13. Kapitel
Zacarias zog Marguarita hoch und schwenkte die Hand, um ihren nackten Körper mit einem langen Rock und einer Bluse zu bedecken. Dann schloss er mit unnachgiebiger Härte die Finger um ihre Oberarme und zwang sie, zu ihm aufzublicken.
»Du wirst mir jetzt genau zuhören, Marguarita. Du bist meine größte Schwäche, und ich trage Verantwortung für dich. Es darf nichts von dir in mir zurückbleiben. Keine Spur, kein Duft, rein gar nichts. Sowie ich meinen Geist vor dir verschließe, darfst du nicht mehr nach mir rufen, ganz gleich, wie lange es dauert oder was auch immer vorfallen mag.« Er rüttelte ein wenig an ihr. »Hast du das verstanden?«
Sie schüttelte den Kopf; in ihren Augen standen Tränen. Aber das durfte ihn nicht kümmern. Er durfte kein Mitleid mit ihr haben. Nur Eiseskälte und Härte durften in seinem Bewusstsein sein, aber keine Spuren dieser Frau, derentwegen es Tausende von Toten geben könnte, Karpatianer wie auch Menschen. Nichts an ihm oder in ihm durfte auf sie hinweisen. Auch von dem Geruch ihrer geliebten Pferde durfte nichts an ihm zu spüren sein.
Schock und Schmerz verdunkelten Marguaritas Augen, als sie ein paarmal verständnislos blinzelte. Zacarias hatte das bewirkt, doch er konnte sie nicht trösten. Er durfte kein Teil mehr von ihr sein. Sie war noch nicht ganz zur Karpatianerin geworden und verstand nicht, wie es in seiner Welt zuging. Sie blickte sich benommen und verwirrt um, als erwachte sie aus einem Traum. Zacarias konnte es ihr nicht verübeln; sein ganzer Körper fühlte sich an, als wäre er kurz davor gewesen, in Flammen aufzugehen. Er hatte großes Glück gehabt, dass er so auf Gefahren eingestellt war.
Die Pferde bäumten sich auf und ließen die Hufe wirbeln, traten gegen die Boxentüren und wieherten schrill. Marguarita stockte der Atem, als sie sich ihnen zuwandte.
Spürst du das auch? Sie haben Angst – aber nicht vor dir. Es ist etwas anderes, Zacarias, etwas tiefer Gehendes, was sie ängstigt. Da ist eine Art Faden, eine Ranke …
Er reagierte sofort, riss Marguarita zu sich herum und schüttelte sie ein wenig. »Versuch nicht, ihm zu folgen! Es ist ein Vampir. Ein Untoter, der seine Ranken ausgestreckt hat und versucht, durch die Tiere, die du liebst, an dich heranzukommen.«
Ich werde Alarm schlagen, dann werden die Männer kommen und mitkämpfen.
»Du wirst den Alarm auslösen, der sie anweist, Schutz zu suchen. Sie wären mir nur im Weg, und einen Kampf mit anzusehen würde ihre Angst vor mir noch vergrößern.«
Tränen liefen ihr über die Wangen, und ihre großen Augen flackerten vor Furcht. Dir darf nichts passieren, Zacarias. Die Männer könnten helfen. Ich könnte helfen …
Wieder schüttelte er sie ein wenig. »Du gehorchst mir jetzt und stellst keine Fragen. Ich bringe dich zum Haus hinüber.« Er schlang einen Arm um ihre Taille und hob sie auf. »Dort bleibst du, bis ich zu dir komme, egal, wie lange das auch dauert. Versuch nicht, mein Bewusstsein anzurühren, um mit mir zu sprechen. Ich erwarte, dass du mir hierin gehorchst.«
Das brennende Ungestüm in ihm und die Nervosität, die ihn befiel, verrieten ihm, dass der Kampf schon nahe war. Vorher musste er aber noch die Häuser und Ställe mit Schutzzaubern belegen, um die Vernichtung von Besitz und Leben zu verhindern. Vampire zerstörten und mordeten allein zum Vergnügen gern. Vor allem jedoch musste Zacarias jede Spur von Marguarita aus seinem Kopf und Körper, aus Herz und Seele tilgen. Nichts durfte auf sie hinweisen, da der Feind sogar die schwächsten Gerüche wahrnehmen konnte.
Zacarias machte sich und Marguarita unsichtbar, bevor er mit schwindelerregender Geschwindigkeit mit ihr zum Haus hinüberflog. Drinnen ging er geradewegs zu seinem eigenen Schlafzimmer, das die dicksten Wände hatte, und schob Marguarita in eine enge Nische in der Mauer. »Rühr dich nicht von hier fort! Wenn du dich meinem Befehl widersetzt, wird es schwerwiegende Konsequenzen haben, Marguarita.«
Sie zog die Knie an, schlang die Arme darum und machte sich ganz klein, dann nickte sie. Ihr Gesicht war tränenüberströmt, aber die Furcht in ihren Augen galt nur Zacarias und nicht dem, was er als Strafe für sie im Sinn haben könnte, falls sie nicht gehorchte.
Und er wiederum musste sich ihr ganz und gar verschließen. Er durfte weder daran denken, wie süß ihr Atem war, noch daran, wie es sich anfühlte, wenn ihr Geist mit seinem verschmolz – all das musste er völlig in sich auslöschen und leer werden wie ein Krieger, der ganz allein war und nichts zu verlieren hatte. Deshalb wandte er sich wortlos ab und eilte hinaus, um seine stärksten Schutzzauber über sämtlichen Gebäuden auf der Hazienda anzubringen. Es würde sehr viel Kraft und Durchhaltevermögen erfordern, angesichts der sich nähernden Vampire solch starke Schutzzauber zu fabrizieren.
Draußen atmete er tief die Nachtluft ein. Es waren drei Vampire. Ruslan würde nicht seine besten zum ersten offenen Angriff schicken, doch es war anzunehmen, dass er zumindest erfahrene ausgesandt hatte. Sie kamen aus drei Richtungen, um Zacarias in die Enge zu treiben und den Schauplatz des Kampfes zu bestimmen. Da er sie jedoch so weit wie möglich von seiner Seelengefährtin und allem, was ihr lieb war, entfernt haben wollte, erhob er sich schnell in die Luft und flog zum fernen Ende der Ranch, wo der Regenwald auf die Lichtung traf, auf der Ruslan mit seiner giftigen Pflanze eingedrungen war, um zur Unterstützung seiner vorrückenden Vampire eine Falle anzulegen.
Es würde ein Strategiespiel werden. Ruslan, der ein Meister der Strategie war, würde sich nach Kräften bemühen, Zacarias in eine Falle zu locken. Der bevorstehende Angriff würde nur der einleitende Schachzug sein, um Zacarias’ Stärke und Entschlossenheit zu testen. Er war lange genug an einem Ort geblieben, um Ruslan mutmaßen zu lassen, dass er bei der Schlacht in Brasilien schwer verwundet worden war. Der Meistervampir hatte gewiss erfahren, dass Blutströpfchen in der Luft gewesen waren, und seine Spürhunde waren ihnen mit Sicherheit bis nach Peru und zur Hazienda der Familie de la Cruz gefolgt. Ruslan dachte wahrscheinlich, dass Zacarias’ Gesundung nur langsam voranschritt und er noch immer sehr verwundbar war.
Verwundbar war er, aber nicht aus den von Ruslan angenommenen Gründen. Sehr sorgfältig entfernte Zacarias sämtliche Duftspuren von seinem Körper und alle Erinnerungen an Marguarita aus seinem Kopf. Schier unerträgliche Einsamkeit befiel ihn, nachdem er erlebt hatte, wie anders alles war, wenn sie in ihm war und die Leere ausfüllte. Ohne Marguaritas Verbindung zu ihm wurde die Welt wieder grau und öde. Wohin er auch blickte, die Farben waren nicht mehr da. Die schillernden Grüntöne des Regenwaldes, die strahlend bunten Farben der Blumen, die sich an den Baumstämmen hochwanden, ja sogar die vielen Grünschattierungen der großen Farne waren alle zu einem langweiligen Grau verblasst.
Entschlossen verbannte Zacarias jeden Gedanken an Marguarita. Es erforderte große Disziplin, sie vollkommen aus seinem Bewusstsein auszuschließen. Seelengefährten brauchten einander. Waren die Bande zwischen ihnen erst einmal geschaffen, waren sie unzerstörbar, und sein Geist würde stets versuchen, mit dem ihren in Kontakt zu treten. Zählte man hinzu, dass Zacarias nur dann Farben sehen und Gefühle empfinden konnte, wenn sie geistig mit ihm verbunden war, war es nur zu verständlich, wie furchtbar er unter dem Abbruch der Verbindung litt.
Zum Glück war er ein alter Krieger und seine allererste Priorität die Sicherheit seiner Gefährtin.
Er kehrte den von Menschen errichteten Gebäuden und Behausungen, die ihnen so viel bedeuteten, den Rücken zu. Als Nomade, dessen Selbsterhaltungstrieb ihn ständig weiterziehen ließ, hatte er das früher nie verstanden. Nicht einmal seine Brüder kannten seine Ruhestätten oder geheimen Verstecke, von denen er Dutzende in ganz Südamerika hatte, Orte, an die er sich zurückziehen und an denen er ausruhen konnte, falls es nötig war. Doch nun, mit Marguarita, begann er zu verstehen, was ein Zuhause war – nicht die Art der Behausung und auch nicht der Ort, an dem sie sich befand. Sein Zuhause war Marguarita, seine Seelengefährtin.
Zacarias erhob sich in die Luft, ein schmaler Streifen Dunst, der mit der leichten Brise dahintrieb, den Luftströmungen folgte und sich vorsichtig vorantastete, um den Aufenthaltsort seines Feindes zu finden. In der Ferne konnte er eine einzelne schwarze, sehr aufgewühlte Wolke sehen, die auf das Weideland zuhielt, auf dem die Herde die Nacht verbrachte. Grelle Blitze zuckten an den Rändern dieser turbulenten schwarzen Wolke auf.
Zacarias behielt sie im Auge, ohne sich ihr jedoch zu nähern. Es war anzunehmen, dass Ruslan seine Vampire gut vorbereitet und vor Zacarias’ Persönlichkeit gewarnt hatte. Er war ein Kämpfer, der, anders als Ruslan, nicht zögerte, sich seinem Feind zu stellen. Der Meistervampir hatte seine Schachfiguren bestimmt davor gewarnt, dass Zacarias de la Cruz nicht die Flucht ergreifen, sondern sich dem Kampf stellen, ja ihn sogar suchen würde. Die riesige Sturmwolke, die so Unheil verkündend an dem ansonsten klaren Himmel aussah, war nur eine Visitenkarte, um ihn aus der Reserve zu locken – und eine ziemlich schwache noch dazu.
Zacarias sandte der Wolke ein Trugbild zu, ein bloßes Abbild seiner selbst, das mehr aus Luft als aus Substanz bestand, obwohl er präsent war in dieser undeutlichen Gestalt. Er spürte, wie diese Marionette gegen etwas Unsichtbares stieß, etwas Solides, Scharfes, das sein Trugbild auf der Stelle in Fetzen riss. Sofort ritzte Zacarias sich das Handgelenk auf, rief eine sanfte Brise herbei und schüttelte Blutströpfchen in den Wind, den er über das von ihm gewählte Kampffeld sandte, an dem Ruslan mit seiner giftigen Pflanze eine Falle anzulegen versucht hatte.
Zacarias’ Blut war machtvoll. Er war nicht nur ein uralter Karpatianer, sondern zweifelsohne auch einer der mächtigsten Jäger dieser Welt. Der Geruch seines Blutes würde die Vampire anlocken wie Haie. Sie würden die Tröpfchen wittern, und die in einem einzigen Tropfen enthaltene Macht würde für sie ein Preis sein, um den es sich zu kämpfen lohnte. Natürlich würden sie auch triumphierend ihrem Herrn die Kunde übermitteln, dass Zacarias in der Tat verwundet war und sie mit ihrer simplen Falle den ersten Coup gelandet hatten. Dass er noch verletzt war, würde Ruslan glauben, doch ihm würde auch klar sein, dass der Trick mit der Sturmwolke den Karpatianer nicht hervorgelockt hatte.
Langsam schwebte Zacarias über das Feld und ließ die Brise noch mehr Blutstropfen mitnehmen und weit verstreuen. Es war ein Ruf, der unwiderstehlich sein würde. Ein neu geschaffener Vampir wäre schon längst aus dem Gebüsch gekrochen, um einen der kostbaren Tropfen zu suchen und aufzulecken, bevor ihm andere zuvorkamen. Die Tatsache, dass sich nicht gleich etwas rührte, nahm Zacarias als Bestätigung dafür, dass Ruslan keine unerfahrenen Kämpfer geschickt hatte.
Sein drängendes, instinktives und ursprüngliches Verlangen nach dem Kampf verschärfte sich. Das war es, wofür er lebte. Er kannte den Rausch so gut wie das Töten und wartete mit der endlosen Geduld, die er sich bei Tausenden solcher Kämpfe erworben hatte. Es dauerte genau sieben Minuten, bis sich der erste der drei Vampire zeigte. Das Gebüsch gleich hinter dem Rand des Regenwaldes verdorrte, wurde braun und schrak vor der Unnatürlichkeit des Untoten zurück, als er die langen Farnwedel beiseiteschob und auf das Feld hinausspähte.
Zacarias hatte diesen Vampir schon einmal gesehen, vor ein paar Jahren erst – oder vielleicht war es auch länger her, denn die Zeit verstrich jetzt, ohne etwas zu bedeuten. Aber selbst damals schon, bevor der Karpatianer sich verwandelt hatte, hatte Zacarias gewusst, dass er seine Ehre längst verloren hatte. Zacarias war ihm aus dem Weg gegangen, so wie er alle Karpatianer mied. Zacarias de la Cruz war ein Jäger und wollte nicht der Freund von irgendeinem von ihnen sein, schließlich war es möglich, dass er ihn irgendwann töten musste. Dieser Vampir hier war höchstens fünf- oder sechshundert Jahre alt, und jemand, der sich in diesem Alter schon verwandelt hatte, war mehr als nur verachtenswert. Was konnte einen Karpatianer, der noch nicht die vollen Auswirkungen der Zeit erlitten hatte, dazu bewegen, die Ehre aufzugeben?
Der Vampir hob schnüffelnd die Nase und witterte den starken Geruch des uralten karpatianischen Blutes in der Luft. Gierig schoss seine Zunge hervor, und seine Nasenflügel flatterten. Die Grimasse, die er schnitt, entblößte die verfaulenden scharfen Zähne, die schon fast völlig schwarz geworden waren. Sein Name hatte etwas mit dem Wald zu tun – Forester oder so ähnlich. Aber das war unerheblich. Früher hatte Zacarias ihn als wenig ehrenhaften Mann betrachtet; heute war er ein Ehrloser für ihn.
Zacarias brachte die Brise wieder zum Stillstand, sodass die Luft ganz ruhig und der Geruch seines Blutes dadurch noch intensiver wurde. Der Ehrlose zog sich zwischen die verdorrenden Farne zurück und blickte mit einer misstrauischen, tierisch anmutenden Bewegung zuerst in die eine Richtung und dann in die andere, bevor er wieder den Mut aufbrachte, den Kopf aus dem Gebüsch zu strecken.
Ein prüfender Blick auf das Kampffeld zeigte Zacarias, dass sich sonst nichts rührte. Kein Grashalm und auch keins der Blätter an den Bäumen regte sich. Zwei von Ruslans untoten Schachfiguren waren diszipliniert genug, dem Ruf des alten, machtvollen Blutes zu widerstehen. Obwohl sie ihn, Zacarias, für verwundet hielten, waren sie geduldig genug, um abzuwarten, bis er sich zeigte. Sie mussten genügend Intelligenz besitzen, um ihren ungeduldigeren Partner als Köder zu benutzen.
Zacarias erkannte jetzt, dass seine Falle leicht zu einer für ihn selbst werden konnte. Die Kälte in ihm wurde zu Eis, zu einem blauen Gletscher, der sich spürbar vergrößerte, während die »Schachpartie« ihren Fortgang nahm. Das war seine Welt. Davon verstand Zacarias etwas. Er beobachtete, wie der Mann ohne Ehre aus dem Schutz des dichten Unterholzes kroch und, kaum mehr als ein Schatten, zu dem Feld hinüberhuschte. Hinter ihm nahm das helle Gras eine schmutzigere Färbung an, als es verdorrte und eine Spur der Zerstörung hinterließ, die der Vampir nicht einmal bemerkte. Er war so versessen darauf, Zacarias’ Blutstropfen mit der Zunge aufzusammeln, dass er vergessen hatte, wie die Natur sich gegen ein solch unnatürliches Wesen auflehnte und eine Spur erzeugte, die geradewegs zu dem Untoten hinführte.
Die schattenhafte Gestalt verlängerte sich, als der Vampir nun sogar auf dem Bauch über die Erde kroch und, gierig nach dem machtvollen Blut, das ihn in einen gefährlichen Rausch versetzte, einen Grashalm nach dem anderen ableckte. Um die beiden anderen Vampire nicht auf die sich regende Macht aufmerksam zu machen, sandte Zacarias mit kleinen, sparsamen Bewegungen einen jähen, scharfen Wind durchs Gras. Gleichzeitig schärfte er die Ränder der Grashalme und verwandelte sie in bösartiges Sauergras.
Der Vampir rollte sich aufschreiend zur Seite und presste die Hand an den blutenden Mund. Tiefe Schnitte hatten die schwarze Zunge und die Lippen des Untoten überzogen. Zacarias machte sich nicht einmal die Mühe, sein Werk in Augenschein zu nehmen, sondern ließ den Blick nur prüfend über den Boden, die Bäume und sogar den Himmel gleiten. In den dunklen Wurzeln eines Kapokbaumes bewegte sich ein Schatten, und obwohl es nur eine fast unmerkliche Bewegung war, genügte sie. Zacarias schloss den Schnitt an seinem Handgelenk und entfernte jeglichen Geruch von Blut von sich. Dann ließ er sich von den wechselhaften Winden in die Richtung des Regenwaldes treiben, geradewegs zu diesem hohen, beeindruckenden Baum hin, der sich wie ein stummer Wächter über dem Dach der Baumkronen erhob.
Weder Fledermäuse hingen an den Wurzeln noch hockten Vögel auf den Ästen. Die Blätter des Baumes waren welk und zitterten, doch am Stamm lief kein verräterischer Saft herab, was ein Anzeichen für Baumkrebs wäre. Da war nur die kaum merkliche Bewegung, die Zacarias aus dem Augenwinkel wahrgenommen hatte. Der Wind hatte sich zu einer sanften Brise gelegt, von der Zacarias sich geradewegs in den großen Wurzelkäfig unter dem Baum hineintragen ließ. Der widerliche Geruch, der ihm entgegenschlug, verriet ihm, dass er seiner Beute nahe war.
Sowie er sich im Schutz des ausgedehnten Wurzelkäfigs befand, achtete er sorgfältig darauf, sich völlig reglos zu verhalten. Der Boden war mit Fledermauskot und kleinen Früchten übersät. Zacarias sah sich das Wurzelsystem an und konnte feststellen, wo der Untote dort eingedrungen war. Obwohl er sich bemüht hatte, den Baum selbst nicht zu berühren, hatte er doch eine der dicken Rippen gestreift, die sich über den Waldboden erstreckten und ihn verdunkelten. Der Brandfleck an der Wurzel war jedoch nur klein und schwach, was darauf schließen ließ, dass der Vampir schlau und weitaus vorsichtiger als die meisten war.
Zacarias wusste, dass er sich in einem geschlossenen, engen Raum mit einem anderen Raubtier befand, einem bösartigen und listigen, das bereit war, seinen Gefährten dem Jäger zu opfern, um einen Karpatianer töten zu können. Eine falsche Bewegung könnte den Tod bedeuten, doch Zacarias verspürte weder Furcht noch Unruhe. Er war nun durch und durch Krieger – und er machte keine Fehler. Seine Geduld war grenzenlos. Früher oder später würde dieser Vampir sich regen, um zu sehen, was auf dem Feld vorging. Er würde seinen Gefährten durchs Gras kriechen und sich Arme, Beine und den Bauch zerschneiden sehen. Mittlerweile hatte der Ehrlose Zacarias’ machtvolles Blut probiert, und der unmerkliche psychische Zwang, mit dem es unterlegt war, würde bei ihm wirken und seine Sucht verstärken, bis nichts anderes mehr zählte als der Geschmack dieses besonderen Blutes.
Zacarias wartete im Dunkeln und versuchte, den Gestank des verfaulenden Fleischs des Untoten nicht einzuatmen. Der Baum stöhnte, was das einzige andere Geräusch war neben dem unaufhörlichen Gejammer des Mannes ohne Ehre, der auch weiterhin den Boden nach den kostbaren Blutstropfen absuchte. Das Sauergras zerschnitt ihm Hände, Arme und Bauch, ja sogar Gesicht und Zunge, doch die schreckliche Gier nach immer mehr von diesem machtvollen Blut zeigte schon Wirkung.
Eine vorsichtige Bewegung links von Zacarias verriet ihm die Position des Feindes. Der Vampir schlich leise vor, um einen besseren Blick auf das Feld zu gewinnen. Die Kreatur wurde des Wartens müde. Sie fragte sich allmählich, ob Zacarias tatsächlich dort war oder nicht. Er war nicht in die Sturmwolke gerast, wie Ruslan prophezeit hatte, und er hatte sich auch nicht gezeigt. Sie waren der Blutspur gefolgt und hatten frisches Blut gewittert. Vielleicht, so mutmaßten sie bestimmt, war Zacarias an einen anderen Ort geflohen, um sich von einer Wunde zu erholen, die höchstwahrscheinlich tödlich war.
Als karpatianischer Jäger hatte er schon alles gesehen und wusste sehr gut, was in den Köpfen seiner Gegner vorging. Geduld gehörte nicht zu den starken Seiten des Nosferatu, auch wenn der dritte Verschwörer sich bisher noch nicht verraten hatte. Lautlos und ohne die übel riechende Luft in dem Wurzelkäfig zu bewegen, brachte Zacarias sich hinter dem stinkenden Vampir in Position. Nicht der kleinste Hauch konnte seinen Gegner warnen. Sowie sich Zacarias in der perfekten Stellung befand, stieß er dem Untoten die Faust durch Haut, Knochen und Sehnen, um an das Herz heranzukommen. Gleichzeitig drückte er dem Vampir mit der anderen Hand die Kehle zu, um zu verhindern, dass er schrie.
Das ätzende, dickflüssige schwarze Blut lief Zacarias über die Hand und den Arm, als er langsam das pochende, verkümmerte Herz herauszog und dem Vampir mit der anderen Hand den Kehlkopf zerquetschte, um zu verhindern, dass er Geräusche von sich gab und Zacarias’ Gegenwart verriet.
Am Himmel über ihnen peitschten Blitze auf und bestrichen das Feld, auf dem der Ehrlose immer noch umherkroch und nach Blut suchte. Hunderte von Einschlägen erschütterten die Erde, es regnete förmlich Blitze vom Himmel, die wie große, gezackte Schwerter wieder und wieder zuschlugen. Der schwindelerregende Angriff schien überall zugleich zu sein. Die Reichweite der Blitze war so groß, dass nicht zu erkennen war, wo jeder einzelne einschlug, aber kein einziger traf den Baum. Sie alle schlugen nur in seiner Nähe ein.
Einer der Blitze traf das Herz, das vor dem Wurzelkäfig lag, wo Zacarias es hingeworfen hatte, und entzündete es auf der Stelle. Rücksichtslos warf Zacarias auch den Kadaver des Vampirs durch die dicken hölzernen Rippen und ließ ihn ebenfalls vom Blitz vernichten. Dann reinigte er sich Hände und Arme in dem Strahl weißglühender Energie und ließ das Blitzgewitter noch einen Moment weitergehen und über das Feld streichen, um seine Position nicht zu verraten.
Danach wurde alles wieder totenstill. Der Himmel klarte auf, die Sterne glitzerten, und nur die eine dunkle, turbulente Wolke war ein Hinweis darauf, dass etwas nicht in Ordnung war. Das Gras schien stellenweise geschwärzt zu sein, und ein paar brennende Halme sandten zusammen mit schwarzen Rauchspiralen Funken in die Luft. Obwohl die Feuer, die diese dünnen schwarzen Rauchfäden erzeugten, nur winzig klein waren, griffen sie schnell um sich, und schon bald flammten mehrere Feuer um den Mann ohne Ehre auf.
Zacarias ließ die Brise über die Baumkronen streichen, um die Blätter an den Bäumen entlang des etwa hundert Fuß entfernten Zaunes in Bewegung zu bringen. Sogleich öffnete sich der Boden neben dem regungslosen Kapokbaum, die Erde schoss in die Höhe wie ein Geysir, und eine dicke, struppige Liane schwang sich zu dem Baum hinauf, wand sich um den Stamm und stieg noch höher, auf das Blätterdach zu, wobei sie alles erstickte, was sie berührte und sich in ihrer Reichweite befand. Immer fester wickelte sie sich um den Baum, bis die Rinde aufplatzte und dicke Streifen davon mit solch erstaunlicher Kraft von dem Baum herunterschossen, dass Äste unter dem Gewicht zerbrachen und zu Boden fielen.
Der Vampir hatte schnell und präzise zugeschlagen, aber dabei nicht seine Position verraten. Beeindruckend, dachte Zacarias. Ruslan hatte zumindest einen mitgeschickt, der sich als würdiger Gegner erweisen könnte. Zacarias verstärkte die Brise noch und ließ sie über das Feld wehen, sodass die Rauchfahnen sich nun über den Bereich verteilten, sich vereinten und die Sicht schon teilweise verdunkelten. Dann glitt er selbst in den Rauch hinein. Er hatte die Form eines grauschwarzen, durchsichtigen Dunstes angenommen, der immer mehr mit dem Rauch der kleinen Feuer verschmolz, bis er zu einem dichten, fast undurchdringlichen Schleier wurde.
Unter ihm weinte der Mann ohne Ehre, und seine Tränen verätzten das Gras, aber er hörte noch immer nicht auf zu suchen, kroch weiter wie der niedrigste Wurm herum und suchte in fieberhafter Gier nach weiteren Tropfen des machtvollen, wirkungsreichen Bluts. Er konnte jetzt schon nicht mehr ohne leben, und nichts anderes kümmerte ihn noch, schon gar nicht Ruslan und seine Drohungen und leeren Versprechungen. Nur das Blut. Er brauchte es. Der Ehrlose sabberte und wimmerte, mittlerweile völlig gleichgültig den unzähligen Schnitten in seinem Gesicht und an seinem Körper gegenüber. Wahrscheinlich war er sich der scharfen, gezackten Kanten des Sauergrases, die ihn immer mehr verletzten, nicht einmal bewusst. Nur das Blut zählte, nur dieser nächste kleine Tropfen, den er vielleicht noch finden würde.
Der Mann ohne Ehre bemerkte weder die Flammen auf dem Boden noch die dichte Rauchdecke über seinem Kopf. Er roch den Schatz – diesen wundervollen, erstaunlichen, machtvollen Schatz, der ganz allein ihm gehörte. Er würde ihn nicht mit seinen Gefährten teilen, und er würde ihn unbesiegbar machen, unzerstörbar, noch mächtiger sogar als Ruslan – immerhin war dieser einsame Jäger der Karpatianer, den Ruslan mehr als alle anderen fürchtete. Aber mit diesem Blut würde er über die Vampire herrschen und irgendwann auch über die Karpatianer. Menschen würden nichts als Vieh und Marionetten für ihn sein.
Schnüffelnd hob er den Kopf. War da nicht ein Tröpfchen über ihm? Er rollte sich herum und fuhr suchend mit der Zunge durch die verrauchte Luft. Wenn sich der Karpatianer doch nur sehen ließe! Dann würde er ihm das Herz herausreißen und es verschlingen, bevor er sich auch den letzten Tropfen Blut des Jägers einverleiben würde. Er brauchte es. Seine Zunge fand nichts, doch seine Nase roch noch mehr von diesem köstlichen, verführerischen Blut. Die Tropfen waren direkt in die Wunden an seiner Brust und seinem Bauch gefallen. Dieser Karpatianer musste also in der Nähe sein und bluten.
Die Fingernägel des Ehrlosen verlängerten sich zu rasiermesserscharfen Krallen, und er begann, sein eigenes Fleisch zu zerfetzen, um an die kostbaren Blutstropfen heranzukommen. Die schrillen Schmerzensschreie und das verzweifelte Wimmern und gierige Heulen nach dem Blut, die die ansonsten stille Nacht zerrissen, waren grauenhaft. Die Pferde in den Ställen reagierten darauf, traten aus und stampften in dem sinnlosen Versuch, den fürchterlichen Geräuschen zu entkommen. Auch die Rinder auf den fernen Weiden sprangen alle fast im selben Moment auf, als wäre ein Stromstoß durch die Herde gefahren.
In der Ferne hörte Zacarias das Wopp-Wopp der Hubschrauberblätter und fluchte in seiner Muttersprache, bevor er dem Ehrlosen das Herz herausriss und es weit aufs Feld hinausschleuderte. Dann zog er sich wieder in den Schutz des Rauches zurück und achtete darauf, mit der Brise dahinzuwehen und nicht seine Position zu verraten, indem er sich zu sehr beeilte. Er wusste, dass der andere Vampir auf seinen schreienden Partner einschlagen würde, weil er annehmen musste, dass Zacarias irgendwo in dem Rauch neben ihm war. Wieder erhellten Blitze den Himmel, der für aller Augen wie ein modernes Kampfgebiet aussehen musste, als Speere aus weißglühender Energie in den Boden einschlugen. Einer traf das Herz, setzte es in Flammen und sprang dann mit untrüglicher Sicherheit auf den Körper des Vampirs über, um auch diesen zu vernichten.
Die Rinder würden in Panik geraten, eine Stampede würde ausbrechen, und der Vampir würde sofort erkennen, dass die Leute in dem Helikopter bei der Familie de la Cruz beschäftigt waren. Die Rancharbeiter würden aus ihren Häusern strömen, obwohl sie Anweisung hatten, drinnen zu bleiben. Doch ihr Instinkt, die Herde zu retten, würde stärker sein als ihr Gehorsam. Noch mehr Köder für den Vampir – der natürlich erwarten würde, dass Zacarias de la Cruz sie beschützte.
Zacarias griff nach der turbulenten Wolke, die der Vampir fabriziert hatte, um sie als Falle zu benutzen, und die noch immer am Himmel dahintrudelte. Schwer vor Feuchtigkeit, vergrößerte sie sich bei jeder Drehung und wuchs zu einem gewaltigen Turm an, einem dunklen, bösartigen Trichter aus rasendem Zorn. Zacarias öffnete die Schleusen des Himmels und ließ Regen auf das Feld herunterfallen und all die kleinen Feuer löschen. Der schwarze Rauch vermischte sich mit grauem Dunst und wurde aufgewühlt von dem heftigen Wind, bis die Luft mit Rauch, Staub, Unrat und Geröll erfüllt war.
Durch den Dunst schoss Zacarias fluchend auf den Helikopter zu. Der Vampir würde das Fluggerät mit Sicherheit zuerst angreifen. Es war erheblich leichter, ein karpatianischer Krieger zu sein, den nichts anderes kümmerte, als seinen Feind zu töten. Menschen zu beschützen fügte einen großen Risikofaktor hinzu, und sein Bewusstsein strebte immer wieder zielbewusst dem Grund dafür entgegen. Er verschloss es schnell und resolut, aber sofort verkrampfte sich ihm der Magen.
Er schlüpfte direkt hinter Julio in den Hubschrauber hinein. Verschwindet hier. Schnell. Ein Vampir ist hier.
Sowie er Julio die Warnung telepathisch übermittelt hatte, zog er sich wieder zurück und warf schnell noch einen schützenden Ring um das Luftfahrzeug. Der Angriff kam wie erwartet – ein Cruise-Missile schoss durch die Luft und ließ eine Dampfspur hinter sich zurück. Das Projektil prallte gegen den Schutzring und explodierte. Lea, die Hubschrauberpilotin, schrie auf und brachte die Maschine abrupt in Schräglage. Sie hatte weder Zacarias gesehen noch etwas von der Warnung mitbekommen. Als sie nach unten blickte, konnte sie den dichten Rauch nicht übersehen.
»Bring uns von hier weg, Lea!«, verlangte Julio erregt.
»Ich versuche es«, schrie sie, obwohl beide Kopfhörer trugen.
Der Helikopter machte einen Satz, als ganz in ihrer Nähe wieder etwas explodierte.
»Jemand schießt auf uns!«
»Nein, das ist eine Explosion aus dem Feuer. Kannst du es sehen?«, fragte Julio.
»Der Rauch ist zu dicht«, antwortete Lea. »Wie kann er überall so dicht sein?«
Zacarias konnte den aufgeregten Wortwechsel der Menschen hören, als er der Flugbahn des Missiles bis zu ihrem Ursprung folgte. Der Vampir würde sich so schnell entfernt haben, wie er den Angriff ausgelöst hatte, um den Hubschrauber abstürzen zu lassen, doch sein Abzug hatte Spuren hinterlassen. Und Zacarias konnte jede Spur verfolgen, egal, wie schwach sie war. Er schoss durch den Dampfschweif, den das Missile hinterlassen hatte, und warf entlang der Flugbahn einen prüfenden Blick hinunter.
Der Helikopter, der mitten in den Rauch geraten war, schien in Schwierigkeiten zu sein. Der Vampir verstärkte den Rauch und ließ noch mehr zum Himmel empor und über das Feld strömen, bis die Rauchwolke völlig dicht und undurchdringlich war. Zacarias folgte ihm. Wenn er bliebe und versuchte, den beiden im Hubschrauber zu helfen, würden die Männer, die aus ihren Häusern zu den Herden eilten, in Gefahr geraten. Er musste den Untoten aufhalten.
Der Vampir war sehr raffiniert gewesen und hatte sich fast vollständig im Freien versteckt. Als Zacarias direkt über der Stelle war, konnte er sehen, dass der Untote sich die natürliche Beschaffenheit des Geländes zunutze gemacht hatte, wo es unterhalb der Zaunlinie ein wenig abfiel. Dort war das Gebüsch nur spärlich, aber der Untote hatte es geschafft, sich dazwischen zu verbergen, ohne auch nur ein einziges Blatt zu streifen. Das Gras war jedoch verdorrt und braun, wo er gestanden hatte, und einige Halme zitterten noch, was bewies, dass das Scheusal sein Versteck erst kürzlich aufgegeben hatte.
Der Vampir, der sich im Schutz des dichten Rauchs bewegte, wechselte hastig seine Position und kam dicht an dem mit Kletterpflanzen überwucherten Pfosten des äußeren Zauns vorbei. Die Blätter und das Gewirr von Sträuchern wichen sogleich vor ihm zurück. Zacarias folgte diesem schwachen Pfad. In der Ferne konnte er das verängstigte Brüllen der Rinder und die Geräusche der Männer hören, die zu ihren Pferden rannten. Der Untote hatte ein Ziel. Die Herde in Panik zu versetzen und damit viele potenzielle Opfer ins Freie zu locken würde ihm Vorteile verschaffen.
Über Zacarias geriet der Hubschrauber ins Trudeln, als ein weiteres Projektil an dem Schutzring explodierte. Zacarias beruhigte den heftigen Wind und schickte ihn von der trichterförmigen Wolke weg, um den Rauch zu zerstreuen und es der Helikopterpilotin zu ermöglichen, nach einem freien Platz zu suchen, um den metallenen Vogel sicher herunterzubringen.
Männer kamen aus den Häusern gerannt, sprangen auf ihre Pferde und jagten auf die fernen Felder zu, wo das Vieh durch die sanft ansteigenden Hügel und hohen, Schatten spendenden Bäume ganz gut geschützt war. Zacarias überholte den Vampir und zog eine Barriere hoch. Als der Untote dagegenprallte, wurde er so hart zurückgeschleudert, dass er sich in der Mitte des verbrannten Feldes wiederfand – in sitzender Position.
Zacarias materialisierte sich in einiger Entfernung von ihm. »Ich kenne dich. Du hättest es besser wissen sollen, als dich mit mir anzulegen.«
Der Vampir erhob sich langsam und klopfte sich mit größter Sorgfalt den Staub von den Kleidern. Dann verbeugte er sich galant und richtete sich wieder kerzengerade auf. »Wer könnte der Versuchung widerstehen, seinen Verstand an dem des großen und allmächtigen Zacarias de la Cruz zu messen? Du bist eine Legende. Wer dich besiegt, wird für alle Zeit berühmt sein.«
»Und du bist genau der richtige Mann dafür«, sagte Zacarias leise. Er sprach bewusst mit sanfter, wohlklingender Stimme, ganz im Gegensatz zu dem Vampir, den es schon große Mühe kostete, seine Stimme halbwegs anzupassen. Und die ganze Zeit horchte Zacarias auf die Geräusche der aufgeregten Männer, die die angsterfüllte Herde zu beruhigen versuchten.
Die zunehmende Elektrizität in der Luft verriet ihm, dass der Vampir versuchen würde, die Herde mit einem Blitzstrahl in Panik zu versetzen und eine Stampede auszulösen. Zacarias schwenkte wie nebenbei eine Hand in Richtung Himmel, um die elektrische Entladung zu verhindern. Die Luft beruhigte sich, und alle Wolken verzogen sich.
»Ein alter Trick«, sagte der Vampir. »Aber du kannst nicht alle vor mir beschützen.«
Ungeziefer strömte aus der Erde, Tausende ausgehungerter Insekten, die nach Futter gierten. Sie erhoben sich in die Luft und flogen geradewegs auf Zacarias zu, der jedoch nur ein kleines Hindernis auf ihrem Weg zu den Rindern, Pferden und Männern hinter ihm zu sein schien.
Zacarias zuckte die Schultern und blieb ruhig stehen, als die Insekten näher kamen. »Was kümmern mich die anderen? Ich habe nur ein Ziel.«
Er lächelte, als der Wind sich drehte, stärker wurde und von ihm weg direkt auf den Vampir zublies. Ausgezackte Halme des Sauergrases schossen durch die Luft wie tausend Messer. Die Insekten versuchten, sie mitten in der Luft zu fressen, doch der starke Wind trieb sie zusammen mit dem Gras zurück. Die scharfen Kanten trafen den Vampir mit einer solchen Wucht, dass sie durch seinen Körper hindurchfuhren, bevor er auch nur merkte, dass sie in den Insektenschwärmen verborgen waren. Hunderte von Grasspeeren durchbohrten ihn von Kopf bis Fuß. Sofort ließen sich auch die Insekten auf ihm nieder, um sich an seinen Wunden satt zu fressen.
Nur Zentimeter von dem Vampir entfernt materialisierte Zacarias sich urplötzlich und stieß ihm die Faust durch Knochen, Muskeln und das säurehaltige Blut. Massen von Insekten starben, als sie das scheußliche, unnatürliche Blut des Untoten berührten, und regneten zu Boden. Zacarias trat ruhig zurück und ließ den Körper fallen, damit der weißglühende Energiestrahl die Überreste verbrennen konnte.
Für einen Moment stand er da und wartete, dass die kalte Nachtluft den Gestank des Untoten vertrieb. Erst dann ging er, um sich zu überzeugen, dass der Helikopter gut gelandet war. Julio rannte gerade Hand in Hand mit Lea über den Vorplatz des Hangars auf die Ställe zu, wahrscheinlich, um bei der Herde mitzuhelfen.
Obwohl der Boden unter den Hufen der Rinder erbebte, die in wilder Panik losrannten, ging Zacarias’ Blick mit untrüglicher Sicherheit, ja zwanghaft schon beinahe, zum Haupthaus der Hazienda. Weil sie dort war. Marguarita. Ängstlich kauerte sie da in einer Mauernische. Er hatte sie rücksichtslos allein gelassen – jedoch nur zu ihrer Sicherheit.
Es brannte kein Licht im Haus – es war das einzige noch dunkle Gebäude auf der Ranch. Sowie Alarm geschlagen worden war, dass die Cowboys bei den Rindern Hilfe brauchten, war jedes Haus auf dem Besitz zum Leben erwacht, mit Ausnahme von Marguaritas Heim. Zacarias hätte ihren Geist anrühren können – jede Zelle in seinem Körper brauchte diese Frau und die innige Verbindung zu ihr -, doch er zwang sich, darauf zu verzichten.
Sobald er geistig mit ihr in Kontakt träte, würde er wieder fühlen. Eine an Entsetzen grenzende Furcht würde ihn beschleichen – Furcht, dass sie ihre Wahl bereuen und die Bande zwischen ihnen würde lösen wollen. Jetzt, da er allein in der Mitte des leeren, verbrannten Feldes stand, brauchte er jedoch nichts zu empfinden.
Hinter sich hörte er Cesaro schreien. Die riesige Herde hörte sich wie herannahender Donner an. Cesaro, Julio und zwei andere Männer versuchten, die auf sie zurennenden Tiere in eine andere Richtung zu lenken. Die Rinder waren groß und ungeheuer muskulös; sie stürmten mit gesenktem Kopf und rollenden Augen auf den Zaun zu, der Zacarias vor Gefahr bewahren sollte.
In einem letzten Versuch, die Herde noch zu wenden, schoss Cesaro in die Luft. Aber da krachten die Tiere schon mit ihren breiten Oberkörpern gegen den Zaun, und das massive Holz zerbrach wie dünne Zweige. Die Rinder brüllten und muhten, und riesige Staubwolken wirbelten auf, als sie durch die Umzäunung stürmten.
Zacarias konnte die Schreie Cesaros und seines Sohnes hören, die ihn beschwörten wegzulaufen. Aber stattdessen drehte er sich mit erhobener Hand zu den riesigen Tieren um, ließ das Raubtier in sich hochkommen und fauchte eine Warnung in die Luft zwischen ihnen, die den Geruch einer gefährlichen Raubkatze zu den Rindern hinübertrug. Diese einschüchternde Drohung sandte er in einer geraden, horizontalen Linie nur Zentimeter vor sich aus, um eine lange, abschreckende Wand zu formen.
Tatsächlich fuhren die Tiere abrupt herum, wendeten in einem Halbkreis und fürchteten plötzlich weitaus mehr, was sie vor sich hatten, als die anderen durchgedrehten Tiere hinter ihnen. Immer mehr Rinder hielten auf Zacarias zu, aber der Geruch der Gefahr, der ihnen entgegenschlug, war viel zu einschüchternd für sie. Nicht lange, und die Tiere wurden so langsam in ihrer Verwirrung, dass die Cowboys sie wieder unter Kontrolle bringen konnten.
Julio ritt heran und hatte Mühe, sein Pferd zu bändigen, das zur Seite tänzelte, um Zacarias aus dem Weg zu gehen. »Die Pilotin, Lea Eldridge, ist keine von uns. Sie hat Dinge gesehen, die ich ihr nicht erklären kann.«
Zacarias nickte. Julio blieb jedoch noch immer an seiner Seite, hielt sein Pferd mit Knien und Händen in Schach und blickte ihn beschwörend an.
Als Zacarias eine Augenbraue hochzog, sagte Julio: »Aber sie hat Ricco das Leben gerettet und ist Marguaritas Freundin.«
Die Stimme des jungen Mannes verriet Zacarias mehr, als Julio preiszugeben bereit war. Er sagte zwar, die Frau gehöre nicht zu ihnen, doch im Stillen wünschte er wohl, es wäre so.
»Ich werde vorsichtig sein, welche ihrer Erinnerungen ich entferne, wenn es so weit ist«, versprach Zacarias.
»Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
»Wieso fragen Sie?«
Julio zögerte. »Weil Ihre Augen glühen, señor. Brauchen Sie …?«
Zacarias schüttelte den Kopf. Untote zu vernichten forderte von allen Jägern einen hohen Tribut. Kein Karpatianer nahm ein Leben leichtfertig oder ohne Konsequenzen. Julio fürchtete ihn schon, so wie alle Arbeiter, sogar Cesaro. Aber Zacarias konnte ihnen die Gefahren nicht erklären, denen er jedes Mal ins Auge sah, wenn er tötete – selbst wenn es ein Vampir war. Blut zu nehmen stellte eine Versuchung dar, und gleich nach dem Töten sogar eine sehr gefährliche. Deshalb nickte er nur dankend und wandte sich von Julio ab -und vor allem von dem nervösen Pferd.
Marguarita hatte ihn daraufhingewiesen, dass der peruanische Paso auf dieser Ranch seines Temperaments und seiner Fähigkeiten wegen gezüchtet wurde. Diese Pferde waren bekannt für ihr ausgeglichenes Wesen angesichts von Schwierigkeiten. Zacarias hatte endlich reiten können und war im Geiste mit den Tieren verbunden gewesen, und jetzt erkannte das Pferd ihn nicht einmal mehr. Der Killer in ihm war noch zu dicht an der Oberfläche.
Zacarias wandte sich vom Schlachtfeld, dem Rauch und dem Geruch des Todes ab und ging heim – zu ihr. Marguarita. Susu. Sie war sein Zuhause, seine Seelengefährtin. Der einzige Ort, an dem er Frieden finden konnte, war bei ihr. Der einzige Weg, wie er die Halbwelt der Schatten hinter sich zurücklassen konnte, war, seine innere Leere von ihrem hellen Licht erfüllen zu lassen. Marguarita war sívam és sielam – sein Herz und seine Seele. Es war nicht mehr zu bestreiten, dass er ohne die geistige Verbindung zwischen ihnen weder das eine noch das andere hatte.
Über den abgetretenen Pfad ging er zu den Eingangsstufen und bemerkte, dass alle Blumen und Sträucher rechts und links des Weges von einem dumpfen Grau waren. Es gab für Zacarias keine Farben, bis er ins Haus treten und sein Geist mit dem Marguaritas verschmelzen würde. Sie war schon wie eine Droge in seinem Blut, eine Sucht, gegen die er sich nicht wehren konnte. Er brauchte die strahlenden Farben, den Rausch der Emotionen und die Freude, die er vorher nie empfunden hatte. Marguarita war Lachen und Frustration zugleich – ein faszinierendes Rätsel, das er nicht ergründen konnte.
Zacarias stieg die Treppe zur Haustür hinauf, und schon spürte er Marguaritas Nähe. Ihr Geist war ihm immer noch verschlossen, und er erlaubte sich auch nicht, an ihn zu rühren. Zuerst musste er ihr Gesicht sehen, um zu wissen, dass sie auch diesen Teil von ihm akzeptierte – das Raubtier, das die Tiere in ihm erkannten. Sein Gesicht war noch geprägt vom Kämpfen und Töten, und es trug den Stempel des Killers, das wusste er. Seine Augen würden noch glühen, seine Eckzähne scharf und nach wie vor verlängert sein.
Sie musste ihn so sehen, wie er war. Es war schwierig genug, den Karpatianer zu akzeptieren, aber der Jäger war beängstigend. Zacarias hatte keine Ahnung, wie er reagieren würde, falls Marguarita ihn zurückwies. Sie in seinen Unterschlupf mitnehmen und versuchen, einen Weg zu finden, sie glücklich zu machen? Ausgeschlossen. Er schüttelte den Kopf und ließ die Hand einen Moment am Türrahmen liegen. Es war eine unmögliche Situation. Bei allem, was heilig war, was dachte sich das Schicksal nur dabei? Eine Frau seiner eigenen Spezies hätte schon Schwierigkeiten mit ihm gehabt. Aber eine menschliche? Eine unerfahrene Frau an der Seite eines rauen, dominanten Mannes, der sie beherrschen würde, doch ohne die Sanftheit und das Verständnis, das Frauen brauchten? Wie könnte sie mit einem solchen Gefährten zurechtkommen?
Bevor Zacarias das Haus betrat, achtete er darauf, alle Schutzzauber zu entfernen. Er öffnete die Tür und ging hinein. Im Inneren eines Gebäudes fiel es Zacarias normalerweise schwer zu atmen. Draußen warnte ihn der Wind vor Gefahren, drinnen überdeckte der Geruch der Menschen und ihrer Lebensweise alles, was für ihn wertvoll war. Und wenn er jetzt tief Atem holte, würde er nichts anderes mehr wahrnehmen als Marguarita.
Ihr Duft war zart, unglaublich feminin und unaufdringlich. Sie duftete wie ein Wunder. Sauber, frisch und wie ein Teil des Regenwaldes – und von ihm selbst. So leise er konnte, schritt er durch die Halle, weil er Marguarita keine Zeit lassen wollte, sich auf seine Ankunft vorzubereiten. Er musste ihr Gesicht und ihren wahren Ausdruck bei seinem Anblick sehen. An ihr Bewusstsein zu rühren würde ihm das alles zeigen, doch war ihr Geist erst einmal mit seinem verbunden, würde das Band zwischen ihnen ihre Ängste und ihre ursprüngliche Reaktion auf ihn kaschieren.
Zacarias betrat sein Schlafzimmer, das vollkommen im Dunkeln lag. Die Vorhänge waren geschlossen und ließen nicht einmal den Schein des Mondes herein. Marguarita kauerte in der Nische in der Mauer. Ihr Gesicht war nass von Tränen, und sie hielt sich fest die Ohren zu. Natürlich hatte sie trotz der dicken Wände die Kampfgeräusche gehört, das Schreien ihrer geliebten Pferde und das Brüllen der Rinder. Ihr konnte nicht entgangen sein, dass die Herde in Panik geraten war, nicht bei dem Donnern der vielen Hufe, die den Erdboden erschüttert hatten. Das Blut, das sie von Zacarias erhalten hatte, hatte alle ihre Sinne sehr geschärft.
Ihr langes Haar umrahmte ihr Gesicht und ihren Oberkörper, und selbst jetzt, in seinem schlimmsten raubtierhaften Zustand, konnte Zacarias sehen, dass diese dichte Mähne wirklich schwarz war und sogar im Dunkeln glänzte. Er beobachtete sie einen Moment, dann holte er Luft, sog ihren Duft ganz tief ein und brachte Marguarita durch pure Willenskraft dazu, den Kopf zu heben.