerspitzen an sein Gesicht legte und sie dort festhielt. »Entschuldige dich nicht! Ich bitte ja auch nicht um Entschuldigung.«

Ihr Magen schlug einen seltsamen kleinen Purzelbaum, als sie seine Haut unter den Fingerspitzen spürte.

»Wenn du mich berühren willst, meine Erlaubnis hast du.«

Zum ersten Mal, seit der Vampir sie angegriffen hatte, war Marguarita froh, dass sie nicht sprechen konnte. Es gab keine Worte, um ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Sie hätte verärgert sein müssen über Zacarias’ aristokratisch herablassendes Gebaren, doch stattdessen war sie nur versucht zu lächeln.

Sie hatte keine Erklärungen. Es gab keine … Was für ein psychischer Zwang auch immer ihm Sorgen bereitete, er wirkte sich ganz offensichtlich auch auf sie aus. Und ohne ihr Schreibzeug fühlte Marguarita sich nackt, verwundbar und außerstande, sich zu verständigen. Sie schluckte und nickte. Ist er vielleicht der Meinung, ich soll ihm für seine Erlaubnis danken?, überlegte sie in einem Anflug von Hysterie.

Er zog die Hand zurück, ließ die ihre aber an seiner unrasierten Wange liegen. Sie strich über das stoppelige dunkle Barthaar und fühlte, wie ihr Herz diesem Mann zuflog. Das Gefühl war so stark, dass es sie erschreckte. Verwirrt über ihre Reaktion auf ihn, ließ sie abrupt die Hand sinken und trat zurück. Sie hatte große Angst vor Zacarias de la Cruz, aber die Traurigkeit in ihm lag ihr so schwer auf der Seele, dass sie gar nicht anders konnte, als Mitleid mit ihm zu empfinden.

Denn sie hatte ihm das angetan. Es war ihre Schuld. Er war hergekommen, um sein Leben in Ehren zu beenden, und sie hatte ihn daran gehindert und ihn wieder einmal in der Einsamkeit seiner öden Welt zurückgelassen. Falls es wirklich einen Menschen gab, der eine Insel war, war es Zacarias de la Cruz. Sie konnte nicht seine ganze einsame Welt sehen, doch sie spürte die Spitze des Eisbergs, und die war genug, um für immer um ihn zu weinen. Sie stand in seiner Schuld, und eine Fernandez blieb niemandem etwas schuldig!

Ich wusste nicht, was ich tat, als ich dich daran hinderte, deine Bürden abzuwerfen. Wenn ich die Zeit zurückdrehen und es rückgängig machen könnte … Würde sie ihn sterben lassen? Könnte sie dabeistehen und ihm dabei zusehen? Entmutigt ließ sie die Schultern hängen. Nein, sie konnte ihn nicht belügen. Sie könnte niemals tatenlos danebenstehen, während er in der Sonne verbrannte. Das ginge über ihre Kraft. Marguarita schaute ihn unglücklich an. Es tut mir leid. Gab es denn nichts anderes, was sie ihm übermitteln konnte?

Zacarias betrachtete lange schweigend ihr Gesicht. Dann senkte er den Blick, ließ ihn über ihren Körper gleiten und betrachtete ihre Figur in etwa so, wie es ein Rancher täte, wenn er Vieh einschätzte. Sie biss sich auf die Lippe und zwang sich, Zacarias nicht von sich wegzustoßen. Sie war doch kein Pferd! Sie war ihm etwas schuldig, ja, aber sie hatte auch schon mehr als einmal um Entschuldigung gebeten. Und er musste sie nun wirklich nicht ansehen, als wäre sie ein Krankheitskeim.

Sein Blick kehrte zu ihrem Gesicht zurück. »Ich kann deine Gedanken lesen.« Er legte eine Hand auf ihre Faust, zog sie an seine Brust und begann, ihre Finger einen nach dem anderen zu lösen. »Du bist ein reizbares kleines Ding, nicht wahr? Und sehr verwirrt. In einem Moment verspürst du Reue und denkst daran, mir deine Dienste anzubieten, und im nächsten schon willst du mich schlagen. Du dienst mir bereits; ich brauche nur zu befehlen, und du wirst mir geben, was immer ich verlange. Und was das Schlagen angeht, so ist das weder ratsam noch erlaubt.«

Mit ihm zu reden ist in etwa so, wie das Fell verkehrt herum gebürstet zu bekommen, dachte sie. Es spielte keine große Rolle, dass alles, was er sagte, zutraf. Sie hatte wirklich daran gedacht, einen Waffenstillstand mit ihm zu schließen – und ihm aus freien Stücken und nicht nur widerwillig ihre Dienste anzubieten. Aber dieser Mann war so arrogant, dass er nicht einmal den Unterschied zu kennen schien. Und was das Schlagen anging -wenn er weiter so mit ihr redete, würde es sie wahrscheinlich kaum noch kümmern, ob es »erlaubt« war oder nicht.

Ein langsames, sehr schwaches, aber echtes Lächeln ließ sein grimmiges Gesicht ein wenig weicher erscheinen. Es war so flüchtig, dass Marguarita es kaum mitbekam, doch es war hinreißend, dieses Lächeln.

»Ich lese immer noch deine Gedanken.«

Sie warf ihm einen finsteren Blick zu. Das ist unhöflich. Ich bin machtlos gegen meine Gedanken. Vielleicht hatte sie dieses Lächeln ja herbeigezaubert, so schnell, wie es verschwunden war – um durch blankes Eis ersetzt zu werden?

»Natürlich kannst du das. Du wirst wie ich tagsüber schlafen. Und du wirst auf gar keinen Fall die Hazienda ohne meine Genehmigung verlassen. Du wirst dich um all meine Bedürfnisse kümmern, bis ich wieder abreise. Vor allem wirst du mir gehorchen, sofort und ohne Fragen oder Widerworte.«

Was er brauchte, war keine Frau, sondern ein Roboter. Marguarita musste sich sehr beherrschen, um nicht die Augen zu verdrehen. Wie lange wirst du bleiben? Der Himmel stehe ihr bei, falls Zacarias de la Cruz vorhatte, länger zu bleiben als eine Nacht …

Seine Augenbrauen fuhren in die Höhe. »Das brauchst du nicht zu wissen, Frau. Du wirst mir freudig dienen, solange ich hierbleiben will.«

Er meinte es ernst. Das konnte sie ihm ansehen. Er erwartete von ihr, dass sie froh und dankbar war, ihm dienen zu können, dieser arrogante, unmögliche, herrschsüchtige Quälgeist! Sollte ich vielleicht auch vor euch knicksen, Majestät?

Seine Brauen zogen sich zusammen. Schweigen breitete sich im Zimmer aus, bis sich sogar die Wände von der Spannung auszudehnen schienen. Ohne den Blick von ihr abzuwenden, starrte er sie drohend und mit unbewegter Miene an. Marguarita kämpfte mit sich, um nicht woanders hinzusehen – und sich nicht völlig von ihm einschüchtern zu lassen. Zacarias erschien ihr riesig. Er beherrschte das ganze Zimmer, seine breiten Schultern blendeten alles hinter ihm aus, und sie wurde sich seiner Macht und ihrer eigenen Verwundbarkeit bewusst.

»Vielleicht möchtest du das Bündnis zwischen unseren Familien ja auflösen? Wenn es das ist, was du willst, brauchst du nur zu sagen, dass du dich nicht an unsere Abmachung gebunden fühlst.«

Marguarita stockte der Atem. Er würde sie ganz bestimmt nicht gehen lassen. Sie konnte sein Bedürfnis nach ihrer Nähe viel zu deutlich spüren. Er konnte sie nicht gehen lassen. Zacarias erkannte nur nicht, dass er Gefühle hatte, die tief unter der Oberfläche brodelten. Über ihre primitive, animalische Verbindung versuchte sie, sich diese Empfindungen zunutze zu machen, doch es war nicht nur so, dass er seine eigenen Gefühle nicht erkannte, sondern er hatte auch keine Ahnung, dass sie überhaupt vorhanden waren. Selbst wenn sie das Bündnis zwischen ihrer großen Familie und den Brüdern de la Cruz von ihrer Furcht vor ihm zerstören ließ, würde es sie nicht retten.

Und so presste sie die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Ich möchte dir dienen.

»Ohne Widerworte oder Fragen?«

Sie biss die Zähne zusammen. Er wollte Genugtuung für ihren Ungehorsam. Oder vielleicht verstand sie ihn falsch. Dieser Mann schien nicht die leiseste Ahnung zu haben, wie man mit Menschen umging. Wahrscheinlich hatte er sich seit Hunderten von Jahren nicht mehr in zivilisierter Gesellschaft aufgehalten.

»Und mir lag auch nichts daran«, erklärte er, da er ihre Gedanken offenbar noch immer las.

Marguarita überlegte, ob sie sich das Vergnügen gönnen sollte, ihm den Mund zuzunähen, während er in seiner unterirdischen Kammer schlief. Denn kaum zog sie in Betracht, dass es Erklärungen für sein haarsträubendes Benehmen geben könnte, begann er zu sprechen und ruinierte wieder alles.

Sie warf ihm einen raschen Blick zu und sah, wie seine Lippen sich zu diesem bemerkenswerten, aber leider viel zu kurzen und schwachen Lächeln verzogen. Ihr Magen vollführte wieder einen Purzelbaum.

»Ich sehe das Bild einer Frau, die dir verdächtig ähnlich sieht und mir mit Nadel und Faden den Mund zunäht. Oder deute ich deine Gedanken vielleicht nicht richtig?«

Marguarita gab sich die größte Mühe, eine unschuldige Miene aufzusetzen. Vielleicht könnten wir uns besser verständigen, wenn du mir Stift und Block zurückgäbst. Dann käme es ganz sicher nicht zu diesen kleinen Missverständnissen. Das war keine Lüge. Und zumindest würde es sie möglicherweise vor Schwierigkeiten bewahren.

»Ich bezweifle, dass ein Stift und Block so viel Macht besitzen«, stellte Zacarias fest.

Sie wünschte wirklich, er würde sich aus ihrem Kopf heraushalten. Ich muss mich setzen. Ihr war gerade erst bewusst geworden, dass sie schwankte. Vielleicht war es der Schock, aber das ganze Zimmer drehte sich plötzlich um sie.

Er ergriff ihren Arm und half ihr auf das Sofa. »Möchtest du ein Glas Wasser?«

Was auch immer, solange es sie nur für einen Moment von seiner überwältigenden Präsenz befreite. Sie nickte und gab sich alle Mühe, wie eine dieser zarten, zur Ohnmacht neigenden Damen auszusehen. Sie war eher kräftig, sodass er ihr das womöglich nicht ganz abnahm, doch andererseits war er so altmodisch, dass sie vielleicht trotzdem damit durchkam.

Wieder verzogen sich seine Mundwinkel zu diesem schwachen Lächeln, und er schüttelte den Kopf und reichte ihr ein Glas Wasser. »Du solltest lernen, deine Gedanken zu zensieren. Beschreib mir, wie dein ganz normaler Tag aussieht.«

Sie zuckte die Schultern und ließ ihren Alltag vor ihrem inneren Auge Revue passieren. Ein Bad nehmen. Sich anziehen und die Haare bürsten. Ihr Zimmer aufräumen. Frühstücken. Ordnung im Haus schaffen. Bestellungen für die Arbeiterfamilien aufgeben. Pferde und Rinder auf Krankheiten oder Verletzungen untersuchen. Ein Mittagessen zubereiten. Julio heißen Kaffee und Sandwiches bringen. Mit ihm reiten und plaudern …

Die Luft im Raum wurde spürbar schwerer. Die Wände dehnten sich, der Boden geriet ins Schlingern. Marguarita hielt sich stirnrunzelnd am Sofa fest. Was ist? Du hast mich gebeten, dir einen ganz normalen Tag zu beschreiben. Ich habe auch Freizeit, darf zu Mittag essen und reiten.

»Wer ist dieser Mann, mit dem du lachst?«

Marguarita runzelte die Stirn. Du kennst Cesaros Sohn nicht? Als Zacarias fortfuhr, sie anzustarren, bis sie ein Brennen auf der Stirn zu spüren begann, seufzte sie. Ich brauche Papier und einen Stift. Sonst kann ich dir keine korrekten Eindrücke vermitteln.

»Ich glaube, ich verstehe deine Eindrücke sehr gut. Du wirst nicht mehr mit diesem Mann ausreiten. Fahr fort!«

Marguarita rieb sich die Schläfen, in denen sie einen beginnenden Kopfschmerz spürte. Sie war zu erschöpft und verwirrt, um noch länger Angst zu haben. In einem Moment war sie wütend auf Zacarias, im nächsten belustigte er sie. Sie hatte absolut keine Ahnung, wie sie mit ihm umgehen sollte. Die Verbindung zwischen ihnen schien stärker zu werden, je öfter sie an sein Bewusstsein rührte. Aber sie wollte ihn nicht in ihrem Kopf haben, und je mehr sie sich auf telepathischem Weg mit ihm verständigte, desto leichter wurde es für ihn, ohne ihr Wissen ihre Gedanken zu lesen. Das Gefühl war innerhalb kürzester Zeit so natürlich geworden, dass sie nichts anderes mehr fand als Wärme.

Ich besuche die Familien, die Hilfe brauchen, kümmere mich um die medizinischen ’Notfälle, die sich ergeben, bereite das Abendessen zu und esse selbst …

»Ich kann nicht sehen, ob du allein isst.«

Er klang so grimmig, dass sie aufblickte, um ihm ins Gesicht zu sehen. Es sah wie versteinert aus. Wieder presste sie ihre Finger an die Schläfen. Meistens ja. Danach räume ich die Küche auf, backe manchmal etwas und bade und lese, bevor ich zu Bett gehe – allein.

Er streckte die Hände aus und legte die Finger an ihre Schläfen. »Schließ die Augen. Ich glaube, du hast genug gehabt für heute Abend. Du musst dich ausruhen. Wir können dieses Gespräch morgen nach Sonnenuntergang fortsetzen. Und wir werden einen Waffenstillstand schließen. Heute Nacht wirst du schlafen, ohne Angst zu haben. Ich habe das Haus mit starken Schutzzaubern versehen. Sollte ein Diener des Vampirs erscheinen, wird er nicht in mein Zuhause eindringen können.«

Ihr blieb fast das Herz stehen. Er hatte »mein Zuhause« gesagt. Noch nie zuvor hatte sie einen der Brüder de la Cruz einen Ort als »ihr Zuhause« bezeichnen hören. Der Gedanke entglitt ihr jedoch, bevor sie ihn festhalten konnte, und die Wärme, die den Schmerz in ihrem Kopf ersetzte, ließ sie ein bisschen schwindeln.

Zacarias bückte sich und hob sie auf, um sie durch das Haus zu ihrem Schlafzimmer zu tragen. Die Tür war wieder vollkommen in Ordnung. Auch das Zimmer war makellos aufgeräumt, wie sie auf dem Weg zum Bett bemerkte. Ihre Lider waren schwer geworden, ihr Körper wollte sich nicht mehr bewegen. Zacarias legte sie aufs Bett und strich ihr in einer Geste, die fast schon ein Streicheln war, das Haar zurück.

Marguarita konnte sich nicht erinnern, warum sie ihn herrisch, arrogant und aufgeblasen gefunden hatte. Er deckte sie zu und versicherte ihr noch einmal, dass ihr nichts geschehen konnte. Und sie fühlte sich sicher. Sie lächelte ihn sogar an, bevor ihr die Augen zufielen. Die Idee mit dem Waffenstillstand war gut. Damit würde sie leben können …