3. Kapitel
Hart oder weich?
Am nächsten Morgen, als ich aufwachte, war Sour bereits weg und ich saß wieder allein da. Enttäuscht ließ ich den Kopf zu Boden sinken, ich konnte es einfach nicht fassen, mich so in einem „Menschen“ getäuscht zu haben. Doch siehe da, plötzlich kam er zwischen den Bäumen angeflattert und hielt eigenartige Dinge in den Händen.
„Ich habe etwas zu essen besorgt, Mulbies und Tutores“, rief Sour fröhlich. Ich nickte und begriff, dass es irgendwelches Obst sein sollte. Ich biss genüsslich in die Mulbie hinein …, oh Gott! Ich blickte Sour angewidert an.
„Das ist ja ekelhaft, Sour.“
„Du kannst doch nur den Kern essen, nicht das Fruchtfleisch und die Schale!“
Ich betrachtete die Frucht in meinen Händen und begann, mich ein wenig zu schämen. Sour nahm eine Tutore und setzte sich zu mir: „Ich zeig es dir, Prinzessin.“ Er nahm die Tutore zwischen beide Hände und drückte so kräftig zu, dass sich seine Muskeln anspannten. Plötzlich knackte es laut und die Frucht sprang auf, aus ihrem Inneren kam rosa Fruchtfleisch und ein gelber Kern zum Vorschein. Sour pulte den Kern heraus und hielt ihn mir hin. Ich nahm ihn interessiert und biss vorsichtig hinein.
Als ich dieses süßliche Aroma schmeckte, stopfte ich, der Esskultur eines Neandertalers gleich, den ganzen Kern in meinen Mund.
Sour erheiterte das, er nahm sich nun eine Mulbie, die er von beiden Seiten sanft streichelte, nur so sprang sie auf wie eine Muschel und er konnte den Kern kinderleicht herausnehmen. Beim Essen dachte ich über Diamon nach und was er gerade machte. Mein Blick trübte sich, ich wurde nachdenklich.
„Was ist los, ist es wegen des Dämonenritters?“, fragte Sour, leicht enttäuscht. Ich nickte, kaum wahrnehmbar, und blickte ihn an, erst jetzt merkte ich, dass sein kleiner Drache gar nicht auf seiner Schulter saß.
„Wo ist denn dein kleiner Drache? Du siehst doch jetzt gar nichts“, stieß ich fast panisch hervor.
Er schüttelte den Kopf. „Selbst mit Melek sehe ich nur Umrisse, mit anderen Worten, Schwingungen bilden eine Form, verstehst du. Melek gibt einen so hohen Ton von sich, dass die Schwingungen von den Gegenständen oder Personen vor mir abprallen. Dann sehe ich die eigentliche Form.“
Ich sann vor mich hin und war traurig darüber, dass er mich nicht sehen konnte. Ich nahm ihn in den Arm und drückte ihn fest an mich. Er reagierte überrascht, aber legte auch seine Arme um mich. Ich spürte, wie sein Gesicht ganz warm wurde, kein Wunder, diesmal errötete er!
Er streichelte sanft meinen Rücken und ich lehnte meinen Kopf an seine warme Brust. Ich schloss für kurze Zeit meine Augen und genoss den Augenblick. Als er mich langsam wieder losließ, riss er mich aus einer Traumwelt. Ich blickte ihn an und lächelte sanft.
„Komm, Prinzessin, suchen wir deinen Freund!“, sprach er energisch. Ich nickte und seufzte tief. Er nahm mich auf seinen Rücken und flog den silbernen Bach aufwärts, in die Richtung, wo er Diamon zuletzt gesehen hatte. Ich klammerte mich fest um Sour und blickte über das bunte Land, die rote Scheibe am Himmel erwärmte den Dschungel.
Wir flogen lange, nicht zu sagen wie lange, da ich die Zeit vergaß. Wir landeten an der Bachbiegung, wo Diamon zuletzt gewesen war, und er setzte mich ab.
„So, von hier aus müssen wir laufen, wegen der Talfalter“, sagte er. Ich sah ihn fragend an, als plötzlich mein Rucksack wackelte. Ich holte schnell das Buch heraus und schlug es auf.
Nach einer warmen und sehr liebevollen Nacht brachen die zwei Abenteurer wieder auf, auf die Suche nach dem eisernen Ritter. Sie flogen, so weit die Spur sie führte, und landeten an einer Stelle, wo der Talfalter Sour ihr seine Rasse erklärte: Talfalter sind menschenähnliche Geschöpfe mit meist mehrfarbigen Flügeln. Sie sondern einen silbernen Staub ab, den man Mondstaub nennt, dadurch können sie fliegen.
Sammelt ein Talfalter am Abend keinen Mondstaub, kann er an den folgenden Tagen nicht fliegen. Talfalter ernähren sich ausschließlich von Mulbies, Tutores, Alberen, Koklas und kleinen Silberflüglern. Mulbies, Tutores, Alberen und Koklas sind Früchte, die nur in Goldbäumen wachsen und von denen nur der Kern genießbar ist. Die Silberflügler sind kleine vogelähnliche Tierchen, welche – wie der Name schon sagt – silberne Flügel, und zwar vier, und ein blauer Schnabel kennzeichnet. Die Talfalter paaren sich wie Menschen, aber sie können sich nur einmal verlieben und sich binden. Die Talfalter leben ausschließlich in Bäumen. Es gibt eine zweite Sorte der Talfalter, sie nennen sich Mondfalter: Die Mondfalter sind nur bei Nacht unterwegs und sehr aggressive Geschöpfe, sie sind die größten Feinde der Talfalter.
Ich dachte darüber noch nach, als ich zu Sour blickte, der auf dem sumpfigen Boden kniete und den Bach hinaufsah.
„Er ist nach Westen gegangen mit einem Kelpie“, sprach er, doch schien er ein wenig zu zweifeln. Ich nickte und lief zu ihm hin, plötzlich vernahm ich ein Fauchen neben mir. Melek tauchte hinter mir auf und setzte sich auf Sours Schulter. Der streichelte Melek kurz und brach dann auf in Richtung Westen.
Ich lief, wie immer, hinter ihm her.
Wir zwängten uns durch dichtes Dickicht, stampften durch tiefe Sümpfe und kletterten über Baumstümpfe. Einige Zeit verging, bis wir langsam aus dem Urwald kamen und es heller um uns wurde, die Sonne blendete kräftig. Ich legte meine Hand an die Stirn, um meinen Augen Schatten zu spenden. Ein modriger Geruch stand in der Luft und mir wurde leicht schlecht.
„Hier riecht’s nach verbranntem Fleisch“, stellte Sour fest. Ich blickte ihn erschrocken an und klammerte mich um seinen Arm, während er weiterging. Nichts verriet, woher dieser Gestank kam, aber er wurde immer heftiger und ekelhafter. Plötzlich blieb Sour stehen und riss die Augen auf. Auch Melek wurde nervös. Ich verfolgte die Blickrichtung von Melek und Sour … Oh nein!
Silbernes Blut ergoss sich über die gesamte Wiese und ein Kelpie lag ausgeweidet auf einer Blutlache. Ich schrie entsetzt auf und zitterte: War es das Kelpie von Diamon? Ich betete, dass es Diamon gut ginge, während Sour langsam auf den grausigen Fund zuging. Ich lief nur zögernd mit, ich suchte verwirrt nach Diamon …, bis ich ihn sah: blutend, an einen Baum genagelt.
Sein Oberkörper war frei und ich sah seine Tätowierungen trotz seiner blutigen Brust. Sie wurde von zwei Holzpflöcken durchbohrt. Seine Beine waren eingeknickt und sein Kopf hing auf seiner Brust. Ich fing an zu weinen und hielt mir vor Entsetzen den Mund. Sour kniete sich vor Diamon und schüttelte den Kopf: „Mondfalter …“
Ich war wie von Sinnen, ich stürzte zu Diamon und trommelte ein auf seine Brust.
„Nein, du kannst nicht tot sein, Diamon! Diamon, nein, das kann einfach nicht sein!“
Ich weinte fürchterlich. Auf seinem Gesicht zeigten sich plötzlich Tattoos, es war fürchterlich zerschnitten.
Kein Atemzug verließ seinen Mund.