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Kollateralschaden

Henry Clarke saß, angetan mit einem Bademantel aus feinster ägyptischer Baumwolle, in einem Damastsessel in seinem Schlafzimmer. Auf dem Tisch vor ihm stand eine offene Flasche fünfzig Jahre alter Dalmore Single Malt. Seine Hand umschloss ein Kristallglas, halbvoll mit granitwürfelgekühltem Scotch.

Er hörte das leise Atmen der jungen Frau in seinem Bett – sie schlief tief und fest unter der Seide und den Daunen. Er warf einen Blick auf ihr üppiges rotes Haar. Ihre makellose Alabasterhaut. Clarke dachte darüber nach, welch positives Licht sie auf ihn warf und wo er sich mit ihr sehen lassen sollte. Er nahm noch einen Schluck Dalmore.

Das Licht des Sechzig-Zoll-Plasmafernsehers spielte auf der verhüllten Gestalt des Mädchens. Der Fernseher saß auf einem raffinierten Mechanismus, der ihn in der Wand verschwinden ließ, wenn er nicht gebraucht wurde. Clarke war es leid geworden, immer die paar Sekunden zu warten, die das Ding brauchte, um aus seinem Versteck hervorzukommen, und ließ es jetzt einfach ständig draußen. Darin steckte irgendeine Moral, aber durch den Scotch-Nebel konnte er nicht ergründen, welche. Vielleicht: «Dass man etwas kann, heißt noch lange nicht …» Nein, das war es nicht.

Das Spiel von Licht und Schatten legte sich jäh – was hieß, dass die Werbung vorbei war. Er drehte sich wieder zum Bildschirm. Er sah gern mitten in der Nacht Nachrichten mit abgestelltem Ton. Eine leicht maskuline britische Nachrichtenmoderatorin sprach ein paar Sekunden lautlos, dann übernahmen US-Senatoren und Experten den Bildschirm. Jetzt kam Bildmaterial von zwei Manta-Ray-Drohnen im Formationsflug – über der Freiheitsstatue! Zwei Fliegen mit einer Klappe: eine dezente Anspielung auf 9/11 (heiligen Boden schützen!) und eine positive Assoziation mit Freiheit. Da hatten sich irgendwelche Werbepsychologen bei M&R etwas einfallen lassen.

Aber inzwischen kamen Aufnahmen von amerikanischen FBI- und ATF-Beamten, die etwas konfiszierten, das aussah wie ferngesteuerte Flugmodelle – die größere Sorte, für die man eine Lizenz brauchte. Erklärten sie jetzt Spielzeug für illegal?

Clarke schaltete mit der Fernbedienung den Ton an. Die Nachrichtenmoderatorin sagte mit dem Video als Hintergrund: «… als Zusatz zu den FCC-Richtlinien Teil 15 ein Notstandsgesetz zur erheblichen Einschränkung des Betreibens ferngesteuerter und autonomer Flugmodelle – unter anderem solcher, die mit Amateurfunklizenz auf fünfzig Megahertz im Sechs-Meter-Band betrieben werden. In Vorwegnahme der Gesetzesänderung haben Beamte der Bundespolizei bei entsprechenden Vereinen und Händlern ferngesteuerte Flugmodelle sowie Modellraketen nebst Zubehör beschlagnahmt und verdächtige Personen zur Befragung festgenommen.»

Die Videoaufnahmen zeigten, wie Bundespolizisten auf einem Grasplatz einen nahöstlich aussehenden Mann mit Stirnglatze und Anorak in Handschellen in den Fond einer Limousine verfrachteten. Umstehende – offenbar Hobbykollegen – protestierten lautstark.

Sie verboten jetzt also Flugautomaten? Was für eine seltsame Entwicklung. Ihm schien es riskant, Angst vor dem zu schüren, was sie als die Sicherheitslösung propagierten. Das Videomaterial stellte diese Hobbymodellflieger als suspekt hin. Als randständige Elemente, die es zu überwachen galt. Für ihn roch das nach Marta.

Sein Handy vibrierte, was die junge Frau in seinem Bett veranlasste, sich auf die andere Seite zu drehen. Er langte zum Nachttisch hinüber, nahm ab und sagte leise: «Ja.»

«Sie sind nicht im Büro.»

«Ich hatte etwas vor. Es ist alles unter Kontrolle – Sie vergessen, dass ich die Operationen von überall aus beaufsichtigen kann.»

«Es hat trotzdem seinen Wert, im Büro zu sein.»

«Ich sehe gerade, dass Sie heute Abend ein neues Produkt lancieren. Bin nicht so sicher, dass ich die dahinterstehende Logik begreife.»

«Was ist daran so schwer zu verstehen? Bestimmte Kenntnisse müssen als subversiv gebrandet werden. Diese Maschinen sind kein Spielzeug mehr. Mit dem Internet war es genauso – ab einem bestimmten Punkt war Hacken eine Frage der nationalen Sicherheit. Das Betreiben von Drohnen muss ab jetzt den Profis vorbehalten sein.»

Clarke blickte stirnrunzelnd auf den Bildschirm. «Tja, meinen Job erschwert es. Jetzt verhören sie schon einen Schüler, weil er mit einem Wetterballon eine Kamera in die Stratosphäre geschickt hat.»

«Es hätten auch Anthraxsporen sein können, Henry. Das wissen Sie genau.»

«Wo zum Teufel soll sich ein Highschool-Kid Anthraxsporen beschaffen? Und vor allem, warum?»

«Wenn Hacker die Guerilla des Cyber-Kriegs sind, dann sind die Hobbymodellflieger ihr Drohnenkriegsäquivalent. Es ist für alle sicherer, wenn wir sie jetzt einschüchtern. Ihnen einen Schuss vor den Bug geben. Sie isolieren. So wie wir’s mit den WikiLeaks-Leuten gemacht haben.»

«Nur um es gesagt zu haben: Ich halte das für einen Fehler. Es wird einen Graswurzel-Backlash auslösen. Es wird wochenlang dauern, bis wir das neutralisiert haben. Und Heerscharen von Sockenpuppen brauchen.»

«Tja, dann schlage ich vor, Sie hören jetzt auf, Scotch zu trinken, und bewegen sich schleunigst ins Büro.»

Kill Decision
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