7. Kapitel

Die Überfahrt

Ich blickte noch einmal zu Sour und schloss dann erschöpft meine Augen. Nach einem schrecklichen Traum, in dem ich fast zu Tode gejagt worden war, wachte ich schreiend und schweißgebadet auf. Mein Zittern verriet Sour und Diamon, dass ich riesige Angst hatte. Ich blickte zu ihnen und versuchte zu lächeln. Mein tiefes Schnaufen hinterließ Dunststreifen in der kalten Luft.

„Alles klar, Lex?“, fragte Sour mich besorgt. Ich bejahte und stand langsam auf. Diamon packte bereits die Sachen und schnallte sie an einem Kelpie fest.

„Hey, ist das das Kelpie, welches eigentlich tot sein sollte?“, wollte ich wissen. Diamon nickte und packte weiter schweigend unsere Sachen in die Taschen. Ich musste an das Buch denken mit seiner Geschichte und ich verstand, warum er so kalt geworden war.

Sour legte mir seine warmen Hände auf meine Schultern.

„Kleines, ist dir etwa kalt?“, fragte er mich.

„Dir nicht?“, fragte ich Sour überrascht. Er schüttelte mit einem Lächeln den Kopf.

„Talfaltern wird sehr selten kalt, da wir eine andere Haut besitzen als ihr Menschen. Wir haben eine Extrahautschicht mit einem Wärmespeicher.“ Ich nickte verständnisvoll und hatte ein weiteres Mal dazugelernt.

„Kommt mit, wenn ihr wollt!“, warf Diamon plötzlich dazwischen und brach auf in Richtung der aufgehenden Sonne. Ich rannte ihm hinterher, um ihn einzuholen. Es war schrecklich kalt an diesem Morgen und Nebel zog sich über die Felder.

„Wo willst du hin?“, fragte ich Diamon mit lauter Stimme.

„Zum Plaid-Sumpf“, antwortete er matt. Ich verzog mein Gesicht, da lauerte wohl die nächste furchtbare Überraschung! Ich ließ mich zu Sour zurückfallen.

„Sour, was ist der Plaid-Sumpf?“

„Der Plaid-Sumpf ist ein gefährlicher Ort, damals wurden dort Kadaver und Leichen ertränkt. Er ist tief und man kommt nicht mehr raus, wenn man erst einmal drinnen ist. Man sagt, dass die Seelen der Toten dich dann in die Tiefe reißen. Es leben auch sehr viele Kelpies dort.“

„Klingt ja nicht gerade so, als würde ein längerer Aufenthalt dort Freude bereiten!“

Er lachte amüsiert und wir trotteten Diamon hinterher. Nach vielen Stunden der Wanderung stieg mir ein modriger Geruch in die Nase, ich musste mich beinahe übergeben.

„Hilfe, was ist das?“, fragte ich, mit zugehaltener Nase.

„Der Sumpf ...“, antwortete Diamon. Mächtig angewidert, stapfte ich weiter hinter ihm her.

Plötzlich versackte mein linker Fuß und ich versank bis zur Hüfte in ekelhaftem Schlamm.

„Ah, Scheiße!“, brüllte ich.

Sour warf sich auf den Bauch, glitt zu mir und nahm meine Arme.

„Ich werde dich jetzt herausziehen, halte dich gut fest!“, rief er mir zu. Ich nickte und krallte mich an seinen Armen fest.

Sour spannte seine Muskeln an und versuchte, mich dem Sumpf zu entreißen. Doch ich sank immer tiefer und konnte mich bald nicht mehr halten. Plötzlich packte mich Diamon am Kragen und zog mich mit einem Ruck aus dem Morast. Ich landete dicht vor seinem vernarbten Gesicht.

„Pass auf, wo du hintrittst, mit deinen zwei linken Füßen!“, fuhr er mich an.

„Diamon, hör auf, so mit Lex zu reden!“, ging Sour zwischen uns.

„Halt dich da raus, du warst doch zu schwach, sie herauszuziehen!“ Wütend funkelte Diamon mit den Augen. Sour gab nach und richtete seinen Blick zu Boden.

„Du hast Recht ...“, antwortete er untergeben.

Ich schüttelte mit dem Kopf und packte Sour an beiden Oberarmen.

„Du bist nicht schwach, Sour, hörst du?“ Er zuckte mit den Achseln und war wohl in Gedanken in seiner Vergangenheit.

Diamon verdrehte die Augen und folgte einem schmalen Pfad, welcher quer durch den Sumpf führte.

Das Moor war tiefbraun, mit vielen blauen funkelnden Lichtern darin. Die roten Sträucher, welche herausragten, brachten den sicheren Tod, wenn man sie aß oder durch diese verletzt wurde. Die Sonne stand zu tief, um ein bisschen zu wärmen, es war wirklich sehr kalt.

„Du brauchst etwas anderes zum Anziehen“, sagte Diamon nachdenklich. Er öffnete eine Tasche auf dem Rücken des Kelpies und zog ein beigefarbenes Kleid heraus. Ähnlich einem Bauernkleid, ganz schlicht, aber es hatte lange Ärmel und erschien daher warm.

Ich nahm das Kleid dankend und … Da standen sie, Sour und Diamon! Diamon verstand sofort, was ich wollte, drehte sich weg und ging den Pfad weiter. Sour lächelte verschmitzt und drehte sich ebenfalls um. Doch ich bemerkte gerade noch rechtzeitig das Melek auf seiner Schulter, das mich anstarrte.

„Sour, Melek soll besonders wegschauen, ich weiß, dass du mich sonst siehst!“

Er tat, wie ihm geheißen, und packte ihn in seine Hüfttasche. Ich streifte das mit Blut und Schlamm verdreckte Kleid ab und zog mir das dicke beigefarbene an. Dieses fiel wie ein Kartoffelsack über mich und staubte mich mächtig ein. Ich klopfte mich ab und musste kräftig husten dabei.

Ich tippte Sour auf die Schulter. Er blickte in eine ganz andere Richtung, erst jetzt begriff ich, wie blind er wirklich war.

„Na los, hol dein Melek heraus“, sagte ich freundlich zu ihm. Er lächelte und ließ Melek wieder frei. Dieser flatterte mit schnellem Flügelschlag zurück auf Sours Schulter.

Ich erkundete schnell die Richtung, in der Diamon unterwegs war, und folgte ihm. Sour stapfte hinter mir her. Ich achtete nun mehr auf den schlammigen Weg, um nicht wieder zu versinken. Mein Blick schweifte über den Sumpf, wo mich leblose und fahle Gesichter, mit leerem Blick, anstarrten. Ein Schauer fuhr über meinen Rücken, ich schluckte tief.

Eine Weile lang ging alles gut und ich wich jedem möglichen Hindernis aus, bis der Pfad an einem riesigen Sumpf endete. Ich erblickte nur modriges Gewässer, nirgends einen Weg, den wir hätten nehmen können.

Diamon stand am Ufer und tauchte einen Finger in das dreckige Wasser. Plötzlich beschrieben die Kreise eine Form, die eines Tieres.

Urplötzlich tauchte ein Monster, ähnlich dem verwünschten von Loch Ness, auf und heulte mit langem Halse in die Kälte. Dieses Geschöpf kam mir bekannt vor, ja, es war ein Slantikori, die beliebte Beute des Ikatus!

„Kommt schon, bevor die Mengopecos euch holen“, drängte Diamon. Er sprang auf den Rücken des großen Slantikori und legte ein Seil um den Kopf des Monsters.

„Mengopeco?“, fragte ich und nahm mein Buch aus dem Rucksack.

Der Mengopeco ist ein Vogelwyvern. Der Mengopeco ist eine eher friedliche Art, welche sich von Fischen ernährt. Wird er jedoch gereizt, wehrt er sich mit einigen ausgefallenen Techniken: Er schlägt seine steinharten Flügelkrallen zusammen, um Funken zu erzeugen, die eine brennbare Substanz entzünden, die spuckt der Mengopeco auf die Feinde. Er hat die Fähigkeit, mit einem Heulen, welches wie das eines anderen Monsters klingt, diese zu rufen. Während dann der Feind mit diesen kämpft, flieht der Mengopeco. Er kann eine Vielzahl an Rufen nachahmen, wie zum Beispiel den der Feos oder der Wyrame. Es gibt zwei Arten von Mengopecos. Die grüne Art lebt im Moga-Wald und in der Todeswüste, während die rote im Schwadenwald und im Vulkan anzutreffen ist.

Meine Pupillen weiteten sich, als ich dies las, ich kletterte nun zu Diamon, etwas unbeholfen, auf das Slantikori. Ich wollte gar nicht wissen, was die anderen Monster für Gestalten waren. Sour sprang mit einem Satz hinter mir auf und rückte dicht an mich heran. Diamon lenkte das Slantikori nach rechts und es schwamm los.

Wir saßen auf einem Slantikori! Wir flogen mit ihm förmlich über den Tümpel, es war spannend! Es schwamm sehr lange, doch noch immer war kein Land in Sicht, nur modriger Sumpf überall und ein bestialischer Gestank.

Ich war eingeschlafen, als mir plötzlich die Luft wegblieb.

Ich traute meinen Augen nicht, ich steckte tief im Sumpf und leblose Gestalten mit angsteinflößenden Augen schauten mich gierig an! So schnell ich konnte, kämpfte ich mich an die Wasseroberfläche. Oben angekommen, atmete ich tief ein, dann blickte ich mich um: Das Slantikori, Diamon und Sour waren weg. Ich hörte nur ein lautes Fauchen und grollendes Getöse. Die Erde bebte und das Wasser brodelte. Ich bekam es mit der Angst zu tun.

Ich sprang zurück in den Tümpel und schwamm Richtung Norden. Als ich mich umdrehte, bemerkte ich eine Flutwelle hinter mir. Ich nahm sämtliche Kräfte zusammen und schwamm noch schneller. Plötzlich rammte ich mit meinen Knien eine Felswand. Ich schrie vor Schmerz, krallte mich aber sofort an ihr fest, sie bot mir einen sicheren Halt. Nun versuchte ich, geschunden und verletzt, an Land zu krabbeln, immer wieder rutschte ich aus dabei.

Plötzlich sauste ein Ast an meinem Kopf vorbei und blieb im Matsch neben mir stecken.

„Halt dich daran fest, wir ziehen dich hier raus!“, rief eine mir bekannte Stimme.

„Sour …, Diamon, mir tut alles weh, ich kann nicht mehr“, jammerte ich, war zugleich aber erleichtert und froh.

Ich lag erschöpft am Ufer, als Sour zur Eile trieb.

„Komm schon, steh auf, schnell, ein Arkady kommt“, rief er.

„Was ist denn jetzt wieder ein Arkady?“

„Keine Zeit für Erklärungen, beeil dich!“, mahnten beide und zogen mich hinter sich her.

Ich rappelte mich auf und rannte neben ihnen her, roter Sand unter unseren Füßen. Plötzlich verließen mich meine Kräfte und ich sank zu Boden.

„Ich kann nicht mehr, mir tun meine Beine so weh, ich weiß nicht mal, wovor wir wegrennen“, klagte ich.

Diamon reichte mir die Hand, die ich dankbar ergriff, und befand mich augenblicklich in der nächsten Lektion.

Die Arkadys sind Fisch-Wyverne. Die Arkadys können zwar auf dem Land verweilen, tun dieses aber sehr selten, um ihre Haut vor dem Austrocknen zu schützen. Neben Fischen und Fröschen, die sie im Wasser jagen, greifen sie auch große Landtiere an, wenn diese in ihre Nähe kommen. Auch Vespoiden werden im Sprung erbeutet. Die Arkadys greifen immer mit einem starken Wasserstrahl an, um ihre Beute zu erlegen. Im Gegensatz zu den Cephadromen, deren Flügel sich komplett zu Flossen entwickelt haben, erkennt man beim Arkady noch gut die typische Flügelform von Drachen. Die Arkadys leben hauptsächlich in unterirdischen Seen in der Wüste. Eine grüne Unterart, die weitaus aggressiver ist, lebt in tropischen Meeren. Äußerlich wirken sie wie Haie, sind aber wahrscheinlich mit den Cephadromen verwandt.

„Und was sind Vespoide?“, fragte ich verwirrt.

„Vespoide sind Insekten mit großem giftigen Stachel“, antwortete Sour.

Ich nickte und konnte mir gut vorstellen, dass ein Arkady sehr viel Schaden anrichtete.

Wir rannten wieder weiter, als uns ein lautes Poltern einholte. Ich drehte mich um und sah dieses Arkady, ein Riesenmonster, welches mit weit aufgerissenem Maul nach uns schnappte.

„Oh mein Gott, dieses Arkady ist direkt hinter uns!“, schrie ich.

„Ich weiß, ich bin ja nicht blöd“, maßregelte mich Diamon.

Sour packte mich an der Hüfte und flog mit mir in die Lüfte. Diamon zog sein Schwert und rannte bis zum nächsten Feld, wo der Boden fest zu sein schien. Das Arkady breitete seine flügelartigen Flossen aus und verfolgte uns.

„Es kann fliegen, so ein Mist“, stöhnte ich verzweifelt.

„Ich weiß!“, sagte Sour. „Wir müssen so lange wie möglich in Bewegung sein, irgendwann trocknet das Arkady aus, wenn es uns unentwegt nachfliegt.“

Ich nickte und krallte mich in Sours Schulter. Plötzlich tauchte ein zweites Arkady vor uns auf und schnappte nach uns. Sour wich mit einem gekonnten Steilflug aus, doch ließen sich beide Verfolger nicht beirren, uns weiterzujagen.

Meine Blicke suchten nach Diamon, der ritt unter uns auf seinem Kelpie.

Sour flog immer flacher und direkt an Diamon vorbei, die Arkadys hinterher. Plötzlich streckte Diamon sein Schwert in die Höhe und traf ein Arkady am Bauch. Dieses stürzte ab und schlug wie ein Stein auf dem Boden auf und überschlug sich mehrmals.

Diamon stoppte sein Kelpie, wendete es und ritt zu dem abgestürzten Arkady. Dieses erhob sich plötzlich und heulte wütend auf. Sour umflog die beiden, um Diamon rasch zu Hilfe eilen zu können. Das zweite Arkady hatte uns eingeholt und fauchte uns bedrohlich an. Diamon kämpfte noch mit dem Verletzten am Boden, Sour immer so nahe wie möglich am Geschehen.

Ein übler Geruch stieg mir in die Nase, er kam vom verletzten Arkady unter uns. Plötzlich bretterten beide Arkadys mit dröhnendem Knall aufeinander und heulten laut auf. Sie fauchten sich gegenseitig an und bekämpften sich.

Wir flogen weiter, Diamon folgte uns, so schnell es ging, auf seinem Kelpie. Ich blickte noch einmal zurück und sah, wie das eine Arkady das Verletzte besiegt hatte und nun verspeiste.

Wir flogen noch ein Stück und landeten auf einem gelbfarbenen Feld. Diamon traf kurze Zeit später ein und sprang von seinem Kelpie.

„Das waren Arkadys, noch Fragen?“, höhnte er. Kopfschüttelnd stieg ich ab von Sour. Ich ließ mich zu Boden sinken und genoss einen Augenblick die Ruhe und den Duft des Feldes.