4. Kapitel


Kein Lüftchen weht. Jenny ist aufgeregt, orientierungslos. Ihr ist schrecklich warm. Dann endlich, jemand hält ihre Hände, ganz fest. Es ist Konrad. Sie stehen sich gegenüber. Schauen sich tief in die Augen. Sie spürt seine Anspannung, genauso wie er ihre. Sie halten sich fest. Angst umgibt sie. Sie sind nicht allein. Sie erwarten das Schlimmste. Sie wissen, dass es zu spät ist, um zu fliehen. Dunkle Wolken ziehen auf, nehmen ihnen das Licht.

Das war ihr noch nie passiert: Einen Traum weiter träumen. Es war beängstigend und interessant zugleich. Und dann von Konrad! Er hatte etwas Geheimnisvolles, etwas Magisches, etwas, das er wie einen Duft hinter sich herzog.

Ach du spinnst ja!


Jenny hetzte die Treppen hinauf. Sie wurde langsamer, als sie sah, dass Rene und ein paar seiner Mitschüler vor seinem Klassenzimmer standen. Darunter auch Yvonne und Nicole, die jede Gelegenheit nutzten, sich über Jenny und ihre Schwärmerei für Rene lustig zu machen. « Sie ist nur neidisch », hatte Nina dazu gesagt. « Rene kann dich leiden und das nervt sie. »

Oh nein!

Es hatte sich noch nicht bis zu Yvonne und ihren Anhängerinnen rumgesprochen, dass Jenny nicht mehr in Rene verliebt war, oder besser gesagt, dass sie fest vorhatte, es nicht mehr zu sein. Vergeblich versuchte sie, sich leise weiter die Treppe hochzuarbeiten. Da sie spät dran war, konnte sie sich nicht unauffällig unter andere Schüler mischen.

Kaum hatte Yvonne Jenny entdeckt, warf sie sich an Renes Brust. « Oh, liebster Rene. Du bist ja so ein süßer Schnuckel », sagte sie überzogen künstlich und schlang ihre Arme um seine Hüfte.

Rene schaute sie verunsichert an. « Was ist jetzt los? »

Er folgte Yvonnes Blick und sah Jenny. Entschuldigend sah er sie an und zuckte die Schultern.

Oh bitte, lass mich im Erdboden versinken.

Im Hintergrund konnte sie schemenhaft Konrad ausmachen.

Na ganz toll! Peinlicher geht’s wohl nicht mehr!


Doch, es ging.

« Ach ne, das Fräulein Krastl beehrt uns doch noch mit seiner Anwesenheit. Womit haben wir das verdient? » Dr. Hauptmann, Jennys Geschichtslehrer, verschränkte die Arme vor der Brust und zog abwertend die Nase hoch.

Dr. Hauptmann, von Jenny nur Stinke-Hauptmann genannt, unterrichtete erst seit wenigen Monaten am Gymnasium und hatte mit seiner unwiderstehlich liebenswerten Art sofort Jennys Herz erobert. In ihren Augen war er der ätzendste Typ, der auf Erden wandelte: Ein großer, dünner Stängel mit schütterem, ungepflegtem, hellrotem Haar, angezogen als habe er sich aus dem Altkleidercontainer bedient und mit einem Geruch nach drei Schachteln Zigaretten stündlich und bereits ansetzendem Transpirationsschimmel. In Kombination mit geruchsresistenten Mitschülern, die niemals zuließen, dass man ein Fenster öffnete, waren die Geschichtsstunden für Jenny die reinste Hölle.

« Ich finde wir sollten das belohnen. Zum Beispiel mit einem Test », fuhr Hauptmann fort.

Ein Raunen und Stöhnen ging durch die Reihen.

« Toll Krastl! Vielen Dank! », stieß Gerd wütend hervor.

Ganz toll! Die Fünf ist mir sicher.

Der Tag hatte für Jenny alles andere als gut angefangen und nun war auch noch ihre Versetzung in Gefahr. In Geschichte stand sie zwar auf einer Vier, aber noch zwei unangekündigte Tests und sie würde eine Fünf bekommen. Das wäre dann die zweite, denn die Fünf in Mathe war ihr sicher. Jenny wusste nicht viel zu schreiben. Die Fragen, die Hauptmann an die Tafel gepinselt hatte, waren so speziell, dass Jenny gleich aufgeben musste. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass er es für sie extra schwer gemacht hatte.

Jenny gab als Erste das Testat ab und verließ den Unterrichtsraum, um die anderen nicht zu stören. Eine gute Gelegenheit sich einen zuckerhaltigen Kakao zu holen. Den nächsten Test durfte sie nicht versauen. Sie musste dringend regelmäßiger lernen. Immer wieder kehrten ihre Gedanken zu ihrem Auftritt vor Renes Klassenzimmer zurück. Obwohl sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen, verletzte sie der Spott von seinen Mitschülern schrecklich. Ihm schien es meist leidzutun, aber nicht so sehr, dass er sich für Jenny einsetzte. Vor Renes Klassenzimmer nahm Jenny die Kurve und die nächste Treppe abwärts. Fast unten angekommen donnerte sie plötzlich in jemanden hinein, der ihr entgegen kam.

« Entschuldigung », sagte sie kichernd und wich zurück. Jenny sah auf und ihr belustigtes Lachen verstummte abrupt.

Er riecht gut.

Unter anderen Umständen hätte Jenny sich zehnmal entschuldigt, über ihr Missgeschick gelacht und wäre weiter hinuntergeeilt, aber sie konnte nicht. Sie stand da und starrte Konrad an. Ebenso wie er sie anstarrte. Sein Ausdruck verriet nichts. Er blickte ernst und ruhig. Seine silbernen Augen leuchteten hinter den dunklen Wimpern hervor wie Scheinwerfer die Dunkelheit durchbrechen. Jenny konnte nicht wegsehen. Sein Blick hielt sie gefangen. Mit den Schrammen im Gesicht sah er verletzlich aus. Stunden oder auch Sekunden später machte Konrad plötzlich einen Schritt auf sie zu und hob die rechte Hand, als wolle er sie am Arm fassen. Erschrocken, wie aus einer Art Hypnose gerissen, machte sie einen Satz zurück. Erneut schauten sie sich an. Jenny verunsichert und staunend, Konrad starr und reglos. Dann senkte er den Kopf, steckte die Hände in die Hosentaschen, drehte sich um und ging langsam die Treppe hinauf. Oben angekommen drehte er sich noch einmal zu Jenny um. Jetzt erst merkte sie, dass sie ihm die ganze Zeit nachgestarrt hatte. Im Nachhinein konnte Jenny nicht mehr sagen, wie lange sie dagestanden und sich angestarrt hatten. Es hätten Sekunden aber auch Stunden sein können. Sie hatte keine Ahnung, was es war, das in ihr vorging, als er vor ihr stand. Es war ein absurdes Gemisch aus Spannung, Neugierde, Wärme und Kälte.

Etwas vollkommen Fremdes.

Komischer Typ!

Eine andere Erklärung gab es nicht.

Bepackt mit ihrem Rucksack, in dem sich ihre Schulsachen und Trainingsklamotten befanden, schlenderte Jenny die Fußgängerzone auf und ab. Oft verbrachte sie die Zeit zwischen Schule und Training bei Freundinnen. Sie machten dann gemeinsam Hausaufgaben, aber vor allem viel Blödsinn. Geredet wurde fast ausnahmslos über Jungs. Wer gerade in wen verliebt war, wer mit wem was hatte oder gerne hätte. Ein sehr beliebter Zeitvertreib war es, den jeweils Angebeteten anzurufen, um seine Stimme zu hören. Entweder legten die Mädchen dann sofort wieder auf, oder eine der Mitverschwörerinnen wurde dazu genötigt, den Jungen in ein Gespräch zu verwickeln und heraus zu bekommen, wie er die frisch Verliebte fand. Es kam nicht selten vor, dass ein Junge am gleichen Mittag zehn Anrufe mit anschließendem Auflegen erhielt. Was Rene betraf, so konnte er sicher ganze Logbücher damit füllen.

Jenny rückte ihren Rucksack zurecht. Es war ein winziger Moment, gerade ein Wimpernschlag lang, in dem ihr der Duft der Spiere vor dem Schuhladen in die Nase drang. Jenny schloss die Augen und sog den lieblichen Duft genüsslich ein. Er war verbunden mit vielen Erinnerungen an ihre Kindheit. In der Siedlung am Stadtrand, wo sie, bis sie fast sieben war, gelebt hatte, stand eine Reihe von Spierebüschen um den Spielplatz herum. Der Duft der Blüten lag ständig in der Luft. Jenny lächelte. Ganz kurz spürte sie ein dumpfes Drücken im Bauch, wie in einem Fahrstuhl, der nach unten raste. Bunte Nebelschwaden zogen in ihrem Innern vorüber. Irritiert öffnete sie wieder die Augen.

Was ist jetzt los? Wo bin ich?

Erschrocken drehte sie sich im Kreis. Die Fußgängerzone war weg, kein Schuhladen, nichts. Aber sie kannte den Ort. Es war die Siedlung am Stadtrand, in der sie groß geworden war, die, an die sie eben noch gedacht hatte. Da standen sie: die Spiere-Sträucher in Front der Mehrparteienhäuser, gegenüber der Spielplatz, drum herum die Hochhäuser mit den Garagen, nach hinten in Richtung Innenstadt der Park mit dem Altersheim, der Bach, über den die Brücke zu Jennys altem Kindergarten führte. Nichts hatte sich verändert. Das war keine Erinnerung, kein Traum. Sie war tatsächlich da. Innerhalb eines Wimpernschlages war sie an einen Ort gelangt, der mehr als zwei Kilometer von der Innenstadt entfernt lag.

Ich bin da. Ganz real.

Jennys Herz raste, sie atmete hektisch.

Das kann nicht sein. Es kann einfach nicht sein. Es muss eine Erklärung geben. Ich schlafe!

Jenny versuchte sich zu erinnern, wann sie ins Bett gegangen war. Sie musste träumen. Es konnte nicht anders sein. Sie träumte einen dieser realistischen Träume. Fast wurde sie panisch. Sie war nicht ins Bett gegangen! Gerade eben noch war sie durch die Stadt gelaufen!

Ganz ruhig, Jenny. Konzentrier dich!

Sie versuchte, regelmäßig und tief zu atmen.

Ganz ruhig Jenny. Es gibt für alles eine Erklärung.

Ein Artikel über Blackouts, den sie gelesen hatte, kam ihr in den Sinn. Bei einem Blackout verlor man einen ganzen Zeitabschnitt, vergleichbar mit einem Filmriss. Der Betroffene konnte sich nicht erinnern, was er unmittelbar zuvor getan hatte. So ähnlich wie beim Schlafwandeln.

Ja, ein Blackout!

Blackouts konnten Nebenwirkungen bei der Einnahme von Drogen oder Symptome diverser Erkrankungen sein. Da sie keine Drogen nahm, konnte sie die Nebenwirkungen-Theorie ausschließen. Aber was eine Krankheit betraf: Das konnte passen. Ihre Sehprobleme, die angeblich zur Migräne gehörten, die starken Kopfschmerzen.

Ich bin krank!

Das war zwar eine Erklärung, aber keine Beruhigung. Nervös schaute Jenny auf die Uhr. Wie lange war sie unterwegs gewesen? Als sie das letzte Mal auf die Uhr gesehen hatte, war es fünf Minuten vor vier. Die Uhr tickte, trotzdem musste sie defekt sein, denn sie zeigte zwei Minuten vor vier Uhr an. Die Uhr war sicher kaputt. Zu Fuß musste sie etwa vierzig Minuten hierher gebraucht haben. Nur wenn sie sich beeilte, konnte sie pünktlich zum Training sein. Sie würde später darüber nachdenken, wie sie hergekommen war.

Jenny passierte die Garagen der Mehrfamilienhäuser und ging entlang des großen Hofes auf die Querstraße zu. In dem Haus zur Rechten hatte sie als Kind gewohnt. Kurz schaute sie den Weg entlang, der zur Haustür führte. Sie konnte sich so gut erinnern: Auf der Wiese davor hatten sie als Kinder gespielt, und natürlich auf dem Spielplatz. Neben dem Hochhaus links von ihr stand die alte Trauerweide, deren Astspitzen über den Rasen streiften. Sie hatten sich als Kinder gern darunter versteckt. Regelmäßig bekamen sie Ärger deswegen, weil der Hausmeister es streng verboten hatte, auf dem Rasen herumzutollen. Jenny war fest davon überzeugt gewesen, dass die Weide vor Jahren gefällt worden war. Sie erinnerte sich, wie traurig sie darüber gewesen war, dass der charaktervolle Baum nicht mehr da war. Offenbar hatten auch andere Leute die Weide vermisst, denn jetzt war da wieder eine. Auf dem alten, angestammten Platz. Jenny bog in den Weg ein, der an ihrem früheren Wohnhaus entlang führte. Sie würde auf der anderen Seite in der Parallelstraße herauskommen. Dann konnte sie den gleichen Weg durch das Wohngebiet nehmen, wie sie ihn früher die ersten paar Monate der Grundschule gegangen war. Vor der Haustüre blieb sie stehen. Vielleicht wohnte noch jemand hier, den sie von früher kannte. Es waren fast zehn Jahre vergangen. Jenny wollte gerade auf die Klingelschilder schauen, als ihr Blick geradeaus in die Parallelstraße an einem grünen Auto haften blieb. Sie lachte auf.

« Das ist ja wohl der Hammer! »

Es war ein grüner Opel Kadett. Genau, wie ihr Stiefvater, Nataschas Vater, damals einen gefahren hatte, als sie noch hier wohnten. Es war das gleiche Modell, die gleiche Farbe und es musste sogar in etwa das gleiche Baujahr sein. Der Wagen davor war auch ein älteres Modell, als wäre die Zeit hier stehen geblieben. Amüsiert blickte Jenny auf die Klingelschilder. Wenn sie geglaubt hatte, dass sie an diesem Tag nichts mehr überraschen konnte, so hatte sie sich gewaltig geirrt. Zunächst fing es harmlos am obersten Namensschild an:

Mattel. Cool! Kenn ich noch.

Brandtke. Nanu?

Steinmann. Nein! Unmöglich!

Das konnten nicht die Steinmanns von damals sein, denn die wohnten jetzt auf dem Land. Jenny ging mit der ältesten Tochter auf die Schule.

Malewski.

« Was? » Jenny machte einen Schritt zurück.

Was geht hier vor?

Sie wusste, dass es besser gewesen wäre, ihren Weg so schnell wie möglich fortzusetzen, aber sie konnte nicht anders.

Krastl.

Stand auf dem untersten Klingelschild. Erschrocken sprang Jenny zurück. Das war die Wohnung, in der sie als Kind gelebt hatte. Ungläubig schüttelte sie den Kopf. Auf einmal fühlte sie sich furchtbar schwach und bekam weiche Knie. Ihr Kopf begann zu schmerzen. Sie drehte sich um die eigene Achse, sah in die Balkone der Wohnungen um sie herum, die Sonnenschirme mit den altbackenen Mustern, die aber wie neu aussahen. Auch die Autos sahen aus wie frisch aufpoliert, einfach neu. Dabei waren sie allesamt alt.

Wach auf, Jenny! Du träumst!

« Wach auf, Jenny », sagte sie.

« Verdammt nochmal wach auf! », schrie sie.

Übelkeit überkam sie und ein farbiger Schleier legt sich vor ihre Augen.

Nicht jetzt. Bitte nicht jetzt!

Jenny begann zu laufen. Vorbei an dem Auto, das ihnen gehört hatte, weg von der Hauptverkehrsstraße ins Wohngebiet hinein. Sie ließ den Rucksack vom Rücken auf den Boden gleiten, damit sie schneller vorankam. Der bunte Schleier waberte stärker und stärker um ihre Augen. Sie konnte kaum mehr erkennen, wo sie hinlief, rieb verzweifelt ihre Augen. Ihr Kopf hämmerte vor Schmerz im Takt einer tickenden Bombe. Ihre Knie waren weich wie Gummi. Da spürte sie einen heftigen Ruck an der rechten Schulter, riss die Augen auf.

« Hallo? Jemand da? » Eine Hand wehte wie eine Fahne vor ihrem Gesicht.

Kathrin! Was macht sie hier?

« Hallo Jenny. » Kathrin schüttelte sie an den Schultern. « Alles okay? »

Kathrin gehörte zu Jennys Handballmannschaft und war eine gute Freundin.

Jenny schüttelte sich und sah sich prüfend um.

Wo bin ich?

Da der Schuhladen.

Was geht hier vor?

« Hi Kathrin. Ja … Ja, alles in Ordnung », sagte sie schließlich zögernd.

Dabei war nichts in Ordnung. Sie stand genau dort, wo sie vor ihrem Blackout gestanden hatte. Als sei sie nie weggewesen. Schnell sah sie auf die Uhr. Es war zwei Minuten vor vier. Wie konnte das sein?

Bin ich im Gehen eingeschlafen? Und hatte einen meiner realistischen Träume?

« Du siehst aus, als hättest du nen Geist gesehen. Bist wohl grad ganz wo anders? » Kathrin hielt Jenny ihren Rucksack entgegen, den sie fallen gelassen hatte.

Du hast keine Ahnung, wie recht du damit hast.

Die Übelkeit wand sich noch immer wie eine Schlange in Jennys Magen und ihre Beine fühlten sich an wie Gummischläuche. Langsam wankte sie zu dem großen Blumenkübel mit den Spieren vor dem Schuhladen und setzte sich auf dessen Rand.

« Mir ist nur irgendwie ziemlich schlecht. »

« Ja, du bist auch voll blass. »

Hinter sich hörte Jenny eine Stimme: « Kann ich euch beiden helfen, Kathrin?» »Es war die Verkäuferin des Schuhgeschäfts.

« Meiner Freundin ist schlecht. Sie ist käsweiß im Gesicht. »

« Ich bring ihr ein Glas Wasser », sagte die Frau und verschwand wieder in ihrem Laden.

Kathrin setzte sich neben Jenny auf den Blumenkübelrand und legte den Arm um sie. Kurz darauf hielt Jenny das Wasserglas in der Hand und goss den Inhalt in den Rachen, als habe sie den ganzen Tag noch keinen Schluck zu trinken bekommen. Tatsächlich ging es ihr danach besser. « Das war bestimmt der Kreislauf. In eurem Alter ist mir das ständig passiert », wusste die Schuhverkäuferin. « Ich hab dann immer vorher ein Flimmern vor den Augen bekommen und Farben gesehen, bis mir schwarz vor Augen wurde. »

Sind Sie auch zehn Jahre in die Vergangenheit zurückgereist?

Das, was Jenny gerade passiert war, war nicht normal. Es hatte rein gar nichts von einem pubertären Kreislaufkollaps gehabt. Aber vielleicht von einer Halluzination?

Ja! Es muss eine Halluzination gewesen sein!

Eine Fehlfunktion in ihrem Kopf hatte Erinnerungen mit ihren realen Empfindungen vermischt. Lebensmittelvergiftungen konnten auch zu Halluzinationen führen, glaubte Jenny zu wissen. Was hatte sie noch gleich gegessen?

« Geht’s wieder? », fragte Kathrin.

« Ja. » Jenny lächelte sie dankbar an.

Sie hatte wirklich Glück, dass in diesem Moment eine Freundin für sie da war. Wie gern hätte sie ihr davon erzählt. Aber womöglich würde sie Jenny nur für verrückt halten. Oder Angst bekommen. Jenny beschloss, niemandem davon zu erzählen.

An Handballtraining war nicht mehr zu denken. Nach einer detaillierten Kosten-Nutzen Analyse kaufte Jenny sich eine Tafel Schokolade anstatt einer Laugenbrezel und aß sie zur Hälfte auf. Langsam fühlte sie sich besser.