Es ließ sich nicht länger leugnen, daß ich einen bitteren Nachgeschmack im Munde verspürte, und zwar schon seit Wochen. Ich suchte einen Psychiater auf, der mich ausführlich über meine Kindheitserlebnisse, meine Träume und die Erfahrungen meines Ehelebens befragte. Er kam zu dem Ergebnis, daß der bittere Nachgeschmack in meinem Mund von einem falsch sublimierten Trauma herrührte, das seinerseits auf den Mangel an Zucker in meinem Frühstückskaffee zurückging.
Auf diese Weise stellte sich heraus, daß meine Frau, die beste Ehefrau von allen, mich schon seit Wochen auf einer zuckerlosen Diät hielt.
»Was soll das?« fragte ich daraufhin die beste Ehefrau von allen. »Ich will Zucker haben!«
»Schrei nicht«, erwiderte sie. »Es gibt keinen Zucker. Es gibt ihn nirgends.«
»Wo sind unsere Zuckerrationen?«
»Die habe ich weggesperrt. Für den Fall, daß es einmal keinen Zucker mehr gibt.«
»Jetzt sind wir so weit. Es gibt keinen Zucker mehr.«
»Eben. Und du möchtest natürlich gerade jetzt, wo es keinen Zucker gibt, im Zucker wühlen. Jeden Augenblick kann der Atomkrieg ausbrechen – und wie stehen wir dann da? Ohne Zuckervorräte?«
»Mach dich nicht lächerlich«, sagte ich. »Ich gehe jetzt hinunter und kaufe jede Menge Zucker, die ich haben will.«
Damit ging ich hinunter, betrat das Lebensmittelgeschäft an der Ecke, zwinkerte dem Besitzer, der ein begeisterter Leser meiner Kurzgeschichten ist, vertraulich zu und flüsterte ihm ins Ohr, daß ich ganz gerne etwas Zucker hätte.
»Lieber Herr Kishon«, erwiderte er freundlich, »ich wäre niemandem so gern gefällig wie Ihnen, aber es gibt keinen Zucker.«
»Ich zahle natürlich gerne etwas mehr«, sagte ich.
»Lieber Herr Kishon, ich kann Ihnen leider keinen Zucker geben. Nicht einmal, wenn Sie mir ein Pfund achtzig dafür zahlen.«
»Das ist sehr traurig«, sagte ich. »Was soll ich jetzt machen?«
»Wissen Sie was?« sagte er. »Zahlen Sie mir zwei Pfund.«
In diesem Augenblick ließ sich ein Herr in einer Pelzmütze, den ich bisher nicht bemerkt hatte, wie folgt vernehmen:
»Zahlen Sie keine solchen Irrsinnspreise! Das ist der Beginn der Inflation! Unterstützen Sie den Schwarzhandel nicht durch Panickäufe! Erfüllen Sie Ihre patriotische Pflicht!«
Ich nickte betreten und entfernte mich mit leeren Händen, aber stolz erhobenen Hauptes. Der Mann mit der Pelzmütze folgte mir. Eine Stunde lang gingen wir zusammen auf und ab und sprachen über unsere Not. Pelzmütze erklärte mir, daß die Amerikaner, diese eiskalten Schurken, erbittert wären, weil ihre wirtschaftlichen Drohungen und Erpressungen keinen Eindruck auf uns gemacht hätten. Deshalb hielten sie jetzt die uns gebührenden Zuckerlieferungen zurück, in der Hoffnung, auf diese barbarische Weise unsere Moral zu brechen. Aber das sollte ihnen nicht gelingen. Niemals. Und wir wiederholten im Duett: niemals.
Zu Hause angelangt, berichtete ich der besten Ehefrau von allen mit dem Brustton nationalen Stolzes, daß und warum ich mich dem Tanz ums Goldene Kalb nicht angeschlossen hätte. Sie quittierte das mit ihrer üblichen Phantasielosigkeit. Alles sei recht schön und gut, meinte sie, aber der Mann mit der Pelzmütze sei ein bekannter Diabetiker, und jedermann in der Nachbarschaft wisse, daß ein einziger Würfel Zucker ihn auf der Stelle töten würde. Er hätte es also leicht, auf den Genuß von Zucker zu verzichten. Bei den Toscaninis hingegen wäre heute nacht ein Lastwagen vorgefahren, und die Hausbewohner hätten mehrere Säcke Zucker abgeladen, die sie dann auf Zehenspitzen in ein sicheres Versteck gebracht hätten.
Um der ohnehin schon tragischen Situation größeren Nachdruck zu verleihen, servierte mir meine Frau einen zeitgemäßen Tee mit Zitrone und Honig, statt mit Zucker. Das grauenhafte Gebräu beleidigte meinen empfindsamen Gaumen. Ich sprang auf, stürmte in das Lebensmittelgeschäft und gab dem Besitzer laut brüllend bekannt, daß ich bereit sei, zwei Pfund für ein Kilogramm Zucker zu zahlen. Der Lump entgegnete mir mit dreister Stirne, daß der Zucker jetzt bereits zwei Pfund zwanzig koste. »Schön, ich nehme ihn«, sagte ich. »Kommen Sie morgen«, sagte er. »Dann werden Sie für den Zucker vielleicht zwei Pfund fünfzig zahlen müssen, und es wird keiner mehr da sein.«
Als ich wieder auf der Straße stand und leise vor mich hin fluchte, erregte ich das Mitleid einer älteren Dame, die mir eine wertvolle Information gab:
»Fahren Sie rasch nach Rischon in die Bialikstraße. Dort finden Sie einen Lebensmittelhändler, der noch nicht weiß, daß es keinen Zucker gibt, und ihn ruhig verkauft…«
Ich sprang auf mein Motorrad und sauste ab. Als ich in Rischon ankam, mußte irgend jemand dem Lebensmittelhändler bereits verraten haben, daß es keinen Zucker mehr gab – und es gab keinen Zucker mehr.
Zu Hause erwartete mich eine neue Überraschung. Die beste Ehefrau von allen hatte einen dieser gläsernen, birnenförmigen Zuckerstreuer gekauft, die man bisweilen in neuerungssüchtigen Kaffeehäusern sieht und die sich dadurch auszeichnen, daß, wenn man sie umdreht und schüttelt, aus einer dicken, mundstückartigen Öffnung nichts herauskommt. Dessenungeachtet erhob ich mich mitten in der Nacht von meinem Lager und durchsuchte alle Küchenschränke und Regale nach dem Zuckerstreuer.
Die beste Ehefrau von allen stand plötzlich mit verschränkten Armen in der Tür und sagte hilfreich:
»Du wirst ihn nie finden.«
Am folgenden Mittag brachte ich einen Sack mit einem halben Kilogramm Gips nach Hause, um einige Sprünge in unseren Wänden auszubessern. Kaum hatte ich den Sack abgestellt, als er auch schon verschwunden war und eine geheimnisvolle Frauenstimme mich wissen ließ, daß er sich in sicherem Gewahrsam befände. Darüber war ich von Herzen froh, denn Gips gehört zu den unentbehrlichen Utensilien eines modernen Haushalts. Meine Freude wuchs, als ich in der nächsten Portion Kaffee, die ich zu trinken bekam, nach langer Zeit wieder Zucker fand.
»Siehst du«, sagte meine Frau. »Jetzt, wo wir Vorräte haben, können wir uns das leisten…«
So etwas ließ ich mir nicht zweimal sagen. Am nächsten Tag brachte ich vier Kilo einer erstklassigen Alabastermischung angeschleppt. Tückische, grünliche Flämmchen sprühten in den Pupillen der besten Ehefrau von allen, als sie mich umarmte und mich fragte, wo ich diesen Schatz aufgetrieben hätte.
»In einem Geschäft für Maurer- und Lackiererbehelfe«, antwortete ich wahrheitsgemäß.
Meine Frau nahm eine Kostprobe des weißen Pulvers.
»Pfui Teufel!« rief sie aus. »Was ist das?«
»Gips.«
»Blöde Witze. Wer kann Gips essen?«
»Niemand braucht das Zeug zu essen«, erläuterte ich. »Wenn man es zu essen versucht, ist es Gips. Aber wenn man es nur zum Einlagern verwendet, ist es so gut wie Zucker. Gib’s in die Vorratskammer, deck’s zu und bring unsere Zuckerration auf den Tisch.«
»Was soll ich damit in der Vorratskammer? Wozu soll das gut sein?«
»Verstehst du denn noch immer nicht? Es ist doch ein wunderbares Gefühl, zu wissen, daß man einen Vorrat von vier Kilo Zucker beiseite geschafft hat! Komme was da wolle – uns kann nichts passieren. Wir haben unsere eiserne Ration.«
»Du hast recht«, sagte meine Frau, die im Grunde ein vernünftiges Wesen ist. »Aber eines merk dir schon jetzt: diese eiserne Ration rühren wir nur an, wenn die Lage wirklich katastrophal wird.«
»Bravo!« rief ich. »Das ist der wahre Pioniergeist.«
»Allerdings…«, besann sich meine Frau mit einemmal, »dann würden wir doch merken, daß es Gips ist?«
»Na wenn schon. In einer wirklich katastrophalen Lage spielt es keine Rolle mehr, ob man vier Kilo Zucker hat oder nicht.«
Das saß.
Von diesem Tage an lebten wir wie König Saud im Waldorf-Astoria-Hotel. In unseren Kaffeetassen bleibt ein fingerdicker Belag von Zucker zurück. Gestern bat mich die beste Ehefrau von allen, noch ein paar Kilo nach Hause zu bringen, auf daß sie sich völlig gesichert fühle. Ich brachte noch ein paar Kilo nach Hause. Solange der Gipspreis nicht steigt, hat’s keine Not.