Die folgende Geschichte wäre niemals geschrieben worden, hätte es in dem vor kurzem eröffneten Restaurant Martin & Maiglock nicht diese riesenhaften Steaks gegeben, die wie eine gezielte Demonstration gegen die Sparmaßnahmen unseres Ernährungsministers aussahen.
Wir – die beste Ehefrau von allen, die drei Kinder und ich – nehmen unser Mittagessen jeden Samstag bei Martin & Maiglock ein, und jeden Samstag stellen sie diese fünf Riesenportionen vor uns hin. Beim erstenmal glaubte ich noch an einen Irrtum oder an eine ausnahmsweise erfolgende Kundenwerbung. Aber es war, wie sich alsbald erwies, keine Ausnahme. Es war die Regel, und sie macht besonders den Kindern schwer zu schaffen. Verzweifelt starren sie auf ihre Teller, die nicht leer werden wollen:
»Mami, ich kann nicht mehr…«
Oder sie weinen stumm vor sich hin.
Und es ist ja wirklich zum Heulen, auch für die Erwachsenen. Denn die Steaks im Restaurant Martin & Maiglock sind von erlesener Güte, und man wird ganz einfach trübsinnig bei dem Gedanken, daß man bestenfalls die Hälfte aufessen kann und die andere Hälfte zurücklassen muß.
Muß man?
»Warum nehmen wir den Rest nicht mit nach Hause?« flüsterte eines Samstags die beste Ehefrau von allen. »Mehr als genug für ein ausgiebiges Nachtmahl!«
Sie hatte recht. Es fragte sich nur, wie ihr hervorragender Plan zu verwirklichen wäre. Schließlich kann man sich nicht mit Händen voller Steaks aus einem dicht gefüllten Restaurant entfernen. Andererseits erinnere ich mich mit Schaudern an jene halbe Portion Hamburger, die ich einmal in eine Papierserviette eingewickelt und achtlos in meine hintere Hosentasche gesteckt hatte. Auf dem Heimweg tätigte ich einen kleinen Einkauf, wollte zahlen, griff nach meiner Geldbörse und zog eine unappetitliche, klebrige, senfdurchtränkte Breimasse hervor… Nein, dergleichen sollte mir nie wieder passieren. Keine Schmuggelversuche. Alles muß streng legal vor sich gehen.
Ich rief Herrn Maiglock an den Tisch:
»Hätten Sie wohl die Freundlichkeit, diese Überbleibsel einzupacken? Für unseren Hund!«
Während ich mich noch über das Raffinement freute, mit dem ich Franzi, unsere rassige Wechselbalg-Hündin, als Tarnung vorgeschoben hatte, kam Herr Maiglock aus der Küche zurück. In der Hand trug er einen gewaltigen Plastikbeutel, im Antlitz ein freundliches Lächeln:
»Ich hab’ noch ein paar Knochen dazugetan«, sagte er.
Es müssen mindestens 15 Pfund Elefantenknochen gewesen sein, vermehrt um allerlei Leber- und Nierengewächs und was sich sonst noch an Speiseresten in den Abfallkübeln des Restaurants Martin & Maiglock gefunden hatte.
Wir nahmen den Sack unter lebhaften Dankesbekundungen entgegen, leerten ihn zu Hause vor Franzi aus und flüchteten.
Franzi verzehrte den anrüchigen Inhalt mit großem Appetit. Nur die Steaks ließ sie stehen.
Am folgenden Wochenende, um einiges klüger geworden, änderte ich meine Strategie:
»Herr Maiglock, bitte packen Sie das übriggebliebene Fleisch für unseren Hund ein. Aber geben Sie bitte nichts anderes dazu.«
Das war ein einfacher, leicht zu erfüllender Wunsch, sollte man meinen.
Man meint falsch.
»Warum nichts anderes?« erkundigte sich Herr Maiglock. »In unserer Küche wimmelt es von Leckerbissen für Ihren vierbeinigen Liebling!«
Ich erklärte ihm die Sachlage:
»Unsere Franzi ist ein sehr verwöhntes Tier. Sie will nur Steaks haben. Nichts als Steaks. Vom Grill.«
An dieser Stelle mischte sich vom Nebentisch her ein lockiger Gelehrtenkopf ins Gespräch:
»Sie machen einen schweren Fehler, mein Herr. Sie verpassen dem armen Tier eine denkbar ungeeignete Nahrung.«
Der Lockenkopf gab sich als Veterinär zu erkennen und setzte, meiner Proteste nicht achtend, seinen Vortrag laut hörbar fort:
»Das Abträglichste für das Verdauungssystem eines Hundes ist gegrilltes oder gebratenes Fleisch. Wahrscheinlich wird Ihr Hund daraufhin nicht mehr wachsen. Zu welcher Rasse gehört er?«
»Es ist ein Zwergpudel«, replizierte ich hämisch. »Und außerdem eine Hündin.«
Damit kehrte ich meinem Quälgeist den Rücken und bat Herrn Maiglock, die Steaks, wenn er uns denn unbedingt noch etwas anderes mitgeben wollte, gesondert zu verpacken.
Alsbald brachte Herr Maiglock die sorgfältig in Zeitungspapier eingewickelten Steaks.
»Was soll das?« brüllte ich ihn an. »Haben Sie keinen Plastikbeutel?«
»Wozu?« fragte Herr Maiglock.
Ich schwieg. Wie sollte ich diesem Idioten begreiflich machen, daß ich keine Lust auf Steaks hatte, an denen noch die Reste eines Leitartikels über Kissingers Verhandlungen mit Sadat klebten.
Auf der Heimfahrt schleuderte ich das Zeitungspaket zum Wagenfenster hinaus.
Aber so leicht gebe ich nicht auf. Am nächsten Samstag erschienen wir mit unserem eigenen Plastikbeutel, und der lockenköpfige Veterinär mußte in hilflosem Zorn mitansehen, wie wir das schädliche Material in hygienisch einwandfreier Verpackung forttrugen.
Es reichte für drei Tage und drei Nächte. Wir hatten Steak zum Abendessen, Steak zum Mittagmahl, Steak zum Frühstück. Franzi lag daneben, beobachtete uns aufmerksam und verschmähte die ihr zugeworfenen Happen.
»Ephraim«, seufzte die beste Ehefrau von allen, als wir am Samstag wieder bei Martin & Maiglock Platz nahmen, »Ephraim, ich kann kein Steak mehr sehen, geschweige denn essen.«
Sie sprach mir aus der Seele, die Gute, aus der Seele und aus dem Magen. Auch die Kinder klatschten in die Hände, als wir Schnitzel bestellten. Und wir bestellten sicherheitshalber bei Herrn Martin.
Herr Maiglock, der liebenswürdige Kretin, ließ sich dadurch in keiner Weise beirren: Nach vollzogener Mahlzeit brachte er einen prall mit Steakresten gefüllten Plastiksack angeschleppt.
»Für Franzi!« sagte er.
Von da an konfrontierte uns allsamstäglich das Problem, wie wir die sinnlosen Angebinde loswerden sollten. Man kann ja auf die Dauer nicht durch die Stadt fahren und Fleischspuren hinter sich lassen. Über kurz oder lang erscheint dann in einer führenden Literaturzeitschrift eine Glosse mit der Überschrift: »Fleischer oder Schreiber?«
Endlich hatte ich den erlösenden Einfall. Kaum saßen wir an unserem Samstagmittagstisch, wandte ich mich mit trauriger Miene und ebensolcher Stimme an Herrn Maiglock:
»Bitte keine Steaks mehr. Franzi ist tot.«
In tiefem Mitgefühl drückte mir Herr Maiglock die Hand.
Am Nebentisch aber erhob sich der Hundefutterfachmann und stieß einen empörten Schrei aus:
»Sehen Sie! Ich hatte Sie gewarnt! Jetzt haben Sie das arme Tier umgebracht!«
Rafi, unser Ältester, murmelte etwas von einem Verkehrsunfall, dem Franzi zum Opfer gefallen sei, aber das machte die Sache nicht besser. Die Stimmung war gegen uns. Wir schlangen unsere Mahlzeit hinunter und schlichen mit schamhaft gesenkten Köpfen davon. Auf dem Heimweg fühlten wir uns wie eine Bande von Mördern. Wäre Franzi tot auf der Schwelle unseres Hauses gelegen – es hätte uns nicht überrascht.
Zum Glück empfing sie uns mit fröhlichem Gebell, wie immer. Es war alles in bester Ordnung.
Eine Zeitlang blieb alles dabei. Wir lebten friedlich dahin, unbeschwert von Steakproblemen jeglicher Art. Es gibt ja auch noch andere Restaurants als Martin & Maiglock.
»Eigentlich könnten wir wieder einmal zu Martin & Maiglock gehen«, ließ am letzten Samstag die beste Ehefrau von allen vernehmen, beiläufig und absichtslos.
»Ja«, bestätigte ich. »Warum eigentlich nicht. Dort bekommt man sehr gute Steaks.«
Schlimmstenfalls werden wir Herrn Maiglock mitteilen, daß wir uns einen neuen Hund gekauft haben.