Toto-Experten

 

 

 

Die im allgemeinen nicht sehr glückliche Finanzpolitik unseres Landes hat endlich einen Erfolg zu verzeichnen: das Fußballtoto, das fast ebenso große Umsätze erzielt wie die staatliche Lotterie. Natürlich besteht zwischen den beiden Einrichtungen ein fundamentaler Unterschied. Die Lotterie basiert auf purem Glück, das Toto hingegen erfordert vom Spieler eine überdurchschnittliche Vertrautheit mit den Geheimnissen der Fußball-Nationalliga.

Der Vorgang als solcher ist denkbar einfach. Man erwirbt in einer der zahlreichen Toto-Verkaufsstellen einen Schein, schließt die Augen, wartet auf eine prophetische Erleuchtung und schreibt die Resultate der kommenden Wochenendspiele in die passende Rubrik. »1« bedeutet den Sieg der erstgenannten Mannschaft, »2« den Sieg der zweiten. »X« bedeutet Unentschieden, und das Ganze bedeutet, daß man am Wochenende ständig das Radio laufenläßt, um nach Schluß der Übertragungen festzustellen, daß man 12 Resultate richtig erraten und 2530000 Pfund gewonnen hat.

»Geh hin«, sagte die beste Ehefrau von allen, »und mach einen Totozwölfer.«

Das ist, was mich betrifft, leichter gesagt als getan, denn ich für meine Person bin kein Fußballexperte. Zwar hatte ich mehrmals versucht, mich mit diesem Sport anzufreunden, aber mein teuer bezahlter Tribünensitz war immer schon von einem vierschrötigen Gesellen besetzt, der meinen höflichen Hinweis, daß dies mein Platz sei, mit einem monotonen »Verschwind!« abtat.

Unter diesen Umständen wandte ich mich an Uri. Uri verfügt als regelmäßiger Matchbesucher über enorme Sachkenntnis und gab mir eine tiefschürfende Analyse der augenblicklichen Fußballsituation, ehe er sich an die Ausfüllung meines Totoscheins machte.

»Der Mittelstürmer von Hapoël-Sodom hat sich letzten Sonntag in Haifa einen Knöchelbruch zugezogen und kann gegen Makkabi-Jaffa nicht antreten, so daß seine Mannschaft bestenfalls für ein Unentschieden gut ist. Hingegen wird die technisch hervorragende Hakoah-Beer-Schewa unter den schlechten Bodenverhältnissen in Ramat Gan weniger leiden als die Hausherren und folglich gegen den dortigen Makkabi gewinnen.«

Mit gleich verheißungsvoller Detailkenntnis äußerte er sich über alle Spiele. Ich schrieb eifrig mit, trug das ausgefüllte Formular zur Totostelle und wartete geduldig auf den Sonntag.

Wie sich zeigte, war von meinen sämtlichen Tips nur ein einziger richtig, und zwar infolge eines Schreibfehlers meinerseits. Der Totozwölfer dieser Woche ging an eine Hausfrau in Jerusalem. Uri hatte mich um eine schöne Summe Geldes gebracht.

»Das war zu erwarten«, sagten meine Freunde. »Leute, die etwas von Fußball verstehen, können im Toto nicht gewinnen. Toto ist etwas für Ahnungslose. Der Dumme hat’s Glück.«

Allmählich lernte ich ein paar erprobte Systeme kennen, beispielsweise den sogenannten »Bevölkerungstest«, demzufolge immer die Mannschaft jener Stadt, die über mehr Einwohner verfügt, im Nachteil ist. Es verliert also mit größter Wahrscheinlichkeit Tel Aviv gegen Haifa, Haifa gegen Tiberias, Tiberias gegen Caesarea und Caesarea gegen Kfar Mordechai. Ferner gibt es das »System Heimvorteil«, das sich immer gegen die Gastmannschaft auswirkt, ohne Rücksicht auf Einwohnerzahlen. Aber die beste Methode ist die, nichts vom Fußball zu verstehen. Es heißt, daß besonders gerissene Totospieler sich der Dienste eines garantierten Ignoranten versichern, eines dreijährigen Kindes etwa, einer alten Jungfer, eines israelischen Politikers, und auf diese Weise regelmäßig einen Elfer erraten oder mindestens einen Zehner.

Verzweiflung packte mich. Noch vor wenigen Monaten war ich in Fußballdingen ein kompletter Idiot gewesen und hätte die Totogewinne nur so gescheffelt. Aber nach der Enttäuschung mit Uri hatte ich mir die vermeintlich nötigen Fachkenntnisse angeeignet – und die kamen mir jetzt bei der Wahl von »1«, »2« und »X« rettungslos in die Quere. Ich zahlte schwer für den Verlust meiner Unschuld.

»Wir müssen einen Vollkretin finden«, sagte die beste Ehefrau von allen.

Unsere Suche blieb erfolglos. In der ganzen Nachbarschaft waren alle einschlägigen Talente bereits fest engagiert (die Zwiglitzers hielten sich sogar ein altes Beduinenweib aus dem Negev). Außerdem wurde die Situation noch dadurch erschwert, daß selbst die ahnungslosesten Totohelfer nach einiger Zeit, nämlich wenn sie lange genug mit Tippen beschäftigt waren, ihre Ahnungslosigkeit einbüßten.

Diese traurige Erfahrung machten wir auch mit unserem Söhnchen Amir.

Der Einfall, ihn für den Totoschein heranzuziehen, war uns gekommen, als ein achtjähriges Kind im Kibbuz Chefzibah einen Zwölfer erraten und damit mehr als 30 000 Pfund gewonnen hatte. Am nächsten Tag setzten wir unser kleines Amirlein aufs Töpfchen, und ich begann ihm die Liste der Totospiele vorzulesen:

»Was gefällt dir besser, Liebling – Samson-Beth Alfa oder Davidschleuder-Eilat?«

»Eli!« (Und damit konnte er nur Eilat meinen.)

»Walfisch-Askalon oder Kabbala-Safed?«

»Ballaballa!«

Es war vollkommen klar, ja mehr als das: Es war fast vollkommen richtig. In dieser Woche gewannen wir mit Amirs Hilfe 172 Pfund für einen Zehner, in der nächsten 416 für einen Elfer. In der dritten Woche jedoch überraschte mich unser Orakel mit der Frage:

»Papi, Makkabi Jaffa. Jaffa gewinnt Meisterschaft, ja?« Aus und vorbei. Amir war zum Fachmann geworden. Wahrscheinlich hatten sie ihn im Kindergarten verpatzt. »Nicht einmal auf seinen eigenen Sohn kann man sich heutzutage verlassen«, klagte ich. »Was tun wir jetzt, Weib?«

Die beste Ehefrau von allen sah angestrengt ins Weite. Ihr Blick fiel auf Pinkas, den Wachhund des Nachbarhauses, der faul vor seiner Hütte lag und in die Sonne blinzelte.

Wir brachten ihm seine Lieblingssuppe und legten ihm dann die Tototabelle vor. Wenn er den Kopf hob, setzte ich »1« in die betreffende Kolonne, wenn er sich die Schnauze leckte, wurde es »2«, wenn er gar nichts tat, wurde es »X«.

In dieser Woche gewannen wir 524 Pfund, etwas später 476, dann sogar 591. Wir hegten und pflegten Pinkas, wir hätschelten und verwöhnten ihn, wir brachten ihm auserlesene Leckerbissen. Wenn meine Frau im Fleischerladen Knochen verlangte, setzte sie immer hinzu: »Aber bitte von den großen, wir brauchen sie fürs Toto.« Pinkas schien sich zu einer absolut sicheren Einnahmequelle zu entwickeln. Es schien nur so. Als ich gestern wieder mit dem Totoschein zu ihm kam und ihm die erste Paarung vorlas, rümpfte er bei »Hapoël-Tel Aviv« ganz deutlich die Nase. Ich wollte es zuerst nicht glauben, rief meine Frau herbei und wiederholte die Worte »Hapoël-Tel Aviv«, ohne ihr vorher etwas zu sagen. Sie erbleichte.

»Hat er jetzt die Nase gerümpft?«

»Er hat«, sagte ich.

Und als er bei »Makkabi-Jaffa« die Ohren spitzte, konnte es keine Zweifel mehr geben. Auch Pinkas war unter die Experten gegangen.

Wir werden jetzt wieder in der staatlichen Lotterie spielen. Dort haben Instinkt und Ahnungsvermögen noch eine Chance.